Baccara Collection Band 423

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HEISSES VERLANGEN - GEFÄHRLICHE LÜGEN von MAISEY YATES

Für das Weingut ihrer Familie würde Emerson alles tun - sogar einen Mann heiraten, den sie nicht liebt. Doch dann trifft sie den attraktiven Holden. Mit ihm erlebt sie Stunden ungezügelter Lust - und verstrickt sich immer tiefer in ein Netz aus gefährlichen Lügen …

MEIN BOSS, DER SEXY MILLIARDÄR von NAIMA SIMONE

Eine Scheinverlobung mit sexy Milliardär Grayson Chandler? Für Assistentin Nadia ein verlockender Gedanke. Sie braucht das Geld, das der Herzensbrecher ihr bietet - aber er ist ihr Boss, und sie ist schon lange in ihn verliebt. Ist der Deal zu riskant für ihr Herz?

MEHR ALS BLOSSE LEIDENSCHAFT von NADINE GONZALEZ

Ein Jahr ist es her, dass Makler Nick der Karriere wegen nach New York gehen und die betörende Leila verlassen musste. Kaum ist er zurück in Miami, knistert es sofort wieder heiß zwischen ihnen. Aber ist es auch für Leila mehr als bloße Leidenschaft, was sie verbindet?


  • Erscheinungstag 08.09.2020
  • Bandnummer 423
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726683
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maisey Yates, Naima Simone, Nadine Gonzalez

BACCARA COLLECTION BAND 423

MAISEY YATES

Heißes Verlangen – gefährliche Lügen

Holden McCall will nur eines: Rache an dem Mann, der das Leben seiner Schwester zerstört hat. Allein deshalb nimmt er einen Job auf dessen Weingut an. Dort lernt er die bezaubernde Emerson kennen – und statt an eiskalte Rache kann er nur noch an wilde Leidenschaft denken. Aber er darf Emerson nicht begehren, denn sie ist die Tochter seines Erzfeindes …

NAIMA SIMONE

Mein Boss, der sexy Milliardär

Während eines Stromausfalls bei einer Gala erlebt Milliardär Grayson Chandler Stunden der Lust mit der hinreißenden Nadia. Spontan bittet er sie, seine Verlobte zu spielen. Der Playboy will den Verkupplungsversuchen seiner Mutter endlich ein Ende setzen. Bald wird aus der Lüge echte Liebe – bis eine Intrige sein Glück bedroht …

NADINE GONZALEZ

Mehr als bloße Leidenschaft

Acht Wochen voller Leidenschaft verbringt Leila mit Nick – obwohl sie weiß, dass eine Affäre mit dem Boss keine gute Idee ist. Aber dass sie deswegen gleich ihren Job verliert, damit hat sie nicht gerechnet. Ein Jahr später trifft sie Nick unverhofft auf einer Party wieder. Sofort spürt Leila: Sie will ihn noch immer. Aber kann sie ihm jemals verzeihen?

1. KAPITEL

Die Premierenfeier für den neuen Prädikatswein des Weinguts Maxfield Vineyards lief wie am Schnürchen, und Emerson Maxfield langweilte sich. Zwar war dies kaum die passende Einstellung für die Markenbotschafterin von Maxfield Vineyards, aber sie konnte nichts dagegen tun.

Vermutlich schrieben viele Gäste ihren desinteressierten Gesichtsausdruck der Tatsache zu, dass ihr Verlobter nicht anwesend war. Sie blickte auf ihre Hand hinunter, an deren Ringfinger ein großer, tropfenförmiger Diamant glitzerte. Doch Donovans Abwesenheit war nicht der Grund für ihre Langeweile. Um ehrlich zu sein, langweilte Donovan sie allmählich, was ihr einiges Kopfzerbrechen bereitete. Aber was konnte sie schon tun?

Ihr Vater hatte die Beziehung arrangiert, die Verlobung vor zwei Jahren, und sie hatte zugestimmt. Sie war sich sicher gewesen, dass sich daraus mehr entwickeln würde, dass sie und Donovan es schaffen konnten, weil sie es dem Vertrag nach schaffen mussten. Doch die Beziehung … stagnierte. Sie wohnten und arbeiteten in unterschiedlichen Bundesstaaten, und die Funken zwischen ihnen reichten nicht einmal aus, um ein Lagerfeuer zu entfachen. Alles in allem war diese Party weniger langweilig als ihre Verlobung.

Dabei hing beides – die Party und die Verlobung – zusammen. In beiden Fällen ging es darum, dass ihrem Vater sein Imperium wichtiger war als alles andere. Emerson war Teil dieses Imperiums. Sie mochte ihren Vater, und sein Imperium lag auch ihr am Herzen. Das Weingut betrachtete sie als ihre Lebensaufgabe. Sie hatte geholfen, es aufzubauen und großzumachen. Ihr war es zu verdanken, dass Maxfield-Weine die Präsentkörbe bei Preisverleihungen in Hollywood krönten. Durch ihre Bemühungen waren sie auf einflussreichen Websites von ehemaligen Talkshowmoderatoren empfohlen worden.

Emerson hatte es geschafft, den Namen des Weinguts weit über die Region hinaus bekannt zu machen. Maxfield Vineyards war der Hauptgrund, warum einige Gebiete Oregons dem kalifornischen Napa Valley allmählich den Rang streitig machten. Ihre Arbeit – wie auch die ihrer Geschwister – war der Grund, warum Maxfield Vineyards zu seiner jetzigen Größe angewachsen war. Eigentlich sollte die Party sie mit Triumph erfüllen. Stattdessen empfand sie nur Leere.

Dasselbe Gefühl hatte sie in letzter Zeit immer wieder beschlichen. Noch vor Kurzem wäre ihr das hier genug gewesen. Auf einer tollen Party im Mittelpunkt zu stehen, ein maßgeschneidertes Kleid zu tragen, das ihre Figur ideal zur Geltung brachte – das bedeutete Aufregung pur. Mit Lippenstift in einem Rotton, der perfekt mit ihrem scharlachroten Kleid harmonierte, hatte sie sich früher … wichtig gefühlt.

Als ob sie etwas zu sagen hätte.

Als ob alles zusammenpassen würde.

Als ob sie gut ankäme. Egal, was ihre Mutter dachte.

Vielleicht war Emersons Problem ja die bevorstehende Hochzeit. Je näher der Termin rückte, desto mehr Zweifel hegte sie. Daran, ob sie sich ihrem Job tatsächlich so sehr verschreiben konnte, dass sie bereit war, den Sohn eines der führenden Werbemagnaten der Welt zu heiraten. Dass sie tun würde, was ihr Vater verlangte, sogar hierbei.

Doch Emerson liebte ihren Vater. Und sie liebte das Weingut. Was dagegen romantische Liebe anging … Sie war noch nie verliebt gewesen. Jene Liebe kannte sie nur in der Theorie. Doch ihre Liebe zu anderen Bereichen ihres Lebens war real.

Sie hatte noch nicht mit Donovan geschlafen, war aber vor ihm mit zwei anderen Männern zusammen gewesen, ihrem Freund am College und einem weiteren danach. Doch nichts an dem Sex war so sensationell gewesen, dass sie dafür ihr Leben auf den Kopf gestellt hätte.

