Mein Herz und deine Krone?

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Prinzessin Eva spürt ein verräterisches Prickeln, als sie den Ballsaal betritt und ihren Verlobten erblickt. Auch wenn ihre Verbindung einst zum Wohl ihres Landes arrangiert wurde, ist sie vom ersten Moment an heimlich in den König von St. Ancilla verliebt. Doch was empfindet er? Wird er lernen sie zu lieben, wenn sie erst einmal verheiratet sind? Oder wird es ihr endgültig das Herz brechen, weil er ihr immer noch die kalte Schulter zeigt? Kaum schwebt sie in Pauls starken Armen über das Parkett, schockiert er sie mit einem folgenschweren Geständnis …


  • Erscheinungstag 15.06.2021
  • Bandnummer 2496
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718794
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Prinzessin Eva von Tarentia.“

Der Kämmerer erhob seine Stimme über die prächtig gekleideten Gäste, die sich im Vorraum zu dem vergoldeten Ballsaal eingefunden hatten.

Neugierige Blicke schweiften über Evas braune, aufgesteckte Haare, die Ohrgehänge mit den Saphiren und das Ballkleid in Königsblau.

Wie immer spürte sie diese Blicke wie hundert kleine Nadelstiche. Doch mit ihren vierundzwanzig Jahren hatte Eva gelernt, das öffentliche Interesse zu akzeptieren. Sie schreckte nicht mehr vor dem Rampenlicht zurück wie früher, als sie noch ein Teenager war.

Abgesehen davon, gab es hier nur einen Menschen, dessen Meinung ihr wichtig war.

Ein Mann, der gerade mit einer Blondine in einem silbernen Paillettenkleid plauderte. Bei den Worten des Kämmerers schaute er zur Treppe und auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln.

Evas Herz setzte einen Schlag aus, ehe es schneller schlug.

Selbst aus dieser Entfernung hatte Paul solch eine Wirkung auf sie. Sein Blick aus atemberaubend indigoblauen Augen und sein Lächeln brachten sie immer völlig durcheinander. Seit diesem Tag, als sie fünfzehn gewesen war und ihn auf dem Polofeld dahinrasen sah, so athletisch, so attraktiv, so schön. Nach dem Spiel hatte ihr Bruder Leo, der im gegnerischen Team war, die beiden einander vorgestellt, und Eva war sofort bezaubert gewesen.

Denn der damalige Prinz Paul von St. Ancilla hatte es nicht als unangenehm empfunden, sich mit der kleinen Schwester seines Freundes zu unterhalten. Ihre Zahnspange schien er nicht einmal bemerkt zu haben, sondern war nett und freundlich gewesen, auch wenn Eva kaum einen Ton herausgebracht hatte.

Seitdem war sie in ihn verliebt.

Anmutig schritt Eva die Treppe hinunter, das Kinn hocherhoben. Gnade Gott jeder Prinzessin, der es nicht gelang, eine große Treppe herunterzugehen, ohne auf ihre Füße zu starren. Selbst wenn sie ein bodenlanges Kleid und High Heels trug.

Unten angekommen, bedachte sie den Premierminister von St. Ancilla mit einem höflichen Lächeln, als er nachfragte, ob sie eine gute Reise gehabt hatte. Die Frage war nur Formsache, da der Flug von Tarentia in Nordeuropa zu der Mittelmeerinsel St. Ancilla nicht lange dauerte. Trotzdem spürte Eva, dass sie sich entspannte. Da sie die Insel seit vier Jahren regelmäßig besuchte, kannten der Premierminister und sie sich inzwischen recht gut.

„Seine Majestät.“ Der Premierminister machte eine Verbeugung.

Sofort erstarrte Evas Lächeln. Die Aufregung, die sie unweigerlich in seiner Nähe spürte, machte sie schwach, und sie bemühte sich, ihre Gefühle nicht zu zeigen. Bei anderen war das nie ein Problem, doch in Gegenwart von Paul machte sie sich ständig Sorgen darum, er könnte ihr etwas anmerken.

