Reigning Men - Sechs Prinzen finden die große Liebe

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EINE FÜRSTLICHE AFFÄRE
Prinz Rowan hat ein Problem: Binnen sechs Monaten muss eine Ehefrau her, damit sein Anspruch auf den Fürstenthron gesichert ist. Und eins ist klar: Das sexy Kindermädchen Lara ist kaum die richtige Kandidatin für die Rolle der Fürstin ...leider.

MÄRCHENPRINZ FÜR EINE NACHT
Jewel fühlt sich wie berauscht: ein Ausritt im Mondschein, ein leidenschaftlicher Kuss diese Nacht ist einfach märchenhaft. Und der faszinierende Mac Delgado kann nur ein Traumprinz sein. Sie ahnt gar nicht, dass sie damit der Wahrheit ziemlich nahekommt ...

SCHENKE MIR NOCH EINE NACHT
Die hübsche Polly ist sprachlos: Ihr sexy Exlover entpuppt sich als der Prinz von Tesoro del Mar! Und Erics glühende Umarmung zeigt ihr, dass er ihre stürmische Liebesnacht auch nie vergessen hat. Doch wie wird er reagieren, wenn er erfährt, dass er Vater wird?

EINE BRAUT FÜR DEN PLAYBOY-PRINZEN?
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VERLOCKENDE KÜSSE IM SCHLOSS AM MEER
Prinz Michael bewundert, wie Hannah das Herz seiner trotzigen Tochter gewinnt. Damit, dass die Nanny auch sein Herz erobert, hat er nicht gerechnet. Aber die gemeinsamen Tage am Meer und ein inniger Kuss wecken die Sehnsucht in dem Witwer. Ist er bereit für ein neues Glück?

DIE SCHÖNE FREMDE MIT DER MASKE
Einmal etwas Gewagtes tun: Unerkannt erscheint Prinzessin Marissa Leandres im verführerischen Göttinnenkostüm auf dem herrschaftlichen Ball ? und landet mit einem Fremden im Bett! Sie ahnt nicht: Hinter der Maske verbirgt sich König Dante Romero. Der Mann, den sie heiraten soll ?


  • Erscheinungstag 27.09.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737863
  • Seitenanzahl 864
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Brenda Harlen

Reigning Men - Sechs Prinzen finden die große Liebe

IMPRESSUM

Eine fürstliche Affäre erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2008 by Brenda Harlen
Originaltitel: „The Prince’s Royal Dilemma“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA
Band 278 - 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Roman Poppe

Umschlagsmotive: Svyatoslava Vladzimirska / Shutterstock

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733737931

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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PROLOG

Die unberührten Sandstrände und das kristallklare Meer machen Tesoro del Mar zu einem wahren Schatz des Mittelmeers. Obwohl die Insel sehr klein ist, zieht sie Besucher aus der ganzen Welt an.

Lara Brennan saß im Flugzeug, las eifrig in ihrem Reiseführer und konnte gar nicht genug über die Insel erfahren, auf der sie gleich landeten.

Tanis Rowland, ihre beste Freundin und Reisepartnerin, wedelte vor Laras Gesicht herum, um ihre Aufmerksamkeit zu er-langen.„Wir sind doch hier, um Urlaub zu machen. Warum studierst du dieses Buch so intensiv, als ob du darüber einen Test schreiben müsstest?“

„Mich faszinieren die Geschichte, die Kultur und sogar der Name des Landes. Wusstest du, dass er Schatz des Meeres bedeutet?“

„Tesoro del Mar.“ Tanis stieß einen tiefen Seufzer aus. „Das hört sich wie ein Königreich aus einem Märchen an.“

„Es ist kein Königreich, sondern ein Fürstentum.“ Lara deutete auf eine Zeile in ihrem Buch.

„Was ist da der Unterschied?“

„Es wird nicht von einem König, sondern von einem Fürsten regiert.“

Tanis blaue Augen funkelten. „Es gibt hier ein paar wirklich scharfe Blaublüter.“

Lara lachte. Sie kannte bisher nur Fürst Julian – der glücklich mit Fürstin Catherine verheiratet war – aber sie hatte genügend Fotos von seinen Brüdern in den Boulevardblättern gesehen. Sie waren alle groß, dunkel und unverschämt gut aussehend. „Wir werden wahrscheinlich noch nicht einmal einen von Julians Brüdern sehen. Rowan arbeitet als Investmentbanker in London, Eric ist Offizier in der Marine, und Marcus studiert in Harvard.“

„Na ja, wenigstens werden wir im fürstlichen Palast wohnen.

Wie alt ist er eigentlich?“

Lara las in ihrem Reiseführer nach. „Er wurde vor mehr als vierhundert Jahren erbaut.“

„Das ist wirklich alt. Haben die denn damals schon Toiletten mit Spülung gehabt?“

„Nein. Ich kann mir aber vorstellen, dass es über die Jahre viele Renovierungsarbeiten gab.“

„Welche Sprache sprechen die Menschen hier?“

„Die Insel wurde sowohl von den Spaniern als auch von den Franzosen besiedelt. Deshalb ist es offiziell ein zweisprachiges Land. Die meisten Einwohner sprechen aber auch Englisch.“

Lara überflog die Geschichte von Tesoro del Mar und der Herrscherfamilie Santiago und schlug die nächste Seite auf. Es folgte eine Abbildung des prächtigen Palastes, die sich über zwei Seiten ausstreckte. Man konnte die atemberaubend schönen Türme und die hohen steinernen Balkone sowie die Bogenfenster erkennen, die die Fassade schmückten. Lara freute sich sehr darauf, den Palast zu besichtigen. Aber noch mehr freute sie sich auf die Familie, die darin wohnte.

Zweimal im Jahr reisten Fürst Julian und Fürstin Catherine nach Kilmore, Catherines Heimatstadt in Irland, um ihre Familie zu besuchen. Vor vielen Jahren hatte Lara sie dort über einen entfernten Verwandten kennengelernt. Bei diesem Besuch war das Fürstenpaar ohne Kindermädchen gereist, wodurch Lara die Möglichkeit geboten bekam, sich um deren zwei Kinder zu kümmern.

Die Fürstin wirkte überrascht und erleichtert, dass ihre Kinder Lara von Anfang an mochten. Und auch für Lara war es ein Vergnügen, sich um die beiden fürstlichen Sprösslinge zu kümmern. Bei jedem weiteren Besuch der Fürstenfamilie lud Catherine Lara ein, damit sie Zeit mit der Familie verbringen konnte.

Drei Wochen zuvor hatte Catherine Lara gebeten, sie in Tesoro del Mar zu besuchen, um das jüngste Mitglied der Familie kennenzulernen.

Lara war begeistert gewesen. Noch mehr hatte sie sich gefreut, als sie erfahren hatte, dass sie für die zwei Wochen auch eine Freundin mitnehmen konnte.

Tanis schnappte hörbar nach Luft und drückte Laras Arm. „Da ist die Insel!“

Lara sah aus dem Fenster und war sofort von dem Blick gefangen, der sich ihr bot.

Die Fotos in ihrem Reiseführer kamen nicht im Entferntesten an die Wirklichkeit heran. Die Hügel wirkten noch viel grüner, die Strände noch viel weißer und das Meer noch klarer.

„Ich wünschte, ich könnte für immer hierbleiben“, sagte Tanis verträumt.

Lara wusste, dass dies immer ein Traum für Tanis bleiben würde. Ihre eigene Zukunft könnte jedoch tatsächlich hier sein, da die Fürstin sie zu mehr als einem Urlaub am Mittelmeer eingeladen hatte. Catherine hatte ihr angeboten, diese Insel zu ihrem Zuhause zu machen.

Auch wenn Lara in den letzten Jahren ein sehr engesVerhältnis zu Catherines Familie aufgebaut hatte, so hätte sie nie gedacht, dass die Fürstin sie als Kindermädchen der fürstlichen Familie auswählen würde. Lara war immerhin unehelich geboren und wusste nicht einmal, wer ihrVater war. Nun blieben ihr zwei Wochen, um sich Tesoro del Mar anzusehen, sich mit den Kindern wieder vertraut zu machen und zu entscheiden, ob sie ihr altes Leben hinter sich lassen und ein neues auf der Insel beginnen wollte.

Catherine hatte darauf bestanden, dass Lara sich Zeit für ihre Entscheidung ließ. Aber in diesem Moment – nach nur einem kurzen Blick auf die Insel – schien Laras Entscheidung schon gefallen zu sein.

Sie würde auf der Insel bleiben und das neue Kindermädchen der Fürstenfamilie werden!

1. KAPITEL

Viereinhalb Jahre später

Drei Tage nach der Beisetzung von Fürst Julian Edward William Santiago und Fürstin Catherine Mary Santiago versuchte Rowan immer noch zu verstehen, weshalb sein Bruder und seine Schwägerin sterben mussten. Und nun das.

Rowan sah von dem offiziellen Dokument auf dem Schreibtisch auf und blickte zu seinem Bruder Marcus. „Was haben sie sich nur dabei gedacht?“

„Wahrscheinlich haben sie geglaubt, dass ihre Kinder bei dir in den besten Händen sind. Sie hätten wohl aber nie damit gerechnet, bei einer Explosion auf ihrer Jacht ums Leben zu kommen.“

Eigentlich war der Aufenthalt auf der Jacht als Familienausflug geplant gewesen. Doch da Alexandria und Damon mit Fieber im Bett lagen und Christian sich auch noch von einer Grippe erholte, war das Kindermädchen mit ihnen zu Hause geblieben. Das Fürstenpaar hatte beschlossen, wenigstens ein paar romantische Stunden zu zweit auf der Jacht zu verbringen, wenn der Ausflug schon ausfallen musste.

Rowan starrte erneut auf das Dokument, das ihm das Sorgerecht für die Kinder übertrug. Seine Schwägerin und sein Bruder hatten dieses Dokument mit seinem Einverständnis erstellen lassen. Aber er hätte aber niemals gedacht, dass dieser Fall aller Fälle tatsächlich eintreten könnte. Nun waren Julians Kinder unter seiner Obhut, womit die Zukunft des Fürstentums in seinen Händen lag.

„Ich weiß, dass du nicht erwartet hast, jemals in diese Situation zu geraten“, sagte Marcus. „Wirst du damit zurechtkommen?“

„Jemand muss sich ja um die Verpflichtungen kümmern, bis Christian alt genug ist, um das Fürstentum zu regieren. Ob ich damit zurechtkomme?“ Rowan schüttelte den Kopf. „Wie kann ich das bloß, wenn ich nur hier sitze, weil Julian und Catherine tot sind?“

Rowan sah zu einem Foto auf dem Schreibtisch. Es zeigte seinen ältesten Bruder und seine Schwägerin zusammen mit den Kindern. Sie sahen glücklich aus – und das nach fünfzehn Jahren Ehe. Wie konnte das Schicksal bloß so erbarmungslos zuschlagen?

Marcus stand auf und nahm das Foto in die Hände. „Die gesamte Familie hat in letzter Zeit viel durchgemacht. Ich werde noch etwas hierbleiben, um dich zu unterstützen, bevor ich nach Harvard zurückgehe.“

„Auch Eric hat mir seine Hilfe angeboten. Und dafür bin ich euch wirklich dankbar. Ich möchte aber nicht, dass ihr eure Pflichten vernachlässigt.“

„Das tust du doch auch.“

Rowan tat das, was er für seine Pflicht hielt. Er war sich sicher, dass seine Brüder sich genauso verhalten hätten, wenn sie in seiner Lage gewesen wären.

Die Familie Santiago lenkte schon seit Langem die Geschicke des Landes und genoss großes Vertrauen bei der Bevölkerung. Rowan wusste, dass sie ihn ebenso als Fürsten akzeptieren würden wie Julian. Er war sehr bewegt gewesen, als die ganze Insel auf den Beinen gewesen war, um dem Fürstenpaar das letzte Geleit zu geben. Auch wenn er nicht darauf brannte, das Land zu regieren, sah er doch ein, dass es seine Pflicht war. Und er würde sie mit Stolz erfüllen, um seinem verstorbenen Bruder Respekt zu zollen und das Land in eine sichere Zukunft zu führen.

„Die Wahrheit ist, dass es mir weniger Angst macht, das Land zu regieren, als mich um die Kinder zu kümmern.“ Rowan war sich derVerantwortung bewusst, die ihm sein Bruder übertragen hatte. Da er aber die letzten Jahre in London verbracht hatte, war sein Verhältnis zu den Kindern nicht sehr eng. Außerdem kannte er sich nicht mit der Erziehung von Kindern aus.

Mit Christian würde er noch zurechtkommen. Der Junge war zwölf und sehr vernünftig, auch wenn ihm bewusst war, dass er bald der Herrscher des Fürstentums wäre.

Alexandria war acht und konnte sehr rebellisch sein. Julian hatte oft damit zu kämpfen gehabt. Manchmal so sehr, dass ihm die Haare grau wurden, wie er zu sagen pflegte.

Damon war so etwas wie der kleine Wirbelwind in der Familie. Der Vierjährige konnte einen zum Wahnsinn treiben, das wusste Rowan sehr genau.

„Die Kinder haben ein Kindermädchen, das sich die ganze Zeit um sie kümmert“, erinnerte Marcus ihn.

Rowan nickte. „Auch was das Kindermädchen angeht, muss ich mich sehr über Julian und Catherine wundern.“

„Wie meinst du das?“

„Liest du denn nie Zeitung?“

„Nicht die Boulevardblätter. Da geht es mehr um Sensationshascherei als um seriösen Journalismus.“

„Miss Brennan hat den Zeitungen jedenfalls genug Stoff geliefert. Und was man da lesen konnte, war nun wirklich nicht fürstlich.“

„Na ja. Sie ist immerhin jung und attraktiv. Und sie kann nichts dafür, dass die Presse sich bei allem, was sie tut, auf sie schmeißt. Miss Brennan hat immerhin einen engen Kontakt zur Fürstenfamilie.“

„Ein fürstliches Kindermädchen sollte reif und vornehm sein.“

„Wie Adele, unser altes Kindermädchen, das immer so streng war?“ „Immerhin hat sie keine Schlagzeilen auf den Tanzflächen der Insel gemacht.“ Marcus lachte. „Da magst du recht haben. So alt, wie sie war, hätte bestimmt kein Magazin sich mehr für sie interessiert.“

Rowan musste daran denken, was für ein negatives Bild vom Fürstenhaus das neue Kindermädchen mit den Schlagzeilen geschaffen hatte. „Findest du nicht auch, dass sie ein schlechtesVorbild für die Kinder ist?“

„Ich weiß nicht genau, ob die Kinder in den Clubs mit dabei waren.“

Rowan hätte eigentlich mit so einer Antwort rechnen müssen. Immerhin war auch sein Bruder regelmäßig in den Klatschspalten der Magazine zu finden. „Du weißt, worauf ich hinauswill.“

„Nicht ganz.“

„Sie arbeitet für die Fürstenfamilie. Somit bringt man ihr Verhalten auch mit uns inVerbindung.“

„Sie kommt aber gut mit den Kindern aus. Das ist doch die Hauptsache.“

Gegen dieses Argument konnte Rowan nichts einwenden, vor allem, da in diesem Moment gerade ein lautes Kichern durch das Fenster drang. Er stand auf und ging zum Fenster, um zu sehen, wo die fröhlichen Stimmen herkamen.

Wie er erwartet hatte, war Lara mit Alexandria und Damon im Garten und spielte mit ihnen. Rowan beobachtete, wie Damon versuchte, über Laras Schulter zu klettern, während sie auf dem Gras kniete. Alle drei rollten sich auf dem Gras und kicherten immer wieder laut dabei.

Lara hatte Rowan schon von Anfang an fasziniert. In ihren Augen war immer dieses Funkeln, und wenn sie ihn anlächelte, dann konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Marcus kam zu ihm ans Fenster. „Nach allem, was sie durchgemacht haben, freut es mich, sie wieder lachen zu hören.“

„Dr. Marotta hat gesagt, dass die Kinder zäher sind, als wir denken. Ich bin erleichtert, dass sich das bestätigt. Nur Christian scheint alles in sich hineinzufressen.“

„Wo ist denn der Thronfolger?“

„In der Bibliothek. Er holt Unterrichtsstunden nach.“

„Er ist doch immer noch ein Kind.“

„Ja, aber es war seine Entscheidung, wieder zu lernen.“ Rowan zwang sich zu einem Lächeln. „Du solltest übrigens das Gleiche tun.“

„Das werde ich auch. Ich möchte nur noch etwas mehr Zeit mit den Kindern verbringen, bevor ich abreise.“ Marcus lächelte. „Und vielleicht auch mit Lara.“

Rowan kehrte zum Schreibtisch zurück und setzte sich. Er wollte keine weitere Diskussion wegen des Kindermädchens anfangen. Seiner Meinung nach stellte Lara Brennan nur ein weiteres Problem dar, das er von seinem Bruder geerbt hatte. Im Moment wusste er noch nicht, wie er mit diesem Problem umgehen sollte.

Wenige Tage, nachdem Rowans Bruder in die Staaten zurückgekehrt war, erschien das Kindermädchen der Fürstenfamilie ein weiteres Mal auf der Titelseite der Zeitungen. Diesmal war sie am Strand fotografiert worden und trug ein winziges Nichts, das nur entfernt an einen Bikini erinnerte.

Sie war offenbar gerade im Wasser gewesen, da ihre Brustspitzen sich deutlich unter dem Stoff abzeichneten. Sie lächelte und streckte die Arme nach jemandem aus, der nicht auf dem Bild zu erkennen war.

Zuerst überkam Rowan die Lust – Lara brachte sein Blut in Wallung und erregte sein Verlangen. Sie war atemberaubend sexy. Und er war auch nur ein Mann, genauso schwach und anfällig für weibliche Reize wie jeder andere.

Aber er war in erster Linie ein Fürst und musste deshalb ein gewisses Niveau aufrechterhalten. Er musste sich seine Partnerin sehr genau auswählen, denn sie sollte die höchsten Ansprüche erfüllen.

Rowan schob die Zeitung beiseite.

Wie sehr er sie begehrte. Trotzdem gab es nur eine Lösung für dieses Problem: Er musste sie aus dem Palast und somit aus seinem Leben verbannen.

Lara sammelte Eimer und Schaufeln für den Ausflug zum Strand ein, während Alexandria und Damon im Garten spielten. Alexandria war nicht sehr begeistert von der Idee gewesen, ans Meer zu gehen. Sie hatte immer noch Angst davor, weil ihre Eltern ertrunken waren. Schließlich hatte sie aber doch zugestimmt. Lara sah dies als Zeichen dafür, dass das Mädchen sich langsam von dem Schrecken erholte.

Marcus war am Samstag vor seiner Rückreise schon einmal am Strand mit ihnen gewesen. Leider wollte Christian an diesem Tag nicht mitgehen. Lara hoffte, dass er sich diesmal überreden ließ.

Nur eine Sache konnte Lara in die Quere kommen: Fürst Rowan hatte sie für den heutigen Tag in sein Büro gebeten. Den genauen Zeitpunkt für das Treffen kannte sie aber noch nicht. Die Nachricht hatte sowohl Bestürzung als auch Begeisterung in ihr hervorgerufen.

Der Fürst hatte sie noch nie zuvor in sein Büro rufen lassen. Er hatte aber auch noch nie einen Grund dafür gehabt. Tatsächlich war es ihr so vorgekommen, dass er bei seinen Besuchen aus London immer darum bemüht war, ihr aus dem Weg zu gehen. Auch wenn er in ihrer Anwesenheit nie etwas gesagt hatte, war sie sich sicher, dass er mit der Entscheidung seines Bruders, sie als Kindermädchen einzustellen, nicht zufrieden gewesen war.

Lara hatte keinen Grund anzunehmen, dass sich seine Meinung geändert hatte. Nun regierte er aber das Land, das ihr so sehr ans Herz gewachsen war, und die Kinder, die sie über alles liebte, standen unter seiner Obhut. Deshalb war Lara besorgt darüber, was dieVorladung zu bedeuten hatte.

Sie spielte gerade bei den Kindern im Garten, als Rowans Privatsekretär erschien und sie ins Büro zitierte.

„Wo willst du hin?“, fragte Damon und hielt ihr Bein fest, als sie gerade losgehen wollte.

Lara fuhr durch seine wilden Locken. „Ich gehe zum regierenden Fürsten.“

„Wer ist das?“

Lara lächelte. „Dein Onkel Rowan.“

„Oh.“ Damon weigerte sich immer noch, ihr Bein loszulassen.

„Aber du hast doch gesagt, dass wir zum Strand gehen“, schaltete Alexandria sich ein.

„Und ich hoffe, dass wir immer noch Zeit dafür haben, wenn ich zurückkomme“, antwortete Lara.

„Ich will aber jetzt gehen“, sagte Damon befehlend.

„Leider stellt Fürst Rowan jetzt die Regeln auf, und ich kann ihn wirklich nicht warten lassen.“

Damon sah sie wütend an. „Ich fand es besser, als Daddy die Regeln gemacht hat. Ich will, dass Daddy und Mommy wieder da sind.“

Lara kniete sich vor ihn hin und nahm den Jungen in die Arme. „Ich weiß, wie sehr du sie vermisst, mein Schatz.“

„Ich vermisse sie auch.“ Alexandria kam zu ihnen und legte die Arme um Lara.