Donovan und sie hatten gemeinsame Ziele und Werte. Mit Sicherheit konnten sie sich auf dieser geteilten Grundlage ein Leben aufbauen. Warum sollte sie nicht im Interesse des Weinguts heiraten? Oder um ihren Vater glücklich zu machen? Was sprach dagegen?

Emerson seufzte und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Die Party fand im stilvollen Verkostungsraum des Weinguts auf dem Gipfel eines Berges statt, unter dem sich die Weinberge im hellen Licht des Vollmonds erstreckten.

Emerson trat auf den Balkon hinaus. Am anderen Ende standen Leute, die jedoch nicht näher kamen. Menschen auf Distanz zu halten war eines ihrer besonderen Talente. Mit einem Lächeln konnte sie jeden im Raum anziehen, wenn sie wollte. Doch ihr Gesicht konnte auch einen regungslosen Ausdruck annehmen, der jeden Gesprächsversuch im Keim erstickte. Sie blickte hinaus auf die Weinberge und seufzte wieder.

„Was machst du denn hier draußen?“

Ein Lächeln umspielte Emersons Mundwinkel. Denn natürlich konnte sie jeden mit Ausnahme ihrer kleinen Schwester Cricket daran hindern, sie anzusprechen, wenn sie keine Unterhaltung wünschte. Cricket tat einfach, was sie wollte.

„Ich brauchte nur frische Luft. Was machst du hier? Durftest du hier überhaupt schon rein?“

„Na hör mal, ich bin schon einundzwanzig“, entrüstete sich Cricket. Dabei sah sie gar nicht aus wie einundzwanzig, zumindest nicht für ihre Schwester.

Emerson lächelte. „Oh. Wie konnte ich das vergessen?“ Tatsächlich konnte sie es nicht vergessen, da sie eine spektakuläre Party für Cricket veranstaltet hatte, die bei ihrer kleinen Schwester für große Augen und ebenso großes Unbehagen gesorgt hatte, vor allem wegen des eng anliegenden Kleides, das Emerson für sie ausgesucht hatte. Cricket stand nicht gerne im Mittelpunkt. Emerson dagegen schon, allerdings nur, wenn es ihren Vorstellungen entsprach.

Im Mondlicht war Cricket die Verärgerung anzusehen. „Ich bin nicht hergekommen, um ausgelacht zu werden.“

„Entschuldige“, erwiderte Emerson aufrichtig, da sie ihre Schwester nicht verletzen wollte. Sie wollte sie nur etwas aufziehen, was bei Cricket ganz leicht war. Emerson wandte den Blick wieder der weiten Landschaft vor sich zu und runzelte plötzlich die Stirn, als ihr eine Gestalt auffiel, die sich zwischen den Weinstöcken bewegte.

Es war ein Mann. Sogar vom Balkon aus konnte sie erkennen, dass er schlank und kräftig gebaut war und sich mit den langen Schritten eines großgewachsenen Mannes fortbewegte.

„Wer ist denn das?“, fragte sie.

„Keine Ahnung“, erwiderte Cricket, die ihn ebenfalls gesehen hatte. „Soll ich Dad holen?“

„Nein“, antwortete Emerson. „Ich gehe selbst.“ Sie wusste genau, wer zur Party eingeladen war und wer nicht. Falls dieser Mann einer der Coopers vom Gut Cowboy Wines war, hätte sie guten Grund zu vermuten, dass er hier herumschnüffelte, um Geschäftsgeheimnisse auszukundschaften. Zwar hatte sich ihr größter Rivale noch nie zu dieser Art von Spionage herabgelassen, aber sie vertraute niemandem. In der Weinbranche herrschte erbitterte Konkurrenz.

Schon die Erwähnung des Namens Cooper reichte aus, um Emersons Schwester Wren in Rage zu versetzen. Ständig verdächtigte diese die Familie Cooper, allerlei schmutzige Tricks anzuwenden, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

„Ich gehe schnell hinunter und sehe nach, wer das ist.“

„Etwa allein?“

„Mir passiert schon nichts.“ Emerson winkte ab. „Ich habe mein Handy dabei, und hier sind überall Leute. Ich glaube nicht, dass es Probleme geben wird.“

„Emerson …“

Emerson ging wieder hinein und verließ den Raum durch einen Seiteneingang. Schnell lief sie die Treppe hinunter, ohne auf ihre Schwester zu hören. Sie wusste selbst nicht warum, aber etwas sagte ihr, dass sie den Mann mit eigenen Augen sehen musste. Vielleicht lag es daran, dass sein Erscheinen das erste interessante Ereignis des ganzen Abends war.

Sie ging in die Richtung, in der sie den Mann zuletzt gesehen hatte, als er zwischen den Weinreben verschwunden war. Fahles Mondlicht erhellte den Weg vor ihr und ließ ihre Hände wächsern erscheinen. Als sie aus einer Reihe Weinstöcke in die nächste trat, blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie hatte geahnt, dass er groß war, selbst aus der Entfernung. Doch er war … sehr groß. Und breit gebaut. Breite Schultern, breite Brust. Er hatte einen Cowboyhut auf, was angesichts der nächtlichen Stunde lächerlich erschien, da er sich kaum vor der Sonne schützen musste. Außerdem trug er ein eng anliegendes schwarzes T-Shirt und Jeans.

Er war kein Cooper. Sie hatte den Mann noch nie gesehen. Als er sie erblickte, blieb er stehen. Er hob den Kopf, sodass ihm das Mondlicht ins Gesicht schien. Seine Gesichtszüge wirkten wie fein gemeißelt, so schön, dass Emerson wie gelähmt dastand. Sogar im schwachen Mondlicht zeichnete sich sein markantes Kinn ab.

„Haben Sie sich verlaufen?“, fragte sie. „Zur Party geht es dort entlang. Obwohl ich mir sicher bin, dass Sie nicht auf der Gästeliste stehen.“

„Ich wurde zu keiner Party eingeladen“, erklärte er mit tiefer, rauer Stimme, die absolut verführerisch klang.

Verführerisch?

Wie kam sie plötzlich auf diesen Gedanken? Doch nur allzu leicht konnte sie sich vorstellen, wie diese Stimme allerhand verführerische Dinge sagte, ohne dass sie es sich erklären konnte.

„Verzeihen Sie, aber was tun Sie dann hier?“

„Ich arbeite hier“, antwortete er. „Ich bin der neue Rancharbeiter.“

Es war, als wäre Rotkäppchen gerade dem großen bösen Wolf begegnet. Nur trug sie keinen roten Umhang, sondern ein scharlachrotes Kleid, das sich an ihre üppigen Kurven schmiegte wie Geschenkpapier um ein verlockendes Präsent. Mondlicht glitzerte silbern auf ihrem dunklen Haar, das ihr über die nackten Schultern fiel. Genau so konnte er sie sich in seinem Bett vorstellen. Nackt in den zerwühlten Laken, ihr Haar wie einen Fächer ausgebreitet. Zu schade, dass er nicht zum Vergnügen hier war.

