Heiße Leidenschaft - Best of Baccara 2016

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Mit diesem eBundle präsentieren wir Ihnen die schönsten und erfolgreichsten Baccara-Romane aus 2016.

SOBALD DIE EIFERSUCHT ERWACHT

"Verrat es mir: Wie bekomme ich einen Mann rum?" Stern Westmoreland traut seinen Ohren nicht, als seine beste Freundin JoJo ihn um Rat fragt. Sie steht auf einen Kunden ihrer Autowerkstatt, er aber sieht in ihr nur die burschikose Mechanikerin im Blaumann. Natürlich weiß Stern, wie JoJo sich stylen muss! Mit Frauen kennt er sich schließlich aus. Doch als sie verführerisch weiblich vor ihm steht, flammt in ihm plötzlich Eifersucht auf. Ein schrecklicher Gedanke, dass ein Fremder langsam den Reißverschluss ihres sexy Kleides öffnet und zärtlich ihre nackte Haut berührt …

MIT DEM BOSS INS BETT?

"Darling!" Spontan stürmt Jaci auf den Mann zu, der aus dem Aufzug steigt. Bevor er etwas entgegnen kann, verschließt sie seinen Mund mit einem Kuss. Natürlich nur, um einen zudringlichen Typen zu vergraulen, der ihr bis in das Foyer des New Yorker Luxushotels gefolgt ist. Aber woher kommt dann die nie gekannte sinnliche Erregung, als der Mann ihr Spiel mitmacht und sie wild zurückküsst? Und das in aller Öffentlichkeit, wo Jaci sexuelle Verwicklungen gerade gar nicht brauchen kann! Immerhin sehe ich ihn nie wieder, denkt sie. Da trifft sie wenig später ihren neuen Boss …

VERFÜHRT IN DER VILLA DES MILLIONÄRS

"Ihr zieht in meine Villa am Pazifik!" Fassungslos schaut Dina den Millionär Connor King an. Glaubt dieser arrogante und leider umwerfend attraktive Mann wirklich, dass sie ihm gehorchen muss? Auf der anderen Seite: Vielleicht ist es die beste Lösung. Immerhin müssen sie sich plötzlich gemeinsam um die süßen Drillinge einer verstorbenen Freundin kümmern. Doch Dina ahnt, dass Connor mehr will als nur ihre Hilfe. Sein erster heißer Kuss hat es verraten. Er will sie in seinem Bett! Aber was, wenn sie sich in Connor, der nicht an die Liebe glaubt, verliebt?


  • Erscheinungstag 05.01.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775711
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Brenda Jackson, Joss Wood, Maureen Child

Heiße Leidenschaft - Best of Baccara 2016

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2013 by Brenda Streater Jackson
Originaltitel: „Stern“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1915 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Peter Müller

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733721190

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

„Stern, du solltest so etwas doch wissen. Was kann eine Frau tun, um einen Mann verrückt nach sich zu machen?“

Stern Westmoreland zuckte zusammen. Hochkonzentriert hatte er durch das Zielfernrohr seines Jagdgewehrs geblickt, alles war still gewesen. Und dann plötzlich diese Frage, im unpassendsten Moment!

Erbost blickte er die Frau neben sich an, die ebenfalls ein Jagdgewehr in den Händen hielt. „Verflixt noch mal, JoJo, das war doch böse Absicht. Du hast mir diese Frage gestellt, um mich in meiner Konzentration zu stören.“

Sie ließ das Jagdgewehr sinken und sah ihn ebenfalls an. „Das ist überhaupt nicht wahr. Ich habe dich das gefragt, weil ich es wirklich wissen will. Dann erlegen wir heute eben mal nichts. Was soll’s?“

Stern verzog den Mund. JoJo hatte leicht reden. Schon oft hatte sie unter Beweis gestellt, dass sie die bessere Schützin war. An Tagen wie diesem fragte er sich, warum er seine beste Freundin überhaupt zu solchen Jagdausflügen mitnahm, wenn sie ihn doch jedes Mal schlecht aussehen ließ …?

Er atmete tief durch und blickte wieder durchs Zielfernrohr des Gewehrs. Na ja, eigentlich wusste er schon, warum er JoJo immer mitnahm. Er war eben gern mit ihr zusammen. In ihrer Gesellschaft konnte er er selbst sein, musste sich nicht verstellen, brauchte niemanden zu beeindrucken. Es war eine unkomplizierte, kumpelhafte Freundschaft, die schon viele Jahre hielt.

„Also …?“

Er setzte das Gewehr ab und blickte sie an. „Also was?“

„Du hast mir noch keine Antwort gegeben. Was kann eine Frau tun, um einen Mann verrückt nach sich zu machen? Außer gleich mit ihm ins Bett zu gehen, meine ich. Ich stehe nicht so auf vorschnellen Sex.“

„Freut mich zu hören“, erwiderte er schmunzelnd.

„Findest du das etwa lustig, Stern?“, fragte JoJo verärgert. „Du darfst gerne mal unverbindlichem Sex haben, aber ich nicht?“

Verblüfft blickte Stern sie an. „Was ist denn heute nur mit dir los? Du regst dich doch sonst nicht so schnell auf.“

Verärgert und frustriert sah JoJo ihn an. „Du verstehst mich nicht“, sagte sie enttäuscht. „Dabei hast du das sonst immer getan. Als Einziger.“ Sie senkte den Kopf, drehte sich um und ging davon.

Verwirrt sah er ihr nach. Was, zum Teufel, war nur los mit ihr? JoJo war doch sonst nicht der Typ, der wegen irgendeiner Kleinigkeit ausflippte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr.

Auf jeden Fall war ihm die Lust aufs Jagen vergangen. Also schlug er ebenfalls den Weg zurück zur Jagdhütte ein.

Nachdem sie kurz geduscht hatte, holte Jovonnie Jones sich ein Bier aus dem Kühlschrank und trank sofort einen Schluck. Genau das brauche ich jetzt, dachte sie, verließ die Küche und setzte sich auf die große hölzerne Veranda, um den herrlichen Ausblick auf die Rocky Mountains zu genießen.

Stern hatte die Jagdhütte ein paar Jahre zuvor durch Zufall entdeckt; ein altes, heruntergekommenes Gebäude, zu dem über hundert Morgen Land gehörten – das beste Jagdgebiet weit und breit. Innerhalb von nur zwei Jahren hatte er es gemeinsam mit seinen Brüdern und Cousins komplett renoviert. Das Jagdgebiet bot Wild in Hülle und Fülle – Bären, Rotwild, Füchse und vieles mehr. Vorherrschend aber waren Elche.

Das Waldhaus hatte sich für Stern als ausgezeichnete Investition erwiesen. Wenn er es nicht selbst nutzte, vermietete er es. Oft bezeichneten sie das Gebäude verniedlichend als Waldhütte, aber in Wirklichkeit war es ein geräumiger zweistöckiger Prachtbau mit acht Zimmern, vier Bädern sowie Veranden und Balkons an jeder Seite. Im Erdgeschoss gab es einen großen Gemeinschaftsbereich mit Küche, Ess- und Wohnbereich samt Kamin. Deckenhohe Fenster ermöglichten von überall einen atemberaubenden Ausblick auf die Rocky Mountains.

Selbst nach der heißen Dusche und dem kalten Bier fühlte JoJo sich immer noch nicht besser. Die Verärgerung war geblieben. Warum konnte Stern sie nicht ernst nehmen und ihr eine vernünftige Antwort auf ihre Frage geben? Schließlich war er für sie ein wirklich guter Freund und bei der Damenwelt ungeheuer begehrt. Stern konnte jede Frau bekommen, wenn er es darauf anlegte. Er war also der Fachmann für JoJos Frage.

Sie musste lachen, als sie versonnen an ihre gemeinsame Highschoolzeit zurückdachte. Immer wieder hatten Mitschülerinnen ihre Freundschaft gesucht, nur um durch sie an Stern heranzukommen. Das klappte aber nie besonders gut, weil Stern solche Mädchen wie heiße Kartoffeln fallen ließ, wenn er davon erfuhr. Er schätzte es nämlich überhaupt nicht, wenn jemand JoJo ausnutzte. Echte Freundschaft war ihm sehr wichtig, und wenn ein Mädchen nur etwas mit JoJo zu tun haben wollte, um ein anderes Ziel zu erreichen, konnte es ihm gestohlen bleiben.

JoJo seufzte auf. Ja, ausgesprochen beliebt war sie auf der Highschool nicht gerade gewesen. Ihre Mitschülerinnen hatten sich eher Freundinnen gesucht, die etwas femininer waren. Wenn sie so darüber nachdachte, erging es ihr heute immer noch so.

Aber JoJo war nun mal kein Modepüppchen. Sie trug lieber Jeans als Kleider. Sie ging gern auf die Jagd, praktizierte Karate, konnte mit Pfeil und Bogen umgehen und wusste mehr über Autos als so mancher Mechaniker. Letztere Fähigkeit hatte sie natürlich von ihrem Vater, der von Beruf Automechaniker gewesen war. Und zwar nicht irgendeiner – sondern der beste von allen!

Sie schluckte. Manchmal konnte sie es immer noch nicht fassen, dass er zwei Jahre zuvor gestorben war. Er hatte einen Herzinfarkt erlitten, während er gerade seiner Lieblingsbeschäftigung nachging – an einem alten Auto herumzuschrauben. Dieser Schicksalsschlag hatte JoJo zur Vollwaise gemacht, denn ihre Mutter war schon gestorben, als JoJo elf Jahre alt gewesen war. Sie hatte die Autoreparaturwerkstatt geerbt, was ihr die Möglichkeit gab, ihre theoretischen Kenntnisse in die Praxis umzusetzen.

Vorher hatte sie Maschinenbau an einer Berufsfachschule gelehrt, aber diese Tätigkeit gab sie leichten Herzens auf. Im Stillen war es nämlich schon immer ihr Traum gewesen, irgendwann die Autowerkstatt mit dem poetischen Namen „Goldener Schraubenschlüssel“ zu übernehmen.

„Na, sprechen wir noch miteinander? Oder lieber nicht?“

Stern stellte Tortillachips und Salsasauce auf dem Tisch neben ihr ab. Dann setzte er sich zu ihr.

„Ich weiß nicht recht“, antwortete sie und bediente sich bei den Chips. „Ich habe dich was gefragt, und du hast mich nicht ernst genommen.“

Stern nahm einen Schluck Bier. „War das denn ernst gemeint?“

„Ja.“

„Dann tut es mir leid. Ich hatte wirklich gedacht, du wolltest mich mit der Frage nur ablenken, damit mein Schuss danebengeht.“

„Traust du mir so was zu?“, fragte sie lächelnd.

