Liebe ist mehr als ein Wort, Dr. Whitworth

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"Heirate mich", schlägt Cal vor. Zwei Worte, ganz praktisch gedacht. Aber er macht es sich zu leicht, findet Blythe. Natürlich wäre eine Zukunft mit dem Landarzt wunderschön: Gemeinsam könnten sie die Lebensretter des Outback werden! Aber doch nicht ohne Liebe …


  • Erscheinungstag 15.07.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717933
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Blythe wusste genau, was er dachte. Immer wieder sah er sie verstohlen von der Seite an, bevor er leise fragte: „Bist du wirklich Lileths Schwester?“

„Sehe ich aus wie ihre Schwester?“, gab sie bissig zurück und deutete auf die zierliche dunkelhaarige Braut, die mit ihrem Bräutigam und dem Bischof in einem winzigen Raum in der Kapelle saß. Weil dort niemand sonst Platz fand, mussten Blythe als Brautjungfer und der ihr unbekannte Trauzeuge vor der Tür warten.

Es war unglaublich heiß, und die prüfenden Blicke des Mannes machten sie nervös. Dummerweise hatte sie ihn mit ihrer Bemerkung geradezu herausgefordert, sie so genau zu mustern.

Aufmerksam glitt sein Blick über ihren Körper und blieb an ihrem Dekolleté und an ihren Kurven hängen, die der anschmiegsame Stoff betonte.

„Eigentlich nicht“, antwortete er schließlich gedehnt.

Blythe verdrehte die Augen. Hatte ihm die Hitze so zugesetzt?

Sie war groß, blond und steckte in einem Brautjungfernkleid, das eigentlich für ihre deutlich zierlichere Stiefschwester genäht worden war. Wie konnte er da nicht merken, dass er die falsche Partnerin hatte?

Vorsichtig, um ihr Kleid nicht zu sprengen, rückte sie in den schmalen Streifen Schatten, den die Wand in der Mittagshitze spendete. Auf dem hellen Satinstoff wären Schweißflecken ein Desaster.

Warum dauerte es nur so lange, ein paar Dokumente zu unterschreiben?

„Du bist blond.“

„Blitzmerker!“, murmelte Blythe ironisch.

„Wohl eher das Gegenteil“, bemerkte der Trauzeuge verständnisvoll. „Ich bin überrascht, dass ich überhaupt hier stehe. Als ich gestern Abend ankam, wurde ich gleich zu Marks Junggesellenabschied entführt. Er konnte zeitig zu Bett gehen, aber ich musste bleiben. Und die paar Stunden Schlaf haben nicht wirklich geholfen.“

Er rieb sich die Stirn. So bedauernswert der hochgewachsene Mann wirkte, Blythes Sympathie hielt sich in Grenzen.

„Selbst schuld!“

Wütend blitzte er sie an. Jeder andere wäre bei diesem Blick wahrscheinlich geflüchtet, aber sie ignorierte ihn einfach. Seine Augen waren atemberaubend. Grau mit einem dunkleren Ring um die Iris.

„Ich habe keinen Kater“, widersprach er grimmig, „sondern bin nur müde.“

Blythe ignorierte seinen Protest. Aufmerksam musterte sie ihn. Sein schwarzes Haar war extrem kurz geschnitten – wahrscheinlich extra für die große Feier.

„Die Trauzeugen bitte.“

Der Bischof bat sie herein, damit sie unterschreiben konnten. Blythe versuchte, auf dem Dokument einen Blick auf den Namen ihres Begleiters zu erhaschen. Callum Whitworth. Du meine Güte! Er war einer von ihnen. Ein Viehbaron!

Mit ihrer Unterschrift war es offiziell.

Lileths Großvater hatte keine Kosten gescheut und sogar ein Streichquartett einfliegen lassen. Das stimmte sogleich den triumphalen Hochzeitsmarsch an, als der Bischof das Brautpaar zurück in die Kirche und den Mittelgang hinunterführte. Die beiden Trauzeugen folgten mit einigem Abstand.

