Weihnachten mit einem Engel?

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Tiefblaue Augen, die sie verzweifelt anschauen, ein markant-schönes Gesicht, und auf dem Arm ein weinendes Kind: Dieser Mann ist überfordert, denkt die junge Nanny Ashley. Ihre eigenen Probleme sind vergessen - arbeitslos in London gestrandet, Weihnachten vor der Tür und keine Bleibe - als sie ihre Hilfe anbietet. Und damit Dario Vantanis Herz stürmt! Der Millionär bittet sie, seinen rettenden Engel, bei ihm und seinem kleinen Neffen zu bleiben. Und noch während die Festtage die City verzaubern, macht Dario ihr einen Heiratsantrag. Nur aus Vernunft - oder etwa aus Liebe?


  • Erscheinungstag 14.11.2010
  • Bandnummer 1949
  • ISBN / Artikelnummer 9783862950348
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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IMPRESSUM

JULIA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,

20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

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Geschäftsführung:

Thomas Beckmann

Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

Ilse Bröhl

Lektorat/Textredaktion:

Sarah Hielscher

Produktion:

Christel Borges, Bettina Schult

Grafik:

Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

Vertrieb:

asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg Telefon 040/347-29277

Anzeigen:

Christian Durbahn

Es gilt die aktuelle Anzeigenpreisliste.

 

© 2008 by Carol Marinelli

Originaltitel: „Hired: The Italian’s Convenient Mistress“

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

in der Reihe: MODERN ROMANCE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: JULIA

Band 1949 (25/2) 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Übersetzung: Christiane Hesse

Fotos: RJB Photo Library

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN-13: 978-3-86295-034-8

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

JULIA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

Aus Liebe zur Umwelt: Für CORA-Romanhefte wird ausschließlich 100 % umweltfreundliches Papier mit einem hohen Anteil Altpapier verwendet.

Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, HISTORICAL MYLADY, MYSTERY,

TIFFANY HOT & SEXY, TIFFANY SEXY

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1. KAPITEL

Wohin nur? Wohin?

Eingezwängt zwischen den vielen Pendlern, die gerade nach Hause fuhren, stand Ashley in der Londoner U-Bahn. Sie brauchte sich nicht einmal mehr festzuhalten, so voll war der Zug. Inständig hoffte sie, dass ihr Rucksack, den sie neben der Tür an die Wand gelehnt hatte, noch da war. Aber das war noch ihre geringste Sorge. Weitaus mehr beschäftigte sie die Frage, wohin sie jetzt gehen sollte.

Natürlich konnte sie ins „Earl’s Court“ fahren, das Hostel, in dem alle australischen Rucksacktouristen abstiegen.

Das Problem war nur: Sie war keine Touristin, sondern nach London gekommen, um sich Arbeit zu suchen. Und das war ihr auch gelungen. Doch nach drei Monaten hatte sie die Stelle verloren.

Sie strich sich eine feuchte Strähne ihres dichten blonden Haares aus dem Gesicht – auf dem Weg zur U-Bahn war sie in einen Regenschauer geraten – und bemerkte dabei, dass ihr förmlich der Angstschweiß auf der Stirn stand.

Mein Gott, was soll ich jetzt nur tun?, überlegte sie fieberhaft.

Natürlich hatte sie ein paar Freundinnen. Genauer gesagt, andere Kindermädchen, die sie auf dem Spielplatz oder in Kinderspielgruppen kennengelernt hatte, und mit denen sie manchmal ausgegangen war.

Kolleginnen, die nun ganz sicher zusammen in einem Pub saßen und sich die Münder darüber zerrissen, dass sie, Ashley, gefeuert worden war, weil sie ihre Arbeitgeber bestohlen haben sollte. Ob sie das nun glaubten oder nicht, war völlig unerheblich. Keine von ihnen konnte sich erlauben, eine angebliche Diebin bei sich aufzunehmen. Schließlich verkehrten ihre Arbeitgeber in denselben Kreisen wie die von Ashley.