„Allerdings. Jederzeit.“

„Na ja, möglicherweise wäre ich zu so etwas fähig“, gab sie amüsiert zu. „Aber heute war es anders. Ich wollte wirklich deinen Rat.“

„Wie eine Frau einen Mann verrückt nach sich macht?“

„Ja, genau.“

Stern beugte sich vor und musterte sie skeptisch. „Warum?“

Sie zog eine Augenbraue in die Höhe. „Warum was?“

„Warum willst du das wissen?“

Sie antwortete nicht sofort. Stattdessen nahm sie einen Schluck Bier und blickte hinaus in die Wildnis. Es war ein wunderschöner Tag. Zwischen den Bäumen tauchte ein Rotfuchs auf und verschwand sofort wieder.

Nachdem sie ihre Gedanken gesammelt hatte, blickte sie Stern an. „Es gibt da einen Typen, der immer seinen Wagen zu mir in die Werkstatt bringt. Und der ist sexy. Richtig sexy.“

Stern verdrehte die Augen. „Na, wenn du das sagst, will ich dir mal glauben. Sprich weiter.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Das ist schon alles.“

Stern runzelte die Stirn. „Das ist alles?“

„Ja. Ich will diesen Typen. Die Frage ist nur: Wie kriege ich ihn dazu, dass er mich auch will?“

Für Stern stellte sich eine ganz andere Frage. Nämlich die, ob JoJo verrückt geworden war. Aber diesen Gedanken behielt er lieber für sich. Er nahm einen Schluck von seinem Bier.

Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann zog sie es auch durch, das wusste er. Und wenn er ihr nicht helfen würde, würde sie schon jemand anderen finden, der es tat.

„Wie heißt der Typ?“, erkundigte er sich.

Sie griff nach den Chips. „Das braucht dich nicht zu interessieren. Verrätst du mir denn den Namen von jeder Frau, die du haben willst?“

„Das ist was anderes.“

„Ach ja? Inwiefern?“

Inwiefern? Das konnte er auch nicht so genau sagen, aber es war eben etwas anderes. Nachdenklich rieb er sich die Schläfe. „Na ja, zunächst mal bist du ziemlich unerfahren, was Männer angeht. Und außerdem … äh, überhaupt, die Tatsache, dass du mich so etwas fragen musst, zeigt mir, dass du für so eine Art von Beziehung noch lange nicht bereit bist.“

Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte. „Also wirklich, Stern. Ich werde nächstes Jahr dreißig. Die meisten Frauen in meinem Alter sind längst verheiratet, viele haben schon Kinder. Und ich habe noch nicht mal einen Freund.“

Ihre Argumentation überzeugte ihn nicht. „Ich werde nächstes Jahr einunddreißig und habe auch keine Freundin.“ Als sie ihn skeptisch anblickte, korrigierte er sich. „Na ja, zumindest keine feste. Nur hin und wieder mal Bekanntschaften. Ich bin gerne Single.“

„Aber du hast oft Dates. Jede Menge. Das kann ich von mir nicht behaupten. Manchmal glaube ich, dass die meisten Männer in der Stadt mich nicht mal für eine richtige Frau halten.“

Nachdenklich musterte er sie. Dass sie eine Frau war, daran hatte er nie gezweifelt. Sie hatte eine durchtrainierte weibliche Figur. Ihre Beine waren endlos lang und wohlgeformt – was jetzt, da sie Shorts trug, auch endlich einmal sichtbar war. Ansonsten gab es sicherlich nicht viele Menschen, denen dieser Anblick schon einmal vergönnt gewesen war. JoJo öffnete die Werkstatt um acht Uhr morgens und schloss frühestens um sechs. Oft arbeitete sie hinterher sogar noch weiter, wenn ein Kunde auf eine Reparatur wartete. Und die ganze Zeit über trug sie natürlich einen ölverschmierten Mechaniker-Overall. Viele Männer wussten wahrscheinlich gar nicht, wie attraktiv sie ohne diese Montur aussah!

„Du versteckst deine Qualitäten“, sagte er schließlich.

Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Ich tue was?“

„Du verbirgst, was für einen schönen Körper du hast. Die Leute sehen dich ja immer nur in deiner Mechaniker-Montur.“

Sie verzog den Mund. „Ach ja, bitte entschuldige, dass ich nicht im Minirock rumlaufe, wenn ich einen Vergaser auswechseln muss.“

Unwillkürlich stellte er sich die Szene bildlich vor und musste grinsen. „Minirock und High Heels, ganz so weit brauchst ja nicht zu gehen, aber …“

„Aber was?“

„Na ja, ich glaube, die Männerwelt würde dich mehr beachten, wenn du nach der Arbeit auch mal in etwas anderem herumläufst als in Jeans und T-Shirt. Du bist eine Frau, JoJo. Viele Männer mögen es, wenn eine Frau ihre weiblichen Seiten betont. Auch klamottenmäßig.“

Sie blickte in die Ferne. „Und du meinst, das hilft?“

„Glaub schon.“ Plötzlich hellten sich seine Gesichtszüge auf. „Ich hab’s! Wir verpassen dir ein Umstyling! Eine Rundumerneuerung!“

„Ein Umstyling?“

„Ja, genau. Und dann gehst du dahin, wo dein Typ abends so rumhängt. In einem Kleid, das Bein zeigt, und mit neuer Frisur …“

„Was stimmt denn mit meinem Haar nicht?“

In seinen Augen war mit ihrem Haar alles in Ordnung. Es war lang und dicht. Am besten fand er es, wenn sie es offen trug, aber das tat sie nur selten.

„Du hast wunderschönes Haar. Du solltest es nur mehr zeigen. Selbst jetzt versteckst du es unter deiner Baseballkappe.“

Er richtete sich auf und zog ihr die Baseballkappe vom Kopf. Ihr dichtes Haar fiel herab und umrahmte ihre Schultern. „Siehst du. Das gefällt mir doch gleich viel besser.“

Und das tat es wirklich. Am liebsten hätte er die Hände in ihrer verführerischen Mähne vergraben …

Schockiert über sich selbst, lehnt er sich zurück und trank einen Schluck Bier. Woher kamen denn diese Gedanken? Das war doch JoJo, um Himmels willen! Seine beste Freundin, seine beste platonische Freundin. Er sollte nicht darüber sinnieren, wie verführerisch ihr Haar war …

„Und du meinst, so ein Umstyling hilft?“

„Ja, aber das ist nur der erste Schritt. Anschließend musst du dann dahin gehen, wo er sich abends rumtreibt – und zwar in männlicher Begleitung. Ich würde mich zur Verfügung stellen.“

Zweifelnd sah sie ihn an. „Ich weiß nicht, ob das wirklich eine gute Idee ist. Wenn ich in männlicher Begleitung da auftauche, traut er sich vielleicht nicht an mich ran.“

„Die meisten wissen doch, dass wir nur gute Freunde sind – und mehr nicht.“

„Ja, aber er ist neu in der Stadt. Woher sollte er es also wissen?“

Stern dachte einen Moment nach. „Hm, da ist was dran. Wenn ich eine Frau in Begleitung eines anderen Mannes sähe, würde ich sie auch nicht anmachen. Andererseits willst du ja, dass er dich so akzeptiert, wie du bist. Die Frau, die tagsüber als Automechanikerin arbeitet, die abends aber auch mal ausgeht und dann richtig scharf aussieht.“

„Ja, genau.“

Stern lächelte. „Der Effekt wird verstärkt, wenn du in männlicher Begleitung auftauchst. Das zeigt ihm, dass du bei der Männerwelt begehrt bist. Er wird dich mit ganz anderen Augen sehen und dich sicher um ein Date bitten, auch wenn ich dabei bin. Und wenn er dich dann später wieder in deinem Mechaniker-Overall sieht, wird er darüber nachdenken, wie du wohl darunter aussiehst.“

Sterns Lächeln erstarb. Ganz plötzlich war ihm bewusst geworden, dass ihm der Gedanke überhaupt nicht behagte, JoJo könnte begehrlich von anderen Männern angestarrt werden. Um ein Date gebeten werden … und wer weiß, was sonst noch so alles! Vielleicht war es doch nicht so clever, sie einem Umstyling zu unterziehen …

„Das ist eine tolle Idee, Stern! Ich lege gleich los, sobald ich wieder in Denver bin. Erst muss ich herausfinden, wo der Typ abends hingeht. Dann suche ich mir jemanden, der mich hübsch macht.“

„Du bist schon hübsch, JoJo.“

Lächelnd tätschelte sie ihm die Hand. „Das ist süß, dass du das sagst. Aber du als mein bester Freund bist natürlich voreingenommen, deshalb darf ich auf deine Meinung nicht so viel geben. Ich werde deine Cousine Megan fragen, ob sie mir einen Friseur empfehlen kann. Und was neue Klamotten angeht, wende ich mich an ein paar von deinen anderen Cousinen und Schwägerinnen. Die gehen doch alle gerne shoppen und beraten mich bestimmt auch gerne. Himmel, ich bin schon ganz aufgeregt.“

Er nippte an seinem Bier. „Man merkt’s.“

Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr störte ihn ihr Interesse an diesem anderen Mann. Warum eigentlich? Wahrscheinlich weil sie seine beste Freundin war und er diese enge Beziehung nicht aufs Spiel setzen wollte. JoJo nicht verlieren wollte. Was, wenn dieser Typ sich daran störte, dass JoJo und er, Stern, so enge Freunde waren? Wenn er von ihr verlangte, diese Freundschaft zu beenden?

Diese Gedanken ließen Stern keine Ruhe. Und er war niemand, der Probleme auf die lange Bank schob. „Wie heißt der Typ, JoJo?“

Sie lächelte. „Du brauchst seinen Namen nicht zu wissen, Stern. Außerdem lernst du ihn ja kennen, wenn ich den Plan in die Tat umsetze.“

Stern konnte es kaum erwarten!

In der Nacht lag JoJo nachdenklich in ihrem Bett. Bisher ließ sich die Sache eigentlich ganz gut an. Sie sah Licht am Ende des Tunnels.

Als sie im Frühjahr gemerkt hatte, dass sie Gefühle für Stern entwickelte, war das ein großer Schock für sie gewesen. Wie konnte eine Frau sich nur in ihren besten Freund verlieben?

Es war ganz plötzlich geschehen. Im April hatten sie gemeinsam ein paar freie Tage hier im Waldhaus verbracht. Eines Morgens war sie die Treppe heruntergekommen und hatte Stern in der Küche gesehen – er trug nur eine Pyjamahose. In dieser Sekunde hatte sie ihn plötzlich nicht mehr nur als guten Freund gesehen, sondern als den perfekten Mann. Seine breiten Schultern, seine Muskeln – nachdem dieser Gedanke sich erst einmal in ihrem Gehirn eingenistet hatte, hatte sie nichts mehr dagegen tun können.

