Prinz, Playboy - Geliebter?

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Schnelle Autos, heiße Partys, schöne Frauen: Prinz Alaric ist ein Playboy! Trotzdem muss die schüchterne Archivarin Tamsin dringend mit ihm sprechen. Denn sie hat alte Unterlagen entdeckt, die beweisen, dass er und nicht sein Cousin Anrecht auf den Thron hat. Doch dem lebenshungrigen Aristokraten scheint ihre Entdeckung egal zu sein. Stattdessen flirtet Alaric nonchalant mit ihr und macht ihr ein ebenso skandalöses wie verführerisches Angebot. Darf Tamsin von einem Happy End mit ihm träumen? Doch eine leise Stimme warnt sie …


  • Erscheinungstag 05.10.2021
  • Bandnummer 2513
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507028
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Seine Hoheit wird bald hier sein. Bitte bleiben Sie in diesem Raum und wandern Sie nicht herum. In diesem Teil des Schlosses gibt es strikte Sicherheitskontrollen und Alarmsysteme.“

Der Assistent des Prinzen warf Tamsin einen strengen Blick zu. Als würde sie nun, wo sie endlich die Barrieren des höfischen Protokolls überwunden hatte, im innersten Heiligtum Amok laufen.

Als ob nach Wochen in den königlichen Archiven Ruvingias und allein in ihrer Suite auf der anderen Seite des Palasthofes die Nähe eines Adligen aus Fleisch und Blut zu viel für sie sein könnte!

Sie unterdrückte ein Seufzen.

Sah sie aus, wie eine Frau, die sich von Pomp und Reichtum überwältigen ließ? Oder von einem Mann beeindruckt wäre, dessen Ruf als Frauenheld und Abenteurer sogar den seiner berüchtigten Vorfahren in den Schatten stellte, die als Räuberbarone ihr Unwesen getrieben hatten?

Ehrlich. Tamsin hatte wichtigere Dinge im Kopf.

Die Aufregung packte sie erneut, und das hatte nichts damit zu tun, dass sie gleich einen Playboy-Prinzen kennenlernen würde.

Das hier war ihre Chance, ihren Ruf wiederherzustellen. Nach Patricks brutalem Verrat konnte sie sich endlich vor ihren Kollegen und sich selbst beweisen. Seine Art, sie zu behandeln, hatte ihr Selbstvertrauen gründlich zerstört. Aber noch schlimmer war: Er hatte sie so sehr verletzt, dass sie sich einfach nur in einem Loch verkriechen und ihre Wunden hatte lecken wollen.

Nie wieder würde sie jemandem vertrauen.

Einige Narben würden niemals heilen. Doch jetzt und hier konnte sie wenigstens ihre Karriere wieder in Gang bringen. Das war eine einmalige Gelegenheit, und sie war bereit für die Herausforderung.

Seit zehn Tagen war Prinz Alaric immer zu beschäftigt gewesen, um sich mit ihr zu treffen. Ganz eindeutig rangierte eine Expertin für alte Bücher nicht ganz oben auf seiner Prioritätenliste.

Was sie zugegebenermaßen verärgerte. Sie war es leid, benutzt, ignoriert und übersehen zu werden.

Hatte er gehofft, sie abzuschrecken, indem er einen Termin so spät am Abend vorgeschlagen hatte? Tamsin straffte die Schultern, faltete die Hände auf dem Schoß und kreuzte die Knöchel sittlich unter dem massiven Stuhl.

„Natürlich werde ich hier geduldig warten, bis Seine Hoheit eintrifft“, sagte sie.

Der zweifelnde Blick des Assistenten verriet ihr, dass er fürchtete, sie würde nur auf den passenden Moment warten, um einen Blick auf die Promis im Ballsaal zu werfen. Oder das gute Silber zu stehlen.

Als er keine Anstalten machte, sich zurückzuziehen, holte sie einen Stapel Papiere aus ihrer Aktentasche, schenkte dem Mann ein höfliches Lächeln und fing an zu lesen.