„Scusi“, murmelte jemand mit sonorer Stimme hinter ihr, als die U-Bahn unerwartet bremste und dieser Mann mitsamt einem schlafenden Baby auf dem Arm gegen Ashley gedrückt wurde.

„Kein Problem“, antwortete Ashley, ohne aufzublicken. Instinktiv versuchte sie, ihm ein wenig Platz zu machen, damit das Kind nicht aufwachte, aber die Menschen standen viel zu dicht. Plötzlich hielt die Bahn mitten im Tunnel zwischen zwei Haltestellen.

Meine Güte, ist das heiß!, stöhnte Ashley innerlich.

Draußen herrschte zwar eisige Dezemberkälte, aber hier drinnen war die Wärme fast unerträglich. Hunderte von Menschen waren auf engstem Raum zusammengepfercht. Ihre vom Regen feuchten Mäntel und Schals verwandelten den Waggon in eine Art Sauna. Dankbar holte Ashley tief Luft, als jemand eine Belüftungsklappe öffnete.

Aus den Augenwinkeln warf sie einen Blick auf das Baby. So eingepackt, mit seinem warmen Mäntelchen, den Handschuhen und einer Mütze mit Ohrenklappen musste das Kind schwitzen. Das schien ihm aber nichts auszumachen, denn es schlief seelenruhig.

Wie süß, dachte sie kurz, aber sofort kamen ihr die Tränen, weil die Erinnerung an Jack und Sophie, ihre beiden Schützlinge, in ihr aufstieg. Man hatte ihr nicht einmal gestattet, sich von den beiden zu verabschieden.

„Verzeihung!“, murmelte sie nun ihrerseits, als sie im Gedränge gegen das Kind stieß, dessen Gesicht sich verzog, als ob es gleich weinen wolle. Hilflos versuchte sie erneut, etwas zurückzuweichen, aber es war unmöglich. Entschuldigend sah sie den Mann an, der das Baby auf dem Arm hielt. Nur kurz begegneten sich ihre Blicke, aber sie war auf der Stelle verloren.

Noch nie hatte sie so markante Gesichtszüge gesehen, noch nie in so tiefblaue Augen geschaut. Er hatte dieselben langen dunklen Wimpern wie sein Sohn, und ein paar Strähnen seines dichten schwarzen Haares hingen ihm verwegen in die Stirn. Besorgt sah er das Kind an, das sich jetzt unruhig in seinen Armen wand. Er redete ihm beruhigend zu, aber es half alles nichts. Das Kind starrte ihn mit seinen blauen Augen an, als sähe es einen Fremden, und sein leises Wimmern steigerte sich zu lautem Protestgeschrei. Einige Reisende drehten sich bereits neugierig nach ihnen um.

„Psst, Guido, alles wird gut.“ Der Mann sprach Englisch mit dem Kleinen, allerdings mit starkem italienischen Akzent. Nun, da er sich mit dem Kind beschäftigte, hatte Ashley Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten. Er wirkte völlig erschöpft, war sehr bleich und hatte tiefe Augenringe.

„Guido, bitte, es ist doch alles in Ordnung“, versuchte er erneut, das Kind zu beruhigen – diesmal mit lauterer Stimme, um die Fahrgeräusche der anfahrenden Bahn zu übertönen. Jedoch vergeblich. Das Kind schrie nur umso heftiger. Es strampelte mit Armen und Beinen, sodass der Vater es kaum festhalten konnte. Erneut wurde es gegen Ashley gepresst.

„Macht nichts“, murmelte sie automatisch, als der Mann sich bei ihr entschuldigte und das Baby fest an seine Brust drückte. Aber Ashley bemerkte die Panik im Gesicht des Kindes. Instinktiv streckte sie die Hand aus und legte sie auf die Stirn des Kleinen.