Aber es war nicht nur sein perfektes Aussehen. Es war seine ganze Art, sein Wesen. Am Ende des gemeinsamen Aufenthalts war ihr klar gewesen: Sie hatte sich in ihn verliebt. Vielleicht hatte sie ihn insgeheim schon immer geliebt, aber bis zu jenem Tag hatte sie ihre Beziehung immer nur als sehr, sehr enge Freundschaft gedeutet. Jetzt jedoch forderte ihr Herz, dass sie sich die Wahrheit eingestand.

Ihr war klar gewesen: Sie musste sich etwas einfallen lassen, wenn sie diese wunderbare Freundschaft nicht aufs Spiel setzen wollte. Sicher, sie liebte Stern – aber sie wusste auch, dass er ihre Gefühle nicht erwiderte. Er war einer der begehrtesten Junggesellen von ganz Denver und hatte an jedem Wochenende Dates mit den verführerischsten Frauen.

Die Lösung ihres Problems war ihr in den Sinn gekommen, als sie einen Liebesroman las, den eine Kundin in der Autowerkstatt vergessen hatte. Sie musste sich einen anderen Mann suchen, in den sie sich verlieben konnte. Jemanden, der Sterns Platz in ihrem Herzen einnehmen konnte.

In dem Liebesroman hatte das wunderbar geklappt. Die Heldin des Buchs liebte ebenfalls einen Mann, den sie nicht haben konnte. Mehr oder weniger um sich abzulenken, begann sie öfter mit ihrem Nachbarn auszugehen, und schließlich verliebte sie sich in ihn. Am Schluss des Romans heirateten die beiden und lebten glücklich bis an ihr Ende.

Natürlich, das war nur ein Roman – aber die Idee dahinter hatte trotzdem etwas für sich. Kaum dass sie das Wörtchen Ende gelesen hatte, hatte JoJo beschlossen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Sich selbst ein Happyend zu verschaffen.

Jetzt hatte sie nur noch auf den richtigen Kandidaten warten müssen. Eine ganze Zeit lang tat sich nichts. Sie war schon nahe daran, die Hoffnung auf den Traummann aufzugeben, als Walter Carmichael angefahren kam, weil er neue Zündkerzen für seinen Porsche brauchte.

Irgendetwas an ihm erregte ihre Aufmerksamkeit, und zum Glück trug er keinen Ring am Finger. Fand sie ihn vielleicht so anziehend, weil sein gutes Aussehen und sein Charme sie an Stern erinnerten? Nein, diesen Gedanken wischte sie ganz schnell beiseite.

Ja, Walter schien der Richtige für sie zu sein. Alles sprach für ihn. Jetzt musste sie nur noch dafür sorgen, dass auch alles für sie sprach. Dabei konnte ein Mann ihr am besten helfen – ihr bester Freund. Der Mann, den sie in Wahrheit liebte, aber nicht lieben wollte.

2. KAPITEL

Stern blickte von seinen Akten auf, als es an seiner Bürotür klopfte. „Herein.“

Es war Dillon, sein ältester Bruder und der Geschäftsführer von Blue Ridge Land Management, der Firma, die seit über vierzig Jahren in Familienbesitz war. Dillon gab den Ton an, ihr Bruder Riley war sein Stellvertreter, und Stern und sein anderer Bruder Canyon waren die Juristen des Unternehmens. Sein Cousin Adrian sollte demnächst ebenfalls in den Betrieb einsteigen.

Dillon betrat das Büro und schloss die Tür hinter sich. Sein Blick verhieß nichts Gutes.

„Gibt’s irgendeinen Grund für deine miese Laune?“, fragte Dillon gereizt. „Du bist doch gerade erst aus dem Urlaub zurück. Jetzt erzähl mir nicht, du bist sauer, weil JoJo mehr Wild erlegt hat als du. Du solltest langsam eingesehen haben, dass sie dir in manchen Dingen überlegen ist. Außerdem bist du doch normalerweise kein schlechter Verlierer.“

Stern blickte zu Boden und schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das ist es nicht. Aber es geht tatsächlich um JoJo. Unsere Meisterschützin hat was im Visier – und diesmal ist es kein Elch, sondern ein Mann.“

„Entschuldigung, da komme ich nicht ganz mit.“ Dillon setzte sich auf den Besucherstuhl.

„Sie hat sich in einen Mann verguckt, Dillon. JoJo ist schon seit Ewigkeiten meine beste Freundin – und ich möchte sie nicht verlieren.“

Dillon streckte seine Beine aus. „Ich glaube, du fängst besser mal ganz von vorne an.“

Stern begann in aller Ausführlichkeit zu erzählen, und Dillon hörte aufmerksam zu. Anschließend gab er sein Urteil ab. „Ich glaube, du machst dir unnötig Sorgen. Eure Freundschaft hält das aus. Kein anderer Mann wird sie je zerstören können. Und es spricht doch Bände, dass sie ausgerechnet dich um Rat gebeten hat. Sie legt Wert auf deine Meinung.“

Dillon erhob sich. „An deiner Stelle würde ich ihr also bei der Sache helfen, Stern. Aber jetzt noch mal zurück zum Wesentlichen: Das mit deiner miesen Laune geht gar nicht. Du kennst unsere Regeln. Niemand bringt private Sorgen mit ins Büro. Canyon ist gerade aus den Flitterwochen zurück und schwebt verständlicherweise immer noch auf Wolke sieben. Trotzdem hast du ihn bei unserem Meeting heute Morgen ständig angegriffen, sobald er den Mund aufgemacht hat. Und zwar völlig grundlos, und nicht, weil er Unsinn geredet hätte. Ich erwarte, dass du dich dafür bei ihm entschuldigst.“

Dillon ging zur Tür und öffnete sie.

„Dil?“

Dillon wandte sich noch einmal um. „Ja?“

„Du hast völlig recht. Danke, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast. Tut mir leid, dass ich mich so aggressiv verhalten habe.“

Dillon nickte. „Entschuldigung akzeptiert. Aber sieh zu, dass so etwas nicht noch mal vorkommt.“ Er verließ das Büro und schloss die Tür.

Stern fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Es schmerzte ihn wirklich, dass er seinen Bruder Dillon so enttäuscht hatte. Es war nun fast zwanzig Jahre her, dass ihre Eltern sowie ihr Onkel und ihre Tante bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen waren. Seinerzeit hatten Dillon und sein Cousin Ramsey sich als Älteste um alles gekümmert. Es war nicht leicht gewesen, zumal einige der nun verwaisten Westmorelands noch unter sechzehn gewesen waren. Dillon hatte sogar gegen den Bundesstaat Colorado geklagt, als die Behörden ihn zwingen wollten, die vier jüngsten Kinder in Waisenhäuser zu geben. Deshalb, aber nicht nur deshalb schätzte und bewunderte Stern seinen großen Bruder so sehr. Selbst jetzt, wo alle längst erwachsen waren, tat er alles, um die Familie zusammenzuhalten.

Kurz entschlossen griff Stern zum Telefonhörer und wählte die Durchwahl seines Bruders.

„Hallo …?“

„Canyon, ich bin’s, Stern. Ich wollte mich bei dir dafür entschuldigen, dass ich dich heute Morgen beim Meeting so angegangen bin.“

Eine Zeit lang herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Dann sagte Canyon: „Schon gut. Aber ich habe mich wirklich gewundert. So bist du doch sonst nicht. Ich gehe nur mal kurz auf Hochzeitsreise, und wenn ich zurückkomme, ist mein Bruder total verändert. Ist bei deinem Jagdtrip mit JoJo irgendwas Ungewöhnliches passiert?“

Stern ging auf Canyons Frage nicht weiter ein, sondern sagte stattdessen: „Lass uns gemeinsam zu Mittag essen. Ich lade Riley auch noch ein. Die Rechnung geht natürlich auf mich.“

„Und was ist mit Dillon?“

„Der war gerade bei mir im Büro und hat mich ordentlich zusammengefaltet.“

Canyon pfiff durch die Zähne. „Wie gut, dass es dich erwischt hat und nicht mich.“

„He, JoJo, wir brauchen einen Satz Reifen für einen 1975er BMW. Im Lager haben wir keine mehr.“

JoJo blickte vom Computer hoch und lächelte den älteren Herrn an, der den Kopf zur Tür hereinsteckte. Willie Beeker arbeitete schon seit über vierzig Jahren für den Goldenen Schraubenschlüssel – erst zusammen mit ihrem Vater und jetzt mit ihr. Normalerweise wäre er schon längst in den Ruhestand gegangen, aber nach dem Tod ihres Vaters hatte er weitergearbeitet, um sie zu unterstützen. Auch wenn im Betrieb noch andere fähige Leute arbeiteten – irgendwie blieb Willie Beeker unersetzlich.

Sie kannte ihn schon ihr ganzes Leben. Ihr Vater und Willie waren zusammen in der Armee gewesen und dort beste Freunde geworden. Nach seiner Militärzeit war ihr Vater nach Denver zurückgekehrt und hatte geheiratet. Jahre später zog Willie Beeker nach seiner Scheidung ebenfalls nach Denver und nahm einen Job in der Reparaturwerkstatt seines Freundes an. Für JoJo war Willie stets mehr gewesen als ein Angestellter ihres Vaters – eher so etwas wie ein Onkel.

„Kein Problem. Ich kümmere mich gleich darum.“

Willie trat ein. „Heute Morgen war so viel los, dass ich noch gar nicht dazu gekommen bin, dich zu begrüßen. Und zu fragen, wie es letzte Woche war.“

Lächelnd lehnte JoJo sich zurück. „Ich bin ganz zufrieden. Das Jagdglück war mir hold. Am dritten Tag habe ich einen Elch erlegt.“

„Großartig, Kleines! Hoffentlich hast du damit Stern nicht zu sehr verärgert.“

Ihr Lächeln wurde noch breiter. „Ein bisschen vielleicht schon. Aber er wird darüber hinwegkommen.“

Sie dachte an die letzten Tage im Waldhaus zurück. Sie hatten die Jagdgewehre an den Nagel gehängt und stattdessen Karten gespielt. Jedes Spiel hatte er gewonnen – bis auf ein einziges, und sie wurde das Gefühl nicht los, dass er sie dabei aus Mitleid hatte gewinnen lassen.

Ihre Aufenthalte mit Stern im Jagdhaus empfand sie immer als erholsam, so auch diesmal. Das Thema ihres neuen Stylings hatten sie nicht mehr angesprochen. Sie hatte den Eindruck, er wollte nicht gern darüber reden. Immerhin hatte er ihr seine Unterstützung zugesichert, und mehr konnte sie nicht verlangen.

