Kühler Charme und heiße Küsse

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James Dalgleish traut seinen Augen kaum, als die bezaubernde Debora eines Tages in sein malerisches Heimatdorf in Schottland zieht. Die Leidenschaft, die sie ausstrahlt, zieht ihn sofort an. Doch selbst nach heißen Küssen bleibt sie tief unterkühlt ...


  • Erscheinungstag 19.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747374
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Du siehst müde aus, James. Du arbeitest viel zu viel. Wenn du so weitermachst, wirst du noch enden wie einer von diesen … diesen …“ Ungeduldig suchte Maria Dalgleish nach dem richtigen Wort.

Um James’ Mundwinkel zuckte es. „Workaholics?“, schlug er amüsiert vor.

„Ja, mach dich nur lustig über deine arme alte Mutter. Du weißt genau, wie sehr ich dich liebe, und das nutzt du schamlos aus.“

James lächelte seiner Mutter liebevoll zu und streckte die langen Beine von sich. In einer Hand schwenkte er genießerisch ein Whiskyglas.

Perfekt, dachte er zufrieden, als er durch die großen, hohen Fenster über das wunderschöne Anwesen blickte. Um diese Tageszeit zeigte sich das wilde Schottland in seiner ganzen Pracht. Die untergehende Sonne tauchte alles in ein warmes, bernsteinfarbenes Licht und ließ die Landschaft in sämtlichen Grün- und Gelbschattierungen aufleuchten. Wie eine unbezwingbare Wächterin erhob sich am Horizont eine Bergkette, deren schroffe Gipfel in den Himmel ragten.

Doch leider hatten alle perfekten Dinge die Eigenschaft, dass man sie nur in Maßen genießen konnte. Es ist wie mit den Frauen, ging es James durch den Kopf. Früher oder später stellte sich Überdruss ein, und dann kamen Langeweile und Ruhelosigkeit auf.

„Hörst du mir überhaupt zu, James Dalgleish?“

James wandte träge den Kopf. „Ich bin ganz Ohr, Mum.“ Er trank einen Schluck Whisky und betrachtete die noch immer schöne Frau, die kerzengerade in ihrem Lieblingssessel am Kamin saß.

Obwohl Maria Dalgleish sich selbst gern als alte Frau bezeichnete, hatte sie noch nichts von ihrer jugendlichen Ausstrahlung verloren. Ihr leidenschaftliches italienisches Blut war auch nach vierzig Jahren Leben in den Highlands noch deutlich spürbar, und sie besaß eine Vitalität, wie James sie bisher noch an keiner anderen Frau erlebt hatte.

Vielleicht bin ich ja ein Muttersöhnchen, ging es ihm flüchtig durch den Kopf. Immerhin war er schon sechsunddreißig und noch immer nicht verheiratet. Im Geiste sah er sich bereits als wunderlichen alten Kauz ganz allein in diesem riesigen Gemäuer hausen. Ein wunderlicher, aber weiser alter Kauz, sagte sich James. Weise genug jedenfalls, um aus Erfahrung zu wissen, dass Frauen sich vom Geld angezogen fühlten wie die Motten vom Licht. Und lieber wollte er gar keine Frau haben als eine von ihnen. Zum Glück hatte er eine optimale Lösung für dieses Dilemma gefunden: unverbindliche Affären von zweckmäßig kurzer Dauer.

„Wie lange wirst du diesmal bleiben, James?“, riss Maria ihn aus seinen Gedanken. „Trevor will mit dir über die anstehenden Dachreparaturen reden, und außerdem findet demnächst unser alljährliches Sommerfest statt. Nein“, fügte sie energisch hinzu, als sie seinen abwehrenden Gesichtsausdruck bemerkte, „es hat gar keinen Zweck, zu versuchen, dich da herauszuwinden.“

„Habe ich irgendetwas gesagt, Mum?“

„Das brauchst du nicht. Ich sehe dir auch so an, was du denkst.“

„Ich dachte, ich bleibe eine Woche. Dann muss ich nach New York fliegen.“

„New York!“ Maria schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Diese ewige Hin- und Herfliegerei ist nicht gut für dich. Schließlich bist du kein junger Mann mehr.“

„Ich weiß, Mum.“ James schüttelte den Kopf und machte ein gespielt zerknirschtes Gesicht. „Ich werde jede Minute älter und brauche dringend eine Frau, die mir einen Haufen Kinder schenkt und auf mich aufpasst.“

Nur zu gern hätte Maria das Stichwort aufgegriffen und sich auf ihr Lieblingsthema gestürzt. Doch es war schon spät, und sie kannte ihren Sohn. Er war ein hoffnungsloser Dickkopf, und wenn er in dieser Stimmung war, würde er sich nur auf seine entwaffnend charmante Art über sie lustig machen.

