Wer bist du wirklich, Mark?

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Ein starker Mann wie aus ihren Träumen! Seit der Schriftsteller Mark Banning in ihr Leben getreten ist, schwebt die Buchhändlerin Brooke in Romantik und Glück. Da erfährt sie, wer Mark wirklich ist und was er mit einem dunklen Familiengeheimnis zu tun hat!


  • Erscheinungstag 10.01.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513449
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Autsch.“

Dem Schmerzenslaut folgte ein leiser Fluch. Bei ihrem letzten Weg über den Hals hatte die Klinge des Nassrasierers die Haut geritzt. Ein kleiner roter Tropfen erschien.

Ich muss vorsichtiger sein, ermahnte er sich.

Er unterdrückte einen weiteren Fluch, spritzte sich Wasser auf die Wunde und wartete darauf, dass sie sich schloss.

Mit den Händen auf das kleine Waschbecken gestützt, starrte Mark Banning in den schlichten Spiegel. Das Glas war noch ein wenig beschlagen vom Duschen, aber klar genug, um die Narbe zu erkennen, auf die sein Blick wie immer von selbst fiel. Die Narbe, die ihn immer wieder fest in der Realität verankerte.

Seit fünf Jahren hatte er diese Narbe nun schon. Sicher, es gab viele plastische Chirurgen, die sie beseitigen könnten, die die Haut unter seinem rechten Auge modellieren und glätten könnten, bis ihre Taschen voll und die Narbe nur noch eine gezackte Erinnerung war. Nick hatte ihm ein paar Prospekte gegeben, die er bei einigen der vielen in San Francisco ansässigen Schönheitschirurgen eingesammelt hatte.

Mark war nicht sicher, ob er seinem jüngeren Bruder dafür gedankt hatte. Vermutlich nicht. Zwischen ihnen ging es oft wortlos zu.

Jedenfalls hätte Nick sich die Mühe sparen können, denn Mark wollte die Narbe gar nicht loswerden. Sie sorgte für Abstand zu seinen Mitmenschen und bewahrte ihn davor, in eine Welt hineingezogen zu werden, in der er nichts verloren hatte. Eine Welt, die ihm nichts als Enttäuschungen bescheren würde.

Außerdem war die Narbe ein Symbol. Und das nicht nur für das Messer, das ihn in New York getroffen hatte. Sie stand für alle unsichtbaren Narben, die das Leben ihm geschlagen hatte. Die Narben, die durch keine Operation zu beseitigen waren.

Die letzte hatte ihm den Rest gegeben. Er war nach Hause gekommen und hatte Dana gefunden. Der schlimmste und letzte Schub ihrer schon so lange anhaltenden Depressionen hatte seine Frau dazu gebracht, sich das Leben zu nehmen. Er hatte ihre Leiche in den Armen gehalten und gespürt, wie in ihm jede Hoffnung auf Glück unwiederbringlich erlosch.

Mark drehte das Wasser ab und starrte auf die Narbe. Auf das Gesicht eines Mannes, aus dem wenig mehr als eine leere Hülle geworden war.

An jenem Tag hatte er sich endgültig damit abgefunden, dass er einfach nicht dazu bestimmt war, glücklich zu werden. Bis dahin war sein Leben die Hölle gewesen. Mit kaum zehn Jahren hatte er mit ansehen müssen, wie seine Eltern vor einem Restaurant erschossen wurden. Es hatte ihm die Kindheit geraubt, ihn vorzeitig älter und ernster gemacht und ihn mit einem Verantwortungsgefühl erfüllt, für das er noch viel zu jung war.

Aber er war der Ältere, wenn auch nur um ein Jahr. Sein Bruder Nick brauchte jemanden, auf den er sich verlassen konnte, selbst nachdem man sie getrennt und in verschiedene Pflegefamilien gesteckt hatte.

Also musste er stark sein, auch wenn er keine Kraft mehr besaß.

Nick war der Grund, aus dem er etwas aus sich machte.

Und dann änderte sich plötzlich alles. Zum Besseren. Wenigstens für eine Weile.

Noch auf dem College lernte er Dana Dean kennen. Die schöne, abenteuerlustige, ehrgeizige, wunderbare Dana, die ihn glauben ließ, dass es für ihn doch so etwas wie Glück gab.

Also heiratete er sie.