„Ist der Mann mit dem 2010er Porsche noch mal gekommen, während ich weg war?“

Willie zog eine Augenbraue in die Höhe. „Nein. Warum?“

„Ach, nur so. Ist ein schönes Auto.“

„Meinst du wirklich nur das Auto?“

Sie hielt Willies fragendem Blick stand. „Ja.“ Seit dem Tod ihres Vaters war er fast eine Art Ersatzvater für sie geworden, aber sie wollte nicht, dass er sich unnötig Gedanken machte.

Willie nickte. „Was meinst du – ob er je heiratet?“

Jetzt war es JoJo, die eine Augenbraue hochzog. „Wer?“

„Na, Stern.“

JoJo runzelte die Stirn. Wie waren sie so schnell vom Fahrer des Porsches zu Stern gekommen? „Keine Ahnung, warum fragst du?“

Willie zuckte mit den Schultern. „Weil es bei der Familie Westmoreland in letzter Zeit so viele Hochzeiten gegeben hat. Es sind kaum noch ledige Familienmitglieder übrig.“

„Stern hat ja fast ständig Dates, aber immer mit anderen Frauen. Nichts Festes eben.“

Willie lachte. „Wenn er was Festes hätte, würdest du es bestimmt als Erste erfahren.“ Er blickte auf die Armbanduhr. „Gib mir Bescheid, wenn du eine Quelle für die Reifen aufgespürt hast. Dann schicke ich Maceo hin, um sie abzuholen.“

Maceo Armstrong hatte erst vor Kurzem bei ihr in der Werkstatt angefangen. Er hatte gerade seine Kfz-Mechaniker-Prüfung bestanden. „Gut, ich melde mich dann bei dir.“

In weniger als einer halben Stunde hatte JoJo einen Händler gefunden, der die Reifen vorrätig hatte. Sie gab Willie Bescheid. Erst dann dachte sie noch einmal über Willies Frage nach. Stern war wirklich im heiratsfähigen Alter, aber wie sie schon gesagt hatte, etwas Festes hatte er nicht. Andererseits konnte sich das natürlich jederzeit ändern, und in der Tat hatte es in der Familie Westmoreland in letzter Zeit geradezu eine Lawine an Hochzeiten gegeben. Durch ihre gute Freundschaft mit Stern stand sie auch den anderen Familienmitgliedern sehr nahe.

Teilweise war es mit den Hochzeiten sehr schnell gegangen – rein theoretisch konnte das natürlich auch bei Stern passieren. Aber was war, wenn er eine feste Freundin fand? Würde die vielleicht eifersüchtig auf seine Beziehung zu ihr, JoJo, sein und ihn zwingen, diese Freundschaft zu beenden? Bisher hatte das zwar noch nie eine Frau verlangt, mit der er sich traf – wahrscheinlich hatte keine dieser Frauen JoJo je als ernst zu nehmende Konkurrenz betrachtet –, aber man konnte ja nie wissen …

Eines stand jedenfalls fest: Stern wäre für jede Frau ein guter Fang. Nicht nur, dass er blendend aussah und sehr reich war – er war wirklich nett. Einfühlsam, verständnisvoll, fürsorglich. Und das empfand sie nicht nur so, weil er ihr bester Freund war. Zwar hatte er eine Menge Dates, aber nie behandelte er eine Frau schlecht oder nutzte sie aus. Er sagte immer von vornherein, dass er sich noch nicht fest binden wolle und eine Heirat für ihn erst ab dem Alter von fünfunddreißig infrage käme. So gerechnet blieben noch fünf Jahre – aber was, wenn Amor früher zuschlug? Sie hatte keinen Zweifel, dass Stern relativ schnell heiraten würde, wenn er die richtige Frau gefunden hatte – eine, die er wirklich von ganzem Herzen liebte. Und JoJo war klar, wo sie dann bleiben würde.

Selbst im allerbesten Falle wäre sie dann nur noch so etwas wie das fünfte Rad am Wagen.

Deswegen wollte sie jetzt unbedingt einen Partner haben – und zwar noch bevor Stern sich verliebte und heiratete. Mit diesem Walter Carmichael hatte sie ja schon den geeigneten Kandidaten ausgespäht. In ein paar Tagen würde sie wissen, wo er seine Abende verbrachte, und dann auch dort auftauchen. Sie hatte nämlich ihre Rezeptionistin Wanda auf den Mann angesetzt. Wenn jemand alles über den Mann herausfinden konnte, dann war es die Fünfundfünfzigjährige.

Ebenso wie Willie arbeitete Wanda schon seit vielen, vielen Jahren für die Autowerkstatt. Sie hatte dort angefangen, als JoJo noch zur Highschool ging, und sie war es auch gewesen, die JoJo gut zugeredet hatte, als ihr Vater von ihr verlangt hatte, zur Tanzschule zu gehen und einen Benimmkurs zu besuchen. Nur widerwillig hatte JoJo zugestimmt; sie schraubte viel lieber an Autos herum. Aber schließlich hatten ihr Vater und sie einen Kompromiss geschlossen. Sie durfte weiterhin auf die Jagd gehen und Karate und Bogenschießen lernen, wenn sie sich dafür im Gegenzug beibringen ließ, wie eine Lady sich verhielt. Sie wusste zwar nicht, wann sie dieses Wissen je anwenden sollte, aber bitte …

An Treffen mit jungen Männern war sie zu dieser Zeit nicht übermäßig interessiert gewesen – jedenfalls nicht so stark wie ihre Altersgenossinnen. Dabei umschwärmten die Jungen sie geradezu. Das lag allerdings nicht an ihrem Aussehen, sondern an ihren Autos. Weil ihr Vater eine Autowerkstatt besaß, hatte sie immer einen flotten Flitzer, von dem die Boys nur träumen konnten. Doch weil sie wusste, dass das Interesse eher ihrem Auto als ihr galt, war sie immer sehr vorsichtig gewesen. Umso mehr bedeutete ihr die echte Freundschaft mit Stern.

Wenn diese Freundschaft eines Tages endete, weil er seine große Liebe gefunden hatte, sollte er sich wenigstens nicht schuldig fühlen.

Doch es beunruhigte sie noch etwas anderes: ihre Gefühle für Stern, die inzwischen weit über Freundschaft hinausgingen und zu einem sinnlichen Begehren geworden waren. Als er sie nach ihrem Jagdurlaub zu Hause abgesetzt hatte, hatte er ihr wie üblich einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange gegeben und sie umarmt. Und zum ersten Mal hatte ihr Herz dabei wie verrückt gepocht! Ja, es hatte sie ganz schön erwischt, und sie sah nur einen Ausweg: sich in einen anderen Mann zu verlieben. Oder es wenigstens zu versuchen.

Mit einem Klemmbrett unter dem Arm machte JoJo sich auf in den Werkstattbereich. Noch immer war sie so in Gedanken versunken, dass sie plötzlich mit jemandem zusammenstieß.

„He, warum so stürmisch?“ Lächelnd sah Stern sie an. Sie errötete, und er fragte sich, wo sie wohl mit ihren Gedanken gewesen war. Offenbar nicht bei der Arbeit!

„Ach, du bist’s, Stern“, stieß sie hervor. „Was machst du hier?“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Störe ich etwa?“

„Nein, natürlich nicht. Aber es ist Montag, und wir sind doch gerade erst gestern zurückgekommen.“

„Ja, ich weiß. Aber ich war mit Riley und Canyon bei McKays zum Mittagessen. Und weil ich deshalb sowieso schon in der Gegend war, habe ich gedacht, ich schaue kurz vorbei.“

„Oh. Ach so.“

Schwang Enttäuschung in ihrer Stimme mit? Hätte sie sich mehr gefreut, wenn dieser Typ aufgekreuzt wäre, dessen Namen sie ihm immer noch nicht verraten hatte? Der Gedanke verärgerte ihn. „Du scheinst nicht sehr glücklich zu sein, mich zu sehen.“

„Unsinn. Ich freue mich immer, dich zu sehen.“

Vielleicht hatte er sich wirklich grundlos Sorgen gemacht. Vielleicht waren die Auseinandersetzungen am Morgen auf der Arbeit, verursacht durch sein Grübeln und seine schlechte Laune, völlig sinnlos gewesen. „Was hast du später noch so vor?“

„Ach, eigentlich gar nichts. Ich muss noch meine Koffer auspacken und Wäsche waschen. Warum?“

„Nur so.“

Er folgte ihr, während sie die Werkstatt durchquerte und prüfende Blicke nach links und rechts warf. „Viel zu tun heute?“

„Auf dem Plan stehen nur fünf Autos. Aber du weißt, wie schnell sich das ändern kann. Gerade an einem Montag.“

Ja, das wusste er. Früher, zu Highschoolzeiten, als JoJos Vater noch lebte, hatten er und JoJo oft in der Werkstatt ausgeholfen. Stern hatte dabei viel gelernt. Der Tod ihres Vaters hatte ihn fast ebenso hart getroffen wie sie. Joseph Jones war ein Mann gewesen, zu dem Stern aufgeblickt, den er respektiert und mit dem er viel Zeit verbracht hatte.

Stern hatte fast ebenso viel Zeit mit JoJo und ihrem Vater zugebracht wie zu Hause. Auch auf der Jagd war man oft gemeinsam gewesen. Mr Jones und Willie Beeker hatten den beiden das Schießen beigebracht.

„Wie wär’s, wollen wir morgen Abend zusammen ins Kino gehen?“

Sie sah ihn an. Warum fiel ihm eigentlich jetzt erst auf, wie bezaubernd ihre Augen waren?

„Ins Kino?“

„Ja.“ Sie waren schon oft zusammen im Kino gewesen, aber sie hatten es nie als ein Date betrachtet. Nur zwei Freunde, die zusammen etwas unternahmen. Warum hatte er plötzlich das Gefühl, dass diese Einladung etwas anderes war?

„Was läuft denn?“, fragte sie und beäugte ihn misstrauisch. „Bestimmt wieder so ein Actionstreifen mit jeder Menge Prügeleien. Einer von den Filmen, an denen deine sonstigen Bekanntschaften kein Interesse haben. Deshalb nimmst du mich mit.“

Er musste lachen. Wie gut sie ihn doch kannte! „Ja, der neue Actionkracher mit Tom Cruise. Riley hat ihn schon gesehen und findet ihn gut.“

„Tom Cruise? Und trotzdem findest du keine andere Frau, die mit dir hingeht?“

„Ich habe gar nicht erst nach einer anderen gesucht. Wir müssen uns ja noch unterhalten.“

„Worüber?“, fragte sie und blickte auf die Uhr.