„Nun gut.“ Seine Stimme ließ sie ihren Blick heben. „Es ist möglich, dass der Prinz sich … verspätet. Falls Sie irgendetwas brauchen, klingeln Sie einfach.“

Er zeigte auf einen Knopf an der Wand, der zwischen den üppigen Schnitzereien um den großen Kamin herum kaum zu sehen war. „Wir bringen Ihnen auch gern ein paar Erfrischungen.“

„Danke.“ Tamsin nickte und sah ihm hinterher, als er davoneilte.

War verspäten ein Code? War der Prinz gerade damit beschäftigt, eine glamouröse Schönheit auf dem Ball zu verführen? Wenn man den Gerüchten glauben durfte, war Prinz Alaric von Ruvingia, Kronprinz von Maritz, ein Playboy, wie er im Buche stand. Sicher würde das Verführen von Frauen für ihn wichtiger sein, als sich mit einer Buchkuratorin zu treffen.

Tamsin ignorierte den Anflug von Verärgerung und ließ ihren Blick zu den deckenhohen Bücherregalen gleiten. Alte Bücher – ihr Pulsschlag beschleunigte sich. Sie sog den vertrauten Duft von altem Papier und Leder ein.

Sollte er sich verspäten …

Ohne nachzudenken, stand Tamsin auf und trat ans nächstgelegene Bücherregal. Es wäre zu viel verlangt, zu hoffen, dass sie darin etwas so Aufregendes finden würde wie in den Archiven, aber warum sollte sie hier herumsitzen und Dokumente lesen, die sie auswendig kannte?

Ihr widerspenstiger Gastgeber würde vielleicht erst in Stunden auftauchen.

„Du musst mich entschuldigen, Katarina. Ich habe noch einen Termin.“ Alaric löste sich aus dem Klammergriff der Countess.

„So spät noch? Es gibt doch sicher bessere Arten, die Nacht zu verbringen, meinst du nicht?“ Ihre rubinroten Lippen öffneten sich, und in ihren silbrigen Augen blitzte eine vertraute Botschaft auf. Sexuelle Versprechungen, Aufregung und ein Hauch von Gier. Sie beugte sich leicht vor, sodass ihre kaum bedeckten Brüste das Korsett ihres Ballkleids zu sprengen drohten.

Geliebte zu finden war für Alaric immer leicht gewesen, doch er war es leid, von Frauen wie Katarina anvisiert zu werden.

Seine Regeln waren ganz einfach: Erstens – keine langfristigen Bindungen. Niemals. Emotionale Intimität, von anderen auch Liebe genannt, war ein gefährliches und falsche Trugbild. Und zweitens – er war derjenige, der jagte, nicht umgekehrt.

Er brauchte eine Ablenkung, aber zu seinen Bedingungen.

Trotz ihres aufrichtigen sexuellen Begehrens war Katarina nur eine weitere Frau, die es auf die Ehe mit ihm abgesehen hatte. Auf königliches Prestige und Reichtum. Doch im Moment hatte er dringendere Sorgen als die Ambitionen einer gesellschaftlichen Aufsteigerin zu befriedigen.

„Leider ist es ein Treffen, das ich nicht absagen kann.“ Über ihren Kopf hinweg fing er den Blick des Stewards auf, der am Eingang wartete. „Dein Wagen ist da.“ Er hob ihre Hand, berührte sie kaum mit seinen Lippen, und führte Katarina dann zur Tür.

„Ich rufe dich an“, flüsterte sie sinnlich.

Alaric lächelte in dem Wissen, dass sie nicht an seinen Mitarbeitern vorbeikommen würde.

Fünf Minuten später, nachdem der letzte Gast gegangen war, entließ er seine persönlichen Mitarbeiter und ging in Gedanken an seine letzte Unterhaltung mit Raul den Flur hinunter.