Lara kamen die Tränen, als sie die Kinder tröstete. „Ihr müsst immer daran denken, dass euer Daddy und eure Mommy in euren Herzen weiterleben.“

„Ich möchte nicht, dass sie in meinem Herzen weiterleben“, sagte Alexandria stur.

„Ich auch nicht“, stimmte Damon zu. „Ich will, dass sie wieder mit uns im Palast leben.“

Eine halbe Stunde war seit der Vorladung zum Fürsten vergangen. Lara hatte es nicht übers Herz gebracht, die Kinder einfach so mit ihrem Kummer allein zu lassen. Sie brachte sie in ihr Zimmer, gab ihnen Bücher und Puzzles und redete ruhig auf sie ein.

Als sie schließlich an die Tür des Fürsten klopfte, merkte sie gleich, dass er wütend war. Mit gereizter Stimme bat er sie herein und sah sie grimmig an.

Lara machte unwillkürlich einen Knicks – eine lächerliche und veraltete Förmlichkeit, die noch lächerlicher wirkte, da sie alte Shorts und ein ausgeblichenes T-Shirt vom Spielen mit den Kindern trug. Julian und Catherine hatten immer darauf bestanden, dass sie derartige Förmlichkeiten sein ließ, wenn sie nicht in der Öffentlichkeit waren. Rowan schien allerdings darauf zu bestehen, da er keine Anzeichen machte, die das Gegenteil bewiesen.

„Sie wollten mich sehen, Fürst Rowan?“

„Schon vor einer Weile. “Rowan blickte sie verärgert an. „Anscheinend haben Sie die Zeit nicht genutzt, um sich zurechtzumachen.“

Lara zwang sich dazu, ruhig zu bleiben und die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu ignorieren. Immer, wenn sie Rowan traf, war sie sehr aufgeregt. Sie wusste, dass das einerseits daran lag, dass er sie ablehnte. Andererseits war sie seit dem ersten Treffen mit Rowan in ihn verschossen – auch wenn sie das niemals zugeben würde.

Obwohl es weder einen Sinn ergab noch sonderlich klug war, konnte sie dem Mann nicht widerstehen. Sie wusste nicht, warum Rowan diese Gefühle bei ihr auslöste. Es war einfach so. Allerdings war sie sich im Klaren darüber, dass sie in seinen Augen nie mehr als das Kindermädchen sein würde – und auch noch ein denkbar ungeeignetes.

Außerdem befürchtete sie, dass er sie aufgrund ihrer familiären Hintergründe ablehnen würde. Für Catherine und Julian war das nie ein Problem gewesen. Bei Rowan war sie sich aber nicht so sicher.

„Sie haben ein Blatt im Haar.“

Seine schroffe Bemerkung brachte sie wieder in die Realität zurück. „Oh.“ Sie entfernte es aus den Haaren und errötete. „Ich komme direkt aus dem Garten.“

„Wohl nicht ganz so direkt.“

„Nein. Alexandria und Damon waren bekümmert. Ich wollte sie nicht allein lassen.“

„Wenn Sie in mein Büro gebeten werden, sind Ihre Belange irrelevant.“

Auch wenn sie in ihn verschossen war, so war er doch manchmal ein fürstlicher Idiot. Lara atmete tief durch und zählte innerlich bis zehn, um sich zu beruhigen. „Entschuldigen Sie, mein Fürst. Ich hatte aber den Eindruck, dass es mein Job ist, mich um die Kinder zu kümmern. Und genau das habe ich getan.“

„Und was haben Sie getan, während dieses Bild aufgenommen wurde?“ Rowan deutete auf die Zeitung, die auf seinem Schreibtisch lag.

Lara blickte zu Boden und spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. „Das war ein Privatgrundstück. Ich weiß nicht, wie es zu dieser Aufnahme kommen konnte.“

„Außerhalb dieser Mauern existiert keine Privatsphäre. Das müssten Sie inzwischen doch wissen.“

Lara wusste, dass es besser gewesen wäre, den Fehler einzusehen und sich zu entschuldigen. Aber ihrer Meinung nach hatte sie nichts Falsches getan, und sie war einfach zu stolz, um Rowan umVergebung zu bitten.

„Stattdessen sind Sie wieder auf der ersten Seite und wirken wie ein Playmate.“

Obwohl sie die Wut, die sich in ihrem Bauch angestaut hatte, kaum noch zurückhalten konnte, schaffte sie es, ruhig zu bleiben. „Danke. Ich fühle mich geschmeichelt.“

Rowan kniff die Augen zusammen. „Wenn Sie glauben, dass ich das amüsant finde, dann irren Sie sich gewaltig.“

„Ich glaube nicht, dass Sie überhaupt irgendetwas amüsant finden.“

„Wie kann ich das auch, nur drei Wochen nach dem Tod des Fürstenpaars? Und nun auch noch dieses Foto, auf dem sich das Kindermädchen der Fürstenfamilie herumtreibt.“

„Herumtreibt?“

„Gibt es denn eine andere Erklärung dafür?“

Lara wollte gar nicht erst versuchen, ihm zu erklären, dass es sich um eine vollkommen harmlose Situation gehandelt hatte. „Fragen Sie Ihren Bruder. Er war dabei.“

Rowan sah sie überrascht an. „Marcus?“

„Ja.“

„Ich weiß nicht, was meine Brüder an Ihnen gefunden haben. Bis heute kann ich nicht verstehen, warum Julian Sie überhaupt eingestellt hat. Sie sind viel zu jung und unerfahren. Nun bin ich aber für die Kinder verantwortlich, und ich werde das tun, was das Beste für sie ist.“

Lara senkte den Blick, damit er nicht ihre Tränen sehen konnte. Es war ihre eigene Schuld. Sie hätte ihn nicht herausfordern sollen. Ihr Stolz ließ einfach nicht zu, dass sie ihn anbettelte. Aber die Kinder waren ihr wichtiger als ihr Stolz. Deshalb wollte sie nicht kampflos aufgeben. „Was auch immer das Foto für Sie bedeuten mag, es hat nichts mit meinen Fähigkeiten als Kindermädchen zu tun.“

„Das glaube ich nicht. Sie sind immerhin ein Vorbild für die Kinder.“

Lara merkte, dass es keinen Sinn hatte, vor ihm auf die Knie zu fallen. Er hatte sich bereits seine Meinung über sie gebildet.

„Sie können Ihre Abfindung auf dem Weg nach draußen im Personalbüro abholen“, sagte Rowan trocken.

„Glauben Sie, das kann alles gutmachen? Denken Sie ernsthaft, dass mir eine finanzielle Entschädigung wichtiger ist als die Kinder?“

Als er gerade den Mund öffnen wollte, um ihr zu antworten, schüttelte sie den Kopf. „Ach ja, richtig. Was ich möchte, ist ja irrelevant.“

„Das wäre dann alles, Miss Brennan.“

Lara ging niedergeschlagen zur Tür. Sie wusste, dass sie nichts mehr an der Situation ändern konnte. Allerdings hatte sie auch nichts mehr zu verlieren. „Nein, das ist nicht alles. Sie sagen, dass Sie das tun, weil es am besten für die Kinder ist. Ich frage mich nur, ob Sie sich nicht selbst belügen. Glauben Sie tatsächlich, dass ein paar Stunden mit den Kindern am Esstisch ausreichen, um zu wissen, was sie wirklich brauchen?“

Rowan blätterte in der Zeitung und ignorierte Lara. Aber so leicht würde sie sich nicht rauswerfen lassen.

„Ist Ihnen bekannt, dass Christian Probleme mit Algebra hat und überbackene Kartoffeln nicht ausstehen kann? Wussten Sie, dass Alexandrias Lieblingsfarbe Orange ist und sie davon träumt, eine Tänzerin zu werden?“

Rowan sah sie kühl an und sagte nichts.

„Wussten Sie, dass Damon keine Nacht seit der Explosion auf der Jacht durchgeschlafen hat?“

„Sind Sie nun fertig?“

Lara schüttelte den Kopf. Sie war sich im Klaren darüber, dass sie ihn nicht mehr überzeugen konnte, seine Meinung zu ändern. Aber sie wollte wenigstens, dass er der Kinder wegen wusste, wie falsch er lag. „Die Kinder brauchen mehr als nur jemanden, der auf sie aufpasst und sie an ihre fürstlichen Pflichten erinnert. Sie brauchen jemanden, der sie liebt.“

„Sie sind entlassen, Miss Brennan. Begreifen Sie das nicht?“

Die Tränen, die sie vorher mit aller Kraft unterdrückt hatte, liefen ihr nun die Wangen hinunter. Trotzdem hob sie stolz den Kopf. „Und Sie sind ein arroganter, selbstgefälliger Idiot!“

„Das hast du wirklich zu ihm gesagt?“ Tanis grinste über beide Ohren.

„Ja, das habe ich getan“, antwortete Lara schniefend.

Lara hatte kaum mit dem Weinen aufhören können, seit sie den Palast verlassen hatte, in dem sie viele Jahre gelebt und die Kinder lieb gewonnen hatte, als ob es ihre eigenen wären. Und sie konnte sich noch nicht einmal von ihnen verabschieden.

Fürst Rowan hatte ihr das allerdings nicht verboten. Es war ihre eigene Entscheidung gewesen. Sie hätte einfach nicht ertragen können, in ihre Gesichter zu blicken, während sie ihnen erklärte, dass sie gehen musste. Was hätte sie ihnen auch erzählen sollen? Sie konnte die Schuld nicht auf Rowan schieben und ihn vor den Kindern für alles verantwortlich machen. Er war nun immerhin so etwas wie ihr Ersatzvater. So verärgert sie auch war, sie musste Rowans Entscheidung hinnehmen. Auch wenn ihr Herz noch so sehr schmerzte.

Am liebsten wäre Lara einfach nach Hause gefahren. Allerdings lag das mehr als Tausend Kilometer weit weg. Also bat sie stattdessen den Chauffeur des Palastes darum, sie zu Tanis’ Haus zu fahren.

Tanis war zwei Jahre nach ihrem ersten Besuch wieder nach Tesoro del Mar zurückgekehrt. Einerseits, um den Heiratsplänen, die ihre Mutter für sie schmiedete, zu entfliehen, andererseits, um näher bei ihrer besten Freundin zu sein. Nachdem Tanis ihr Studium in Kunstgeschichte abgeschlossen hatte, arbeitete sie nun in einem Café, um sich die Miete und die Materialien für ihre künstlerische Arbeit in der Kunstgalerie von Port Augustine leisten zu können. Sie hoffte, dort ein paar Kontakte zur Künstlerszene der Insel herstellen zu können.

Lara war in diesem schweren Moment froh, ihre beste Freundin in der Nähe zu haben.

„Ich hätte liebend gern eurem Gespräch gelauscht, Lara.“ Tanis kam mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern ins Wohnzimmer ihrer Wohnung.

„Ich war einfach wütend und verletzt.“

„Das ist ja auch verständlich.“ Tanis schenkte ihnen Wein ein. „Du hast dich vier Jahre lang um die Familie gekümmert, und er schmeißt dich wegen eines einzigen Fotos raus.“

Lara seufzte. „Ich will gar nicht mehr an dieses Foto denken. Ich weiß ja noch nicht einmal, wie es dazu gekommen ist. Wir waren doch an einem privaten Strand, die Kinder, Marcus und ich.“

„Der Fotograf hatte wahrscheinlich ein starkes Zoomobjektiv. So konnte er eine Großaufnahme von dir machen, auf der du extrem sexy wirkst. Die Kinder um dich herum hat er einfach aus dem Foto herausgeschnitten.“

„Vielen Dank für das Kompliment.“

Tanis lächelte nur.

Lara trank einen Schluck Wein. „Glaubst du, dass er mich aufgrund des Gesprächs aus dem Land werfen kann?“

„Er ist der regierende Fürst. Er könnte dich für alles belangen. Aber warum sollte er das tun?“

„Du hast recht.“

„Weißt du was? Eigentlich solltest du froh sein, dass du endlich den Palast verlassen hast.“

„Warum?“

„Weil du sonst nie von deiner Schwärmerei für Rowan geheilt werden würdest. Jetzt kannst du immerhin tun und lassen, was du willst. Du bist frei.“

„Das hört sich an, als ob ich in einem Gefängnis gelebt hätte.“

„So ähnlich war es doch, oder?“

„Ich hatte auch mein Privatleben. Ich bin ausgegangen und habe mich amüsiert.“

„Ja. Aber du bist niemals mit einem Mann zweimal ausgegangen, weil du ihn immer mit Rowan verglichen hast. Und welcher normale Mann kann schon mit einem attraktiven Fürsten mithalten?“

Das konnte Lara nicht abstreiten, auch wenn es ihr noch nie richtig aufgefallen war.

„Du bist jetzt fünfundzwanzig Jahre alt“, fuhr Tanis fort. „Noch viel zu jung, um an eine Heirat zu denken. Trotzdem sage ich dir, wenn du nicht langsam aus deiner Märchenwelt aufwachst, wirst du nie einen Mann bekommen und eigene Kinder haben, die du dir so sehr wünschst.“

„Du hast wieder recht.“

Tanis lächelte zufrieden. „Natürlich habe ich recht. Und ich weiß auch schon, welcher Mann dir dabei helfen kann, deinen Traumfürsten zu vergessen.“

„Bitte sag mir nicht, dass du ein Blind Date für mich arrangiert hast.“

„Eigentlich geht es gar nicht um ein Date, sondern um einen Job.“

„Um was für einen Job denn?“

„Was hältst du davon, das Kindermädchen von Luke zu werden?“

„Von deinem Luke?“

„Von meinem Boss.“

Lara hatte Luke ein paarmal in der Kunstgalerie getroffen und wusste nur wenig über ihn. Wenn sie sich richtig erinnerte, war seine Frau vor Kurzem verstorben, weshalb er seine Zwillinge allein aufzog. Außerdem war er ausgesprochen attraktiv. Sie wusste, dass ihre Freundin ihn heimlich begehrte. „Ich dachte, er hat schon ein Kindermädchen.“

„Jetzt nicht mehr. Sie ist letzte Woche mit einem Bildhauer durchgebrannt.“

„Und du glaubst, dass er verzweifelt genug ist, um ein Kindermädchen einzustellen, das von der Fürstenfamilie gefeuert worden ist?“

„Ich weiß, dass er froh wäre, dich bei sich zu haben. Wenn du möchtest, kann ich ihn gleich anrufen.“

Lara hätte am liebsten Nein gesagt, denn klammheimlich hoffte sie, dass ihr Fürst alles bereute und sie wieder zu sich zurückholte. Aber das würde wohl nie passieren.

„Du kannst du es dir ja noch überlegen, Lara. Jedenfalls kannst du so lange hierbleiben, wie du möchtest.“

„Danke.“

Lara war dankbar fürTanis’Angebot. Aber sie mochte es nicht annehmen. Die Wohnung ihrer Freundin war gerade einmal groß genug für eine Person. „Es wäre gar nicht so schlecht, einen neuen Job zu beginnen. Ich muss irgendwie weiterkommen.“

„Dann rufe ich gleich Luke an.“ Tanis griff zum Telefonhörer.

Lara nippte an ihrem Wein, während ihre Freundin alles für sie arrangierte.

„Er wollte herkommen und dich abholen“, sagte Tanis, nachdem sie das Telefongespräch beendet hatte.

„Gut.“

„Nein. Das ist nicht gut. Da wir beide heute frei haben, sollten wir die Gelegenheit nutzen und shoppen gehen.“

„Du meinst Schuhe shoppen?“

Tanis lächelte. „Gibt es denn etwas Schöneres?“

„Für einen neuen Job brauche ich auch neue Schuhe.“

„Dann lass uns losgehen, den Tag genießen und den arroganten Fürsten vergessen.“

Laras Augen füllten sich wieder mit Tränen. „Als ob das so einfach wäre. Am meisten ärgert mich, dass ich überhaupt nicht vorbereitet auf die ganze Situation war. Ich hätte eigentlich wissen müssen, dass so etwas kommen würde. Rowan mochte mich von Anfang an nicht. Ich hätte aber niemals gedacht, dass seine Abneigung so weit gehen würde.“

„Er ist eben ein arroganter Idiot.“ Tanis sagte das so überzeugt, dass Lara lachen musste.

„Ich muss heiraten?“ Rowan sah Henri Marchand ungläubig an. „Sie machen Witze, oder?“

„Leider nicht.“ Rowans politischer Berater schien es tatsächlich ernst zu meinen. „Wenn Sie nicht innerhalb von sechs Monaten nach Ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag heiraten, verlieren Sie womöglich den Anspruch auf den Thron.“

„Lässt sich das nicht anfechten?“

„Sie könnten es versuchen. Es würde aber schwierig werden und lange dauern. Und Ihr Geburtstag steht schon bald vor der Tür.“

„Das bedeutet also, dass ich knapp sechs Monate Zeit habe, um eine geeignete Frau zu finden?“

„Ganz genau, Eure Hoheit.“

„Und was ist, wenn ich mich weigere? Würde Eric dann das Amt übernehmen?“ Das wollte Rowan auf keinen Fall. Er könnte nie zulassen, dass sein Bruder die Karriere bei der Marine hinschmiss, um seinen Pflichten auf der Insel nachzukommen. Und was seinen jüngsten Bruder Marcus anging, war das genauso unmöglich, da er noch nicht einmal auf sich selbst aufpassen konnte, geschweige denn auf ein Fürstentum.

„Das Ganze ist nicht so einfach, wie Sie denken“, warnte Henri ihn. „Sie vergessen, dass auch andere Familienmitglieder in Betracht gezogen werden können. Und Ihre Tante Elena ist der Meinung, dass ihr Sohn Michael ebenfalls Anspruch auf den Thron hat.“

„Und Michael ist schon verheiratet.“

Henri nickte. „Ich weiß nicht, ob Ihr Cousin überhaupt Interesse an dem Amt hat, aber es besteht kein Zweifel daran, dass seine Mutter ihn dazu drängen möchte. Falls Sie also vorhaben, die Gesetze zu missachten, wird sie die Erste sein, die sich dagegen wehrt.“

Rowan faltete die Hände auf dem Schreibtisch und versuchte, sich seine Resignation nicht anmerken zu lassen. Jetzt musste er nicht nur die Verantwortung für die Kinder seines verstorbenen Bruders übernehmen, sondern auch darum kämpfen, dass sein Cousin nicht die Macht über das Fürstentums übernahm und somit eine lange Familientradition endete. Rowan hätte aber nie damit gerechnet, dass er so plötzlich heiraten müsste. Das stellte ihn vor eine fast unlösbare Aufgabe.

„Na gut“, sagte Rowan schließlich. „Sie sind mein Berater. Dann beraten Sie mich. Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?“

„Ich glaube, dass die Entscheidung, eine Frau zu heiraten, in erster Linie eine persönliche Entscheidung sein sollte und nicht eine politische.“

Rowan sah ihn missmutig an.

„Sie haben doch schon viel Kontakt mit Frauen gehabt“, erinnerte Henri ihn. „Es sollte eine Leichtigkeit für Sie sein, eine Frau von einer Heirat zu überzeugen.“

„Es besteht wohl ein großer Unterschied darin, eine Frau zum Essen auszuführen und ein paar angeregte Stunden mit ihr zu verbringen oder sie zu heiraten und den Rest des Lebens mit ihr zu verbringen.“

„Es muss doch aber eine Frau geben, die Eindruck bei Ihnen hinterlassen hat.“

Rowan versuchte, sich an die Frauen zu erinnern, die er in der letzten Zeit ausgeführt hatte. Doch in seinem Kopf schwirrte immer nur das Bild einer einzigen Frau herum … das von Lara. Er konnte sich an keine Augen so gut erinnern wie an ihre. Er konnte sich nicht entsinnen, wie viele Frauen er in seinem Leben geküsst hatte, aber noch mehr reizten ihn die Lippen von Lara, die er noch nie berührt hatte. Sie waren so voll und verführerisch.

„Anscheinend gibt es da doch eine Frau.“

Henris Kommentar riss Rowan aus seiner Träumerei. „Nein“, log er. „Es gibt keine.“

„Nun, dann sollten Sie sich am besten möglichst schnell nach einer Frau umsehen. Aber vergessen sie nicht. Sobald die Presse davon Wind bekommt, werden Sie sich vor heiratswilligen Frauen kaum noch retten können.“

Rowan nickte. Die Medien hatten schon immer Anteil an seinem Privatleben genommen und würden es wohl auch jetzt tun. Vor allem, da es um ein so heikles Thema ging. „Und Sie sind sicher, dass mir keine andere Wahl bleibt?“

„Ich bin kein Anwalt. Aber ich glaube, die Gesetze lassen sich nicht so einfach ändern, weil die Bevölkerung das nicht akzeptieren würde. Und auch nicht Ihre Tante Elena.“

Rowan nickte erneut. „Danke, Henri.“ Sein Berater war kein Anwalt. Aber sein Bruder Marcus studierte Jura. Er griff zum Telefonhörer und wählte Marcus’ Nummer.