„Ich finde, Triumph ist an dieser Stelle etwas übertrieben“, raunte Blythes Partner ihr zu. „Wer hat denn hier schon gewonnen?“

„Die wahre Liebe natürlich!“, zischte Blythe ironisch zurück. „Ich dachte, ihr Naturburschen wärt noch echte Romantiker!“

„Gebranntes Kind scheut das Feuer.“

Dutzende Kameras blitzten auf, und es regnete Rosenblätter auf die strahlende Braut. Freunde und Verwandte drängten sich um das Brautpaar und schoben Blythe und ihren Begleiter unsanft zur Seite.

„Also, wer bist du?“, fragte er beiläufig.

„Lileths Stiefschwester. Eigentlich war ich für die Hochzeitsfeier gar nicht eingeplant, weil ich die falsche Kleidergröße habe. Aber da Mary-Lynne Mumps bekam, bin ich sozusagen der Ersatz in letzter Minute.“

Plötzlich kam Blythe ein Gedanke.

„Du bist ein Whitworth, also wusstest du, dass ich nicht Mary-Lynne bin!“

Schelmisch lächelte er sie er. Dadurch wirkte er unglaublich attraktiv – einfach umwerfend.

„Wir haben die Mädchen seit ihrer Kindheit kaum gesehen“, sagte er. „Ich glaube, die Familie hat sich etwas von ihnen distanziert, als ihr Vater die Mädchen nach dem Tod ihrer Mutter allein aufziehen wollte. Ohne die Erzieherinnen und Bediensteten, die mein Großvater gern angestellt hätte.“

„Und als er dann meine Mutter geheiratet hat, sind sie noch tiefer in Ungnade gefallen.“ Blythes zynischer Tonfall konnte leicht mit seinem mithalten.

„Welche ist deine Mutter?“ Er drehte sich zu den Frauen um, die die Braut umschwärmten.

„Die Frau mit dem Heiligenschein.“

Cal warf ihr einen scharfen Blick zu, und sie bereute ihre flapsige Antwort.

„So war das nicht gemeint“, versicherte Blythe schnell. „Meine Mutter ist die freundlichste und liebste Frau, die man sich vorstellen kann. Und sie hat ihre Familie immer hingebungsvoll umsorgt!“

„Du klingst nicht gerade glücklich darüber, sie zur Mutter zu haben“, bemerkte Cal.

Blythe lächelte ihn verschmitzt an.

„Es ist leider sehr schwer, Nein zu sagen, wenn sie dich um einen Gefallen bittet. Schau mich an. Ich sollte vor zwei Wochen nach Großbritannien fliegen. Aber weil Lileth sich Hals über Kopf verliebt hat und heiraten wollte, musste ich meinen Abflug verschieben und die Stelle aufgeben, die ich dort antreten wollte. Dann hat ihr Großvater darauf bestanden, dass sie auf dem Familienanwesen heiratet. Also muss ich ans Ende der Welt fliegen, was ich mir kaum leisten kann. Und was passiert kurz nach meiner Ankunft? Mary-Lynne wird krank. Mum schaut mich an, und nach einem knappen ‚Bitte, Blythe‘, werde ich für die Hochzeit in ein Kleid gequetscht, das zwei Nummern zu klein ist.“

„Warum musstest du für den Flug bezahlen?“

„Es ist nicht gerade ein Katzensprung von Brisbane ins Northern Territory. Dir ist das vielleicht nicht so bewusst, aber dieser Ort liegt ziemlich abgelegen. Ich musste erst nach Darwin fliegen und dann weiter nach …“

„Aber mein Großvater hat alle Hochzeitsgäste eingeflogen“, unterbrach er sie. „Aus Brisbane und aus Sydney.“

„Nun ja …“ Verlegen wich Blythe seinem Blick aus. Wie sollte sie ihm erklären, dass sie von diesem Mann, mit dem sie nicht verwandt war, nichts annehmen wollte? Nicht einmal ihre Mutter hatte das verstanden.

„Scheint, als würden wir gebraucht.“ Cal nahm ihren Arm und begleitete sie zum Brautpaar. „Die Fotos fürs Erinnerungsalbum.“

Sie posierten für verschiedene Gruppenbilder. Anschließend wurden sie in einen Golfbuggy verfrachtet und folgten dem Fotografen und dem Brautpaar.

