Komm doch mit mir nach Panama

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Sie könnten nicht unterschiedlicher sein: Destiny - die junge Ärztin, aufgewachsen im Urwald Panamas - und Callum, der knallharte Unternehmer. Als sie ihm in London ihre geerbte Fabrik verkaufen will, verlieben sie sich ineinander. Sind sie füreinander bestimmt? Oder wird es nur eine kurze Episode ihres Lebens?


  • Erscheinungstag 30.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757823
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Der grauhaarige Mann wirkte hilflos und verwirrt. Destiny Felt betrachtete ihn nachdenklich über die Köpfe ihrer fünfzehn Schüler hinweg, die an diesem Morgen zum Unterricht erschienen waren. Der Fremde blickte sich um und sah immer wieder kopfschüttelnd auf das Blatt Papier in seiner Hand. Er schwitzte und fühlte sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut.

Kein Wunder, dachte sie. Er war ja auch viel zu warm angezogen. Warum, zum Teufel, trug er eine viel zu dicke Hose und ein Hemd mit langen Ärmeln? Wenigstens war er so vernünftig gewesen und hatte sich einen breitkrempigen Hut aufgesetzt. Sonst hätte er womöglich noch einen Sonnenstich bekommen!

Was hatte ihn nach Panama geführt? Sie bekamen so gut wie nie Besuch. Die Einzigen, die sich hierher verirrten, waren Touristen, und dieser Mann war bestimmt keiner.

Ihr Vater würde nicht gerade erfreut sein. Er hasste Störungen aller Art. Sie beobachtete, wie der Fremde das Papier in seine Aktentasche steckte. Dann klopfte er zögernd an die Tür des Sekretariats und trat gleich darauf ein. Verdammt! Was sollte sie tun? Ihre Klasse allein lassen und ihren Vater im Forschungslabor benachrichtigen? Nein, das kam nicht infrage. Er erfuhr es noch früh genug. Auf der Station arbeiteten nur fünfzehn Lehrer und Wissenschaftler, und ein Geheimnis zu bewahren war so gut wie unmöglich. Die Ankunft des Fremden hatte sich bestimmt schon wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Energisch wandte sie sich wieder den Kindern zu.

Der alte Deckenventilator verschaffte nur wenig Kühlung, und Destiny sehnte das Ende der Stunde herbei. Als sie dann endlich ihre Schüler nach Hause schicken konnte, hatte sie nur einen Wunsch: Sie wollte schnell unter die Dusche und sich umziehen.

Leider hatte sie die Rechnung ohne ihren Vater gemacht. Sie war gerade auf dem Weg zu den Quartieren, als sie ihn fragen hörte: „Destiny! Wo bist du?“

Verdammt! Das war wieder typisch! Sie hatte einmal wieder den Schwarzen Peter gezogen und musste sich um den Fremden kümmern. Seufzend blieb sie stehen und wartete, bis ihr Vater und der Besucher sie eingeholt hatten.

„Destiny … Der Herr hier möchte mit dir sprechen.“

Der grauhaarige Mann reichte ihr die Hand. Sie schüttelte sie und betrachtete ihn dabei näher. Er war gute fünfzehn Zentimeter kleiner als sie, was sie nicht überraschte. Sie maß ein Meter achtzig, und es gab nur fünf Mitarbeiter auf der Station, die größer waren als sie. Einer davon war ihr Vater.

„Mein Name ist Derek Wilson. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

„Wollen wir nicht Spanisch sprechen?“, fragte Destiny höflich in der Landessprache.

„Nein, Darling, das möchte Mr. Wilson nicht.“ Ihr Vater schüttelte den Kopf und blickte sie vorwurfsvoll über den Rand seiner Brille hinweg an. „Er kommt aus England und ist hier, um Spanisch zu lernen.“ Er wandte sich wieder dem Fremden zu. „Ich muss mich für meine Tochter entschuldigen. Sie brauchen allerdings keine Angst zu haben. Wenn sie will, kann sie auch ganz nett sein.“ Er lächelte, und es war ihm deutlich anzumerken, wie sehr er Destiny liebte.