Wenn ihn vor ein paar Monaten jemand gebeten hätte, den Winter hier zu verbringen, hätte Alaric ihn ignoriert. Der Drang, draußen zu sein und etwas zu tun war wie eine reißende Flut in seinen Adern. Die Vorstellung, sechs weitere Monate in seinem alpinen Fürstentum festzusitzen, verursachte ihm einen Hüttenkoller.

Das hier mochte zwar sein Zuhause sein, aber er fühlte sich eingesperrt. Beute für die Dunkelheit, die von innen ihre Krallen in ihn schlug.

Nur sich rund um die Uhr zu beschäftigen und abzulenken half ihm, diese Dunkelheit in Schach zu halten.

Er strich sich mit der Hand durchs Haar und schob den Umhang von seiner Schulter. Das war noch etwas, wofür er seinem entfernten Cousin und baldigem Monarchen danken konnte – ein Abend in einer Uniform, die vor zwei Jahrhunderten in Mode gewesen war.

Doch er hatte ihm sein Wort gegeben. Er musste Raul helfen.

Nach Jahrzehnten des Friedens hatte der Tod des alten Königs – Rauls Vater – zu Unruhen geführt. In Alarics Fürstentum Ruvingia war die Lage stabil, doch woanders gab es Spannungen, die beinahe zu einem Bürgerkrieg geführt hätten. Mit Vorsichtsmaßnahmen hatte die Gefahr abgewendet werden können, doch sie durften kein Risiko eingehen.

Er und Raul mussten für Stabilität sorgen. In Maritz, einem Land, das sich an königliche Traditionen klammerte, bedeutete das, in der Zeit vor der Krönung seines Cousins und der Wiedereröffnung des Parlaments eine ruhige, vereinte Front zu zeigen.

Deshalb war Alaric hier, zerschnitt Bänder und ging auf Bälle.

Er bog in einen anderen Flur ab und sein Magen zog sich zusammen, als die Geister der Vergangenheit sich meldeten. Bisher gab es keine Gewalt, aber er wusste, wie schnell es zu einer Tragödie kommen konnte.

Mit Mühen schob er die düsteren Gedanken beiseite und schaute auf seine Uhr. Für seinen letzten Termin des Tages war er viel zu spät. Sobald er hinter ihm lag, würde er für ein paar Stunden verschwinden, den Aston Martin nehmen und seine Fahrkünste auf den engen Bergstraßen austesten.

Diese Aussicht auf zumindest temporäre Freiheit ließ ihn seine Schritte beschleunigen, bis er vor der Tür zur Bibliothek stand.

Ein leichtes Unbehagen überfiel ihn. Das hier würde niemals sein Büro sein, egal, was die Angestellten erwarteten. Es war der Raum seines Vaters, seines Bruders. Alaric selbst zog es vor, am Laptop zu arbeiten, wo immer es ihm gefiel. So hatte er nicht das Gefühl, auf den Spuren von Toten zu wandeln.

Zu vieler Tote.

Erinnerungsfetzen stiegen in ihm auf. Ganz vorn Felix, sein begabter, fähiger älterer Bruder.

Der Mann, der eigentlich an Alarics Stelle hier sein sollte.

Und der wegen Alaric gestorben war.

Vertraute Schuldgefühle packten ihn, zerrten an seiner Brust und schnürten ihm bei jedem Atemzug die Kehle zu.

Das war seine Strafe. Die Last, die er immer würde tragen müssen.

Nachdem es ihm gelungen war, seinen Atem zu beruhigen, betrat er die Bibliothek. Der Raum war leer. Im Kamin brannte ein Feuer, Lampen warfen ihr goldenes Licht, doch nirgendwo wartete eine Expertin, um ihn über den Zustand der Archive zu informieren. Wenn es so wichtig war, wäre sie doch sicher geblieben?

Umso besser. So konnte er in zehn Minuten auf der Straße sein.

Als er sich zum Gehen wandte, blieb sein Blick an einem Stapel Papiere hängen. Auf dem Boden davor stand eine abgenutzte Aktentasche. Sofort war er alarmiert und schaute sich um.