Er wollte Rache.

Nach allem, was er über die Maxfields wusste, stand gerade Emerson Maxfield vor ihm. Ihr hübsches Gesicht zierte regelmäßig Gourmet- und Weinjournale, und in Modekreisen galt sie als eine Art It-Girl. Sie war hinreißend schön, bekannt … und verlobt.

Nichts davon hätte ihn zurückgehalten, wenn er sie wirklich gewollt hätte. Was scherte es ihn, ob irgendein Mann einer Frau einen Ring an den Finger gesteckt hatte? Wenn sich eine verlobte oder verheiratete Frau anderswo umsah, hätte sich der Mann, der ihr den Ring angesteckt hatte, eben besser um ihre Bedürfnisse kümmern müssen. Falls Holden eine Frau verführen konnte, hatte der Bastard, dem er sie wegnahm, es nicht anders verdient. Dass er dabei möglicherweise eine Beziehung zerstörte, ließ ihn kalt. Nur gab es genug Frauen und genug Möglichkeiten, eine von ihnen ins Bett zu kriegen, als dass er sich die Hände an einer Maxfield schmutzig machen würde.

Ganz egal, wie heiß sie aussah.

„Ich wusste nicht, dass mein Vater jemand Neues eingestellt hat“, sagte sie.

Ungeachtet dessen, was er über ihre Familie wusste, überraschte es ihn, dass sie wie eine kleine Privatschulprinzessin redete. Es war kein Geheimnis, dass sie Eliteschulen an der Ostküste besucht hatte und nur in den Sommerferien nach Hause nach Oregon gekommen war, wenn ihre Familie nicht gerade in irgendeinem Nobelort Urlaub machte.

Ihre Familie war die wohlhabendste in ganz Logan County, und ihre Weinmarke spielte auf internationaler Bühne mit. Ihr Vater James Maxfield war ein erstklassiger Visionär, ein erstklassiger Weinproduzent … und ein erstklassiger Bastard.

In Sachen Moral kannte Holden zwar kaum Skrupel, doch einige Prinzipien hielt er stets ein. Vor allem würde er niemals Zwang ausüben, wenn er mit einer Frau zusammen war. Und ganz bestimmt würde er nie eine Frau verzweifelt, erpresst und depressiv zurücklassen.

Doch James Maxfield hatte keinen solchen Moralkodex. Pech für James war nur, dass Holden keinerlei Skrupel hatte, jemanden zur Verantwortung zu ziehen, der einem ihm nahestehenden Menschen großes Leid zugefügt hatte. Holden fragte sich, was Emerson wohl denken würde, wenn sie wüsste, was ihr Vater einer Frau angetan hatte, die nicht einmal so alt war wie sie.

Was er Holdens kleiner Schwester angetan hatte.

Vermutlich wäre es Emerson gleichgültig. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie nicht wusste, wie ihr Vater wirklich war, da die ganze Familie das Unternehmen gemeinsam zu führen schien. Sein Eindruck war eher, dass die Kinder der Maxfields lieber wegschauten, genau wie James’ Ehefrau. Sie alle ignorierten seine Fehltritte, damit sie weiter an sein Bankkonto kamen.

„Ich bin heute erst angekommen“, erklärte er. „Ich wohne in einer der Unterkünfte auf dem Gut.“ Die Unterkünfte für die Mitarbeiter fand er unglaublich altmodisch. Holden hatte sich aus dem Nichts hochgearbeitet, obwohl sein steiler Aufstieg in der Immobilienbranche nicht annähernd solche Schlagzeilen gemacht hatte wie der Erfolg der Maxfields. Diese Tatsache gestattete es ihm, sich auf einen Rachefeldzug zu begeben, um das Leben und den guten Ruf von James Maxfield zu ruinieren.

Das Beste daran war, dass James es nicht kommen sehen würde. Denn er hielt es nicht für möglich, dass ihn ein Mann von derart niedrigem Status in die Knie zwingen konnte. Er würde Holden nicht einmal wahrnehmen. Schließlich war Holden in seinen Augen bloß ein Hilfsarbeiter, ein Lakai. Dabei besaß Holden selbst ein großes Stück Land im Osten des Bundesstaates, in Jackson Creek. Doch James Maxfield dachte nur an sich. Für ihn war niemand so intelligent wie er oder auch nur annähernd so bedeutend. Dieser Stolz würde ihn am Ende zu Fall bringen. Dafür würde Holden sorgen.

„Oh“, sagte sie. Sie sah ihm in die Augen und biss sich auf die Unterlippe.

Das kleine Luder flirtete mit ihm.

„Sollten Sie nicht auf Ihrer Party sein und die Gastgeberin spielen?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Vermutlich.“ Es schien sie nicht zu überraschen, dass er sie erkannt hatte. Vermutlich war sie es gewohnt, erkannt zu werden.

„Den Leuten ist bestimmt aufgefallen, dass Sie weg sind.“

„Kann sein“, erwiderte sie und zog die Nase kraus. „Unter uns gesagt, langweilen mich diese Anlässe allmählich.“

„Partys mit kostenlosem Essen und Freigetränken? Wie kann Sie so etwas langweilen?“

Wieder zuckte sie mit den Schultern. „Wenn die Getränke immer umsonst sind, ist es irgendwann nichts Besonderes mehr.“

„Da fehlt mir wohl die Erfahrung.“ Alles, was er besaß, hatte er sich hart erarbeitet.

„Tut mir leid. Das muss sich unglaublich privilegiert anhören.“

„Wenn Sie die sind, für die ich Sie halte, dann sind Sie unglaublich privilegiert. Warum sollten Sie nicht so denken?“

„Nur weil es auf mich zutrifft, bedeutet es nicht, dass es nicht geschmacklos ist, so zu reden.“

„Mir würden so einige geschmacklose Dinge einfallen, die ich darauf erwidern könnte, damit Sie sich besser fühlen.“

Sie lachte. „Probieren Sie es mal.“

„Wenn Sie nicht aufpassen, Rotkäppchen, und weiter so durch die Wildnis laufen, könnte Sie ein großer böser Wolf fressen.“ Die sexuelle Anspielung war nicht zu überhören. Und die kleine Prinzessin mit ihrem funkelnden Verlobungsring am Finger hätte daran Anstoß nehmen sollen. Doch sie tat es nicht. Stattdessen erschauerte sie kurz und wandte den Blick ab. „Sollte das etwa geschmacklos sein?“

„Das war es“, entgegnete er.

„So hat es sich für mich nicht angefühlt.“

„Sie sollten zur Party zurückgehen“, sagte er.

„Warum? Bin ich hier draußen in Gefahr?“

„Kommt darauf an, was Sie unter Gefahr verstehen.“ Es war nichts falsch daran, sich gut mit ihr zu stellen, sagte er sich. Das könnte sich sogar als nützlich erweisen.