„Na schön“, lenkte sie ein. Ihr Tonfall ließ jedoch erkennen, dass das Thema für sie noch lange nicht erledigt war. „Übrigens, die Campbells haben uns für morgen zum Abendessen eingeladen. Lucy ist aus Edinburgh gekommen.“

„Ach, du meine Güte!“

„Es wird sehr nett werden. Außerdem freuen sich alle immer so, dich zu sehen, wenn du hier bist.“

„Mum, ich komme hierher, um mich zu entspannen, und nicht, um hektisch von einer Einladung zur nächsten zu stürzen.“

„In diesem Teil der Welt ist überhaupt nichts hektisch, James. Und wie willst du jemals ein nettes Mädchen kennenlernen, wenn du dich weigerst, unter Menschen zu gehen?“

„Das tue ich in London zur Genüge.“

„Aber dort triffst du die falsche Sorte Mädchen“, beharrte Maria und ignorierte das ungeduldige Aufblitzen in den Augen ihres Sohnes.

„Bitte, Mum, lass uns das Thema wechseln. An diesem Punkt sind wir einfach zu unterschiedlicher Meinung.“

„Wie du willst, James. Es ist ja auch schon spät. Obwohl …“ Maria machte eine bedeutungsvolle Pause.

„Obwohl?“

„Nun, da gibt es noch etwas, das dich sicher interessieren wird …“

James warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Es ist jetzt Viertel vor zehn, Mum. Eindeutig zu spät für komplizierte Ratespiele.“

„Es ist jemand ins Pfarrhaus eingezogen.“

„Was?“ James fuhr in seinem Sessel hoch und sah seine Mutter ungläubig an. Seine gelöste Feierabendstimmung war wie weggeblasen, und sein Gesicht nahm einen harten Ausdruck an, den seine Mutter nur selten bei ihm sah.

„Jemand ist ins Pfarrhaus eingezogen“, wiederholte Maria und zupfte sich einige unsichtbare Flusen vom Rock.

„Wer?“

„Genau genommen weiß das keiner so genau …“

James sprang auf und begann, das Zimmer mit ausgreifenden Schritten zu durchqueren. „Warum, zum Teufel, hat Macintosh mich nicht informiert, dass das Haus verkauft worden ist?“ Sein Zorn über die Unfähigkeit des Anwalts war ihm deutlich anzusehen.

Schon seit drei Jahren war James hinter dem ehemaligen Pfarrhaus her. Er hatte all seine Überredungskünste mobilisiert, um den alten Freddie davon zu überzeugen, dass das Haus für ihn allein zu groß sei. Als das nichts half, hatte er ihm ein Kaufangebot gemacht, das weit über dem Üblichen lag, doch Freddie hatte nur gelacht, ihm noch einen Whisky eingeschenkt und sich auf nichts festlegen lassen.

James hatte vor, Dalgleish Manor in ein Luxushotel umzuwandeln. Seine Mutter sollte ins Pfarrhaus ziehen und von dort aus die Aufsicht übernehmen. Unmittelbar neben dem Herrenhaus gelegen, war es für diesen Zweck wie geschaffen.

„Das Haus ist nicht verkauft“, versuchte Maria zu James durchzudringen, doch er hörte ihr gar nicht zu.

„Als hätte ich diesem Macintosh nicht immer wieder eingeschärft, dass ich nach Freddies Tod das Haus kaufen will. Verdammt, den werde ich morgen früh …“ Er verstummte und blickte grimmig aus dem Fenster. Nicht ein einziges Mal war es ihm in den Sinn gekommen, dass er das Pfarrhaus nicht bekommen würde. Schließlich war er der ideale Käufer. Er besaß das nötige Geld, und von einem Luxushotel am Ort würde auch die Gemeinde wirtschaftlich profitieren.