Dann hörte er es. Ein leises Rascheln von oben. Seine Instinkte setzten ein, und seine Hand ging automatisch zum Griff des Zeremonieschwerts an seiner Hüfte, bevor er sich dem Eindringling zuwandte.

Sehr lang starrte er sie einfach nur an, dann ließ er seine Hand sinken.

In den Raum war ein … Pilz eingedrungen.

Zumindest hockte auf der obersten Stufe der Bibliotheksleiter eine formlose graubraune Gestalt. Eine lange Oma-Strickjacke fiel ihm ins Auge, darunter bauschte sich ein voluminöser grauer Rock. Es handelte sich um eine Frau, auch wenn ihre Kleidung aussah wie etwas, das auf feuchtem Waldboden gewachsen war.

Eine Wandlampe ließ ihr Licht auf dunkles, zurückgekämmtes Haar scheinen. Darunter funkelte eine Brille über einem dicken Buch. Weiß behandschuhte Hände hielten den Band so, dass das Gesicht der Frau dahinter verborgen war. Weiter unten schwang ein Bein vor und zurück, nackt bis kurz unters Knie.

Ein sehr sexy aussehendes Bein.

Alaric trat näher an die Leiter heran, froh, dass er von seinen finsteren Grübeleien abgelenkt wurde.

Haut wie Mondschein. Eine wohlgeformte Wade, ein schmaler Knöchel und schlanker Fuß. Zehen, die bei jedem Schwung verlockend wackelten.

Anerkennend ließ er seinen Blick an diesem Bein hochgleiten. Selbst ihr Knie sah gut aus! Zu gut, um einen Mann zu verspotten, der rastlos und auf der dringenden Suche nach Ablenkung war.

Er hob den am Fuß der Leiter liegenden Schuh auf. Flache Sohle, schlichtes braunes Leder. Fürchterlich altbacken.

Solche Beine hatten Besseres verdient, dachte er. High Heels mit spitzen Absätzen, um die schön geformte Wade zu betonen. Riemchen um die Fesseln. Seidenbänder, die so sexy waren, dass ein Mann sie einfach öffnen musste, um sich dann anderen Vergnügungen hinzugeben.

Alaric schüttelte den Kopf. Er würde alle Juwelen im Tresorraum darauf verwetten, dass die Besitzerin dieses Schuhs entsetzt wäre von der Idee, extravagante Schuhe zur Verführung eines Mannes einzusetzen.

Ein gefährliches Kribbeln überlief ihn, als er das Bein weiter beobachtete, das vor und zurück schwang. Und zum ersten Mal seit Wochen hob sich seine Laune.

„Aschenputtel, nehme ich an?“

Die tiefe, sanfte Stimme riss Tamsin aus ihren Gedanken. Vorsichtig senkte sie das Buch so weit, dass sie darüber hinwegschauen konnte.

Mit aufgerissenen Augen erstarrte sie, als sie den Mann betrachtete, der zu ihr aufschaute.

Er muss einem Traum entstiegen sein.

Auf keinen Fall konnte er echt sein, denn kein Mann aus Fleisch und Blut sah so wundervoll aus.

Wie betäubt vor Schock schüttelte sie ungläubig den Kopf. In seiner Husarenuniform stand er wie ein Märchenprinz vor ihr, ihren heruntergefallenen Schuh in der Hand. Ein größerer, rauerer Märchenprinz als der aus den Büchern ihrer Kindheit. Seine dunklen Augenbrauen zierten ein gebräuntes Gesicht, das weniger hübsch als vielmehr magnetisch, charismatisch und potenziell sexy war.

Wie der ältere und wesentlich gefährlichere Bruder des Märchenprinzen.

Dunkle, funkelnde Augen fixierten sie, und zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass ein Mann sie nicht nur anschaute, sondern sie wirklich sah. Nicht ihren Ruf, nicht ihre Verfehlungen, sondern Tamsin Connors, die impulsive Frau, die sie so verzweifelt zu unterdrückten versuchte.