Das tat man, wenn man glaubte, eine verwandte Seele gefunden zu haben. Er zog mit Dana nach New York, denn sie träumte davon, eines Tages ein Star am Broadway zu sein.

Sie glaubte fest daran, dass sie als Schauspielerin schnell Karriere machen und es über Nacht zum Weltruhm bringen würde. Doch dann häuften sich die Absagen, und sie zog sich immer mehr in sich selbst zurück. Und vor der Welt. Vor ihm.

Als sie ihren Teilzeitjob aufgab, übernahm er Doppelschichten bei der Polizei, um seine Frau nicht durch Geldsorgen noch mehr zu belasten. Er wollte ihr die Chance geben, ihre hochgesteckten Ziele zu verfolgen.

Sie wurde immer zorniger und depressiver. Er dachte, dass so etwas normal war, wenn eine Schauspielerin ihre Gefühle nicht auf der Bühne oder vor der Kamera ausleben konnte. Er war sicher, dass sie irgendwann, wenn ihr Traum sich erfüllte, wieder zu der Dana werden würden, in die er sich verliebt hatte. Zu der Dana, die er noch immer von ganzem Herzen liebte.

Was für ein toller Detective er doch gewesen war.

Er war so ahnungslos gewesen.

Nie hatte er geahnt, dass Dana so verzweifelt war, dass sie sich das Leben nehmen würde, solange er dazugehörte.

Und dann fand er sie in der Badewanne, im kalten, rötlich verfärbten Wasser, mit aufgeschnittenen Pulsadern. Er hatte länger als sonst gearbeitet, und deshalb gab er sich die Schuld an ihrem Tod. Wenn er früher nach Hause gekommen wäre, hätte er sie retten können.

Wenn.

Wenn.

Wenn.

Nach einer Weile gab es keine Wenns mehr, nur noch die Schuld. Es war, als würde der Tod ihn überallhin verfolgen. Jedenfalls der Tod der Menschen, die er liebte. Also beschloss er, nicht mehr zu lieben. Nur Nick erinnerte ihn noch daran, dass er einmal mehr gewesen war als ein Automat, der gut funktionierte, aber nicht fühlte.

Nur sein Bruder bewahrte ihn vor der Überzeugung, dass er absolut nichts mehr zu verlieren hatte.

Aber nicht vor dem Messerstich, der fast zur Antwort auf seine stummen Gebete geworden war. Nach einem vereitelten Raubüberfall verfolgte er den Verdächtigen in eine dunkle Gasse, wo der Mann mit einem Jagdmesser auf ihn losging. Nur mit seinem Reaktionsvermögen, den bloßen Händen und dem Deckel eines Mülleimers bewaffnet, wehrte er den Mann ab. Als ihm das Blut übers Gesicht rann, geschah das Wunder – schlagartig kehrte sein Lebenswille zurück.

Als er schwer verletzt im Krankenhaus lag, war es Nick, der ihn anflehte, nicht aufzugeben und wieder gesund zu werden.

Also wurde er es, wenigstens körperlich. Und als es so weit war, kündigte er bei der Polizei und zog mit seinem Bruder möglichst weit von New York weg. Von dem Ort, der ihn an all das erinnerte, was er verloren hatte. Er entschied sich für San Francisco, denn die Stadt war anonym genug, um in ihr ein neues Leben zu beginnen.

Als Privatdetektiv, der sich beharrlich einen ausgezeichneten Ruf erwarb. Nach fünf schweren Jahren war er jetzt, mit dreißig, in der Lage, sich seine Aufträge auszusuchen. Er brauchte nicht viel Geld, denn er gönnte sich kaum etwas. Nick arbeitete inzwischen bei der Polizei und konnte selbst für sich sorgen.

Den Fall, der ihn jetzt beschäftigte, hatte Mark nur übernommen, um seinem Bruder einen Gefallen zu tun. Nicks Freund und Kollege Tyler Carlton brauchte Hilfe bei der Suche nach einem Mann namens Derek Ross. Der Siebenundvierzigjährige war Tylers seit langem verschollener Onkel.

Die Spur war fünfundzwanzig Jahre alt, aber Mark war sicher, dass er den Mann aufspüren würde. Tyler hatte ihm nicht viel erzählt, aber offenbar kannte dieser Derek Ross Geheimnisse, die den Untergang von Parks Mining and Exploration bedeuten konnten. Das Ende des größten Diamanten-Imperiums im Land.