2. KAPITEL

Zehn Tage, nachdem Lara den Palast verlassen hatte, versuchte Rowan immer noch, sich einzureden, dass er kein schlechtes Gewissen haben musste. Doch jedes Mal, wenn er in Damons oder Alexandrias traurige Augen sah, fragte er sich, ob seine Entscheidung wirklich richtig gewesen war. Selbst Christian, der normalerweise immer vernünftig war, schien Lara zu vermissen.

Außerdem musste Rowan an das Gespräch mit Marcus denken, das er zwei Tage nach Laras Entlassung mit ihm geführt hatte. Marcus hatte ihn darin über die wahren Hintergründe des Strandfotos aufgeklärt.

Rowan hatte einen Fehler begangen. Er hatte vorschnell reagiert, ohne alle Fakten zu kennen. Das Foto hatte Gefühle in ihm ausgelöst, über die er sich nicht im Klaren gewesen war. Es hatte ihm gezeigt, dass er Lara begehrte, sie aber gleichzeitig nicht haben konnte, da sie das Kindermädchen war und in einer vollkommen anderen Welt lebte.

Rowan war entsetzt gewesen, dass er solche Gefühle für Lara hatte. Deshalb war es in dem Moment für ihn besser gewesen, sie zu feuern. So kam er nicht jedes Mal in Versuchung, wenn sie in seiner Nähe war.

Mittlerweile war ihm bewusst, dass es nicht geholfen hatte, sie aus dem Palast zu verbannen. Seit sie die Familie verlassen hatte, träumte er jede Nacht von ihr und sehnte sich nach ihrem atemberaubenden Körper. Er wollte sie berühren, küssen und sie ganz fest an sich drücken. Wenn er dann morgens aufwachte, war er allerdings froh, dass sie nicht im Palast war. Sonst könnte er ihr wohl nicht widerstehen.

Rowan wusste, dass er eine falsche Entscheidung getroffen hatte. Nicht nur, weil seinVerlangen nach Lara sich immer weiter steigerte, sondern vor allem, da er den Kindern die wichtigste Bezugsperson genommen hatte.

Aber er konnte die Entscheidung nicht mehr rückgängig machen. Damon und Alexandria würden sich schon wieder beruhigen, und auch Christian würde wieder vernünftig werden. Rowan musste bei seiner Entscheidung bleiben. Er durfte jetzt nicht schwach werden. Das rebellische Verhalten der Kinder würde sich wieder legen. Sie brauchten bloß etwas Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Das neue Kindermädchen war ja erst seit einer Woche im Palast. Er war sich sicher, dass bald wieder alles seinen normalen Lauf nehmen würde.

Rowan hatte Edna Harris nicht eingestellt, weil sie graue Haare hatte und lange Röcke trug. Aber es gab ihm ein besseres Gefühl. Edna hatte viel Erfahrung als Kindermädchen und würde bestimmt keine negativen Schlagzeilen machen. Außerdem fühlte er sich absolut nicht zu ihr hingezogen. Und das war auch gut so.

Er spürte plötzlich, wie jemand an seinem T-Shirt zog. Er richtete sich auf, rieb sich die Augen und sah zu dem Kind, das neben seinem Bett stand. „Alexandria, was ist passiert?“

„Damon übergibt sich wieder.“

„Wo ist Mrs. Harris?“

„In Damons Zimmer.“

„Weshalb bist du dann hier?“

„Weil nur du das wieder in Ordnung bringen kannst.“

Rowan runzelte die Stirn. „Was kann ich denn tun, was Mrs. Harris nicht tun kann?“

„Lara zurückholen.“

„Ihr habt doch jetzt ein neues Kindermädchen“, sagte Rowan sanft.

„Aber sie kennt das Lied nicht.“

„Welches Lied denn?“

„Na das Lied eben …“ Alexandria stockte und brach in Tränen aus. Sie blinzelte und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Das Lied von Mommy. Lara hat es immer gesungen, wenn wir schlecht geträumt haben.“

Rowan sah auf die Uhr. Es war drei Uhr morgens, und er hatte um sieben Uhr einen wichtigen Termin mit dem Ministerpräsidenten. Er wusste aber auch, dass es weitreichende Folgen haben konnte, wenn er diese Krise nicht löste.

„Damon hat sich jede Nacht übergeben, seit Lara weg ist“, sagte Alexandria leise.

„Jede Nacht?“

„Hat Mrs. Harris dir das nicht erzählt?“

„Nein.“

Alexandria seufzte. „Seit Mommy und Daddy tot sind, hat Damon jede Nacht Albträume. Lara hat ihm immer vorgesungen, wenn er nachts schreiend aufgewacht ist, um ihn zu beruhigen. Aber jetzt schreit er so lange, bis ihm schlecht wird und er sich übergeben muss.“

Rowan holte den Morgenmantel aus dem Schrank. „Miss Brennan ist jetzt schon seit zehn Tagen nicht mehr da, richtig?“

Alexandria nickte.

Rowan sah sie schockiert an. „Damon übergibt sich also schon seit zehn Tagen?“ Die Erkenntnis, dass ihm das niemand mitgeteilt hatte, machte ihn wütend. „Lass uns zu deinem Bruder gehen und dann Dr. Marotta anrufen.“

Trotz des inständigen Flehens von Mrs. Harris weigerte sich Alexandria, wieder schlafen zu gehen. Auch Rowan brachte es nicht übers Herz, sie dazu zu drängen. Stattdessen versprach er dem Kindermädchen, dass er Alexandria selbst ins Bett brächte, sobald der Arzt da war.

Dr. Marotta kam eine halbe Stunde nach Rowans Anruf im Palast an. Leider hatte er kein Wundermittel für Damon dabei, gab ihm aber ein leichtes Beruhigungsmittel, das ihm beim Einschlafen half.

Als Damon schließlich eingeschlafen war, brachte Rowan Alexandria ins Bett. Er war nicht daran gewöhnt, da dies normalerweise das Kindermädchen übernahm. Doch er fand Gefallen daran, Alexandria zuzudecken und ihr eine Gutenachtgeschichte zu erzählen. Es tat ihm aber auch im Herzen weh, da sein Bruder dieses Ritual immer gepflegt hatte und das nun nicht mehr konnte.

Rowan hätte alles dafür getan, um den Kindern wieder ihre Eltern zurückzubringen. Aber das konnte noch nicht einmal ein Fürst bewerkstelligen.

„Gute Nacht, kleine Fürstin.“

Rowan gab ihr einen Kuss auf die Stirn und wollte gerade das Zimmer verlassen, als Alexandria etwas murmelte.

„Du sorgst doch dafür, dass Lara wieder zurückkommt, Onkel Rowan?“

„Ich werde mit ihr reden.“

Mehr konnte er im Moment nicht versprechen. Alexandria schien die Antwort zu genügen, da sie sich lächelnd umdrehte und die Augen schloss.

Dr. Marotta wartete auf Rowan, als dieser Alexandrias Zimmer verließ.

„Danke, dass Sie so spät noch gekommen sind, Doktor.“

Der alte Mann verbeugte sich. „Es ist mir stets eine Ehre, Eure Hoheit.“

„Auch wenn Sie um vier Uhr morgens aus dem Bett geklingelt werden?“

„Auch dann.“

Rowan führte ihn in die Bibliothek und setzte sich in einen Ledersessel. „Was können Sie mir zu Damons Zustand sagen?“

„Wahrscheinlich nichts, was Sie nicht schon wissen. Er hat in letzter Zeit viel durchgemacht und ist deshalb sehr aufgebracht und bekümmert.“

„Was kann ich dagegen tun?“

„Seien Sie einfach für ihn da.“ Plötzlich runzelte Dr. Marotta die Stirn. Es schien ihm ein weiterer Gedanke gekommen zu sein. „Ich habe schon vor langer Zeit mit Miss Brennan über dieses Thema gesprochen. Und sie hatte mir versichert, dass Damons Zustand immer besser wurde. Vielleicht sollte ich noch einmal mir ihr sprechen, da es sich nun wieder verschlechtert.“

„Die Kinder haben ein neues Kindermädchen.“

„Oh.“

Mehr hatte Dr. Marotta nicht dazu zu sagen. Aber es war ihm anzumerken, dass er mit dieser Veränderung nicht zufrieden war. Er sah Roewn skeptisch an.

„Glauben Sie, dass es falsch war, Miss Brennan zu entlassen?“, fragte Rowan.

„Ich würde nie wagen, Ihre Entscheidungen infrage zu stellen, Eure Hoheit.“

„Und wenn ich Sie darum bitte?“

„Nun, Miss Brennan hatte ein sehr enges Verhältnis zu den Kindern. Und nachdem die Kinder ihre Eltern verloren haben, trifft es sie um so härter, auch noch ihr über alles geliebtes Kindermädchen zu verlieren.“

Rowan nickte.

Während er den Arzt zur Tür brachte, dachte er über Alexandrias Bitte nach, Lara wieder zurückzuholen. Er wusste nicht, ob er das überhaupt noch konnte. Da er nun der regierende Fürst war, sollte er hinter seinen Entscheidungen stehen. Er durfte sich nicht beeinflussen lassen, sondern das tun, was er für das Beste hielt.

Trotzdem konnte er Laras Worte nicht vergessen. Sie hatte recht. Er wusste tatsächlich nicht, was in den Kindern vor sich ging, und was sie für Wünsche und ihre Probleme hatten.

Rowan hatte keine andere Wahl. Er würde gleich morgen zu der Frau gehen, die ihm mehr als jede andere den Kopf verdrehte.

Lara ging auf Zehenspitzen zu Marcis und Kaylas Zimmer, um nach ihnen zu sehen, bevor sie selbst sich wieder ins Bett legte. Ganz genauso, wie sie es auch bei den Kindern im Palast getan hatte.

Als sie das Zimmer der Mädchen betrat, fiel ihr sofort auf, dass Marcis Bett leer war. Erleichtert stellte sie fest, dass das Mädchen sich in das Bett ihrer Schwester gelegt und sich an sie gekuschelt hatte.

Lara kannte nicht den Grund für MarcisVerhalten. Hatte sie nur einen schlechten Traum gehabt, oder war es eine Gewohnheit? Sie musste Luke am nächsten Tag fragen. Nach etwas mehr als einer Woche war ihr die neue Familie immer noch sehr fremd. Es würde noch lange dauern, bis sie die Gewohnheiten undVorlieben der Mädchen kannte.

Immerhin hatten die Mädchen Lara akzeptiert. Sie waren sehr still, brav und wohlerzogen. Lara war sich sicher, dass sie keine Probleme mit ihnen hätte, und auch Luke schien sehr dankbar dafür zu sein, dass sie so kurzfristig eingesprungen war.

Als Lara das Zimmer wieder verließ, musste sie an Damon, Alexandria und Christian denken. Sie fragte sich, ob ihr neues Kindermädchen auch jede Nacht nach ihnen sah und sich gut um sie kümmerte. Besonders der Gedanke, dass Damon jede Nacht schreiend aufgewacht war, beunruhigte sie. Kam das neue Kindermädchen mit dieser schwierigen Situation überhaupt zurecht?

Fürst Rowan bekam davon sicherlich nichts mit. Er schlief ja zwei Stockwerke weiter oben. Hoffentlich hatten Damons Albträume ein Ende gefunden. Aber wahrscheinlich dauerte es noch eine Weile, bis die Kinder sich von dem Schock erholten, den sie durch den Tod ihrer Eltern erlitten hatten.

Als Lara gerade in ihr Bett gehen wollte, klopfte es an der Tür. Sie runzelte die Stirn und sah auf die Uhr. Es war schon fast elf Uhr. Wer konnte das jetzt noch sein?

Das Klopfen wurde immer lauter. Sie zog ihren Morgenmantel an und eilte an die Tür, weil sie fürchtete, dass die Mädchen aufwachen konnten.

Luke kam ihr allerdings zuvor. Er stürzte mit halb offenen Augen aus seinem Arbeitszimmer und lief zur Tür. Anscheinend war er wieder an seinem Schreibtisch eingeschlafen.

„Ich gehe schon“, sagte er.

Lara blieb hinter ihm und war schockiert, als Luke die Tür öffnete und sie den späten Besucher erkannte.

Luke schien den Fürsten allerdings nicht gleich zu erkennen. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Ich muss mit Miss Brennan reden.“ Rowan sah über Lukes Schulter.

Lara wurde jetzt erst bewusst, wie unangemessen gekleidet sie war, und machte einen Knicks. „Guten Abend, Eure Hoheit.“

„Eure Hoheit?“ Luke begriff erst jetzt, wem er da die Tür geöffnet hatte. „Verzeihen Sie. Bitte kommen Sie herein …“

„Das ist schon in Ordnung“, unterbrach ihn Rowan. „Entschuldigen Sie bitte meinen späten Besuch. Ich wollte schon früher kommen, aber ein Abendessen mit dem japanischen Botschafter hat mich aufgehalten.“

Lara spürte, wie der Fürst sie musterte. Sie wusste, was er von ihr dachte. Es war ihr aber mittlerweile egal. „Was führt Sie hierher, Eure Hoheit?“

Rowan sah ihr tief in die Augen und sagte die Worte, die sie nie zu hören erwartet hatte. „Ich brauche Sie.“

Rowan hätte auch einen Bediensteten schicken können, um Lara die Nachricht zu überbringen. Aber das wäre feige gewesen. Er musste Lara persönlich sprechen und sich bei ihr entschuldigen. Nur so konnte er sichergehen, dass sie sein Angebot nicht ablehnte.

Lara schuldete ihm nichts und musste nicht in den Palast zurückkehren. Dessen war er sich bewusst. Er kannte aber auch ihre drei größten Schwächen: Christian, Alexandria und Damon. Sie konnte einfach nicht ablehnen, zu den Kindern zurückzukehren.

Der Mann, der an die Tür gegangen war, ließ sie allein.

Lara führte Rowan in die Küche und forderte ihn dazu auf, sich zu setzen. Dann setzte sie Teewasser auf. „Warum brauchen Sie mich?“

„Ich kann Ihnen keineVorwürfe machen, wenn Sie an meinen Absichten zweifeln. Ehrlich gesagt habe ich über jede andere Möglichkeit nachgedacht, bevor ich hergekommen bin.“

„Woher haben Sie gewusst, wo Sie mich finden können?“

„Ihre Freundin Tanis hat es mir erzählt.“ Der Chauffeur hatte Rowan Tanis’ Adresse gegeben. „Miss Rowan, ich weiß, dass Sie nicht gut auf mich zu sprechen sind, aber vielleicht sollten Sie die Sorgen eines Kindes in denVordergrund stellen.“

„Um wen geht es? Ist etwas passiert?“

„Es geht um Damon. Er hat Albträume.“

„Die hat er schon seit dem Tod seiner Eltern.“

„Das weiß ich jetzt auch. Aber ich hatte keine Ahnung, wie schlimm sein Zustand die ganze Zeit über war.“

Lara schwieg.

„Dr. Marotta hat gesagt, dass sich Damons Zustand eine Zeit lang verbessert hat, weil Sie ihm sehr mit seinen Ängsten geholfen haben.“

„Ich weiß nicht, ob ich ihm wirklich professionelle Hilfe bieten kann.“

„Doch, das können Sie“, bestand Rowan.

Lara schüttelte nur den Kopf.

„Es geht nicht nur um Damons Albträume. Alexandria isst kaum noch etwas, und Christian spricht nur noch mit mir, wenn ich ihn dazu auffordere.“

„Und was soll ich dabei tun?“

„Sie könnten zurückkommen.“

„Nein.“ Lara drehte sich um.

„Wollen Sie nicht wenigstens noch einmal darüber nachdenken?“

„Ich habe mittlerweile einen anderen Job.“

„Sie meinen, bei dem Mann, der mir die Tür geöffnet hat …“

„Luke Kerrigan.“

„Arbeiten Sie für ihn?“

„Glauben Sie, ich bin nur hier, um mit ihm zu schlafen?“

Rowan wusste, dass sie ihn bloß herausfordern wollte. Trotzdem gefiel ihm dieser Gedanke gar nicht. „Ich werde mit Mr. Kerrigan reden. Ich bin mir sicher, dass wir uns einigen können.“

„Meinen Sie damit, dass Sie Ihre Stellung als Fürst geltend machen werden?“

„Ich werde das tun, was am besten für die Kinder meines Bruders ist.“

„Und was wird aus Lukes Kindern?“

„Die werden Sie bestimmt vermissen. Ich bezweifle aber, dass sie in zehn Tagen eine so enge Beziehung zu Ihnen aufgebaut haben wie Julians Kinder in viereinhalb Jahren.“

„Soll ich nun dankbar sein, dass Sie das endlich begriffen haben?“

„Nein. Ich erwarte überhaupt keinen Dank von Ihnen. Aber ich wäre froh, wenn Sie zum Palast kämen, um wenigstens etwas Zeit mit den Kindern zu verbringen.“

„Ich möchte nicht in den Palast zurückkehren.“ Lara holte Tassen und Untertassen aus dem Regal und knallte sie laut auf den Tisch. Sie war enttäuscht von sich selbst, weil sie ihre Gefühle nicht unter Kontrolle halten konnte. Doch der Fürst regte sie einfach zu sehr auf. Trotzdem konnte sie nicht abstreiten, dass sie einen Moment lang darüber nachgedacht hatte, wieder zu den Kindern zurückzukehren.

Sie konnte es aber nicht. Und das würde sie ihm auch klarmachen.

Plötzlich stand er vor ihr und berührte ihre Schulter.

„Ich möchte nicht zurückkehren“, wiederholte sie. „Und Sie haben kein Recht, hierherzukommen und diesen Schritt von mir zu verlangen.“

„Ich weiß. Trotzdem musste ich Sie fragen.“

Lara spürte, wie ihr immer wärmer wurde. Und das lag an seiner Berührung. Sie konnte sich nicht gegen das Verlangen wehren, das in ihr aufstieg. Es war unfassbar. Nur eine kleine Berührung genügte, und schon schmolz sie fast dahin.

Rowan sah sie so eindringlich an, dass sie kaum noch Luft bekam. Ihr Herz klopfte wie wild. Ihr war noch nie aufgefallen, wie sehr seine Augen funkelten. Er war ihr aber auch noch nie so nah gewesen. Und auch wenn sie wusste, dass seine Nähe in diesem Moment nicht gut für sie war, konnte sie keinen Zentimeter von ihm weichen.

Erst als der Fürst die Hand von ihrer Schulter nahm, bekam Lara wieder Luft. Ihr wurde klar, dass Tanis recht hatte. Lara würde sich nie in einen anderen Mann verlieben können, solange sie in der Nähe von Rowan war.

Lara schluckte und trat einen Schritt zurück. „Ich kann nicht.“

Rowans Handy klingelte. Er murmelte eine Entschuldigung und zog sich zurück, um das Gespräch anzunehmen.

Lara wollte gerade Tee einschenken, als Rowan zurückkam und ihr das Handy reichte. „Es ist Alexandria.“

Lara sah ihn verwundert an und nahm das Handy entgegen. „Alexandria?“

„Lara!“ Die Freude in der Stimme des Mädchens war unüberhörbar. „Ich wusste nicht, dass Onkel Rowan heute mit dir reden würde. Ich wollte ihn noch einmal daran erinnern, da habe ich erfahren, dass er gerade bei dir ist. Kommst du wirklich heute Abend zurück? Wir vermissen dich. Damon ist wieder aus einem Albtraum aufgewacht. Er hat sich aber gleich beruhigt, als ich ihm erzählt habe, dass du heute kommst. Es wird uns allen wieder besser gehen, ich freue mich so sehr.“

Lara war hin und her gerissen, während sie mit Alexandria telefonierte. Wie konnte sie in den Palast zurückkehren, nachdem Rowan sie fristlos entlassen hatte? Andererseits, konnte sie sich tatsächlich weigern, wenn die Kinder sie so dringend brauchten?

„Wir haben jetzt Mrs. Harris“, fuhr Alexandria fort. „Sie ist richtig alt und trägt nur hässliche Kleider. Außerdem lacht sie nie. Christian behauptet, dass sie schon auf der Erde war, als die Dinosaurier noch lebten.“

Lara wunderte sich nicht, dass Rowan ein neues Kindermädchen eingestellt hatte. Sie war aber erleichtert, dass sie nicht so einfach zu ersetzen war.

„Wir müssen die ganze Zeit über blöde Aufgaben erledigen und kommen kaum noch zum Spielen. Und dann muss ich mir komische Kleider anziehen, damit ich eine vornehme Lady werde. Ich würde aber viel lieber so sein wie du, Lara. Mit dir haben wir immer so viel Spaß.“

Lara schaffte es schließlich, das Gespräch zu beenden, ohne irgendwelche Versprechungen zu machen. Schweren Herzens gab sie das Handy an Rowan zurück.

„Haben Sie ihr erlaubt, so spät noch aufzubleiben, um mit mir sprechen zu können?“, fragte sie.