Sie fühlte sich verletzlich und zugleich aufgeregt.

Ein träges Lächeln umspielte seine Mundwinkel, wobei in einer Wange ein Grübchen erschien.

Die Reaktion tief in ihrem Unterleib erstaunte Tamsin. Kleine Feuerzungen leckten unter ihrer Haut, ihre Lungen zogen sich zusammen …

Das laute Zufallen des Buchs, das sie in den Händen hielt, ließ sie zusammenzucken. Sofort kamen die anderen Bücher auf ihrem Schoß ins Rutschen, und sie griff danach. Doch sie waren unhandlich, und Tamsin traute sich nicht, das kostbare Herbarium in ihren Händen loszulassen.

Stumm vor Entsetzen sah sie zu, wie ihr ein Buch aus den Fingern rutschte und die Leiter hinunterfiel. Auch wenn sie wusste, dass es zu spät war, es zu retten, streckte sie die Hand danach aus.

„Nicht bewegen!“ Die Autorität in seiner Stimme ließ sie mitten in der Bewegung innehalten.

Der Prinz trat einen Schritt vor und fing das Buch mit einer Hand auf.

Schwindelig vor Erleichterung schloss Tamsin die Augen. Sie hätte sich nie verziehen, wenn das Buch Schaden genommen hätte.

Dann öffnete sie die Augen wieder und sah, dass er sich umgedreht hatte, um das Buch auf einen Tisch zu legen. Der blaue Stoff seiner Tunika spannte sich über seinen breiten Schultern und den muskulösen Armen.

Diese Figur war nicht das Resultat geschickter Schneiderkunst.

Sie schluckte schwer und ließ ihren Blick zu den langen, kräftigen Oberschenkeln gleiten, die in einer dunklen Hose steckten. Der rote Streifen an der Seitennaht zog die Aufmerksamkeit auf die athletischen Beine.

Seine ganze Haltung und die präzisen Bewegungen verrieten, dass er ein Soldat war.

Als spüre er ihren Blick, drehte er sich abrupt um und sah sie an. Tamsin erbebte unter seiner überwältigenden Männlichkeit.

Sie arbeitete ständig mit Männern, aber nie hatte sie jemanden getroffen, der so unleugbar maskulin war. Als würde das Testosteron in Wellen von ihm ausstrahlen. Er brachte ihr Herz zum Rasen.

„Nun versuchen wir, Sie heil dort runterzubekommen.“ War das ein Anflug von Humor in seinen Augen?

„Mir geht es gut.“ Sie umklammerte die Bücher wie einen Rettungsring. „Ich stelle die eben zurück und dann …“

„Nein.“ Wieder hielt sie sofort inne. „Ich nehme sie.“

„Ich verspreche Ihnen, normalerweise bin ich nicht so ungeschickt.“ Sie setzte sich aufrechter hin, genervt von ihrer eigenen Dummheit, die Bücher hier, anstatt am Tisch zu studieren. Normalerweise war sie methodisch, logisch und vorsichtig. Und dass die Aufregung sie überwältigt hatte, war keine Entschuldigung für ihr Verhalten.

„Egal. Das ist das Risiko nicht wert.“ Er trat an die Leiter und schaute mit unlesbarer Miene zu Tamsin auf. „Ich erleichtere Sie zuerst von Ihrer Last.“

Tamsin biss sich auf die Unterlippe. Sie konnte ihm sein Verhalten nicht vorwerfen. Beinahe hätte sie einen einzigartigen Folianten beschädigt. Welche Expertin ging so ein Risiko ein? Was sie getan hatte, war unverzeihlich.

„Es tut mir leid. Ich …“

Sie verstummte, als die Leiter unter ihr sich bewegte und der Prinz zu ihr hinaufgeklettert kam.