Derek Wilson betrachtete sie fasziniert und erschrocken zugleich. Und beinahe hätte sie gelacht. Diese Reaktion war sie gewohnt. Sie sah umwerfend aus, hatte aber eine spitze Zunge, was die meisten Männer erschreckte. Sie hatte nicht vor, den Fremden mit Samthandschuhen anzufassen. „Was wollen Sie von mir?“

Ihr Vater drohte ihr gespielt ernst. „Benimm dich, Destiny.“

Es dauerte einen Moment, bis Mr. Wilson sich gefasst hatte. „Sie waren sehr schwer zu finden, Miss Felt.“

Ihr Vater schien sich plötzlich an seine Gastgeberpflichten zu erinnern. „Wollen wir das nicht woanders besprechen? Vielleicht möchten Sie etwas trinken? Sie sind bestimmt erschöpft. Der Weg hierher ist sicher nicht gerade ein Spaziergang gewesen.“

Der Fremde nickte. „Das können Sie laut sagen. Ein kaltes Mineralwasser wäre jetzt genau das Richtige.“

Sie gingen den langen Gang entlang und vorbei an den Kindern, die gerade ihre wenigen Habseligkeiten packten. Destiny spürte, wie sie sie neugierig beobachteten, und sie schenkte ihnen ein Lächeln. Sie liebte ihre Schüler, denn sie waren mit ihrer kaffeebraunen Haut und den dunklen Haaren etwas ganz Besonderes.

Ganz im Gegensatz zu ihr, Destiny. Sie hatte eine lange blonde Mähne, grüne Augen, und sie war eine Weiße. Diese Kombination war im tiefsten Panama schon fast eine kleine Sensation.

„Wie Sie sicher schon erraten haben, ist das hier unsere Schule“, sagte Destinys Vater und zeigte seinem Gast eins der Klassenzimmer.

Es geschahen noch Zeichen und Wunder! Destiny konnte es kaum glauben. Normalerweise überließ ihr Vater es ihr, die neuen Ärzte oder Lehrer herumzuführen. Eigentlich war es die Aufgabe ihrer Mutter gewesen, doch diese war vor fünf Jahren gestorben. Sie hatte den Verlust immer noch nicht verwunden und wusste, dass es ihrem Vater genauso erging.

„Vielleicht haben Sie das Gebäude neben der Schule bemerkt, Mr. Wilson. Dort befinden sich die medizinischen Einrichtungen. Leider sind sie sehr bescheiden. Wir würden gern mehr für die einheimische Bevölkerung tun, aber uns fehlen einfach die Mittel. Sponsoren sind heutzutage schwer zu finden.“

Die leidigen Finanzen! Das Lieblingsthema ihres Vaters. Er war ein engagierter Wissenschaftler und wundervoller Arzt, der für seine Patienten lebte. Es war ihm ein Rätsel, wieso nicht alle Menschen so dachten wie er. Geld sollte bei der Erforschung von Krankheiten nun wirklich keine Rolle spielen!

Inzwischen hatten sie den kleinen Raum erreicht, der als Büro diente. Mr. Wilson setzte sich erleichtert und schloss kurz die Augen. Destinys Vater ging zu dem kleinen, altersschwachen Kühlschrank, nahm eine Flasche Mineralwasser heraus und schenkte seinem Gast ein Glas voll ein. Dankbar trank der Fremde einen großen Schluck und öffnete dann den Hemdkragen.

Der arme Mann! dachte Destiny mitleidig. Er hatte den weiten Weg von England nach Panama gemacht, nur um mit ihr zu reden. Wahrscheinlich wartete zu Hause schon ungeduldig seine Familie darauf, dass er endlich seinen Auftrag …

Moment! Plötzlich verspürte sie ein ungutes Gefühl. Was wollte er von ihr? Hatte er eine Nachricht für sie? Wenn ja, von wem? Schnell nahm sie dem Fremden gegenüber Platz, gespannt darauf, was er zu berichten hatte.

