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Heiße Küsse und innige Zärtlichkeit - davon hat der Außenseiter Damon bisher nur geträumt. Deshalb kann er es kaum glauben, dass die schöne Hannah ausgerechnet ihn liebt. Doch als er sieht, wie die Bewohner von Pine Point auch sie bekämpfen, wird er ihr Beschützer. Hannah und Damon gegen den Rest der Welt!


  • Erscheinungstag 19.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757137
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Damon Jackson ließ sich grundsätzlich von nichts ablenken. Diesmal fiel ihm das teuflisch schwer. Wenn er jedoch so tat, als würde er die Frau nicht sehen, verschwand sie bestimmt wieder.

Also wandte er ihr den Rücken zu und versuchte noch einmal, den Motor der „Naiad“ zu starten. Mit dem alten Fischerboot, das er von seinem Vater geerbt hatte, war Damon seit seiner Geburt auf dem oft sehr gefährlichen Lake Superior unterwegs. Die zweiunddreißig Jahre hatten ihren Tribut gefordert, sowohl vom Boot als auch von ihm.

Menschen waren offenbar widerstandsfähiger als Boote. Darum musste er in diesem Winter die „Naiad“ völlig überholen, falls sie nicht vorher sank.

Der Motor stotterte, hustete und starb ab. Fluchend drückte Damon ein zweites Mal den Starter. Diesmal sprangen alle Zylinder an. Der Lärm war stets ohrenbetäubend, bis der Motor sich aufwärmte, doch wenigstens lief das Ding.

Mit der Geschicklichkeit eines Mannes, der sein Leben auf dem schwankenden Deck eines Bootes verbracht hatte, verließ Damon das Steuerhaus und achtete bewusst nicht auf die abblätternde Farbe und das verrottende Holz.

Zum dritten Mal innerhalb von zwei Wochen war einer der beiden Saisonhelfer nicht zur Arbeit erschienen. Somit blieb ihm nur Marty, ein schweigsamer, ehemaliger Dockarbeiter. Den anderen wollte er morgen feuern, sofern er überhaupt kam.

„Hey! Können Sie mich nicht hören?“ Die melodische Stimme übertönte das Rattern des Motors.

Es war Damon zur zweiten Natur geworden, sich von allem fern zu halten. Darum tat er, als hätte er nichts gehört, griff nach einem Lappen und ging zur offenen Motorklappe. Dabei sah er sich auf dem Parkplatz hinter der Anlegestelle nach Marty um. Vor zwanzig Minuten hatte er ihn losgeschickt, um einen neuen Keilriemen zu kaufen. Sobald er zurückkam, wollten sie auslaufen.

„Entschuldigen Sie. Sir!“

Er hatte keine Lust, sich mit einer Touristin abzugeben, die Zeit im Überfluss hatte. Es brachte aber offenbar nichts, sie zu ignorieren. Die Frau war hartnäckig wie Zahnschmerzen.

Die Hände in die Hüften gestützt, drehte er sich mit finsterer Miene zu ihr um. Kastanienbraunes Haar fiel bis auf ihre Schultern. Die Haut wirkte weich wie Samt. Das Gesicht gehörte einem Engel, der schlanke Körper einer Tänzerin, und die auf ihn gerichteten Augen waren dunkelblau.

Als ihre Blicke sich trafen, holte sie tief Atem, und ihre vollen, leicht geöffneten Lippen erregten ihn unbeschreiblich. Diese gänzlich unerwünschte Anziehungskraft verstärkte nur noch seinen Ärger.

„Sie müssen zur anderen Anlegestelle!“, rief Damon und betrachtete sie eingehend. Sie gehörte zu den Leuten, die jeden Sommer in Pine Point einfielen. Auch in Laufschuhen, Jeans und Sweatshirt war sie für eine Einheimische zu elegant.

„Was?“, rief sie.

„Die Angeltouren!“ Ob ihr Haar so seidig war, wie es aussah? Der Wind spielte damit wie ein Liebhaber, und das Sonnenlicht ließ dunkelbraune und rote Strähnen leuchten. Solches Haar hatte er noch nie gesehen … auch nicht solche langen Beine in ausgebleichten Jeans.