Warmer Atem strich federleicht über ihren Knöchel, über ihre Wade, und zu ihrem Entsetzen konnte sie einen kleinen, köstlichen Schauer nicht unterdrücken.

Kurz danach tauchte ein dunkler Kopf zwischen ihren Beinen auf. Ihr wurde heiß, als sie seinen Blick auffing.

Aus mehreren Metern Entfernung war der Mann umwerfend. Aber aus der Nähe, wo sie das Funkeln in seinen mitternachtsblauen Augen und den sinnlichen Schwung seiner Unterlippe sehen konnte, raubte er ihr den Atem. Winzige Fältchen um Mund und Augen sprachen von Erfahrungen und grimmiger Ausdauer, was im Gegensatz zu seinem Humor stand. Und doch erhöhten sie nur seine Attraktivität.

„Gestatten Sie“, sagte er und streckte die Hand aus, um das Buch von ihrem Schoß zu nehmen. Er strahlte eine Energie aus, die den Stoff von Tamsins Rock durchdrang. Mit einem Mal war ihr schwindelig und sie presste das Herbarium gegen ihre Brust.

Dann war er fort, war mit einer Leichtigkeit die Leiter hinuntergeklettert, die seine Fitness verriet.

Tamsin atmete tief ein und versuchte, sich zu fassen. Noch nie hatte sie sich von männlicher Schönheit aus der Bahn werfen lassen. Aber sie hatte auch noch nie so einen umwerfenden Mann getroffen.

Er ist nur ein Mann, dachte sie und schüttelte den Kopf.

„Das hier auch.“ Er war wieder da. Sie war so in ihren Gedanken gefangen gewesen, dass sie ihn nicht hatte kommen sehen. Er griff nach dem Buch in ihren Armen.

„Ist schon gut. Das kann ich tragen.“ Auf keinen Fall wollte sie die Barriere zwischen sich und ihm aufgeben.

„Wir wollen doch nicht einen weiteren Unfall heraufbeschwören“, sagte er in seinem perfekten Englisch. „Oder, Aschenputtel?“

„Ich bin nicht …“ Sie verstummte. Trotz seiner gespielt ernsten Miene sah sie das amüsierte Schimmern in seinen Augen.

Zorn wallte in ihr auf, und Unsicherheit zog ihr den Magen zusammen. Patrick hatte sie auch ausgelacht. Ihr ganzes Leben lang war sie eine Außenseiterin gewesen, jemand, über den man redete und sich amüsierte. Sie hatte zwar gelernt, so zu tun, als würde ihr das nichts ausmachen, aber es schmerzte trotzdem.

Und doch war es ihre Schuld. Sie hatte sich in diese lächerliche Lage gebracht, weil sie zu neugierig gewesen war, um einfach nur dazusitzen und zu warten. Nun würde er sie niemals ernst nehmen, dabei hatte sie nie zuvor so sehr das Vertrauen von jemandem gebraucht.

Hatte sie gerade ihre einzige Chance auf Erfolg verspielt?

Den Rest ihrer Würde packend, löste sie ihre verkrampften Finger und legte das Buch in die wartenden Hände des Prinzen.

Schwielige Finger strichen über die dünnen Handschuhe, die sie zum Schutz der Bücher übergezogen hatte. Es war wie ein Elektroschock, der ihren Arm hochjagte. Erschrocken zog sie die Hände zurück.

Dann wandte sie den Kopf vor seinem wissenden Blick ab, um ihre Gefühle nicht zu zeigen.

Er blieb ganz still stehen. Sie spürte seinen Blick wie eine Berührung, die langsam über ihr Gesicht und ihre Kehle strich.

Neugierde bin ich gewohnt, sagte sie sich. So war es schon ihr ganzes Leben lang gewesen.

Kurz darauf kletterte er die Leiter herunter, und Tamsin stieß den angehaltenen Atem aus.

Zeit, sich dem Unausweichlichen zu stellen. Sie stand auf und wollte sich gerade herumdrehen, um die Leiter hinabzusteigen, als er erneut vor ihr auftauchte.