Seit zwei Wochen war Mark jetzt hinter dem Mann her.

Seufzend richtete er sich vor dem Spiegel auf, nahm ein Handtuch und trocknete sich das Gesicht ab. Das Blut war getrocknet.

Mark verließ das winzige Badezimmer. Es war fast sechs Uhr morgens. Er hatte einen langen Tag vor sich.

Noch immer lief es ihr kalt den Rücken hinunter, dabei war die Lesung schon seit einer halben Stunde vorbei.

Sie liebte gute Gedichte. Das tat sie schon lange. Sie liebte den Klang, die endlosen Bedeutungen dahinter, die Schichten, die freigelegt werden wollten, wie bei einem großen, in Silberfolie gehüllten Weihnachtsgeschenk, das etwas Wunderbares versprach, wenn die hübsche Verpackung erst entfernt war.

Gedichte nährten den Geist, bereicherten die Seele.

Mit dreiundzwanzig war Brooke Moss noch jung genug, um zu träumen, um an edle Ritter zu glauben, und an Happy Ends, die nahtlos in neue Anfänge voller Hoffnungen übergingen.

Sie drückte die Bücher, die sie mitgenommen hatte, an die Brust, und wusste, dass ihre Freunde sie hinter ihrem Rücken manchmal naiv nannten. Vielleicht war sie das, aber sie war gern naiv, wenn es bedeutete, dass sie die schönen Dinge des Lebens genießen konnte.

Ihre Zuversicht kam nicht etwa daher, dass sie privilegiert aufgewachsen war. Ganz im Gegenteil. Sie arbeitete in der Buchhandlung ihres Vaters, einem malerischen kleinen Laden in San Francisco, die den Namen Buy the Book trug und auf seltene Erstausgaben spezialisiert war. Während der letzten Monate hatte sie sich mehr und mehr um die geschäftlichen Dinge kümmern müssen, denn ihr Vater war vor ihren Augen immer schwächer geworden.

Derek Moss war nie ein vitaler Mann gewesen, aber nach seiner Rückkehr von der Beerdigung einer Frau, von der Brooke noch nie gehört hatte, schien der Lebensmut ihn ganz verlassen zu haben.

Er hätte hier sein müssen, bei der Lesung. Stattdessen war er zu Hause. Sie unterdrückte ein Seufzen.

Sie legte den ersten Stapel Bücher ab und ging zurück, um die einzusammeln, die noch auf den vierzig Klappstühlen lagen. Auch die würde sie wegräumen müssen, damit die Kunden morgen wieder genug Platz hatten.

Vielleicht hätte sie mit ihrem Vater darüber sprechen sollen, eine Teilzeitkraft einzustellen. Das wäre nicht nötig, wenn er sich noch für den Laden interessieren würde. Doch danach sah es im Moment nicht aus.

Während Brooke den zweiten Stapel auf dem Tisch deponierte, fragte sie sich, wie sie ihrem Vater helfen konnte.

Heute Abend hatten sie eine Dichterlesung veranstaltet. Das taten sie alle zwei Wochen, manchmal häufiger, wenn ein bekannter Schriftsteller in der Stadt war und sie ihn dazu überreden konnten. Dann verteilte Brooke Handzettel in sämtlichen Geschäften in der Nähe und auch in Mill Valley, wo sie wohnten. Auch dieses Mal waren viele literarisch interessierte Besucher in den kleinen Laden gekommen.

Bücher waren immer Brookes Leben gewesen – Bücher und Tagträume. Und ihr Vater, der ihr erster Held gewesen war, ihr erster edler Ritter. Es brachte sie um, ihn so kraftlos zu sehen.

Er hatte jegliches Interesse am Laden verloren, und seit der Rückkehr von der Beerdigung starrte er stundenlang in Gedanken versunken aus dem Fenster.

Wer war die Verstorbene gewesen? Was hatte sie ihm bedeutet?

Er hatte nicht gewollt, dass Brooke ihn begleitete, und kaum darüber gesprochen. Dass er ihr den Laden allein überließ, war das erste Alarmzeichen gewesen, denn seine Bücher waren für ihn immer wie Kinder gewesen. Fast so sehr wie sie selbst.