Damon biss die Zähne zusammen und versuchte, das tief in ihm einsetzende Verlangen zu unterdrücken. Es brachte nichts, wenn er deutlich daran erinnert wurde, wie lange er schon mit keiner Frau mehr zusammen gewesen war.

„Die Boote fahren vom neuen Steg ab. Da drüben!“ Er deutete zum Ausflugsdampfer auf der anderen Seite der Bucht. „Touristen haben hier nichts verloren.“

Die meisten Leute hätten sich von seinem Ton abschrecken lassen, aber sie nicht. „Ich will nicht angeln. Ich wollte fragen, ob Sie ihn kennen.“

„Wen?“

„Na, ihn!“ Die Fremde deutete zum Ende des verwitterten Bootsstegs.

Zuerst sah Damon nur den aufgelassenen Köderladen, bis er den alten Mann bemerkte, der an der Wand lehnte. In der grünen und grauen Kleidung hob er sich kaum vom verwitterten Holz ab.

„Er war schon hier, als ich vor einer Weile herkam. Er wirkt völlig verwirrt, und ich fürchte, er könnte ins Wasser fallen. Gehört er zu Ihnen?“

Damon wischte Schmierfett von den Schraubenschlüsseln und warf sie der Reihe nach in den Werkzeugkasten. „Nein.“

„Kennen Sie ihn? Da ist sonst niemand.“ Um diese Tageszeit lag hier nur noch ein anderes Boot, gegen das die „Naiad“ wie eine Rennjacht aussah.

Der letzte Schraubenschlüssel landete klirrend im Kasten. Damon griff nach der Arbeitslampe und wickelte das dicke gelbe Kabel auf. „Er heißt Lindstrom.“

„Glauben Sie, er kommt allein zurecht?“

„Woher soll ich das wissen?“, erwiderte er, ohne die Arbeit zu unterbrechen.

Sie ließ sich noch immer nicht abschütteln. „Wenn Sie ihn kennen, werden Sie auch etwas über ihn wissen.“

„Nein.“

„Wir können ihn nicht einfach hier lassen. Wo wohnt er?“

Er schob die Lampe mit dem Kabel in einen Jutesack. „Ungefähr zwei Kilometer von hier. Fahren sie auf dem Highway nach Süden, bis sie das Schild zum Verna Lake sehen. Er wohnt im letzten Haus.“

Mit dem Sack und dem Werkzeugkasten verschwand er in der offenen Klappe und hoffte inständig, die Fremde wäre verschwunden, wenn er wieder nach oben stieg.

Sie war nicht von der Stelle gewichen und redete noch immer. Damon hörte gar nicht hin, schloss die quietschende Klappe und bekam nur mit, dass ihr Wagen nicht hier war.

„Ich bin vom Café zu Fuß gegangen“, fuhr sie fort und meinte vermutlich das kleine Restaurant auf dem Hügel hinter ihr. „Ich wollte, dass er mit mir kommt, aber er will nicht. Er sagte nur ständig, dass er sein Boot versäumt hat. Was ist mit Ihrem?“

„Mit meinem was?“

„Mit Ihrem Wagen“, erklärte sie geduldig. „Könnten Sie den Mann nicht heimbringen?“

Der sagenhaft gebaute Kerl mit dem unmöglichen Benehmen sah Hannah endlich voll an, doch gleich darauf wünschte sie sich, er hätte es nicht getan. Der harte Blick bereitete ihr Unbehagen. Der ganze Mann war ihr unheimlich, seit er sie so unverschämt gemustert hatte, als würde er sie mit Blicken ausziehen. Und danach hatte er getan, als wäre sie nicht vorhanden.