„Du hattest mich doch im Waldhaus um was gebeten.“

„Ja, aber ich hatte den Eindruck, du wolltest nicht weiter darüber reden.“

Es stimmte schon; die ganze Idee mit dem Umstyling behagte ihm überhaupt nicht. Aber weil er JoJo garantiert nicht mehr davon abbringen konnte, war es das Beste, wenn er dabei wenigstens ein Auge auf sie hatte. Schließlich wusste er so gut wie nichts über ihren mysteriösen Unbekannten …

„Aber jetzt will ich darüber reden. Vielleicht ist das mit dem Umstyling doch keine so gute Idee.“

„Warum nicht?“

Er vergrub die Hände in den Hosentaschen. „So lernt dein großer Unbekannter doch nicht dein wahres Ich kennen.“

Sie verdrehte die Augen. „Mein wahres Ich kann er immer noch ergründen. Aber erst mal muss ich dafür sorgen, dass er überhaupt Notiz von mir nimmt. Außerdem hast du doch versprochen, dass du mir beim Umstyling hilfst. Willst du jetzt einen Rückzieher machen?“

„Nein, natürlich nicht.“ Er schwieg einen Moment. „Ich möchte nur nicht … dass du verletzt wirst.“

„Verletzt?“ Sie blickte sich um, als ob sie sichergehen wollte, dass keiner der Angestellten sie hören konnte. „Willst du damit andeuten, dass bei mir nicht mal ein Umstyling hilft? Dass ich ein so hoffnungsloser Fall bin, dass ich es lieber gleich bleiben lassen soll?“

„Das habe ich doch gar nicht …“

„Jetzt hör mir mal gut zu, Stern. Ich habe neulich im Fernsehen eine Sendung gesehen, in der sie Leute umgestylt haben, die wirklich von der Natur benachteiligt waren. Und die sahen hinterher richtig gut aus. Dagegen bin ich noch ein leichter Fall.“

„Himmel, JoJo, ich wollte doch nicht …“

„Du wirst schon sehen“, sagte sie schnippisch, ging auf das nächstbeste Auto zu und öffnete die Motorhaube.

Entnervt fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Was war nur los? Früher hatten sie sich nie gestritten, aber in letzter Zeit …

Er wollte doch wirklich nur, dass sie nicht verletzt wurde. Ein Umstyling würde sie noch attraktiver machen, als sie es ohnehin schon war – und es konnte die falschen Männer anlocken. Männer, die nur aus dem einen Grund an ihr interessiert waren.

JoJo war über den Motor gebeugt und tat alles, um ihn zu ignorieren. Dennoch konnte er nicht umhin, festzustellen, wie attraktiv ihr Po aussah. Fest und prall.

Was war nur in ihn gefahren? Seit wann checkte er seine beste Freundin ab wie eine Frau, die für ihn infrage käme?

Er atmete tief durch. „Ich rufe dich nachher noch mal an.“

„Wenn du meinst …“, murmelte sie und schaute nicht einmal hoch.

Mit hängenden Schultern verließ Stern das Werkstattgelände. Anscheinend hatte sein unangekündigter Besuch die Situation zwischen ihnen nur noch verschlimmert.

3. KAPITEL

„Hier sind die Informationen, die du über diesen Carmichael-Typen haben wolltest.“

JoJo blickte in das Gesicht einer kleinen blonden Frau, die wesentlich jünger aussah, als sie war. Der Geburtsurkunde in ihren Personalunterlagen war zu entnehmen, dass sie fünfundfünfzig war, aber das hätte Wanda nie im Leben freiwillig zugegeben; sie hätte behauptet, sie wäre noch nicht einmal fünfzig. Und wenn man sie so sah, hätte das noch nicht einmal unglaubwürdig gewirkt.

JoJo nahm den Zettel, den Wanda ihr auf den Schreibtisch gelegt hatte. „Ach, er wohnt im Cherry Hills Village?“ Das war einer der luxuriösesten Vororte in Denver.

„Wundert dich das? Du brauchst dir doch nur anzuschauen, wie er sich anzieht und was für ein Auto er fährt.“

JoJo nickte. „Er ist also einunddreißig – genau wie Stern. Und deine Nachforschungen haben ergeben, dass er keine feste Beziehung hat.“

„Ebenso wie Stern.“ Wanda lächelte verschmitzt.

„Ja, stimmt“, gab JoJo zu. „Genau wie Stern.“

Wanda musterte JoJo kritisch. „Wenn ich so darüber nachdenke, erinnert eigentlich ziemlich viel an diesem Carmichael-Typen an Stern. Ist das reiner Zufall oder …“

Wanda blieb aber auch nichts verborgen! „Was glaubst du?“, fragte JoJo.

Wanda dachte einen Moment nach. „Willst du wirklich wissen, was ich glaube, Jovonnie?“

JoJo runzelte die Stirn. Wenn Wanda sie bei ihrem vollen Namen nannte, war das immer ein Zeichen dafür, dass ein ernster Vortrag oder eine Gardinenpredigt folgte.

„Solltest du nicht in der Telefonzentrale sitzen?“, entgegnete JoJo gespielt streng. „Ich brauche dich ja wohl nicht daran zu erinnern, dass du auf meiner Gehaltsliste stehst.“

„Jetzt lass mal nicht so die Chefin raushängen, Fräulein. Ich habe gerade Mittagspause. Muss ich dich daran erinnern, dass die mir zusteht?“

„Nein, das brauchst du nicht. Aber ich arbeite meine Mittagspause durch. Dürfte ich dich jetzt also bitten …“

„Nein, darfst du nicht“, unterbrach Wanda sie. „Ich habe dir nämlich etwas Wichtiges zu sagen. Und zwar, dass du einen großen Fehler machst.“

JoJo wusste, sie würde ohnehin nicht zum Arbeiten kommen, bevor Wanda ihr Anliegen losgeworden war. Sie lehnte sich zurück. „Ganz offensichtlich hast du etwas auf dem Herzen.“

„Allerdings.“

JoJo nickte. „Na schön, dann leg los.“

Wanda lächelte triumphierend. Sie war eine attraktive Frau, die zwei Ehen hinter sich hatte. Ihr erster Mann war verstorben, vom zweiten hatte sie sich scheiden lassen. Sie erzählte jedem, der es hören wollte – oder auch nicht –, dass ihre zweite Ehe ein Fehler gewesen sei, weil sie versucht hatte, einen Ersatz für ihren ersten Mann zu finden.

Mit einundzwanzig Jahren hatte Wanda sich in einen Polizisten verliebt, und mit achtundzwanzig – das gemeinsame Kind war gerade geboren – war sie Witwe geworden. Dann hatte sie noch einmal mit vierunddreißig geheiratet und sich mit siebenunddreißig scheiden lassen. Sie und ihr Exmann waren beide Singles und hatten sich trotz der Scheidung ihre Freundschaft bewahrt. Gelegentlich kam er abends bei der Werkstatt vorbei und holte Wanda zum Essen ab.

Wanda hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. Kurz und bündig sagte sie JoJo auf den Kopf zu: „Du hast dich in Stern verliebt.“

JoJo war froh, dass sie saß. Diese klare Ansage hätte sie sonst umwerfen können. Denn sie war sich sicher, dass sie Wanda gegenüber nie etwas getan oder gesagt hatte, das ihre Gefühle verraten hätte. Vielleicht stimmt es doch, was ihr Vater immer scherzhaft über Wanda behauptet hatte: dass sie für Dinge, die sie definitiv nichts angingen, einen sechsten Sinn hatte.

Eine Weile saß JoJo schweigend da. Schließlich forderte Wanda sie auf: „Jetzt komm schon, gib’s zu.“

Verlegen räusperte sich JoJo. „Ich gebe überhaupt nichts zu. Das … das ist doch albern.“

„Überhaupt nicht. Vergiss nicht, mir entgeht so leicht nichts.“

„Ach. Und was glaubst du denn gesehen zu haben?“

Wanda lächelte. „Wie du ihn in letzter Zeit ansiehst, wenn du glaubst, er schaut nicht hin. Dein Lächeln, wenn er dich gelegentlich abholen kommt. Und wie freudig erregt du vor eurem letzten Urlaub warst. Als ob es das erste Mal wäre. Dabei macht ihr so was mindestens zwei- oder dreimal im Jahr.“

JoJo machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das sind alles keine Beweise. Höchstens Indizien, wenn’s hochkommt.“

„Möglich. Aber dann entschließt du dich plötzlich, für einen Kerl zu schwärmen, der Sterns Doppelgänger sein könnte. Das sagt mir alles.“

JoJo runzelte die Stirn. „Das hört sich ja an, als wäre ich ein total armes Würstchen, das …“

Energisch schüttelte Wanda den Kopf. „Nein, nein, du bist nur ein bisschen durcheinander.“

JoJo stand auf, ging zum Fenster und schaute hinaus. Es war ein schöner Septembertag, aber sie brauchte nur auf die Berge zu sehen, um zu erkennen, dass es dieses Jahr einen frühen Wintereinbruch in Denver geben würde. Und einen sehr, sehr kalten Winter.

Sie wandte sich um. „Schön, gehen wir mal davon aus, du hättest recht. Ich sage nicht, dass es so ist, aber nehmen wir es mal an. Dann wäre es doch trotzdem vernünftiger, wenn ich mich um etwas bemühe, das wahrscheinlich Zukunft hat, als mich an eine aussichtslose Sache zu klammern.“

„Warum siehst du das mit Stern als aussichtslose Sache?“

JoJo dachte einen Moment nach. „Ganz einfach, weil er mein bester Freund ist, auf platonische Weise. Nicht mehr und nicht weniger, aber vor allem nicht mehr. Er wird immer nur Freundschaft für mich empfinden. Wenn ich mir etwas anderes erhoffe, vergeude ich nur meine Zeit. Deswegen ist es klüger, wenn ich mich anderweitig umschaue.“

„Und das wäre dann … Walter Carmichael?“

„Genau. Das könnte meinem Leben eine andere Richtung geben.“ Fort von Stern.

„Und wenn es nicht klappt?“

JoJo lächelte. „Das klappt schon. Weil ich mich von einem Meister seines Faches anlernen lassen.“

Ungläubig blickte Wanda sie an. „Sag mir nicht, du willst das tun, was ich in meinem tiefsten Inneren befürchte …“

JoJo zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. „Gut, dann sage ich’s dir nicht.“

Wanda schüttelte den Kopf. „Das klappt nie im Leben, JoJo. Wenn du einen Mann liebst, ihn tief in deinem Herzen trägst, kannst du ihn nicht durch einen anderen ersetzen. Das weiß ich aus eigener bitterer Erfahrung.“

Ohne ein weiteres Wort verließ Wanda das Büro. Irgendwann frage ich sie noch mal, wie das genau mit ihrer zweiten Ehe abgelaufen ist, dachte JoJo. Warum es ihr nicht gelungen ist, einen Schlussstrich zu ziehen und sich in einen anderen guten Kerl zu verlieben.