Weil sie so viel fühlte und er so wenig.

Ihr Herz hämmerte, als er näher trat. Sie legte den Kopf in den Nacken, um seinem Blick zu begegnen. Mit einem resignierten Seufzer stieß sie die Luft aus, als sie in seine erstaunlichen dunkelblauen Augen sah.

Was hatte sie denn erwartet? Dass er in den Monaten seit ihrem letzten Treffen erkannt hatte, welch ein Kleinod sie war?

Dass er Gefühle für sie entwickelt hatte?

Oder dass sie Verlangen in seinem Blick entdeckte?

Enttäuschung regte sich in ihr.

Paul bedachte sie mit dem gleichen Lächeln, das er auch dem Premierminister geschenkt hatte. Oder der blonden Sirene in ihrem schimmernden Silberkleid.

Die Blondine, die dem königlichen Protokoll getrotzt und viel zu nahe bei dem König gestanden hatte. Bei diesem Anblick hatte Eva einen Stich von Eifersucht verspürt.

„Prinzessin Eva. Du siehst wie immer entzückend aus.“ Pauls tiefe Stimme berührte ihr verletzliches Herz.

Er nahm ihre Hand und hob sie an seine Lippen, während Eva darum kämpfte, ihre Freude nicht zu zeigen.

Und sie hoffte, Paul würde nicht bemerken, dass ihre Brustwarzen sich verhärtet hatten, nur weil er ihre Hand berührte.

Paul war durch und durch ein König. Er arbeitete unermüdlich, war anständig, engagiert und kümmerte sich um sein Volk. All das liebte sie an ihm. Obwohl sie ihn schon seit neun Jahren kannte, war sie immer wieder aufs Neue hingerissen von seinen hohen Wangenknochen, seiner energiegeladenen Männlichkeit und seinen pechschwarzen Haaren, die ihm ständig in die Stirn fielen.

Widerwillig entzog sie ihm die Hand, aber sie fürchtete, er könne sonst an ihrem Handgelenk spüren, wie schnell ihr Puls schlug.

Sie fing in seinem Blick etwas auf. Ärger? Überraschung? Aber natürlich war es sofort verschwunden. Mitglieder des Königshauses waren dazu erzogen worden, ihre Gefühle zu verbergen.

Trotz ihrer Liebe zu ihm war Eva eine Pragmatikerin und zwang sich, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Paul mochte überrascht gewesen sein, aber nicht traurig.

„Danke, Eure Majestät.“ Bewusst sprach sie ihn mit seinem Titel an, wie es das Protokoll erforderte, da sie sich seit einem halben Jahr zum ersten Mal wiedersahen. Dann sank sie in einen tiefen Knicks.

„Paul, bitte.“

„Danke, Paul.“

Das Protokoll sah unter den gegebenen Umständen auch vor, dass sie ihn, mit seiner Erlaubnis, in der Öffentlichkeit mit seinem Vornamen ansprechen durfte.

Rasch verkniff sie es sich, damit herauszuplatzen, dass auch er umwerfend aussah.

Die Paradeuniform in Schwarz, Marineblau und Gold unterstrich seine große, aufrechte Figur. In seiner Aufmachung hätte er eigentlich unberührbar und distanziert erscheinen müssen, stattdessen wirkte er ungeheuer anziehend. Ihr juckte es in den Fingern, ihn zu berühren – über seine breiten Schultern und seine mächtige Brust zu streichen.

Paul machte keine Anstalten, ihr aufzuhelfen. Warum sollte er, wenn sie ihm ihre Hand gerade entzogen hatte?

Eine dunkle Vorahnung erfasste sie.

Als sie nun wieder vor ihm stand, wurde ihr bewusst, dass sein Lächeln verkniffen wirkte und seine Augen nicht erreichte.

„Hattest du einen guten Flug, trotz der Verspätung?“

Was klang da in seiner Stimme mit? Keine Kritik, keine Verärgerung, aber ganz sicher Anspannung.

