Texas Cattleman's Club: The Stolen Baby (4-teilige Miniserie)

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ZEIG MIR, WAS LIEBE IST von CINDY GERARD

Ausgerechnet er soll auf Carrie aufpassen! Ryan Evans ist keineswegs glücklich über die Bitte seines besten Freundes Travis. Denn in Carries Nähe kann er nur noch an Sex denken! Travis wird es Ryan niemals verzeihen, wenn er erfährt, dass er nicht die Finger von seiner Schwester lassen konnte. Doch als Carrie ihn in seinem Haus besucht, sind alle guten Vorsätze vergessen: Stürmisch zieht er die verführerische junge Frau in seine Arme, um sie zu lieben ...

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  • Erscheinungstag 22.02.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529198
  • Seitenanzahl 487
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Impressum


BACCARA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH


Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Tel: +49(040)60 09 09-361
Fax: +49(040)60 09 09-469
E-Mail: info@cora.de


Geschäftsführung: Thomas Beckmann

Redaktionsleitung: Claudia Wuttke

Cheflektorat: Ilse Bröhl (verantw. f.d. Inhalt)

Grafik: Deborah Kuschel, Birgit Tonn, Marina Grothues


© 2004 by Harlequin Books S.A.

Originaltitel: „Breathless For The Bachelor“

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./ S.àr.l


© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA

Band 1334 (2/1) 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Übersetzung: Gabriele Ramm

Fotos: Harlequin Enterprises, Schweiz


Veröffentlicht im ePub Format im 07/2012 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN 978-3-86494-377-5


E-Book-Herstellung: readbox, Dortmund

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

BACCARA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.


Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

JULIA, ROMANA, BIANCA, TIFFANY, MYSTERY, MYLADY, HISTORICAL



1. Kapitel


"Wenn du mich noch einmal niedlich nennst, dann werde ich dir jeden einzelnen Knochen in deinem Fuß brechen, das schwöre ich dir."

Ryan Evans hob eine buschige Augenbraue und betrachtete Carrie Whelan, die ihm in einer Nische des "Royal Diner" gegenübersaß und äußerst grimmig aussah. Sie meinte es ernst. Sie war nicht nur verstimmt, sie war nahe davor, Feuer zu spucken. Feuer, das so rot leuchten würde wie das glatte, seidig glänzende Haar, das ihr bis auf die schmalen, vor Ärger jedoch angespannten Schultern fiel.

Es machte immer wieder Spaß, Carrie zu ärgern. Das war schon früher so gewesen. Mit vierzehn war sie ja auch wirklich niedlich gewesen. Jetzt aber, mit vierundzwanzig, versetzte es sie in Rage, wenn er – oder auch irgendein anderer Mann – sie so bezeichnete.

Ryan konnte trotzdem nicht widerstehen, sie noch ein wenig weiterzureizen. Doch zuerst musste er für seine Sicherheit sorgen. Er räusperte sich, richtete sich auf und zog ganz bewusst seine langen Beine unter die ausgeblichene rote Plastikbank, auf der er saß. Nun war es der wütenden Miss Whelan nicht möglich, mit den sechs Zentimeter hohen Stilettoabsätzen ihrer Designerstiefel seinen Spann zu zertrümmern.

"Ist es mal wieder diese bestimmte Zeit im Monat, Kleines?" fragte er scheinheilig.

Als sie ihn anzischte, blinzelte er möglichst unschuldig. "Was ist? Was habe ich denn gesagt?"

Sie neigte den Kopf und bedachte ihn mit einem giftigen Blick. "Weißt du was? Es ist wirklich erstaunlich, dass ein Mann, der angeblich über so viel Erfahrung mit Frauen verfügt wie du, es schafft, genau die falschen Dinge zu sagen, um eine Dame beeindrucken zu wollen."

Er konnte nicht anders, er musste grinsen. "Oh, jetzt bist du also eine Dame, so, so."

Es war noch nicht lange her, da hatte die kleine Carrie Whelan – die niedliche kleine Carrie Whelan, die Schwester seines besten Freundes Travis Whelan – jedem erklärt, dass sie ein Cowboy werden und lieber sterben würde, als jemals in etwas anderem als Jeans, Cowboyhut und Stiefeln erwischt zu werden.

Nun, er konnte bezeugen, dass sie immer noch lebendig war – sehr lebendig sogar –, obwohl sie seit ein paar Jahren die Jeans gegen weich fließende Seidenstoffe eingetauscht hatte und statt ihrer ausgelatschten Cowboystiefel jetzt schicke italienische Stiefeletten trug. Auch ihre Hüte waren inzwischen andere. Dank des Treuhandfonds, den Travis für sie eingerichtet hatte, brauchte sie nicht zu arbeiten, aber Carrie, der Liebling der High Society des texanischen Ortes Royal, war immer mit irgendetwas beschäftigt. Wenn sie nicht ehrenamtlich im Krankenhaus von Royal oder in der Bibliothek half, verbrachte sie viele Stunden in der Woche in einem staatlichen Kinderhort. Und all das tat sie, während sie gleichzeitig Wohltätigkeitsveranstaltungen organisierte und gutherzigen alten und weniger alten Männern Geld aus ihren prallen Börsen entlockte. Männern, die Carries Projekte unterstützten und auf ein Lächeln von ihr hofften.

Ja, sie ist definitiv lebendig, dachte Ryan erneut, bevor er einen kurzen, anerkennenden Blick auf ihre vollen Brüste warf, die sich unter der elfenbeinfarbenen Seidenbluse hoben und senkten.

Aber das sollte er gar nicht registrieren. Er sollte, was Carrie betraf, überhaupt nicht bemerken, dass irgendetwas an ihr fraulich, geschweige denn sexy war.

Er zog seine Hutkrempe tiefer ins Gesicht. Das Problem war, in einer Beziehung hatte Carrie Recht: Sie war nicht mehr niedlich. Sie war schön … wunderschön sogar. Sie hatte faszinierende braune Augen, einen schlanken, geschmeidigen Körper und einen Mund, der einen Mann überlegen ließ, wie er sich wohl auf nackter Haut anfühlen würde.

Nicht etwa, dass er das tat! So dachte er nicht über sie nach. Zumindest bemühte er sich höllisch, es nicht zu tun.

Stirnrunzelnd wandte er seinen Blick wieder zu ihrem Gesicht – zu diesen haselnussbraunen Augen – und zwang sich, seine obligatorische Rolle als Ersatzbruder wieder einzunehmen. "Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen, Carrie-Bärchen?"

Der Blick, den sie ihm zuwarf, war so ätzend, dass sie damit die Farbe von seinem schwarzen Wagen hätte abblättern können.

"Du bist schlimmer als mein Bruder", fuhr sie ihn an. "Keiner von euch nimmt mich ernst."

Ryan lehnte sich zurück und widerstand dem Drang, ihr zu gestehen, wie ernst er sie nahm. Und wie gern er sie außerdem nehmen würde. Und wie ernsthaft sie ihn um den Verstand bringen könnte, wenn er seine Fantasien nicht sofort zügelte.

"Was hat Travis denn nun schon wieder getan?" fragte er also, um sich abzulenken.

"Was macht er denn immer? Er behandelt mich wie ein Kind."

"Er liebt dich", meinte Ryan leise und sah, wie ihre Schultern sich ein wenig entspannten.

Sie richtete ihre hübschen Augen auf ihn. "Was machen wir eigentlich hier?" fragte sie ernst.

"Na ja, so wie ich mich erinnere", meinte er vorsichtig, weil er nicht wollte, dass sie dahinterkam, dass er sich auf Travis' Bitte hin in letzter Zeit so intensiv um sie gekümmert hatte, "habe ich dich angerufen, um zu hören, wie es dir geht. Und du sagtest, du hättest einen langen Tag gehabt, würdest dich gern entspannen, und hast mich gefragt, ob ich hier mit dir einen Kaffee trinken will."

Sie schüttelte bereits den Kopf. "Nein, ich meine nicht, was wir hier im 'Royal Diner' machen. Ich meine, was machen wir hier – du und ich? Schau uns an. Es ist Samstagabend, du meine Güte. Warum haben wir keine Verabredung und machen mit unseren jeweiligen Rendezvouspartnern die Stadt unsicher, trinken Champagner – oder in deinem Fall Bier", fügte sie mit einem leicht herablassenden Lächeln hinzu, "und sehen einer Nacht voll heißem, leidenschaftlichem Sex …"

"Halt, stopp!" Ryan richtete sich auf und hob abwehrend eine Hand.