Nichts an dem Mann, der von dem alten Fischerboot zu ihr herunterblickte, war zivilisiert. Pechschwarzes Haar fiel ihm in die Stirn. Die Beine hielt er auf dem schwankenden Deck weit gespreizt. Alles an ihm verriet unterschwellige Spannung. Groß, muskulös, mit grauen Augen, die an die stürmische See erinnerte. Trotz des hart geschnittenen Gesichts sah er gut aus. Und der Mund war so sinnlich, dass Hannah den Blick senkte.

Sie bekam Herzklopfen. Diese erotische Ausstrahlung verwirrte sie so stark wie seine abweisende Haltung. Über den Bizeps zog sich eine schmale Tätowierung hin. Das schwarze Sweatshirt hatte keine Ärmel und enthüllte die nackte Haut mit der Zeichnung, die Hannah ebenfalls erregend fand.

„Nein, ich kann ihn nicht heimbringen“, erwiderte der Mann. „Suchen Sie sich einen anderen.“

„Aber hier ist keiner.“ Hätte sie sich nicht um den alten Mann solche Sorgen gemacht, wäre sie schon längst weggegangen. „Und wir können ihn nicht allein lassen. Er ist unsicher auf den Beinen, und ich fürchte, er könnte …“

„Lady“, fiel er ihr ins Wort. „Wir machen gar nichts. Ich hätte schon vor zwei Stunden auslaufen sollen, und mir fehlt ein Helfer. Sobald der zweite zurückkommt, verschwinde ich.“

„Wie lange wird das denn dauern?“

„Fünf Minuten.“

„Dann haben Sie Zeit, den alten Mann heimzubringen.“

„Sind Sie taub?“

Hannah störte sich nicht an seinem finsteren Blick. „Wenn er nur zwei Kilometer entfernt wohnt, dauert es nicht länger. Ich warte hier und sage Ihrem Helfer, dass Sie gleich zurückkommen.“

Damon stand einen Moment schweigend am Heck. Die Frau war hübsch, erinnerte ihn aber sehr an eine Krake, die sich am Boot festgesaugt hatte.

Schon wollte er erklären, dass Lindstrom sich nicht durch den Umgang mit ihm beschmutzen wollte, doch dann löste sich der Mann von der Wand des Schuppens und schwankte. Die Frau hatte recht. Der alte Schwede war so sicher auf den Beinen wie ein Matrose am dritten Tag eines Kneipenbummels.

„Er ist betrunken“, erklärte Damon.

Hannah schüttelte den Kopf. „Er spricht nicht schleppend und riecht nicht nach Alkohol. Und selbst wenn er es wäre, könnten wir ihn in diesem Zustand nicht sich selbst überlassen. Wollten Sie nicht auch, dass Ihnen jemand hilft, wenn es nötig ist?“

Wenn sie bei ihm auf Mitgefühl und Menschlichkeit zählte, konnte sie sich den Atem sparen. Die Leute in der Stadt hätten ihr bestätigt, dass er nicht einmal wusste, was das war. Und der alte Mann am Köderladen gehörte zu ihnen.

Seit Damon nach Pine Point zurückgekehrt war, vermied er Ärger, indem er mit den „respektablen“ Bürgern so wenig wie möglich zusammentraf. Trotzdem bekam er immer wieder Ärger, und das hier schrie förmlich danach. Bestimmt bereute er bis an sein Lebensende, wenn er nicht half. Das hatte aber nichts damit zu tun, dass unter seiner Abwehr noch ein Funke von Anstand glomm. Es war schlicht und einfach eine praktische Überlegung. Falls der alte Mann wirklich vom Steg fiel und ertrank, würde man keinen anderen als ihm die Schuld daran geben.

Er hörte förmlich schon die Vorwürfe der selbstgerechten Nachbarn.

Eine Frau hat ihn gebeten zu helfen, aber Damon Jackson ist einfach losgefahren und hat den armen alten Mann hilflos zurückgelassen …

Was kann man von dem schon anderes erwarten? Nichts wie Ärger, seit er auf der Welt ist …

Frustriert stellte er den Motor ab, den er so mühevoll zum Laufen gebracht hatte, sprang auf den Steg und ging zur Hütte.