Erneut befiel Eva Unbehagen, und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.

„Ja, es war in Ordnung.“ Sie war gerade noch rechtzeitig angekommen, um sich umzuziehen und ihn hier im Ballsaal zu treffen, statt allein. „Wir wurden durch ein technisches Problem aufgehalten, aber der Flug verlief reibungslos.“

Paul nickte. „Du bist sicher gelandet, das ist die Hauptsache.“

Als sie ihn ansah, spürte Eva jedoch, dass noch etwas anderes in der Luft lag, was sie nicht verstand.

Nicht dass sie erwartet hätte, er würde sich ihr anvertrauen. Denn solch eine Beziehung hatten sie nicht, auch wenn sie es sich noch so sehr wünschte.

„Sollen wir?“ Er hob eine Hand, und nachdem sie einen Moment gezögert hatte, um sich zu fassen, legte Eva ihre Hand auf seine.

Sofort schoss Hitze durch ihren Körper.

Zum Glück wurde sie nicht rot, sodass weder Paul noch die anderen merkten, wie ihr Körper auf seine Berührung reagierte.

Zusammen gingen sie durch den Raum. Die Gästeschar teilte sich, um sie hindurchzulassen, während die Männer sich verbeugten und die Frauen einen Knicks machten. Eva bemerkte, dass mehr als eine Frau Paul mit sehnsüchtigem Blick ansah.

Vor ihnen öffnete sich die große, vergoldete Doppeltür zum Ballsaal. Eva war geblendet von dem Licht der vielen Kronleuchter, das von der Spiegelwand zurückgeworfen wurde. Doch wie sie es gelernt hatte, betrat Eva den Saal mit hocherhobenem Kopf, während sie sich bewusst war, dass die Gäste ihnen folgten.

Paul führte sie genau in die Mitte unter den größten und hellsten Kronleuchter. Sie blieben auf dem Stern stehen, der in den wunderschönen, alten Parkettboden eingelassen war.

Unter dem strahlenden Licht sah sie die Falten um seinen Mund, die vor sechs Monaten noch nicht da gewesen waren. Und um seine Augen lag ein Ausdruck von Anspannung.

Aus einem Impuls heraus drückte Eva seine Hand. „Paul, bist du …?“

„Der Ball wird eröffnet“, dröhnte der Kämmerer. „Von Seiner Majestät, König Paul von Ancilla, und seiner Verlobten, Prinzessin Eva von Tarentia.“

Applaus brandete auf, während alle Augen auf sie gerichtet waren.

Dieses eine Mal war es Eva egal. Sie beugte sich näher zu dem Mann, der vor ihr stand, denn sie war sicher, dass ihr irgendetwas entgangen war.

„Was ist denn?“, flüsterte sie. „Irgendetwas stimmt doch nicht.“

Kurz weiteten sich seine Augen, als wäre er überrascht, dass sie es bemerkt hatte. Dann verzog er seinen Mund zu einem schiefen Lächeln, das keineswegs vergnügt wirkte. „Nicht jetzt, Eva. Später.“

König Paul, der Mann, mit dem sie seit vier langen Jahren verlobt war, nahm ihre Hand in seine und schlang den anderen Arm um ihren Rücken. Hitze flammte überall dort auf, wo er sie berührte. Eva erstarrte und kämpfte darum, nicht darauf zu reagieren.

Noch eine Sekunde länger standen sie so voreinander da, in genau dem Abstand, den die Etikette vorschrieb, und sahen sich an. Als dann die Musik erklang, drehte sich Paul mit ihr im Walzerschritt. Mit all der natürlichen Anmut eines Athleten und der Wärme eines Roboters.

Den letzten Tanz des Abends tanzte Paul mit Karen Villiers, Chefin des neuen Softwareunternehmens, die er hergelockt hatte, damit sie ihren Hauptsitz im Gewerbegebiet in der Hauptstadt errichtete. Er hatte sie mit Steuererleichterungen geködert, damit sie langfristig in St. Ancilla investieren würde.