„Mit seltsamen Männern in Weinbergen zu reden, vermutlich.“

„Hängt davon ab, ob Sie mich für seltsam halten.“

„Ich kenne Sie noch nicht gut genug, um das beurteilen zu können.“

Ein Hauch von Interesse strich wie ein Schauer über seine Haut, und ärgerlich fragte er sich, wie es sein konnte, dass der erste leise Anflug von Interesse an einer Frau, den er seit langer Zeit verspürte, ausgerechnet ihr galt.

Emerson Maxfield.

Doch sie war es, die einen Schritt zurücktrat. Sie war es, deren Augen sich ängstlich weiteten, sodass er sich fragte, ob sein Hass auf das Blut, das in ihren Adern floss, für sie ebenso spürbar war wie für ihn.

„Ich muss gehen“, sagte sie. „Die Party.“

„Ja, Ma’am“, erwiderte er nur. Er trat einen Schritt auf sie zu, fast ohne nachzudenken. Dann lief sie weg, so schnell ihre unpraktischen Stilettoabsätze sie trugen.

„Lauf nur, Rotkäppchen“, flüsterte er heiser. Er lehnte sich zurück und überblickte die Weinstöcke und das Haus auf dem Hügel. „Der große böse Wolf wird all das hier auffressen.“

2. KAPITEL

„Emerson“, sagte ihr Vater. „Ich habe eine Aufgabe für dich.“

Nach der letzten Nacht fühlte sich Emerson müde und verunsichert. Ihr Verhalten war so untypisch gewesen, dass sie es sich nicht erklären konnte. Sie hatte die Party verlassen, ihren Posten im Stich gelassen. Alles nur, um einem fremden Mann in den Weinbergen nachzujagen. Und dann …

Er hatte sie an einen Wolf erinnert. In der Highschool hatte sie einmal eine Rettungsstation für Wölfe besucht und war vom starken Alphamännchen des Rudels fasziniert gewesen. So viel kontrollierte Kraft. Es hatte ihr Angst eingejagt und sie gleichzeitig vollkommen gefesselt. Sie hatte den Blick nicht abwenden können.

Der Mann arbeitete auf dem Gut. Das hätte ihr als Warnsignal genügen sollen. Wenn der Diamant an ihrem Finger nicht reichte, dann sollte es sein Status als Angestellter tun. Doch sie hatte sich zu ihm hingezogen gefühlt. Dann hatte er einen Schritt auf sie zu gemacht. Plötzlich waren alle richtigen Instinkte in ihr erwacht, und sie war weggelaufen. Sie konnte sich nicht erklären, warum es so lange gedauert hatte, bis sie die Flucht ergriff.

„Eine Aufgabe“, erwiderte sie tonlos.

„Ich habe mir die Bilanz der Grassroots Winery angesehen“, erklärte ihr Vater. „Sie haben sich einen Namen als Ausflugsziel gemacht. Nicht nur als Weinmarke, sondern als Ort, den sich die Leute ansehen wollen. Wir haben selbst schon bewiesen, dass die Gegend hier für Hochzeiten und Veranstaltungen beliebt ist. Deine Party gestern war großartig.“ Emerson freute sich über das Lob, aber nur kurz. Denn auf ein Lob ihres Vaters folgte unweigerlich eine Forderung.

„Sie bieten auch Reitausflüge durch die Weinberge an. Außerdem unterhalten sie eine Partnerschaft mit der benachbarten Touristenranch, was sich aber mehr nach einem Geschäftsmodell von Cowboy Wines anhört. Damit will ich nichts zu tun haben. Wir wollen den Wert unserer Marke nicht schädigen, indem wir uns auf ein solches Niveau herabbegeben. Aber Ausritte durch die Weinberge, Picknicks und dergleichen – das könnte Profit abwerfen.“

Emerson hatte die Besitzerin von Grassroots Winery, Lindy Dodge, ein paarmal getroffen und mochte sie. Kurz bekam sie Gewissensbisse, weil sie Lindys Idee übernehmen würde, aber sie verdrängte das schlechte Gewissen schnell.

Es war schließlich nicht unwahrscheinlich, dass Unternehmen in derselben Branche auf dieselben Ideen kamen. Angesichts der Vielzahl an Weingütern in der Region waren Überschneidungen unvermeidlich. Zudem bemühte sich Emerson, die anderen nicht als Konkurrenz zu betrachten. Gemeinsam schufen sie eine Weinstraße, die für sich genommen einen Anziehungspunkt darstellte. Es nützte allen, wenn die Region ein beliebtes Ziel für Weinkenner war.

Das einzige Weingut, das Maxfield Vineyards wirklich als Konkurrenz betrachtete, war Cowboy Wines, obwohl der Unterschied zwischen ihnen kaum größer hätte sein können. Aufgrund ihrer Position im Unternehmen geriet Wren, Emersons mittlere Schwester, häufig mit Creed Cooper aneinander, der in derselben Eigenschaft für das Weingut seiner Familie tätig war. Wren hasste ihn aus tiefstem Herzen.

„Worum genau geht es dabei?“, erkundigte sich Emerson.

„Das habe ich doch gesagt. Reitausflüge und Picknicks, aber wir müssen dem Ganzen einen Maxfield-Anstrich geben. Das überlasse ich dir.“

„Das klingt, als wäre es eher etwas für Wren.“ Wren war für Veranstaltungen auf dem Weingut zuständig, Emerson für die weltweite Markenrepräsentation.

„Du kannst Leute beeinflussen. Such die besten Routen und Aussichtspunkte für die Ausflüge, veröffentliche Fotos in deinen sozialen Medien und schreib die passenden Rautezeichen dazu.“

„Du meinst Hashtags.“

„Ich will nicht wissen, was es ist. Dafür habe ich dich.“

„In Ordnung.“ Sie verfügte tatsächlich über eine enorme Onlinereichweite. Vor ihrem inneren Auge sah sie bereits, wie sie Fotos platzieren konnte, um das Medieninteresse zu wecken und womöglich einen Artikel im Magazin Sip & Savor zu landen. Das würde der gesamten Region zugutekommen. Je mehr Menschen von Maxfield Vineyards in die Gegend gelockt wurden, desto mehr würden auch die anderen Weingüter profitieren.

„Wird erledigt“, sagte sie.

„Ich habe einen Manager für den Ranchbetrieb angeheuert. Er soll die Baumaßnahmen beaufsichtigen, denn wenn bald Gäste durch die Ställe laufen, muss vorher alles erneuert werden. Außerdem soll er sich um die Anschaffung neuer Pferde kümmern, um die Ausritte und das alles.“

„Oh“, sagte sie. „Dieser Manager, ist er … groß?“

James zuckte mit den Achseln. „Darauf habe ich nicht geachtet. Hältst du das für wichtig?“

„Nein“, erwiderte sie mit hochrotem Kopf. Sie fühlte sich wie ein Kind, das mit der Hand in der Keksdose erwischt worden war. „Ich glaube, ich habe ihn gestern Abend gesehen. Unten im Weinberg. Ich habe die Party verlassen, um nachzusehen, was los war.“ Ehrlichkeit ihrem Vater gegenüber war für sie selbstverständlich. Sie versuchte stets, die Tochter zu sein, zu der er sie erzogen hatte.