Vor allem aber hatte James dabei die Zukunft seiner Mutter im Auge. Sie wirkte zwar bedeutend jünger, als sie war, und ihr Gesicht besaß noch immer die klaren, klassischen Konturen des Models, das sie einst gewesen war. Aber sie war jetzt fünfundsechzig, und James wollte nicht, dass die Verantwortung für ein Anwesen von der Größe von Dalgleish Manor weiterhin auf ihren Schultern lastete. In dem gemütlichen Pfarrhaus würde sie sich bedeutend wohler fühlen. Von dort aus könnte sie ein Auge auf alles haben, ohne sich gleichzeitig mit der Verwaltung des riesigen Besitzes herumschlagen zu müssen.

Der Gedanke, dass jemand in letzter Minute seine Pläne durchkreuzt hatte, war einfach unerträglich. Er fuhr herum und sah seine Mutter an.

„Wer hat das Haus gekauft? Bestimmt irgendeiner von diesen Spekulanten, der eine überteuerte Pension daraus machen und …“

„Du hörst mir nicht zu, James.“

„Natürlich höre ich zu. Ich tue nichts anderes, seit du mir diese Hiobsbotschaft …“

„Das Haus ist nicht verkauft!“

James machte ein entgeistertes Gesicht. „Nicht verkauft? Aber hast du nicht eben gesagt …“ Ihm fiel ein Stein vom Herzen. „Wenn es nur darum geht, dass jemand Interesse hat, mache ich mir keine Sorgen.“ Er zuckte die Schultern und schob die Hände in die Hosentaschen. Dabei rutschte der Bund etwas tiefer und ließ einen schmalen Streifen seines flachen, durchtrainierten Bauches sehen. „Wenn ich will, kann ich jeden Konkurrenten aus dem Feld schlagen“, erklärte er selbstbewusst.

„Dazu wird es keine Gelegenheit geben“, teilte Maria ihm nüchtern mit. „Freddie hat das Haus einer Verwandten vererbt.“

Was hat er getan?“

„Er hat das Haus einer Verwandten vererbt. Wir waren alle genauso überrascht wie du.“

„Aber ich dachte, er hätte keine lebenden Verwandten mehr.“

„Das kannst du ja der Frau erzählen, die vor drei Tagen dort eingezogen ist.“

„Eine Frau?

Was könnte eine Frau veranlassen, sich im hintersten Winkel von Schottland zu verkriechen? überlegte James. Seine Mutter gehörte zu den wenigen Frauen, die je von außerhalb hierher gekommen waren, und er wusste aus ihren Erzählungen, dass sie mit den schlimmsten Befürchtungen hier angekommen war. Doch dann hatte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung in die rauen Highlands verliebt, und mit den Jahren war sie zu einer der Säulen der eng verbundenen Gemeinde geworden.

„Valerie Ross hat den Umzugswagen vor dem Pfarrhaus vorfahren sehen“, fuhr Maria fort, „und gestern hat der alte Graeme ihr erzählt, dass eine Frau eingezogen sei. Aber mehr wusste er auch nicht.“

„Eine Frau“, wiederholte James nachdenklich. „Dann ist sie entweder eine frustrierte alte Jungfer, die darauf hofft, hier eine Lebensaufgabe zu finden, oder sie ist vor irgendetwas auf der Flucht.“

„So ein Unsinn.“ Maria betrachtete ihren Sohn mit einer Mischung aus Spott und liebevoller Nachsicht. „Und was willst du tun? Sie davon überzeugen, dass es in ihrem ureigenen Interesse liegt, dir das Haus zu verkaufen?“

„Warum nicht?“ Erst jetzt wurde James klar, wie sehr ihm dieses Projekt am Herzen lag. Sicher, er besaß ein erfolgreiches Investmentunternehmen, mit dem er ein Vermögen verdiente. Er jettete um die ganze Welt und genoss durchaus die Privilegien, die seine einflussreiche Position ihm verschaffte. Dennoch fehlte ihm etwas. Etwas, das nicht nur seinen Ehrgeiz, sondern auch seine Seele befriedigte.