Als sie tatsächlich den Mund hielt, wischte er sich mit dem Handrücken über die Lippen und rückte seinen Hut gerade. Dies war ein Gebiet, auf das er sich nicht vorwagen wollte. "Ich glaube nicht, dass ich mein Liebesleben mit dir diskutieren möchte."

"Ganz zu schweigen davon, dass du mein Liebesleben nicht diskutieren willst."

Ja, dachte er grimmig, das auch. Ein wachsames und beschützendes Auge auf sie zu halten, solange die Gefahr noch nicht gebannt war, in der Travis' Verlobte Natalie Perez schwebte, war der einzige Grund, warum er Carrie nicht von der Seite wich. Er konnte noch immer nicht fassen, dass er tatsächlich zugestimmt hatte, Wachhund, beziehungsweise Bodyguard für sie zu spielen. Genauso wenig wie er fassen konnte, dass sie gerade diese Unterhaltung führten.

"Ich habe das nicht gehört", erklärte er entschlossen. "Ich habe nichts davon gehört, dass du überhaupt ein Liebesleben hast. Denn wenn es so wäre, würde ich diese interessante kleine Information deinem Bruder mitteilen müssen. Der würde sich dann wahrscheinlich verpflichtet fühlen, den Überbringer dieser Nachricht – das wäre dann ich – zu töten, bevor er sich auf die Suche nach dir begeben würde. Und Gnade dem Mann, der sich mit Travis Whelans kleiner Schwester einlässt."

Sie schüttelte den Kopf, lachte freudlos und blickte dann an ihm vorbei durch das schmutzige Fenster. "Du kannst wieder aufatmen, Großer. Es besteht keine Gefahr, dass er irgendjemanden in absehbarer Zukunft töten wird. Warum, willst du wissen? Weil ich kein Liebesleben habe. Das ist die Laus, diemir über die Leber gelaufen ist."

Ryan spürte, dass sich Schweißperlen unter seiner Hutkrempe sammelten. Diese Unterhaltung glitt ihm langsam aus der Hand. "Davon will ich auch nichts hören."

Ohne sich Ryans Unbehagens bewusst zu sein, schaute Carrie ihn so flehentlich und ernst an, dass er seinen Blick nicht abwenden konnte. "Hast du eine Ahnung …, auch nur die leiseste Ahnung", wiederholte sie, "wie es ist, wenn man vierundzwanzig Jahre alt und noch immer Jungfrau ist?"

Jungfrau? Oh, du lieber Himmel.

"Warum sagst du das nicht noch ein bisschen lauter?" stieß er ungehalten hervor, um die plötzliche und verbotene Erregung zu überdecken, die ihr Geständnis ausgelöst hatte. "Ich glaube, Manny in der Küche hat dich nicht verstanden."

Sie lehnte sich zurück und schüttelte angewidert den Kopf. "Der würde mich wahrscheinlich gern mal in sein Bett zerren."

Ryan schnaubte. "Manny würde am liebsten jede Frau in sein Bett zerren." Manny Hernandez, der Koch des "Royal Diner", war außerdem noch Bodybuilder und ein stadtbekannter Playboy. "Was ist das überhaupt für eine Art Gerede für ein nettes Mädchen wie dich?"

"Aha!" Sie richtete anklagend einen Finger auf ihn. "Siehst du? Das ist das Problem. Vielleicht bin ich gar kein nettes Mädchen. Vielleicht bin ich ein heißer Feger, der die Männer ganz wild macht mit seiner sexuellen Magie und einem sinnlichen, verführerischen …"

"Nein." Er unterbrach sie erneut. "Oh, nein. Ich will nichts dergleichen hören."

"Was ist los, Ryan? Mache ich dich heiß, rege ich dich auf?"

Ja. Er war tatsächlich heiß und wünschte, er hätte nie angefangen, sie aufzuziehen. Sie war diejenige, die sich hätte winden sollen, nicht er.

"Ich bin aufgeregt genug, um dich übers Knie zu legen", warnte er sie und bemühte sich, sein Gleichgewicht wieder zu finden.

Sie kniff die Augen zusammen und lächelte ihn aufreizend an, bevor sie mit der Zungenspitze die süße, üppige Kurve ihrer Oberlippe berührte. "Oh", meinte sie gedehnt, "das hört sich ein wenig unanständig an."

Sein Herzschlag setzte fast aus. "Carrie, ich warne dich. Wenn du nicht aufhörst damit, dann werde ich …"

"Was wirst du tun? Mich an meinen Bruder verpetzen? Mich mit nach Hause nehmen und mich an dein Bett fesseln? Was, wie ich finde, durchaus seinen Reiz haben könnte", fuhr sie fort.

Eindringlich versuchte er, sie mit seinem Blick zum Schweigen zu bringen, bevor die anderen Gäste sie hörten – während er gleichzeitig gegen das Bild vor seinen Augen ankämpfte, wie sie, nackt und gefesselt, auf seinem Bett lag.

"Komm schon", stöhnte er. Er fühlte sich so eingeengt, aufgeregt und nervös wie eine langschwänzige Katze in einem Zimmer voller Schaukelstühle. "Wir gehen."

"Gehen? Oh, das glaube ich nicht."

In ihrem Gesicht spiegelte sich eine beunruhigende Mischung aus Wut und Verletztheit. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, bis er in der hintersten Sitznische hängen blieb. Ein entschlossener Ausdruck trat in ihre Augen, als sie zu ihrer Tasche griff.

"Du kannst gern gehen, Ryan, aber ich werde hier bleiben und mich dem neuen Arzt der Stadt vorstellen. Vielleicht betrachtet er mich als etwas anderes als nur Travis Whelans kleine Schwester und läuft nicht um sein Leben, wenn mein Bruder auch nur eine Augenbraue hebt."

Der wütende Blick, den Ryan ihr nun zuwarf, war verschwendet. Sie beachtete ihn überhaupt nicht mehr. Ihre Augen waren noch immer in die Ecke des "Diner" gerichtet, als sie ihren Lippenstift aus der Tasche holte und sich, ohne einen Spiegel zu benutzen, die Lippen gekonnt kirschrot nachzog.

Ryan starrte fasziniert auf ihren Mund und schwelgte in verbotenen Fantasien, in denen diese Lippen rote Spuren auf seinem Bauch hinterließen, als Carrie an den Rand der Bank rutschte und aufstand.

Schlagartig kam Ryan wieder zu sich, und jetzt sickerte auch ihre Aussage – "mich dem neuen Arzt der Stadt vorstellen" – in sein Bewusstsein, und er folgte ihrem Blick. Er erkannte den Mann in der Nische. Er hatte den neuen Arzt, der gerade im Krankenhaus von Royal angefangen hatte, zwar noch nicht kennen gelernt, ihn aber schon gesehen. Genau genommen war Dr. Nathan Beldon der Grund, warum Travis ihn gebeten hatte, Carrie im Auge zu behalten.

"Ich kann es nicht genau erklären", hatte Travis nachdenklich gesagt, als er Ryan um diesen Gefallen gebeten hatte, "aber etwas an diesem Kerl gefällt mir nicht. Er wirkt so aalglatt, und sein Verhalten ist merkwürdig. Aber aus irgendeinem Grund hat Carrie sich in den Kopf gesetzt, mit ihm anzubandeln."

Nun, dachte Ryan grimmig, er und Travis waren in dieser Beziehung einer Meinung. Beldon sah zu glatt aus. Und der Gedanke, dass Carrie mit ihm ausgehen wollte, gefiel auch ihm ganz und gar nicht. Genau genommen so wenig, dass er, als sie einen Schritt in Beldons Richtung machte, ihren Arm packte und sie wieder auf die Bank zog.

"Beldon?" fragte er und ignorierte ihre wütenden Proteste, während er sich gleichzeitig versuchte einzureden, dass das unangenehme Gefühl in seiner Magengegend kein Eifersuchtsanfall war. "Du willst Dr. Beldon abschleppen?"

Sie hielt inne, warf Ryan einen abschätzigen Blick zu und lächelte dann. Es war kein freundliches Lächeln. Und vor allem kein unschuldiges.

"Na ja, so hätte ich es vielleicht nicht bezeichnet, aber danke, Ryan. Gute Idee. Ich werde ihn abschleppen, wie du es so nett bezeichnet hast. Und wenn ich Glück habe, bin ich morgen früh hoffentlich nicht mehr die letzte vierundzwanzigjährige Jungfrau in ganz Texas."