„Ich habe das nicht geplant. Aber ich hätte es getan, wenn es Sie irgendwie dazu bringen könnte, zu uns zurückzukehren.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass Sie zu solchen Mitteln greifen würden, Eure Hoheit.“

„Sie kennen mich wohl noch nicht richtig, Miss Brennan. Sonst wüssten Sie, dass ich bis zum Letzten kämpfe.“

„Falls ich zurückkommen sollte, dann müssen Sie mir versichern, dass Sie Ihre Meinung nicht einfach wieder ändern.“

„Ich gebe Ihnen mein Wort.“

„Das reicht mir nicht. Ich möchte einenVertrag.“

Rowan war nicht daran gewöhnt, dass jemand seinen Anordnungen nicht Folge leistete. Und in diesem Fall musste er sogar einen Kompromiss mit dem Kindermädchen eingehen, was sich für einen Fürsten gar nicht schickte.

Letztendlich hätte er alles unternommen, um Lara wieder zurück in den Palast zu bekommen. Natürlich nicht seinetwegen. Er war sich immer noch der Gefahr bewusst, die von Laras Anwesenheit im Palast ausging. Die Kinder brauchten Lara. Das hatte er mittlerweile verstanden. Er musste aber auch schnellstmöglich eine Frau zum Heiraten finden. Und Lara würde ihm dabei eher im Weg stehen.

„Ein Vertrag könnte dabei helfen, unsere Erwartungen aneinander klarzustellen“, stellte Lara fest.

Rowan nickte. Ihm blieb keine andere Wahl. „Ich werde meinen Anwalt gleich morgen früh damit beauftragen.“

„Danke.“

Da Lara immer noch darauf bestand, dass Luke zuerst sein Einverständnis zu ihrer Kündigung gab, führten sie noch ein Gespräch mit ihm, bevor sie das Haus verließen. Luke erklärte sich damit einverstanden, dass Rowan ihm die Dienste von Edna Harris zurVerfügung stellte, solange er nach einem neuen Kindermädchen suchte.

Während der Fahrt zum Palast sagte Lara kaum ein Wort. Ihr Duft machte Rowan ganz verrückt. Er wollte mit ihr reden und sie berühren. Sie brachte jetzt schon seine Sinne durcheinander. Wie würde das erst werden, wenn sie wieder zusammen im Palast wohnten?

Er hatte sich gewaltig in ihr geirrt. Lara war weder zu jung und unerfahren, noch der falsche Umgang für die Kinder. Sie war eine starke Frau, die sehr viel Mut bewies und unbeirrt für ihre Ziele kämpfte. Außerdem ließ sie sich nicht von seinem Fürstentitel beeindrucken, was Rowan ebenso imponierte.

Er wusste, dass er stolz auf sich sein konnte, da er die scheinbar unmögliche Aufgabe, Lara zurückzuholen, erfolgreich gemeistert hatte. Trotzdem hatte er ein ungutes Gefühl. Er sah zu ihr hinüber und war fasziniert von ihrer natürlichen Schönheit. Sie benutzte kaum Make-up und trug sportliche Kleidung, dennoch war sie die schönste Frau, die er in seinem Leben gesehen hatte.

Er nahm das Lenkrad seines Geländewagens in beide Hände und konzentrierte sich wieder auf die Fahrbahn.

Es schien zwar so, als ob er bekommen hatte, was er wollte. In Wahrheit wollte er aber noch viel mehr.

Lara stieß einen tiefen Seufzer aus, als Rowans Wagen die Einfahrt zum fürstlichen Palast hochfuhr. Als sie vor viereinhalb Jahren das erste Mal hierhergekommen war, kam sie nicht mehr aus dem Staunen heraus. Auch jetzt nahm ihr der Blick auf den prächtigen Palast den Atem.

Rowan parkte vor dem Eingang und wollte Lara die Tür öffnen. Doch sie sprang heraus, bevor er an der Tür war. Sie war immerhin eine Bedienstete und kein Gast. Auch wenn sie nicht vergessen konnte, wie Rowan sie kurz zuvor in der Küche angesehen hatte.

Vielleicht begehrte er sie. Diese Erkenntnis überraschte sie, da sie niemals geglaubt hätte, dass er mehr als Verachtung für sie übrig hätte. Aber sie musste vorsichtig sein, da sie sich seiner wahren Absichten nicht sicher sein konnte.

Lara folgte ihm ins Foyer des Palastes und war aufgeregt wie damals beim ersten Besuch. Sie hatte nicht damit gerechnet, jemals hierher zurückzukehren. Es waren nicht nur die glänzenden Marmorböden und die prächtigen Kronleuchter, die sie faszinierten. Irgendwie hatte sie das Gefühl, als wäre sie wieder nach Hause gekommen. Ihr wurde bewusst, dass sie sich in diesem Palast glücklicher als an jedem anderen Ort fühlte.

„Sie sind bestimmt schon müde, aber ich würde gern noch kurz etwas mit Ihnen besprechen“, sagte Rowan, nachdem er dem Butler die Koffer übergeben hatte.

„Gut.“

Rowan bat sie, auf einem der gemütlichen Sofas im Foyer Platz zu nehmen. Dann setzte er sich ebenfalls. „Möchten Sie etwas Tee?“

„Nein, danke.“

„Ich bitte Sie, mein Verhalten zu entschuldigen. Marcus hat mir erzählt, wie es zu dem besagten Foto gekommen war. Ich wäre aber froh gewesen, wenn Sie mir von Alexandrias Angst vor dem Meer erzählt hätten.“

„Hätte das einen Unterschied gemacht?“

„Dessen bin ich mir nicht sicher. Ich weiß aber mittlerweile, dass die Kinder Sie wirklich brauchen.“

Rowan sah ihr in die Augen und sie spürte erneut, wie ihr warm wurde. Nur ein Blick – und sie schmolz dahin. Sie musste sich zusammenreißen. „Ist das der Punkt, an dem auch ich mich für meinVerhalten entschuldigen sollte, Eure Hoheit?“

Rowan amüsierte der ernste und entschlossene Ausdruck in Laras Gesicht. „Nein, Miss Brennan. Ich erwarte keine Entschuldigung von Ihnen. Ich hoffe aber, dass Sie Ihre Meinung über mich ändern werden.“

„Sie haben immerhin eingesehen, dass die Bedürfnisse der Kinder wichtiger als Ihre sind. Das ist ja schon einmal ein Anfang.“

„Ich möchte Ihnen sagen, wie dankbar ich bin, dass Sie zurückgekommen sind.“

„Ich habe es für die Kinder getan.“

„Das ist mir bewusst.“ Rowan stand auf und ging zur Treppe. „Ich bringe Sie nach oben.“

„Ich kenne den Weg.“

„Natürlich.“ Er ließ sie vorausgehen und folgte ihr.

Als sie bei ihrem Zimmer angekommen waren, konnte er nicht widerstehen und berührte sie erneut. Er legte die Hand auf ihre Wange und streichelte sie, während ihre Augen groß wurden und ihr der Atem sichtlich stockte.

Er konnte in ihren Augen erkennen, dass seine Gefühle für sie auf Gegenseitigkeit beruhten. Doch er zog die Hand wieder zurück, da er in diesem Moment nicht die Flamme der Leidenschaft zwischen ihnen entfachen wollte. Es war für sie beide zu riskant.

„Gute Nacht, Miss Brennan.“

Sie schluckte. „Gute Nacht, Eure Hoheit.“

Rowan beobachtete sie, wie sie in ihrem Zimmer verschwand. Während er sich auf dem Weg zu seinem machte, wurde ihm bewusst, dass er einen weiteren Fehler begangen hatte. Er war sich allerdings nicht sicher, ob der Fehler darin bestand, sie zu berühren … oder sie gehen zu lassen.

3. KAPITEL

Lara war so schnell wieder mit den Kindern vertraut, dass es ihr vorkam, als wäre sie nie weg gewesen. Sie versuchte, Alexandria weiter die Angst vor dem Meer zu nehmen, was sehr wichtig war, da sie immerhin auf einer Insel wohnten. Sie beruhigte Damon, wenn er mitten in der Nacht schreiend aufwachte, und hoffte, dass seine Albträume bald ein Ende fänden. Christian machte ihr am meisten Sorgen. Er wirkte äußerlich zwar ruhig, aber er litt sehr. Der Junge schien sich mit dem Lernen abzulenken, doch Lara wusste nicht genau, wie gut ihm das gelang.

Rowan lief ihr nur sehr selten über den Weg. Ob er es absichtlich tat oder ihn seine Pflichten zu sehr in Anspruch nahmen, wusste sie nicht. Er hatte jedenfalls keine Möglichkeit mehr, ihr heiße Blicke zuzuwerfen, da sie sich so selten sahen. Nach einer Woche fragte sie sich, ob da überhaupt jemals etwas zwischen ihnen gewesen war. Und am Ende der zweiten Woche war sie sich sicher, dass sie sich alles bloß eingebildet hatte.

Am darauf folgenden Dienstag erhielt sie eine Nachricht von ihm. Lionel überbrachte sie ihr, als sie draußen im Garten saß und die Sonne genoss, während die Kinder in der Schule waren.

„Neunzehn Uhr Abendessen im fürstlichen Esszimmer der Familie.“

Lara wusste, dass es sich nicht um eine Einladung, sondern um eine Anordnung handelte.

Während sie sich für das Abendessen umzog, ärgerte sie sich, dass sie seinen Anweisungen Folge leisten musste. Er war der regierende Fürst und sie nur das Kindermädchen. Die Rollen waren klar verteilt.

Wie immer war sie nervös, wenn es darum ging, Rowan zu treffen. Das lag einerseits an seinem Fürstentitel und andererseits daran, dass sie ihn nach wie vor begehrte. Zum Glück schien er nicht zu merken, wie sehr sie sich nach ihm sehnte.

Lara nahm sich bei der Auswahl ihrer Abendgarderobe viel Zeit. Sie wollte etwas Schickes anziehen, ohne dass es zu seriös wirkte. Nachdem sie ihre Wahl getroffen hatte, trug sie Makeup auf und holte eine Parfumflasche aus dem Bad. Allerdings sah sie dann doch davon ab, Parfum aufzutragen. Warum sollte sie sich für einen Mann zurechtmachen, der sich noch nicht einmal für sie interessierte? Der Fürst würde sie nur zur Kenntnis nehmen, wenn sie zu spät kam, und das würde gleich passieren, wenn sie sich nicht etwas beeilte.

Es gab drei Esszimmer im Palast. Der fürstliche Bankettsaal bot mehr als einhundert Gästen Platz und wurde für Staatsempfänge und andere besondere Veranstaltungen genutzt. Zudem gab es einen weiteren Saal, der Anlässen mit bis zu vierzig Personen Platz bot. Das Esszimmer hingegen diente privaten Abendessen der fürstlichen Familie.

Als Rowan auf die fünf gedeckten Plätze am Tisch sah, wurde ihm bewusst, dass er die Kinder kaum näher kennengelernt hatte, seit Julian und Catherine verstorben waren. Und er musste sich eingestehen, dass er sich auch nicht sehr darum bemüht hatte. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Geschäfte und politischen Belange des Fürstenhauses. Die Kinder waren ihm immer noch fremd.

Aus diesem Grund hatte er heute alle zum Abendessen eingeladen. Vielleicht konnte er so den Kindern etwas näherkommen. Zuerst hatte er gezögert, auch das Kindermädchen einzuladen, dann war ihm aber klar geworden, dass sie ihm den Zugang zu den Kindern vielleicht etwas erleichtern konnte.

In diesem Moment betraten die Kinder das Esszimmer. Alexandria ging voran. Ihre Augen leuchteten und ihre Wangen waren rot vor Aufregung. Sie hielt ihren kleinen Bruder an der Hand, der auch begeistert zu sein schien. Christian lief ein paar Meter hinter ihnen und wirkte reservierter und ernster als seine Geschwister.

Schließlich betrat Lara den Raum und gesellte sich zu den Kindern.

Wie immer war Rowan fasziniert von Lara. Sie trug ein trägerloses Abendkleid, das knapp bis zu ihren Knien reichte und ihre endlos langen Beine betonte.

Ihre Präsenz brachte sein Blut inWallung. Was für eine Schande es war, dass er sie niemals haben könnte. Aber er wusste auch, dass er sich darauf konzentrieren musste, eine Ehefrau zu finden, und Lara war als Kindermädchen tabu.

Während des Essens spornte Lara die Kinder dazu an, von ihrem Alltag zu erzählen. Sie selbst gab aber kaum etwas von sich preis und vermied auch jedes direkte Gespräch mit Rowan. Außerdem aß sie kaum etwas. War das Essen etwa zu vornehm für sie?

Christian hingegen langte wie ein Teenager zu. Nachdem er bereits eine Portion gegessen hatte, nahm er noch einmal Roastbeef und Kartoffeln nach. Alexandria stocherte gelangweilt in ihrem Essen herum, während Damon eine Schneise in seinen Kartoffelbrei schlug und zwei Erbsen mit der Gabel hindurchführte.

„Weiß das Kind nicht, wie man eine Gabel benutzt?“, fragte Rowan entsetzt.

Lara sah Rowan gereizt an und wandte sich dann an Damon. „Du sollst doch nicht mit dem Essen spielen, Damon.“

Damon nahm ein Stück Fleisch in die Finger und warf es in den Mund.

„Und du sollst auch nicht die Finger zum Essen benutzen“, ermahnte ihn Alexandria.

„Wer sagt das?“ Damon sah Rowan herausfordernd an.

„Mommy sagt das“, erwiderte Alexandria.

Damon drehte sich wieder zu seiner Schwester. „Mommy ist nicht hier.“

Alexandrias Augen füllten sich mit Tränen. „Aber wenn sie hier wäre, würde sie dir sagen, dass man nicht mit den Fingern essen soll.“

„Sie ist es aber nicht, und du kannst nicht …“

„Damon!“ Lara unterbrach ihn mit strenger Stimme. „Man sollte dich gar nicht erst daran erinnern müssen, wie du dich am Tisch zu benehmen hast.“

Der Junge nahm die vernachlässigte Gabel in die Hand und spießte eine Karotte damit auf.

Rowan hatte gehofft, dass das Abendessen eine Möglichkeit wäre, die Kinder seines Bruders näher kennenzulernen. Deswegen war er umso verärgerter über das Gezanke der Kinder und das Unvermögen des Kindermädchens, die Situation unter Kontrolle zu bringen.

Da er seine Hoffnungen an seinen ältesten Neffen knüpfte, wandte er sich an Christian. „Ich habe dich heute in der Bibliothek am Computer gesehen.“

Christian nickte nur, da sein Mund voll war. Er schluckte zuerst alles hinunter und antwortete dann. Wenigstens hatte Christian anständige Tischmanieren. „Ich habe im Internet recherchiert.“

„Was hast du denn recherchiert?“, wollte Rowan wissen.

„Erklärungen für Explosionen auf Wasserfahrzeugen.“

Lara fiel die Gabel aus der Hand. „Christian!“

Christian zuckte mit den Schultern. „Ich wollte nur herausfinden, was passiert ist … warum unsere Eltern gestor…“

„Schluss jetzt!“ Lara sah ihn streng an.

„Aber er hat mich doch gefragt, und ich habe nur seine Frage beantwortet.“

„Darüber spricht man nicht beim Essen“, ermahnte Lara ihn.

„Über was sollen wir dann reden?“ Christian sah sie herausfordernd an. „Welche Gesprächsthemen sind denn für oberflächliche Familientreffen angemessen?“

So viel zu den guten Manieren des Jungen. Rowan versuchte, die Situation zu entkrampfen. „Dieses Essen bietet uns allen eine Chance, uns besser kennenzulernen. Und wir sollten diese Chance auch nutzen.“

Nun platzte Christian heraus. „Du bist doch nur hier, weil Mom und Dad tot sind. Ansonsten würdest du in London sein und dich überhaupt nicht für uns interessieren. Nur die Vormundschaft zwingt dich dazu, Zeit mit uns zu verbringen.“

„Das ist nicht wahr“, sagte Rowan.

„Blödsinn!“, entgegnete Christian ihm.

Damon starrte seinen Bruder nur an, während Alexandria wieder zu weinen begann.

Lara sah Rowan an und sagte nichts. Sie wollte ihm wohl damit zu verstehen geben, dass er diese Situation selbst meistern musste. Als ob er die geringste Idee hatte, wie er mit einem Zwölfjährigen umgehen sollte, der ihn offenbar hasste.

„Ich verbitte mir diesen Ton“, sagte Rowan leise.

„Du kannst mir nicht sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe“, antwortete Christian. „Du bist nicht meinVater.“

„Nein, das bin ich nicht“, stimmte Rowan zu. „Trotzdem solltest du mir Respekt entgegenbringen. Ansonsten wirst du den Raum sofort verlassen.“

Christian stand auf und lief aus dem Zimmer.

Lara goss Milch in ihren Kaffee und wandte sich anschließend an die beiden Kinder. „Seid ihr fertig mit dem Essen?“

Die Kinder nickten.

„Dann geht in die Küche und helft beim Abwasch. Danach bekommt ihr euren Nachtisch.“

Die Mienen der beiden erhellten sich. Lärmend liefen Damon und Alexandria aus dem Zimmer.

Rowan nahm an, dass Lara die Kinder in die Küche geschickt hatte, um mit ihm in Ruhe über den Streit mit Christian reden zu können. Doch als sie den Raum verlassen hatten, schwieg sie nur vor sich hin.

Er wollte die Angelegenheit allerdings nicht einfach unkommentiert lassen. „Christian muss lernen, seine Gefühlsausbrüche zu kontrollieren.“

Lara rührte in ihrer Kaffeetasse herum und sagte nichts.

„Sein Wutanfall war vollkommen unangemessen, und sein Ton war vulgär“, fuhr er fort.

„Sie sollten eher darauf achten, was er gesagt hat, und nicht, wie er es gesagt hat.“ Lara sah Rowan in die Augen. „Wenn Sie das täten, dann würden Sie bemerken, dass er seinen Gefühlen einfach einmal freien Lauf lassen musste.“

„Trotzdem war es nicht angebracht.“

„Aber auch nicht falsch.“

„Wie meinen Sie das?“

„Er hat doch recht. Dieses Essen war tatsächlich nur oberflächlich. Und wenn Sie sich nicht mehr Mühe mit den Kindern geben, dann wird Ihr Verhältnis zu ihnen immer oberflächlich bleiben.“

„Glauben Sie etwa, dass ich das von heute auf morgen ändern kann? Ich habe mir doch mit dem Abend heute immerhin Mühe gegeben.“

Lara öffnete den Mund, als ob sie etwas sagen wollte, zögerte dann aber.

„Raus mit der Sprache!“, forderte Rowan sie auf.

„Das möchten Sie sicher nicht hören.“

„Wahrscheinlich nicht. Aber das hat Sie ja noch nie davon abgehalten, Ihre Meinung zu sagen.“

„Na gut. Ich glaube nicht, dass dieses Abendessen Ihnen irgendwie weiterhelfen konnte. Die Kinder sind klüger, als Sie denken. Sie können sie nicht einfach mit einem vornehmen Essen beeindrucken.“

„Haben Sie denn eine bessere Idee?“

„Sie sollten zu Ihren wahren Gefühlen stehen.“

„Und was sind Ihrer Meinung nach meine wahren Gefühle?“

„Sie sollten dazu stehen, dass Sie in diese Situation nur hineingeraten sind, weil Julian und Catherine umgekommen und Sie deshalb mit der ganzen Situation überfordert sind.“

Er lachte. „Ist das Ihr Ernst?“

„Gefühle lassen sich eben nicht logisch erklären. Sie werden nie ein enges Verhältnis zu den Kindern aufbauen, wenn Sie sich nicht mit Ihren negativen Gefühlen auseinandersetzen.“

„Und was macht Sie zu so einer Expertin auf diesem Gebiet?“

„Ich behaupte nicht, eine Expertin zu sein. Aber ich glaube, dass Sie nur zu den Kindern durchdringen können, wenn Sie ehrlich sind und den Kontakt zu ihnen suchen. Und ein gemeinsames Essen wird da bestimmt nicht ausreichen.“

„Zugegeben, das ist eine ungewohnte Situation für mich. Ich versuche aber, mein Bestes zu geben.“

„Das ist nicht genug“, sagte Lara unverblümt.

Rowan kam nicht mehr zu einer Antwort, da die Kinder Lara aus der Küche riefen.

Lara stand auf, lief zur Tür und drehte sich noch einmal um. „Tut mir leid, ich werde den Kindern jetzt beim Nachtisch Gesellschaft leisten.“

Rowan beobachtete, wie Lara den Raum verließ. Er fragte sich, wie er bloß von einer Frau schwärmen konnte, die gar nicht auf seiner Wellenlänge zu sein schien. Vielleicht provozierte er sie aber auch unbewusst, um sie auf Distanz zu halten. So lief er nicht Gefahr, sich ihr weiter anzunähern.

Lara klappte das Buch zu, das sie sowieso nicht las, und hob den Kopf, um aus dem Fenster zu sehen.

Draußen wehte eine Brise vom Meer. Lara konnte das leise Plätschern der Fontäne und das Zirpen der Grillen im Garten hören, aus dem es herrlich nach Blumen duftete. Sie blickte auf die andere Seite des Hofes, wo im zweiten Stock immer noch Licht brannte. Das konnte nur Rowans Büro sein.