Ihr Vater reichte ihr ein Glas Fruchtsaft, und sie betrachtete ihn nachdenklich. Er wusste mehr als sie. Das spürte sie. Er war nervös und versuchte, es zu verbergen. Sie hatte ihn durchschaut, denn sie kannte ihn viel zu gut. Was ging hier vor?

Derek Wilson straffte sich und wandte sich ihr zu. „Sie haben es sehr schön hier, Miss Felt.“

Warum konnte er nicht endlich zum Punkt kommen! „Stimmt.“

„Ich finde es sehr mutig von Ihnen, am Ende der Welt zu leben.“

Sie blickte ihren Vater an, doch dieser sah aus dem Fenster und war ihr keine Hilfe. Verdammt! Hatten sich alle gegen sie verschworen? „Das hat mit Mut nichts zu tun, Mr. Wilson. Panama ist ein wunderschönes Land. Wenn Sie mit offenen Augen durch die Gegend gehen, können Sie jeden Tag etwas Neues und Aufregendes entdecken. Die Menschen hier sind freundlich und dankbar für jede Hilfe. Sie brauchen also keine Angst zu haben. Niemand wird Sie entführen oder in kleine Stücke hacken und verspeisen.“

„So habe ich es nicht gemeint.“

Sie hatte plötzlich keine Lust mehr, um den heißen Brei herumzureden, und fragte ungeduldig: „Weshalb sind Sie hier?“

„Ich habe etwas für Sie.“ Er nahm die Aktentasche, öffnete sie und zog einige eng beschriebene Seiten heraus, die er Destiny reichte. „Wissen Sie, wer Abraham Felt war?“

Sie überlegte einen Moment. „Ja, der Name sagt mir etwas. Dad?“ Hilfe suchend blickte sie zu ihrem Vater.

Dieser betrachtete seine Tochter mit zusammengekniffenen Augen. Schließlich nickte er. „Das ist mein Bruder gewesen. Dein Onkel.“ Er atmete tief durch. „Er … Nein, es ist besser, wenn es dir jemand anders erklärt.“

„Was ist los?“ Sie runzelte die Stirn und wandte sich wieder Derek Wilson zu.

„Abraham Felt ist vor sechs Monaten gestorben und hat ein Testament hinterlassen. Sie, Miss Felt, sind die Alleinerbin.“

„Oh! Ist das alles? Warum haben Sie mir nicht geschrieben? Die Post braucht zwar lange, aber sie kommt an.“

„Sie verstehen nicht, worum es hier geht.“ Der Besucher lachte leise. „Es handelt sich nicht um einige, sondern um Millionen Pfund.“

Die Überraschung war ihm gelungen. Einige Sekunden lang hörte man nur das Schreien der Papageien und das leise Rauschen des sich ganz in der Nähe der Station befindenden Flusses. Dann hatte Destiny sich wieder gefasst. „Wollen Sie uns auf den Arm nehmen, Mr. Wilson?“

„Ganz im Gegenteil. Ich bin Anwalt. Für Scherze werde ich nicht bezahlt.“

Er meinte es tatsächlich ernst! Es war nicht zu glauben. Sie lachte, doch ihre Stimme bebte.

Derek Wilson schloss die Aktentasche und stellte sie wieder auf den Boden. Dann zog er ein Taschentuch hervor und fuhr sich damit übers Gesicht. „Wir sprechen hier von Aktien, einem Anwesen auf dem Land und einer großen, kostbaren Gemäldesammlung. Hauptsächlich aber geht es um das Lebenswerk Ihres Onkels. Er hat eine eigene Firma besessen, die Felt Pharmaceuticals. Dieser Konzern hat Filialen in sechs europäischen Ländern und beschäftigt mehrere tausend Mitarbeiter. Ich habe die genauen Zahlen dabei, wenn Sie sie wissen wollen. Nur leider ist das Unternehmen jetzt in großen Schwierigkeiten. Es liegt ein Kaufangebot vor, und das wird sehr wahrscheinlich viele Arbeitsplätze kosten. Da Sie Alleinerbin sind, kann ohne Sie nichts entschieden werden. Sie werden gebraucht, Miss Felt.“

„Ich habe von geschäftlichen Dingen keine Ahnung.“

„Ihr Vater hat mir verraten, dass Sie ein Wunderkind gewesen sind. Sie lernen es sicher schnell.“

Das wurde ja immer schöner! „Wie konntest du nur!“ Sie funkelte ihren Vater wütend an.