Doch im Moment schien sie mehr Interesse an Paul zu haben.

Während er sein Lächeln beibehielt, rückte Paul ein kleines Stück von Karens sündig verführerischem Körper ab. Die kurvige Blondine war sehr attraktiv. Ihm war nicht entgangen, dass ihr knappes Kleid viel von ihrer umwerfenden Figur zeigte.

Doch er hatte keinen Bedarf an einer Freundin. Nicht einmal an einem Flirt, besonders nicht unter dem wachsamen Auge der Öffentlichkeit.

Er war nicht frei. Er hatte eine Verlobte. Sie war hier, bei diesem Ball.

Der Gedanke an Eva verstärkte das dumpfe Pochen in seinen Schläfen.

Es war ein langer Tag gewesen, und er war noch längst nicht vorbei. Er durfte nicht zu Ende gehen, ohne dass er mit seiner Verlobten gesprochen hatte. Ganz egal, ob ihm der Gedanke gefiel oder nicht.

Als er sie oben an der Treppe entdeckt hatte, war er einen Moment froh gewesen, dass sie da war. Nicht weil das hieß, dass sie das Gespräch führen konnten, vor dem er sich fürchtete, sondern weil es gut war, sie zu sehen.

Das Gefühl war nur von kurzer Dauer gewesen.

Evas Anwesenheit deutete auf eine unangenehme Pflicht hin, auch wenn es so das Beste war.

Er dachte daran, wie sie auf ihn reagiert, oder besser gesagt, nicht reagiert hatte. Wie üblich. Als Teenager war sie schüchtern, aber auch bezaubernd gewesen, und das, was er von Leo und anderen gehört hatte, verriet, dass sie ein herzlicher und großzügiger Mensch war. Doch wenn sie mit ihm zusammen war, spürte er nichts von alldem.

Bei anderen war sie charmant und freundlich, bei ihm kühl und distanziert. Deshalb fragte er sich immer wieder, warum sie dieser Verlobung zugestimmt hatte. Doch er kannte die Antwort. Die Verlobung war von ihren und seinen Eltern arrangiert worden, und Eva war kaum eine Wahl geblieben.

Es nagte an ihm, dass sie sich nichts aus ihm machte. Dass sie sich niemals selbst für ihn entschieden hätte.

Kein Wunder, dass sie so reserviert war. Nicht unfreundlich, aber zurückhaltend.

Anders als die Frau, die ihm viel zu nahe war.

Einen Moment überlegte Paul, wie es wäre, wenn er die indirekte Einladung, die in Karen Villiers’ Blick lag, annehmen würde, verdrängte den Gedanken aber sofort.

Sein Ehrgefühl gebot ihm, dass es keine andere Frau geben würde, solange er verlobt war. Auch wenn die Intimität zwischen ihm und seiner Verlobten nie über einen Handkuss hinausgegangen war.

Hitze erfasste ihn, als die Auswirkungen von vier Jahren Enthaltsamkeit sich meldeten.

Doch das würde sich nach diesem Abend ändern.

War es denn verwunderlich, dass er nervös war? Hin- und hergerissen zwischen den beinahe unmöglichen Anforderungen, die St. Ancilla an ihn stellte, und dem Bedürfnis, eine Illusion aufrechtzuerhalten, während er seine natürlichen männlichen Bedürfnisse unterdrücken musste. Nach vier Jahren ständiger Anspannung fühlte er sich der Grenze seiner Belastbarkeit gefährlich nahe.

Als die letzten Takte der Musik erklangen, sah er sich nach Eva um. Sie tanzte mit einem bekannten Filmregisseur, der hier war, um sich nach Örtlichkeiten für seinen nächsten Film umzusehen. Pauls Angestellte hatten ihn als schwierig bezeichnet, doch er lachte gerade über etwas, was Eva gesagt hatte.

Paul verspürte einen scharfen Stich in der Brust, als er Evas Lächeln bemerkte, das sie ihrem Tanzpartner schenkte und das ihren sonst so beherrschten Zügen einen völlig anderen Ausdruck verlieh.