Hannah folgte dem Fischer, obwohl man die von ihm ausstrahlende Spannung förmlich mit Händen greifen konnte. Vor dem alten Mann blieb er stehen und betrachtete ihn. Mr. Lindstrom war für eine Angelfahrt ausgerüstet, hatte jedoch keine Angel und keinen Köderbehälter bei sich. In den Schlingen seiner Anglerweste hingen eine Harke und ein kleiner Spaten. Am Anglerhut baumelten bunte Schwimmer.

„Brauchen Sie Hilfe?“, fragte der Fischer und hielt den alten Mann fest, als dieser taumelte.

Mr. Lindstrom richtete die hellblauen Augen hinter der randlosen Brille auf den Fischer. „Wer sind Sie?“

„Nur jemand, der Ihnen helfen will. Sie sollten nicht allein hier sein.“

„Ich habe mein Boot versäumt.“

„Welches Boot?“

Mr. Lindstrom hob die Hand mit einer Pfeife. „Den Trawler, auf dem ich arbeite. Ich gehe jeden Morgen an Bord.“

Der Fischer warf Hannah einen Blick zu und wandte sich wieder an den alten Mann. „Kommen Sie, ich bringe Sie heim. Sie sollten nicht allein hier sein.“

„Nicht nötig“, wehrte Mr. Lindstrom ab. „Die Frau meines Neffen holt mich ab.“

„Gut. Wo ist sie?“

„Na, da.“

Hannah drehte sich genau wie der Fischer um, sah jedoch nur Möwen. „Ich bin nicht die Frau seines Neffen“, versicherte sie. „Ich habe ihn noch nie gesehen.“

„Sie müssen nicht mich, sondern ihn überzeugen“, antwortete der Fischer leise und beugte sich dabei so weit zu ihr, dass sie die Bartstoppeln am kantigen Kinn sah.

„Mr. Lindstrom“, sagte sie zu dem alten Mann. „Ich …“

„Kirsty, seit wann nennst du mich Mister?“, fragte er verwundert.

„Sir, ich heiße nicht Kirsty, sondern Hannah.“

„Hannah?“

„Hannah Davis.“ Der muskulöse tätowierte Arm vor ihr lenkte sie ab. „Dieser Mann hier hat recht. Sie sollten nicht allein sein. Er bringt Sie nach Hause.“

„Ich kenne ihn nicht.“

„Vielleicht erinnern Sie sich nur nicht an ihn.“

„Wir haben nie miteinander gesprochen“, sagte der Fischer, „sondern haben uns nur gelegentlich gesehen. Die Stadt ist klein.“

Der alte Mann richtete die blauen Augen auf ihn. „Wie heißen Sie?“

„Jackson. Damon Jackson.“

Der Name sagte dem alten Mann offenbar nichts.

Hannah wandte sich an den Fischer. „Können Sie es ihm denn nicht klarmachen, dass er nicht hier bleiben kann?“, flüsterte sie. „Vielleicht haben Sie mehr Glück als ich.“

Damon erinnerte sich nicht daran, wann ihn jemand das letzte Mal um etwas gebeten hatte. Er packte Hannah am Arm und zog sie zu sich heran. Dabei ließ er den alten Mann, der sich wieder an die Hütte gelehnt hatte, nicht aus dem Augen.

„Hören Sie“, raunte er ihr zu. „Offenbar kommt und geht sein Gedächtnis wie Ebbe und Flut. Wenn er Sie für die Frau seines Neffen hält, dann sind Sie es eben. Falls ich helfen soll, machen Sie mit. Ich will mich nicht noch mehr verspäten. Reden können wir mit ihm unterwegs.“

„Und was ist mit Ihrem Helfer?“

Damon ließ den Blick von ihren leuchtend blauen Augen zu den verlockenden Lippen wandern und stellte sich vor, die Finger in ihr Haar zu schieben und sie zu küssen. Es erregte ihn noch mehr.

„Er wird auf mich warten“, sagte er leise. „Nehmen Sie jetzt Ihren ‚Onkel‘, damit wir endlich fahren können.“

Hannah war völlig verunsichert, als er sie los ließ. Die Haut prickelte, wo er sie berührt hatte.

