Julia Herzensbrecher Band 53

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EIN KUSS – UND SCHLUSS? von STEFANIE LONDON

Auf keinen Fall wird Jasmine sich in den berühmten, aber arroganten Footballer Grant Farley verlieben! Nach einer Verletzung trainiert sie mit ihm, und dabei soll es bleiben. Egal wie herausfordernd Grants blaue Augen funkeln: Er passt einfach nicht zu ihr … oder?

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  • Erscheinungstag 25.01.2025
  • Bandnummer 53
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534130
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

STEFANIE LONDON

1. KAPITEL

Was haben eine Ballerina und ein Footballspieler gemeinsam? Abgesehen davon, dass beide dehnbare Muskeln brauchen, nichts. Absolut gar nichts.

Dieser Gedanke ging Jasmine Bell durch den Kopf, während sie dem Footballspieler vor ihr dabei zusah, wie er sich mit dem plié abmühte.

Sie stand in der Mitte des Studios in ihrem üblichen Aufzug aus schwarzem Trikot, Leggings und Ballettschuhen. Diese Kleidung war für Tänzer wie eine zweite Haut, aber heute fühlte sie sich darin nackt. Schnell verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust.

„Fangen wir von oben an. Nehmen Sie die Schultern runter“, sagte sie und zwang sich dazu, ganz ruhig zu atmen. Sie beugte ihre Arme in die erste Position und drehte ihre Füße ein wenig nach außen. „Und jetzt … linke Hand an die Stange und plié … eins, zwei, drei, vier …“

Der Mann vor ihr folgte ihren Anweisungen schmunzelnd und mit leichter Übertreibung. Alles an Grant Farley ging ihr unter die Haut, von dem eingebildeten Grinsen bis zu der Art, wie er seine dichten blonden Augenbrauen hob, wenn sie etwas sagte. Er war ein Mann wie gemacht dafür, die Konzentration einer Frau zu stören.

Sie wahrte die Distanz und beobachtete seine Bewegungen, bereit, ihn auf Ungenauigkeiten hinzuweisen. Normalerweise half sie ihren Schülern, indem sie ihnen mit der Hand Hilfestellung gab, aber irgendetwas an Grant ließ eine kleine Stimme in ihrem Kopf warnend schreien: „Nur angucken, nicht anfassen.“ Vielleicht lag es daran, dass er sich mit einer Selbstsicherheit bewegte, um die sie ihn beneidete. Oder daran, dass er für ihren Geschmack einfach zum Anbeißen aussah. Was möglicherweise mit den sechs zölibatären Monaten zusammenhing, die hinter ihr lagen.

Sehr zu ihrem Verdruss lernte er trotz seiner Albereien sehr schnell.

„Sie machen das gut“, sagte Jasmine in einer Pause zwischen zwei Wiederholungen. „Es ist zwar erst Ihre erste Stunde, aber ich sehe bereits Fortschritte.“

„Es ist ja auch nicht gerade schwer“, wehrte er ab. Der Blick aus seinen blauen Augen jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Ich gehe nur auf der Stelle hoch und runter. Das könnte ein Zweijähriger.“

Jasmine verspürte einen Anflug von Gereiztheit. War ja klar, dass ein sturköpfiger australischer Footballer die immense Wichtigkeit des Schrittes, den sie ihm gerade gezeigt hatte, nicht verstand.

Sie schürzte die Lippen. „Das ist ein wenig zu simpel ausgedrückt, finden Sie nicht?“

„Nicht wirklich.“ Er verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Stange. Dabei ließ er seinen Blick wohlwollend über ihren Körper gleiten. „Sie können dem Ganzen gerne einen schicken französischen Namen geben, aber es ist nicht mehr, als die Knie zu beugen.“

„Tja, und ich hätte nie gedacht, dass man es zu seinem Beruf machen kann, einem kleinen roten Ball hinterherzujagen.“ Sie reckte ihr Kinn.

„Unsere Bälle sind nicht klein.“ Ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

Röte schoss ihr in die Wangen. Sie ignorierte die Doppeldeutigkeit und stellte die Musik wieder an, um die Übung noch einmal zu wiederholen.

„Noch einmal von oben.“

Als die Musik einsetzte, folgte er ihren Anweisungen und beugte die Knie, mit den Füßen in der ersten Position. Seine Hüften bewegten sich dabei aus der vorgegebenen Körperlinie, und seine Füße rollten nach innen. Instinktiv streckte sie die Hände aus, um den Fehler zu korrigieren, zog sie aber sofort wieder zurück, als ihr Gehirn sich einschaltete.

„Ich beiße nicht.“

Sein wölfisches Grinsen bildete einen krassen Gegensatz zu dieser Aussage, aber Jasmine hatte nicht vor, sich davon verwirren zu lassen. Sie war die Lehrerin; sie hatte hier die Kontrolle.

„Sie müssen Ihre Hüften stabil halten.“ Sie trat vor und legte die Hände an seine Hüften. Seine Muskeln waren angespannt und heiß. Er ging noch einmal ins plié, und sie führte ihn, während sie versuchte, den Schauer zu ignorieren, der dabei durch ihr Inneres rieselte.

„Achten Sie auf die Spannung in Ihrer Körpermitte. Das hilft bei der Balance und verhindert, dass Sie vor und zurück schwanken.“

„So?“ Er packte eine ihrer Hände und drückte sie mit der Handfläche gegen seinen Bauch. Durch das T-Shirt spürte sie jede Bewegung seiner Muskeln …

Sie schluckte, ihr Blut rauschte, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Reiß dich zusammen.

„Ja, genau so.“ Sie zog ihre Hand zurück, doch seine Hitze brannte weiter auf ihren Fingerspitzen.

Sie würde Elise, ihre bald ehemalige beste Freundin, dafür erwürgen, ihr diese Katastrophe aufgehalst zu haben. Sie würde …

„Erde an Dutt.“ Grant wedelte mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum und lachte leise, als sie sich wieder auf ihn konzentrierte. „Ich erkenne nur nicht, wie das meinem Oberschenkelmuskel helfen soll. Müsste ich den nicht dehnen oder so? Wir müssen diese ganze Sache auf jeden Fall beschleunigen, denn bald steht ein wichtiges Spiel an.“

Er schüttelte sein Bein aus und massierte sich den Oberschenkel.

„Flexibilität zu erlangen, ist ein langsamer Prozess. Sie können nicht erwarten, nach Ihrer ersten Ballettstunde beweglich wie ein Schlangenmensch zu sein.“

„Mir würde es schon reichen, die Folgen meiner Verletzung loszuwerden.“ Er schaute auf die Uhr an der Wand. „Es mag Sie schockieren, aber ich bin nicht wegen der angenehmen Unterhaltung hier. Ich möchte meinen Oberschenkel in Ordnung bringen, um meine Zeit endlich wieder mit richtigem Training zu verbringen.“

Jasmine atmete tief durch und zwang sich, nicht auf seine Unhöflichkeit zu reagieren. Mit einem Blick auf die Uhr stellte sie erleichtert fest, dass es beinahe acht war. Dies war die wohl frustrierendste Unterrichtsstunde, die sie je abgehalten hatte. Und das war erst der Anfang …

„Ist die Stunde etwa schon um?“

Sein amüsierter Ton befeuerte Jasmines Entschluss, sich kühl und gefasst zu geben. Was nicht leicht war, wenn er sie mit diesem spöttischen Blick anschaute.

Das hier war für die nächsten sechs Monate zwei Mal pro Woche ihr Leben, und sie freute sich kein bisschen darauf. Unglücklicherweise brauchte sie das Geld. Um ihre Rechnungen bezahlten zu können, musste sie sich erneut mit einem arroganten Kerl herumschlagen, der glaubte, ihm gehöre die Welt.

„Ich denke, wir können das Training für heute endlich beenden“, verkündete sie.

„Oh, seien Sie nur nicht so traurig, mich loszuwerden.“

„Der Unterricht geht eine Stunde, Mr. Farley.“ Ihre Stimme klang angespannt. „Wenn Sie mehr Zeit benötigen, müssen Sie das mit der Besitzerin des Studios klären.“

„Eine Stunde langt mir völlig, Ms Bell“, neckte er sie und fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes blondes Haar.