„Mein Gott, der Junge glüht ja!“ Erschrocken blickte sie den Mann an. „Er hat Fieber!“

„Ja. Er ist krank …“, setzte dieser an. Im selben Moment hielt die U-Bahn, und durch die einsteigenden Fahrgäste wurden Ashley und der Mann getrennt.

Damit hätte die Angelegenheit eigentlich für sie erledigt sein können. Sie hatte weiß Gott genügend Sorgen, zum Beispiel die, wohin sie jetzt gehen und wie sie ohne Referenzen einen neuen Job finden sollte. Wie sie die gegen sie erhobenen Anschuldigungen aus der Welt schaffen und vor allem das Ganze ihrer Mutter erklären sollte. Trotzdem klang ihr das Schreien des Kindes noch immer in den Ohren, und das erschöpfte Gesicht des Vaters ging ihr nicht aus dem Sinn. Unter dem schweren grauen Mantel, den er trug, waren Anzug und Krawatte zu sehen gewesen. Vielleicht hat er das Kind aus der Krippe abgeholt, überlegte sie, oder die beiden kamen gerade vom Arzt?

Das kann mir ja eigentlich völlig egal sein, sagte sich Ashley, als der Zug in die Station Earl’s Court einfuhr.

Ihrem Reiseführer zufolge war das die Haltestelle für Australier in London. Jetzt musste sie nur noch das gleichnamige Hostel finden. Nachdem sie sich langsam durch die Menschenmenge im Wagen geschoben hatte, griff sie erleichtert nach ihrem Rucksack, der noch an seinem Platz stand, und trat auf den Bahnsteig hinaus.

Plötzlich klingelte ihr Handy, und als sie sah, dass es Angus war, ihr ehemaliger Arbeitgeber, setzte sie sich mit zitternden Knien auf eine Bank. Einem Gespräch mit ihm fühlte sie sich jetzt nicht gewachsen und wartete deshalb, bis ihr das Display anzeigte, dass er auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte.

Angus Maitlin war nicht nur ein berühmter Chirurg für die Reichen und Schönen, der regelmäßig in Zeitschriften und im Fernsehen zu sehen war, er war auch ein engagierter und gefragter Mann in der Notaufnahme. Nicht zuletzt war er ein äußerst kluger und scharfsinniger Mensch. In den drei Monaten, die sie für ihn gearbeitet hatte, war Ashley das mehr als deutlich geworden. Und immer hatte er sie zum Lachen bringen können.

Aber jetzt war ihr alles andere als zum Lachen zumute. Wie sollte sie es nur übers Herz bringen, diesen klugen und liebenswürdigen Mann zu belügen?

Entschlossen hörte sie den Anrufbeantworter ab.

„Ashley, ich bin es, Angus. Gemma hat mir gerade erzählt, was vorgefallen ist. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Du hast doch gar kein Geld … Ich hoffe, du bist bei Freunden untergekommen. Wenn du dich doch nur an mich gewandt hättest, wir hätten bestimmt eine Lösung gefunden. Heute werde ich bis spät in die Nacht arbeiten, aber ich rufe dich morgen noch mal an …“

Offensichtlich war Angus der Anruf schwergefallen, das hörte Ashley seiner Stimme an. Plötzlich stiegen ihr die Tränen in die Augen und liefen die Wangen hinunter. Zum ersten Mal seit dem schrecklichen Ereignis. Das Herz wurde ihr schwer, als ihr klar wurde, dass Angus sie für schuldig hielt. Die Enttäuschung in seiner Stimme war mehr, als sie ertragen konnte.

Aber selbstverständlich glaubte er Gemma, seiner Frau. Einer Frau, die ihrem Mann erzählte, seit Ashley bei ihnen arbeitete, sei ein Teil ihres Schmucks verschwunden. Einer Frau, die behauptete, sie hätte Ashley auf frischer Tat ertappt und ihren Schmuck im Nachtkästchen des Kindermädchens gefunden. Und die das aus gutem Grund tat …, sonst hätte sie nämlich zugeben müssen, dass Ashley sie auf frischer Tat ertappt hatte.