Wenn Rowan zu Hause war, dann arbeitete er meist bis spät nachts in seinem Büro. Seine neue Rolle als regierender Fürst beanspruchte ihn sehr. Im Gegensatz zu Julian hatte Rowan niemanden, mit dem er diese Last teilen konnte.

Lara machte sich Sorgen, dass alles zu viel für Rowan war. Er hatte ja noch nicht einmal Zeit, um seinen verstorbenen Bruder und dessen Frau zu betrauern. Als er sie damals gefeuert hatte, war sie sich sicher gewesen, dass er nicht fähig war, überhaupt zu trauern, da er in ihren Augen kein Herz besaß.

Als er dann aber in Lukes Wohnung gekommen war und sagte, dass er sie brauchte, hatte sie gewusst, dass sie ihn nicht zurückweisen könnte.

Nachdem sie ihr ganzes Leben abgelehnt worden war – erst von ihrem Vater und später auch von ihrer Mutter – fühlte es sich gut an, endlich gebraucht zu werden.

Lara fragte sich, ob sie vorhin nicht etwas zu hart zu Rowan gewesen war. Immerhin war es wichtig für die Kinder, ihren Onkel kennenzulernen. Vielleicht sollte sie ihre eigenen Gefühle aus dieser Angelegenheit herauslassen. Wenn Rowan eine enge Beziehung zu den Kindern aufbauen wollte, dann war es höchste Zeit dafür.

Sie beschloss spontan, in sein Büro zu gehen und noch einmal mit ihm zu reden.

Als sie auf der anderen Seite des Palastes ankam, bemerkte sie, dass Rowans Privatsekretär nicht mehr an seinem Arbeitsplatz war. Rowan musste ihn bereits nach Hause geschickt haben. Sie wusste nicht genau, ob Rowan noch dringende Angelegenheiten in seinem Büro zu erledigen hatte oder nur vor seinen Gedanken dorthin flüchtete.

Die Tür stand einen Spalt offen, und es drang leise Musik aus dem Büro. Lara machte einen Schritt nach vorn und wollte klopfen. Durch die Öffnung konnte sie sehen, dass Rowan hinter dem Schreibtisch saß und auf ein Bild starrte. In seinem Gesicht erkannte sie unendliche Trauer.

Sein Anblick bewegte sie sehr. Er sah so besorgt und bekümmert aus. In diesem Moment wirkte er zum ersten Mal verletzlich.

Lara wusste nicht, was sie tun sollte. Einerseits wollte sie ihn mit seinem Kummer allein lassen und gehen, andererseits wäre sie am liebsten zu ihm ins Büro gegangen, hätte ihn in die Arme genommen und getröstet. Ihr war jedoch bewusst, dass er das nicht wollte. Sie konnte jetzt aber nicht einfach gehen und beschloss deshalb, doch hineinzugehen; daher klopfte sie an die Tür.

„Herein.“

Lara öffnete die Tür und betrat das Büro.

Rowans Gesichtsausdruck entspannte sich, als er sie erkannte. „Ja, Miss Brennan?“

„Verzeihen Sie die Störung. Ich wollte mich nur entschuldigen.“

„Weil Sie mir nicht erzählt haben, dass die Kinder mich hassen?“

„Sie wissen, dass es nicht stimmt.“

Er schüttelte den Kopf. „Die Kinder brauchen mich nicht.“

„Sie scheinen wirklich überhaupt keine Ahnung zu haben.“

„Waren Sie nicht auch heute Abend mit am Tisch?“

„Doch. Und ich habe drei Kinder gesehen, die gerade ihre Eltern verloren haben und sich verzweifelt nach Liebe sehnen. Da der Rest der Familie nicht hier ist, sind Sie der Einzige aus der Familie, der ihnen dieses Gefühl geben kann. Leider haben

Sie es aber in den letzten dreieinhalb Wochen nicht geschafft, mehr Zeit für sie zu finden.“

„Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte, versuche ich nebenbei, ein Land zu regieren.“

„Ich weiß, dass Sie sehr viele Verpflichtungen haben. Im Moment sind die Kinder aber wichtiger als alle Politiker, Lobbygruppen und Wohltätigkeitsorganisationen auf der Insel zusammen. Die Kinder brauchen Sie. Wahrscheinlich genauso sehr, wie Sie die Kinder brauchen.“

„Wenigstens gibt es eine Sache, die ich in Bezug auf die Kinder richtig gemacht habe.“

„Und die wäre?“

„Ich habe Sie davon überzeugt, zurückzukommen.“

Lara errötete. Sie wollte ihm die Verantwortung für die Kinder aber nicht so einfach abnehmen. „Ich bin nur das Kindermädchen. Sie gehören zu ihrer Familie.“

Er schwieg einen Moment lang und nickte dann. „Ich werde versuchen, mich mehr anzustrengen.“

Lara wusste nicht genau, wie ernst sie seine Worte nehmen konnte. Sie verabschiedete sich.

Immerhin zeigte er langsam Einsicht.

Das Letzte, was Rowan wollte, war ein weiterer Streit mit einem verärgerten und bekümmerten Jungen. Aber nach dem Gespräch mit Lara musste er noch einmal mit Christian reden.

Rowan fand den Jungen in der Bibliothek, wo er wieder einmal am Computer arbeitete. „Was machst du da?“, fragte er, während Christian gebannt auf den Bildschirm starrte.

„Chatten.“

Rowan wusste, dass er lange auf eine weitere Erklärung warten konnte. „Könntest du bitte eine Pause machen? Ich möchte gern mit dir reden.“

„Ich kann auch zwei Dinge auf einmal machen.“

„Davon bin ich überzeugt. Aber wir sollten uns jetzt Zeit für ein Gespräch unter vier Augen nehmen. Also schalte bitte den Computer aus.“

Der Junge tippte noch ein paar Wörter und schob dann die Tastatur beiseite. „Ich habe mich ausgeloggt.“

„Danke.“

„Muss ich mich jetzt bei dir entschuldigen?“

„Glaubst du denn, dass eine Entschuldigung angebracht wäre?“

Christian zuckte mit den Schultern. „Vielleicht.“

Rowan hob eine Braue.

„Na gut. Es tut mir leid, dass ich dich nicht respektiert habe. War es das jetzt?“

„Noch nicht ganz. Das, was du beim Abendessen gesagt hast, war doch noch nicht alles, oder?“

„Lara hat dich zu dem hier angestiftet, stimmt’s?“

„Wie kommst du darauf?“

„Weil du dich vorher nie für uns interessiert hast.“

Christian klang weder verletzt noch verärgert. Er sagte nur seine Meinung. Wahrscheinlich traf es Rowan deshalb umso härter.

„Es tut mir leid, dass du so empfindest.“ Rowan schüttelte den Kopf. „Ich meine, es tut mir leid, dass ich euch vernachlässigt habe.“

„Das ist nicht deine Schuld. Meine Eltern hätten sichergehen müssen, dass du wirklich das Sorgerecht für uns übernehmen möchtest.“

„Ich habe mit deinen Eltern darüber gesprochen. Das liegt aber schon sehr lange zurück.“

„Wirklich?“

„Ich habe damals nichts dagegen gehabt, eine eventuelleVormundschaft zu übernehmen. Nie im Leben hätte ich aber gedacht, dass dieser Fall so bald eintreten würde. Deine Eltern waren beide jung und gesund. Wer hätte ahnen können, dass ihnen etwas passieren könnte?“

„Dass ihnen was passieren könnte?“

Rowan holte einen dicken Ordner aus seiner Aktentasche. „Die Lysithea ist explodiert, nachdem Gas aus einem Leck ausgetreten und ein Funke durch den elektronischen Anlasser entstanden ist.“

Christian starrte auf den Ordner in den Händen seines Onkels. „Du lässt mich den Bericht lesen?“

„Du hast das Recht, die vollständige Wahrheit zu erfahren.“

„Aber es ändert nichts daran, wenn man die Wahrheit kennt, oder?“

„Es kann sie leider nicht zurückbringen.“

Der Junge blickte zu Boden. „Ich kann immer noch nicht fassen, dass sie nicht mehr da sind. Manchmal glaube ich, dass Dad gleich zur Tür hereinkommt und Mom mich fragt, ob ich reiten gehen möchte.“

„Ich vermisse sie auch, Christian.“

Sie sagten eine Zeit lang nichts. Das Schweigen fühlte sich nun aber nicht mehr so unangenehm an, nachdem sie sich ausgesprochen hatten.

„Tut mir wirklich leid, was ich beim Abendessen von mir gegeben habe“, sagte Christian schließlich und schien es auch so zu meinen.

„Ich nehme deine Entschuldigung an.“

Rowan war zufrieden mit dem Gespräch und verließ die Bibliothek. Auf dem Weg zur Tür drehte er sich noch einmal um und bemerkte, dass Christian ihn ansah.

„Ich reite gern“, sagte der Junge. „Am liebsten am frühen Morgen. Ich würde mich über einen Reitpartner freuen.“

Christians Lächeln erwärmte Rowans Herz. „Vielleicht sehen wir uns dann irgendwann im Stall.“

„Ja, vielleicht.“

Rowan hörte ein Pferd. Jemand kam in seine Richtung. Trotzdem blieb er in seinemVersteck. Er war hergekommen, um endlich einmal etwas allein zu sein und Ruhe zu finden. Niemand außer dem Stallmeister Frank wusste, dass er hier war.

Der Reiter lenkte das Pferd zum Bach.

Es war definitiv nicht Frank.

Sondern Lara!

Die Frau, an die er den ganzen Tag über denken musste und von der er nachts träumte. Noch nicht einmal hier an seinem geheimen Ort kam er von ihr weg.

Lara stieg vom Pferd ab, tätschelte den Kopf des Pferdes und flüsterte etwas Unverständliches. Als sie sich umdrehte, um das Pferd zum Bach zu führen, sah er Tränen auf ihren Wangen.

Bevor er über sein Handeln nachdachte, ging er auf sie zu und berührte ihren Arm.

„Eure Hoheit! Ich wusste nicht, dass Sie hier sind.“

Obwohl ihre Augen rot und ihre Wangen voller Tränen waren, kam sie ihm wunderschön vor. Rowan holte ein Taschentuch hervor und reichte es ihr.

„Danke.“ Lara trocknete sich die Wangen und sah ihn verlegen an. „Ich wollte Sie nicht stören. Sobald Folly getrunken hat, reite ich weiter.“

„Bitte bleiben Sie hier.“

„Sie möchten doch bestimmt allein sein“, riet sie.

„Ich wollte nur etwas Ruhe finden. Aber ich würde mich freuen, wenn Sie mir etwas Gesellschaft leisten.“

„Wie kommt es, dass Sie mitten am Tag Freizeit haben?“

„Ich habe einen Termin mit dem Finanzminister verschoben.“

„Sie schwänzen also.“

„Ich habe mir nur eine kleine Auszeit genommen.“

Lara lächelte, und Rowan spürte, wie es in seinem Bauch kribbelte.

„Wie haben Sie diesen Ort gefunden?“, fragte Rowan.

„Fürstin Catherine und ich haben hier oft mit den Kindern Picknicks veranstaltet. Manchmal war sogar Julian dabei, wenn er die Zeit dafür fand.“

„Wussten Sie, dass Julian Catherine unter diesem Baum den Heiratsantrag gemacht hat?“

„Nein. Aber sie hat mir erzählt, dass er sie das erste Mal hier geküsst hat.“

„Wahrscheinlich wäre es noch zu mehr als nur dem Kuss gekommen, wenn Eric nicht auf einmal aus dem Baum gefallen wäre.“

„Eric hat sie heimlich beobachtet?“

„Ich war mit meinen Brüdern hier. Wir haben uns alle im Baum versteckt.“

„Das hat Julian bestimmt nicht gefallen, oder?“

„Er war richtig wütend.“

Lara lächelte wieder.

Rowan war fasziniert von ihren sinnlichen Lippen. Noch nie hatte er sich so sehr zu einer Frau hingezogen gefühlt. Er fragte sich, was sie wohl täte, wenn er sie einfach in die Arme nahm und küsste. Würde sie den Kuss erwidern oder ihn wegstoßen?

Er sah ihr tief in die Augen.

Einen Moment lang schwiegen sie beide. Nur das Rascheln der Blätter war zu hören. Sie waren ganz allein.

Plötzlich wurde ihm klar, wie weit weg sie vom Palast und dessen Regeln und Pflichten waren. An diesem Ort kam es ihm so vor, als ob er kein Fürst und sie kein Kindermädchen war.

Sie waren einfach nur eine Frau und ein Mann. Es gab keine Grenzen zwischen ihnen.

„Es ist schwer, ihren Tod zu akzeptieren, nicht?“, fragte sie sanft.

Die Frage holte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück.

„Ich habe auf dem Weg hierher an sie gedacht“, fuhr Lara fort. „Und ich musste an die schöne Zeit denken, die ich hier mit ihnen verbracht habe.“

„Deshalb haben Sie geweint.“

Lara nickte und berührte seinen Arm, ein Zeichen der Freundschaft zwischen ihnen.

Während sie am Bach saßen und die Nachmittagssonne genossen, war Rowan froh darüber, dass sie endlich eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut hatten. Es gab da nur ein Problem: Er wollte nicht nur Laras Freundschaft – er wollte mehr.

4. KAPITEL

In den folgenden Wochen verbrachte Lara mehr Zeit mit Rowan, seiner Nichte und seinen Neffen. Sie war überrascht, dass er sich nicht als der unnahbare Fürst erwies. Noch mehr freute sie allerdings, dass die Kinder ihren Onkel ins Herz schlossen.

Aber es bereitete Lara auch Probleme, dass Rowan immer mehr mit den Kindern unternahm. Denn je mehr sie seine guten Seiten kennenlernte, desto stärker fühlte sie sich zu ihm hingezogen.

Der Mann, den sie als fürstlichen Idioten bezeichnet hatte, besaß mehr positive Eigenschaften, als sie angenommen hatte. Er brachte die Kinder zum Lachen, half ihnen bei den Hausaufgaben und versuchte, so oft wie möglich für sie da zu sein.

Auch die Kinder schienen ihn immer mehr zu mögen, was auch an der Idee zu erkennen war, die sie an diesem Tag hatten.

„Eine Geburtstagsparty?“, fragte Lara die Kinder verwundert.

„Ja, wir wollen eine Überraschungsparty für Onkel Rowan machen“, sagte Alexandria.

Damon tanzte klatschend um sie herum. „Party! Party!“

Lara zögerte und sah zu Christian, der als Einziger noch nichts dazu gesagt hatte. „Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist“, sagte sie. „Vielleicht hat er schon etwas vor.“

„Christian hat das schon mit Henri abgeklärt“, gab Alexandria strahlend bekannt.

Der Junge nickte zustimmend. „Er hat heute Abend zwischen sechs und acht Uhr frei.“

Lara hatte zwar immer noch Zweifel, wollte den Kindern die Überraschung aber nicht vermiesen. „Na, dann sollten wir gleich mit denVorbereitungen beginnen.“

„Er kommt! Er kommt!“ Damon rannte zurück in Rowans Büro, das mit bunten Luftschlangen und Ballons dekoriert war.

„Kommt er wirklich?“ Christian hatte die Geduld mit seinem Bruder verloren, da Damon schon dreimal Rowans Ankunft angekündigt hatte.

„Diesmal kommt er. Ich schwöre es“, zischte Damon.

Lara blickte noch ein letztes Mal durch den Raum, um zu prüfen, ob alles an Ort und Stelle war, und schaltete dann das Licht aus.

Alexandria hatte sich hinter der Tür versteckt und hielt Konfetti in den Händen. Lara hatte versucht, ihr diese Idee auszureden, aber das Mädchen ließ sich nicht davon abbringen.

Lara hoffte, dass Rowan nicht verärgert über die Überraschung war. Vielleicht hatte er ja auch eine private Feier mit einer Geliebten oder Ähnliches geplant.

Jetzt war es jedenfalls zu spät, um einen Rückzieher zu machen.

Sie hörte Schritte im Flur.

Rowan unterhielt sich draußen eine Weile mit Henri und betrat schließlich das Büro.

„Überraschung!“, riefen die Kinder im Chor.

Alexandria warf das Konfetti in die Luft, das auf ihren Onkel fiel.

Rowans Lippen verzogen sich langsam zu einem Lächeln, als er die Dekoration um sich herum und den Kuchen auf dem Tisch bemerkte. „Anscheinend feiert hier jemand eine Party.“

Alexandria strahlte ihn an. „Wir feiern eine Geburtstagsparty für dich.“

„Eine Überraschungsparty!“, rief Damon dazwischen.

„Eine Überraschung ist es gewiss.“ Rowan sah zu Henri, der draußen im Flur geblieben war. „Ich nehme an, dass die Unterlagen, die Sie erwähnt haben, nur einVorwand waren, um mich ins Büro zu locken.“

„Ja, Eure Hoheit.“

„Also habe ich heute keineVerpflichtungen mehr?“

„Nur noch das eine Treffen.“

„Sagen Sie das bitte für mich ab, Henri.“

„Sir?“ Henri war sichtlich überrascht von dieser Anweisung.

„Ich möchte gern den Rest meines Geburtstags mit meiner Familie verbringen.“

„Natürlich.“ Henri verbeugte sich und lief den Flur hinunter.

Rowan ging weiter in das Büro hinein und musterte den Kuchen. „Wie viele Kerzen sind denn da drauf?“

„Fünfunddreißig“, verkündete Damon stolz. „So viele Kerzen sind das. Du bist schon ganz schön alt, Onkel Rowan.“

„Ich kann mir vorstellen, dass einem Vierjährigen fünfunddreißig ziemlich alt vorkommen muss.“

„Und einer Achtjährigen auch“, schaltete sich Alexandria ein.

Rowan sah sie lächelnd an. „Du weißt doch: Wenn man die fürstliche Familie beleidigt, kann man in den Kerker gesperrt werden.“

„Was ist ein Kerker?“, wollte Damon wissen.

Rowan hockte sich vor den Jungen und sprach mit ernster Stimme. „Das ist ein kalter dunkler Raum unter dem Palast, wo böse kleine Jungen und Mädchen eingesperrt werden und nur Brot und Wasser bekommen.“

Damons Augen wurden groß.

„Da wird aber niemand mehr eingesperrt“, beruhigte Alexandria ihren Bruder.

Rowan wandte sich an Alexandria. „Weißt du denn auch, wer den Kerker verschlossen hat?“

Alexandria schüttelte den Kopf.

„Das war mein Großvater, Fürst Emmanuel von Tesoro del Mar. Nur der regierende Fürst hat die Macht, so eine Entscheidung zu treffen. Und wenn er den Kerker abschließen konnte, dann kann ich ihn für euch wieder öffnen.“

Das kleine Mädchen hob den Kopf. „Das wirst du aber nicht tun, weil du ein guter Fürst und ein guter Onkel bist.“

Rowans Miene erhellte sich. „Ich weiß, dass ich nicht immer ein guter Onkel war. Aber ich möchte mein Bestes versuchen.“

Alexandria lächelte ihm zu. „Du machst das schon gut.“

„Heißt das, dass ich ein Stück von dem Kuchen bekomme?“

„Erst, wenn du die Geschenke ausgepackt hast.“

Damon reichte Rowan als Erster sein Geschenk. Es war in unglaublich viel Geschenkpapier eingewickelt und schien recht schwer zu sein.

„Es ist ein Haustier“, sagte Damon stolz. „Lara hat gesagt, dass du es als Briefbeschwerer benutzen kannst.“

„Ein Haustier?“ Rowan musterte den bemalten Stein in seinen Händen. „Frisst es denn sehr viel?“

Damon kicherte. „Es frisst gar nichts.“

„Bist du dir da sicher? Ich will nämlich nicht meinen Kuchen mit ihm teilen müssen.“

„Ja“, versicherte Damon ihm.

„Mach das als Nächstes auf.“ Alexandria hielt ihm ein sorgfältiger eingepacktes Geschenk entgegen. „Es ist von Christian.“

Christian hatte Lara das Geschenk gezeigt, bevor er es eingepackt hatte, da er wissen wollte, ob sie es für geeignet hielt. Sie war sich sicher gewesen, dass es Rowan sehr gut gefallen würde. Und während Rowan sein Geschenk nun auspackte, konnte sie an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass sie recht behalten hatte.

Es handelte sich um ein eingerahmtes Bild von Rowan, seinen Brüdern und ihrem Vater. Sie saßen alle auf einem Pferd und bestaunten den Sonnenuntergang.

„Dieses Foto habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen“, murmelte Rowan.

„Ich habe ein paar Fotoalben durchstöbert, um ein Foto von meinem Dad zu suchen. Da habe ich es gefunden.“ Christian blickte zu Rowan. „Ich dachte, es würde dir vielleicht gefallen.“

Rowan schluckte. „Es gefällt mir sogar sehr.“

„Ich habe auch etwas für dich.“ Alexandria überreichte ihm das letzte Geschenk.

Rowan stellte die anderen Gaben auf den Tisch und nahm das Geschenk von ihr entgegen.