Damon führte den alten Mann den Steg entlang und die Treppe zum Parkplatz hinauf.

„Ist das Ihr Helfer?“, fragte Hannah, als ein Wagen den Hügel herunterkam.

Damon antwortete nicht darauf. „Mein Wagen steht dort“, sagte er nur und deutete auf einen schwarzen Geländewagen neben einem Strommast. „Ich komme gleich wieder.“

Er ging dem grünen Kombi entgegen, der auf dem Parkplatz hielt. Der Motor fauchte und ratterte, und aus dem Radio dröhnte Rockmusik.

„Der Motor muss überholt werden“, erklärte Mr. Lindstrom, während Damon zu dem rollenden Wrack ging. „Und mit dem Radio müsste man auch was machen.“

„Das ist die Musik.“

„Sicher, Kirsty. Ich habe ja auch an eine Stange Dynamit gedacht.“

Der blonde Hüne, der für Damon arbeitete, stieg aus. Hannah verstand nicht, was die beiden miteinander besprachen. Damon wurde sichtlich wütend, holte die Brieftasche hervor, drückte seinem Helfer einige Scheine in die Hand und klopfte ihm auf die Schulter. Der blonde Hüne ging daraufhin zum Boot.

Damon nahm sich sichtlich zusammen, damit sie ihm nicht ansah, wie wütend er war. Als sie losfuhren, war ihm nichts mehr anzumerken.

„Ich gehe von deinem Haus zu Fuß weiter, Kirsty“, erklärte ihr Schützling plötzlich.

„Sie fahren direkt heim“, erwiderte Damon und verließ den Parkplatz.

Jetzt musste sie Mr. Lindstrom erklären, wieso er nicht mit zu ihr kommen konnte. „Sie verwechseln mich“, sagte sie behutsam. „Ich kenne nicht einmal das Haus Ihres Neffen. Ich heiße Hannah, nicht Kirsty, und mir gehört das Café dort oben.“ Sie deutete zur Hügelkuppe. „Vorhin habe ich nur einen kurzen Spaziergang gemacht wie immer zwischen dem Frühstück und dem Mittagsgeschäft.“

Er sah sie verwirrt an. „Lilly Sieverson gehört das Café.“

„Früher“, bestätigte Hannah, während er zum meergrünen Haus auf dem Hügel blickte. „Lilly hat sich zur Ruhe gesetzt und ist zu ihrer Tochter nach Minneapolis gezogen. Ich habe ihr das Restaurant vor einem Monat abgekauft.“

Jetzt war er völlig durcheinander und betrachtete die Pfeife in der knochigen Hand. Die Haut war so dünn, dass man darunter die Adern sah. Um ihn zu beruhigen, drückte sie seine Hand.

An der Main Street hielten sie am Stoppschild neben ihrem Lokal. Damons schwarzer Wagen spiegelte sich im Seitenfenster des Pine Cafés.

Damon bog auf die Hauptstraße mit den vielen Touristen. Deutlich war ihm anzumerken, dass seine Anspannung wuchs.

Hinter der Moose Lodge wandte Mr. Lindstrom sich betroffen an Hannah. „Dann sind Sie also nicht die Frau meines Neffen?“

Damon kam ihr zuvor. „Die Frau Ihres Neffen ist blond, Mr. Lindstrom, auch älter und bei Weitem nicht so …“ Er stockte und betrachtete die schlanke Beifahrerin. „Nicht so dünn.“ Er wandte sich wieder dem alten Mann zu. „Von welchem Trawler haben Sie gesprochen?“

Der Mann war nicht nur unhöflich, sondern auch unsensibel.

Mr. Lindstrom entspannte sich etwas, als er erklärte, wie lang das Schiff war und wie viele Bruttoregistertonnen es hatte. Danach erkundigte Damon sich nach den Netzen, die er benützt hatte.