„Hochzeitsfotos an der Lagune sind hier auf Mount Spec Tradition“, bemerkte Blythes Gefährte spöttisch.

„Du hast dort auch schon welche gemacht, oder?“

„Genau!“

„Das klingst nicht, als hätte dir die Ehe viel Freude gebracht.“

Sein bitteres Lachen bestätigte ihre Vermutung.

„Mein Bruder hat mehr Glück gehabt“, sagte er nur. In diesem Moment erreichten sie das schattige Ufer der Lagune. Auf dem Wasser blühten die Blumen, denen Lileth ihren Namen verdankte – Wasserlilien.

„Wunderschön“, musste Blythe zugeben.

„Werd jetzt nicht rührselig“, beschwerte sich Cal. „Dein Sarkasmus hat die ganze Feier erst erträglich gemacht, weil ich mich ständig frage, wen du als Nächstes aufs Korn nimmst! Wenn du jetzt wie alle Frauen sentimental wirst, kann ich mich auch gleich hier ertränken. Dann habe ich es hinter mir.“

Blythe holte tief Luft, richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Ich bin aber eine Frau“, schnaubte sie.

Ratsch!

Sie hätte nicht so tief Luft holen dürfen. Oder überhaupt atmen.

„Oh Sch…“

Ein Finger auf ihren Lippen verhinderte, dass sie das Wort aussprach.

„Doch nicht vor dem Bischof.“ Cals graue Augen blitzten amüsiert.

Schnell presste Blythe den Arm gegen die aufreißende Naht und sah sich panisch um.

„Der Bischof ist nicht hier, und das ist nicht lustig!“ Sie schaute Cal finster an. „Verdammt, was mache ich denn jetzt?“

Krampfhaft hielt sie das Oberteil ihres trägerlosen Kleides fest und versuchte den Riss zu verbergen, als Lileth auf sie zusteuerte.

„Was hast du jetzt wieder angestellt?“

Wie immer hatte ihre jüngere Schwester eine Antenne dafür, wo es Probleme gab. Sogar an ihrem Hochzeitstag.

„Das Kleid ist geplatzt!“, gestand Blythe. „Ich habe Mum gleich prophezeit, dass das passiert.“

Lileth sah erleichtert aus. Dann zählte sie auf, welche Katastrophen Blythe bereits verursacht hatte, einschließlich Mary-Lynnes Mumps und Blythes falscher Kleidergröße.

„Eigentlich ist es nicht so schlimm“, sagte sie schließlich. „Dann machen wir eben mehr Fotos von uns. Wenn Mary-Lynne dabei wäre … Und Callum ist ja auch nur Trauzeuge, weil er mit Mark arbeitet …“

Blythe sah zu ihrem Begleiter. Der Kommentar seiner Cousine ließ ihn scheinbar völlig kalt. Er zwinkerte Blythe sogar belustigt zu.

„Ihr Whitworths seid wirklich ein lustiges Völkchen“, bemerkte sie, nachdem Lileth zu ihrem Bräutigam und dem Fotografen zurückgekehrt war.

„Sei froh, dass es so ist. Bist du im Hauptgebäude oder in einem der Bungalows? Da wir nicht weiter gebraucht werden, fahren wir zurück, und du kannst dich umziehen.“

Zweifellos ein vernünftiger Vorschlag, aber ihr Blick sagte Cal, dass die Sache komplizierter war.

„Noch mehr Probleme?“

„Dafür kann ich aber nichts“, antwortete sie gereizt. „Genauso wenig wie für Mary-Lynnes Krankheit. Auch wenn das alle anders sehen!“

Cal musste lachen. „Was bist du? Ein Pechvogel?“

Blythe nickte niedergeschlagen. „Ich bin sogar eine wandelnde Katastrophe. Es war schon so schlimm, dass ich mich nicht mehr getraut habe, auf Risse im Straßenpflaster zu treten, und um schwarze Katzen mache ich grundsätzlich einen großen Bogen.“

Cal sah sie ungläubig an. Das musste ein Witz sein. Aber Blythes Gesichtsausdruck sagte etwas anderes.