Als ihm die Idee mit dem Hotel gekommen war, hatte er sofort gewusst: Das ist es! Er würde Schritt für Schritt miterleben, wie „sein Baby“ wuchs und gedieh. Und gleichzeitig könnte er das beruhigende Wissen genießen, das Beste für die Zukunft seiner Mutter getan zu haben.

Aber ohne das Pfarrhaus würde das alles nicht möglich sein.

Eine Frau.

James wusste, dass er am Ende bekommen würde, was er wollte. Eine Frau war etwas anderes als der sturköpfige Freddie oder einer von diesen rücksichtslosen Spekulanten. Mit einer Frau würde er spielend fertig werden. Selbstverständlich würde er fair und großzügig sein. Sehr großzügig sogar, wenn es sein musste.

„Ich glaube“, schloss er seine Überlegungen ab und rieb sich gedankenvoll das Kinn, „ich werde unserer neuen Nachbarin morgen früh einen kleinen Besuch abstatten.“

„Du wirst sie doch hoffentlich nicht unter Druck setzen, etwas zu tun, was sie nicht will“, ermahnte seine Mutter ihn streng.

„Aber Mum!“, protestierte James und lächelte sie unschuldig an. „Könnte ich je so etwas tun?“

Um zehn Uhr morgens am nächsten Tag fuhr James die lang gestreckte Auffahrt hinunter und atmete in tiefen Zügen die frische, saubere Sommerluft ein, die durch die geöffneten Wagenfenster hereinströmte. Es duftete nach Gras, Blumen und den nahe gelegenen Seen. Als er die Straße erreichte, bog er rechts ab und fuhr in gemächlichem Tempo die kurze Strecke zum Pfarrhaus.

Debora hörte den Wagen, bevor sie ihn sah. Kein Wunder, dachte sie gereizt. Bei der nervtötenden Stille hier ist ja jedes Geräusch meilenweit zu hören.

Vor etwa sechs Wochen hatte sie von einem ihr unbekannten Anwalt einen Brief erhalten. Darin teilte er ihr mit, dass ihr Onkel Fred, den sie nie persönlich kennengelernt hatte, gestorben war und ihr sein Haus in den schottischen Highlands vermacht hatte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich an einem absoluten seelischen Tiefpunkt befunden und bereits mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt, das hektische, nervenaufreibende Leben, das sie in London führte, einfach hinter sich zu lassen. Also hatte sie beschlossen, den Brief als Wink des Schicksals zu betrachten und ihr schickes Apartment in Fulham gegen ein idyllisches Haus auf dem Lande einzutauschen.

Nun war sie seit drei Tagen hier und musste sich zähneknirschend eingestehen, dass sie ihrer langen Liste von Problemen lediglich ein weiteres hinzugefügt hatte.

Durch das Küchenfenster blickte sie auf die in der Sonne flimmernde Landschaft und hielt nach dem Auto Ausschau, das sich unaufhaltsam ihrem Haus näherte.

Dabei hatte sie sich alles so schön ausgemalt. Die gesunde Landluft würde Simons angegriffener Gesundheit gut tun, und endlich würde sie genug Zeit für ihn haben. Sie würde in kleinen, urigen Läden einkaufen und dabei nett mit den Dorfbewohnern plaudern. Jeder würde ihren Namen kennen und sie freundlich begrüßen, wo immer sie hinkam.

In dem lärmenden, anonymen London war die Vorstellung ihr wie eine wahre Wohltat erschienen, doch jetzt …

Sie hasste es hier!

Nichts als Vogelgezwitscher, hin und wieder das Muhen einer Kuh und Grün, Grün, Grün, so weit das Auge reichte. Sie fühlte sich hier wie eine Außerirdische und hatte es bisher fast zwanghaft vermieden, ins Dorf zu fahren.

Natürlich war ihr klar gewesen, dass sie mit ihrer Aufschiebetaktik nur erreichen würde, dass früher oder später das Dorf zu ihr kam. Und wie es aussah, näherte sich gerade Nummer eins in einem blauen Fahrzeug.