Und zwar in flagranti – im Bett mit ihrem Liebhaber, als Ashley unerwartet früh mit den Kindern zurückgekommen war.

Bei der Erinnerung daran flossen Ashleys Tränen erst recht. Schwere Schluchzer erschütterten ihren Körper. Sie hatte so sehr mit dem Weihnachtsgeld gerechnet. Sie brauchte es so dringend, und das nur, weil Nick sie zu Hause in eine verzweifelte Situation gebracht hatte. Zum ersten Mal erlaubte Ashley sich den Luxus, über den Brief zu weinen, den sie vor zwei Wochen von ihrer Bank erhalten hatte. Darin informierte man sie, dass ihr Exfreund einen Kredit auf ihrer beider Namen aufgenommen hatte. Und das ganz ohne ihr Wissen! Dieser Betrug schmerzte noch mehr als die finanziellen Folgen. Immer heftiger flossen die Tränen. Bald war Weihnachten … welch eine Ironie des Schicksals! Mitten in der Menschenmenge fühlte sich Ashley, als sei sie ganz allein auf der Welt.

Aus der Entfernung hörte sie wieder das Schreien des Kindes.

Guido!

Aus ihren trüben Gedanken gerissen, hob Ashley den Kopf und hielt nach dem Baby Ausschau, bis sie es entdeckte.

Eigentlich war es gar kein Baby mehr, eher ein kleiner Junge. Achtzehn Monate, schätzte sie. Und er stand – nein lag … auf dem Bahnsteig. Sein Weinen hatte sich zu einem wütenden Geheul verstärkt, und er hatte sich auf den Boden geworfen und schrie und schrie. Ein äußerst eindrucksvoller Wutanfall, dachte Ashley und musste schmunzeln. Der Vater hingegen tat ihr leid. Der hatte sein Notebook und seine Aktentasche auf den Boden gelegt und versuchte jetzt verzweifelt, einen Kinderwagen auseinanderzuklappen. Ein Unterfangen, dem er offensichtlich in keiner Weise gewachsen war …, erschwerend kam ja noch hinzu, dass er dabei ein schreiendes Kind festhalten musste.

Keiner der Vorübergehenden würdigte ihn auch nur eines Blickes. Die Menschen hasteten vorbei und bemerkten seine Schwierigkeiten gar nicht … oder taten zumindest so.

Entschlossen wischte sich Ashley die Tränen ab und ging auf den Mann zu. „Kann ich Ihnen helfen?“

Unschlüssig sah er sie an, dann schüttelte er den Kopf. Offenbar war er kein Mensch, der sich gerne helfen ließ. Plötzlich schien er es sich jedoch anders zu überlegen. Er seufzte, schnappte sich das Kind und richtete sich zu seiner eindrucksvollen Länge auf.

„Könnten Sie diesen Kinderwagen aufstellen?“

„Natürlich.“

„Bitte“, schob er etwas verspätet nach, während Ashley mit einem geschickten Handgriff den Wunsch erfüllte.

„Vielen Dank.“ Damit wandte er sich ab, und eigentlich hätte Ashley das auch tun sollen. Leider wusste sie nur zu gut, dass das Auseinanderklappen des Kinderwagens noch das Einfachste war. Jetzt war sie gespannt, wie der Mann es schaffen wollte, das schreiende und sich windende Kind hineinzubekommen.

Und in der Tat erwies sich das als nicht so einfach. Nach ein paar vergeblichen Versuchen knöpfte er seinen Mantel auf, und Ashley konnte nun einen genaueren Blick auf den teuren Anzug werfen. Dieser eine Blick genügte auch, um sich davon zu überzeugen, dass es sich bei diesem Daddy bestimmt nicht um einen Hausmann handelte. Nicht bei einem so hochwertigen Outfit.