Schweigend gingen sie zum Golfbuggy. Cal zögerte einzusteigen.

Auch seine Begleiterin schien trotz des rutschenden Kleides, das gewagte Einblicke in ihr Dekolleté zuließ, wenig erpicht darauf, zum Anwesen zurückzufahren.

„Ich habe nichts zum Umziehen.“

Das meinte sie nicht ernst!

„Gar nichts?“

„Nur die Sachen, in denen ich angekommen bin. Aber ich fürchte, die Braut wird hysterisch, wenn ich in einem T-Shirt auftauche, auf dem steht ‚Ich leide unter gelegentlichen Anfällen von Kompetenz‘.“

Cal nickte. Wie er Lileth einschätzte, hatte seine exotische Begleiterin wahrscheinlich recht. Allerdings konnte er sich nicht vorstellen, wie eine Frau ohne ausreichend Kleidung im Gepäck zu einer Hochzeit fuhr. Hm, das T-Shirt machte ihn neugierig.

„Stimmt das denn?“

Blythe schaute ihn verwirrt an.

„Was?“

„Leidest du an gelegentlichen Kompetenz-Anfällen?“

Ihr Lächeln ließ ihre Augen leuchten und ihr Gesicht strahlen.

„Nur gelegentlich“, antwortete sie verschwörerisch, als wäre es ein Geheimnis.

Lag es an der Vertrautheit oder dem Lächeln? Cal wusste es nicht. Aber sein Körper reagierte wie schon lange nicht mehr.

O nein!

Bloß nicht!

Er riss sich zusammen und fragte ungläubig: „Du bist ohne Gepäck angereist? Was wolltest du denn anziehen, wenn du nicht zufällig Brautjungfer geworden wärst?“

„Natürlich hatte ich Gepäck dabei“, verteidigte sich Blythe. „Mein Gepäck hat nur das Postflugzeug nach Darwin verpasst. Ich flog nach Mount Spec und mein Gepäck nach Tokio.“

Vermutlich war es ziemlich taktlos, aber Cal begann herzhaft zu lachen. So gut hatte er sich schon lange nicht mehr amüsiert.

Seit seine verschollene Cousine in Creamunna aufgetaucht war, um ihre „verlorene“ Familie zu finden und sich dabei in seinen Kumpel verliebt hatte.

Nicht, dass Mark diese Gefühle nicht erwidert hätte – der arme Narr.

„Wenn du genug gelacht hast, könnten wir vielleicht zum Anwesen zurückfahren. Ich bin bei den Schafscherern untergebracht, aber Mum hat Vorhänge in ihrem Bungalow. Vielleicht kann ich daraus etwas zaubern.“

Ihr gereizter Tonfall ließ ihn verstummen. Trotzdem – der Gedanke, mit einem Vorhang bekleidet auf eine Hochzeit zu gehen, war einfach lächerlich.

„Mum hat immer ein Päckchen Sicherheitsnadeln dabei, also kannst du mir helfen, ihn festzustecken“, fuhr die ungewöhnliche Brautjungfer unbeirrt fort.

Cal starrte sein Gegenüber fassungslos an. Das konnte sie wirklich nicht ernst meinen! Zum einen den Vorhang und zum anderen, dass er ihr helfen sollte.

Ihre dunklen Augen blitzten herausfordernd.

„Schließlich war es dein Fehler. Wärst du nicht so unverschämt gewesen, hätte ich nicht so tief Luft geholt …“

Ungläubig schüttelte Cal den Kopf.

Hatte er gestern vielleicht doch zu viel getrunken?

Das würde diese absurde Unterhaltung erklären.

Sie schien es wirklich ernst zu meinen. Sie saß in dem mit Bändern geschmückten Golfbuggy, hielt ihr Kleid mit einer Hand fest und forderte ihn ungeduldig auf, einzusteigen.

„Wir haben nicht ewig Zeit“, sagte sie.

Seufzend fügte er sich und dirigierte den jungen Fahrer zurück zum Anwesen.