Warum musste er auch so verdammt attraktiv sein? Ihr Magen schlug einen Salto, als seine Haare ihm wieder in die Stirn fielen. Sie ging zur Tür zum Warteraum, und er folgte ihr. Der Duft seines Aftershaves stieg ihr in die Nase und ließ in ihrem Kopf unerwünschte, aber durchaus angenehme Bilder aufsteigen. Für einen Moment schloss sie die Augen und schob das Verlangen beiseite, das wie ein Streichholz in ihr aufflammte.

Er sah nicht auf traditionelle Weise gut aus, aber irgendetwas an seiner kantigen Art zog sie an. Sein markanter Kiefer, die ausgeprägten Wangenknochen. Seine Nase war ein wenig schief, als wäre sie einmal gebrochen worden und nicht richtig verheilt. Zu gerne würde sie mit ihrem Finger darüberstreichen, um zu sehen, ob sie recht hatte.

Sie biss sich auf die Unterlippe. Auf keinen Fall würde sie sich in einen Mann wie ihn verlieben. Egoistische, eingebildete Kerle gehörten der Vergangenheit an. Das hier war rein geschäftlich, und nachdem er sie für die Stunde bezahlt hatte, konnte sie nach Hause gehen und vergessen, dass sie sich verkaufte. Vergessen, was aus ihrem Traum vom Tanzen geworden war.

Grant ging zu seinem Kleidersack, wühlte darin herum und zog einen dicken Umschlag heraus, den er ihr hinhielt.

„Das sollte reichen“, sagte er. „Der Trainer meinte, es wäre einfacher, Sie vorab komplett zu bezahlen.“

Der Umschlag lag angenehm schwer in Jasmines Hand. Damit könnte sie ihre Miete und die Rechnungen der nächsten ein bis zwei Monate begleichen und sich ein wenig Luft verschaffen. Der Erleichterung folgte jedoch gleich ein Anflug von Scham, als sie den Umschlag in ihre Tasche steckte. Sie machte sich nicht die Mühe, das Geld nachzuzählen. Ein Mann, der – wenn man den Zeitungen glauben durfte – mehr als eine Million im Jahr verdiente, würde kaum ein paar Hundert Dollar für den Ballettunterricht unterschlagen.

„Danke“, murmelte sie, ohne ihn anzusehen. Dann ließ sie sich auf eines der Sofas fallen und fing an, ihre Stulpen auszuziehen.

„Nur damit wir uns verstehen, das hier ist etwas, das ich aus beruflichen Gründen tun muss. Ich träume nicht insgeheim davon, in einem Tutu auf der Bühne zu stehen.“

Aufgeblasener, arroganter, egoistischer …

„Gut.“ Sie band ihre Ballettschuhe auf und griff nach ihren mit Fleece gefütterten Lederstiefeln. Ihr Körper kühlte sich bereits ab, und ihr Knöchel fing an zu schmerzen. Mit leicht verzerrtem Gesicht massierte Jasmine die erhabene Narbe, bevor sie in den Stiefel schlüpfte. „Sie sind hier, weil Sie müssen. Ich bin hier, weil ich das Geld brauche.“

Wenn er das Spiel so spielen wollte, kein Problem. Hoffentlich würden die Wochen schnell vergehen, damit sie sich endlich Gedanken darum machen konnte, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen wollte.

Während er eine Jogginghose aus seinem Seesack fischte, bewegten sich seine Muskeln unter der engen Hose, die nichts der Fantasie überließ. Jasmine hatte die gesamte letzte Stunde damit verbracht, ihren Blick oberhalb seiner Taille zu halten, um nicht zu sehen, wie der Stoff sich über seine Oberschenkel und … alles andere spannte.

Hitze stieg in ihr auf und sammelte sich in ihren Wangen. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, wandte sie den Blick ab und starrte auf den Boden.

„Und, haben Sie etwas entdeckt, was Ihnen gefällt?“ Sein Lächeln zeigte, dass das eine rhetorische Frage war.

Verdammt.

Er bedauerte die Worte, sobald er sie ausgesprochen hatte. Doch Jasmine Bell hatte etwas an sich, das ihn sowohl frustrierte als auch faszinierte.

Er war daran gewöhnt, Footballgroupies mit beiden Händen abzuwehren. Aber Jasmine … nun, sie war eine ganz andere Hausnummer. Mit ihren langen, schlanken Gliedmaßen war sie trotz ihrer abweisenden Haltung unglaublich sexy.

Sie funkelte ihn an, als wollte sie seinen Kopf gedanklich in Flammen setzen. Ihre durchtrainierten Arme hatte sie vor der Brust verschränkt, wie um ihre schmale Figur dahinter zu verbergen. Sie würde ihm nicht die Befriedigung verschaffen und auf seine Frage antworten. Ein kleiner Teil von ihm genoss diesen Machtkampf. Es war ein Spiel, das er gerne spielte – und vor allem war es ein Spiel, das er gerne gewann.

Jetzt hatte er sie ernsthaft verärgert, und das war auch ganz gut so. Er musste Distanz wahren. Frauen gehörten nicht zu seinem Leben. Menschen gehörten nicht zu seinem Leben. Je weniger Leute er außerhalb seiner Footballmannschaft traf, desto weniger Leute konnten ihn ausnutzen. Er war es gewohnt, Menschen auf Abstand zu halten, und das würde er auch mit ihr tun.

„Hat Ihre Berühmtheit Sie Ihre Manieren vergessen lassen, oder sind Sie schon so erzogen worden?“

Das süße Lächeln verschärfte den Stich, den ihre sarkastische Bemerkung ihm versetzte.

„Ich wollte einfach immer nur Football spielen. Der Ruhm ist ein unseliger Nebeneffekt.“ Er war selber überrascht von seiner Offenheit. Sie schürzte ihren kleinen Mund, und Fältchen überzogen dabei ihre Stupsnase. „Genau wie die Ballettstunden.“

„Tja, die Probleme der zivilisierten Welt.“ Sie schlang sich ihre Tasche über die Schulter und ging zur Tür. Ein Lächeln unterdrückend, folgte er ihr.

Auf dem Parkplatz wartete er, bis sie ihr Auto aufgeschlossen hatte, bevor er zu seinem Wagen ging. Im Inneren des Mercedes war es kühl, und es dauerte eine Weile, bis die beschlagenen Fenster frei waren.

Jasmine war schon davongefahren. Wenig später raste Grant über den Freeway. Es war spät und der Feierabendverkehr vorüber, sodass er freie Fahrt hatte. Er massierte seinen verletzten Muskel, der unter dem Druck seiner Finger schmerzte.

Wer hätte gedacht, dass etwas so Mädchenhaftes wie Ballett so anstrengend war? Es war eine Erkenntnis, die er weder mit Jasmine noch mit einem seiner Teammitglieder teilen würde.

Das Handy in der Halterung an der Windschutzscheibe vibrierte, und das Gesicht von Dennis Porter, einem seiner Mitspieler bei den Victoria Harbour Jaguars, tauchte auf. Er nahm den Anruf an.

„Den.“

„Wie läuft der Ballettunterricht?“ Selbst durchs Telefon war der Spott in Dennis’ Stimme zu hören. „Ich wollte nur mal hören, wie es um deine Männlichkeit bestellt ist.“

Ballettunterricht gehörte auch nicht zu Grants Vorstellung von einem lustigen Abend, aber eine hartnäckige Oberschenkelzerrung verlangte nun mal nach verstärktem Flexibilitätstraining, und wer kannte sich damit besser aus als eine Ballerina? Als sein Physiotherapeut ihm davon erzählt hatte, hatte es gut geklungen, doch in der Realität war es wesentlich irritierender als gedacht – vor allem, weil es seinen Teamkollegen ausreichend Munition gab, um ihn aufzuziehen.

„Ha, immer noch sehr gut. Und selbst wenn nicht, du wärst trotzdem nicht mein Typ“, gab er zurück.

„Ja, ja, das sagen die Ladys immer. Erzähl, ist deine Lehrerin wenigstens heiß?“

„Heiß trifft es nicht einmal ansatzweise.“

Er hatte jemand Älteren, Erfahreneren erwartet … vielleicht sogar mit einem russischen Akzent. Stattdessen hatte ihn eine gertenschlanke Schönheit mit schwarzem Dutt und Porzellanhaut an der Studiotür begrüßt.

„Vielleicht muss ich mal bei einer deiner Stunden mitmachen.“

Der Gedanke, Den in Jasmines Nähe zu lassen, löste ein seltsames Gefühl in ihm aus. Er schüttelte es schnell ab. „Ich weiß, du würdest mich gerne in Action sehen.“

„Das ganze Land will dich in Action sehen. Das wird eine gute Saison, das spüre ich.“

„Ich auch.“

In der lang gezogenen Pause, die folgte, hielt Grant die Luft an.