„Ich brauche Platz, um mich umzudrehen“, sagte sie mit zittriger Stimme.

Doch anstatt ihr diesen Platz zu lassen, umfasste er die Leiter rechts und links neben ihr.

„Wirklich, ich kann allein runtersteigen.“ Die Worte klangen schärfer, als beabsichtigt, doch seine Gegenwart schien sie zu erdrücken, ihr jegliche Luft zum Atmen zu rauben.

„Natürlich können Sie das.“ Er schürzte die Lippen, und Tamsin stieg Hitze in die Wangen. „Aber Unfälle passieren, und ich möchte nicht, dass Sie den Halt verlieren.“

„Das werde ich schon nicht“, hauchte sie erschreckend atemlos.

Er zuckte mit diesen breiten Schultern. „Das hoffen wir. Aber wir werden kein Risiko eingehen. Denken Sie nur an den Papierkram mit der Versicherung, sollten Sie sich verletzen.“

„Ich würde nicht …“

„Natürlich nicht.“ Er kam noch eine Stufe höher, sodass Tamsin sich mit dem Rücken gegen die Bücher im Regal lehnen musste. „Aber Ihr Chef könnte mich auf Schadensersatz verklagen.“

„Ich bin doch aber freiwillig hier hinaufgeklettert.“

Er schüttelte den Kopf. „Jeder mit nur einem Funken Verständnis würde erkennen, was für eine Verlockung diese Leiter für eine Frau ist, die Bücher liebt. Das ist ja geradezu eine Einladung für Schwierigkeiten.“

Etwas flackerte in seinen Augen auf. Sie war sicher, dass er innerlich lachte, doch seine Miene blieb mitfühlend. „Haben Sie also Mitleid mit meinen Nerven und lassen Sie mich Ihnen herunterhelfen.“

Tamsin öffnete den Mund, um diesem Unsinn Einhalt zu gebieten, doch bevor sie noch etwas sagen konnte, zogen große Hände sie an sich und ließen die Worte in ihrer Kehle stecken. Kurz verspürte sie Panik, als sie nach vorne fiel, doch dann lag sie über einer soliden, muskulösen Schulter. Mit einem Arm hielt der Prinz sie fest, während er behände die Leiter herunterkletterte.

„Lassen Sie mich los! Setzen Sie mich sofort ab!“ Sie konnte nicht fassen, dass er sie einfach so gepackt hatte.

„Natürlich. Sofort.“

Zu ihrem Entsetzen spürte Tamsin seine Stimme tief durch seinen und ihren Oberkörper vibrieren.

Sie schloss die Augen, und ein Gefühl der Aufregung stieg in ihr auf.

Nein, sie durfte das hier nicht genießen. Sie sollte wütend sein. Oder zumindest gleichgültig. Sie sollte …

„Da wären wir schon.“ Er setzte sie auf einem Stuhl ab und trat zurück.

Nun lachten seine Augen nicht mehr, sondern schauten ernst auf sie herab. Seine Lippen waren eine gerade Linie, die Augenbrauen leicht zusammengezogen. In seinem Kiefer zuckte ein Muskel, und Tamsin hatte das flüchtige Gefühl, dass er eher genervt als amüsiert war.

Sie hätte jetzt gern einen geistreichen Kommentar von sich gegeben, um sich als clever und sorglos zu geben, doch ihr fiel nichts ein.

Stattdessen schaute sie hilflos zu ihm auf. Ihr Blick blieb an seinen schwarzen Haaren hängen, die nun leicht zerzaust waren. Begehren flackerte in ihr wie ein Feuerwerkskörper kurz vor der Explosion.

Es war nicht die sexy Kavallerie-Uniform, die sie so aufregte, sondern der Mann aus Fleisch und Blut, dessen überschattete Augen glühten wie eine Einladung zur Sünde.