Hannah wurde bei dem Gespräch total übergangen, doch sie war froh, dass der alte Mann sich beruhigte. Und sie stellte fest, dass sie Damon Jackson falsch eingeschätzt hatte. Er war gar nicht unsensibel, sondern hatte nur Dinge angesprochen, an die Mr. Lindstrom sich erinnern konnte. Dadurch merkte der alte Mann nicht, wie schlecht sein Gedächtnis wirklich war.

Dieser Fischer war so unhöflich gewesen und hatte ihr solche Schwierigkeiten gemacht, dass sie ihm so viel Einfühlungsvermögen gar nicht zugetraut hätte.

Die Verna Lake Road führte nur zu zwei Häusern zwischen Nadelbäumen und Büschen. Sie fuhren am größeren Gebäude vorbei, einem ziemlich neuen einstöckigen Haus, das in dieser Stadt protzig wirkte. Hinter dichten Büschen stand ein kleines weißes Haus mit verblassenden roten Fensterumrandungen und einem Steildach. Mit den gehäkelten Vorhängen und den Geranientöpfen auf der Veranda sah es so alt aus wie Mr. Lindstrom.

Als der Wagen in der schmalen Einfahrt hielt, öffnete Mr. Lindstrom die Tür und stieg langsam aus.

„Sollen wir Sie hineinbegleiten?“, fragte Hannah und wollte ihm folgen.

Damon hielt sie hart am Arm zurück. „Sie haben eine Minute.“

„Mehr brauche ich nicht. Ich will mich nur davon überzeugen, dass er auch sicher ins Haus kommt.“

„Ich gehe nicht hinein.“ Mr. Lindstrom drehte sich um. „Ich werde mich auf der Veranda ausruhen.“

„Kommen Sie denn auch zurecht?“

„Aber ja“, erwiderte er verwundert, als würde er nicht begreifen, wieso sie überhaupt fragte. „Danke, Hannah.“ Er bückte sich, und die Schwimmer am Hut schwangen hin und her. „Ihnen auch vielen Dank“, fügte er hinzu und hatte Damons Namen offenbar schon wieder vergessen.

Hannah sah ihm besorgt nach. „Lebt er allein?“

„Ja, so viel ich gehört habe.“

„Vielleicht sollten wir jemanden verständigen, der bei ihm bleibt.“

Damon fuhr bereits rückwärts aus der Einfahrt hinaus. „Sein Neffe lebt dort mit seiner Familie“, erklärte er und deutete zum großen Haus mit der breiten betonierten Einfahrt und kunstvoll gestutzten Buchsbäumen in Töpfen. Das Gebäude wirkte wie ein Mausoleum. „Wenn Sie sich um den alten Mann sorgen, wenden Sie sich an Neil Lindstrom. Er arbeitet im Laden für Bootszubehör am Lake Drive. Erwähnen Sie dabei aber nicht meinen Namen.“

„Warum nicht? Ohne Sie wäre seinem Onkel womöglich etwas zugestoßen. Sie wollten zwar anfangs nicht belästigt werden, aber Sie waren sehr nett …“

„Lady“, fiel er ihr ins Wort, „man hat mich schon viel genannt, aber noch nie ‚nett‘. Ich fahre jetzt zum Hafen. Wollen Sie mitkommen, oder soll ich Sie am Café absetzen?“

„Zum Café, bitte“, erwiderte sie leise und blickte aus dem Seitenfenster.

Er merkte, dass sie verletzt war, und das berührte ihn. Offenbar kannte sie seinen Ruf nicht, doch sobald sie mehr über ihn erfuhr, wollte sie bestimmt nichts mehr mit ihm zu tun haben. Sie gehörte zu den Leuten, die fest zusammenhielten und denen er auswich.