„Nun, Eure Majestät“, sagte eine rauchige, weibliche Stimme. „Ich denke, ich werde den Abend in dem neuen Nachtclub beenden, von dem alle sprechen. Könnte es sein, dass wir uns dort treffen?“

Er sah in Karen Villiers’ Gesicht und erkannte die Einladung in ihrem aufreizenden Lächeln. Sie meinte nicht nur den Nachtclub, sondern etwas weit Intimeres.

„Leider nein. Ich habe heute noch andere Verpflichtungen.“

Erneut wanderte sein Blick zu seiner Verlobten, die sich immer noch eifrig mit ihrem Tanzpartner unterhielt, obwohl die Band nicht mehr spielte. Pauls Augenbraue zuckte in die Höhe. Was fand sie so faszinierend an einem Mann, der dafür bekannt war, viel zu sehr von sich eingenommen zu sein? Sie beugte sich zu ihm, als wollte sie jedes seiner Worte aufsaugen.

„Ja, natürlich. Ich vergaß, dass Prinzessin Eva da ist.“

Paul wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Frau zu, die vor ihm stand. Glaubte sie allen Ernstes, er würde sich zu einem Rendezvous mit ihr treffen und seine Verlobte im Palast allein lassen?

Plötzlich verflüchtigte sich Ms. Villiers’ Sex-Appeal.

Eva mochte sich nicht viel aus ihm machen, doch sie verstanden einander und waren mit den gleichen Wertvorstellungen aufgewachsen, dem gleichen Pflichtbewusstsein.

Was in seinem Fall bemerkenswert war, wenn man bedachte, welch schreckliches Beispiel sein Vater abgegeben hatte. Aber vielleicht hatte Paul auch gerade deswegen den anderen Weg gewählt und sich für Rechtschaffenheit statt Unehrlichkeit entschieden. Zudem hatten seine Mutter und seine Lehrer Einfluss auf ihn genommen, fest entschlossen, ihn zu dem Herrscher zu machen, der sein Vater nie gewesen war.

Als Paul merkte, dass er ein finsteres Gesicht machte, setzte er schnell ein Lächeln auf. „Es ist nett von Ihnen, mich einzuladen. Ich hoffe, Sie haben Spaß. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich muss weiter.“

Es dauerte sehr lange, bis der Ballsaal sich geleert hatte. Dann war Paul endlich allein mit seiner Verlobten.

Eva stand reglos da, wie eine der Statuen draußen auf der großen Terrasse. Nur ihre Augen, von einem unauffälligen Farbton zwischen Grau und Blau, wiesen darauf hin, dass sie nicht so gelassen war, wie sie sich den Anschein gab.

Paul erinnerte sich daran, dass sie bei dem Eröffnungstanz überraschend besorgt gewirkt hatte, und fragte sich, ob sie sein Unbehagen gespürt hatte. Das wäre das erste Mal. Sie waren sich noch nie nahe genug gewesen, um Geheimnisse auszutauschen oder ein Gefühl von Vertrautheit zu entwickeln.

Langsam atmete er ein. Er freute sich nicht auf das, was kommen würde.

„Hast du noch Lust auf einen Schlummertrunk, Eva? Es war ein langer Abend, aber wir müssen reden.“

Bildete er sich nur ein, dass sie scharf die Luft einsog? Ganz sicher jedoch hoben sich ihre Brüste unter dem schimmernden Stoff ihres königsblauen Ballkleids.

„Gern. Danke.“

Sie begleitete ihn durch den Saal und nickte den Bediensteten zu, die draußen warteten, um dem Raum wieder zu seinem üblichen makellosen Glanz zu verhelfen. Vor dem Kämmerer und der ersten Hausdame blieb sie stehen, beglückwünschte sie zu dem erfolgreichen Abend und der ausgezeichneten Arbeit der Bediensteten.