„Du bist eins gewesen, Darling, und das weißt du genau. Nicht einmal im Internat konnten sie dir noch etwas beibringen. Ich finde, es ist Zeit für dich, endlich einmal in die große, weite Welt hinauszukommen. Breite deine Flügel aus und fliege! Du hast lange genug …“

„Nein!“

„Hör zu, Destiny!“, ihr Vater ließ keinen Protest zu, „fahr nach England, und finde heraus, was eigentlich los ist. Du musst sowieso dorthin, wenn du dein Erbe antreten willst.“

„Ich will aber nicht! Was soll ich mit dem Geld? Ich möchte hier bleiben, Dad.“ Plötzlich war es unerträglich heiß in dem kleinen Raum. Sie sprang auf und stellte sich unter den Deckenventilator. Der Luftzug brachte nur wenig Kühlung, und Destiny wünschte nichts sehnlicher als eine Dusche. Warum verschwand dieser Anwalt nicht endlich und ließ sie in Ruhe?

„Wenn es dir in England nicht gefällt, kannst du jederzeit zurückkommen, Darling.“ Ihr Vater war unerbittlich. „Hier ist dein Zuhause, und das wird es immer sein. Hab keine Angst. Es wird eine neue Erfahrung für dich sein, ein ganz anderes Leben. Was haben wir dich gelehrt? Du darfst vor dem Unbekannten nicht zurückschrecken, denn es ist eine Herausforderung und keine Bedrohung.“

Derek Wilson schien zu merken, dass sie schwach wurde, und er nutzte das erbarmungslos aus. „Denken Sie an die Forschungsarbeit Ihres Vaters, Miss Felt. Wenn Sie im Aufsichtsrat einer der führenden Pharmakonzerne sitzen, können Sie Ihren Vater optimal unterstützen. Es ist die Chance. Ich weiß, dass er an einem Heilmittel für Tropenkrankheiten arbeitet. Wenn er keine finanziellen Probleme mehr hat, kann er sich ganz dieser anspruchsvollen Aufgabe widmen. In England könnten Sie viel mehr für die einheimische Bevölkerung tun als hier in Panama.“ Er lächelte siegesgewiss. „Kommen Sie mit, Miss Felt. Machen Sie es für Ihren Vater …“

Damit hatte er sie in die Falle gelockt, und genau das war von Anfang an der Plan dieses gerissenen Anwalts gewesen. Zum Teufel mit Derek Wilson!

Inzwischen war eine Woche vergangen, und Destiny saß jetzt in einem Flugzeug mit Kurs auf die Hauptstadt. Sie war zwei Tage mit dem Boot flussabwärts gefahren, bis sie endlich die nächste Stadt erreicht hatte. Auf dem kleinen Flughafen hatte sie dann einen Tag auf die Maschine nach Panama City warten müssen. Warum bloß habe ich mich darauf eingelassen? fragte sie sich verzagt, als sie aus dem Fenster blickte und die Landschaft unter ihr vorbeizog. War es richtig gewesen, oder hatte sie einen unverzeihlichen Fehler begangen?

Sie hatte bis jetzt immer am Rand der Zivilisation gelebt. Ihre Eltern hatten nie Wert auf Dinge gelegt, die in einem normalen Haushalt zu finden waren. Natürlich wusste sie, was ein CD-Spieler oder eine Mikrowelle waren – aber nur aus Zeitschriften, die die Mitarbeiter hin und wieder mitbrachten. Wenn sie es genau überlegte, hatte sie eigentlich keine Ahnung vom Leben im einundzwanzigsten Jahrhundert.

Vor acht Jahren war sie mit ihren Eltern in den tiefsten Regenwald Panamas gezogen. Als sie klein gewesen war, hatte ihre Mutter sie unterrichtet. Danach war sie ein Jahr auf ein Internat in Mexiko gegangen, wo es ihr überhaupt nicht gefallen hatte. Sie war nach Panama zurückgekehrt, hatte ein Fernstudium an der Universität der Hauptstadt begonnen und in Rekordzeit von nur drei Jahren ihren Doktortitel gemacht.