„Der kleine blaue Bungalow“, erklärte seine Begleiterin, dann drehte sie sich zu Cal um und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich heiße übrigens Blythe Jones. Wenn du mich schon einwickeln wirst, kann ich mich wenigstens vorstellen.“

Cal schüttelte ihre Hand. „Cal Whitworth.“

Er hätte hinzufügen sollen, dass er nicht die Absicht hatte, sich am Einwickeln zu beteiligen, aber wahrscheinlich würde sie das einfach ignorieren.

Sie erreichten das riesige Anwesen, den Mittelpunkt des Whitworth-Viehimperiums. Es lag eingebettet in eine parkähnliche Anlage, das imposante Herrenhaus mit den Nebengebäuden und Ställen. Die Bungalows waren etwas zurückgesetzt am Grundstückszaun errichtet.

„Gut! Vom Festzelt aus ist Mums Bungalow nicht zu sehen, dann fällt es nicht so auf, wenn ein Vorhang fehlt.“ Blythe sprang aus dem Buggy und griff nach seinem Arm. „Wir müssen uns beeilen. Es fällt auf, wenn wir uns verspäten.“

„Noch mehr, als einen Vorhang zu tragen?“, grummelte Cal. Widerstrebend ließ er sich mitziehen.

„Da. Der grüne. Die Farbe ist zwar nicht wirklich schön, aber er sieht weich aus und lässt sich bestimmt gut drapieren. Kannst du ihn abnehmen und die Ringe entfernen? Oder soll ich das obere Ende einfach abschneiden? Das ist vielleicht besser. Nimm ihn ab, und dann sehen wir weiter.“

Cal konnte sich gut vorstellen, was Grace, seine Ex-Frau und amtierende Hausherrin auf Mount Spec, von Gästen hielt, die ihre Vorhänge zerschnitten.

„Kannst du dir kein Kleid borgen?“

Ihr Blick zeigte ihm deutlich, dass sie an seinem Verstand zweifelte.

„Ich habe bereits ein geliehenes Kleid gesprengt. Jemanden mit meiner Kleidergröße finde ich hier sowieso nicht. Nimmst du den Vorhang jetzt ab, oder soll ich?“

Zu amüsiert, um weiter zu argumentieren, zog er sich einen Stuhl zum Fenster und stieg darauf. Blythe war verschwunden. Wahrscheinlich suchte sie gerade Sicherheitsnadeln und eine Schere.

Grace legte sowieso viel zu viel Wert auf Besitztümer!

Er lachte leise in sich hinein, als er den Vorhang loshakte.

„Abschneiden ist definitiv besser“, sagte er, als er hinter sich Schritte hörte.

Er drehte sich um und sog unwillkürlich die Luft ein bei Blythes Anblick. Sie stand in ein Handtuch gehüllt da, das ihr üppiges Dekolleté und ihre unglaublich langen, wohlgeformten Beine kaum verhüllte.

„Zieh einfach den anderen Vorhang etwas vor, dann merkt niemand, dass was fehlt“, wies Blythe ihn an. „Ich möchte nicht, dass Mum ausflippt, wenn sie nachher zurückkommt.“

Cal arrangierte den Vorhang, kletterte dann vorsichtig vom Stuhl und hielt ihr den Stoff hin.

„Ich kann nicht schneiden und gleichzeitig das Handtuch festhalten.“ Auffordernd drückte sie ihm die Schere in die Hand.

Ohne größere Gewissensbisse schnitt er das obere Ende des Stoffs ab.

„Wunderbar! Gib ihn mir. Ich geh kurz ins Bad und sehe, was ich tun kann. Du kannst mir gleich mit den Nadeln helfen.“

Sie reichte ihm eine Packung Sicherheitsnadeln, nahm den Vorhang und verschwand wieder. Allerdings verriet ihm ein frustrierter Aufschrei, dass es wohl nicht so ganz funktionierte, wie sie gedacht hatte.

„Los, hilf mir“, befahl sie, als sie aus dem Bad stürmte. Diesmal in den glänzend grünen Vorhang gewickelt.

„Ich kann das Ende hier rüber legen, aber es rutscht immer wieder. So falle ich garantiert in die Eiscreme. Könntest du das da feststecken …?“

Sie drehte sich, um ihm zu zeigen, wo er Hand anlegen sollte. Dabei rutschte der Stoff herunter und zeigte noch mehr von ihren weichen, vollen Brüsten.