"Okay. Das reicht." Er wusste, sie meinte es nicht ernst, aber ihm war auch klar, dass sie im Moment leichtsinnig genug war, um mit diesem Arzt etwas anzufangen, was vielleicht eine Nummer zu groß für sie sein könnte. Und auch wenn es ihm nicht gefiel, musste er zugeben, dass er eifersüchtig genug war, um etwas wirklich Dummes zu tun, wenn das hier noch weiterging. "Du gehst jetzt nach Hause. Du kannst heute Abend nicht klar denken."

Er zog ein paar Dollarnoten aus der Tasche und warf sie auf den Tisch. Sie reichten, um die Rechnung zu begleichen und beinhalteten außerdem ein großzügiges Trinkgeld für Sheila, die Kellnerin. Mit stahlhartem Griff packte er dann Carries Ellenbogen und drängte sie zur Tür. Ohne auf ihre Proteste zu achten, schnappte er sich unterwegs noch ihre rote Kaschmirjacke und drückte sie ihr in den Arm.

Die kleine Glocke über der Eingangstür bimmelte, als die Tür sich hinter ihnen schloss. Die vor Wut schnaubende Carrie verfluchte Ryan noch immer, als er sie, ohne zu zögern, zu ihrem Wagen führte.

"Fahr nach Hause", befahl er ihr und öffnete die Fahrertür.

"Fahr zur Hölle!" zischte sie ihn an.

Er drückte sie sanft, aber unerbittlich hinter das Lenkrad. "Ja, das wäre eine Möglichkeit. Aber erst einmal werde ich dir folgen, um sicherzugehen, dass du in die richtige Richtung fährst."

"Du elender Neandertaler!" fauchte sie und schlug die Tür zu.

"Oh, oh." Er beugte sich vor und schaute durch das Fenster auf ihre vor Wut geröteten Wangen, bevor er aufs Wagendach klopfte. "Und dass du mir nicht zu schnell fährst!"

Sie blickte starr geradeaus, legte den Gang ein und gab Gas.

Ryan atmete einmal tief durch und schob seinen Stetson zurück. Dann marschierte er zu seinem glänzenden schwarzen Truck und kletterte hinter das Lenkrad.

"Na, das hast du ja richtig gut hinbekommen, was?" murmelte er, als er sich in den Verkehr einreihte und aufs Gaspedal drückte, um Carrie einzuholen.

Morgen würde er mit Travis reden. Sein Freund sollte gefälligst jemand anderen finden, der seine kleine Schwester bewachte. Einen Eunuchen vielleicht – was er nun wirklich nicht war. Und daran erinnerte Carrie ihn nur allzu oft. Sie brachte sein Innerstes zum Lodern wie eine Stange Dynamit mit einer gefährlich kurzen Zündschnur. Sie war eine sehr heiße, sehr scharfe – hatte er schon heiße erwähnt? – Frau, die er eigentlich als seine kleine Schwester ansehen sollte.

Verdammt.

Er atmete tief durch. Carrie war nicht seine Schwester, obwohl seine Mom und sein Dad sie und Travis aufgenommen hatten, als deren Eltern vor vierzehn Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren. Er hatte noch immer das Bild von der traurigen, einsamen, zehnjährigen Carrie vor Augen, die in seinen Armen geweint hatte. Und es brach ihm noch immer das Herz, wenn er daran dachte, was sie durchgemacht hatte. Doch in letzter Zeit hatte er Schwierigkeiten damit, sie als das niedliche kleine Mädchen oder als seine Ersatzschwester anzusehen.

Es war eine Sache gewesen, als sie zehn und er achtzehn gewesen war. Auch als er Anfang zwanzig und sie eine aufblühende Sechzehnjährige gewesen war, die für ihn geschwärmt hatte, war noch alles in Ordnung gewesen. Er hatte ihre Verliebtheit toleriert und auch nichts dagegen gehabt, auf sie zu achten – zumindest, wenn er in Royal gewesen war, was angesichts seiner Collegezeit und der anschließenden fünf Jahre als Rodeoreiter nicht sehr häufig gewesen war.

Aber jetzt … nun, jetzt war alles ganz anders. Das Auge, das er auf Carrie geworfen hatte, war längst kein brüderliches mehr – sosehr er sich auch bemühte.

Verdrießlich folgte er ihrem Wagen. Travis würde ihn umbringen, wenn er auch nur ansatzweise ahnte, dass Ryan an Carrie in Zusammenhang mit Betten, Fesseln und schwarzer Spitze dachte – worin sie, das hatte er für sich schon beschlossen, bestimmt verdammt gut aussehen würde – genauso wie ohne.

Er verscheuchte das allzu lebendige Bild aus seinem Kopf und schloss zu ihr auf. Als sie ihn im Rückspiegel wütend anfunkelte, winkte er ihr lässig zu. Typisch für Carrie, zeigte sie ihm den berüchtigten Mittelfinger, fuhr noch schnell bei Gelb über die Kreuzung und ließ ihn fluchend bei Rot an der Ampel zurück.

"Diese verdammte Frau!" murmelte er kopfschüttelnd, doch gleichzeitig musste er grinsen. "Sie wird noch mein Tod sein."

Er dachte an ihr seidiges rotes Haar, den großen, sinnlichen Mund. Die vollen, festen Brüste, die langen, schlanken Beine. Unbehaglich rutschte er auf seinem Sitz hin und her, weil er das Gefühl hatte, seine Jeans wäre einige Nummern zu klein – ein Gefühl, das er leider in letzter Zeit fast immer bekam, wenn er Carrie sah.

Einige Straßenzüge weiter schloss er wieder zu ihr auf, und fünf Minuten später parkte er mit laufendem Motor vor ihrem Haus und sah ihr zu, wie sie aus dem Wagen stieg und zum Eingang stürmte. Selbst wenn sie so aufgebracht war wie jetzt, war ihr Anblick eine wahre Freude – schwingende Hüften und rauschende Seide.

"Mein Tod", wiederholte er leise, als sie die Haustür hinter sich zuschlug und im Haus das Licht anging. "Aber was für ein schöner Tod!"

Er ermahnte sich, Distanz zu schaffen – eine große Distanz – legte den Gang wieder ein und fuhr in Richtung "Texas Cattleman's Club". Er brauchte dringend einen Drink. Und morgen musste er unbedingt zu Travis. Er musste ihm direkt in die Augen blicken und daran denken, dass die Frau, die solche ungezügelten, sexuellen Fantasien in ihm hervorrief, die kleine Schwester seines besten Freundes war.

Die kleine jungfräuliche Schwester.

Das Blut schoss ihm ins Gesicht … und in einen anderen Körperteil, was im Zusammenhang mit Carrie absolut nicht in Ordnung war.

Sie war noch Jungfrau. Er hatte es vermutet, aber bis zu dem Zeitpunkt, als sie es laut und deutlich im "Royal Diner" verkündet hatte, hatte er es nicht wissen wollen. Hatte es wirklich nicht wissen wollen.

Sein Herzschlag erreichte bei dem Gedanken an ihre Unschuld und daran, wie es wohl wäre, der erste Mann in ihrem Leben zu sein, eine sechs Komma neun auf der Richterskala.

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er würde es jedenfalls nicht sein. Es würde niemand sein, wenn es nach Travis ging. Ihr überängstlicher Bruder hatte bisher noch jeden ihrer Verehrer in die Flucht geschlagen mit seinem besitzergreifenden Verhalten. Ryan wusste, dass Travis' Einstellung noch auf den frühen Tod seiner Eltern zurückzuführen war. Schon damals hatte Travis die Verantwortung auf sich genommen, seine kleine Schwester zu beschützen. Das war vor vielen Jahren gewesen, doch noch immer konnte er nicht loslassen. Carrie würde als alte Jungfer sterben, wenn es in Travis' Macht läge.

Und was wäre das für eine Verschwendung, dachte Ryan, der an das Feuer in ihren Augen dachte, an die herrlichen Kurven ihrer Hüften, an diesen Mund, der wie geschaffen schien fürs Küssen.