Normalerweise übernahm Paul diese Aufgabe. Doch mit ihrem Verhalten bewies sie, wie mühelos sie sich in seine Welt einfand. Äußerlich betrachtet, war sie die perfekte Partnerin für ihn. Er bezweifelte nicht, dass sie ihren Ehemann in jeder nur erdenklichen Weise unterstützen und die Belastungen, die das Amt des Königs mit sich brachten, mit Würde und Wohlwollen mittragen würde.

Er ließ seinen Blick über die Schulter, die das Kleid enthüllte, Evas schlanken Hals und das kleine Kinn schweifen. Plötzlich sah er in ihr eher eine begehrenswerte Frau, statt eine Lebenspartnerin in einer dynastischen Ehe, um die sie beide nicht gebeten hatten.

Als sie sich umdrehte und ihn dabei erwischte, wie er sie anstarrte, verblasste ihr Lächeln.

Eines war klar: Eva begehrte ihn nicht. Manchmal fragte er sich, ob sie ihn überhaupt für gut befand. Oder glaubte sie, er wäre vom gleichen Schlag wie sein verstorbener Vater? Paul schmeckte Galle, als er an seinen alten Herrn dachte, der in vielerlei Hinsicht so abscheulich gewesen und immer noch die Quelle der meisten Probleme war, mit denen Paul sich herumschlug.

Doch ein solcher Gedanke war Eva gegenüber unfair. Seine Verlobte mochte kühl und verschlossen sein, aber sie war ihm nie mit Missbilligung begegnet.

Paul bedeutete ihr, in sein Arbeitszimmer vorauszugehen. Seit den Tagen seines Vaters hatte es sich verändert. Der massive, vergoldete Sekretär war verschwunden, genauso wie die langen Reihen ungelesener Bücher. Stattdessen fanden sich hier nun ein moderner Schreibtisch, Aktenschränke und zwei gemütliche Sofas, zu denen er Eva nun führte.

„Was möchtest du trinken?“, fragte er, während er eine Flasche Single Malt öffnete.

„Whisky wäre gut, danke. Mit einem Schuss Soda.“

Verblüfft sah er seine Verlobte an. „Whisky?“ Bisher hatte sie höchstens einmal ein Glas Wein zum Abendessen getrunken.

Eva zuckte mit den Schultern und zog damit erneut seinen Blick auf die blasse Haut, die ihre Robe nicht bedeckte. Das Kleid war nicht so freizügig wie das von Karen Villiers, trotzdem verspürte Paul einen Anflug von Verlangen.

An diesem Abend wirkte Eva nicht so unberührbar wie sonst, sondern sehr weiblich und verführerisch.

Er erinnerte sich, als er sie in seinen Armen gehalten hatte und sie sich verwirrend warm angefühlt hatte.

Vier Jahre Enthaltsamkeit …

Das musste der Grund sein.

Abrupt wandte er sich ab und füllte zwei Gläser. Mit viel Whisky.

Wollte er sich Mut antrinken?

Er redete sich ein, dass es einfach werden würde. Trotzdem musste er die Sache vorsichtig angehen, damit eine vernünftige Idee nicht zu einem diplomatischen Albtraum wurde.

„Bitte setz dich doch.“ Er deutete auf die Ledersofas.

Mit einem letzten undurchdringlichen Blick in seine Richtung sank Eva in einer Wolke aus königsblauer Seide auf ein Sofa. Die Farbe stand ihr, wie er feststellte, als er sich hinunterbeugte und ihr eines der Gläser reichte.

Sie nahm es vorsichtig entgegen, wie immer sehr darauf bedacht, seine Finger nicht zu berühren.

Mit zusammengebissenen Zähnen richtete er sich wieder auf. Als müsste er daran erinnert werden, dass sie selbst ihn nicht als ihren Ehemann erwählt hätte! Auch wenn sie es nicht sagte, machte ihre Körpersprache dies mehr als deutlich.

Wie in aller Welt glaubte sie, ihre Hochzeitsnacht zu überstehen? Indem sie die Augen schloss und an ihre Pflicht als Prinzessin von Tarentia dachte?