„Glaubst du, dass der ganze Kram jetzt hinter dir liegt?“, fragte Den schließlich.

Ein Teil von ihm wollte ehrlich antworten. Er wusste nicht, ob er das jemals hinter sich lassen könnte. Wie sollte man den Moment vergessen, in dem man beinahe sein gesamtes Lebenswerk die Toilette hinuntergespült hätte? Aber Den war nur ein Kumpel, ein Mitspieler, und da er einer der Jüngeren im Team war, konnte Grant es sich nicht erlauben, ihm gegenüber Schwäche zu zeigen.

„Natürlich. Du kennst mich doch – ich bin quasi unzerstörbar.“

Er legte auf und ließ seine Gedanken zu Jasmine zurückschweifen. Sie war ein ganz spezieller Fall. Anders als die meisten Frauen schien sie gegen ihn immun zu sein. Wie viel wusste sie von seiner Vergangenheit? Beäugte sie ihn deshalb mit einem gewissen Misstrauen?

Grant biss die Zähne zusammen, als das altvertraute Gefühl der Reue ihn überkam. Schnell drehte er das Radio lauter. Der Beat vibrierte in seiner Brust und ließ seine Trommelfelle schmerzen, aber dennoch gelang es ihm nicht, die Gedanken zu übertönen, die wie Haie durch sein Gehirn kreisten.

Er schlug mit der flachen Hand gegen das Lederlenkrad. Trotz einer Lehrerin, die wie ein wahr gewordener Männertraum aussah, freute er sich nicht auf die weiteren Ballettstunden. Er hatte Wichtigeres zu tun. Wie zum Beispiel herauszufinden, wie er sein Team zum Sieg führen konnte.

Es war noch nicht allzu lange her, dass er in Ungnade gefallen war. Er musste einiges beweisen – und seinen guten Ruf wiederherstellen. Vor allem musste er seinen Trainer, seine Mannschaft und die Fans davon überzeugen, dass er wieder ganz der Alte war. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war, von einer Frau abgelenkt zu werden.

Stöhnend lehnte er seinen Kopf gegen die Kopfstütze. Er hatte ein ganz ungutes Gefühl, was Jasmine anging. Irgendetwas an ihr setzte ihn auf eine Weise unter Strom, die er lange nicht mehr empfunden hatte. Und wie sie ihn nach der Stunde angeschaut hatte … die pure Einladung zur Sünde.

Doch das kam nicht infrage. Nicht jetzt, wo er langsam dabei war, seinen Namen wieder reinzuwaschen. Diese Saison war seine, und nichts würde ihn davon abhalten.

„Nein!“

Grant setzte sich stocksteif auf. Schweiß lief ihm übers Gesicht, an seinem Hals entlang und seinen Rücken hinunter. Die schweißgetränkten Laken ballten sich in seinen Fäusten.

Er war allein.

Keuchend sog er die Luft in seine Lungen. Jeder Atemzug brannte wie Feuer in seiner Brust.

Seine Augen gewöhnten sich ans Dunkel, und er konnte die Umrisse der Möbel im Zimmer ausmachen. Die Lichter der Stadt fielen durch den schmalen Spalt in seinen Vorhängen und warfen ein kompliziertes Muster auf sein Bett. In der Wohnung war es totenstill. Die ganze Welt schlief, während er hier zitternd saß.

Langsam kehrte sein Herz zu seinem normalen Rhythmus zurück. Das Zittern würde noch eine Weile andauern, das wusste er aus Erfahrung. Es war nur ein Traum. Der Traum. Der, den er immer wieder hatte und aus dem er jedes Mal furchterstarrt erwachte.

Blitzlichter irritierten ihn, Mikrofone wurden ihm direkt ins Gesicht gehalten.

„Grant! Grant! Stimmt es, dass Sie einen Mann krankenhausreif geschlagen haben?“

Kopfschüttelnd befreite er sich aus den Laken und ging ins Wohnzimmer hinüber. Unter ihm blinkten Reklametafeln, zuckten die Scheinwerferlichter von Autos. Es war ein surreales Gefühl, Tausenden von Menschen so nah und doch vollkommen allein zu sein.

Mit seinem Laptop setzte er sich auf die Couch. Sein E-Mail-Eingang sah genauso traurig aus wie immer. Keine neue Nachricht. Selbst Dennis, der einem Freund noch am nächsten kam, hatte ihm nichts geschickt. Nicht einmal ein albernes Katzenvideo. Er klickte auf den Ordner namens „Familie“ und seufzte beim Anblick der mageren drei E-Mails, die zu löschen er sich nicht überwinden konnte. Die letzte trug das Datum von vor über sechs Monaten.

Er hatte es nie bereut, die kleine Stadt auf dem Land verlassen zu haben, um erfolgreicher Footballspieler zu werden. Doch bis heute sah er die pochende Ader auf der Stirn seines Vaters vor sich, als dessen laute Stimme durch den Raum dröhnte. Wie kannst du nur? Ja, wie konnte er sie und das Geschäft im Stich lassen? Wie konnte er einen albernen Traum über die Belange seines Vaters und seiner Schwester stellen?

Die Wunde hatte nur langsam angefangen zu heilen, mit vorsichtigen Telefonaten und SMS zwischen ihm und seiner Schwester. Die alte Verbindung war noch da gewesen. Ein wenig ausgefranst, aber nicht zerrissen. Selbst sein Vater hatte sich mürrisch nach Grants Leben in der großen Stadt erkundigt.

Doch das war nun Vergangenheit. Diese zerbrechlichen Bande waren ihm entrissen worden, als er Schande über seinen Namen gebracht hatte. Das waren die Worte seines Vaters gewesen – und er konnte ihm nicht widersprechen. Und er konnte auch nicht böse auf ihn sein. Er hatte seine Einsamkeit alleine sich und seinen Taten zuzuschreiben. Und wie er seinen Vater kannte, würde er von ihm keine zweite Chance bekommen.

Umso wichtiger war es, dass die Jaguars dieses Jahr gewannen. Seine Karriere war alles, was ihm noch geblieben war. Er konnte und durfte nicht versagen.

2. KAPITEL

„Verdammt“, murmelte Jasmine, als sie mit ihrem pinkfarbenen Regenschirm kämpfte. Das windige Wetter machte es ihr beinahe unmöglich, sich vor dem Regen zu schützen, der seitlich auf sie einprasselte.

Schnell lief sie über die geschäftige Straße und wäre beinahe auf dem nassen Asphalt ausgerutscht. Keuchend schob sie ihre Tasche höher auf die Schulter und rettete sich unter den überdachten Eingang der Klinik. Sie schüttelte den Regenschirm aus, dass die Tropfen nur so flogen, und ging durch die automatische Tür zum Empfangstresen.

„Hi, Jasmine.“ Die Rezeptionistin begrüßte sie mit einem Lächeln. „Dr. Wilson ist sofort bei Ihnen.“

Jasmine ließ sich auf einen Stuhl sinken und drehte ihren klitschnassen Pferdeschwanz zu einem Dutt zusammen. Ihr Knöchel pochte, eine stete Erinnerung daran, dass sie den Unfall immer noch nicht ganz überstanden hatte.

Nach einer kurzen Untersuchung verließ Jasmine wenig später mit einem frischen Rezept in der Hand das Untersuchungszimmer. Das letzte Rezept hatte sie in den Schredder gesteckt, weil sie es hasste, die Schmerzmittel zu nehmen. Sie gaben ihr das Gefühl, schwach zu sein. Genau wie ihr Knöchel, der einfach nicht ausheilen wollte.

Ihr Arzt hatte ihr noch einmal nahegelegt, einen Psychologen aufzusuchen. Aber ihr Problem war nicht in ihrem Kopf, sondern in ihrem Knöchel. Der würde nie wieder stark genug sein, um sie beim Spitzentanz zu tragen, und ohne Ballett hatte sie nichts … war sie nichts.

Oh Gott, wie sehr sie das alles vermisste. Die paillettenbesetzten Kostüme, die im Scheinwerferlicht glitzerten. Den donnernden Applaus. Was sollte sie mit ihrem Leben anfangen, jetzt, wo sie das alles nicht mehr hatte? In ihrem Herzen gab es nichts außer Ballett. Und ohne das Ballett war sie verloren.