Sie würde diese Probleme nicht haben, da war sie sich sicher. Ziemlich sicher jedenfalls. Schließlich war sie ja auch nicht mit Stern verheiratet gewesen. Was also sollte so schwer daran sein, sich in einen anderen Mann zu verlieben …?

Sie freute sich schon auf den Samstagabend. Da würde sie nämlich in den Punch Bowl gehen. Wie sie Wandas Aufzeichnungen entnahm, ging Walter dort an den Wochenenden am liebsten hin. Nach allem, was sie gehört hatte, gab es dort gute Musik, man konnte tanzen – und viele Frauen waren da, um Männer kennenzulernen.

Sie atmete tief durch. Am Samstag würde sie eine dieser Frauen sein!

„Du hier? Dann muss es um was Ernstes gehen.“ Zane Westmoreland ließ seinen Cousin herein.

Stern begab sich ins Wohnzimmer. „Wie kommst du darauf?“

„Ganz einfach: weil du dir die Ehre gibst, mich aufzusuchen. Das kommt sonst so gut wie nie vor.“

„Du hattest doch über längere Zeit Besuch, da wollte ich nicht stören. Aber wie ich höre, ist die junge Dame jetzt abgereist?“ Stern meinte die Frau, die Zane zu Weihnachten heiraten wollte. Er konnte es immer noch nicht glauben. Sein Cousin, der ewige Frauenheld, würde sich tatsächlich festlegen und einer Frau das Jawort geben!

„Channing musste zurück nach Atlanta – wegen der Arbeit. Aber schon bald zieht sie endgültig nach Denver um.“

„Hältst du es überhaupt bis dahin ohne sie aus?“

Zane lächelte. „Das kann ich nur hoffen. Aber sie kommt ja zwischendurch zu Rileys Hochzeit hierher. Anschließend sehen wir uns zu Thanksgiving, wo ich bei ihren Eltern eingeladen bin. Und Weihnachten wird geheiratet.“

„Scheint ja alles schon super geplant zu sein“, kommentierte Stern, setzte sich auf die Couch und streckte seine langen Beine aus.

„Ist es.“ Zane legte eine kurze Pause ein. „Also – was verschafft mir an einem Montagabend die Ehre deines Besuchs, Stern?“

Eigentlich hatte Stern gedacht, sein Cousin könne sich das denken. Schließlich war der sechs Jahre ältere Zane der ausgewiesene Frauenexperte der Familie. Worum sollte es also gehen, wenn nicht um eine Frau?

„Ich komme … wegen JoJo.“

Erstaunt zog Zane eine Augenbraue in die Höhe. „Was ist mit ihr?“

„Sie hat mich um einen Gefallen gebeten.“

„Was für einen Gefallen? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.“

Stern holte tief Luft. „Ich soll ihr verraten, wie sie einen Mann scharf auf sich macht. Sie hat sich da offenbar in einem Typen verguckt. Aber er scheint bisher nicht sonderlich an ihr interessiert zu sein – deswegen soll ich ihr sagen, wie sie sein Interesse wecken kann.“

Zane nickte. „Aha, ich verstehe.“

„Wenigstens einer. Ich versteh’s nämlich nicht.“

„Das war mir klar.“

Stern runzelte die Stirn. „Was soll das denn jetzt wieder heißen?“

Zane lächelte verschmitzt. „Das soll heißen, dass du ihr zu nahestehst. Schließlich ist sie deine beste Freundin. Wenn du eine Frau wärst, wäre so eine Frage keine große Sache. Aber weil du ein Mann bist, ist sie das sehr wohl.“

„Natürlich ist es eine große Sache. Und absurd noch dazu. Wenn der Typ nicht von selbst Interesse an ihr zeigt – warum sollte sie sich dann diese Mühe machen?“

„Na, ganz offensichtlich will sie ihn. Und deswegen möchte sie natürlich, dass er sie auch will. Das ist doch ganz normal. Da ist nichts Komisches dran.“

In Sterns Augen war es das schon!

„Also, was hast du ihr geraten?“, fragte Zane.

Stern lehnte sich zurück. „Erst habe ich sie gar nicht richtig ernst genommen, aber darauf hat sie total sauer reagiert. Zur Besänftigung habe ich ihr dann ein paar Tipps gegeben. Dass sie öfter mal ein Kleid anziehen und ihr Haar offen tragen soll und so. Sie hat doch so schönes Haar.“

Wieder nickte Zane. „Sonst noch was?“

„Ja. Ich habe ihr geraten, dass sie nach ihrem Umstyling in die Clubs gehen soll, die er für gewöhnlich aufsucht. Und wenn sie das tut, werde ich sie begleiten.“

„Warum?“

Verständnislos blickte Stern seinen Cousin an. „Warum?“

„Ja, warum? Warum glaubst du, dass du sie begleiten solltest?“

„Weil ich den Typen nicht kenne“, verteidigte Stern sich. „Sie hat mir nicht mal seinen Namen verraten. Ich weiß nur, dass er gelegentlich seinen Wagen zu ihr in die Werkstatt bringt.“

„Mehr brauchst du auch nicht zu wissen. Selbst das ist eigentlich schon zu viel. Schließlich ist JoJo eine erwachsene Frau und kann auf sich selbst aufpassen.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher.“

Zane musste lachen. „Mann, Stern, wir reden hier über JoJo. Sie ist eine Meisterschützin, nicht nur mit dem Gewehr, sondern auch mit Pfeil und Bogen. Sie hat den Schwarzen Gürtel in Karate. Wenn jemand auf sich selbst aufpassen kann, dann sie. Das weißt du ganz genau. Und das heißt, dass du dir wegen etwas anderem Gedanken machst. Was ist es?“

Stern blickte zu Boden. „Nichts“, murmelte er.

„Nun spuck’s schon aus, Stern“, widersprach Zane. „Du bist garantiert nicht hergekommen, weil du solche Sehnsucht nach mir hattest. Du wolltest meinen Rat. Aber den kann ich dir nur geben, wenn du die Katze aus dem Sack lässt.“

Noch immer blickte Stern zu Boden. „Ich … ich habe Angst, Zane.“

„Angst? Du? Wovor denn?“

„Dass ich meine beste Freundin verliere. Was ist, wenn es mit diesem Typen ernst wird – und er sich an der Freundschaft zwischen JoJo und mir stört? Wenn er nicht will, dass wir uns treffen?“

„Ach, du wirst sie schon nicht verlieren“, beruhigte Zane ihn.

„Das sagst du so. Aber sicher kann man nicht sein. Das Risiko will ich nicht eingehen.“

Zane schüttelte den Kopf. „Du wirst schon darauf vertrauen müssen, dass sie sich vernünftig verhält.“

„Ihr vertraue ich ja. Nur ihm nicht.“

Zane verdrehte die Augen. „Himmel, Stern, du kennst ihn doch nicht mal.“

„Ja, genau“, erwiderte Stern und erhob sich. „Gerade deswegen muss ich ja herausfinden, wer er ist. Und überprüfen, ob er in Ordnung ist.“

„Du gehst die Sache ganz falsch an.“

„Tue ich nicht“, erwiderte Stern und steuerte auf die Tür zu. „Wiedersehen, Zane. Du hast mir eine Menge Stoff zum Nachdenken gegeben.“

Bevor Zane noch etwas sagen konnte, hatte Stern das Haus verlassen. Dabei hatte Zane seinem Cousin noch etwas mit auf den Weg geben wollen: dass er einmal in sich gehen sollte, was seine Gefühle für JoJo betraf.

Am Dienstagabend trat JoJo vor die Tür und holte tief Luft. Sie hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und trug – wie so oft – eine Baseballkappe. Doch statt Jeans und T-Shirt hatte sie eine blaue Bluse und eine schwarze Cordhose an. Über dem Arm trug sie eine Jacke, weil es abends in letzter Zeit schon recht kühl wurde.

Schon hörte sie Schritte. Ihr Herz schlug schneller. Stern kam. Er trug Jeans, ein blaues Westernhemd und einen Stetson auf dem Kopf. Wieder einmal sah er richtig gut aus. Fast schon zu gut!

Sie blickte auf die Uhr. „Du bist pünktlich.“

„Wartest du immer draußen vor der Tür auf deine Dates?“, gab Stern zurück.

„Du bist doch kein Date“, erwiderte sie und ergriff seinen Arm. „Jetzt komm. Abgeschlossen habe ich schon. Der Film fängt in zwanzig Minuten an.“

„He, sachte. Warum so eilig? Es ist nicht viel Verkehr auf den Straßen. Das schaffen wir leicht.“

Er hatte ja recht, aber sie freute sich eben schon so auf den Kinobesuch mit ihm. Wenn sie Zeit mit ihm verbrachte, überkam sie ein Hochgefühl. Na ja, das würde sicher vorübergehen, wenn sie diesen Walter besser kennenlernte. Apropos Walter …

„Ich lasse mich übrigens rechtzeitig zu diesem Wochenende umstylen“, sagte sie, während sie ins Auto einstieg und sich anschnallte.

Beunruhigt sah Stern sie an. „Warum?“

Sie lächelte glücklich. „Ich weiß jetzt, wo mein Typ an den Wochenenden abhängt – und diesmal werde ich da sein.“

„Wo?“, erkundigte sich Stern neugierig.

„Das verrate ich dir nur, wenn du mir versprichst, dass du da nicht auftauchst.“

„Das kann ich dir nicht versprechen, JoJo.“

Sie verdreht die Augen. „Tja, dann sage ich’s dir auch nicht. Warum machst du daraus nur so eine Staatsaffäre, Stern? Tauche ich etwa in den Clubs auf, in die du deine Dates schleppst?“

„Nein, aber ich frage dich ja auch nicht um Rat, wie man jemanden in sich verliebt macht. Außerdem will ich nur sichergehen, dass er sich benimmt.“ Stern drehte das Lenkrad und fuhr auf die Straße.

„Verflixt noch mal, Stern!“, schimpfte JoJo. „Ich kann auf mich alleine aufpassen. Was soll schon sein? Wenn ich sein Interesse wecke, unterhalten wir uns, genießen die Musik und tanzen vielleicht ein bisschen. Dann merke ich schon, ob er ernsthaft an mir interessiert ist.“

Sie mussten vor einer roten Ampel halten, und er sah sie an. „Aber er wird aus den falschen Gründen an dir interessiert sein.“

„Damit kann ich notfalls leben.“

Stern verzog den Mund. „Du willst das also wirklich durchziehen?“

„Ja, natürlich. Ich dachte, das hätten wir letzte Woche schon geklärt.“ Was glaubte er denn, wer er war? Ihr großer Bruder?