Okay. Er musste aufhören, so an sie zu denken. Und morgen würde er das auch. Heute Abend hatte er jedoch vor, sich mit einem Drink in der Hand all diesen wunderbaren Fantasien hinzugeben. Und vielleicht, mit ein bisschen Glück, dachte er, während er auf den Parkplatz des "Texas Cattleman's Club" fuhr, habe ich morgen die Fantasie und mein Verlangen nach Carrie überwunden. Vielleicht hatte er bis dahin für Travis auch eine Erklärung gefunden, warum er nicht länger auf Carrie aufpassen konnte.

2. Kapitel


"Was wirst du tun? Mich mit nach Hause nehmen und an dein Bett fesseln?"

Du meine Güte, dachte Carrie, als sie aus der Dusche trat und sich ein flauschiges dunkelgrünes Handtuch aus dem Wäscheschrank schnappte. Habe ich das tatsächlich zu ihm gesagt? Ausgerechnet zu Ryan Evans?

Sie stöhnte und vergrub ihr Gesicht in dem weichen Handtuch. Wenn sie wenigstens so schlau gewesen wäre, danach den Mund zu halten. Aber nein, sie musste natürlich noch etwas hinzufügen, was schrecklich frivol geklungen hatte: Was, wie ich finde, durchaus seinen Reiz haben könnte. Sie hatte gehofft, vielleicht doch endlich einmal einen Funken von Interesse in seinen Augen aufleuchten zu sehen.

Aber nicht bei Ryan. Oh nein! Er war kein bisschen an ihr interessiert.

"Wenn ich ein Pferd wäre, vielleicht." Oder einer von diesen geländegängigen Wagen mit Allradantrieb – wuchtige Kunstwerke aus silberglänzendem Chrom und schwarzem Lack –, die er so gerne fuhr.

Nein. Ryan Evans war noch nie an etwas interessiert gewesen, was sie und ein Bett betraf. Es sei denn früher, da hatte er sie zu überreden versucht, auch sein Bett zu machen, weil er zu sehr damit beschäftigt gewesen war, ein wildes Pferd zuzureiten oder den Mädchen nachzustellen.

Carrie rieb sich mit dem Handtuch die Haare und schaute sich dann angewidert im Spiegel an. "Einige Lektionen sind wohl ein bisschen schwerer zu lernen, was, Carrie-Bärchen?" brummte sie missmutig und spürte, dass ihre Wut nachließ und von Müdigkeit und Melancholie ersetzt wurde.

Ja, einige Lektionen waren härter als andere. Ryan war eine der härtesten.

Schniefend und seufzend trocknete sie sich zu Ende ab, rieb sich mit ihrer neuen Bodylotion ein, die so feminin duftete, dass sie einem Mann schon die Sinne verwirren konnte. Als sie die Bodylotion gekauft hatte, hatte sie an Ryan gedacht. Carrie verzog verächtlich den Mund. So langsam machte sie sich lächerlich. Was tat sie nicht , ohne an Ryan zu denken?

Sie betrachtete ihr armseliges Ich im Spiegel. "Also, ein für alle Mal, was wirst du in Bezug auf ihn tun?"

Sie wusste es wirklich nicht. Sie liebte ihn seit einer Ewigkeit. Sie vergötterte ihn, während er sie nie als etwas anderes als seine kleine Schwester angesehen hatte. Nach dem heutigen Abend war es ziemlich eindeutig, dass er sie auch niemals als etwas anderes betrachten würde: Er hatte auf ihre Andeutungen und Einladungen, die nun wirklich nicht mehr subtil zu nennen gewesen waren, weder mit Erschrecken noch mit einem Aufstöhnen oder gar Interesse reagiert.

Nachdenklich biss sie sich auf die Unterlippe und sah der unwiderlegbaren Wahrheit ins Auge. "Vielleicht ist es an der Zeit aufzugeben."

Sie holte tief Luft und atmete langsam wieder aus, während der Gedanke sich wie Blei auf ihre Seele senkte. Ja. Vielleicht war es an der Zeit.

Nachdem sie in ein sauberes, übergroßes Nachthemd geschlüpft war und sich ein Paar Socken über ihre kalten Zehen gezogen hatte, schlenderte sie ins Wohnzimmer und bürstete sich dabei das nasse Haare. Unterwegs schnappte sie sich die Fernbedienung, hielt sie in Richtung Fernseher, drückte auf den Einschaltknopf und ließ sich dann auf das Sofa fallen. Die flauschige blaue Chenilledecke fühlte sich kuschelig weich und warm an, als sie sie von der Sofalehne nahm und über ihre hochgezogenen Knie legte. Allerdings wäre es noch viel schöner gewesen, wenn sie sich an Ryan hätte kuscheln können.

Sie ermahnte sich. "Du tust es schon wieder, Whelan. Es wird nicht geschehen. Nicht mit Ryan, also gib es einfach auf."

Während der nächsten fünf Minuten versuchte sie, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie genau dies tun musste. Sie musste ein für alle Mal ihre Träume von einer gemeinsamen Zukunft mit Ryan aus ihrem Kopf verbannen.

Also dachte sie an ihre ehrenamtliche Tätigkeit im Krankenhaus, an die Kinder im Kinderhort – an alles, nur um Ryan aus ihren Gedanken zu vertreiben. Dabei drückte sie mit einer Hand die Fernbedienung und zappte sich durch die Programme, während sie unbewusst mit der anderen Hand an dem unbändigen Haarwirbel an ihrer linken Stirnseite herumzupfte.

"Nichts. Man sollte doch denken, dass man unter Dutzenden von Sendern einen findet, auf dem es etwas Interessantes gibt", ärgerte sie sich laut. Wenigstens eine Sendung, die sie unterhalten und von ihren Hirngespinsten um Ryan Evans ablenken würde. Vergeblich.

Wütend auf sich selbst, schaltete sie den Fernseher aus und warf die Fernbedienung auf den Beistelltisch. Plötzlich entdeckte sie das Fotoalbum auf der unteren Ablage des Tisches. Eine Weile starrte sie es an, bevor sie der Versuchung nachgab, in Erinnerungen zu schwelgen.

Ein Foto von ihrer Mom, ihrem Dad, von ihr und Travis ließ sie wehmütig lächeln. Mit dem Zeigefinger strich sie vorsichtig über die freundlichen Gesichter ihrer Eltern. Sie war neun gewesen, Travis siebzehn, als das Foto entstanden war. Sie waren zusammen in Fort Worth bei einer Viehmesse gewesen. Es war eines der letzten Fotos, das von ihnen allen zusammen gemacht worden war, bevor ein Unfall Sue und Joe Whelan das Leben gekostet hatte.

Carrie wünschte von ganzem Herzen, es würde ihr nicht so schwer fallen, diese Fotos mit lebendigen Erinnerungen zu füllen, aber nach vierzehn Jahren waren diese Erinnerungen verblasst, genau wie die Farben der Fotos.

Sie hatte schon vor langer Zeit ihr normales Leben wieder aufgenommen. Der Schmerz war irgendwann erträglich geworden. Eine unbestimmte Sehnsucht hatte die grausame, schmerzhafte Trauer, die ihre heile Kinderwelt so abrupt zerstört hatte, ersetzt. Aber selbst jetzt noch, Jahre später, vermisste sie ihre Eltern.

Mit einem letzten wehmütigen Blick blätterte sie um … und da war er. Ryan. Schlaksig und dünn, aber schon breitschultrig, stand er da und sah mit seinen großen braunen Augen in die Kamera. Er war achtzehn, sie war zehn gewesen, beeindruckend groß und stark stand er da und grinste verschmitzt in die Kamera. Ihr Herz pochte heftig, so wie immer, wenn sie ihn sah, wenn sie an ihn dachte, wenn sie sich glauben machen wollte, dass er mehr als ihr großer Ersatzbruder sein konnte. Zu dem war er geworden, nachdem seine Eltern sie nach dem Unfall, als sie völlig verstört, verschlossen und verwirrt gewesen war, aufgenommen hatten.

Besonders schlimm für Carrie war die Tatsache gewesen, dass sich Travis kurz vor dem Unfall ihrer Eltern bei der Marine verpflichtet hatte. Niemals wieder hatte sie sich so allein gefühlt wie damals. Noch jetzt brannten ihr die Augen, wenn sie an die einsamen Nächte dachte, in denen Ryan sie weinend in dem Zimmer gefunden hatte, das ihr seine Mutter mit liebevoller Rücksichtnahme auf das kleine, traurige Mädchen eingerichtet hatte.