Der Regen prasselte weiter unaufhörlich auf die Erde, und ein Blitz zerriss den düsteren Himmel. Sie bedauerte, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln gekommen war. Auf keinen Fall würde sie trockenen Fußes nach Hause kommen.

Innerlich fluchend, unterschrieb sie die Quittung und bezahlte die Rechnung mit einem Teil des Geldes aus dem Umschlag in ihrer Tasche, auf dem in Grants krakeliger Handschrift ihr Name stand.

„Jasmine?“

Eine vertraute Stimme. Wenn man vom Teufel spricht.

Grant stand mitten im Wartebereich. Er trug seine Trainingskleidung und wirkte wesentlich entspannter als bei ihrem letzten Treffen. Die Mitarbeiter der Klinik – vor allem die Frauen – bewunderten ihn offen und flüsterten hinter vorgehaltener Hand miteinander.

„Interessant, Sie hier zu treffen.“ Sie bemühte sich um einen professionellen Tonfall und verdrängte ihre leichte Verärgerung, die noch von der ersten gemeinsamen Stunde herrührte.

„Unsere Mannschaft lässt sich hier massieren.“ Er zuckte mit den Schultern. „Meine Wadenmuskeln bringen mich noch um.“

Sie konnte ein gemeines Lächeln nicht unterdrücken. Ihre Wadenübungen waren berüchtigt dafür, neue Schüler an den Rand des Wahnsinns zu treiben, und es erfüllte sie mit einer gewissen Befriedigung, dass es ihm nicht anders erging.

„Mädchen“, sagte sie und schlang sich ihren orangefarbenen Schal um den Hals.

Er lachte leise. Es war ein Klang wie dazu gemacht, den Magen einer Frau in Aufruhr zu versetzen – so wie ihren. Sie verfluchte ihren Körper für seine leichtfertige Reaktion.

Gemeinsam traten sie durch die Tür und wurden von einem eiskalten Luftzug getroffen. „Was treibt Sie hierher?“, fragte Grant.

„Eine alte Verletzung.“ Sie blieb unter dem Vordach der Klinik stehen, öffnete den Regenschirm und sah hilflos zu, wie der im heftigen Wind hin und her gerissen wurde. „Ich muss jetzt auch leider los.“

Grant schaute sie fragend an. „Sie sind ohne Auto hier?“

Sie konnte ihm nicht verdenken, dass er sie für verrückt hielt. Wer verzichtete an einem Tag wie diesem schon freiwillig auf ein Auto? Nur dass sie keines besaß und es leid war, sich ständig eines leihen zu müssen. Sie war bereits bis auf die Knochen durchgefroren, und der fünfminütige Fußweg zur Bushaltestelle würde alles noch schlimmer machen.

„Kommen Sie, ich nehme Sie mit. In dem Regen können Sie unmöglich zu Fuß gehen.“

Grant marschierte in Richtung Parkplatz los, ohne auf ihre Antwort zu warten. Sie überlegte einen Moment, doch eine weitere eiskalte Böe nahm ihr die Entscheidung ab. Auch sein herablassender Ton würde sie nicht daran hindern, diese Gelegenheit wahrzunehmen.

Mit seinen langen Schritten hatte Grant den Parkplatz schnell überquert. Er hatte den Kopf gegen den Wind gebeugt und schaute nicht, ob sie ihm folgte. Sie verfiel in einen leichten Joggingschritt, um zu ihm aufzuschließen. Die Scheinwerfer flammten auf, als er den Wagen öffnete, und Jasmine flitzte zur Beifahrertür, um endlich dem Regen zu entkommen.

Nachdem sie die Tür hinter sich zugeworfen hatte, schüttelte sie sich. Wasser tropfte auf die feinen Ledersitze, und die Fenster beschlugen von ihrem Atem. Grant startete den Motor und stellte die Lüftung an. Sie warteten, bis die Scheiben wieder klar waren.

Dabei schaute er sie die ganze Zeit an.

Ihre blasse Haut war von der Kälte gerötet. Doch selbst so nass und zerzaust war Jasmine immer noch die schönste Frau, die Grant jemals gesehen hatte.

„Wo kann ich Sie hinbringen?“

„Ins Ballettstudio.“ Sie blies sich in die Hände und rieb sie aneinander, um warm zu werden. „Bitte.“

Grant stellte die Heizung höher und drehte das Gebläse in ihre Richtung. Er roch die Kombination aus Parfüm und Regen auf ihrer Haut. Wassertropfen rollten an ihrem Hals hinab und verschwanden unter ihrem Schal. Aus irgendeinem Grund fand er das unglaublich erotisch.

Er zwang sich, an etwas anderes zu denken. „Sie haben also noch mit einer alten Verletzung zu kämpfen?“ Verletzungen waren sicherer Boden. Vollkommen unsexy. „Ist das beim Tanzen passiert?“

„Ja“, antwortete sie mit belegter Stimme, fügte aber keine weitere Erklärung an.

Er warf schnell einen Blick auf ihr Profil, bevor er sich nach hinten drehte, um rückwärts aus der Parklücke zu fahren. Sie schenkte ihm ein verzagtes Lächeln, bei dem sich ein Grübchen in ihre Wange schlich. Sein Blick glitt über ihren Mund mit den vollen Lippen.

„Ich wette, Sie haben sich beim Football auch schon mehrere Verletzungen zugezogen. Vielleicht eine gebrochene Nase?“, fragte sie mit einem neckenden Unterton in der Stimme.

Die meisten Frauen würden ihn nicht gleich darauf hinweisen, dass er eine schiefe Nase hatte. Aber andererseits wusste er instinktiv, dass sie anders war als die Frauen, die er im Footballzirkus kennengelernt hatte. Sie war weder solariumgebräunt, noch hatte sie blondierte Haare oder gebleichte Zähne. Ihr fehlte dieser künstliche Look der typischen Spielerfrau. Sie war eine echte Schönheit – eine Rarität. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie wieder zu einem Dutt hochgebunden, und von ihrer Haut sah er nur die ihres Gesichtes und ihrer Hände. Ihre Zurückhaltung gefiel ihm – eine Eleganz, die sie zur perfekten Primaballerina machte. Und er mochte auch, dass sie sich von ihm nichts gefallen ließ.

„Ja, die Nase ist gebrochen, aber nein, es ist nicht beim Football passiert“, sagte er und schaute nach vorne. „Mit achtzehn habe ich das erste Mal Alkohol getrunken und bin sofort in eine Kneipenschlägerei geraten.“

Früher hätte diese Erinnerung Grant mit einem gewissen Machostolz erfüllt, als wäre das ein besonderes Ritual fürs Erwachsenwerden gewesen. Jetzt jedoch fühlte er sich unbehaglich. Vielen Frauen gefiel sein Image als Bad Boy, und in der Vergangenheit hatte er sich das oft zunutze gemacht. Doch diese Tage lagen hinter ihm, auch wenn ihm das niemand glauben wollte.

„Das ist schon laaange her“, sagte er leichthin, doch so einfach ließ Jasmine ihn nicht davonkommen.

„Ich verstehe nicht, warum Männer sich prügeln.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie müssen sich nicht auf die Brust trommeln, um die Ladys anzuziehen.“

„So war das nicht.“

„Wie war es dann?“

„Ich war jung und musste etwas beweisen.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich war nicht immer so.“

„Wie meinen Sie das?“

„So selbstbewusst.“ Er zuckte mit den Schultern. „Man kommt in der AFL nicht weit, wenn man ein Softie ist.“

„Ich weiß nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie innerlich ein ziemlich großer Softie sind.“ Sie lachte und stieß ihm mit den Ellenbogen leicht in die Rippen. „Sie sind wie einer dieser gemeingefährlich aussehenden Hunde, die sich sofort auf den Rücken rollen, um sich den Bauch kraulen zu lassen.“

„Ich bin einer der Besten in meinem Beruf, Süße.“ Er wollte beherrscht wirken, doch die Worte klangen selbst in seinen Ohren defensiv. „Ich stehe nicht so auf Bauchkraulen.“

„Worauf stehen Sie dann?“

„Auf das Spiel.“

„Sie gewinnen gerne?“

„Verdammt, ja. Und ob ich gerne gewinne.“ Er lachte. „Sie nicht?“

„Das kommt auf die Definition von Gewinnen an, schätze ich.“

Ein dunkler Schatten glitt über ihr Gesicht, und einen Moment erhaschte er einen Blick auf etwas unter der Oberfläche dieser warmen braunen Augen.