Da ihre Mutter kurz nach ihrer Geburt an Leukämie gestorben war, hatte sie nur noch ihren Vater. Und vielleicht war es kindisch und egoistisch, aber sie war noch nicht bereit, auch ihn zu verlieren. Sie brauchte ihn, sie liebte ihn und wollte, dass er glücklich war.

Jeder Mensch hatte ein Recht auf Glück, daran glaubte sie fest.

Aber in den vergangenen dreiundzwanzig Jahren hatte Derek Moss nur gearbeitet und seine Tochter aufgezogen, ohne jemals an sich selbst zu denken. Und jetzt schien er nicht einmal mehr das zu tun.

Brooke dachte an die Beerdigung. Hatte er die Frau früher gekannt, vor ihrer Mutter? Sie vielleicht sogar geliebt?

Ihr Vater hatte nie ein Privatleben gehabt. Soweit sie sich erinnerte, war er nie ausgegangen und hatte Frauen höchstens in seiner Eigenschaft als Buchhändler kennen gelernt.

Was er brauchte, war ein eigenes Leben. Und irgendwie war es ihre Aufgabe, ihm eines zu verschaffen.

Irgendwie.

Vielleicht in Gestalt der netten Mrs. Sammet. Die Frau kam zu fast allen Lesungen, und Brooke wusste, dass sie es mindestens ebenso sehr wegen ihres Vaters wie wegen der Schriftsteller tat.

Vielleicht sollte sie Mrs. Sammet einfach mal zum Abendessen einladen …

Brooke stellte gerade den letzten Bücherstapel ab, als ihr Blick auf einen Umschlag fiel. Er war an ihren Vater adressiert. Sie hob ihn auf. Er war mit mehreren Anschriften versehen, hatte also einige Umwege hinter sich.

Außerdem war er geöffnet. Hatte ihr Vater ihn absichtlich hier hingelegt oder ihn nur vergessen? So etwas passierte ihm in letzter Zeit häufiger. Er war mit der Ladenmiete in Rückstand geraten, und einmal hatte sie zwischen alten Zeitungen eine offene Rechnung gefunden …

Stirnrunzelnd nahm sie den Brief heraus. Als sie ihn überflog, vertieften sich die Falten. Er kam von einem gewissen Tyler Carlton, der ihren Vater offenbar nicht kannte, ihn jedoch um Informationen bat. Über irgendein Geheimnis, das Walter Parks in die Knie zwingen würde.

Sie kannte den Namen. Walter Parks war ein Edelsteinbaron. Seine Diamanten zierten den Ringfinger jeder zweiten Verlobten im Land. Wer war dieser Tyler und was wollte er von ihrem Dad? War dies der Grund, aus dem ihr Vater so still war?

Erst als sie den Umschlag wieder umdrehte, stellte sie fest, dass er an einen Derek Ross, nicht Moss, adressiert war. Dieser Tyler Carlton musste ihren Vater mit jemandem verwechselt haben, dessen Name ähnlich lautete.

Trotzdem hatte dieser Brief in ihrem Vater etwas ausgelöst.

Sie hatte keine Antworten auf ihre Fragen, aber sie wusste, dass sie den Brief nicht hier liegen lassen durfte, wenn er ihren Vater nicht noch tiefer in die Depression stürzen sollte. Also steckte sie ihn ein. Es löste kein Problem, aber wie das alte Sprichwort sagte – aus den Augen, aus dem Sinn. Und im Moment war Brooke so verzweifelt, dass ihr jedes Mittel recht war, um ihren Dad aus seiner Trübsal zu holen.

Sie hielt inne und lauschte. War noch jemand im Laden?

Da war es wieder, ein Geräusch im hinteren Teil. Es übertönte das Surren der Klimaanlage, die dringend repariert werden musste.

„Es tut mir leid“, rief sie. „Der Laden ist geschlossen.“

Die Lesung war um neun zu Ende gewesen, und einige Gäste waren geblieben, um mit Jericho Hazley über seine Gedichte zu sprechen. Doch selbst die waren vor zehn Minuten gegangen.

Jedenfalls hatte sie das angenommen.

Vielleicht war es eine Art von Groupie, das darauf hoffte, Jerichos private Anschrift oder Telefonnummer zu ergattern. Sie würde die Frau enttäuschen müssen, denn für sie bedeutete privat wirklich privat.

Brooke ging nach hinten. Vielleicht hatte ihr Vater es sich ja doch anders überlegt und war hergekommen.