Der Gedanke daran, in einer lauten und hektischen Großstadt wohnen zu müssen, war erschreckend. Allerdings waren es nicht nur der Lärm und die vielen Menschen, die ihr Angst machten. Destiny hasste es, sich verstellen zu müssen. Sie wollte kein Make-up tragen oder sich so kleiden, wie es der neueste Modetrend gerade vorschrieb. Was hatte ihr London schon zu bieten? Interessante Läden? Ja und? Sie war nicht der Typ für lange Einkaufsbummel. Außerdem wusste sie schon genau, dass sie keine Freunde finden würde. Sie hatte es oft genug im Internat erlebt: Die Mädchen waren neidisch auf ihr gutes Aussehen gewesen, und die Jungen hatten nur eins im Sinn gehabt: sie ins Bett zu bekommen.

Außerdem wartete in England eine Aufgabe auf sie, die sie nicht bewältigen konnte. Wie, zum Teufel, sollte sie einen ganzen Konzern leiten? Sie hatte keine Ahnung von der Geschäftswelt. Man erwartete von ihr, dass sie mit Leuten sprach, die sie noch nie gesehen hatte – und das alles nur, weil sie Alleinerbin eines Mannes war, den sie nicht einmal kannte.

Als sie in Heathrow Airport das Flugzeug verließ und den riesigen Terminal betrat, bebte sie am ganzen Körper. Es war alles so neu, laut und unbegreiflich. Ihr ganzes Leben war plötzlich auf den Kopf gestellt. Am liebsten wäre sie mit der nächsten Maschine wieder nach Hause geflogen, doch das kam nicht infrage.

Derek Wilson empfing sie am Ausgang. „Herzlich willkommen, Miss Felt.“ Er nahm ihr die beiden Koffer ab und führte sie aus dem großen Gebäude. „Mein Fahrer steht schon bereit, um uns nach Knightsbridge zu fahren. Sie werden im Haus Ihres verstorbenen Onkels wohnen. Konnten Sie die Berichte durchsehen, die ich Ihnen dagelassen hatte?“ Er sah sie forschend an. „Sie scheinen müde zu sein. Wir sprechen später darüber. Ruhen Sie sich erst einmal aus. Ich habe die Vorräte aufstocken lassen, Sie brauchen sich also nur zu bedienen. Richten Sie sich erst einmal häuslich ein. Morgen ist auch noch ein Tag.“

„Wo wollen denn die ganzen Leute hin?“ Destiny blieb stehen und betrachtete die vielen Taxis, die großen Busse und die hin und her eilenden Menschen. Sie fühlte sich in ihrem knallbunten Sommerkleid und mit den beiden schäbigen Koffern völlig fehl am Platze. Sie schloss kurz die Augen und atmete dann tief durch.

„Von Heathrow aus kann man in die ganze Welt fliegen.“ Der Anwalt nahm ihren Arm und führte sie zu einer großen Limousine. „Ein Rat noch, meine Liebe, Sie müssen unbedingt vorher einen Streifzug durch die Boutiquen machen. So können Sie nicht im Büro erscheinen.“

„Wieso nicht? Was ist an meinen Sachen auszusetzen?“

„Nichts. Sie stehen Ihnen gut, aber sie passen nicht in …“

Sie sah ihn fragend an.