Sie sprach weiter, bevor er nachfragen konnte. „Warum waren Sie nicht immer so selbstbewusst?“

Natürlich biss sie sich an diesem kleinen Satz fest. Erinnerungen blitzten in ihm auf. Er wollte nicht darüber reden. Er hatte nie mit jemandem darüber gesprochen, was er zurückgelassen hatte, über die Schuld, die ihn zerfraß, weil er seine Familie nur ein Jahr nach dem Tod seiner Mutter im Stich gelassen hatte.

„Sagen wir einfach, ich war ein Spätentwickler.“

„Und jetzt?“

„Wie schon gesagt, ich gehöre zu den Besten.“ Sein Blick glitt zu ihr. Sie würde ihn nie verstehen. Ihre Miene war neutral, der Blick nach vorne gerichtete, die Hände brav im Schoß gefaltet.

„Wenn Sie zu den Besten gehören, warum interessiert Sie dann meine Meinung?“

„Was für eine Meinung haben Sie denn?“ Er lenkte den Wagen um eine Ecke und zwang sich, auf die Straße zu schauen, obwohl er so gerne ihren Gesichtsausdruck gesehen hätte, um darin einen Hinweis darauf zu finden, was sie wirklich empfand.

Aber warum interessierte ihn das überhaupt?

„Ich sagte es ja schon: Ich verstehe nicht, warum Football so eine große Sache ist. Ich meine, Sie jagen einem Ball hinterher, bis jemand ihn zwischen zwei langen Stangen hindurchschießt. Das ist doch nun wirklich kein Hexenwerk.“

„Wir leben das Leben von engagierten Sportlern. Wir geben alles auf, was normale Menschen für selbstverständlich halten.“

„Ich bin sicher, ständig Partys zu feiern und Groupies flachzulegen, ist ein echtes Opfer.“

„Ja, es ist schwer, mit den Groupies mitzuhalten, aber ich gebe mein Bestes.“ Er zwinkerte ihr zu, während sie an der roten Ampel warteten. „Und es ist ein gutes Ausdauertraining.“

„Sie sind einfach unglaublich.“ Sie verdrehte die Augen.

„Das höre ich öfter.“

Sie mit übertriebener Arroganz auf Abstand zu halten, war nicht gerade die feine englische Art, aber es hielt sie von seinen dunklen Seiten fern und hatte sie sogar zum Lachen gebracht.

Jetzt allerdings schnaubte sie und schüttelte den Kopf. Grant bemerkte die leichte Röte, die ihre Wangen überzog, und dass sie sich unter seinem Blick zu winden schien.

Er fuhr die Straße hinunter, die zum Ballettstudio führte. Als sie näher kamen, spürte er, wie seine Schultern sich automatisch verspannten. Es war, als würde sein Körper das Studio mit dem Druck verbinden, den er sich selber machte, und entsprechend reagieren.

„Danke fürs Mitnehmen.“ Jasmine nahm ihre Tasche und den Regenschirm aus dem Fußraum des Wagens.

„Gern geschehen.“ Er versuchte, sie nicht anzusehen, konnte aber doch nicht verhindern, einen kleinen Blick auf sie zu werfen, als sie aus dem Wagen stieg. Ihre enge Hose betonte einen wunderbar festen, wohlgeformten Po. Er schluckte.

„Bis morgen.“

Jasmine sprang förmlich vom Auto zum Studio. Ihre pinkfarbene Sporttasche schwang gegen ihre Hüfte, während ihr frecher Hintern verlockend wackelte. Grant wartete, bis sich sein Atem beruhigt hatte, bevor er vom Parkplatz fuhr.

Denk nicht einmal daran.

Ein ruhiges Studio war genau das, was Jasmine jetzt nicht gebrauchen konnte. In der Stille breiteten sich die Gedanken ungefragt in ihrem Kopf aus, und über all die Fragen nachzudenken war nicht hilfreich, wenn sie sich eigentlich auf die Arbeit konzentrieren musste. Sie stand an der Stange und ließ ihren Knöchel langsam kreisen. Sobald sie ein wenig mehr Druck ausübte oder versuchte, auf der Spitze zu stehen, protestierten die Sehnen jedoch.

Jahrelanges Dehnen hatten sie zu der perfekten Spitzenhaltung geführt, doch jetzt konnte sie sich kaum auf die Ballen stellen. Die Sehnen weigerten sich, sich so zu strecken und zu beugen, wie sie es einst getan hatten.

Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte sie sich an ein paar Übungen von früher. Doch es war nur eine ungelenke Imitation von der Eleganz, mit der sie einst getanzt hatte. Sie vermisste das Tanzen mit einer Macht, die ihr jedes Mal das Herz zerriss, wenn sie versuchte, ihre Füße in die richtige Position zu bringen. An manchen Tagen fürchtete sie, ihre Seele könnte vertrocknen und sterben, wenn sie noch länger ohne ihr geliebtes Tanzen leben musste.

Stimmen aus dem Wartebereich rissen sie aus ihren dunklen Gedanken. Sie drehte den Kopf.

Grant stand im Vorraum und sprach mit der Studiobesitzerin Elise Johnson, die Jasmines beste Freundin war. Doch selbst aus der Entfernung sah sie, dass der Blick aus seinen eisblauen Augen direkt auf sie gerichtet war. Er nickte zu etwas, das Elise sagte, ohne sie dabei auch nur für eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Mit einem Kribbeln im Bauch durchquerte sie das Studio. Je näher sie dem Warteraum kam, desto deutlich wurden ihre Stimmen.

„Wie kommt es, dass Ihre Freundin Ihnen nicht beim Üben zusieht?“ Elise plinkerte mit den Wimpern, als Jasmine den Kopf durch die Tür steckte. Sie biss sich auf die Lippe, um ein Stöhnen zu unterdrücken. Diese Frau war so dezent wie ein Vorschlaghammer.

„Keine Freundin.“ Grant schüttelte den Kopf und zwinkerte Jasmine zu.

„Eine Frau?“

„Definitiv nicht.“

„Interessant.“ Elise neigte den Kopf und lächelte Jasmine verschwörerisch zu. Dann schnappte sie sich ihren Mantel und ihre Tasche. „Tja, ich bin dann mal weg. Viel Spaß beim Training.“

Ihr Lächeln war so süß wie Zuckerguss, und Jasmine unterdrückte ein Lachen, als sie Grants panische Miene sah. Hinter seinem Rücken machte Elise das Daumen-hoch-Zeichen und strahlte übers ganze Gesicht.

Obwohl Elise selber Single war, hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, Jasmine zu verkuppeln, auch wenn diese heftig dagegen protestierte.

„Sollen wir dann mit unserer zweiten Stunde anfangen?“, fragte Jasmine und hielt Grant die Tür zum Studio auf.

„Es fühlt sich noch länger an, wenn Sie jede Stunde einzeln runterzählen“, sagte er und ging nah genug an ihr vorbei, dass sie einen Hauch von seinem Aftershave erschnuppern konnte.

„Sie wollten schnelle Resultate“, erwiderte sie und ging voraus an die Stange. Sie musste sich zu jedem Atemzug zwingen, als würde sie das Atmen vergessen, wenn sie zu lange in seiner Nähe wäre.

„Muss ich dieses alberne Ding jede Stunde tragen?“ Er zog an dem Stoff seiner Sporthose und ließ ihn gegen seinen Oberschenkel schnalzen.

„Oh, machen Sie sich Sorgen um Ihre Sittsamkeit?“ Sie hob eine Augenbraue.

„Nein, ich mache mir Sorgen um Ihre.“

Sie antwortete in ihrer professionellsten Lehrerinnenstimme. „Ich muss sehen, wie Ihre Muskeln sich bei den Übungen bewegen.“

Hitze stieg ihr in die Wangen, und sie zwang sich, ihm weiter ins Gesicht zu sehen. Sie würde den Blick nicht senken. Sie würde nicht nach unten schauen.

„Meine Muskeln? Na klar.“ Er dehnte das letzte Wort und konnte sein Lachen kaum unterdrücken.

„Ich denke, Sie sollten darüber nachdenken, den Unterricht ein wenig ernster zu nehmen, Grant. Verletzungen vorzubeugen ist nichts, worüber man sich lustig macht.“

„Gott, Sie klingen wie ein Werbespot für eine Versicherung.“

Sie spürte, wie sehr er es genoss, sie aufzuziehen. Aber da das hier ihr Unterricht war, konnte sie es ihm leicht heimzahlen.