„D…du trägst keinen BH!“ Cal starrte fasziniert auf ihre Kurven.

„Natürlich nicht.“ Blythe schob den Stoff hoch, bevor Cal mehr als einen flüchtigen Blick erhaschen konnte. „BHs, die man unter T-Shirts trägt, haben Träger, sind also ungeeignet für ein trägerloses Kleid. Stell dir einfach vor, du untersuchst eine Patientin. Komm, fang schon an.“

Das tat er. Aber dazu musste er mit einer Hand unter den Stoff fahren, wobei er ihre weiche Haut streifte.

Cal versuchte, möglichst neutral vorzugehen, aber seine Finger hatten nie so gezittert, wenn er einen Patienten untersuchte. Andere Teile seines Körpers hatten ebenfalls nie auf Patienten reagiert.

„Sieht gar nicht so schlecht aus“, musste er zehn Minuten später zugeben, als Blythe verkündete, dass sie mit dem Ergebnis zufrieden war. „Die Farbe steht dir.“

Sie schüttelte ihre Haare aus und ließ sie locker über die Schultern fallen.

Nicht schlecht war eindeutig untertrieben. Aber sie schien das nicht zu bemerken, betrachtete sich nur kurz im Spiegel und machte dann vorsichtig einige Schritte.

„Wie gut, dass Pink mir nicht steht, sonst hätte ich einen der Vorhänge aus dem Wohnzimmer des Anwesens stibitzen müssen“, meinte sie lachend.

„Sollen wir?“ Cal bot ihr den Arm.

„Wir müssen wohl“, antwortete Blythe und legte ihm die Hand auf den Ellenbogen. Ihre Stimme verriet, dass sie diese Episode bei Weitem nicht so locker nahm, wie sie vorgab.

Doch damit konnte er sich jetzt nicht länger beschäftigen. Die Aussicht, den restlichen Nachmittag glückliche Familie spielen zu müssen, verdrängte vorübergehend alle andere Gedanken. Cal würde seine höfliche Fassade beibehalten. Die Brautjungfer musste allein klarkommen.

Grace stand neben ihrem Schwiegergroßvater und begrüßte die Gäste, die nach und nach das Zelt betraten. Sie ignorierte Cal, aber er sah, wie sie Blythe ärgerlich anfunkelte. Grace überstrahlte gern alle anderen, und mit einer großen, gut gebauten Blondine konkurrieren zu müssen, gefiel ihr gar nicht.

Sofort fühlte Cal sich besser.

Neugierig wartete er auf Blythes Reaktion. Sie wich geschickt aus, schüttelte seinem Großvater die Hand und ging dann weiter.

„Grace!“ Cal begrüßte seine Ex-Frau mit einem höflichen Lächeln und einem Kuss auf die Wange, gab seinem Großvater die Hand und folgte seiner Begleiterin.

Es kam ihm so vor, als würde sie die Aufmerksamkeit aller Männer auf sich ziehen, wie sie sich elegant und zielstrebig durch die Menge bewegte, bis sie vor einer schlanken Frau und einem hochgewachsenen Mann stehen blieb.

Nachdem sie das Paar mit Küsschen und Umarmung begrüßt hatte, wandte sie sich an Cal. „Das sind meine Mum, Lorice Bell, und Brian, mein Stiefvater.“

Cal begrüßte die beiden höflich. „Cal Whitworth.“

„Wie geht es dir?“, fragte Lorice geistesabwesend, ganz auf ihre Tochter konzentriert. „Ist es gerissen?“, fügte sie resigniert hinzu.

Blythe nickte und wechselte rasch das Thema, weil sie Fragen über ihre Ersatzgarderobe vermeiden wollte. Brian Bell nahm Cal beiseite. Bevor er etwas sagen konnte, gesellte sich Chris dazu.

„Das hast du hervorragend gemeistert, alter Junge.“ Er klopfte Cal auf den Rücken.