Derek Wilson hielt ihr die Wagentür auf und setzte sich dann neben Destiny. „… in die Aufsichtsratssitzung, an der Sie morgen Nachmittag teilnehmen werden.“

Sie glaubte, sich verhört zu haben. „Was? Ich soll … Nein, das können Sie mir nicht antun!“ Sie beherrschte vier Sprachen und verstand mehr von angewandter Medizin als so mancher Arzt – und dennoch geriet sie in Panik, wenn sie nur an dieses Treffen dachte! Sie war dem nicht gewachsen! Mit sechsundzwanzig Jahren war sie viel zu jung für solch eine große Verantwortung. Von ihrer Entscheidung hingen Arbeitsplätze ab …

„Na ja, Aufsichtsratssitzung ist vielleicht zu viel gesagt …“ Der Anwalt lächelte. „Die Herren möchten Sie einfach nur kennenlernen.“

„Können Sie nicht hingehen? Nein, ich habe einen besseren Vorschlag. Sagen Sie einfach, dass ich krank sei.“ Ganz ruhig bleiben, dachte sie, schloss die Augen und zählte langsam bis zehn. Wehmütig dachte sie daran, wie sie zu Hause in Panama Frauen in den Wehen beigestanden und gegen Malaria gekämpft hatte … Jetzt kam es ihr vor wie das Paradies auf Erden!

Derek Wilson schüttelte den Kopf. „Nein, Miss Felt, so einfach ist es nicht. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Natürlich möchten die Aufsichtsräte wissen, wer jetzt an der Spitze des Unternehmens steht. Immerhin geht es ja auch um ihre Zukunft. Außerdem …“ Er verstummte unvermittelt.

Wieso hatte sie plötzlich das Gefühl, als käme da noch etwas? Hatte der Mann ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt?

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Der Anwalt räusperte sich. „Ich sollte vielleicht noch die andere Person erwähnen …“

„Von wem sprechen Sie?“

„Ich bin sicher, Sie werden ihn unter Kontrolle halten können.“

Das klang nicht so, als wäre er davon überzeugt! „Wieso? Ist diese Person etwa gewalttätig?“, fragte Destiny neugierig.

Derek Wilson lachte leise. „Nein. Jedenfalls nicht so, wie Sie denken. Sie brauchen keine Angst zu haben, meine Liebe. Sein Name ist Callum Ross. Er ist in den Geschäftsberichten erwähnt.“

„Es tut mir leid, ich habe sie nicht gelesen. Ich bin im Flugzeug eingeschlafen.“

„Wie soll ich ihn beschreiben? Er hat in der Welt der Hochfinanz beinahe einen legendären Ruf und innerhalb kurzer Zeit ein Imperium aufgebaut.“ Er seufzte und fuhr sich durchs Haar. „Der Mann ist eine Größe, mit der Sie rechnen müssen, Destiny. Ich darf Sie doch so nennen, oder?“

Sie nickte schweigend.

„Gut. Ich heiße Derek. Aber jetzt wieder zu Callum Ross. Es gibt Menschen, die ihn als rücksichtslos und kalt bezeichnen. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, geht er über Leichen, um sein Ziel zu erreichen.“

„Das kommt mir bekannt vor.“

„Wirklich? Woher denn?“

Sie lachte spöttisch. „Von den Panthern im Regenwald. Sie sind auch nur auf Beute aus und genießen es, zu töten.“

Der Anwalt lächelte nicht einmal, sondern nickte nur ernst. „Das ist ein guter Vergleich. Auf jeden Fall ist dieser Mann schon seit einiger Zeit hinter dem Unternehmen Ihres Onkels her. Beinahe hätte er es auch geschafft – so wird jedenfalls in London gemunkelt. Der Vertrag soll schon aufgesetzt gewesen sein, es fehlte nur noch die Unterschrift von Abraham Felt. Leider hat dieser es vorgezogen, vorher zu sterben. Pech für Mr. Ross! Er ist übrigens mit … ja, wie soll ich sie nennen … Ihrer Stiefcousine verlobt.“

„Ich habe eine Cousine?“ Endlich einmal eine erfreuliche Nachricht!