„Dad, bist du das?“

Sie bog um die Ecke des Regals mit den Liebesromanen und blieb abrupt stehen.

Der Aufschrei blieb ihr im Hals stecken, als sie fast mit einem großen dunkelhaarigen Fremden zusammengestoßen wäre, der am Fenster stand. Mit klopfendem Herzen starrte sie auf die Narbe unter seinem rechten Auge.

Eine entsetzliche Sekunde lang erschien ihr der Mann wie ein Unhold aus einem Roman von Charles Dickens.

Und sie war allein mit ihm.

In solchen Momenten wünschte sie, sie hätte einen Hund. Oder wenigstens eine Kampfkatze.

2. KAPITEL

Verdammt, er hatte sie erschreckt.

Kein Wunder, dachte Mark schuldbewusst. Vermutlich sah er in ihren Augen fast so Furcht erregend aus wie Dr. Frankensteins Monster.

Er wandte sich ein wenig ab, damit sie die Narbe nicht mehr sah.

Die fiel den Leuten immer zuerst auf, noch vor dem Menschen, den sie verunzierte. Und obwohl Mark sich sagte, dass es ihm recht war, weil es die Welt auf Abstand hielt, gefiel es ihm nicht besonders, kleinen Kindern und zartbesaiteten Frauen Angst zu machen.

Er musterte sie. Die junge Frau sah zerbrechlich aus. Vorsichtig kam er hinter dem Regal hervor, wobei er auch jetzt darauf achtete, ihr nur seine linke Seite zu präsentieren.

Fast den ganzen Tag hatte er auf der anderen Straßenseite im Wagen gesessen und den Buchladen beobachtet. Die Frau vor ihm war die Tochter des Besitzers. Sein einziges Kind.

Gestern hatte er sich in Mill Valley umgesehen und das Handelsregister überprüft. Daher war er ziemlich sicher, dass er auf der richtigen Fährte war. Sie sah aus wie Marla Carlton auf dem Foto in seinem Handschuhfach, das er von Tyler bekommen hatte. Es zeigte Tylers Mutter als junges Mädchen, zusammen mit einem jungen Mann.

Mark nutzte die Nähe und sah sich das Gesicht vor ihm genau an. Die Ähnlichkeit war da. Herzförmig, mit hohen Wangenknochen, grüne Augen, schwarzes Haar.

Kein Zweifel, sie war eine Ross.

Derek Ross’ Liebe zu seltenen Erstausgaben hatte Mark in diesen kleinen Laden geführt. Im Laufe seiner Arbeit hatte er gelernt, dass Menschen umzogen, einen neuen Namen annahmen und ihr Äußeres veränderten, aber oftmals ihre Hobbys, Interessen und Vorlieben beibehielten.

Also hatte er sich an die Fersen eines Mannes geheftet, dessen Beschreibung auf Derek Ross passte und der bei Nachlassversteigerungen und bei Trödlern nach seltenen Büchern suchte. Der Mann nannte sich Derek Moss und betrieb seit vierundzwanzig Jahren eine Buchhandlung namens Buy the Book in einem touristisch angehauchten Viertel von San Francisco.

Und in genau der stand er jetzt. Vor einer jungen Frau, der sein Anblick vermutlich einige Albträume bereiten würde.

„Sorry“, entschuldigte er sich achselzuckend. „Schätze, ich hätte Sie vorwarnen sollen. Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

Der arme Mann.

Sofort wurde Brooke warm ums Herz, und sie malte sich alle möglichen romantischen Geschichten aus, die sich um einen leidenden, unverstandenen, atemberaubend gut aussehenden Helden drehten. Der Mann vor ihr verwandelte sich aus einem von Dickens’ Bösewichten in Heathcliff aus Emily Brontës Sturmhöhe.