Es war ein weiteres Bild. Alexandria hatte es selbst gemalt und dabei großes Talent bewiesen. „Es ist ein Bild von dir, Damon, Christian und mir. Ich habe es gemalt, weil wir doch jetzt wie eine Familie sind.“

„Wir sind eine Familie“, stimmte Rowan zu und küsste das Mädchen auf die Stirn. „Es ist wirklich sehr schön. Ich danke dir.“

„Können wir jetzt Kuchen essen?“, fragte Damon ungeduldig.

Lara holte eine Packung Streichhölzer aus der Hosentasche und zündete eins an.

„Warte noch!“, rief Christian und lief aus dem Büro. Kurze Zeit später kam er lachend mit einem Feuerlöscher zurück. „Jetzt können wir loslegen.“

Während Lara die Kerzen anzündete, wurde ihr klar, dass Christian zum ersten Mal seit Wochen richtig gelacht hatte. Sie hoffte, dass der Kummer der Kinder sich nun langsam legte. Dann stellte sie den Kuchen vor Rowan und hoffte, dass dies auch bei ihm der Fall wäre.

Rowan war eigentlich nie nachts in der Küche, da er jederzeit einen der Bediensteten damit beauftragen konnte, ihm etwas zu holen. Das war einer der Vorteile, die er als Fürst genoss. Aber er wollte dieses Privileg nicht in Anspruch nehmen, weil ihm das irgendwie unangenehm war.

Nun war es nach Mitternacht, und er schlich zur Küche, um etwas von dem übrig gebliebenen Schokoladenkuchen zu stibitzen.

Während er durch die dunklen Korridore lief, gingen ihm die Ereignisse des Tages durch den Kopf. Er war froh, dass sich sein Verhältnis zu den Kindern langsam verbesserte. Sie hatten sich wirklich viel Mühe mit der Geburtstagsparty gegeben.

Rowan war Lara dankbar, dass sie ihm mit den Kindern half. Aber er empfand ihr gegenüber nicht nur Dankbarkeit. Da war noch mehr.

Er schüttelte den Kopf und versuchte, nicht mehr an Lara zu denken. Er musste noch Vivian Winters anrufen, die er heute Abend eigentlich treffen wollte, um ganz privat seinen Geburtstag mit ihr zu feiern.

Vivian kannte er schon seit Jahren. Er traf sich von Zeit zu Zeit mit ihr, um ein paar schöne Stunden mit ihr zu verbringen. Und obwohl er ihr keine Erklärung schuldete, wollte er sie trotzdem anrufen. Deshalb beschloss er, ein Stück Kuchen zu holen und dann gleich wieder in sein Zimmer zurückzukehren.

Vielleicht würdeVivian ja sogar zum Dessert vorbeikommen. Aber diesen Gedanken verdrängte er gleich wieder. Da er nun seinen fünfunddreißigsten Geburtstag gefeiert hatte, blieben ihm noch genau sechs Monate, um zu heiraten. Er musste endlich eine Frau fürs Leben und zum Repräsentieren finden. Und Vivian schied da aus.

Als Rowan die Küche betrat, vergaß er sofort alles um sich herum und konnte nur noch an die Frau denken, die am Küchentisch saß.

Lara hatte sich eine bequeme Hose und ein knappes T-Shirt angezogen, das ihre Brüste betonte. Sie sah unglaublich sexy aus, als sie sich zu ihm drehte.

„Stehlen Sie etwa den fürstlichen Geburtstagskuchen?“, fragte er herausfordernd.

„Nur ein kleines Stück davon. Es ist ja noch fast alles da.“

„Dann schneiden Sie uns doch zwei große Stücke davon ab.“

„Wird gemacht.“ Lara stand auf und griff nach einem zweiten Teller.

„Warum sind Sie denn noch so spät auf?“, fragte Rowan. „Hat Damon wieder einen Albtraum gehabt?“

„Nein, glücklicherweise nicht. Er hat jetzt schon mehrere Nächte durchgeschlafen.“

„Möchten Sie auch Milch?“ Rowan öffnete einen Schrank, um Gläser herauszuholen. Er kam ihr dabei so nahe, dass er ihren atemberaubenden Duft einatmen konnte. Plötzlich bewegte sie sich ruckartig, sodass sie zusammenstießen.

„Verzeihen Sie, Eure Hoheit.“

„Nichts passiert“, sagte Rowan, auch wenn er sich da nicht ganz sicher war.

Während der letzten Wochen hatte er sich darum bemüht, eine gewisse Distanz zu ihr zu wahren. Doch bei der kurzen Berührung war die Lust wieder da. Es brachte alles nichts. La-ras Anwesenheit machte ihn einfach verrückt.

Rowan schenkte Milch in die Gläser ein und reichte ihr eins. „Sie haben immer noch nicht gesagt, weshalb Sie so spät auf sind.“

Lara stellte die Teller und ihr Glas Milch auf den Tisch und setzte sich. „Ich habe noch ein Lehrbuch über spielerisches Lernen gelesen.“

„Ein Lehrbuch?“ Rowan setzte sich an den Tisch und nahm den Kuchen von ihr entgegen.

„Ich lerne für meinen Abschluss als Lehrerin.“

„Mir ist gar nicht aufgefallen, dass Sie die Universität besuchen.“

„Es ist nur ein Fernstudium. Die Kinder haben natürlich Priorität.“

„Das sollte keine Kritik sein.“

„Entschuldigen Sie, Eure Hoheit. Ich neige dazu, mich für alles rechtfertigen zu müssen.“

„Und wir neigen immer dazu, über die Kinder zu reden. Dabei weiß ich gar nichts über Sie. Außer, dass Sie Lehrerin werden wollen.“

„Ich liebe meinen Job hier. Die Kinder werden mich aber irgendwann nicht mehr brauchen. Deshalb habe ich mir überlegt, was ich in der Zukunft machen möchte.“

„Das erscheint mir sehr vernünftig. Es ist ja unübersehbar, wie gut Sie mit Kindern umgehen können.“

„Danke“, sagte sie leise, während ihre Wangen erröteten.

Rowan aß seinen Kuchen und versuchte, nicht darüber nachzudenken, ob sie einen BH unter ihrem T-Shirt trug.

„Der Kuchen schmeckt fantastisch“, sagte er schließlich, nur damit sie ein Gesprächsthema hatten und Lara nicht ging.

„Alexandria hat den Kuchen fast allein gemacht. Ich war eigentlich nur ihre Assistentin.“

„Danke noch einmal.“

Lara lächelte und leckte Zuckerguss von ihrem Finger, was die wildesten erotischen Fantasien in ihm hervorrief.

„Ich danke Ihnen auch, weil Sie positiv auf die Überraschungsparty reagiert und den Kindern damit einen Riesen-spaß bereitet haben. Ich war mir nämlich nicht sicher, wie Sie darauf reagieren würden. Sie kennen ja Alexandria. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, ist es unmöglich, es ihr auszureden.“

„So langsam lerne ich meine Nichte kennen. In diesem Moment interessiere ich mich aber mehr für Sie.“

„Was interessiert Sie denn genau?“

Rowan hätte schon längst alles Wissenswerte über sie in Erfahrung bringen können. Er hätte nur seine Angestellten damit beauftragen müssen, aber er wollte es lieber von ihr selbst erfahren. „Zum Beispiel, wo Sie aufgewachsen sind. Ich weiß ja, dass Julian und Catherine Sie in Irland kennengelernt haben. Aber ich vermisse bei Ihnen den irischen Akzent.“

„Meine Mutter war Irin. Geboren bin ich aber in den Vereinigten Staaten, genauer gesagt in Colorado.“

„Wie sind Sie dann in Irland gelandet?“

„Als meine Mutter starb, ging ich nach Irland, weil ich keine anderen Verwandten in den USA hatte.“

„Und was ist mit IhremVater?“

Lara blickte zu Boden. „Ich habe ihn nie kennengelernt.“

Rowan nahm an, dass ihr Vater verstorben war, als sie klein war und sie sich deshalb nicht mehr an ihn erinnern konnte. Dasselbe könnte auch bei Damon passieren. Die Erinnerungen des Jungen würden genau wie seine Albträume mit der Zeit verschwinden.

„Wie alt waren Sie, als Sie Ihre Mutter verloren haben?“, fragte Rowan.

„Fünfzehn.“

„Also nicht viel älter als Christian.“

Sie nickte. „Ich glaubte, dass ich seinen Kummer besser nachvollziehen könnte, weil mir etwas Ähnliches zugestoßen ist. Aber bis jetzt konnte ich noch nicht zu ihm durchdringen. Er ist ja die ganze Zeit nur mit lernen beschäftigt. Ich weiß noch nicht einmal, ob er überhaupt zum Trauern kommt.“

Rowan fiel auf, wie unangenehm es Lara war, über sich selbst zu sprechen. Deshalb lenkte sie immer wieder von sich ab.

„Julian lobte Christian immer für seine Disziplin“, erzählte Rowan ihr.

„Ich kenne Christian, seit er in Damons Alter war. Trotzdem habe ich noch nie wirklich einen Draht zu ihm gehabt. Deshalb kann ich auch nicht sagen, was genau in ihm vor sich geht.“

„Ich werde versuchen, mit ihm zu reden.“

Lara schien von RowansVorschlag überrascht zu sein, wusste aber nicht recht, was sie davon halten sollte. „Sie müssen das nicht tun. Ich bin ja für die Kinder zuständig.“

„Christian ist aber mein Neffe.“

„Das weiß ich natürlich. Vielleicht würde es gar nicht schaden, wenn er auch einmal ein Gespräch unter Männern führt.“

„Sie geben also zu, dass ich ein richtiger Mann bin?“

„Wie meinen Sie das?“

Rowan lächelte. „Sie nennen alle immer beim Namen. Nur mich nennen Sie ‚Eure Hoheit‘. Ich dachte nicht, dass Sie mich auch als Mann wahrnehmen würden.“

„Dass Sie ein Mann sind, habe ich nie bezweifelt.“

„Das wäre auch nicht angebracht, Lara. Denn ich bin ein Mann wie jeder andere auch. Ich habe dieselben Bedürfnisse und Sehnsüchte.“

„Warum erzählen Sie mir das?“

„Um mich selbst daran zu erinnern. Und vielleicht auch, um Sie davor zu warnen.“

Lara schluckte. „Eure Hoheit …“

„Rowan“, verbesserte er leise.

„Es ist schon spät.“ Lara stand auf und brachte das Geschirr zur Spüle. „Die Kinder werden morgen sehr früh wach sein. Deshalb sollte ich jetzt wirklich schlafen gehen.“

„Lara?“

Rowan merkte, dass sie ihn ignorieren wollte. Trotzdem drehte sie sich noch einmal um, bevor sie die Küche verließ. „Ja, Eure Hoheit?“

Er musterte sie einen Moment lang und wusste, dass auch sie etwas für ihn empfand. Aber er war sich noch nicht im Klaren darüber, wie er mit dieser Situation umgehen sollte, und beschloss deshalb, noch zu warten.

„Schlafen Sie gut.“

Michael Leandres traute seinen Augen nicht, als er in sein Büro zurückkam und seine Mutter dort auf ihn wartete. Sie war in den letzten fünf Jahren nur einige wenige Male in die Firma gekommen, deshalb musste ihr Besuch einen wichtigen Grund haben.

Er ging zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Was für eine Überraschung!“

„Hat Samantha dir nicht erzählt, dass ich gestern angerufen habe?“, fragte sie erstaunt.

„Doch, aber es war schon spät, als ich gestern nach Hause gekommen bin. Heute Morgen hatte ich dann gleich einen Termin. Und in zwanzig Minuten habe ich schon den nächsten.“

„Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen, Michael.“

„Wie schon gesagt, ich habe nur zwanzig Minuten Zeit.“

„Anstatt deine Talente mit dieser Firma zu verschwenden, solltest du lieber das Land regieren.“

Michael sah sie überrascht an.

„Du stammst aus einer Fürstenfamilie, Michael. Du bist zu Höherem berufen.“

Michael war allerdings stolz auf seine Werbeagentur, die er mit harter Arbeit aufgebaut und nicht geerbt hatte. „Ich bin zufrieden mit meinem Leben.“

„Du solltest aber das Land regieren.“

„Rowan ist der regierende Fürst.“

„Im Moment schon. Das könnte sich aber bald ändern.“

„Wovon redest du eigentlich?“

„Ich möchte dich nur daran erinnern, dass jedes Mitglied der Fürstenfamilie ein Anrecht auf den Thron hat, wenn der regierende Fürst sich als ungeeignet erweist.“

„Ich kann mir vorstellen, dass das Parlament bei der Erlassung dieses Gesetzes gute Gründe hatte.“

„So ist es. Dein Cousin hat in den letzten zehn Jahren in London gelebt. Er weiß deshalb nicht, was die Menschen in Tesoro del Mar wollen und brauchen. Wie kann er also für diese Position geeignet sein?“

„Er hat seit Julians Tod gute Arbeit geleistet.“

Seine Mutter senkte die Stimme. Sie schien zu verstehen, dass Julian nicht nur Michaels Cousin, sondern auch ein guter Freund gewesen war. „Ich weiß, dass es eine schwierige Situation für dich ist …“

„Tust du das?“, unterbrach er sie. „Ist dir klar, dass das ganze Land um Julian und Catherine trauert und die Kinder, die so plötzlich ihre Eltern verloren haben, bedauert? Oder siehst du in ihrem Schicksal nur eine Chance, näher an die Macht zu kommen, so wie du es dir schon immer gewünscht hast?“

„Nur ein Dummkopf würde abstreiten, dass es sich um eine einmalige Gelegenheit für unsere Familie handelt.“

„Dann bin ich eben ein Dummkopf.“

„Dein Bruder sieht das sicher anders.“

Sosehr Michael seinen Bruder auch liebte – er konnte sich nicht vorstellen, dass Cameron ein Land regieren konnte. Vielleicht war das aber auch Elenas Plan. Wenn ihr jüngerer Sohn an der Macht wäre, könnte sie insgeheim die Fäden ziehen.

„Das musst du wahrscheinlich mit Cameron selbst diskutieren“,sagte er.„Du solltest aber wissen, dass ich keinenVersuch unterstützen werde, Rowan zu hintergehen.“

„Ich habe gehofft, dass du mehr zu deiner Familie hältst.“

„Sie gehören auch zu unserer Familie.“

Aber das hatte Elena nicht mehr gehört, da sie das Büro bereits verlassen hatte.

Rowan schlief nicht gut, seit er das Amt des regierenden Fürsten übernommen hatte. Einerseits lag das an seinen verantwortungsvollen Aufgaben, andererseits an Lara, die ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Kürzlich war nun auch noch der Heiratsdruck hinzugekommen, der ihm Albträume bescherte.

Während Rowans Brüder sich darüber amüsierten, konnte er gar nichts Komisches daran finden. Er wusste, dass es schwer werden würde, eine Frau zu finden, die ehrliche Absichten hatte und nicht nur auf seinen Fürstentitel aus war.

Mittlerweile wollte er einfach nur eine Frau, mit der er zusammenleben konnte. Ob Liebe im Spiel wäre, war eine andere Frage.

Rowan verlor aber schnell seine Zuversicht, als er am nächsten Morgen in sein Büro kam und von zwei Frauen erwartet wurde.

Die eine Frau erkannte er sofort. Es handelte sich um Helene Renaud, eine der Haushälterinnen des Palastes. Die jüngere Frau kam ihm allerdings nicht bekannt vor.

„Guten Morgen, Eure Hoheit.“ Helene machte einen Knicks. „Das hier ist meine Tochter Jocelyn.“

Rowan erkannte nun, dass das Mädchen an Helenes Seite kaum älter als Christian war. Er fragte sich, was die beiden bloß in seinem Büro verloren hatten.

„Ist sie nicht ein hübsches Mädchen?“, fuhr Helene fort. „Und was für eine wunderschöne Braut sie erst abgäbe.“

Eine wunderschöne Braut?

Auf einen Schlag wurde Rowan klar, weshalb die Haushälterin sein Büro aufgesucht hatte.

„Sie ist wirklich ein hübsches Mädchen“, stimmt Rowan zu. „Aber sie ist noch ein Kind.“

„Sie wird in drei Wochen fünfzehn. In der Zeitung steht, dass Ihre Ehefrau so alt sein muss.“

„In der Zeitung?“

Helene reichte ihm die aktuelle Ausgabe der Morgenzeitung. „Genau hier steht es.“ Sie deutete auf eine eingekreiste Stelle, die die Kriterien für die Ehefrau des Fürsten aufzählte.

„Hier steht, dass die Ehefrau mindestens fünfzehn Jahre alt sein muss“, gab Rowan zu. „Ich suche aber jemanden, der ein bisschen älter ist.“

„Fünfzehn ist aber alt genug.“

„Das ist ein altes Gesetz. Früher haben die Menschen jünger geheiratet, weil sie auch jünger gestorben sind.“

„In der Zeitung steht auch, dass die zukünftige Ehefrau unberührt sein sollte. Das finden Sie bei vielen Mädchen über fünfzehn gar nicht mehr. Und ich garantiere Ihnen, dass meine Jocelyn noch Jungfrau ist.“

Rowan blickte zu dem jungen Mädchen, das die ganze Zeit über geschwiegen und verlegen zu Boden geblickt hatte. Ihre Wangen waren rot und voller Tränen. Der Gedanke, so jung verheiratet zu werden, erschreckte sie sichtlich.

Rowan ging einen Schritt auf das Mädchen zu. „Du wirst eines Tages ganz sicher eine wunderschöne Braut sein. Aber du solltest dir noch viel Zeit lassen und nicht einen alten Mann wie mich heiraten.“

„Sie sind doch gar nicht so alt“, sagte das Mädchen schüchtern.

„Aber zu alt für dich.“ Rowan ergriff ihre Hand. „Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Jocelyn. Du solltest jetzt in die Schule gehen, damit du nicht zu spät kommst.“

„Ja, Eure Hoheit.“ Jocelyn machte schnell einen Knicks und lief aus dem Zimmer.

„Sie begehen einen Fehler“, sagte Helene.

„Mein Fehler besteht darin, dass ich Sie nicht fristlos entlasse. Falls Sie aber in drei Sekunden nicht mein Büro verlassen haben, dann werde ich es tun.“

Die Haushälterin eilte aus dem Büro, und Rowan sank in seinen Schreibtischstuhl.

„Sie erstaunen mich sehr, Eure Hoheit.“

Rowan blickte auf und war überrascht, Lara in der Tür stehen zu sehen. Er spürte sofort, wie sich seinVerlangen nach ihr wieder steigerte. „Was erstaunt Sie, dass ich ihr gedroht habe, sie zu feuern, oder dass ich es nicht getan habe?“

„Es hat mir imponiert, wie Sie mit der Situation umgegangen sind, und wie einfühlsam Sie die Tochter behandelt haben. Helene wird zwar enttäuscht sein, dass ihre Tochter nicht die nächste Fürstin von Tesoro del Mar wird, aber das Mädchen wird sich immer daran erinnern, wie freundlich der Fürst sie behandelt hat.“

„Ich bin nicht der Typ, der kleine Mädchen anschreit.“

„Gut zu wissen. Ist es denn wahr, dass Sie heiraten müssen?“

Rowan nickte. „Laut Gesetzgebung muss ein regierender Fürst, der nicht bis zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag verheiratet ist, innerhalb von sechs Monaten eine Ehefrau finden oder abdanken.“

„Sind erzwungene Hochzeiten nicht ein bisschen unzeitgemäß?“

„Nicht nur ein bisschen. Da aber Tesoro del Mar ein traditionsbewusstes Land ist, sehe ich es als meine Pflicht an, Christian als Thronfolger zu vertreten, bis er alt genug ist.“

„Dann ist Helene Renaud wahrscheinlich nicht die Letzte, die Ihnen ihre Tochter anbieten wird.“ Lara überflog den Artikel in der Zeitung. „Besonders, wenn hier zu lesen ist, wie man eine fürstliche Braut wird.“

Rowan schob die Zeitung beiseite. „Wer kommt nur auf solche Schlagzeilen? Ich kann das alles nicht glauben. Und wer kommt auf die Idee, die Jungfräulichkeit seiner Tochter anzubieten?“

„Eine Mutter, die in der ersten Reihe bei einer fürstlichen Hochzeit sitzen möchte.“

Rowan schüttelte den Kopf. „Zählt denn gar nicht, was die Tochter davon hält?“

„Manchen Müttern ist das eigene Wohl wichtiger als das ihrer Kinder.“

Rowan konnte an Laras Stimme erkennen, dass sie aus eigener Erfahrung sprach. Er brannte darauf, mehr aus Laras Leben zu erfahren. „War Ihre Mutter auch so?“

Lara lächelte müde. „Meine Mutter hätte niemals geglaubt, dass ich wert wäre, einen Fürsten zu heiraten.“

Rowan sah die Wut in ihren Augen. Doch bevor er weiter darauf eingehen konnte, fuhr sie fort. „Apropos Fürsten, ich wollte Ihnen danken, dass Sie sich so viel Mühe mit Christian geben. Ich habe gesehen, wie glücklich er heute war, als er vom Reiten mit Ihnen zurückkam.“

„Auch mir hat es sehr viel Spaß gemacht.“

„Das freut mich. Sie sollten aber wissen, dass auch Alexandria nun Zeit mit Ihnen verbringen möchte.“

„Tatsächlich?“

„Sie wünscht sich einen Filmabend mit uns zusammen.“

„Wann denn?“

„Heute Abend. Ich habe ihr schon gesagt, dass Sie wahrscheinlich schon etwas vorhaben. Trotzdem hat sie darauf bestanden, dass ich Sie frage.“

„Leider habe ich wirklich schon etwas vor.“

„Treffen Sie eine neue Ehekandidatin?“

„Sehr witzig. Ich muss zu einem Abendessen mit einer amerikanischen Erbin. Es geht um eine Spende für den neuen Flügel des Kinderkrankenhauses.“

„Dann wünsche ich Ihnen vielVergnügen.“

Rowan lächelte gequält. „Ja. Ich werde angebranntes Hähnchen essen und mir wünschen, ich könnte auch …“

Die Schöne und das Biest sehen?“ Lara lächelte. „Ich werde Sie bei Alexandria entschuldigen.“

„Lassen Sie nur. Ich werde versuchen, selbst mit ihr zu reden. Allerdings weiß ich nicht, ob ich das bei meinem engen Terminkalender schaffe.“

„Gut. Dann möchte ich nicht weiter stören.“

Während Rowan beobachtete, wie Lara das Büro verließ, ärgerte er sich darüber, dass er keine Zeit für den Filmabend hatte. Er konnte ein bisschen Abwechslung und Entspannung gebrauchen.