„Nicht ganz. Ihr Onkel war vier Mal verheiratet. Stephanie ist die Tochter seiner letzten Frau und stammt aus ihrer früheren Ehe. Sie wurde bei der Hochzeit eine Felt und besitzt genau wie die Aufsichtsräte Aktien des Unternehmens. Die Mehrheit aber haben Sie, Destiny. Callum Ross will Ihre Firma übernehmen, das sollten Sie sich immer vor Augen halten. Er besaß sie schon beinahe, aber sie ist ihm wieder aus den Fingern geglitten. Ein Mann wie er kennt das Wort ‚Niederlage‘ nicht. Er wird versuchen, Ihnen das Leben schwer zu machen.“

Destiny seufzte leise. „Das verstehe ich alles nicht.“ Hätte Derek ihr vorher von den Schwierigkeiten berichtet, wäre sie nie gekommen! Verdammt sollte er sein! Er hatte es genau gewusst und sie deshalb im Unklaren gelassen. Tränen traten ihr in die Augen, und sie blickte schnell aus dem Fenster. In diesem Moment hielten sie vor einem großen schmiedeeisernen Tor, und ein Wachmann kam auf sie zu. Der Anwalt sagte etwas, der Uniformierte nickte, und die Türen öffneten sich gleich darauf wie von Geisterhand. „All diese Leute … Ich möchte nur …“

„Nach Hause?“

Sie nickte schweigend und sah wieder hinaus. Der Chauffeur fuhr die Auffahrt entlang, und Destiny entdeckte einige elegante, in einem Halbkreis angeordnete Häuser. Sie waren alle weiß, hatten schwarze Türen, drei Stockwerke und einen gepflegten Vorgarten. Die Wagen, die auf den eingezeichneten Parkplätzen standen, waren groß und offensichtlich teuer gewesen – genau wie die Limousine, in der sie saß.

„Das können Sie nicht“, antwortete Derek. „Jedenfalls noch nicht. Zuerst müssen die Firmenangelegenheiten geordnet werden. Danach steht es Ihnen frei, wieder nach Panama zurückzukehren.“

„Warum verkaufe ich das Unternehmen nicht einfach an Callum Ross? Das wäre doch die beste Lösung, oder?“

„Wenn Sie das tun, Destiny, wird dieser Mann den Konzern zerschlagen und die lukrativsten Sparten verkaufen. Denken Sie immer daran, es geht ihm nur um Profit. Deshalb würde er auch nie die Arbeit Ihres Vater unterstützen.“

„Das braucht er auch nicht. Mit dem Geld, das ich dann verdient habe, kann ich seine Forschungen sehr lange finanzieren.“

Der Anwalt schüttelte bedauernd den Kopf. „Man merkt, dass Sie die Geschäftsberichte nicht gelesen haben, meine Liebe. Zuerst müssen die Schulden beglichen werden. Außerdem sind die Labore bei Felt Pharmaceuticals für die Forschungen Ihres Vaters von unschätzbarem Wert. Wollen Sie das alles wirklich aus der Hand geben? Denken Sie doch nur daran, was Sie hier erreichen könnten.“ Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Doch jetzt genug davon. Sie werden den Mann schon früh genug treffen.“ In diesem Moment hielt der Wagen, und der Anwalt zeigte auf eins der schmucken Reihenhäuser. „Sehen Sie! Dort werden Sie wohnen. Vielleicht haben Sie schon bemerkt, dass es keine Nummer dreizehn gibt. Wir Engländer sind nun einmal abergläubisch!“ Er stieg aus und öffnete dann Destiny die Wagentür. Galant bot er ihr den Arm und führte sie die drei Treppenstufen hinauf zur schwarzen Tür mit der weißen Aufschrift „12“.

Staunend betrat Destiny die große, ganz in Marmor gehaltene Eingangshalle.

„Soll ich Sie herumführen?“ Der Anwalt blickte sie fragend an.

Erst jetzt fiel ihr wieder ein, was der Mann eben gesagt hatte. „Wann werde ich Callum Ross treffen, Mr. Wilson?“

„Sagen Sie doch bitte Derek. Na ja … morgen schon.“

Das durfte nicht wahr sein! „Nimmt er etwa auch an der Aufsichtsratssitzung teil?“

„Nein. Ich habe morgen Vormittag einen Termin mit ihm vereinbart. Vorher kommen Sie in meine Kanzlei, sodass wir alles noch einmal durchsprechen können. Es ist immer besser, in die Offensive zu gehen. Lerne deinen Feind kennen, und finde seine Schwachstellen heraus!“

Autor

Cathy Williams
<p>Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...
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