Er drehte sich um und ging zum Fenster. Flutlichter erleuchteten nur einige Palastgärten im Hintergrund. Ganz anders als zu der Zeit, als sein Vater noch König gewesen war und ein Vermögen und kostbare Energie darauf verschwendet hatte, alle Gärten nachts zu beleuchten.

„Paul, was ist denn? Du wolltest etwas sagen. Ist alles … geht es dir gut?“

Er drehte sich um, überrascht, dass ein Anflug von Sorge in ihrer Stimme mitschwang. Oder hatte er sich das nur eingebildet?

„Mir geht’s gut.“ Er trank einen Schluck und spürte, wie der scharfe Whisky seine Kehle hinunterrann. „Aber ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen.“

Jetzt, da es so weit war, erschien es ihm schwieriger als gedacht, auch wenn er das Richtige tat.

Ihm wurde bewusst, wie überdrüssig er es war, immer das Richtige zu tun. Der beschwerlichen Tretmühle, in der er sich befand, da er ständig zwischen den Anforderungen seines Landes, seiner Familie und den Gläubigern seines Vaters abwägen musste. Vier Jahre hatte er sein Bestes gegeben, hatte Dinge erreicht, die er nie für möglich gehalten hätte. Sein Vater, der knapp sechs Monate nach seiner Abdankung an einem schweren Schlaganfall gestorben war, hatte nicht mehr mit den Folgen seines Handelns leben müssen. Und seine Mutter war nicht nach St. Ancilla zurückgekehrt, um ihren Sohn zu unterstützen. Stattdessen führte sie nach dem Rücktritt ein vornehmes Leben in Paris.

„Ich höre.“ Eva saß kerzengerade da, während sie ihr Glas mit beiden Händen umfasste.

Weil sie Angst vor dem hatte, was er sagen würde? Doch es war Eva, die am meisten von seinem Entschluss profitieren würde, während er mit den Konsequenzen zurechtkommen musste.

Tief atmete er durch, sah auf das Glas in seiner Hand und dann hoch zu seiner Verlobten.

„Ich entbinde dich von unserer Verlobung, Eva. Es ist aus.“

2. KAPITEL

„‚Aus‘?“ Ungläubig sah Eva ihn an. Sicher meinte Paul es nicht so, wie es sich angehört hatte.

Doch sein entschlossen vorgerecktes Kinn und der feste Griff um sein Glas verhöhnten ihre verzweifelte Hoffnung. Er sah wie ein Mann aus, der sich einer unangenehmen Wahrheit stellte.

„Du lässt mich sitzen?“

Sie konnte nicht glauben, dass sie überhaupt noch sprechen konnte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und ihre Lungen brannten. Sie schien nicht einmal richtig Luft zu bekommen. Und trotzdem schaffte sie es irgendwie, sehr ruhig zu klingen. Ihr war, als würde sie einer anderen Frau zuhören.

„Das klingt sehr emotional, Eva. Ich verstoße dich ja nicht, sondern gebe dir nur deine Freiheit zurück.“

Ihr Herz hämmerte so laut, dass es ein Wunder war, dass sie ihn überhaupt hören konnte.

Doch er sah aus, als wäre er viel zu sehr in seinen Gedanken gefangen, um erkennen zu können, was sie fühlte. Seine Miene wirkte ernst, ob vor Anspannung, Missbilligung oder Hochmut, konnte sie nicht sagen. Vielleicht von allem etwas.

Weil sie es gewagt hatte, seine Worte infrage zu stellen? Das sah Paul nicht ähnlich.

Eva starrte in das ihr vertraute Gesicht, und ihr schien, als wäre ihre Welt auf den Kopf gestellt worden.

Ihr Verlobter war rücksichtsvoll und in Bezug auf seine Pflichten ausgesprochen verlässlich. Gehörte ihre Verlobung nicht auch zu seinen Verpflichtungen? Er liebte sie nicht, das war sicher. Die Verbindung war aus dynastischen Gründen geschmiedet worden, aber das hieß doch sicher, dass sie noch schwerer aufzulösen war. Er war immer sehr darauf bedacht, das Richtige zu tun.