„Wieso zieht eine Frau wie Sie eigentlich nach Pine Point?“, fragte er. Eine wie sie gehörte in den Country Club. Es lag am Haarschnitt und am dezenten Make-up, das gar nicht ins Auge stach. Dafür brauchte man Geld oder die entsprechende Abstammung. Eine solche Frau führte kein bescheidenes Café in einem Ort, in dem im Winter das Bingospiel der Kirche den Höhepunkt der Woche darstellte. „Sie gehören doch gar nicht hierher.“

„Sie wissen nichts über mich“, erwiderte sie leise. „Ich habe die meiste Zeit in der Großstadt gelebt, aber hier habe ich die Sommer meiner Kindheit und Jugend verbracht. In die Großstadt passe ich nicht. Wenn Sie sagen, dass ich nicht hierher gehöre – wohin soll ich denn Ihrer Meinung nach gehen?“

Damon wusste, wie es war, wenn man an einer empfindlichen Stelle getroffen wurde. Damit lebte er, seit er denken konnte, und er hatte sich eine harte Haut zugelegt. Diese Frau wirkte jedoch alles andere als hart. Um sie nicht noch mehr zu verletzen, schwieg er noch, als er auf dem Parkplatz unterhalb des Cafés hielt. Es war schlimm genug, dass er sich körperlich zu ihr hingezogen fühlte. Mitgefühl war gefährlich.

Sie öffnete die Tür. „Danke, dass Sie mir keine Antwort gegeben haben“, sagte sie, als hätte sie damit gerechnet, er würde sagen, sie sollte sich zur Hölle scheren. „Und vielen Dank, dass Sie Mr. Lindstrom geholfen haben. Auch wenn Sie es nicht hören wollen, war das nett von Ihnen.“

Sie konnte gar nicht schnell genug von ihm wegkommen, schloss die Tür und eilte zum Hintereingang. Durch die Hanglage des Cafés befand sich der Vordereingang auf Straßenniveau. Nach hinten hinaus war der Blick auf den See unverbaut.

Der einzige Blick, der Damon interessierte, war der auf die Frau, die rasch die Stufen hinauflief. Energisch legte er den Rückwärtsgang ein. Nicht nur sie wollte allein sein und so wenig wie möglich mit anderen Menschen zu tun haben.

Nein, er würde ihr aus dem Weg gehen, so gut er konnte.

2. KAPITEL

Du gehörst nicht hierher.

Hannah lief die Stufen hinauf und versuchte, nicht mehr daran zu denken. Diese Worte bedeuteten nichts mehr.

Ich liebe Dich nicht, Hannah, habe Dich auch nie geliebt. Du gehörst nicht hierher.

Diese Worte hatten sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Sogar nach fast einem Jahr sah sie die handschriftliche Nachricht ihres Ex-Mannes auf dem Kopfkissen vor sich. Er hatte nicht einmal den Anstand besessen, ihr vorher ins Gesicht zu sagen, dass er sie nur als Ersatz geheiratet hatte.

Dafür, dass Damon Jackson sie daran erinnert hatte, konnte sie ihn hassen. Doch sie wollte gar nicht an ihn denken. Damon war zynisch und hart. Er besaß nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrem Vater und ihrem Onkel, zuverlässigen und unkomplizierten Männern. Er war auch nicht so gelassen und bodenständig, wie ihr Großvater gewesen war. Und er war das genaue Gegenteil der weltgewandten Leute, die sie in Minneapolis gekannt und zu denen ihr Ex-Mann gehört hatte.

Damon brachte sie aus dem Gleichgewicht, und das konnte sie nicht gebrauchen. Sie musste sich auf ihr Restaurant konzentrieren. Das Pine Café war jetzt ihr Leben. Mehr brauchte sie nicht. Diese Stadt hatte sie schon als Kind geliebt. Hier war sie zu Hause.

Durch die Hintertür betrat sie die Küche und eilte am kleinen Büro vorbei. Den Geräuschen nach zu schließen, hatte das Mittagsgeschäft schon eingesetzt. Wahrscheinlich war Inga, ihre Aushilfsköchin, verärgert.

Nicht nur wahrscheinlich, sondern tatsächlich. Die zweiundfünfzig Jahre alte Klatschtante blickte gereizt von den Sandwiches mit Krabbensalat auf, an denen sie arbeitete.