Als der Wagen auf den Hof einbog, zog Debora sich rasch vom Fenster zurück. Sie seufzte und warf einen kurzen Blick in den gemütlichen Raum neben der Küche. Simon spielte friedlich mit seinen Bauklötzchen und summte dabei fröhlich vor sich hin.

Widerstrebend ging sie zur Küchentür, die direkt auf den Hof führte, und trat hinaus.

Sie wusste, dass sie unmöglich aussah.

In London war sie stets perfekt gestylt gewesen. Ein absolutes Muss in der harten, von Männern dominierten Welt, in der sie sich bewegt hatte. Elegante Hochsteckfrisur, tadelloses Make-up und teure Designerkostüme in unauffälligen Farben. Schick und modisch, aber auf keinen Fall aufgedonnert. In der City erkannte man die Erfolgreichen an ihrem coolen Understatement.

Hier jedoch hatte sich ihr gepflegtes Äußeres innerhalb weniger Tage in Wohlgefallen aufgelöst. Sie war ungeschminkt und trug ausgeblichene Jeans, ein dunkelgrünes T-Shirt und bequeme, flache Schuhe. Das lange rote Haar hatte sie sich zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr fast bis zur Taille reichte. Wie üblich hatten sich einige rebellische Locken daraus gelöst. Nicht besonders elegant, aber praktisch.

Die Sonne blendete sie, so konnte sie lediglich erkennen, dass es sich bei dem Fahrer des Wagens um einen Mann handelte. Er hielt an und schaltete den Motor aus. Debora schirmte die Augen mit der Hand ab und beobachtete, wie er die Fahrertür öffnete und schwungvoll aus dem Wagen stieg.

In ihren grünen Augen blitzte es überrascht auf, denn ihr Besucher entsprach in keiner Weise ihrer Vorstellung von einem typischen Schotten.

Er war groß. Sehr groß sogar und sehr dunkel. Seine gebräunte Haut schimmerte olivfarben, und er hatte volles schwarzes Haar, das sich im Nacken lockte. Er wirkte eher wie ein Südeuropäer, und alles an ihm – von der Körperhaltung bis zu den markanten Gesichtszügen – verriet Energie, Selbstbewusstsein und Souveränität.

Debora versteifte sich unwillkürlich und spürte ein Gefühl von Verachtung in sich aufsteigen. Sie hatte unzählige Geschäftsessen mit Typen wie ihm hinter sich gebracht. Männern, die in erster Linie in sich selbst verliebt waren. Die sich arrogant und rücksichtslos über alles hinwegsetzten, was ihren Zielen im Wege stand. Ein einziges Mal hatte sie den unverzeihlichen Fehler begangen, sich mit einem von ihnen einzulassen. Und nun sah man ja, wohin es sie gebracht hatte.

„Ja?“, rief sie ihm zu, ohne sich von der Stelle zu rühren. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

Der Mann schlug die Autotür zu und kam lässig auf sie zugeschlendert. „Schwierige Frage“, erwiderte er gedehnt.

Er muss mindestens einsneunzig sein, dachte Debora und ärgerte sich über ihre plötzliche Nervosität. Sie selbst war einsfünfundsiebzig ohne Schuhe und daran gewöhnt, auf die meisten Männer hinabschauen zu müssen, um Blickkontakt zu halten.

Aber das war es nicht allein. Von diesem Mann ging irgendetwas Beunruhigendes aus. War es die Art, wie er sich bewegte? Oder lag es an seinen Augen? Jetzt, da er näher kam, sah sie, dass sie dunkelblau waren. Und es lag ein Ausdruck in ihnen, den sie nicht deuten konnte. Plötzlich beschlich sie ein beklommenes Gefühl angesichts der isolierten Lage des Hauses.

„Wer sind Sie, und was wollen Sie?“, fragte sie schroff.

Auch James hatte mit seiner Überraschung zu kämpfen, denn seine neue Nachbarin hatte absolut keine Ähnlichkeit mit der verschrobenen alten Jungfer, die er erwartet hatte. Gleich darauf stellte er fest, dass sie ziemlich nervös war.

Was, zum Teufel, machte eine Frau wie sie hier draußen?

Und warum verhielt sie sich so abweisend?