„Du hast die Party verlassen?“

„Es war alles unter Kontrolle. Ich habe Cricket die Verantwortung übertragen.“ Das war etwas übertrieben. Sie war zwar immer so ehrlich wie möglich zu ihrem Vater, doch hin und wieder ließ sie etwas aus – ihre Gefühle zum Beispiel. Das hier war so ein Moment.

„Ich habe kurz mit ihm gesprochen und bin dann zurückgegangen. Er hat mir gesagt, dass er auf dem Gut arbeitet.“

„Du musst vorsichtig sein“, erklärte ihr Vater. „Du willst doch nicht, dass dich jemand allein mit einem Mann fotografiert, der nicht Donovan ist. Das könnte deine Verlobung gefährden.“

Manchmal fragte sie sich, ob ihrem Vater klar war, dass sie nicht im neunzehnten Jahrhundert lebten. „Nichts wird meine Verlobung mit Donovan gefährden.“

„Ich bin froh, dass du dir so sicher bist.“

Das war sie, trotz ihrer gelegentlichen Zweifel. Möglicherweise hatte ihr Vater nicht bemerkt, dass sich die Zeiten geändert hatten, sie aber schon. Sie war sich sicher, dass Donovan Affären mit anderen Frauen hatte, weil mit ihr körperlich nichts lief. Schließlich war er ein Mann.

Sie wusste, warum ihrem Vater so an ihrer Ehe mit Donovan gelegen war. Er plante, den Ehemännern seiner Töchter Besitzanteile am Weingut zu überschreiben, bevor er in den Ruhestand ging. Donovan wäre in seinen Augen ein Gewinn für die Kellerei, und Emerson war derselben Meinung. Sie wusste nur nicht, wie dies in eine Ehe passte. Offensichtlich war es Donovan auch egal, wie es in eine Ehe passte. Zudem bezweifelte sie, dass ihr Verhalten bei ihm auch nur einen Hauch von Eifersucht bewirken würde.

„Image ist alles, Emerson.“ Mit diesen Worten holte ihr Vater sie in die Wirklichkeit zurück. „Es kommt nicht darauf an, was du tust, sondern was der Rest der Welt denkt, dass du tust.“ Seine Worte klangen so gefühllos und kalt, dass sie erschauerte. Dabei fand sie auch, dass Image in ihrem Geschäft wichtig war. Trotzdem fühlte sie sich unbehaglich.

Sie wandte sich ab. „Image ist mein Fachgebiet.“

„Es dreht sich alles um die Marke“, beharrte er.

„Das habe ich dir beigebracht“, erwiderte sie.

„Und das hast du gut gemacht.“

„Danke“, sagte sie und errötete fast vor Freude. Komplimente von James Maxfield waren eine Seltenheit.

„Mach dich jetzt auf den Weg zu den Ställen. Der Manager wartet bestimmt schon auf dich.“ Falls sich bei diesen Worten ihr Magen zusammenzog, ignorierte sie das einfach. Sie hatte eine Aufgabe zu erledigen, und dabei spielte es keine Rolle, wie groß der neue Ranchmanager sein mochte.

In ihrem lächerlich trendigen Outfit sah Emerson ebenso hübsch aus wie in ihrem roten Kleid am Abend zuvor. Sie trug eine schwarze Hose mit hohem Bund, weit geschnittenen Beinen und Knöchelsaum sowie ein passendes schwarzes Oberteil, das knapp unter ihren Brüsten endete und einen Teil ihres Bauches unbedeckt ließ. Ihr dunkles Haar war zu einem Dutt hochgesteckt, und sie trug denselben roten Lippenstift wie am Vorabend sowie eine Sonnenbrille mit runden Gläsern, die ihre Augen verbarg.

Holden wünschte, er könnte ihre Augen sehen. Als sie näher kam, schob sie sich die Sonnenbrille ins Haar. Ihre Schönheit traf ihn unvorbereitet. Er hatte geglaubt, sie im Mondlicht schon richtig gesehen zu haben und auf Fotos, doch beides wurde ihr nicht gerecht. Er war überzeugt gewesen, dass das Blau ihrer Augen mit einem Filter erzeugt worden war. Doch im hellen Sonnenschein vor der grünen Bergkulisse, als sich das tiefe Blau des Himmels darin spiegelte, wurde ihm klar, dass ihre Augen auf diesen Fotos nicht annähernd zur Geltung gekommen waren.

„Guten Morgen“, sagte sie.

„Ihnen auch einen guten Morgen. Ich nehme an, Sie haben mit Ihrem Vater gesprochen?“ Dieses Wort ruhig auszusprechen erforderte all seine Selbstbeherrschung.

„Ja“, antwortete sie.

„Was halten Sie von seiner Idee?“ Insgeheim war Holden davon angetan. Wenn er James erst ruiniert hatte und dessen Marke in der Bedeutungslosigkeit versunken war, konnte er sich vorstellen, das ganze Gut zu kaufen und selbst Wein zu produzieren. Er war ein guter Verkäufer und wusste, wie man Geld machte. Hier war durchaus Geld zu holen.

„Die Idee ist gut. Mit ein paar Selfies ließe sich viel Interesse wecken.“

„Da haben Sie vermutlich recht, obwohl ich mich mit Selfies nicht auskenne.“ Das war eine Lüge. Seine jüngere Schwester war eine erfolgreiche Influencerin. Sie war Model und hatte James Maxfield auf einer jener Partys kennengelernt, auf der Menschen ihres Schlages einander begegneten. Holden war wütend auf sich selbst, weil sein Vermögen dabei eine Rolle gespielt hatte. Weil Soraya unschuldig gewesen war. Ein süßes Mädchen aus einer Kleinstadt, das in eine Welt katapultiert worden war, auf die es nicht vorbereitet gewesen war.

Auch Holden hatte anfangs nicht gewusst, wie er mit Geld umgehen sollte. Doch er hatte seiner Familie geholfen, sich aus ihrer Misere zu befreien. Als Erstes hatte er seiner Mutter ein Haus gekauft. Ein Haus auf einem Hügel, chic eingerichtet und sicher vor den Männern, die sie während Holdens gesamter Kindheit nur ausgenutzt hatten. Und seine süße jüngere Halbschwester … war kopfüber in die Berühmtheit gestolpert.

Millionen Follower warteten begierig auf ihr nächstes Foto. Warteten darauf, auf welche Party sie gehen würde. Dann hatte sie die falsche besucht und James Maxfield getroffen. Er hatte sich auf sie gestürzt, bevor Holden das Wort „Vaterkomplex“ aussprechen konnte.

Als James sie verließ, war Soraya am Boden zerstört gewesen. Nie würde Holden den Tag vergessen, an dem er seine Schwester in eine psychiatrische Anstalt einweisen lassen musste. Der Suizidversuch, die Fehlgeburt, die Verzweiflung.

Die Erinnerungen hatten sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Ebenso wie die Erkenntnis, dass sein Geld sie nicht geschützt, sondern ihr den Weg in den Abgrund geebnet hatte. Jetzt blieb ihm nur noch Rache, denn rückgängig machen konnte er nichts. Er konnte ihr den Schmerz nicht nehmen. Aber er konnte den Maxfields alles nehmen, was sie besaßen.

„Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt“, sagte Emerson. Sie hielt ihm die Hand hin – die ohne den Ring. „Emerson Maxfield.“

„Holden Brown“, erwiderte er und schüttelte ihr die Hand.

Wäre James Maxfield nicht so ein gewaltiger Narzisst gewesen, hätte Holden gezögert, seinen wahren Vornamen zu verwenden. Er bezweifelte jedoch, dass der ältere Mann das junge Model, das er ein paar Monate lang benutzt und dann weggeworfen hatte, mit Holden in Verbindung bringen würde. Vermutlich erinnerte sich James kaum an Sorayas Vornamen, geschweige denn an ihre Verwandten. Holden selbst war nicht berühmt. Er war immer der Ansicht gewesen, dass Anonymität von Nutzen sein konnte. An Rache hatte er dabei nicht gedacht.

Emersons Hand war verblüffend weich. Die Hand einer Frau, die noch nie hart arbeiten musste. Plötzlich überkam ihn der Wunsch, diese kleine Prinzessin harte, schmutzige Arbeit verrichten zu lassen. Vorzugsweise an seinem Körper. Er zog seine Hand weg.

„Schön, Sie kennenzulernen, Holden.“

„Ebenfalls.“ Das Ende des Wortes verschluckte er fast. Noch mehr Nettigkeiten, und er könnte einen Fehler machen. „Ich hätte ein paar Ideen, welche Routen sich eignen könnten. Haben Sie Lust auf einen kleinen Ritt?“

3. KAPITEL

Lust auf einen kleinen Ritt hatte keine sexuelle Bedeutung. Nicht auf einer Ranch. Nicht für eine Frau, die regelmäßig mit Pferden zu tun hatte. Nur ging Emerson die Frage nicht aus dem Kopf. Sie stellte sich vor, sie würde sie Holden stellen. Lust auf einen kleinen Ritt? Dabei sah sie sich mit ihm zusammen im Bett. So hatte sie sich noch nie gefühlt.

Ihr erstes Mal war ganz nett gewesen. Schmerzlos, aber nicht gerade aufregend. Ihr damaliger Freund war sehr rücksichtsvoll gewesen. Allerdings hatte er sich mehr bemüht, es ihr so angenehm wie möglich zu machen, als ihre Leidenschaft wachzuhalten.

Ihr nächster Freund war gewandt, urban und faszinierend. Er hatte die Welt bereist, ehe sie ihre erste Reise angetreten hatte. Die Gespräche mit ihm genoss sie, ohne je von Lust oder Leidenschaft übermannt zu werden. Sie dachte, sie wäre eben so. In anderen Bereichen bot ihr Leben genug Aufregung. Die fehlende Leidenschaft bereitete ihr keine Kopfschmerzen. Erst Holden gab ihr das Gefühl, dass ihr möglicherweise etwas entging. Als hätte ein Teil von ihr sehr lange geschlafen.

Du hast kaum vierzig Minuten mit dem Mann verbracht. Allerdings sprach das noch mehr dafür, der Sache auf den Grund zu gehen. Denn in diesen kaum vierzig Minuten hatte sie ihn sich mindestens sechsmal nackt vorgestellt. Ganze sieben Mal hatte sie daran gedacht, ihn zu küssen. Das war verrückt. Er arbeitete auf der Ranch, für ihren Vater. Für sie, im Grunde, da sie zum Weingut gehörte und am Geschäft beteiligt war. Irgendwie erregte sie dieser Gedanke noch mehr.

Ihr Verlobter Donovan wusste viel über die Welt. Er kannte sich mit Werbung aus, wofür erhebliche Kenntnisse der menschlichen Psychologie erforderlich waren. Und es war interessant. Doch etwas sagte ihr, dass ein Mann wie Holden ihr viel über ihren Körper beibringen konnte, und das war noch interessanter. Der Gedanke war seltsam und berauschend zugleich.

Und völlig unrealistisch, da du ihm nie nachgehen würdest. Nein, dachte sie, als sie in den Sattel stieg und gemeinsam mit Holden einen Pfad entlangritt, um ihn als Route für Touristen zu testen. Sie würde dem nie nachgehen, nur um ihre Sinnlichkeit zu entdecken.

Also wirst du Donovan heiraten und dich immer fragen, was hieraus hätte werden können? Dich mit dem mittelmäßigen Liebesleben abfinden, das die fehlende Anziehungskraft zwischen euch verspricht. Nie wissen, was du verpasst hast.

Emerson war mit ihrem Körper vertraut und wusste, wie sie sich behelfen konnte, wenn ihr der Sinn danach stand. Doch bislang hatte sie keinen Mann getroffen, der ihr auf die gleiche Weise Lust verschaffen konnte, und wenn sie mit jemandem im Bett war, konnte sie nie ganz loslassen. Ihr gingen zu viele Dinge durch den Kopf, die sie nicht abschalten konnte.

Mit Holden wäre es nicht anders. Ganz egal, wie heiß er war. Emerson war schlichtweg nicht bereit, ihre Hemmungen für ein Erlebnis über Bord zu werfen, das unweigerlich in einer Enttäuschung enden würde.

Da hast du’s.

Mit Mühe wandte sie sich in Gedanken von diesen unanständigen Dingen ab und der Schönheit um sie herum zu. Das Land ihrer Familie war schon seit ihrer Kindheit der schönste Ort der Welt für sie, von den Weinreben an den hölzernen Spalieren, die sich über hektarweise Land erstreckten, über die gepflegten Rasenflächen bis hin zu entlegenen Bereichen, wo die majestätische Wildnis so weit und ehrfurchtgebietend schien, dass Emerson sich angemessen klein und unbedeutend vorkam. Obwohl sie gerne reiste, konnte sie sich nicht vorstellen, Maxfield Vineyards einmal nicht ihr Zuhause zu nennen.

„Kann ich Sie etwas fragen?“ Holdens tiefe Stimme war samtig wie Honig und gab Emerson das Gefühl, kurz vor einem Zuckerrausch zu stehen. Sie konnte sich nicht erklären, warum ausgerechnet dieser Mann derartige Gefühle in ihr auslöste. Ihr waren so viele Männer begegnet, die sich nicht so weit außerhalb des Kreises bewegten, der für ihre Partnerwahl infrage kommen sollte. Keiner dieser Männer – einschließlich des Mannes, mit dem ihr Vater sie verkuppelt hatte – hatte eine solche Reaktion bei ihr ausgelöst. Holden gelang es mühelos. Chemie, dachte sie.

„Schießen Sie los“, erwiderte sie, wobei sie den Blick entschlossen auf die Umgebung gerichtet hielt, um Holden nicht anzustarren.

„Warum tragen Sie das, wenn Sie wussten, dass wir ausreiten?“

Verdutzt hielt sie inne. Dann drehte sie sich um und sah ihn doch an. „Wieso, was stimmt nicht mit meinem Outfit?“

„Ich habe noch nie erlebt, dass jemand derart unpraktisch angezogen auf ein Pferd gestiegen ist.“

„Ach, kommen Sie. Bestimmt haben Sie Bilder gesehen, auf denen Frauen ausladende Reitkleider tragen und im Damensattel sitzen.“

„Stimmt“, antwortete er. „Aber Sie haben andere Möglichkeiten.“

„Es muss fotogen sein“, gab sie zurück.