„Warum fangen wir nicht mit ein paar Wadenübungen an?“

Er verdrehte die Augen und stöhnte, als hätte sie ihn gebeten, einhändig einen Berg zu erklimmen.

„Hören Sie auf, sich zu beschweren, Grant. Wenn es eines gibt, das Sie über Menschen wissen sollten, die Ballett studiert haben, dann, dass sie mehr Disziplin haben, als Sie sich jemals vorstellen könnten.“ Sie klang ein wenig eingebildet, ja, aber das hatte er verdient.

Er schüttelte den Kopf und lachte. „Und es gibt auch etwas, dass Sie über mich wissen sollten: Wenn ich etwas will, dann gibt es nichts auf der Welt, was mich davon abhalten kann, es zu kriegen.“

Jasmine schluckte. Sein durchdringender Blick verriet ihr, dass sie ohne Zweifel auf seiner Liste von Sachen stand, die er haben wollte. Sie musste sich in Erinnerung rufen, dass das hier rein geschäftlich war. Doch dieses Grinsen … es traf sie jedes Mal wie ein Faustschlag in den Magen.

Nein, nein, nein. Sie war keines seiner Groupies und würde es auch nicht werden.

„Sie könnten nicht alles haben, was Sie wollen. So funktioniert diese Welt nun mal nicht.“

Er schaute ihr in die Augen. „Dann sehen Sie genau hin.“

Sie spürte seinen Blick so intensiv, als würde er mit seinen Fingern über ihren Körper streichen. Sie biss sich auf die Lippe und versuchte vergebens, die nicht jugendfreien Bilder zu verdrängen, die vor ihrem inneren Auge aufstiegen.

„Da Sie ja scheinbar ein sehr entschlossener Mensch sind, wie wäre es, wenn Sie etwas von dieser Energie auf unsere Stunde richten würden?“

Nachdem Grant die Aufwärmübungen hinter sich gebracht hatte, zeigte sie ihm eine neue Übung an der Stange.

„Wir fangen mit tendu à terre in der ersten Position an. Schauen Sie zu.“ Sie streckte ihr rechtes Bein nach vorne, bis nur noch die Zehenspitzen den Boden berührten.

Grant sah genauso fehl am Platz aus, wie man es von einem Footballer in einem Ballettstudio erwarten würde, als er versuchte, es ihr nachzumachen.

Jasmine legte ihre Hände auf seine verkrampften Schultermuskeln. „Sie müssen sich von hier aus lösen, sonst bekommen Sie die Pose niemals hin.“ Sie strich mit den Händen über seine Arme und bog sie in die richtige Position. Als ihre Fingerspitzen seinen Bizeps berührten, beschleunigte sich ihr Puls. „Jetzt strecken Sie das rechte Bein vorsichtig nach vorne aus. Strecken Sie den Fuß und behalten Sie ihn auf der Erde.“

Er versuchte es, doch seine Hüfte kippte weg. Automatisch legte sie ihre Hände darauf, um sie wieder in die richtige Stellung zu bringen. Durch den dünnen Stoff seiner Hose waren seine muskulösen Oberschenkel zu sehen. Du meine Güte ….

Seinem scharfen Einatmen und den geweiteten Pupillen nach zu urteilen, schien er es auch gefühlt zu haben. Spürte er auch die Stromschläge, die durch ihren Körper fuhren, jedes Mal, wenn sie ihn berührte?

Sie trat zurück und bat ihn, die Übung noch einmal alleine durchzuführen. Mit der Fernbedienung schaltete sie die klassische Musik ein, deren Rhythmus ihm helfen sollte. Er bemühte sich, eine aufrechte Haltung beizubehalten, und Jasmine verschränkte die Hände vor ihrem Bauch, um sich zurückzuhalten, erneut korrigierend einzugreifen.

„Das sieht schon gut aus. Wenn wir es schaffen, dass die Hüfte gerade bleibt, beherrschen Sie diese Übung in null Komma nichts. Die tendu ist die Grundlage für viele andere Ballettschritte.“

Sie fing an zu quasseln. Und sie merkte selbst, dass es an dem Ansturm lustvoller Gefühle lag, der sie gerade übermannte. Oh Gott, es war viel zu lange her, dass sie mit einem Mann zusammen gewesen war. Ihre Hormone spielten verrückt – aber das hatte nichts mit ihm zu tun. Trotzdem brauchte sie eine Pause. Und zwar sofort.

„Warum trinken Sie nicht einen Schluck?“ Sie ging zu ihrer Wasserflasche, die auf der anderen Seite des Studios neben dem MP3-Player und ihrem Handy stand. „Wir machen in ein paar Minuten weiter.“

Sie hatten noch eine halbe Stunde – wie sollte sie sich so lange unter Kontrolle halten können?

„Haben Sie je daran gedacht, Profitänzerin zu werden?“ Seine Frage traf sie unvorbereitet, und automatisch verspannte sie sich.

Um Zeit zu schinden, spielte sie am MP3-Player herum. Sie versuchte zu schlucken, doch ihr Mund war mit einem Mal ganz trocken.

„Ja.“

„Und?“

Sie seufzte. Das Letzte, was sie brauchen konnte, war, von ihm bemitleidet zu werden. Oder schlimmer noch, von ihm Hilfe angeboten zu bekommen. Sie hatte ihre Probleme immer alleine gelöst.

Aber es würde ihr wohl kaum gelingen, diesem Thema für den Rest ihrer gemeinsamen Zeit aus dem Weg zu gehen. Irgendwann würde es erneut aufkommen, und sie würde vor dem gleichen Dilemma stehen: lügen oder sich bloßstellen.

„Ich war Solistin im Nationalballett.“ Sie bemühte sich, neutral zu klingen. „Ich tanze schon mein ganzes Leben lang und wollte eine Ballerina sein, seit ich acht Jahre alt war.“

„Warum haben Sie dann aufgehört?“

„Das habe ich nicht.“ Die Worte schmeckten bitter auf ihrer Zunge. Sie hätte niemals mit dem Tanzen aufgehört, wenn sie nicht dazu gezwungen gewesen wäre. „Ich bin bei einem Autounfall verletzt worden und kann meinen Knöchel und meinen Fuß nicht mehr vollständig bewegen. Deshalb kann ich nicht mehr Spitze tanzen.“

Sie wollte weitersprechen, doch die Worte erstarben in ihrer Kehle. Ihre Lippen waren staubtrocken, ihre Zunge schwer, als wenn ihr Körper sich gegen die Wahrheit sträubte. Sie konnte nicht von den konstanten Schmerzen sprechen. Dem Psychoterror. Der Scham darüber, wie es passiert war.

Darüber konnte sie mit niemandem reden – nicht einmal mit ihrer besten Freundin.

Grant schwieg. Seine dichten Brauen hatte er nachdenklich zusammengezogen. Ohne Vorwarnung streckte er seinen Arm aus und ergriff ihre Hand. Jasmine zuckte unter der unerwarteten Berührung zusammen.

3. KAPITEL

Ihre Hand wirkte winzig in seiner. Zierlich. Zerbrechlich.

Jasmine keuchte kurz auf, ihre Lippen öffneten und schlossen sich, bevor sie die Kiefer aufeinanderpresste. Sie war in ihrem Leben verletzt worden und trug das wie ein Warnschild vor sich her.

Mit gerunzelter Stirn schaute sie ihn an und entzog ihm dann ihre Hand. Er war nicht sicher, warum er sie überhaupt berührt hatte, aber irgendetwas hatte sich tief in seinem Inneren geregt. Alles an ihr war so kontrolliert – von ihrem straffen Dutt, aus dem sich kein Härchen löste, bis zu ihren perfekt gefeilten, rosa lackierten Fingernägeln. Sie hatte eine sorgfältig aufgebaute Fassade, die ihn auf Abstand hielt. Er hatte nicht vor, ihr näherzukommen. Doch in diesem Moment sah sie so aus, als könnte sie Trost gebrauchen. Ja, er tröstete sie. Das hatte nichts mit dem seltsamen Ziehen in seiner Brust zu tun.