„Da sind Sie ja endlich! Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie so lang aufgehalten hat. Sie müssen unbedingt mit dem Mädchen sprechen“, fuhr sie fort und bestrich Toast mit Butter. „Sie ist so langsam wie ihre Schwester. Hier stehen schon sechs Bestellungen, die längst am Tisch sein müssten. Hätte ich gewusst, dass Sie so lange wegbleiben, hätte ich Brenda oder Astrid früher kommen lassen. Die zwei interessieren sich mehr für die Arbeit und nicht so für die Jungs wie diese beiden.“

Brenda und Astrid arbeiteten abwechselnd abends. Die beiden Frauen, eine wenig älter als Hannah, die andere schon uralt, gehörten wie die Köchin zu dem kleinen Restaurant mit den Holztischen und den grünen Vorhängen. Deshalb hatte Hannah sie auch übernommen.

Es war nicht ungewöhnlich, dass ein neuer Besitzer auch neue Leute einstellte. Doch drei Ortsansässige zu entlassen, hätte Hannah bei den Einheimischen geschadet. Hätten ihre Großeltern nicht ihr ganzes Leben hier verbracht, wäre sie kaum willkommen gewesen. Die Leute akzeptierten sie ohnedies nur zögernd, und Hannah musste sich noch sehr bemühen.

„Ich kümmere mich darum. Lassen Sie mir nur einen Moment Zeit“, sagte Hannah zu der finster dreinblickenden Köchin. Inga hatte es von Anfang an abgelehnt, Schülerinnen der Highschool zu beschäftigen. Hannah fand dagegen, dass die Holmes-Zwillinge gut arbeiteten. Erica und Eden, blond und lebenslustig, machten den jungen Männern im Restaurant zwar schöne Augen, lernten aber schnell, hatten gute Manieren und waren bei den Gästen beliebt. „Ich telefoniere, wasche mir die Hände und komme sofort wieder zurück.“

Ungeduldig verteilte Inga die Krabben auf den Sandwiches. „Kann der Anruf denn nicht warten? Ich muss sieben Bestellungen machen. Acht“, verbesserte sie sich, als Erica noch einen Bon vor ihr ablegte. „Ich habe nicht mehr genug Gurkensalat, und ich brauche drei Mal gelbe Erbsensuppe und eine Fischsuppe.“

Es war für Hannah nicht neu, mehrere Sachen gleichzeitig zu erledigen. In einem Restaurant überlebte man nur, wenn man mit der einen Hand ein Feuer löschen und mit der anderen einen Teller garnieren konnte. Außerdem schaffte sie es leicht, Ärger und Probleme anderer wegzustecken, bis eine Krise überwunden war. Deshalb störte sie sich auch nicht an den Anweisungen der Köchin, sondern griff zum schnurlosen Telefon und ging in den Waschraum. Gäste sollten zwar nicht warten, doch sie musste unbedingt etwas wegen Mr. Lindstrom unternehmen.

Hinter der Durchreiche hörte man die Stimmen der Gäste und das Klappern von Besteck. Nachdem Hannah das Haar im Nacken zu einem Knoten gebunden hatte, griff sie zur roten Schürze, die sie zum T-Shirt mit der Aufschrift „Pine Café“ trug. Das Telefon hielt sie mit der Schulter ans Ohr, als sie sich von der Auskunft die Nummer des Ladens für Bootszubehör geben ließ.

Während sie sich die Hände so gründlich wie ein Arzt vor einer Operation wusch, wartete sie darauf, dass Neil Lindstrom ans Telefon kam. Sobald er sich meldete, stand sie schon am Herd und füllte vier Teller mit Suppe und griff nach der nächsten Bestellung.

Inga verlangte noch eine Fischsuppe.

Autor

Christine Flynn
Der preisgekrönten Autorin Christine Flynn erzählte einst ein Professor für kreatives Schreiben, dass sie sich viel Kummer ersparen könnte, wenn sie ihre Liebe zu Büchern darauf beschränken würde sie zu lesen, anstatt den Versuch zu unternehmen welche zu schreiben. Sie nahm sich seine Worte sehr zu Herzen und verließ seine...
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