„Und ein sexy Cowgirl-Outfit hätte nicht gepasst?“

Da er mit seinem engen schwarzen T-Shirt und dem schwarzen Western-Hut den heißen Cowboy abgab, wünschte sie sich plötzlich, sie würde das heiße Cowgirl spielen. Vielleicht hätte sie dann den Mut, ihn zu fragen, ob er nicht mit ihr ins Heu springen wollte.

Du hast den Verstand verloren.

„Das ist nicht ganz mein Stil.“

„Dann ist Ihr Stil eher Bezaubernde Jeannie in Trauer?“

Sie lachte. „So hatte ich es noch nicht gesehen. Aber ja, Bezaubernde Jeannie in Trauer trifft es ganz gut.“

Sein Kommentar war witzig. Vielleicht war es verfrüht, ihn witzig zu nennen, nur weil er ein paar clevere Bemerkungen gemacht hatte. Doch dass er nicht nur gut aussah, sondern auch Humor hatte, sorgte dafür, dass sie sich wegen ihrer außer Rand und Band geratenen Hormone weniger schuldig fühlte.

„Dann ist das heute nicht nur eine Erkundungsmission für Sie?“, fragte er. „Wenn Sie sich um Ihren Stil Sorgen machen.“

„Nein“, antwortete sie. „Ich möchte anfangen, Interesse zu wecken. Sie wissen schon, Fotos von mir auf dem Pferd. Warten Sie.“ Sie hielt an und drehte ihr Pferd so, dass sie Holden anblickte, hinter dem der Pfad und die Berge eine prächtige Kulisse bildeten. Dann nahm sie ihr Smartphone mit dem Display nach vorn und drückte lächelnd auf die Taste. Sie schaute sich das Resultat an, runzelte die Stirn und machte noch ein Foto. Das zweite war zu gebrauchen, wenn es noch etwas bearbeitet werden würde.

„Was war das denn?“

Sie zog ihr Pferd herum, steckte das Handy weg und ritt weiter. „Ich habe ein Foto gemacht“, erklärte sie. „Eines, das ich posten kann. ‚Demnächst bei Maxfield‘.“

„Wollen Sie das so veröffentlichen?“

„Ja. Natürlich wird es offizielle Pressemitteilungen geben, aber Anzeigen in Social Media funktionieren anders. Ich bin Teil dieser Onlinemarke. Und mein Lifestyle – einschließlich meiner Kleidung – ist Teil dessen, was die Leute am Weingut interessiert.“

„Verstehe“, sagte er.

„Die Leute wollen neidisch gemacht werden“, fuhr sie fort. „Andernfalls würden sie sich nicht stundenlang Fotos vom Leben anderer Leute ansehen. Oder von exotischen Orten, an die sie nie reisen können. Ein bisschen Neid und ein Hauch von Ehrgeiz, das treibt manche Leute an.“

„Glauben Sie das?“

„Ja. Und der Erfolg in meinem Bereich des Familienimperiums gibt mir recht.“

Er schwieg einen Moment. „Ich schätze, Sie haben recht. Die Leute genießen dieses Gefühl, aber wenn man wirklich nichts hat, macht es keinen Spaß, Dinge zu sehen, die man niemals haben kann. Das hinterlässt eher tiefe Wunden. Manche treibt es sogar an den Rand der Selbstzerstörung.“

Etwas an seinem Tonfall beunruhigte sie, denn seine Worte klangen nicht hypothetisch. „Das ist niemals meine Absicht“, entgegnete sie. „Ich kann nicht kontrollieren, wer die Medien konsumiert, die ich veröffentliche. Ab einem gewissen Punkt müssen die Leute selbst Verantwortung übernehmen, oder?“

„Ja“, antwortete er. „Aber manche tun es nicht. Schlimmer ist es, wenn jemand anderes eine Schwäche in ihnen erkennt, die sie selbst nicht sehen, und sie ausnutzt. Viele traurige, hungrige junge Frauen sind auf dieser Straße des Neids schon vom Weg abgekommen, weil sie die falsche Hand ergriffen haben, um Zugang zur Glitzerwelt zu bekommen.“

„Ich verkaufe aber keine wilden Partys“, erklärte sie, „sondern einen Nachmittagsausritt auf einem Familienweingut, und ein Ausflug hierher ist für viele erschwinglich. Im Internet wird einiges gezeigt, was für die meisten außer Reichweite ist. Das Weingut dagegen ist ein Stück weit erreichbarer. Deshalb ist es Werbung und kein Luxusporno.“

„Verstehe. Erst weckt man einen Wunsch, der nie in Erfüllung gehen kann, und dann bietet man ein Weingut als Trostpreis an.“

„Wenn unsere Kultur das mitmacht, ist es schwerlich meine Schuld.“

„Hat es Ihnen je an etwas gemangelt?“ Die Frage an sich war zwar unverfänglich, doch er sprach mit einer so düster und rau klingenden Stimme, dass es Emerson durch Mark und Bein ging. „Oder haben Sie alles bekommen, was Sie sich nur wünschen konnten?“

„Ich habe nicht alles bekommen“, erwiderte sie, vielleicht zu schnell. Zu defensiv.

„Was denn nicht?“, hakte er nach.

Krampfhaft suchte sie im Katalog ihres Lebens nach einem Moment, in dem ihr etwas Materielles verwehrt worden war. Nur ein Wort brannte in ihrem Kopf.

Sie. Das wäre ihre Antwort. Ich will Sie, und ich kann Sie nicht haben. Weil ich mit einem Mann verlobt bin, der mich weder küssen noch mit mir ins Bett gehen will. Genauso wenig wie ich mit ihm. Aber ich kann die Verlobung nicht lösen, denn ich brauche unbedingt …

„Anerkennung“, sagte sie laut. „Das … das möchte ich haben.“

Ihr drehte sich der Magen um, und sie blickte starr geradeaus, weil sie nicht wusste, warum sie das Wort laut ausgesprochen hatte.

„Von Ihrem Vater?“, fragte er.

„Nein“, antwortete sie. „Seine Anerkennung habe ich. Meine Mutter dagegen …“

„Sie sind berühmt, erfolgreich und schön. Und Ihre Mutter ist nicht zufrieden?“

„Schockierend, oder? Meine Mutter wollte nie, dass ich Fotos von mir im Internet poste.“

„Sofern Sie nicht irgendwo unanständige Bilder versteckt haben, verstehe ich nicht, was Ihre Mutter dagegen einzuwenden hat. Es sei denn, es geht um Ihre Hose. Die ist tatsächlich ziemlich anstößig.“

„Die Hose ist wundervoll. Und sogar praktisch, weil ich damit bequem reiten kann. Egal, was Sie denken.“

„Was stört Ihre Mutter dann?“

„Sie will, dass ich mehr aus mir mache. Etwas Eigenständiges. Sie will nicht, dass ich nur die Öffentlichkeitsarbeit für das Familienunternehmen mache. Aber mir gefällt es. Ich mag meine Arbeit und diese Marke. Es fällt mir leicht, sie zu repräsentieren, weil sie mir am Herzen liegt. Ich habe Marketing studiert, ganz in der Nähe. Sie findet, dass ich … mein Potenzial verschenke.“

Er lachte leise. „Ihre Mutter findet, dass Sie Ihr Potenzial verschenken, indem Sie einen Abschluss in Marketing machen und Botschafterin für eine erfolgreiche Marke werden?“

„Ja.“ Sie erinnerte sich noch an den gereizten und verärgerten Tonfall ihrer Mutter und die Diskussion, als Emerson ihr von der Verlobung mit Donovan erzählt hatte.