Trotzdem wirkte Pauls Miene unversöhnlich.

Sie war hin- und hergerissen zwischen Bestürzung und dem altvertrauten Gefühl, dahinzuschmelzen. Denn mit seinen ausgeprägten Zügen und seinem gut gebauten Körper war er ungeheuer attraktiv. Seine Paradeuniform lenkte Evas Aufmerksamkeit auf die breiten Schultern, die langen, muskulösen Beine. Auch seine schwarzen Haare, die nun zerzaust waren, weil er mit den Fingern hindurchgefahren war, wirkten sehr anziehend.

„Eva? So sag doch etwas.“

Sie zuckte zusammen und spürte, dass sich noch etwas anderes in ihr regte. Ein Anflug von Wut?

„Du willst eine Antwort, obwohl du mir noch nicht einmal gesagt hast, was los ist?“ Offen sah sie ihn an. „Zuerst schuldest du mir eine Erklärung.“

Er hob sein Glas an den Mund, hielt dann mitten in der Bewegung inne.

Hatte er erwartet, dass sie widerspruchslos allem zustimmen würde, was er verordnete? Das war nicht der Mann, den sie kannte.

Oder glaubte er, sie wäre nichts als ein Prügelknabe, über den man einfach hinwegtrampeln konnte? Sicher, in seiner Nähe war sie immer befangen und so sehr darauf bedacht, nichts von ihren Gefühlen zu verraten, dass sie die Absprachen, die für ihre Besuche auf St. Ancilla getroffen worden waren, fraglos akzeptiert hatte, um sich als guter Gast zu erweisen. Aber deshalb war sie noch lange kein Schwächling.

Eva hob ihr Glas und trank die Hälfte in einem Schluck aus.

Sie trank selten Alkohol und musste gegen einen Hustenanfall ankämpfen, als die scharfe Flüssigkeit durch ihre Kehle rann. Sekunden später spürte sie Wärme, die die eisige Kälte vertrieb, die sie bei Pauls Ankündigung befallen hatte.

„Entschuldige.“ In einem selten gezeigten Anflug von Unbehaglichkeit rieb er sich über den Nacken. „Ich wollte eigentlich schon vor dem Ball mit dir darüber sprechen, aber du bist zu spät gekommen.“

Eva sah ihn entsetzt an. „Hattest du vor, mich noch vor dem Ball zurück nach Tarentia zu schicken?“

Eine leichte Röte zeigte sich auf seinen hohen Wangenknochen.

„Natürlich nicht.“ Er war empört. „Ich dachte nur, je eher wir die Lage klären, desto besser, besonders für dich.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich dachte, du wärst erfreut.“

Erfreut?

Doch er wusste natürlich nicht, was sie für ihn empfand.

Auf ihrem Flug nach St. Ancilla hatte sie hin und her überlegt, wie sie Paul davon überzeugen könnte, für ihre lange verschobene Hochzeit endlich einen Termin festzusetzen.

Während er geplant hatte, ihre Verbindung aufzulösen.

Was für eine Ironie.

Plötzlich konnte Eva seinem forschenden Blick nicht länger standhalten und sah auf ihr Kristallglas, das sie in ihren zitternden Händen hielt und in dem sich die Farbe ihres blauen Kleids verfing.

Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass es die gleiche Farbe hatte wie Pauls Augen. Hatte sie sich unbewusst deshalb dafür entschieden?

Ihr blieb die Luft weg.

War sie wirklich so erbärmlich?

Entschieden nahm sie noch einen Schluck, froh um die Wirkung des starken Alkohols, als könnte er ihre Gefühle für Paul verbrennen. Denn sie machten Eva schwach.

Doch noch so viel Alkohol konnte ihre Liebe nicht ausmerzen. Verzweiflung erfasste sie, und sie sank im Sofa zurück.

Autor

Annie West
<p>Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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