Der Film war spannend und gut gemacht, aber JoJo spürte, dass Stern nicht richtig bei der Sache war. Jedes Mal, wenn sie kurz zu ihm hinüberblickte, runzelte er die Stirn.

„Guck nicht so böse“, zog sie ihn auf, als sie das Kino verließen. „Sonst frieren deine Gesichtszüge noch in dieser Position fest.“

„Sehr witzig“, kommentierte er gereizt.

„Eigentlich gar nicht witzig“, gab sie zurück. „Das mit dem Film war doch deine Idee, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass du ihn genossen hast.“

Er öffnete ihr die Autotür. „Doch, ich habe den Film genossen. Und deine Gesellschaft auch.“

JoJo war nicht überzeugt. Sie blickte auf die Uhr. „Ist noch gar nicht so spät. Wollen wir noch bei McKays einen Kaffee trinken gehen?“

„Gute Idee.“

Immerhin will er mich nicht sofort loswerden, dachte sie. „Ich habe mir übrigens schon ein paar Ratschläge eingeholt, was mein Umstyling angeht.“

„Für meinen Geschmack siehst du so schon top aus. So, wie du jetzt bist.“

Sie lachte auf. „Oh, vielen Dank. So etwas musst du ja sagen, weil du mein bester Freund bist. Aber hier geht es um etwas anderes. Ich will die Aufmerksamkeit eines anderen Mannes erregen.“

Stern ließ das unkommentiert und konzentrierte sich auf die Straße. Doch JoJo hätte schwören können, dass sie hörte, wie er mit den Zähnen knirschte. Warum reagiert er nur so gereizt darauf, dass sie sich für einen Mann interessierte?

Als sie auf dem Parkplatz von McKays zum Stehen kamen, hielt JoJo die angespannte Stimmung nicht mehr aus. „Was ist nur los mit dir, Stern?“, fragte sie, während sie ihren Sicherheitsgurt löste. „Warum machst du so ein Theater daraus, dass ich mich für einen Mann interessiere? Du nimmst dir doch auch das Recht heraus, dich mit anderen Frauen zu treffen. Und zwar mit jeder Menge Frauen.“

Stern schwieg einen Augenblick nachdenklich. Dann sagte er: „Ist es denn wirklich falsch, wenn ich dich beschützen möchte, JoJo?“

Sie atmete tief durch. Er konnte ja nicht ahnen, dass sie in Wahrheit ihn beschützen wollte – und zwar vor ihr. Wenn Stern auch nur den Verdacht hätte, dass sie sich in ihn verliebt hatte, würde er bestimmt schreiend das Weite suchen!

„Es ist dann falsch, wenn ich nicht beschützt werden möchte. Du bist ja schlimmer als mein Vater damals! Der hat wenigstens die Zügel gelockert, als ich älter wurde. Im Gegenteil, er wollte sogar, dass ich mehr ausgehe und Jungs treffe. Angst um mich hat er nicht gehabt. Weil er ganz genau wusste, dass ich auf mich selbst aufpassen konnte. Warum siehst du das denn nicht ein?“

„Darum geht es nicht, JoJo.“

„Worum dann?“

Stern schwieg einen Moment. Wie sollte er ihr die Sache erklären, ohne selbstsüchtig zu klingen? Konnte er denn wirklich ihrem Glück im Weg stehen, nur weil er sie nicht verlieren wollte? „Ach, nichts. Ich habe heute nur schlechte Laune. Tut mir leid.“

Er wollte gerade die Autotür zum Aussteigen öffnen, als sie plötzlich seinen Arm ergriff. „Warum, Stern? Warum hast du schlechte Laune?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ach, nur Ärger im Büro. Während meines Urlaubs ist jede Menge Arbeit liegen geblieben. Nervig.“

Er sah ihren mitleidigen Blick und fühlte sich wie ein Schuft, weil er ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Zwar wartete wirklich jede Menge Arbeit auf ihn, aber das war zu bewältigen und hatte nichts mit seiner schlechten Stimmung zu tun.

Mitfühlend tätschelte sie ihm die Hand. „Mach dir nur keine Sorgen, Stern. Du schaffst das schon. So wie immer. Weil du intelligent und fleißig bist.“

Es fiel ihm schwer zu antworten. So war sie eben, seine JoJo! Immer wieder schaffte sie es, ihn aufzumuntern, ihm Mut zu machen. Selbst dann, wenn die Dinge nicht zum Besten standen. Wie damals in der Highschool, als er gern ins Basketballteam wollte, aber seine Noten ziemlich schlecht waren. Da hatte sie ihm Nachhilfestunden gegeben. Und als er aufgeben wollte, hatte sie es nicht zugelassen. Sie hatte ihn aufgebaut, ihn gestärkt und ihm Selbstbewusstsein gegeben. „Danke, JoJo.“

Er fühlte sich gesegnet, eine so wunderbare beste Freundin zu haben. Es gab genügend Leute, die diese innige und doch platonische Freundschaft merkwürdig fanden. Andere wiederum waren der Ansicht, dass JoJo und er eines Tages doch mehr als „nur“ gute Freunde werden würden. Aber denen versicherte er immer wieder, dass er JoJo nicht aus diesem Blickwinkel sah. Sie war seine beste Freundin, mehr nicht. Und das würde sich auch nie ändern. Oder …?

„Wollen wir reingehen?“, fragte er.

„Klar. Ich kann das Koffein brauchen. Muss nämlich unbedingt die Inventur zu Ende bringen. Irgendwie kommt es mir vor, als ob ständig was fehlt.“

„Du findest schon raus, was da schiefläuft“, sagte er und stieg aus. „Du hast doch immer den Überblick.“

Schnell ging er ums Auto herum und öffnete ihr die Tür. „Danke, dass du so viel Vertrauen in mich hast“, sagte sie.

„Kein Problem.“

Nachdem sie ausgestiegen war, schloss er die Wagentür und ergriff ihre Hand. Gemeinsam gingen sie auf den Eingang von McKays zu. Erst als sie eingetreten waren und die Bedienung sie begrüßte, ließ er JoJos Hand los.

In diesem Moment wurde ihm bewusst, wie gut es sich angefühlt hatte, sie zu berühren.

„Danke für die Einladung ins Kino, Stern. Und auch für den Kaffee.“

„Schon in Ordnung“, murmelte er und folgte ihr ins Haus. Immer wenn sie gemeinsam etwas unternahmen, begleitete er sie anschließend zur Sicherheit noch hinein.

Zum Glück hatte sich die Stimmung gelockert, nachdem er ihr den vermeintlichen Grund für seine schlechte Laune erklärt hatte. Als sie beim Kaffee zusammensaßen, hatten sie schon wieder gescherzt und sich über die neuesten Entwicklungen in der Familie Westmoreland unterhalten. Die Verlobungen und Hochzeiten nahmen kein Ende. Amüsiert hatte Stern erzählt, dass einige seiner Brüder und Cousins der Meinung waren, er würde als Nächster heiraten – obwohl er noch nicht einmal eine feste Freundin hatte.

Stern hatte einen prüfenden Blick in jedes Zimmer geworfen und wandte sich nun wieder JoJo zu. „Alles in Ordnung in deinem Haus. Keine Eindringlinge.“

„Ja, weil du sie verscheucht hast“, scherzte sie und zog sich die Baseballkappe vom Kopf. Dann zog sie sich das Gummiband vom Pferdeschwanz und schüttelte ihr Haar. Nun fiel es ihr sanft über die Schultern. Sie fragte sich, ob ihr der neue Friseur für ihr Umstyling eine Kurzhaarfrisur empfehlen würde. Wahrscheinlich wäre sie sogar bereit, ihr schönes langes Haar zu opfern, wenn sie damit ihre Chancen bei Walter steigern konnte!

„Ich liebe dein Haar“, sagte Stern und fuhr mit den Händen durch ihre wallende Mähne.

„Ich weiß“, erwiderte sie lachend. Die Berührung fühlte sich gut an! Sehr gut!

„Versprich mir, dass du es dir nie abschneiden lässt. Nie.“

„Das kann ich nicht. Ich weiß ja noch nicht, was mir der Friseur fürs Umstyling empfiehlt.“

Mitten in der Bewegung hielt er inne.

„Ich bin wirklich froh, dass du mich bei der ganzen Sache unterstützt“, sagte sie und hoffte inständig, dass es auch dabei blieb.

Ganz dicht stand er bei ihr und fuhr nun wieder mit den Fingern durch ihr Haar. Warum erregte sie das nur so? Er hatte doch schon oft ihr Haar berührt, hatte ihr beispielsweise beim Haarewaschen geholfen. Aber das alles war gewesen, bevor sie ihre Gefühle für ihn entdeckt hatte. Ihre sexuellen Gefühle. Manchmal träumte sie von ihm und war ganz feucht, wenn sie erwachte.

Sie räusperte sich. „Wenn du auf der Arbeit momentan so viel zu tun hast, solltest du jetzt vielleicht nach Hause fahren und schlafen gehen, damit du morgen fit bist. Und ich wollte noch die Inventurlisten durchgehen. Sonst habe ich ein schlechtes Gewissen.“

„Ja, es wird wohl Zeit“, sagte er nach einem Blick auf die Uhr. „Schon ganz schön spät.“

„Ja.“ Bildete sie sich das nur ein, oder klang seine Stimme heiserer als sonst, erregter? Noch immer standen sie ganz dicht beieinander. Sie spürte das Verlangen, sich an ihn zu schmiegen. Ihr wurde ganz heiß. Sie suchte seinen Blick.

Und dann, gänzlich unerwartet, küsste Stern sie.

Natürlich hatte sie sich so etwas schon lange ersehnt, aber die Initiative war eindeutig von ihm ausgegangen. Als ob er spürte, dass sie kurz davor war, die Balance zu verlieren, schloss er sie in die Arme und küsste sie noch heftiger. Instinktiv hielt sie sich an seinen Schultern fest. In ihrem Kopf tönte die Stimme der Vernunft: Das hier sollte nicht passieren! Es ist Stern, er ist mein bester Freund, und so etwas sollten wir nicht tun! Doch in dem Maße, in dem ihre Erregung zunahm, verhallte die Stimme immer mehr.

Und dann wurde der Kuss noch intensiver, so intensiv, dass es ihr den Atem raubte. Sie spürte, wie Sterns Zunge ihre umspielte, sie zu einem erotischen Tanz einlud. So war sie noch nie geküsst worden. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass es ihr erster Zungenkuss überhaupt war. Vorher hatte es erst einen Kuss gegeben, und dafür musste sie weit zurückdenken. Sie war in der zehnten Klasse gewesen, und ihr Mitschüler Mitch Smith hatte unbeholfen die Lippen auf ihre gedrückt. Anschließend hatte Stern dafür gesorgt, dass Mitch so etwas nie wieder bei ihr wagte. Keine Frage, dass dieser Kuss nichts gewesen war gegen das, was sie jetzt erlebte!