Breitschultrig und nachdenklich hatte er in ihrer Zimmertür gestanden, einen schmerzhaften, hilflosen Ausdruck im Gesicht. Doch dann hatte er gelächelt und war in ihr Zimmer gestürmt wie ein großer, lauter Teddybär und hatte alles darangesetzt, sie zum Kichern zu bringen, und hatte es schließlich geschafft, die Frau, die in ihrer zehnjährigen Seele heranwuchs, dazu zu bringen, ihn zu lieben.

"Wir sind jetzt deine Familie", hatte Ryans Mom ihr immer wieder nach diesem entsetzlichen Tag versichert. "Du und Travis, ihr gehört zu uns. Dein Daddy war unser Vorarbeiter. Ich habe deine Mutter wie meine Schwester geliebt, und dein Vater war für meinen John viele Jahre wie ein Bruder … so wie Travis und Ryan wie Brüder sind. So wie du jetzt meine Tochter bist."

Langsam schloss Carrie das Fotoalbum und drückte es gegen ihre Brust, so wie Sandy sie früher immer gegen ihre gepresst hatte. Dieses Album spiegelte ihr Leben wider. Und dazu gehörte auch die Fantasie, dass Ryan sich irgendwann in sie verlieben würde. Heute Abend war sie endlich in der Lage einzusehen, dass es nicht geschehen würde.

Ryan Evans war nicht der Richtige für sie.

"Also … das war es dann, oder?" flüsterte sie und spürte, wie eine tiefe Traurigkeit sie überkam. "Der berüchtigte entscheidende Moment."

Eine Träne kullerte ihr über die Wange angesichts der schmerzlichen Erkenntnis, dass sie sich schließlich doch dazu durchgerungen hatte, ihren Traum aufzugeben. Es war an der Zeit, nach vorn zu schauen. Sie wollte eine Beziehung. Sie wollte einen Ehemann und niedliche, pausbäckige Kinder. Und da sie nun endlich akzeptiert hatte, dass Ryan in dieses Bild nicht hineinpasste, war sie entschlossen, jemanden zu finden, der hineinpasste. Und zwar bald.

Ein Klopfen an der Haustür schreckte sie auf. Sie schniefte, wischte sich schnell die Tränen aus den Augen und ging in den Flur. Die Zeiger der Uhr zeigten an, dass es fast Mitternacht war. Ein hastiger Blick durch den Spion beschleunigte ihren Puls.

Sie riss die Tür auf. "Ryan."

"Hallo, Bärchen", meinte er mit einem schiefen Grinsen. "Darf ich für einen Moment hereinkommen, oder habe ich mich vorhin durch mein Verhalten zu einer unerwünschten Person gemacht?"

Sie schaute in sein lebhaftes Gesicht, in die warmen braunen Augen, die sie immer an kostbaren Whiskey erinnerten und die sie wie ein Lagerfeuer schon mehr als einmal gewärmt hatten. Unter dem linken Auge hatte er eine feine Narbe – eine Erinnerung an seine Rodeotage und an einen Zusammenstoß mit einem Wildpferd, das ihn fast in den Boden gestampft hatte.

Es gab noch andere Narben. Seine Hände waren voller kleiner Schwielen und Kerben, eben die Hände eines hart arbeitenden Rinderzüchters. Der kleine Höcker auf seiner Nase verriet, dass sie einmal gebrochen gewesen war – wahrscheinlich beim Rodeo, vielleicht aber auch bei einer Schlägerei in einer Bar. Carrie wusste, dass er den einen oder anderen Kampf während seiner Rodeozeit ausgetragen hatte. Die Zeit war hart gewesen, und es hatte oft Schlägereien gegeben. Das Bier war in Strömen geflossen, und die Träume von der Meisterschaft waren zerronnen.

Ryan war nahe dran gewesen, sich seinen Traum zu erfüllen. Sehr nahe.

Genau wie sie. Sie war nahe daran gewesen, sich ihren Traum, dass er sie liebte, zu erfüllen. Zumindest in ihren Gedanken.

"Carrie? Hallo? Wo bist du mit deinen Gedanken, Bärchen?"

Sie blinzelte und erkannte, dass sie unwillkürlich an jenen Ort zurückgekehrt war, wo Ryan all ihre Gedanken ausfüllte und sie davon abhielt, sich von ihm zu entfernen und einen Schritt in die Zukunft zu tun.

"Tut mir Leid", sagte sie und öffnete die Tür ein wenig weiter, um ihn hereinzulassen. "Du hast mich überrascht", meinte sie lahm. "Was gibt es?"

Er hob die breiten Schultern und sah sie verlegen an. "Ich wollte nur sichergehen, dass zwischen uns alles in Ordnung ist, nachdem … du weißt schon."

Sie neigte den Kopf. "Nachdem du mich wie ein herrenloses Kalb aus dem 'Royal Diner' bugsiert hast?"

Er zuckte zusammen, bevor er grinste. "Äh … ja. Danach."

"Keine Angst", erklärte sie, entschlossen, ein neues Kapitel in ihrem Leben zu beginnen und zu ignorieren, dass Ryan ihr das Herz brach. "Aber mach das nicht noch einmal, okay?"

Er betrachtete sie, während er ihr im Flur gegenüberstand. "Soll das heißen, dass du noch immer vorhast …"

"Dr. Beldon abzuschleppen?" unterbrach sie ihn. "Weißt du was, Ryan? Ich glaube, du und Travis – und genau genommen auch die anderen Mitglieder des 'Texas Cattleman's Club' – ihr geht alle von der irrigen Annahme aus, dass jedes weibliche Wesen in der freien Welt gerettet werden muss."

Er sah ein wenig verblüfft aus.

"Was ist? Du glaubst doch nicht, ich wüsste nicht, was sich hinter den verschlossenen Türen dort im Club abspielt? Travis ist schließlich mein Bruder. Er verschwindet manchmal für Tage oder Wochen. Genau wie du oder die anderen. Und ist es nicht ein merkwürdiger Zufall, dass, kurz nachdem ihr alle wieder aufgetaucht seid, in den lokalen oder internationalen Nachrichten Berichte auftauchen, wonach entweder ein fürchterliches Verbrechen abgewehrt oder irgendein Land vor einem schrecklichen Terroranschlag bewahrt wurde?"

Sie lachte über den fassungslosen Ausdruck in seinem Gesicht.

"Oh, schau nicht so entsetzt, Ryan. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Übrigens, was Natalie betrifft: Ich weiß, dass ihr euch um sie und das Baby Sorgen macht. Und ich weiß auch, dass ihr alle daran beteiligt seid, diesen Mistkerl zu finden, vor dem sie hierher nach Texas geflüchtet ist. Ich hoffe, ihr habt Erfolg. Ich liebe sie wie eine Schwester, und die kleine Autumn habe ich in mein Herz geschlossen. Ich möchte, dass beide in Sicherheit sind. Ich möchte, dass dieser gehetzte Ausdruck aus Natalies Augen verschwindet."

"Carrie …" sagte Ryan so flehend, dass sie tatsächlich Mitleid mit ihm bekam.

"Okay, okay, ist ja gut. Ihr rettet keine Nationen und keine hilflosen Frauen. Ihr versucht nicht, heimlich herauszubekommen, was der armen Natalie Furchtbares zugestoßen ist. Ich habe schon verstanden. Es ist deine Geschichte, du kannst sie erzählen, wie du möchtest. Aber wenn du involviert wärest, dann wäre ich sicher, dass du und die anderen der Sache auf den Grund gehen würdet. In der Zwischenzeit …", sie hob eine Hand, als er sie unterbrechen wollte, "… habe ich nichts mit Natalies Dilemma zu tun, was bedeutet, dass ich keinen Schutz brauche. Und da das so ist, geht dich das, was ich tue oder nicht tue, überhaupt nichts an." Es könnte anders sein, dachte sie bedauernd. Aber das ist es nun einmal nicht, und du bist derjenige, der es so will.

Etwas anderes als Überraschung spiegelte sich auf einmal in seiner Miene. Es wirkte fast ein wenig wie Traurigkeit, vielleicht sogar ein wenig wie Reue. Es war ihr egal. Sie konnte es sich nicht länger leisten, darauf Rücksicht zu nehmen. Aber verflixt, die nächsten Worte, die aus Ryans Mund kamen, ließen sie wünschen, es wäre anders.

"Du wirst mich immer etwas angehen, Kleines." Er berührte sacht ihre Wange, und dann, als hätte er gemerkt, was er da tat, ließ er abrupt die Hand sinken. "Sei einfach nur vorsichtig, okay?"