Dieser Daddy, überlegte Ashley, ist anscheinend so wenig zu Hause, dass sein eigener Sohn ihn kaum erkennt. Außerdem stellte er sich so ungeschickt an, dass selbst ein Laie erkannt hätte, wie wenig er den Umgang mit Kindern gewohnt war.

„Ich schaffe das schon“, sprach er über die Schulter, als er bemerkte, dass Ashley immer noch hinter ihm stand.

Aber das war nicht der Fall. Der wutentbrannte kleine Kerl hörte nicht auf zu schreien und zu toben.

Gerade als Ashley sich abwenden wollte, um die beiden ihrem Geschick zu überlassen, nahm das Ganze eine überraschende Wendung. Guido hörte nämlich auf zu schreien und spuckte seinem Vater – mit großer Treffsicherheit und offensichtlich in voller Absicht – mitten ins Gesicht.

Entsetzt starrte Ashley in das Gesicht des Vaters, eines Mannes, der nicht gerade so wirkte, als ließe er sich so etwas gefallen. Nach dem ersten Schreck tat dieser jedoch etwas völlig Unerwartetes: Er brach in lautes Gelächter aus. Und diese Reaktion bewirkte, dass das Kind sich entspannte … ein Moment, der ausreichte, um ihn in den Kinderwagen zu bugsieren und anzuschnallen.

Immer noch lächelnd richtete der Mann sich auf, nahm ein dunkelblaues Seidentaschentuch aus der Jackentasche und wischte sich das Gesicht ab.

„Dieser kleine Teufel – ganz der Vater!“

Ashleys Gesicht war ein einziges Fragezeichen.

Das Lächeln des Mannes war inzwischen wie weggewischt. Er wickelte das Kind sorgsam in eine Decke, zog dann seinen Mantel aus und legte ihn auch noch darüber. Nach Ashleys Einschätzung war das viel zu warm.

„Das Kind hat Fieber“, sagte sie.

„Ich weiß. Deshalb will ich es ja warm halten.“

Ashley schüttelte den Kopf. „Ich kenne mich mit Kindern aus, Sie müssen dafür sorgen, dass seine Temperatur sinkt.“ Ashley bemerkte, dass der Mann keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. „Er ist viel zu heiß.“ Sie hatte den Eindruck, sich immer noch nicht verständlich gemacht zu haben, deshalb fügte sie langsam und deutlich hinzu: „Wenn … wir seine Temperatur … nicht herunterbekommen, kann er krampfen … einen Krampfanfall bekommen.“

„Ich bin weder taub noch debil. Sie brauchen mit mir nicht zu reden wie mit einem Kleinkind.“

„Entschuldigung.“ Ashley errötete bis zu den Haarwurzeln.

„Ich war gerade mit ihm beim Arzt, und der hat ein Medikament verschrieben.“ Wie zum Beweis zog er eine zerknitterte Tüte aus der Tasche – zusammen mit seiner zusammengerollten Krawatte. „Wenn wir zu Hause sind, werde ich ihm die Medizin geben.“

„Aber das sind Antibiotika. Was er jetzt als Erstes braucht …“ Ashley brach ab. Sie zuckte mit den Schultern und schickte sich an zu gehen. Je eher dieser arrogante Kerl zu seiner Frau nach Hause kam, desto eher konnte er diesem kleinen Racker Paracetamol geben, damit er hoffentlich schnell kühler würde.

„Er braucht was?“, erklang es hinter ihr.

Eine Hand packte sie am Arm, und Ashley spürte, wie sie erstarrte. Wie kann er es wagen!, dachte sie erzürnt. Trotz ihrer dicken Jacke spürte sie die Wärme seiner Hand … einer Hand, die sie auch jetzt nicht freigab. Leises Unbehagen stieg in ihr auf. Ach was, wir sind in einer belebten U-Bahn-Station, redete sie sich gut zu. Langsam drehte sie sich um.