Sollte sie ihn nicht vielmehr begeistert hereinbitten und ihm einen Tee anbieten? Schließlich war es ausgesprochen nett von ihm, vorbeizukommen, um sie in ihrer neuen Umgebung willkommen zu heißen, oder?

„Sie sind also unser Neuzugang“, begrüßte James sie betont locker, als er schließlich vor ihr stand. „Ich muss sagen, Sie haben sich den schönsten Monat ausgesucht. Im Juni ist das Wetter hier immer fantastisch.“

Seine blauen Augen ließen sie nicht los.

Debora empfand seine Musterung als unerwünschtes Eindringen in ihre Privatsphäre.

„Ich glaube, Sie haben vergessen, mir Ihren Namen zu nennen“, sagte sie eisig.

„Sie ebenfalls“, erwiderte er trocken und fügte lächelnd hinzu: „Ich bin James Dalgleish.“ Er streckte ihr die Hand entgegen, und Debora spürte den Druck seiner langen, kräftigen Finger.

„Debora King.“ So schnell es die Höflichkeit erlaubte, entzog sie ihm wieder ihre Hand.

„Sie sind also Freddies Nichte?“

„Sie sagen es.“

„Komisch, er hat nie irgendwelche Verwandten erwähnt.“ James lächelte sie herausfordernd an.

Debora stieg vor Ärger das Blut ins Gesicht. Hielt dieser Kerl sie etwa für eine Erbschleicherin? Und musste sie daraus schließen, dass alle anderen hier ebenfalls dieser Meinung waren? Vermutlich kursierten schon wilde Gerüchte über die ominöse Frau im Pfarrhaus, die noch niemand zu Gesicht bekommen hatte.

Sie musste verrückt gewesen sein, an diesen gottverlassenen Ort zu kommen!

„Mummy?“, rief eine helle Kinderstimme aus dem Haus.

„Mein Sohn“, erklärte sie steif.

„Sie sind verheiratet?“

„Nein.“

Simons Schritte näherten sich.

„Hören Sie, ich habe ziemlich viel zu tun und …“

„Das kann ich mir vorstellen“, unterbrach James sie ungerührt. „So ein Umzug macht immer eine Heidenarbeit, nicht wahr?“ Er beobachtete, wie sie ihre schlanke Hand hob und sich einige rote Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. „Wissen Sie was?“, schlug er vor. „Sie setzen sich hin und ruhen sich ein bisschen aus, während ich Ihnen einen Kaffee koche.“

„Ich …“

„Ich habe Durst, Mum. Und du hast dir überhaupt noch nicht meine Garage angesehen.“

„Das ist Simon“, sagte Debora, als ihr fünfjähriger Sohn neben ihr erschien und mit großen Augen zu dem fremden Besucher aufsah. „Simon, wie oft muss ich dir noch sagen, dass du deine Hausschuhe anbehalten sollst? Du wirst dich nur wieder erkälten.“

Statt zu antworten, steckte Simon den Daumen in den Mund und fuhr fort, James neugierig zu mustern.

„Barfuß laufen ist viel schöner, stimmt’s?“, meinte James und ging in die Hocke, um mit dem Kleinen auf Augenhöhe zu sein.

Eigentlich war er nur gekommen, um in Erfahrung zu bringen, ob Freddies Erbin tatsächlich vorhatte, das Pfarrhaus auf Dauer zu bewohnen, und auf welche Summe er sich einstellen musste, um sie auszuzahlen. Und nun ertappte er sich dabei, dass er den Grund seines Kommens zurückhielt und stattdessen versuchte, mehr über die rothaarige Frau und ihr Kind herauszufinden.

„Hmhm“, stimmte Simon zu, ohne den Daumen aus dem Mund zu nehmen.

„Du hast eine Garage gebaut? Meinst du, ich könnte da auch meine Autos parken?“

„Haben Sie Kinder, Mr. Dalgleish?“

James blickte kurz zu ihr auf. „Nein.“

Komisch, dass mich das nicht wundert, dachte Debora. Noch immer spürte sie Bitterkeit, wenn sie an Simons Vater dachte.

„Was ist jetzt mit dem Kaffee?“ James stand auf und sah ihr ruhig in die Augen. Offenbar war er nicht gewillt, sich so einfach abwimmeln zu lassen.