Aber es wäre nicht gut für ihn, einen gemütlichen Abend mit Lara zu verbringen. Er brauchte im Moment einen klaren Kopf. Immerhin musste er eine Ehefrau finden.

5. KAPITEL

Lara schlug die Augen auf und merkte, dass sie nicht allein war. Rowan stand neben ihr und hielt die Fernbedienung in der Hand, mit der er den Fernseher ausschaltete und den Raum fast ins Dunkel hüllte. Nur eine schwache Lampe beleuchtete noch das Fernsehzimmer. Lara musste beim letzten Film eingeschlafen sein.

„Ich wollte Sie nicht wecken“, sagte er leise.

„Und ich hatte gar nicht vor, einzuschlafen.“

„Wie war der Filmabend?“

„Gut. Alexandria und Damon sind nach Die Schöne und das Biest ins Bett gegangen. Christian und ich haben uns dann noch den letzten Teil von Fluch der Karibik angesehen. Dann bin ich irgendwie bei einem alten Film hängen geblieben, der gerade im Fernsehen lief.“

„Was war das denn für ein Film?“

Die große Liebe meines Lebens.“

„Das ist wirklich ein alter Film.“

„Ein Klassiker.“

„Haben Sie als Kind oft Filmabende veranstaltet?“

„Nein. Julian und Catherine haben damit begonnen. Ich habe es nur fortgesetzt.“ Lara machte eine kurze Pause und fuhr dann fort. „Wie war das angebrannte Hähnchen?“

„Nicht so schlecht wie befürchtet.“

„Und die amerikanische Erbin?“

Rowan verdrehte die Augen. „Sagen wir mal, dass ich lieber beim Filmabend mit dabei gewesen wäre.“

Lara lachte. „Tut mir leid für Sie.“

„Immerhin bekommt das Krankenhaus nun die Spende.“

„Wenn das keine guten Nachrichten sind.“

„Warum erzählen Sie eigentlich nie von Ihrer Kindheit?“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen.“

„Warum wechseln Sie dann immer das Thema, wenn ich Ihnen Fragen zu Ihrer Kindheit stelle?“

„Na schön. Was möchten Sie wissen?“

„Ihre Mutter starb, als Sie fünfzehn waren, und an den Tod Ihres Vaters können Sie sich nicht erinnern, weil Sie zu klein waren …“

„Ich habe nie gesagt, dass mein Vater gestorben ist.“ Es war schon oft vorgekommen, dass die Menschen das annahmen. Julian und Catherine hatte sie die Wahrheit erzählt. Sie sah deshalb keinen Grund, Rowan zu belügen. „Ich habe nur gesagt, dass ich ihn nie kennengelernt habe.“

„Ihre Eltern waren demnach nicht verheiratet?“

„So ist es.“

„Hat Ihre Mutter denn nie geheiratet?“

Lara schüttelte den Kopf. „Sie hat nie jemanden gefunden, der das Kind eines anderen Mannes akzeptiert hätte.“

„Hat sie Ihnen das erzählt?“

„Das ist die Wahrheit. Sie hat zwar viele Männer kennengelernt, doch die sind jedes Mal geflüchtet, wenn sie erwähnte, dass sie ein uneheliches Kind hat.“

„Langsam verstehe ich, warum Sie nicht gern darüber reden.“

„Es ist aber alles schon lange her.“

„Noch nicht so lange. Und Sie können stolz auf sich sein, dass trotz allem eine fürsorgliche und warmherzige Frau aus Ihnen geworden ist.“

Lara spürte, wie ihr langsam warm wurde und Rowan sie immer interessierter ansah. Sie wunderte sich, dass er sich nicht von ihr abwandte, nachdem sie ihm ihr Geheimnis erzählt hatte. „Als meine Mutter starb, wurde ich in eine Pflegefamilie gesteckt. Ein paar Monate später tauchten Stephanie und David Mitchell auf. Stephanie war die Cousine dritten Grades meiner Mutter. Aus irgendeinem Grund wollten sie, dass ich bei ihnen lebte. So kam ich nach Irland. David stellte mir Julian und Catherine vor. Sein Schwager war Catherines Onkel.“

„Das hat Catherine mir nie erzählt.“

„Es handelte sich auch nur um eine sehr entfernteVerwandtschaft.“

„Wie sind Sie dann nach Tesoro del Mar gekommen?“

„Catherine hat mich eingeladen.“

„Das war alles?“

„Catherine und Julian waren wie Eltern für mich. Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihnen aufgebaut. Schließlich beschloss ich, auf der Insel zu bleiben und ein neues Leben zu beginnen.“

„Und Sie haben es nicht bereut?“

Lara schüttelte den Kopf. Eine Sache bereute sie allerdings doch – dass sie sich in einen Mann verliebt hatte, den sie niemals haben könnte.

Als Rowan sechs Tage später die Treppe zu seinem Apartment im vierten Stockwerk hinauflief, war er entmutigt. Er musste nicht nur seine fürstlichen Pflichten erfüllen, sondern nun auch noch zu unzähligenTreffen gehen. Wie sollte er bei all den Terminen bloß Zeit für die Kinder finden? Seine seltenen freien Abende nutzte er für Verabredungen mit Frauen. Nachdem er an diesem Abend bereits die vierte Frau getroffen hatte, war er mehr als enttäuscht.

Nach dem Abendessen letzte Woche mit der amerikanischen Erbin folgte eine Ballettaufführung in Begleitung einer Fotografin, die angeblich Verbindungen zum Fürstenhaus hatte. Einige Tage später traf er sich mit einer verwitweten Gräfin auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Heute Abend hatte er schließlich mit der liebenswerten, wenn auch langweiligen Stacy Philips zu Abend gegessen.

All diese Frauen waren attraktiv und erfüllten zweifellos die Ansprüche an eine Fürstin. Doch keine von ihnen hatte einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen.

Rowan konnte sich nicht vorstellen, mit einer der Frauen einen gemütlichen Filmabend zu verbringen oder nachts in der Küche Kuchenreste mit ihr zu stibitzen. Er brauchte eine Frau, mit der er über alles reden konnte, und die ihre eigene Meinung vertrat.

Kurz gesagt, er brauchte Lara.

Er fühlte sich mittlerweile nicht nur körperlich zu ihr hingezogen. Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto stärker wurden seine Gefühle für sie. Lara war intelligent und herzlich und hatte Humor. Sie zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht, auch wenn es ihm noch so schlecht ging. Und sie brachte sein Blut in Wallung. Er sehnte sich danach, ihre Lippen zu küssen, ihren Duft ganz tief einzuatmen und ihren nackten Körper zu spüren.

Rowan gähnte, als er am Kinderzimmer vorbeilief. Alles, was er jetzt noch wollte, war ins Bett zu fallen und tief zu schlafen. Es war schon spät, deshalb musste er mit ein paar Stunden Schlaf auskommen. Daran war er ja bereits gewöhnt.

Er blieb an der Tür zum Kinderzimmer stehen und lauschte. Sang da etwa jemand ein Lied?

Es handelte sich um das Schlaflied, von dem Alexandria ihm erzählt hatte. Früher hatte Catherine es den Kindern vorgesungen, wenn sie nicht schlafen konnten. Nun führte Lara dieses Ritual fort.

Rowan öffnete die Tür einen Spaltbreit und war gefangen von der sanften Stimme, die beruhigend die magischen Strophen sang.

Das Zimmer wurde nur vom Halbmond beleuchtet, doch Rowan konnte Lara gut erkennen. Sie saß auf der Bettkante, streichelte Damons Kopf und sang mit engelsgleicher Stimme.

Nach einer Weile stand Lara auf und ging auf Zehenspitzen zur Tür.

Rowan zog sie wie ferngesteuert zu sich.

Sie schnappte hörbar nach Luft, als er die Hände um ihre Hüften legte. Vergeblich versuchte sie, sich zu befreien, doch Rowan war nun nicht bereit, sie gehen zu lassen, nachdem sie endlich in seinen Armen war.

Er konnte ihre warme Haut unter dem dünnen Stoff ihres Nachthemdes spüren. Wie leicht wäre es, das Nachthemd aufzuknöpfen und es auf den Boden fallen zu lassen. Er wollte ihre nackte Haut berühren und sie überall streicheln …

„Eure Hoheit?“

Die Frage brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück.

Lara schluckte und befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge.

Rowan hatte schon zu lange der Versuchung widerstanden, sie zu küssen. Endlich war der Moment gekommen, auf den er so lange gewartet hatte.

Er zog sie näher an sich, schloss die Tür zu Damons Zimmer und küsste Lara.

Im ersten Moment konnte Lara sich vor Schreck nicht bewegen. Erst Rowans Umarmung befreite sie aus ihrer Starre.

Wenn sie bloß klar denken könnte, dann hätte sie sich geärgert, dass Rowan glaubte, er könnte jede Frau haben, nur weil er ein Fürst war. Aber sie konnte nicht anders, als seine Küsse zu erwidern. Jede Stelle, die er berührte, schien vor Hitze zu brennen. Sie spürte seine Erregung, während sie sich an ihn presste.

Seine Küsse wurden immer leidenschaftlicher. Lara zögerte nicht, als er die Zunge zwischen ihre Lippen schob, und erwiderte seine heißen Küsse. Ihre Brüste berührten seine muskulöse Brust. Nur der dünne Stoff trennte sie noch.

Rowan knöpfte ihr Nachthemd auf. Er streichelte ihre Brüste – zuerst zärtlich, und dann mit steigendem Verlangen. „Du bist so wunderschön … so verführerisch“, hauchte er ihr ins Ohr.

Lara wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Schweigend genoss sie seine Liebkosungen.

Als Rowan eine Hand in ihren Slip schob, stockte ihr der Atem. Ihr Körper sehnte sich nach ihm. Noch nie hatte ein Mann sie so berührt.

Lara war nicht vollkommen unerfahren. Sie hatte Dates gehabt und Männer geküsst, auch wenn das nicht mit dem vergleichbar war, was sie gerade mit Rowan erlebte.

Rowan zog die Hand wieder zurück und liebkoste ihre Brustspitzen, während sie sein Haar zerzauste und hörbar nach Luft schnappte.

Nie hätte Lara gedacht, dass ein Mann so starke Gefühle in ihr auslösen konnte. Sie war wie berauscht von seinen Küssen und Berührungen.

Plötzlich schob er die Hand wieder in ihren Slip und glitt dorthin, wo sie noch nie jemand berührt hatte. Während er mit den Fingern kreisende Bewegungen machte, konnte Lara sich kaum noch zusammenreißen. Sie stöhnte und wand sich in seinen Armen.

Lara vergaß alles um sich herum. Es gab nur noch Rowan und sie. Ihre Gefühle ließen sie wie auf Wolken schweben. Sie wünschte sich, dass er nie aufhörte.

Plötzlich hielt er sie an den Schultern fest. In seinen Augen lag keine Leidenschaft mehr, sondern eher Wut. „Lara, wann sagst du mir endlich, dass ich aufhören soll?“

Ihr Atem ging immer noch abgehackt. Sie versuchte zu verstehen, warum er das Liebesspiel auf einmal unterbrochen hatte. Doch sie konnte immer noch nicht klar denken. „Ich möchte nicht, dass du aufhörst.“

Rowan ließ sie los und machte einen Schritt zurück. „Merkst du denn nicht, wo das alles hinführt? Oder ist es dir egal?“ Lara fröstelte plötzlich. Doch als sie die Verachtung in Rowans Augen sah, wurde ihr noch kälter. Wie konnte er sie gerade noch leidenschaftlich küssen und nun ablehnen? „Du warst es doch, der mich geküsst hat. Warum tust du so, als ob ich einen Fehler gemacht hätte?“

„Weil wir es niemals so weit hätten kommen lassen dürfen. Ich hätte dich hier vor dem Zimmer meines Neffen genommen, und du hättest nichts dagegen getan, oder?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Lara, während sie ihr Nachthemd zuknöpfte. „Als du mich geküsst hast, konnte ich einfach nicht mehr klar denken. So etwas ist mir noch nie passiert.“

„Wie meinst du das?“

„Ich meine damit, dass mich noch nie jemand geküsst und berührt hat wie du.“ Nachdem Lara ihr Nachthemd zurechtgerückt hatte und zu ihm sah, merkte sie, wie er sie anstarrte. „Du kannst keine Jungfrau mehr sein“, sagte er ausdruckslos.

Laras Wangen erröteten. „Zuerst hat es dich gestört, dass ich zu weit gegangen bin, und jetzt bin ich dir nicht erfahren genug?“

„Willst du mir nun sagen, dass du wenig Erfahrung mit Männern hast, oder gar keine?“

„Zu mehr als einem Kuss ist es nie gekommen.“

Rowan runzelte die Stirn. „Wirklich?“

„Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich mich nicht herumgetrieben habe.“

„Niemand verlangt eine Entschuldigung von dir.“

„Warum bist du dann sauer auf mich?“

„Ich bin sauer auf mich selbst, weil ich nicht bemerkt habe, dass du noch unberührt bist. Und obwohl ich das jetzt weiß, will ich dich immer noch, Lara.“

Laras Herz schlug schneller. „Du … willst mich immer noch?“

„Ja, schon seit langer Zeit. Ich weiß, dass es niemals so weit hätte kommen dürfen. Trotzdem kann ich nicht dagegen ankämpfen.“

„Halt mich bitte nicht für verklemmt oder besonders moralisch. Ich habe bisher nur noch nicht den richtigen Mann getroffen. Mit dir ist aber alles anders.“

„Sag das nicht, Lara. Wir können es einfach nicht tun. Das wäre nicht richtig. Geh am besten in dein Zimmer und schließ von innen ab.“

Lara näherte sich ihm. „Ich habe keine Angst vor Ihnen, Eure Hoheit.“

„Ich glaube, dass du unter diesen Umständen auf den Titel verzichten kannst.“

Sie sah ihm tief in die Augen. „Ich habe keine Angst vor dir … Rowan.“

Rowan versuchte, sich daran zu erinnern, dass Lara nicht nur eine verführerische junge Frau war. Sie war eine Angestellte des Fürstenhauses, die Frau, die sich um die Kinder seines verstorbenen Bruders kümmerte … und sie war unberührt. Besonders der letzte Punkt zwang ihn dazu, sich zusammenzureißen und sie nicht wieder in die Arme zu nehmen. Stattdessen berührte er ihre Wange und lächelte. „Es wäre wirklich besser, wenn du jetzt gehst.“

„Warum?“

„Weil mir nur noch fünf Monate bleiben, um eine Ehefrau zu finden. Und ich kann es mir nicht leisten, von dieser Aufgabe abgelenkt zu werden.“

Lara nickte. „Natürlich, Eure Hoheit.“

Rowan lächelte bitter. „Werden wir jetzt wieder förmlich?“

„Ich glaube, es ist besser so.“ Sie machte einen Knicks. „Gute Nacht.“

„Gute Nacht, Lara.“

Rowan beobachtete, wie sie in ihrem Zimmer verschwand, aber nicht von innen abschloss. Er war sich nicht sicher, ob sie ihm vertraute oder wollte, dass er zu ihr kam.

Aber er gab der Versuchung nicht nach und ging zu seinem Apartment, wo er eine kalte Dusche nahm.

Während das eiskalte Wasser auf ihn prasselte, versuchte er, nicht mehr an Lara zu denken. Doch er konnte immer noch ihre heißen Lippen schmecken, ihre seidige Haut spüren und ihre funkelnden Augen sehen. Sein Körper war fast gefühllos von dem kalten Wasser, als er aus der Dusche stieg. Aber sein Verlangen hatte sich eher noch gesteigert.

Rowan verfluchte sich dafür, dass er Lara beinahe vor dem Zimmer seines Neffen entjungfert hatte. Die Leidenschaft hatte ihn so sehr beherrscht, dass er in diesem Moment nicht mehr klar denken konnte.

Trotzdem war er sich sicher, dass er sich nun viel besser fühlen würde, wenn er es tatsächlich getan hätte.

Lara musste dem Palast entfliehen. Normalerweise nutzte sie ihre Freizeit, um für ihr Studium zu lernen. Doch da die Prüfungen bereits hinter ihr lagen, konnte sie anderen Beschäftigungen nachgehen. Sie überlegte, reiten zu gehen oder ein Buch am Pool zu lesen, aber dann bestand die Möglichkeit, Rowan zu treffen. Und dafür war sie noch nicht bereit.

Lara wusste nicht, was er heute vorhatte. Vielleicht war er sogar auf einer Auslandsreise. Nach letzter Nacht wollte sie es jedenfalls nicht darauf ankommen lassen, ihn im Palast zu treffen.

Rowan hatte zwar gestern den ersten Schritt getan, aber sie hatte die gleiche Leidenschaft gezeigt wie er. Er hatte Sehnsüchte in ihr geweckt, von denen sie noch nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Und sie wünschte sich, dass er nicht aufgehört hätte. Tief in ihrem Innern sehnte sie sich danach, mit ihm zu schlafen.

Aber sie wusste auch, dass eine Affäre mit einem Fürsten nur Probleme mit sich bringen würde. Außerdem bestand die Gefahr, dass sie an den Mann, mit dem sie das erste Mal erlebte, auch ihr Herz verlor. Vielleicht war es aber auch schon längst geschehen.

Diese Gedanken verfolgten Lara, während sie sich auf den Weg in die Stadt machte, über die Märkte lief und die Läden durchstöberte. Normalerweise liebte sie es, durch die engen Gassen von Port Augustine zu schlendern. Doch heute fehlte ihr die Lust dazu.

Ihr wurde klar, dass es ihr mehr half, mit jemandem über ihre Probleme zu reden. Deshalb steuerte sie auf die Kunstgalerie ihrer Freundin zu.

Als sie dort ankam, beendete Tanis gerade eine Führung und drehte sich dann lächelnd zu Lara um. „Das ist schon meine vierte Gruppe heute, und meine Schuhe sind leider nicht so bequem, wie der Verkäufer versprochen hat. Vielleicht hätte ich sie auch nicht gleich anziehen sollen, da heute Mittwoch ist. Und mittwochs kommen immer die Kreuzfahrtschiffe an, deren Passagiere sich sehr für unsere Galerie interessieren.“

„Bald werden sie sich auch für deine Kunstwerke interessieren, Tanis.“

Lara hatte ihre Freundin schon seit Monaten dazu gedrängt, Luke ihre Bilder zu zeigen. Obwohl Tanis mittlerweile mit ihm liiert war, hatte sie gezögert. Erst als er zufällig einige Bilder von ihr entdeckte und begeistert von ihrem Talent war, konnte er sie überreden, in eine Ausstellung ihrer Werke einzuwilligen.

„Du hast meinen Tag gerettet. Lass uns zu The Angel gehen und etwas zum Essen holen.“

Die beiden Freundinnen gingen zu ihrem Lieblingscafé, ließen sich ihr Mittagessen einpacken und aßen es am Pier, wo sie die luxuriösen Jachten betrachteten.

„Wie kommt es, dass du heute in der Stadt bist?“, fragte Tanis.

„Weil ich einen Tapetenwechsel gebraucht habe.“

„Ich kann mir vorstellen, dass es auf Dauer in dem prunkvollen Palast langweilig wird.“

Lara ignorierte Tanis’ Sarkasmus und packte ihr Sandwich aus.

„Was hat er denn getan?“, wollte Tanis wissen.