„Was braucht das Kind jetzt zuerst?“

„Würden Sie bitte Ihre Hand von meinem Arm nehmen?“ Ashleys grüne Augen sprühten vor unterdrücktem Zorn.

Verwirrt sah der Mann auf seine Hand, als gehöre sie überhaupt nicht zu ihm. Dann zog er sie zurück. „Entschuldigen Sie bitte.“ Seine Entschuldigung klang absolut aufrichtig. „Ich mache mir nur so große Sorgen … und weiß absolut nicht, was ich tun soll.“

„Bringen Sie ihn nach Hause“, sagte Ashley etwas milder. „Er braucht Fiebersaft. Dann wird es ihm bald besser gehen.“

„Fiebersaft?“, wiederholte der Mann fragend.

Ashley nickte. „Und er braucht seine Mutter“, fügte sie noch abschließend hinzu, während sie sich umwandte.

Jetzt würde sie aber wirklich gehen! Der Klang seiner Stimme und seine Worte ließen sie jedoch erstarren.

„Seine Mutter ist heute Nachmittag gestorben.“

2. KAPITEL

Schockiert drehte sie sich um und sah Vater und Sohn fassungslos an.

Wie absolut grauenhaft!

Und das Tragischste daran schien ihr: Niemand, der in der U-Bahn gestanden hatte und niemand, der hier schnell vorbeilief, ahnte, in welch schrecklicher Situation die beiden waren. Keiner der vorbeihastenden Menschen …

Und das ausgerechnet kurz vor Weihnachten.

Nicht, dass es zu einem anderen Zeitpunkt weniger schlimm gewesen wäre, aber irgendwie machte es das Ganze doch noch trauriger. Dieses süße Kind würde das Fest der Liebe ohne seine Mutter erleben. Im Vergleich zu dieser Tragik schienen Ashley ihre eigenen Probleme plötzlich völlig belanglos.

„Können Sie mir helfen?“ Der Mann sprach leise, aber es lag eine verzweifelte Dringlichkeit in seinem Ton.

„Ich?“

„Sie haben gesagt, Sie arbeiten mit Kindern.“

„Ja, schon. Aber …“

„Dann wissen Sie doch bestimmt, was jetzt zu tun ist. Wie man sich um ein krankes Kind kümmert.“ Seine Stimme hatte einen flehenden Klang angenommen. Sogar eine Spur von Panik schwang darin mit. „Ich weiß überhaupt nicht, was ich tun soll. Ich kenne mich mit Kindern nicht im Geringsten aus. Ich habe keine Ahnung, was so ein kleiner Junge braucht …“ Plötzlich bemerkte er Ashleys Verwirrung und fügte erklärend hinzu: „Er ist nicht mein Sohn – er ist mein Neffe. Es gab einen Autounfall …, ich bin erst heute früh angekommen. Aus Italien.“

Aufmerksam betrachtete Ashley den Mann. Was sie da eben gehört hatte, erklärte seine offensichtliche Erschöpfung. Nach seiner Kleidung, dem Notebook und der Aktentasche zu schließen, schien er direkt von der Arbeit zum Flughafen geeilt zu sein.

„Und wo ist der Vater des Kindes?“, fragte sie schließlich. Durch das Gewimmel auf dem Bahnsteig wurden sie wieder aneinandergedrängt, aber jetzt waren sie sich ja tatsächlich näher gekommen. Durch diese schreckliche Geschichte.

„Er saß auch mit im Wagen. Er war sofort tot.“

Einen Moment lang schloss Ashley die Augen, als könne sie so die Bilder vertreiben, die sich ihr aufdrängten.

Als sie sie wieder öffnete, begegnete sie seinem Blick.

„Würden Sie mir helfen?“

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
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