Dann streckte er noch einmal die Hand nach ihr aus, als könne er nicht anders, und umschloss ihren Nacken. Er zog sie an sich. Sein Duft, eine aufregende Mischung aus Leder, Salbei und Pferd umfing sie, als er den Kopf neigte und seine Lippen auf ihre Stirn presste. "Gute Nacht, Carrie-Bärchen. Schließ hinter mir ab."

Sie stand noch immer wie versteinert da, als der Motor seines Trucks ansprang und er davonfuhr.

"Auf Wiedersehen, Ryan", flüsterte sie schweren Herzens, wohl wissend, dass sie damit auch die Hoffnung, die sie seit vierzehn Jahren in sich trug, verabschiedete.

Kurz darauf ging Carrie ins Bett und bemühte sich, die Gedanken an Ryan zu verdrängen. Sie würde ihn sich aus dem Kopf schlagen, denn sie war fest entschlossen, ein neues Kapitel in ihrem Leben aufzuschlagen. Aber mit wem sollte sie ein neues Leben beginnen?

Im Geist ging sie mögliche Kandidaten durch. Es war eine ziemlich kurze Liste, und das aus gutem Grund. Travis nahm jeden ihrer potenziellen Verehrer so hart in die Zange, dass von ihnen und ihren möglichen Absichten so gut wie nichts übrig blieb.

Oh, sie wusste, ihr Bruder meinte es nur gut. Er hatte nicht die Absicht gehabt, sämtliche Freunde, die sie je gehabt hatte, in die Flucht zu treiben, aber genau das tat er. Keiner von ihnen hatte sich getraut, es mit ihm aufzunehmen, so dass im Grunde schon stets der Versuch einer Beziehung gescheitert war. Abgesehen von Ryan war Travis der Hauptgrund dafür, dass sie immer noch Single war und sich darüber ärgern musste, mit vierundzwanzig noch Jungfrau zu sein.

"Okay, du hast die Beschützerrolle zu überzeugend und zu lange gespielt, mein lieber Bruder", murmelte sie, während sie sich auf die Seite rollte, ins Kissen boxte und sich tiefer unter die Decke kuschelte. Sie war keine Zehnjährige mehr, einsam und verwirrt, die ihre Mom und ihren Dad vermisste. Sie war jetzt eine Frau – zumindest dem Alter nach. Was die Erfahrung anging – nun, da war sie allerdings ein absolutes Greenhorn.

Aber nicht mehr lange. Der heutige Abend hatte es wirklich ein für alle Mal entschieden. Sie war bereit, den Übergang ins wahre Leben zu wagen. Und da Ryan nicht der Mann sein würde, ihr über diese aufregende Hürde zu helfen, würde sie sich einfach jemand anderes suchen müssen, der es tat.

Es musste doch irgendwo jemanden geben, der sich von ihrem Bruder nicht einschüchtern ließ. Jemand, der nicht hier aufgewachsen war, würde nicht genug wissen, um Angst vor Travis zu haben. Jemand, der neu in der Stadt war.

Jemand wie Dr. Nathan Beldon.

Es lief einfach immer wieder alles auf ihn hinaus.

Ja. Mit einem Arzt könnte sie sich durchaus zufrieden geben.

Sie holte tief Luft und atmete langsam aus. Es zeugte nicht gerade von Charakterstärke, dass sie sich mit jedem x-beliebigen Mann zufrieden geben wollte, der nicht vor Travis davonlief. Es verriet außerdem, dass sie nicht gerade auf der höchsten Entwicklungsstufe stand – vom feministischen Standpunkt aus betrachtet.

"Nicht jeder ist dazu geschaffen, der Welt seinen eigenen Stempel aufzudrücken", murmelte sie und warf sich wieder auf den Rücken. "Das ist ja wohl kein Verbrechen."

Auf ihre eigene Weise half sie, wenn auch nur im Kleinen, die Welt zu verbessern. Ihr gefiel ihre ehrenamtliche Tätigkeit in der Bibliothek, wo sie mit ihrer Freundin Stephanie Firth zusammenarbeitete, genau wie sie Freude an ihrer Arbeit im Krankenhaus hatte. Außerdem organisierte sie gerne Wohltätigkeitsveranstaltungen. Doch was sie am meisten genoss, war die Zeit, die sie im Kinderhort verbrachte.

Sie liebte Kinder. Kleine Kinder, schüchterne Kinder, rotzfreche Kinder – selbst die, die bissen. Und sie wollte eigene Kinder – mit dem Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens zusammen sein wollte. Oder zumindest mit einem Mann, der bereit war, den Rest seines Lebens mit ihr zu verbringen.

Und dann war da ja noch diese andere Kleinigkeit. Diese Sache mit der Jungfräulichkeit. Sie hatte ihr enthaltsames Leben so satt. Sie wollte endlich wissen, worum es bei dieser Sache, um die alle so viel Wirbel machten, eigentlich ging. Und sollte Nathan Beldon zufällig derjenige sein, der es ihr zeigte, dann konnte er vielleicht auch derjenige sein, mit dem sie ein neues Leben anfangen und Kinder haben konnte.

Zum Teufel mit dem, was Travis oder Ryan sagten.


"Ich dachte, wir hätten das geklärt." Travis Whelan legte Ryan eine Hand auf die Schulter, als sie am nächsten Nachmittag auf die Bar des "Texas Cattleman's Club" zusteuerten. In seiner Miene zeichnete sich Enttäuschung ab. "Du kannst mich doch jetzt nicht im Stich lassen."

Ryan verzog das Gesicht und kratzte sich am Ohr. Und kam zu keinem Ergebnis. Diese Unterhaltung verlief nicht so, wie er es geplant hatte. Er hatte sich seine Argumente vorher genau überlegt. Er hatte Travis sagen wollen, er solle ein anderes Mitglied – irgendein anderes Mitglied des Clubs, das mit der Situation vertraut war – bitten, auf Carrie zu achten, bis das Geheimnis um Natalie Perez und ihr Baby gelöst war. Er war schließlich Rancher, kein Kämpfer, okay? Na gut, auch er hatte schon einige geheime Missionen für den "Texas Cattleman's Club" übernommen, aber für diesen speziellen Job gab es wahrlich bessere Männer als ihn.

Travis sah das jedoch nicht so und hatte auch nicht vor, ein Nein als Antwort zu akzeptieren. Und er machte seine Sache sehr gut, indem er Ryan ein schlechtes Gewissen einredete, so dass der alle vernünftigen Gründe vergaß, warum es eine schlechte Idee war, dass gerade er auf Carrie aufpassen sollte.

"Du bist mein Freund", fuhr Travis mit einem aufmunternden Lächeln fort. "Du bist immer mein Freund gewesen. Himmel, Ryan, du bist lange genug dabei, um zu wissen, dass ich es nicht riskieren kann, dass irgend so ein dahergelaufener Kerl meine Schwester ausnutzt. Du bist der Einzige, an den ich mich wenden kann … und ich kann sie im Moment nicht im Auge behalten. Nicht, bis die Sache mit Natalie geklärt ist."

Hin und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, sich aus dem vorprogrammierten Desaster herauszuwinden, und seiner Loyalität Travis gegenüber, seufzte Ryan, während Travis zum nächsten Schachzug ansetzte.

"Ich bin jetzt ein Daddy. Ein Daddy", wiederholte Travis, als könne er sein Glück noch immer nicht fassen, "und die Frau meines Herzens … Ryan, du weißt, dass sowohl Natalie als auch das Baby noch immer in Gefahr sind."

Ja, Ryan wusste das. Genau wie offensichtlich auch Carrie. Die Neuigkeit, dass sie über die Aktivitäten des Clubs Bescheid wusste, hatte er noch nicht verdaut. Er war immer noch ein wenig irritiert über ihre Mutmaßungen. Sie hatte natürlich Recht gehabt. In vielerlei Hinsicht. Der "Texas Cattleman's Club" arbeitete verdeckt. "Führung, Gerechtigkeit und Friede" lautete das Motto des Clubs, und was auch immer sie taten, es diente einem höheren Ziel.