„Wer?“

„Der fürstliche Idiot natürlich. Normalerweise bleibst du auch an deinem freien Tag im Palast, um in der Nähe der Kinder zu sein. Es muss also einen Grund geben, dass du ihn meidest.“

Lara hätte sich denken können, dass Tanis sich nichts vormachen ließ. Aber deswegen war sie ja hier. Sie brauchte jemanden, dem sie alles erzählen konnte. Sie holte tief Luft. „Er hat mich geküsst.“

„Und?“

„Ich bin dahingeschmolzen. So etwas habe ich noch nie erlebt. Er hat mich in die Arme genommen und mich geküsst, bis mir schwindlig wurde.“

„Ich wusste, dass es passieren würde, wenn du zurückgehst.“

„Wie meinst du das?“

„Mir war klar, dass du dich in ihn verlieben würdest.“

„Das habe ich nicht. Ich mag ihn … das ist alles.“

„Du willst es bloß nicht zugeben, Lara.“

„Ich meine, abgesehen davon, dass er ein attraktiver Fürst ist, hat er wirklich gute Seiten.“

„Aber er ist eben ein Fürst.“

„Ich weiß, dass er unerreichbar für mich ist. Und ich bin nicht naiv genug, um zu glauben, dass ich eine Beziehung mit ihm führen könnte. Ich möchte nur mit ihm zusammen sein – ein einziges Mal, um endlich zu erfahren, wie es ist, mit einem Mann zu schlafen.“

Tanis verschluckte sich fast an ihrer Cola. „Du bist doch nicht etwa noch Jungfrau?“

Lara sah sich um, um sicherzugehen, dass niemand den Kommentar ihrer Freundin gehört hatte. „Was ist denn falsch daran?“

„Du meine Güte! Du bist wirklich noch Jungfrau.“

„Na und?“

„Wieso habe ich das nicht gewusst?“

„Weil ich es ablehne, einen Keuschheitsgürtel zu tragen.“

„Tut mir leid. Ich habe einfach geglaubt … ich meine, du hast viele Männer getroffen. Und da waren auch echt attraktive dabei. Deshalb habe ich angenommen …“ Tanis schüttelte den Kopf. „Ich lag einfach falsch. Jedenfalls muss dir klar sein, dass du nicht mit Rowan schlafen kannst.“

„Nicht?“

„Auf keinen Fall. Nicht beim ersten Mal.“

„Du meinst, ich kann mit ihm schlafen, wenn ich vorher mit einem anderen Mann ins Bett gegangen bin?“

„Genau. Du musst nämlich wissen, dass wir Frauen dazu neigen, den ersten Mann zu verklären. Selbst wenn das erste Mal auf dem Rücksitz eines gemieteten Cabrios stattfindet, wird es immer in unserer Erinnerung bleiben. Deshalb sollte man dem ersten Mann am besten nicht nahestehen.“

„Es würde sowieso nie etwas mit Rowan werden, weil er bei seiner Suche nach einer Ehefrau nicht von mir abgelenkt werden möchte. Das hat er selbst gesagt.“

„Dann ist es also wahr, was die Zeitungen schreiben? Der Fürst muss eine Frau finden, um seine Macht zu behalten?“

„Ja. Das Gesetz besagt, dass der regierende Fürst mehr Reife undVerantwortungsbewusstsein besitzt, wenn er verheiratet ist, und so besser die Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung verstehen kann.“

„Ich wette, dass die Frauen bei ihm anstehen, um seine Frau zu werden.“

„Du kannst es dir gar nicht vorstellen. Er bekommt säckeweise Briefe aus der ganzen Welt. Von handgeschriebenen Briefen mit Parfumnote bis Nacktfotos ist alles dabei.“

„Woher weißt du das?“

„Henri hat mich darum gebeten, ihm beim Aussortieren der Briefe zu helfen. Er glaubt, dass eine Frau ein besseres Gespür dafür hat.“

„Und du hast eingewilligt?“

„Was hätte ich denn tun sollen?“

„Du hättest sagen können, dass das nicht zu deinen Aufgaben zählt.“ Tanis sah auf die Uhr und merkte, dass sie wieder zurück zu ihren eigenen musste.

„Jedenfalls wird die Frau, die Rowan auswählt, auch die Stiefmutter der Kinder werden. Deshalb bin ich schon daran interessiert zu wissen, wer sich dafür bewirbt.“

„Stört dich denn nicht, dass du bei der Suche nach einer Ehefrau für den Mann beteiligt bist, mit dem du schlafen möchtest?“

„Du hast doch selbst gesagt, dass ich das nicht kann.“

„Und das solltest du auch nicht vergessen“, warnte Tanis sie.

6. KAPITEL

Cameron Leandres schenkte sich ein weiteres Glas Whiskey ein, bevor er an den Tisch zu seiner Mutter zurückkehrte. Obwohl er fasziniert von ihrem Plan war, hatte er einigeVorbehalte.

„Was denkt Michael darüber?“, fragte er Elena.

„Hier geht es nicht um Michael, sondern um dich.“

„Mit anderen Worten wollte er damit nichts zu tun haben.“

„Er ist weder so zielstrebig noch so ehrgeizig wie du, Cameron, das weißt du doch.“

Der Gedanke, Tesoro del Mar zu regieren, gefiel Cameron. Er hatte es satt, immer nur ein Adliger zweiter Klasse zu sein. Er wollte mächtig und reich sein. Und da seine Mutter ihm nun die Möglichkeit dazu bot, konnte er nicht Nein sagen. Wenn ihr Plan funktionierte, dann würde das sein gesamtes Leben verändern.

„Was genau hast du vor?“

„Ich dachte da an einen kleinen Skandal, der das Vertrauen der Bevölkerung in Rowan erschüttern könnte.“

„Das Problem dabei ist nur, dass Rowan nicht gerade für Skandale bekannt ist.“

„Hast du denn schon die Geschichte mit Margot Olivier vergessen? Damals hatte er eine Affäre mit ihr, und sie behauptete nach einerWeile, schwanger von ihm zu sein. RowansVater war rasend vor Wut. Dabei stellte sich am Ende heraus, dass sie gar nicht schwanger war. Sie wollte ihn durch diese Lüge bloß an sich binden.“

„So eine Geschichte würde uns natürlich mehr als entgegenkommen.“ Cameron konnte sich vorstellen, wie erniedrigend diese Enthüllung damals für seinen Cousin gewesen sein musste. Trotzdem durfte er kein Mitleid für ihn zeigen, denn den Santiago-Brüdern war alles immer nur in den Schoß gelegt worden. Die Leandres-Familie hingegen hatte nie etwas von dem Ruhm und dem Reichtum abbekommen. Nun war es an der Zeit, dass sich etwas an den Machtverhältnissen auf der Insel änderte.

„Leider ist das alles nur schon zehn Jahre her. Dafür wird sich heute niemand mehr interessieren“, stellte Cameron fest. „Soweit ich weiß, war er seitdem auch nie wieder in einen Skandal verstrickt. Er ist eben vorsichtiger geworden.“

„Wir könnten Margot trotzdem ausfindig machen und die Geschichte noch einmal aufrollen.“

„Das wird nichts bringen.“

„Hast du denn eine bessere Idee?“

Cameron trank einen Schluck Scotch und sah seine Mutter lächelnd an. „Ja, mir schwebt da tatsächlich etwas vor.“

Eigentlich verfiel Lara nie in Panik, wenn sie einen Ohrring vermisste. In diesem Fall handelte es sich aber um ein ganz besonderes Stück. Sie fasste sich ans Ohr und ertastete den einen tropfenförmigen Topas-Ohrring, auf dem winzige Diamanten eingearbeitet waren. Wo war nur der andere?

Sie suchte überall in ihrem Zimmer danach. Ohne Erfolg. Dabei war sie sich sicher, dass sie beide getragen hatte. Wahrscheinlich hatte sie ihn heute in der Bibliothek verloren. Alexandria hatte sie dorthin gebeten, weil Damon auf den Bücherregalen herumgeklettert war. Als sie ihn aufforderte herunterzukommen, war er einfach auf sie gesprungen. Sie hatte ihn aufgefangen und ihm für seine Ungezogenheit fast den fürstlichen Hintern versohlt. Möglicherweise war Damon dabei an ihren Ohrring gekommen und hatte ihn abgerissen.

Lara ging direkt in die Bibliothek, ohne zu merken, dass Rowan sich dort aufhielt. Er beendete gerade ein Telefongespräch und legte den Hörer auf.

Als Lara ihn bemerkte, machte sie automatisch einen Knicks und wollte den Raum wieder verlassen. „Entschuldigen Sie, Eure Hoheit.“

„Du musst dich nicht entschuldigen, Lara. Ich war gerade fertig. Außerdem haben wir uns doch darauf geeinigt, die Förmlichkeiten ab sofort abzulegen.“

„Ich wollte nur kurz nachsehen, ob mein Ohrring hier ist. Ich glaube, ich habe ihn in der Bibliothek verloren.“

„Ist es dieser hier?“ Rowan zog den Topas-Ohrring aus der Hosentasche.

Lara atmete erleichtert auf. „Ja, danke.“

Rowan ging zu ihr und musterte den Ohrring. „Ein Geschenk von einem besonderen Freund?“

„Ja.“ Sie streckte die Hand aus, aber er machte keine Anstalten, ihr den Ohrring zu übergeben.

„Von einem Liebhaber?“

„Ist das so wichtig?“

„Ich bin nur neugierig.“

„David hat sie mir geschenkt.“

„David Mitchell?“

„Ja.“

„Die Ohrringe sehen wie Familienerbstücke aus.“

„Sie haben ursprünglich seiner Mutter gehört. Sie hat sie Stephanie geschenkt, als sie David heiratete. Nach Stephanies Tod hat David sie mir dann vermacht. Kann ich den Ohrring jetzt bitte zurückhaben?“

„Natürlich.“ Aber anstatt ihn ihr auszuhändigen, griff er in ihr Haar und strich es hinter ihr Ohr.

„Ich mache das lieber selbst.“

Doch Rowan befestigte das Schmuckstück an ihrem Ohr.

Sie hielt den Atem an und hoffte, dass er nicht bemerkte, wie sehr sie seine Berührung erregte.

„Die Ohrringe stehen dir gut. Sie verleihen dir eine sehr feminine Ausstrahlung.“

„Danke.“ Lara hoffte, dass er wieder zu seinem Schreibtisch ging, damit sie endlich wieder Luft bekam.

„Du trägst nicht oft Schmuck.“

„Es stört einfach, wenn ich mit den Kindern spiele.“

„Anscheinend hast du heute Abend aber noch etwas vor.“

„Ja. Ich gehe zurVernissage in der Kunstgalerie.“

„Stellt deine Freundin Tanis da nicht ihre Kunstwerke aus?“

Sie war überrascht, dass er darüber informiert war.

„Die Familie Santiago unterstützt schon seit Langem die lokalen Künstler“, fuhr er fort. „Ich habe sogar daran gedacht, die Ausstellung mit Chantal später zu besuchen.“

Lara zwang sich zu einem Lächeln und tat erfreut, dass Rowan Chantal St. Laurent ein weiteres Mal traf. Eigentlich konnte sie sich wirklich freuen, denn je schneller Rowan eine Ehefrau fand, desto eher würde er das Interesse an ihr verlieren. Dann wäre sie vielleicht auch endlich bereit für einen anderen Mann.

Lara machte einen Schritt zurück und ärgerte sich, dass sie Rowan so nah an sich herankommen ließ. Er spielte doch bloß mit ihr. In Wahrheit hatte er nur noch Augen für das französische Supermodel. „Das ist schon dein zweites Date mit Miss St. Laurent, oder?“

Er nickte.

„Dann muss es ja gut mit ihr laufen.“

„Sie kann endlose Gespräche führen.“

„Das hört sich ja nicht so begeisternd an.“

„Abgesehen davon, dass sie die Kriterien für eine Fürstin erfüllt, ist sie attraktiv und kann gut mit der Presse umgehen. Außerdem langweilt sie mich nicht.“

„Wie schön. Vielleicht solltest du diese Dinge in deinem Eheversprechen erwähnen.“

Rowan sah sie leicht amüsiert an. „Was soll diese abschätzige Bemerkung bedeuten?“

„Du solltest mehr von deiner zukünftigen Ehefrau erwarten.“

„Ich heirate, weil ich heiraten muss, und nicht, weil mir danach ist.“

„Das hast du den Frauen wahrscheinlich auch klargemacht, mit denen du dich getroffen hast.“

„Ich werde meine zukünftige Ehefrau ehren und schätzen wie jeder andere Ehemann auch.“

„Und was ist mit Liebe?“

Er schüttelte den Kopf. „Glaubst du wirklich, dass auch nur eine dieser Frauen auf Liebe aus ist? Sie wollen nicht mich, sondern nur den Fürstinnentitel.“

„Und du willst ihnen diesen Gefallen tun?“

„Was ich möchte, zählt hier nicht. Ich tue nur das, was meine Familienehre von mir verlangt.“

„Mich würde trotzdem interessieren, was du wirklich möchtest.“

„Es gibt da etwas. Das kann ich aber leider nicht haben.“

„Wie kannst du das wissen? Warum bist du so überzeugt davon?“

Er sah ihr tief in die Augen. „Weil ich dich möchte, Lara.“

Die wilde Leidenschaft in seinem Blick bewies ihr, dass er die Wahrheit sprach. Lara befürchtete, dass er dasselbe auch in ihren Augen sah, und wandte sich deshalb ab.

„Ich möchte dich lieben. Ganz langsam und sanft. Ich möchte deinen ganzen Körper berühren, dich schmecken und hören, wie du meinen Namen sagst.“ Er nahm ihr Gesicht in die Hände. „Sag meinen Namen, Lara.“

Sie konnte ihn nicht zurückweisen. In diesem Moment hätte sie alles für ihn getan, nur um mit ihm zusammen zu sein. Ihr Herz schlug immer schneller, während sie die Lippen befeuchtete und ihm ins Ohr hauchte. „Rowan.“

Rowan küsste sie. Er konnte einfach nicht anders, auch wenn er sich geschworen hatte, es nicht mehr zu tun. Sie hatte etwas Magisches an sich, das ihn immer wieder zu ihr zog.

Er wollte sie so sehr. Schon von Anfang an hatte er sich nach ihr verzehrt. Nun waren aber auch noch Gefühle im Spiel, was die Angelegenheit für ihn nicht leichter machte – sondern gefährlicher. Vor allem, wenn es sich um das Kindermädchen handelte und er sich eigentlich darauf konzentrieren sollte, eine standesgemäße Frau zu heiraten.

Rowan hatte in den letzten Wochen viele Frauen getroffen. Aber keine hatte ihn so sehr beschäftigt und sein Blut in Wallung gebracht wie Lara.

Sie war ihm schon immer wunderschön vorgekommen. Doch heute Abend sah sie atemberaubend aus. Er konnte kaum den Blick von ihr abwenden.

Er vertiefte den Kuss, spielte mit ihrer heißen Zunge und genoss den wundervollen Augenblick. Am liebsten hätte er nie damit aufgehört.

Plötzlich hörten sie Schritte im Flur und mussten den Kuss abrupt abbrechen.

„Miss Chantal St. Laurent ist eingetroffen, Eure Hoheit.“

Falls der Butler Verdacht geschöpft hatte, ließ er sich nichts anmerken. „Sie erwartet Sie im Salon.“

„Danke, Antonio.“

Antonio verbeugte sich und ließ sie wieder allein.

Lara griff in die Tasche und reichte ihm ein Tuch. „Wisch dir besser den Lippenstift ab, bevor du deinen Gast begrüßt.“

„Lara …“

„Ich muss noch nach Alexandria und Damon sehen, bevor ich gehe. Wenn ich das nicht gleich tue, dann komme ich zu spät zurVernissage.“

Rowan hätte ihr am liebsten befohlen, bei ihm zu bleiben. Aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Er konnte seine Gefühle für sie nicht ausdrücken. Außerdem wartete Chantal unten auf ihn. „Wir sehen uns“, sagte er dann und ließ sie gehen.

Luke hatte sich mit der Vernissage selbst übertroffen. Jedes Werk von Tanis war eindrucksvoll in Szene gesetzt, und die Ausstellungseröffnung glich einer spektakulären Galaveranstaltung.

Lara unterhielt sich einige Minuten mit ihrer Freundin und bewunderte den Ring, den Luke ihr wenige Stunden zuvor angesteckt hatte. Anscheinend wollte er sichergehen, dass sie bei ihm blieb, bevor sie ein großer Star wurde. Anschließend machte Lara einen Rundgang durch die Ausstellung und versuchte, nicht neidisch auf den Erfolg und das Glück von Tanis zu sein.

Ihre Freundin hatte das alles mehr als verdient.

Lara vergaß die Zeit, während sie die Kunstwerke bestaunte. Deshalb schaffte sie es nicht, dieVernissage zu verlassen, bevor der Fürst mit seinerVerabredung erschien.

Es war unmöglich, Rowans Ankunft nicht mitzubekommen. Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge, und überall waren Blitzlichter zu sehen. Und die Frau, die ihn begleitete, schien genauso an das Medieninteresse gewöhnt zu sein wie Rowan selbst.

Chantal St. Laurent war nicht nur das Gesicht von Divine Cosmetics, sondern auch von Titelseiten vieler Magazine bekannt. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, hatte große blaue Augen, volle Lippen und eine Figur, die jeden Mann verrückt machte.

Während Lara beobachtete, wie das Model sich den Weg durch die Menge bahnte, konnte sie nicht anders, als eifersüchtig auf sie zu sein – nicht aufgrund Chantals Schönheit, sondern weil sie heute Abend an Rowans Seite war.

Lara hatte es aufgegeben, sich über ihre Gefühle klar zu werden. In ihrem Innern herrschte ein zu großes Durcheinander. Sie respektierte und bewunderte den Fürsten, und sie hatte auch begonnen, etwas für den Mann hinter dem Titel zu empfinden. Es tat weh, dass er sie vor Kurzem noch in der Bibliothek geküsst hatte und nun mit einer anderen Frau zusammen war, als ob der Kuss nie stattgefunden hätte.

Vielleicht hatte ihr der Kuss auch mehr bedeutet als ihm. Er hatte bestimmt schon Hunderte Frauen geküsst, deshalb war es sicherlich nichts Besonderes für ihn gewesen. Und später am Abend würde er auch Chantal St. Laurent auf diese Weise küssen.

Rowan begehrte sie, mehr aber auch nicht. Er könnte niemals eine Bedienstete des Palastes heiraten. Sie durfte gar nicht erst damit beginnen, sich Hoffnungen zu machen.

Plötzlich stand Rowan neben ihr und lächelte sie an. „Deine Freundin besitzt sehr viel Talent.“

„Ja, das stimmt.“ Laras Herz raste. „Sie würde sich freuen, das von dir zu hören.“

„Hat sie mir denn schon verziehen, dass ich ein anderes Kindermädchen einstellen wollte?“

„Nach heute Abend wahrscheinlich schon. Dein Auftritt mit Chantal bringt ihr noch mehr Publicity für die Ausstellung.“ Lara trat einen Schritt zurück, da sie sich sicher war, dass alle Augen im Raum auf sie gerichtet waren. „Wo ist denn Chantal?“

„Unterwegs.“

„Solltest du nicht bei ihr sein? Du bist ja schließlich mit ihr verabredet.“

„Ich muss nicht die ganze Zeit ihre Hand halten.“

Auf der anderen Seite des Raums sah Chantal sie nicht gerade erfreut an.

„Du solltest zu ihr gehen“, sagte Lara.

„Chantal kommt schon klar. Ich mache mir mehr Sorgen um dich.“

„Das ist nicht notwendig, Eure Hoheit.“

Rowan näherte sich ihr und berührte ihren Arm dabei.

Lara versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr seine Berührung sie aus dem Konzept brachte.

„Möchtest du, dass ich mich für den Kuss vorhin entschuldige?“, fragte er.

„Auch dafür gibt es keinen Grund. Mir wäre es am liebsten, wenn wir alles einfach vergessen würden.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob das so einfach ist. Ich kann den Geschmack deiner Lippen nicht vergessen, seit ich dich das erste Mal geküsst habe.“

Lara schluckte. „Viele Leute hier würden alles dafür geben, um eine Minute mir dir zu reden. Wenn wir uns noch weiter unterhalten, dann werden bestimmt Gerüchte entstehen.“

„Dann reden wir später weiter, Lara.“

Sie machte einen Knicks. „Einen schönen Abend noch, Eure Hoheit.“

Rowan ging zu seiner Verabredung zurück, und Lara versuchte, sich einzureden, dass es besser so war. Chantal passte viel besser zu ihm. Sie war eine ebenbürtige Frau für den Fürsten, im Gegensatz zu Lara.

Später am Abend kam es zu einem Gespräch zwischen Lara und Chantal, das Lara am liebsten vermieden hätte. Sie wollte sich gerade von Tanis verabschieden, als Chantal sich zu ihr gesellte.

„Ich habe nur eine Frage“, sagte Chantal.

„Und die wäre?“

„Schlafen Sie mit ihm?“

Lara sah sie entsetzt an. „Wie bitte?“

„Ich bin weder dumm noch blind. Ich habe bemerkt, wie Rowan Sie ansieht.“

Autor

Brenda Harlen
<p>Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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