„Es tut mir leid, das zu hören.“

„Nicht so sehr, wie es mir leidtat … Aber Sie sind hier, um an Ihrer Beweglichkeit zu arbeiten, wissen Sie noch?“ Sie wirkte gefasst, doch ihre Stimme zitterte ein wenig. Und der Glanz in ihren Augen und die Röte auf ihren Wangen verrieten ihm, dass er einen Nerv getroffen hatte. Er hatte eine Schwäche für Frauen mit Geheimnissen, und an ihrer Geschichte war weitaus mehr dran, als sie erzählen wollte. Wie gerne würde er diesem Geheimnis auf die Spur kommen. Dazu würde er jedoch einen Zeitpunkt wählen, an dem sie nicht so verletzlich war. Und dann würde er herausfinden, was ihr so viel mehr Schmerzen bereitet hatte als der gescheiterte Traum.

„Also, auf geht’s.“ Sie ging auf ihn zu und blieb ganz dicht vor ihm stehen. „Zurück an die Arbeit.“

Die Luft zwischen ihnen knisterte. Grants Herz klopfte wie wild in seiner Brust. Sie stand so nah vor ihm, dass er jeden Zentimeter zwischen ihnen fühlen konnte. Der Drang, sie an sich zu ziehen, war beinahe übermächtig.

Aber sie spielte das gleiche Spiel wie er. Testete die Grenzen. Probierte, wie weit sie gehen konnte.

Scheinbar vollkommen ungerührt kehrte sie an die Stange zurück. „Probieren wir noch einmal die tendu.“

Jasmine nahm die Anfangsposition ein und wartete, dass Grant es ihr nachtat. Sie zeigte ihm, von wo aus die Bewegung kommen sollte, zeigte die Stelle an ihrem Körper, an der Oberschenkel und Hüfte verbunden waren. Nur wenige Zentimeter von dem Ort entfernt, den er berühren wollte.

Grant schluckte. Sie schaute ihn unter ihren dichten Wimpern an, als wüsste sie nur zu genau, wie schwer es ihm fiel, sie nicht anzustarren. Verdammt, sie machte das absichtlich.

„Und nach vorne strecken.“

Er richtete den Blick auf ihr Bein und versuchte, es ihr nachzutun. Heiß pulsierte das Blut in seinen Adern.

Keiner von ihnen sprach, während er die Übung noch ein paarmal wiederholte. Sie stand nur stocksteif da und beobachtete ihn. Die Luft zwischen ihnen brannte.

Ihr Blick glitt über seinen Körper. Abschätzend oder bewundernd? Er konnte es nicht sagen. Dann trat sie einen Schritt vor und legte ihre Hände an seine Oberschenkel. „Hier müssen Sie mehr nach außen drehen, sonst belasten Sie Ihr Knie zu sehr.“

Ihre Hände waren gefährlich nah an der Stelle seines Körpers, die sich schmerzhaft nach ihrer Berührung sehnte. Er biss sich auf die Unterlippe. Auf keinen Fall könnte er in dieser engen Hose eine Erektion verbergen.

„Wenn Sie Ihre Hände dort lassen, übernehme ich keine Verantwortung für die Folgen.“ Er beugte sich ein Stück zu ihr hin, sah, wie ihr Blick zu ihm hinaufglitt. Sie befeuchtete ihre Lippen. Oh Gott, wie sehr er sie kosten wollte. Würde sie mitmachen?

„Zum Glück habe ich keine Probleme damit, Verantwortung zu übernehmen.“ Sie nahm ihre Hände weg. „Das sollten Sie auch ab und zu mal probieren.“

Verdammt.

Während des Cool Downs wahrte sie Abstand und beobachtete ihn mit der gleichen Vorsicht, mit der man einen nicht angeleinten großen Hund beobachtete. Der scharfe Schmerz in seinem Oberschenkel lenkte ihn kurz ab. Er unterdrückte ein Stöhnen und dehnte sich noch weiter, doch es reichte nicht. Es nervte ihn gewaltig, wie sehr die verdammte Verletzung sein Spiel noch immer beeinträchtigte.

„Kann ich Ihnen zur Hand gehen?“ Sie stand auf und kam zu ihm.

Er hob die Augenbrauen. „Zu einer schönen Hand sage ich …“

„Wenn Sie diesen Satz beenden, kriegen Sie gar nichts.“

Er schloss den Mund, und sie kniete sich vor ihn hin. „Legen Sie sich flach auf den Rücken und heben Sie Ihr rechtes Bein. Ich werde ein wenig dagegendrücken.“

Träumte er, oder lief sie tatsächlich ein wenig rot an, während sie sich mit ihrer Schulter gegen sein Bein stemmte und es langsam nach vorne drückte? Zu gerne hätte er ihre Nähe genossen, doch sein Muskel war so verkrampft, dass er all seine Energie darauf konzentrieren musste, ihn zu dehnen.

Ein Schauer der Angst jagte ihm über den Rücken. Was, wenn er diese Verletzung nie mehr loswürde? Wenn er die Jaguars nicht zum Sieg führen könnte? Er hatte alles auf seine Karriere gesetzt. Wenn er die verlor, hatte er nichts mehr.

Vor ihrer nächsten Stunde war Jasmine bereits im Studio, um eine Choreografie für die Ballettlehrer zu entwerfen. Grant stand im Vorraum und schaute ihr zu. Mit der Lederjacke über seinem Kapuzenshirt und der Jeans sah er verdammt sexy aus.

So sexy, dass Jasmine auf einmal den Drang verspürte, ihm eine kleine Show zu liefern. Sie streckte sich an der Stange, entschlossen, ihm ihre Beweglichkeit zu demonstrieren. Ihr Kopf wusste zwar, dass sie ihn nicht noch ermutigen sollte, aber der Gedanke, ihn ein wenig aus der Reserve zu locken, ließ ihre Haut kribbeln. In der letzten Stunde hatte er sie verwirrt. Seine Fragen, die Besorgnis in seiner Stimme, die Sanftheit seiner Berührung …

Ihr Herz klopfte heftig. Was war nur mit ihr los? Sie schüttelte den Kopf und versuchte, sich wieder zu konzentrieren. Sie ließ die Stange los, straffte die Schultern und atmete tief durch.

Als sie sah, dass Elise bei Grant stand und bereits wieder all ihren Charme aufbot, verspürte sie einen leichten Stich und ging zu ihnen.

„Hast du das gehört?“, fragte Elise aufgeregt. „Grant setzt uns auf die Liste für den Long Room für das Spiel am Freitag. Dann können wir ihn mal live spielen sehen.“

Wärme breitete sich in Jasmines Brust aus. Zugang zum Long Room – das war mehr als nur ein paar Freikarten. Es war eine sehr nette Geste, und aus irgendeinem Grund fing ihr Magen an zu flattern.

„Das ist sehr großzügig“, sagte sie.

Doch als die Aufregung verflog, wurde ihr bewusst, was diese Einladung bedeutete. Der Long Room war genau so eine geschlossene Welt wie die Kunstszene. Menschen, die einander kannten, die sich ähnlich kleideten, die dazugehörten. Sie gehörte jedoch nicht dazu.

Ihr Herz wurde schwer. „Ich muss noch mal nachschauen, ob ich Zeit habe.“

„Natürlich hast du da Zeit.“ Elise stieß sie mit dem Ellbogen an. „Wir kommen auf jeden Fall.“

Entspann dich, sagte sie sich. Es würde schon nicht so werden wie in der Kunstwelt. Football war schließlich kein sonderlich elitärer Sport. Ihr Magen zog sich zusammen. Ihr Ex hatte sie zu allen möglichen Galerieeröffnungen, VIP-Ausstellungen und exklusiven Vernissagen mitgeschleppt. Sie hatte nie dazugepasst.

„Super.“ Grant strahlte sie beide an. Sein Blick ruhte ein wenig länger als nötig auf Jasmine. „Elise hat mir Ihre Nummer gegeben. Ich werde Ihnen dann eine SMS mit den Einzelheiten schicken.“

„Toll.“ Jasmine bemühte sich, nicht sarkastisch zu klingen. Natürlich hatte Elise ihm ihre Nummer gegeben, was hatte sie anderes erwartet?

Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. Die beiden Frauen sahen ihm hinterher, als er ins Studio ging, bewunderten seinen lässigen, sinnlichen Hüftschwung.

Sobald die Tür hinter ihm zugefallen war, funkelte Jasmine ihre Freundin an. „Ich kann nicht glauben, dass du ihm meine Nummer gegeben hast.“

„Ich tue dir nur einen Gefallen, Jazz.“ Elise stemmte die Hände in die Hüften. „Er lechzt während der Stunden geradezu nach dir, und du bist zu feige, was zu unternehmen.“

„Das stimmt nicht. Er ist praktisch eine Berühmtheit. Er könnte mit einem Fingerschnippen jede haben.“

„Ja, aber er schaut dich an.“ Elise seufzte. „Du bist nur zu stur, um das zu sehen.“

„Ich bin überhaupt nicht stur.“ Aber noch während Jasmine das sagte, wusste sie, dass es gelogen war.