Im Augenblick hatten mehrere Clubmitglieder – zu denen er und Travis sowie David Sorenson, Clint Andover, Alex Kent und Scheich Darin ibn Shakir gehörten – versucht, Licht in eine mysteriöse Sache zu bringen, die eines kühlen Abends im November begonnen hatte und immer rätselhafter geworden war. Okay, inzwischen wussten sie eine Menge mehr als an jenem Abend, an dem eine damals unbekannte Frau mit einem neugeborenen Baby und der Kleinigkeit von einer halben Million Dollar, versteckt in einer Wickeltasche, ins "Royal Diner" getaumelt kam; aber es blieben noch immer viele Fragen offen.

Die Frau, die im Restaurant zusammengebrochen und ins Koma gefallen war und erst vor kurzem ihr Gedächtnis wiedererlangt hatte, war Natalie Perez, Travis' jetzige Verlobte. Das Baby war Travis' Tochter Autumn, das unerwartete, aber wunderbare Ergebnis einer Affäre, die Natalie und Travis vor über einem Jahr beendet hatten.

Die beiden Männer schwiegen einen Moment lang. Ryan starrte auf das Etikett seiner Bierflasche, die er in den Händen hielt. "Wie geht es Natalie?" fragte er schließlich. "Und der kleinen Autumn?"

Travis blickte auf sein eigenes Bier, so ernst wie Ryan ihn selten gesehen hatte. "Es geht ihnen gut. Verdammt … ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich sie damals verlassen habe. Und ich kann nicht glauben, dass ich sie beinahe verloren hätte. Dieser Mistkerl Birkenfeld … er hätte Natalie töten und unser Baby verkaufen können."

Ryan seufzte erneut angesichts der ungeheuren Tragweite der Situation, die schwer auf seiner Seele lastete, als er an die Einzelheiten des Falles dachte. Er war an jenem Abend im November nicht im "Diner" gewesen, als Natalie mit einer Visitenkarte des "Texas Cattleman's Club" in der Hand dort aufgetaucht war. Genauso wenig wie Travis oder Darin, die beide bis Ende Dezember außer Landes gewesen waren, um einen Fall zu klären.

Wenn Travis in der Stadt gewesen wäre, als Natalie auftauchte, wären sie vielleicht schon ein Stück weiter. Aber er war nicht da gewesen, und erst als Natalie Travis nach seiner Rückkehr aus Europa auf der Silvesterparty getroffen hatte, hatte sie begonnen, sich wieder an Einzelheiten ihrer Vergangenheit zu erinnern.

Sie hatte Travis wieder erkannt und sich an ihre kurze, aber intensive Affäre erinnert, aus der Autumn hervorgegangen war. Doch erst Wochen später fiel ihr auch ein, warum sie mit dem vielen Geld in Royal gestrandet war. Die Geschichte war so bizarr, dass Ryan noch immer Schwierigkeiten hatte, die Tragweite und die weit reichenden Konsequenzen zu verarbeiten.

Natalie hatte in einer Geburtsklinik gearbeitet, die von einem Dr. Roman Birkenfeld geleitet wurde. Während der Zeit, die sie dort gewesen war, hatte sie festgestellt, dass eine alarmierend hohe Anzahl allein stehender Frauen ihre Babys während der Geburt verlor. Diese Feststellung hatte sie derart in Alarm versetzt, dass sie heimlich die Computerdateien durchsucht hatte. Dabei hatte sie herausgefunden, dass die Babys gar nicht wirklich gestorben waren, sondern dass man sie verkauft hatte. Bevor sie Dr. Birkenfeld konfrontieren oder mit ihrem belastenden Material zur Polizei gehen konnte, hatten bei ihr die Wehen eingesetzt.

Und da hatten ihre Probleme begonnen. Der feine Herr Doktor hatte mit Natalies Baby dasselbe vorgehabt wie mit den anderen. Er hatte Natalie betäubt, und am nächsten Morgen, nachdem die Geburt vorüber gewesen war, hatte er ihr, wie den anderen Frauen auch, erzählt, dass ihr Baby leider gestorben sei. Irgendwie war es Natalie gelungen, aus der Klinik zu fliehen. Sie war Dr. Birkenfeld und seiner Komplizin, einer Krankenschwester, zum Flughafen gefolgt, von wo sie mit dem Baby zu den potenziellen Käufern fliegen wollten.

Als die Schwester mit dem Baby zur Toilette gegangen war, um Windeln zu wechseln, hatte Natalie zugeschlagen. Sie hatte die Frau auf den Boden gestoßen und sich das Baby und die Wickeltasche geschnappt – die, wie sich herausstellte, voller Geld war, das jetzt sicher im Safe des "Texas Cattleman's Club" verwahrt wurde. Sie war zum Busbahnhof geflohen, doch Birkenfeld und seine Krankenschwester hatten sie in Amarillo eingeholt.

An das, was danach geschehen war, konnte Natalie sich noch immer nicht erinnern, weshalb Travis und die anderen Mitglieder des Clubs sich weiterhin Sorgen machten.

Ryan warf Travis einen Blick zu. "Ist ihr inzwischen noch etwas eingefallen?" fragte er, wohl wissend, dass sie dringend weitere Informationen benötigten, um diese brisante Sache aufzuklären.

Travis schüttelte den Kopf. "Nein. Alles, was seit Amarillo passiert ist, liegt ziemlich im Dunkeln. Sie weiß nur noch, dass Birkenfeld sie eingeholt hat, dass es einen Kampf gegeben hat und dass sie sich den Kopf gestoßen hat." Er hielt inne, und Ryan konnte am Gesicht seines Freundes erkennen, wie Travis von den unterschiedlichsten Emotionen gepackt wurde. Angefangen von Wut und Hilflosigkeit über Erleichterung, dass seine Frau und sein Kind sicher waren, bis hin zu Frustration, weil Birkenfeld von der Bildfläche verschwunden war und noch immer eine Bedrohung darstellte. Es wurde Zeit, dass sie diese Angelegenheit endlich vom Tisch bekamen.

"Sie weiß nicht, wie sie ihnen entkommen ist", fuhr Travis fort. "Gestern Abend hat sie mir gesagt, das Einzige, was sie noch auf den Beinen gehalten hat, war das Wissen, dass sie lange genug bei Bewusstsein bleiben musste, um mich zu finden."

Er schluckte. "Und dann war ich nicht für sie da."

"He." Ryan schüttelte Travis leicht an der Schulter, um ihn aus seinem Schmerz herauszuholen. "Du bist jetzt für sie da. Du bist für beide da."

Alle Mitglieder des Clubs waren für die beiden da, bis sie Birkenfeld und seine Krankenschwester gefasst haben würden. Die beiden liefen leider noch immer frei herum, standen aber anscheinend ziemlich unter Druck, denn sie hatten bereits Morddrohungen gegen Natalie ausgesprochen. Und die nahmen Ryan und die anderen Clubmitglieder durchaus ernst, vor allem, nachdem Tara Roberts, die Natalie nach deren Krankenhausaufenthalt bei sich aufgenommen hatte, ihr Haus mysteriöserweise durch Brandstiftung verloren hatte. Alle Clubmitglieder waren sich einig, dass sie fieberhaft daran arbeiten mussten, das Rätsel zu lösen.

"Birkenfeld ist noch immer irgendwo da draußen", meinte Travis mit eiskalter Stimme. "Solange er nicht gefasst ist und hinter Gittern sitzt, sind weder Natalie noch Autumn sicher." Er drehte sich zu Ryan herum. "Deshalb brauche ich dich. Carrie …"

"Ist ein großes Mädchen", beharrte Ryan, noch immer entschlossen, sich aus dieser Nummer herauszuwinden. In dieser Hinsicht war er immerhin mit Carrie einer Meinung. "Ich weiß wirklich nicht, warum du glaubst, dass ich sie beschützen muss. Sie ist doch in das Ganze nicht involviert."

"Aber ich bin es. Und ich nehme an, dass Birkenfeld das weiß. Bist du ganz sicher, dass dieser geisteskranke Mistkerl, der Frauen betäubt und ihnen sagt, ihre Babys seien tot, damit er sie verkaufen kann, nicht auch so niederträchtig sein könnte, sich an Natalie zu rächen, indem er mir und dem, was zu mir gehört, Schaden zufügt?"

Ryan schloss die Augen. Tief in seinem Herzen wusste er, dass Travis Recht hatte. Er konnte nicht hundertprozentig sicher sein. Und da Carrie ein Teil von Travis' Leben war, war dessen Befürchtung nicht von der Hand zu weisen. "Du hast Recht. Man muss schon sehr gestört und niederträchtig sein, um das zu tun, was er getan hat."