„Sie haben mich nicht erschreckt. Ich meine, Sie haben schon, aber eigentlich auch nicht.“ Brooke wusste, dass sie Unsinn redete. Vermutlich saß sie zu viel über Büchern. Sie setzte neu an. „Ich meine, eigentlich sollte niemand hier sein.“ Sie lächelte entschuldigend. „Ich habe Sie für eine Ratte gehalten.“

Ihre Ehrlichkeit war entwaffnend, und Mark fühlte, wie seine Lippen zuckten. „Für eine Ratte bin ich etwas zu groß.“

„Wir hatten vor einigen Monaten ein Ungezieferproblem“, erklärte sie hastig. „Nichts Schlimmes“, fügte sie rasch hinzu, denn vielleicht war er ja doch ein Kunde und legte keinen Wert darauf, dass ihm beim Schmökern ein neugieriges Nagetier über die Schulter schaute. „Nur ein ungebetener Gast.“ Sie hob einen Finger. „Eine einzelne Maus. Nicht mal eine große.“

Er musste lächeln. „Und Sie haben sie erlegt.“

„Nicht wirklich.“ Abgesehen von ein paar Moskitos hatte sie es noch nie fertig gebracht, ein Lebewesen zu töten. „Ich habe sie in einer Falle gefangen und bei mir zu Hause freigelassen. Auf einem Feld in der Nähe, um genau zu sein.“

Ich rede zu viel, dachte Brooke. Das tat sie immer, wenn sie nervös war.

Er sah ihr in die Augen. Sie waren grün, wie die ersten Knospen im Frühling. Und sanft. „Sie haben ein gutes Herz.“

Sie deutete seine Worte als Kompliment und fühlte sich sofort veranlasst, ihm zu widersprechen.

„Vielleicht bin ich einfach nur zimperlich.“

„Wenn Sie das wären, hätten Sie einen Kammerjäger gerufen.“

Seine Stimme war tief und leise. Und erst jetzt registrierte sie, dass seine Augen traurig blickten. Unglaublich traurig. Bestimmt hatte er eine Menge durchgemacht. Vielleicht sogar etwas Tragisches. Eine unglückliche Liebe, zum Beispiel, dachte sie, denn sie war eine unverbesserliche Romantikerin. Eines Tages würde auch ihr heimlicher Traum wahr werden.

Eines Tages.

Abrupt zügelte Brooke ihre Fantasie. Sie hatte noch viel zu erledigen, bevor sie Feierabend machen konnte.

„Nun ja, wir haben geschlossen, Mr. …“ Erwartungsvoll sah sie ihn an.

Er überlegte kurz, ob er ihr einen falschen Namen nennen sollte. Aber junge Frauen wie Brooke Moss führten ein behütetes Leben und hatten nichts mit Leuten zu tun, die ihr Geld als Privatdetektiv verdienten. Und je weniger man log, desto geringer war die Gefahr, sich irgendwann in Widersprüche zu verwickeln.

„Banning“, erwiderte er. „Mark Banning.“

„Banning“, wiederholte sie. Der Name gefiel ihr. Er klang stark. Unkompliziert. Kompromisslos. Wie der Mann selbst. „Waren Sie bei der Lesung?“

Er war ihr nicht aufgefallen – obwohl jemand wie Mr. Banning schwer zu übersehen war.

Er schüttelte den Kopf. „Die habe ich knapp verpasst.“ Absichtlich. Er hatte sich in Ruhe umschauen wollen, ohne Aufsehen zu erregen. „Ich bin erst gekommen, als er seine Bücher signiert hat.“

„Interessieren Sie sich für signierte Bücher?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort schon kannte. Er wirkte nicht wie jemand, der Autogramme von Schriftstellern sammelte.

„Nein, aber ich interessiere mich für San Francisco.“

„Nun ja, wir sind in San Francisco.“ Sie lachte verlegen. „Ich möchte nicht unhöflich sein, Mr. Banning …“

„Mark.“

„Mark“, sagte sie. Meistens hatte sie nichts dagegen, wenn Kunden länger im Laden blieben, aber heute war sie erschöpft und wollte nach ihrem Vater sehen. „Ich möchte nicht unhöflich sein, Mark, aber wir haben geschlossen.“

Er nickte. Sie zu bedrängen, würde nichts bringen. Und er wollte sicher sein, dass er den Richtigen gefunden hatte. Selbst dann wäre sein Auftrag noch nicht beendet. „Wann öffnen Sie am Morgen?“

Brooke sah ihn an. Abgesehen von der Narbe war er ein attraktiver Mann.