Und wie auf Kommando verdrehte Elise ihre Augen. „Du weißt, nicht jeder Mann ist wie Kyle. Grant ist anders. Er …“

„Hör auf.“ Jasmine schloss die Augen. „Ich will nichts mehr hören.“

Sie liebte Elise, aber das hier ging zu weit. Sie wollte von niemandem in Grants Arme gedrängt werden – vor allem nicht, wo es ihr sowieso schon so schwerfiel, sich in seiner Gegenwart unter Kontrolle zu halten. Irgendetwas an ihm zog sie an wie ein Magnet.

Doch Anziehung oder nicht, sie lebten in verschiedenen Welten. Sie hatte ihre Zeit in einer glamourösen Umgebung mit absurdem Reichtum und hartnäckigen Paparazzi gehabt und sich versprochen, nie wieder dorthin zurückzukehren.

Aber irgendetwas an Grant faszinierte sie. Sie beobachtete durch das Fenster in der Tür, wie er sich an der Stange aufwärmte. Und obwohl sie es versuchte, gelang es ihr nicht, den Blick von ihm zu lösen.

Schon immer war es die Aufregung vor dem Spiel gewesen, die Grant beim Football am meisten liebte. Dieses langsame Anschwellen der Spannung. Und vor diesem Match heute war es besonders intensiv.

Er redete sich ein, es läge daran, dass die Jaguars gegen ihre erbittertsten Rivalen spielten. Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass er seine angespannten Nerven zwei Dingen zu verdanken hatte: Jasmine und dem Kribbeln in seinem Oberschenkel. Er durfte sich davon jedoch nicht ablenken lassen. Nicht bei einem so wichtigen Spiel.

„Meine Güte, du bist aber leichtfüßig geworden, mein Freund.“ Jemand schlug ihm mit der Hand kräftig auf den Rücken. „Was machen die Pirouetten?“

Grant drehte sich um und sah seinen Teamkollegen Archer hinter sich stehen. Seine Augen funkelten.

„Na, na“, warnte der Coach.

„Ich dachte, Grant könnte seine Erfahrungen mit dem Team teilen. Es gibt doch nichts Besseres, als mit seiner femininen Seite in Kontakt zu treten, oder?“, feixte Archer.

„Halt den Mund“, erwiderte Grant.

„Ach komm, sei kein Spielverderber.“ Archer stieß Grant den Ellbogen in die Rippen. „Ich finde, rosa steht dir.“

„Du bist doch nur eifersüchtig, Arch.“ Grant merkte, dass der Frust des letzten Jahres in ihm hochkochte, und erinnerte sich an die Atemtechniken zur Beruhigung, die er gelernt hatte. Er löste seine Fäuste und stieß langsam den Atem aus. „Ich kriege Einzelstunden bei einer heißen Ballerina, und du gehst jeden Abend zurück zu deiner Alten. Ich weiß, wer ich lieber wäre.“

Dennis Porter kam zu ihnen und lachte über den Witz. „Da kann man nichts gegen sagen, was, Arch?“

Archer murmelte noch etwas, ließ Grant dann aber in Ruhe. Die aufgeregte Spannung vor dem Spiel erfüllte die Umkleidekabine mit knisternder Energie.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, wollte Den wissen.

„Klar. Mir gehen nur ein paar Dinge durch den Kopf.“ Grant zuckte mit den Schultern.

„Die haben besser mit dem Spiel zu tun“, schaltete sich der Coach ein. „Diese Saison ist deine Chance, Grant. Die Gelegenheit, alles wiedergutzumachen.“

„Er klingt wie ein verdammter Prediger“, murmelte Grant, als der Coach außer Hörweite war. „Und er hat das Gedächtnis eines Elefanten.“

„Vielleicht hättest du daran denken sollen, bevor du den Club in dein Privatleben mit hineinzogen hast.“ Archers Stimme klang eisig. „Du hast uns die Saison gekostet.“

Grant hatte das Feiern aufgeben, den Alkohol, sogar die Groupies. Aber es reichte nicht. Für Jedermann war er allein schuld an ihrem Scheitern. Er erinnerte sich noch an das letzte Telefonat mit seinem Vater, kurz nachdem die Geschichte publik geworden war. „Jetzt bist du ein Deserteur und ein Alkoholiker. Du bist nicht mehr mein Sohn.“

Der Coach riss ihn aus seinen Gedanken. „Vergiss nicht, dass du mir versprochen hast, diese Saison zu gewinnen, Farley.“

„Werde ich nicht.“

„Dieses Mal lässt du dich besser nicht ablenken.“ Sein Blick bohrte sich in Grants. „Ich habe es mir zur Regel gemacht, keine dritten Chancen zu geben.“

Botschaft angekommen.

Jasmine und Elise waren rechtzeitig am Melbourne Cricket Ground, um ihre Tickets abzuholen. Die Winterluft drang kalt durch Jasmines Mantel und Stiefel, und der feine Nieselregen benetzte ihren bloßen Hals. Sie erschauerte und drängte sich enger an Elise, während sie sich einen Weg durch die Menge zum abgesperrten VIP-Bereich suchten.

Bald hatten sie den Long Room mit seinen bodentiefen Fenstern gefunden. Es war, als beträten sie eine andere Welt. Weit entfernt von den Menschenmassen mit ihren bunten Fahnen. Weit weg von dem lauten Jubel, den Würstchen und dem Schalgeschwenke. Weit weg von dem „echten“ Footballerlebnis.

Hier trugen die Männer maßgeschneiderte Anzüge und die Frauen Designerkleider und Handtaschen, die mehr als ein Monatseinkommen kosteten. Der Klang von Luftküssen und perlendem Gelächter erhob sich über die leise gemurmelte Unterhaltung.

Elise schaute sich wie verzaubert um. Jasmine zog ihren Mantel aus und hängte ihn sich über den Arm. Dann strich sie mit der freien Hand das smaragdfarbene Kleid glatt, das sie zu blickdichten schwarzen Strumpfhosen und Stiefeln trug. Sie hatte sich heute ein Dutzend Mal umgezogen, obwohl sie wusste, dass sie Grant nach dem Spiel vermutlich nicht treffen würde. Trotzdem hatte sie unzählige verschiedene Kombinationen anprobiert, bis sie sich schließlich doch für die erste entschieden hatte. In letzter Sekunde hatte sie sich eine lange Kette aus Onyxperlen um den Hals geschlungen und so das schlichte Baumwollkleid ein wenig aufgepeppt.

Hier wirkte sie noch mehr fehl am Platz als in der Menge draußen. Elise liebte es, sich unter die Reichen zu mischen, aber Jasmine hasste es. Hier wurde so viel Wohlstand zur Schau gestellt, während sie Mühe hatte, ihre Miete zusammenzukratzen. Neben diesen eleganten Schwänen in ihren Seidenkleidern und nadeldünnen High Heels fühlte sie sich altbacken und kindlich.

Schlimmer noch, es war genau wie in der Kunstwelt. Nur dass es dort weniger falsche Brüste gab.

Damals war sie die Begleitung eines wohlhabenden Mannes gewesen, dem Sohn eines Finanziers, der glaubte, sie dank des Reichtums seiner Familie zu besitzen. Es hatte böse geendet … sehr böse. Bei dem Gedanken drehte sich ihr Magen um.

„Champagner, Miss?“ Ein Kellner hielt ihr ein silbernes Tablett hin, auf dem das kostbare Getränk in zarten Gläsern leise perlte.

„Nein, danke.“

„Ich schon.“ Elise griff nach einem Glas und lächelte.

Der Kellner verschwand in der Menge, und Elise und Jasmine suchten sich einen Platz an den großen Fensterscheiben, die aufs Stadium hinausgingen.

„Ich dachte, inzwischen könntest du wieder Alkohol trinken.“ Elise nippte an ihre...

Autor

Amy Andrews
<p>Amy war ein Kind, das immer eine Geschichte im Kopf hat. Ihr Lieblingsfach war English und sie liebte es Geschichten zu schreiben. Sollte sie einen Aufsatz mit nur 100 Worten schreiben – schrieb Amy 1.000 Worte. Anstatt nur eine Seite bei dem Thema „ Beschreibt auf einer Seite eure Sommerferien“...
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