Als er sich nun auf ein Knie niederließ, und ihren nackten Fuß in die Hände nahm, setzte ihr Herz einen Schlag aus. Ein Zittern überlief ihr Bein, und in ihrer Mitte breitete sich Hitze wie Lava aus.

Sie versuchte, ihren Fuß wegzuziehen, doch der Prinz ließ ihn nicht los, sondern fischte etwas aus seiner Tasche und schob es ihr über den Fuß. Weiches, abgetragenes Leder. Ihr verlorener Schuh.

„Also, Aschenputtel, warum wollten Sie mich sehen?“

Tamsins Pulsschlag beschleunigte sich. Das hier war der Moment, auf den sie gewartet hatte. Der Mann, der ihre Karriere und ihren Ruf in seinen Händen hielt.

Sie schluckte, sprang dann auf und trat ein paar Schritte zurück, wobei sie die Handschuhe auszog und in die Rocktasche steckte.

„Es geht um die Archive, die ich katalogisiere und schätze“, fing sie an und drehte sich zu ihm um. Er stand an einen Sessel gelehnt und hatte abwesend die Stirn gerunzelt. Tamsin reckte das Kinn und atmete tief durch.

„Unter den kürzlich entdeckten Dokumenten befinden sich einige einzigartige und sehr wertvolle Papiere.“

„Da bin ich mir sicher.“ Er nickte höflich, aber nicht sonderlich interessiert.

„Ich habe von einem eine Kopie mitgebracht.“ Sie griff nach ihrer Aktentasche und war dankbar, seinem Blick für einen Moment ausweichen zu können.

„Warum erzählen Sie mir nicht einfach, worum es geht?“

Oder in anderen Worten: Komm zur Sache.

Der Prinz hatte zwar viel Zeit, Scherze zu machen und sich auf ihre Kosten zu amüsieren, aber keine Minute, wenn es um ihre Arbeit ging.

Enttäuschung machte sich in ihr breit. Und Ärger.

„Eines der Dokumente hat meine Aufmerksamkeit erregt. Es handelt sich um ein Verzeichnis von Ihrer und Prinz Rauls Familie.“ Sie hielt inne, denn trotz ihres Verdrusses sprudelte die Aufregung über ihren Fund erneut in ihr hoch.

„Ich habe das lateinische Original übersetzt, und wenn es sich als korrekt herausstellt …“

„Ja? Was dann?“

Tamsin zögerte, aber es gab keine einfache Art, es zu sagen. Und außerdem würde er die Neuigkeiten sicher willkommen heißen.

„Wenn es echt ist, sind Sie nicht nur der Prinz von Ruvingia, sondern auch der nächste legitime Herrscher von Maritz. Und nicht Prinz Raul.“ Sie hielt inne und sah, wie seine Miene erstarrte.

„Sie sollten zum König gekrönt werden.“

2. KAPITEL

Alaric verspannte sich, als ihm mit albtraumhafter Klarheit die Bedeutung ihrer Worte bewusst wurde.

Er als Herrscher von Maritz!

Die Idee war absurd.

Raul war der Kronprinz. Er war seit seiner Geburt darauf vorbereitet worden, eines Tages zu herrschen, und hatte sein Leben ganz in den Dienst des Landes gestellt.

Maritz brauchte ihn.

Oder einen Mann wie Alarics Bruder Felix.

Alaric selbst war nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt. Selbst jetzt noch hörte er die kühle, knappe Stimme seines Vaters, wie er seiner endlosen Enttäuschung über seinen leichtsinnigen Sohn Ausdruck verlieh.

Und wie recht der alte Mann gehabt hatte. Alaric konnte nicht die Verantwortung für das ganze Land übernehmen. Es war schon schlimm genug, dass er im Fürstentum in Felix’ Fußstapfen hatte treten müssen. Ihm das Wohl des ganzen Landes anzuvertrauen wäre eine Katastrophe.

Er, der so viele Menschen so schrecklich im Stich gelassen hatte.

Autor

Annie West
<p>Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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