„Offiziell um zehn, aber meistens machen wir schon um neun auf, manchmal noch früher.“ Ihr Vater war gern mit seinen Büchern allein, und wenn ein Kunde dazukam, war ihm auch das recht. Die Bände in den Regalen waren seine Freunde, die ihn in der Vergangenheit verankerten. „Der Laden ist gewissermaßen mein zweites Zuhause.“

Er gab sich erstaunt. „Dann arbeiten Sie nicht hier?“

„Doch. Ich meinte nur … Schon gut.“ Sie wollte ihn nicht verwirren, und je mehr sie redete, desto mehr verzettelte sie sich. „Es ist spät, und ich fürchte, ich fange an, dummes Zeug zu reden.“

„Ehrlich gesagt, ich höre Ihnen gern zu. Ihre Stimme ist sehr angenehm.“

Mark hatte getan, was er sich vorgenommen hatte, nämlich die Grundlage für weitere Besuche zu schaffen, und bewegte sich langsam zum Ausgang.

„Ich werde morgen um zehn hier sein“, versprach er.

Sie wollte ihn unbedingt wieder sehen. Dann würde sie den unbeholfenen Eindruck, den sie auf ihn gemacht hatte, vielleicht ein wenig korrigieren können. Sie ging mit ihm nach vorn. „Wenn Sie wollen, auch schon um neun. Morgen bin ich mit dem Öffnen dran.“

Gab es noch andere Verkäufer? „Sie wechseln sich ab?“, fragte er.

„Mit meinem Vater.“

Das stimmte nicht ganz. Nicht mehr. Seit zwei Wochen kümmerte sie sich allein um die Buchhandlung. Sie wünschte, ihr Vater würde ihr endlich sagen, was ihn bedrückte.

„Es ist sein Laden“, erklärte sie nicht ohne Stolz.

Ihr Blick fiel auf den Stuhl neben ihr, und sie seufzte stumm. Die hatte sie ganz vergessen. Sie mussten noch ins Lager gebracht werden. Sie schnappte sich den ersten, klappte ihn zusammen und stellte ihn an die Wand. „Er hat ihn, seit ich denken kann.“

Es waren mindestens vierzig Stühle. Sie aufzustapeln würde eine Weile dauern.

Mark war immer der Ansicht gewesen, dass Gelegenheiten dazu waren, ergriffen zu werden. Also nahm auch er einen Stuhl, klappte ihn zusammen und lehnte ihn gegen den anderen.

Überrascht sah sie ihn an. „Oh, das brauchen Sie nicht zu tun.“

Doch noch während sie protestierte, freute sie sich über die Geste. Sie wusste einfach, dass er ein ziemlich freundlicher Mann war.

Er war schon beim dritten Stuhl. „Es geht schneller, wenn Sie Hilfe haben.“

Sie war ihm dankbar. Was Heldentaten anging, so erschlug er zwar nicht gerade einen Drachen für sie, aber es war ein Anfang.

„Das stimmt“, erwiderte sie fröhlich. „Aber ich war gerade dabei, Sie hinauszuscheuchen.“

Er ging dicht an ihr vorbei, als er weitermachte. Der verträumte Ausdruck in ihren Augen bereitete ihm ein schlechtes Gewissen, aber er machte hier nur seinen Job.

„Sie können mich wegjagen, sobald wir fertig sind.“

Sie lächelte und machte sich ein neues Bild von ihm. Noch immer Heathcliff, aber eine sanftmütigere Version.

Kopfschüttelnd nahm sie sich die nächste Stuhlreihe vor. „Das wäre nicht richtig.“

Metall klirrte, als er einen Sitz zusammenklappte. „Okay, dann begleiten Sie mich einfach nach draußen.“

Sie legte den Kopf schräg, als würde sie ein Ohr spitzen, und in ihm schrillten die Alarmglocken. Was war los? Kannte sie ihn von irgendwoher?

„Was ist denn?“, fragte er.

„Sie sind nicht von hier, was?“

Erleichtert nahm er sich den nächsten Stuhl vor. „Warum? Habe ich einen Akzent?“

„New York, richtig?“

Ihr Lächeln war atemberaubend. Wie Sonnenschein, der sich in einem Prisma fing und seine Strahlen in alle Richtungen verschoss. Er zwang sich zurück in seine Rolle und konzentrierte sich auf das, was sie gerade gesagt hatte.

Es war fünf Jahre her, dass Nick und er an die Westküste gezogen waren und New York und all die finsteren Erinnerungen hinter sich gelassen hatten. Er hatte geglaubt, dass er alles aus seinem alten Leben abgelegt hatte.

Offenbar nicht.

Autor

Marie Ferrarella
<p>Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...
Mehr erfahren