Dies war ein Kuss, wie ihn Autoren von Liebesromanen beschrieben, ein Kuss, der sie zum Träumen brachte und ihr die Knie weich werden ließ. Doch den Grund für diesen Kuss begriff sie nicht. Wollte Stern sie vielleicht testen? Er wusste ja, dass sie so gut wie keine Erfahrung mit Männern hatte – und dass sie jetzt ein Auge auf Walter geworfen hatte. Küsste er sie, damit sie wusste, was sie zu erwarten hatte? Oder um herauszufinden, wie gut – oder schlecht – sie im Küssen war?

Wenn es so war, war es keine schlechte Idee, fand sie. Dann konnte er ihr nämlich anschließend Tipps geben, damit sie bei Walter nicht wie eine absolute Anfängerin dastand. Ja, so musste es sein. Deshalb küsste Stern sie so. Er wollte ihr etwas Übung verschaffen und ihr anschließend Ratschläge erteilen. Na, wenn das so war …

Sie fasste ihn fester bei den Schultern und schmiegte sich noch enger an ihn, während sie beide sich immer noch leidenschaftlich küssten. Nie hätte sie gedacht, dass ein Kuss sie so erregen könnte!

Sie war sehr behütet aufgewachsen, was sie sehr genossen hatte. Statt sich ein College in einem anderen Bundesstaat oder wenigstens in einer anderen Stadt zu suchen, war sie daheim in Denver geblieben und hatte dort studiert. Sie war nicht einmal von zu Hause ausgezogen. Ihr Vater hatte sie geradezu dazu gedrängt, woanders zu studieren, weil er der Meinung war, sie müsse etwas von der Welt sehen und Erfahrungen sammeln. Aber sie hatte erwidert, dass es für sie völlig in Ordnung sei, bei ihm zu bleiben.

Männer hatte es in ihrem Leben nicht gegeben. Und jetzt machte sie ihre ersten Erfahrungen ausgerechnet mit Stern! Noch immer küssten sie sich, sie spürte seine fordernde Zunge, und unwillkürlich schmiegte sie die Hüften an seine. Nie gekannte Gefühle ließen sie erschauern …

Als sie dringend Luft holen musste, löste sie ihre Lippen von seinen.

„Wow“, kommentierte er.

Sie war immer noch ganz außer Atem. Erwartungsvoll blickte sie ihn an. „Na, wie war ich?“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Wie bitte?“

„Wie ich war? Du wolltest mich doch testen, oder?“

Verständnislos sah er sie an. „Dich testen?“

„Ja, testen. Du weißt doch am besten, wie wenig Erfahrung ich mit Männern habe. Deshalb hast du mich doch geküsst, oder? Damit ich mich nicht völlig blamiere, wenn Walter mich zum ersten Mal küsst. Also – wie war ich?“

„Walter?“

Erst jetzt fiel JoJo auf, dass ihr der Name herausgerutscht war, den sie Stern eigentlich hatte verheimlichen wollen. Aber es war ja nur der Vorname, und in Denver musste es viele, viele Männer namens Walters geben. „Also – ich warte auf dein Urteil.“

Lange sah er sie wortlos an. „Na ja, ein bisschen mehr Übung könnte nicht schaden.“

„Oh“, sagte sie enttäuscht.

„Aber trotzdem hast du mich überrascht. Du küsst besser, als ich dachte.“

Überglücklich strahlte sie ihn an. „Tatsächlich?“

„Wenn ich es doch sage.“

„Vielen Dank.“ Sie lächelte erleichtert. „Ich hatte mir wirklich schon Sorgen gemacht …“

„Das brauchst du nicht. Mit ein bisschen Übung bist du bald Weltmeisterin. Aber was diesen Walter angeht …“

Sollte er bloß nicht glauben, dass sie ihm mehr über ihn verriet! „Bitte frag mich nichts über ihn“, sagte sie rasch. „Reden wir lieber weiter über den Kuss.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Was ist denn noch damit? Ich habe doch gesagt, dass er okay war.“

„Aber du hast auch betont, dass ich noch Übung brauche. Und ich will mich unbedingt noch steigern. Das heißt, du musst mir beibringen, wie ich noch besser küsse.“

„Für diesen Walter?“

Warum sollte sie nicht offen und ehrlich sein? „Ja, für Walter.“

„Das heißt“, sagte Stern gedehnt, „du willst küssen üben, damit du diesen Walter beeindrucken kannst.“

Sie nickte. „Ja, genau, das habe ich doch gesagt.“

Schweigend sah er sie an. Eine Minute verging, dann noch eine. Allmählich fühlte sie sich unbehaglich. „Also, was ist denn jetzt? Übst du mit mir?“

„Ich werde darüber nachdenken. Aber jetzt muss ich gehen.“

JoJo brachte ihn zur Tür. „Wann gibst du mir Bescheid, Stern? Ich habe nicht viel Zeit.“

„Bald“, antwortete er und gab ihr wie üblich ein Abschiedsküsschen auf die Wange. „Bleib nicht mehr so lange auf.“

Dann ging er, und sie sah ihm noch lange nach.

4. KAPITEL

„Mann, Stern, weißt du, wie spät es ist? Schon nach Mitternacht!“ Widerwillig ließ Zane seinen Cousin herein.

Stern begab sich sofort ins Wohnzimmer und ging dort unruhig auf und ab. Zane ließ sich aufs Sofa plumpsen. Dann fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. „Willst du vielleicht einen Kaffee?“

Stern blieb stehen. „Nein, keinen Kaffee, nur einen Rat. Ich hatte heute ein Date mit JoJo.“

Zane grinste. „Na und? Du triffst dich doch ständig mit JoJo. Also was ist daran …“

„Ich … ich habe sie geküsst.“

Einen Augenblick lang blickte Zane ihn wortlos an. „Ich glaube, ich mache uns doch mal einen Kaffee. Wenn du keinen brauchst – ich schon.“ Er stand auf und ging in die Küche. Stern folgte ihm.

Als die Kaffeemaschine lief, lehnte Zane sich gegen die Anrichte und schaute Stern an. „Dann erzähl mal. Warum hast du JoJo geküsst?“

Stern vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Das weiß ich ja selber nicht. In einer Sekunde war noch alles völlig normal und harmlos, und in der nächsten Sekunde haben sich unsere Zungen …“

Abwehrend schüttelte Zane den Kopf. „So genau wollte ich das nun auch wieder nicht wissen.“ Er goss sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich an den Küchentisch.

„Na ja, so ist es auf jeden Fall gewesen.“

„Wundert mich, dass JoJo dir keinen Karatehieb verpasst hat.“

Allmählich wurde Stern bewusst, dass er doch einen Kaffee brauchte. Also goss er sich eine Tasse ein. „Nein, sie war mit der ganzen Sache völlig einverstanden, weil sie dachte, ich will sie testen.“

„Testen?“

„Ja. Sie will sich doch umstylen lassen. Für diesen Typen, von dem ich dir erzählt habe. Er heißt übrigens Walter mit Vornamen, das ist ihr rausgerutscht. Aber seinen Nachnamen weiß ich nicht.“

Zane schüttelte den Kopf. „Du schweifst ab. Du wolltest mir doch erzählen, warum JoJo geglaubt hat, du wolltest sie testen.“

Stern setzte sich zu Zane an den Tisch. „Ich weiß doch, wie unerfahren sie ist. Da hat sie gedacht, ich wollte rausfinden, ob sie richtig reagiert, wenn dieser Walter sie küsst. Und dann war ich noch so dumm, ihr zu sagen, dass sie im Küssen mehr Übung braucht.“

„Und? Braucht sie die?“

„Nein, eigentlich nicht. Das habe ich nur so gesagt. Um ehrlich zu sein, der Kuss war super. Ich bin fast durchgedreht vor Lust. Aber jetzt will sie, dass ich mit ihr übe.“

Nachdenklich musterte Zane seinen Cousin. „So, jetzt noch mal zum Mitschreiben. Du und JoJo, ihr seid platonisch befreundet. Und sie hält eure Freundschaft für so platonisch, dass sie glaubt, ihr könnt nach Herzenslust küssen üben, ohne dass was passiert?“

„Da passiert auch nichts“, erwiderte Stern.

Zane lachte auf. „Wenn du das ernsthaft glauben würdest, würdest du jetzt nicht mitten in der Nacht bei mir sitzen.“

Insgeheim musste Stern seinem Cousin recht geben. „Um auf deine Frage zurückzukommen: Ja, sie hält die Freundschaft für absolut platonisch. Weil ich für sie einfach ein guter Freund bin. Ihr bester Freund.“

„Und wirst du damit klarkommen, ihr Kuss-Lehrer zu sein?“

Stern dachte nach. „Das ist ja das Komische, Zane. Als ich sie heute geküsst habe, wusste ich natürlich einerseits, dass sie es ist. Meine beste Freundin. Aber andererseits war sie so weiblich, so sinnlich, so ganz Frau …“

„Schätze, du sitzt ganz schön in der Klemme, mein Alter.“

„Als ob ich das nicht selber wüsste. Wenn ich ihr meine Hilfe verweigere, hält sie mich für selbstsüchtig und glaubt, dass ich ihr die Sache mit Walter aus übergroßem Beschützerinstinkt kaputtmachen will. Aber wenn ich ihr helfe, entgleitet mir die Sache vielleicht, und ich will mehr. Mehr als zwischen besten Freunden passieren darf. Also … was rätst du mir?“

Zane dachte einen Moment nach. „Mach, was sie von dir verlangt.“

Stirnrunzelnd schüttelte Stern den Kopf. „Ich soll mit ihr küssen üben – für einen anderen Mann? Für diesen Walter?“

Zane nippte an seinem Kaffee. „Nein. Wenn du schlau wärst, würdest du mit ihr küssen üben, damit du selbst was davon hast.“

„Das ist nicht lustig, Zane.“

„Ich lache ja auch gar nicht.“

Stern musterte seinen Cousin lange. „Meinst du etwa, sie und ich sollten nach all den Jahren als beste Freunde plötzlich ein Liebespaar werden?“

Zane schmunzelte. „Genau das meine ich.“

Wütend sprang Stern auf. „Das … das ist doch verrückt! Du bist verrückt! Das geht schon mal gar nicht!“

Zane lachte auf. „Du hast sie heute Abend geküsst und fandest es gar nicht so übel. Das wäre dir gestern sicher auch noch völlig verrückt vorgekommen.“

„Ich gehe jetzt“, stieß Stern trotzig hervor. „Ich bin zu dir gekommen, damit du mir einen Rat gibst. Nicht damit du mich veräppelst.“

Autor

Brenda Jackson
<p>Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...
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