„Brian, kennst du meinen Bruder Chris?“

Brian nickte, aber Cal interessierte vor allem Blythes Reaktion. So wie sie Chris ansah, suchte sie wahrscheinlich nach Ähnlichkeiten. Obwohl Cal und Chris drei Jahre auseinander waren, konnte man sie nämlich für Zwillinge halten.

„Wo sind die Kinder?“, fragte er Chris. Bevor der antworten konnte, stürmten sie schon auf ihn zu. Jenny, schlank – eigentlich fast zu dünn – und bereits mit zwölf Jahren sehr elegant, während der dreizehnjährige Sam mit dem Beginn der Pubertät kämpfte. Cal wurde schmerzlich bewusst, dass die beiden allmählich erwachsen wurden.

„Hallo, Dad! Gute Show!“

Blythe beobachtete, wie die Kinder ihren gut aussehenden Begleiter begrüßten. Enttäuscht registrierte sie, dass sie ihn mit „Dad“ begrüßten. Ohne an ihr provisorisches Outfit zu denken, zuckte sie die Schultern.

„Vorsichtig“, flüsterte Cal ihr zu und konzentrierte sich dann auf seine Kinder.

Blythe beobachtete die Drei neugierig. Cal wirkte wehmütig, als würde er nicht viel Zeit mit ihnen verbringen.

Energisch rief sie sich zur Ordnung. Das Leben dieses Mannes und die Zeit, die er mit seinen Kindern verbrachte, gingen sie nichts an.

Unauffällig sah sie sich um und versuchte zu erraten, welche der anwesenden Damen seine Frau war. Warum hatte die ihren Mann noch nicht wieder für sich beansprucht?

Und warum hatte Chris seinen Bruder begrüßt, als hätte er ihn länger nicht gesehen? Selbst wenn er nicht hier wohnte, hatten sie sich doch bestimmt auf der Pre-Wedding-Party gestern Abend getroffen.

Moment! Hatte er nicht behauptet, er wäre letzte Nacht sehr spät angekommen?

Jetzt bedauerte Blythe, dass sie es abgelehnt hatte, ihre Familie zu diesem Essen zu begleiten. Sonst hätte sie vielleicht herausgefunden, wer wer war in der Whitworth-Dynastie.

Aber ohne passende Garderobe hatte sie nicht mitgehen wollen, egal, wie sehr ihre Mutter protestierte.

„Komm, wir werden wieder auf der Bühne gebraucht.“ Cal berührte sie leicht am Arm. Erst jetzt fiel ihr auf, dass seine Kinder weitergegangen waren und die Gäste zu Tisch geführt wurden.

Cal dirigierte sie durch die Menge zu ihrem Platz am Haupttisch.

„Wer sitzt sonst noch hier?“, fragte sie und lugte neugierig auf die Tischkarten.

„Marks Eltern neben mir. Auf der anderen Seite das Brautpaar, dann deine Eltern, mein Großvater und Grace.“

„Die Frau, die ich am Eingang getroffen habe? Ist das seine Frau? Sie ist noch sehr jung.“

„Sie ist fünfunddreißig und seine angeheiratete Enkelin“, erklärte Callum und fügte hinzu: „In doppelter Hinsicht.“

„In doppelter Hinsicht?“ Blythe drehte sich zu ihm um. Ein Schatten huschte über sein Gesicht, und er lächelte gezwungen.

„Hier kommt die Braut“, flüsterte er und umging so ihre Frage.

Das Streichquartett, das in einer Zeltecke positioniert worden war, begann zu spielen. Es wurde ruhig, während alles auf Mark und Lileth wartete. Das Paar schritt den Mittelgang entlang und nahm unter dem Beifall der Gäste Platz.

„Du brauchst mir nicht zu verraten, woher das Outfit stammt“, flüsterte Lileth Blythe zu, „aber danke.“

Autor

Meredith Webber
Bevor Meredith Webber sich entschloss, Arztromane zu schreiben, war sie als Lehrerin tätig, besaß ein eigenes Geschäft, jobbte im Reisebüro und in einem Schweinezuchtbetrieb, arbeitete auf Baustellen, war Sozialarbeiterin für Behinderte und half beim medizinischen Notdienst.
Aber all das genügte ihr nicht, und sie suchte nach einer neuen Herausforderung, die sie...
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