"Und ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann, damit er auf meine Schwester aufpasst, bis wir Birkenfeld gefunden haben."

Ryan drehte seine Bierflasche hin und her, bevor er sich schließlich geschlagen gab und nickte. Wie konnte er Travis angesichts solcher Argumente eine Abfuhr erteilen?

Er atmete tief durch. "Ja. Okay, okay. Ich werde es tun. Aber ich weiß immer noch nicht, was Nathan Beldon mit der ganzen Sache zu tun hat."

Travis zuckte mit den Schultern. "Vielleicht nichts."

Ryan drehte sich abrupt zu seinem Freund um. "Und warum muss ich ihn dann beobachten?"

"Weil ich ihn nicht mag." Travis sah Ryan ausdruckslos an. "Muss ich einen anderen Grund haben?"

3. Kapitel


"Ich fasse es nicht, was ich hier tue", murmelte Ryan später am Abend. Er zog seinen Hut tiefer in die Stirn. Er saß geduckt hinter dem Lenkrad seines neuen schwarzen Geländewagens und beobachtete genervt, wie Carrie an Nathan Beldons Seite auf das "Royal Diner" zusteuerte.

Sie war entschlussfreudig, das musste er ihr lassen. Aber vielleicht war es ja auch Beldon, der sie "abgeschleppt" hatte. Dieser Ausdruck würde ihn noch bis ins nächste Jahrzehnt verfolgen. Genauso wie es sein Verderben sein würde, Carrie nachzuspionieren.

Travis bezeichnete diese Situation als "Carrie im Auge behalten". Ryan vermutete, dass Wayne Vincente, der Polizeichef von Royal, eine ganz andere Formulierung finden würde – zum Beispiel "Carrie nachstellen oder überwachen". Und Ryan selbst fielen für seine momentane Lage auch einige passende Adjektive ein: ungemütlich und bescheuert und … He! Er richtete sich auf, alle Sinne in Alarmbereitschaft. Hatte er richtig gesehen? Hatte dieser schmierige Doktor tatsächlich seine Hand, die ohnehin schon viel zu lange auf Carries Rücken gelegen hatte, ungebührlich weit nach unten wandern lassen?

Die Eingangstür zum Restaurant schloss sich hinter den beiden, bevor Ryan eine Chance hatte zu entscheiden, ob es ein Versehen oder eine Illusion gewesen war.

Was für ein Widerling!

Ryan kannte den Typ nicht, doch nachdem er das eben gesehen hatte, schien diese Bezeichnung angemessen zu sein. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, schwang er sich aus seinem Wagen und marschierte auf das "Royal Diner" zu. Travis wollte, dass er auf Carrie aufpasste, also würde er genau das tun. Um mehr ging es hier nicht. Nur ein Gefallen für einen Freund. Nichts weiter. Er hatte sich gestern Abend entschieden, dass Carrie, unabhängig davon, wie sehr er sie begehrte oder wie hinreißend sie war, für ihn absolut tabu zu sein hatte, was romantische Verwicklungen anging.

Angetrieben von diesem Gedanken, öffnete er die Tür zum Restaurant, wild entschlossen, ein wenig kreative Einmischung zu betreiben.


Nathan Beldon ist eigentlich ganz attraktiv, auf eine zurückhaltende, vornehme Art, entschied Carrie, als sie sich auf der Bank ihm gegenüber niederließ.

"Sind Sie sicher, dass das hier in Ordnung ist?" fragte der gute Doktor mit einem Lächeln, das entschuldigend und aufmerksam war. Und das Interesse signalisierte, wie sie freudig überrascht feststellte. Ein Interesse jener Art, wie Ryan nie für sie aufgebracht hatte.

Sie verscheuchte die Gedanken an Ryan aus ihrem Kopf und erwiderte Nathans Lächeln.

"Das ist gut", versicherte sie ihm. Und es war mehr als gut, dass er tatsächlich ein wenig schüchtern, wenn nicht sogar unsicher wirkte.

Man stelle sich das vor, ein Mann, der so aussah wie er, so beeindruckend und selbstsicher wie er, fühlte sich in ihrer Gegenwart unsicher. Na, das erfreute doch ihr kleines Herz.

Sie lächelte über sich selbst und ihre Albernheit, während sie gleichzeitig weiter über ihren Begleiter für diesen Abend nachdachte. Sie hatte ihre ehrenamtliche Schicht im Krankenhaus gerade beendet, als sie ihm auf dem Parkplatz begegnet war. Sie hatte sich vorgestellt und ihn spontan gefragt, ob er Lust hätte, sie zum Essen zu begleiten.

Sie war ziemlich stolz auf sich. Sie war selbstbewusst, nicht übermäßig freundlich gewesen, und er hatte ihr Angebot auf liebenswürdige Art akzeptiert. Genau genommen hatte er sogar hoch erfreut akzeptiert.

Und jetzt waren sie hier. Über die Speisekarte hinweg warf sie ihm einen kurzen Blick zu. Man konnte Nathan Beldon nicht als ausgesprochen gut aussehend bezeichnen – nicht so wie Travis oder Ryan mit ihrem umwerfenden Aussehen, bei dem die Frauen reihenweise schwach wurden. Er besaß eher einen klassischen, geschliffenen Reiz. Seine braunen Augen zeigten nicht diese Wärme und das charmante Funkeln, das sie von Ryan und Travis kannte, sondern blickten sehr viel ernster. Nicht dass das schlecht war, nur anders, als sie es gewohnt war.

Er war außerdem ziemlich groß. Ryan war auch groß – über einen Meter achtzig –, aber Nathan war vielleicht sogar noch einige Zentimeter größer. Das gefiel ihr. Da sie selbst nicht gerade klein war, mochte sie es, wenn sie manchmal das Gefühl haben konnte, zierlich zu wirken und zu einem interessierten Paar Augen aufzuschauen. Und Nathans dunkle Augen signalisierten eindeutig Interesse.

Er war auch nicht wie Ryan gebaut. Während Ryan ein einziges Muskelpaket war und über eine angeborene athletische Geschmeidigkeit verfügte, war Nathan Beldon eher schlank und bewegte sich mit einer zurückhaltenden Eleganz, die in Carrie die Frage hervorrief, wie es wohl wäre, mit ihm zu tanzen. Konnte sie Ginger Rogers sein und er Fred Astaire?

Könnte es sein, dass sie zu viele alte Filme angeschaut hatte? Wieder musste sie über sich und ihre romantischen Vorstellungen grinsen.

"Das nächste Mal", sagte Nathan, "gehen wir ins 'Claire's'. Oder setze ich da zu viel voraus?" Seine Stimme klang äußerst kultiviert und so hoffnungsvoll, dass Carrie aus ihren Gedanken gerissen wurde.

Sie lächelte erfreut. "Nein, Sie setzen überhaupt nicht zu viel voraus. Mir würde es sehr gut gefallen, wenn wir uns noch einmal treffen."

Ihr gefiel auch die Art, wie sein perfekt gestyltes Haar – so dunkelbraun, dass es fast schwarz wirkte – das Erscheinungsbild des großen, dunklen und gut aussehenden Mannes unterstrich, selbst wenn sein Haar ein wenig feiner, ein wenig dünner als Ryans war. Der hatte eine dicke Mähne, die immer so aussah, als wäre er gerade mit beiden Händen hindurchgefahren.

"Um ehrlich zu sein", fügte sie hinzu, nachdem sie sich dabei ertappt hatte und sich dafür hasste, dass sie Nathan seit der Begegnung auf dem Parkplatz ungefähr zum ...

Autor

Cindy Gerard
<p>Als Cindy Gerard anfing, ihr erstes Manuskript zu schreiben, wollte sie vor allem eins: es auch beenden. Der Gedanke, es zu verkaufen, kam ihr viel später. Und erst, als sie einen Verlag gefunden hatte, der es veröffentlichen wollte, wurde ihr klar, dass es nicht bei diesem einen Werk bleiben würde....
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<p>Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...
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<p>Cathleen Galitz hat als Autorin schon viele Preise gewonnen und unterrichtet an einer kleinen Schule im ländlichen Wyoming Englisch. Ihr Ehemann und sie haben zwei Söhne, die ihre Eltern mit ihren vielen unterschiedlichen Aktivitäten ganz schön auf Trab und damit auch jung halten. Cathleen liest sehr gerne, geht oft Golf...
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