Verärgert spürte Debora, wie ihr unter seinem Blick heiß wurde. Reiß dich zusammen, befahl sie sich. Und hör vor allem auf, dich so kratzbürstig zu benehmen. Irgendwann musst du dich ja doch mit den Leuten hier bekannt machen.

„Kommen Sie herein“, sagte sie endlich und rang sich ein Lächeln ab.

Mit größter Selbstverständlichkeit folgte James ihr in die Küche.

Natürlich kennt er sich hier aus, dachte Debora. In einem Kaff wie diesem kennt bestimmt jeder jeden. Obwohl er sich für etwas Besseres zu halten scheint. Wahrscheinlich ist er Rechtsanwalt, oder er leitet die Bank hier am Ort und fühlt sich allen anderen überlegen.

Als sie Simon ein Glas Saft einschenkte, fiel ihr Blick auf seine dünnen Beinchen in den weiten Shorts. Zumindest habe ich das Richtige für seine Gesundheit getan, sagte sie sich. Immerhin ein Trost, auch wenn sie ihre Entscheidung, hierher zu kommen, ansonsten zutiefst bereute.

„Soll ich dir ein Video einlegen, Simes? Wie wär’s mit König der Löwen?“

Simon machte ein enttäuschtes Gesicht. „Kannst du nicht lieber mit mir spielen?“

Debora strich ihm lächelnd übers Haar. „Jetzt nicht, Schatz. Aber wenn ich einen Kaffee mit Mr. Dalgleish getrunken habe, können wir rausgehen und ein bisschen im Garten arbeiten, okay?“

Sofort hellte sich Simons Miene auf. „Ich habe Samen“, teilte er James mit wichtiger Miene mit. „Ich will nämlich Gemüse anbauen.“

„Wirklich?“ James kannte sich nicht gut mit Kindern aus, aber dieser Junge war so ernst. Und so dünn! Er sah aus, als könnte ihn ein kräftiger schottischer Windstoß mühelos umblasen. „Und welche Sorte?“

„Bohnen.“

„Gebackene Bohnen?“ James zwinkerte ihm zu, und zum ersten Mal lächelte der Kleine.

„Mit Pommes und Würstchen“, ergänzte Simon kichernd.

Debora spürte ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend und warf James einen kühlen Blick zu. „Komm jetzt, Simes, lass uns ein Video aussuchen.“ Entschlossen nahm sie ihren Sohn bei der Hand und ging mit ihm hinaus.

Als sie in die Küche zurückkam, stand der Kaffee schon auf dem Tisch. James saß mit dem Rücken zu ihr am Küchentisch und blickte durch die geöffneten Flügeltüren, die auf den Garten hinausführten.

Merkwürdig. Die ganze Zeit über war ihr das Haus deprimierend leer und verlassen vorgekommen. Doch jetzt schien dieser Fremde es ganz mit seiner Präsenz auszufüllen.

Einerseits ärgerte sie sich darüber, andererseits lenkte es sie zum ersten Mal von sich und ihren Problemen ab.

„Es wäre wirklich nicht nötig gewesen, Kaffee zu machen.“

James drehte sich langsam zu ihr um, und ihre Blicke begegneten sich. Er hat wunderschöne Augen, ging es ihr unwillkürlich durch den Kopf. Sie waren mitternachtsblau und von dichten schwarzen Wimpern umrahmt. Und sie beunruhigten sie mehr, als ihr lieb war.

„Kein Problem. Es ist nicht der erste Kaffee, den ich in dieser Küche koche.“

„Sie haben meinen Onkel gekannt?“ Debora setzte sich James gegenüber an den Tisch und umfasste ihren Becher mit beiden Händen.

„Jeder hier kannte Freddie. Er war so eine Art Dorforiginal, aber das wissen Sie sicher selbst. Oder nicht?“

„Sind Sie deswegen hergekommen, Mr. Dalgleish? Um herauszufinden, wer ich bin und was ich hier tue?“

„Ich heiße James. Und Sie haben recht – genau deswegen bin ich gekommen. Also? Was tun Sie hier?“

Autor

Cathy Williams
<p>Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...
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