„Du heiratest also einen Mann, der erfolgreich in der Werbebranche ist, anstatt selbst erfolgreich zu sein?“

„Du bist auch mit einem erfolgreichen Mann verheiratet.“

„Ich hatte nie die Möglichkeiten, die dir geboten wurden. Du brauchst dich nicht im Schatten eines Ehemanns zu verstecken. Du hättest mehr erreichen können.“

„Meine Mutter ist großartig“, sagte Emerson. „Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Ich respektiere sie, aber sie wird nie besonders beeindruckt von mir sein. Wenn man sie fragt, musste ich noch nie im Leben für etwas arbeiten und habe den Weg des geringsten Widerstands gewählt, um auf diese Art erfolgreich zu sein.“

„Was hält sie von Ihren Schwestern?“

„Wren arbeitet zwar auch für das Weingut, aber das Einzige, worüber sich meine Mutter mehr ärgert, als wenn ihre Töchter sich Freiheiten herausnehmen, sind die Coopers. Da Wren es sich zur Aufgabe gemacht hat, ihnen Paroli zu bieten, stört sich meine Mutter nicht so sehr an dem, was Wren selbst tut. Und Cricket … Keine Ahnung, ob irgendjemand weiß, was Cricket will.“

Cricket war eine Nachzüglerin, acht Jahre jünger als Emerson und sechs Jahre jünger als Wren. Ihre Eltern hatten nicht geplant, noch ein Kind zu bekommen, und schon gar nicht so eines wie Cricket, die offenkundig nicht den Wunsch geerbt hatte, anderen zu gefallen. Cricket vertrieb sich die Zeit auf dem Weingut, wie es ihr passte, und war mehr von den Angestellten aufgezogen worden als von ihrer Mutter oder ihrem Vater.

Gelegentlich beneidete Emerson sie um die Unabhängigkeit, die sie gefunden zu haben schien, noch bevor sie einundzwanzig wurde, wohingegen sie selbst diese Unabhängigkeit nicht einmal mit neunundzwanzig erreicht hatte.

„Klingt, als könnte man es Ihrer Mutter nur schwer recht machen.“

„Unmöglich“, stimmte sie zu. Bei ihrem Vater war das anders. Er war stolz auf sie. Sie tat genau das, was er von ihr erwartete. Und das würde sie auch weiterhin tun.

Der Weg endete an einer grünen Lichtung oberhalb eines Hangs mit Blick auf das Tal. Meilenweit erstreckten sich die Weinberge, und ganz unten lag die kleine Stadt Gold Valley.

„Perfekt.“ Emerson stieg vom Pferd und machte einige Aufnahmen von sich und der Aussicht im Hintergrund. Dann drehte sie sich schnell um und machte einen verschwommenen Schnappschuss von Holden auf seinem Pferd.

Mit gerunzelter Stirn stieg er ebenfalls ab, während sie auf das Handydisplay schaute und ein weiteres Foto machte. Obwohl eigentlich nur seine Silhouette zu sehen war, war er unverkennbar ein gut aussehender, gut gebauter Mann mit einem Cowboyhut.

Das nenne ich eine Anzeige“, sagte sie.

„Was machen Sie da?“ Er klang verärgert.

„Ich dachte, es wäre eine gute Idee, Sie im Hintergrund zu haben. Als authentische Western-Fantasie.“

„Sie haben gesagt, das wäre nicht Ihr Stil.“

„Ist es auch nicht. Aber nur weil ich keine abgeschnittenen Shorts tragen will, heißt das nicht, dass ich mir nicht gern einen Cowboy ansehe.“

„Das können Sie nicht posten“, erklärte er mit einer Stimme so hart wie Granit.

Sie drehte sich zu ihm um. „Warum nicht?“

„Weil ich nicht auf Ihrer verdammten Website sein will.“

„Es ist keine Website. Es ist … Egal. Sind Sie auf der Flucht vor dem Gesetz?“

„Nein“, antwortete er.

„Warum soll ich dann Ihr Bild nicht posten? Man erkennt Sie nicht einmal.“

„Ich bin an solchen Dingen nicht interessiert.“

„Aus solchen Dingen besteht aber meine Lebensaufgabe.“ Sie wandte sich der Landschaft zu und gab vor, nach anderen Fotomotiven zu suchen.

„Eine Website, die in ein paar Jahren schon nicht mehr existiert, ist nicht Ihre Lebensaufgabe. Ihre Lebensaufgabe mag darin bestehen herauszufinden, wie Sie Leuten etwas verkaufen können – Werbung, Marketing, egal, wie Sie es nennen. Doch das Wie ändert sich bald und wird sich auch in Zukunft immer wieder ändern. Sie haben vielleicht erkannt, wie die Leute jetzt gerade Dinge entdecken. Aber das wird sich ändern, und das Neue finden Sie dann auch heraus. Diese Fotos sind nicht Ihre Lebensaufgabe.“

Seine Worte klangen leidenschaftlich, und sie war sich fast sicher, dass er sie nicht zum ersten Mal sprach.

„Das ist nett“, erwiderte sie. „Aber ich brauche keine Aufmunterung. Ich habe mich nicht kleiner gemacht, als ich bin. Ich werde die Fotos nicht posten, obwohl sie viel Aufsehen erregt hätten.“

„Ich werde niemanden über das Anwesen führen, also gibt es keinen Grund, mich zu zeigen.“

„Sie führen nicht einmal mich über das Anwesen.“ Sie drehte sich zu ihm um und stellte fest, dass er ihr näher war, als sie gedacht hatte. Ihr stockte der Atem. Er war so groß und breit, so eindrucksvoll. Von ihm ging eine Intensität aus, die sie eigentlich hätte abstoßen sollen, doch stattdessen war sie fasziniert. „Hat Ihnen je etwas gefehlt?“, fragte sie.

„Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht.“

„Warum nicht? Immerhin habe ich Ihnen von meinen Problemen erzählt, obwohl ich nicht weiß, wieso. Aber Sie haben gefragt. Ich glaube, vorher hat mich noch niemand danach gefragt. Also … Hier draußen sind nur Sie und ich.“

„Und Ihr Handy. Mit dem Sie auf eine Art mit der Außenwelt verbunden sind, die ich kaum verstehe.“ Irgendwie klang das nicht ehrlich.

„Ich habe kein Netz“, erklärte sie. „Und ich packe es jetzt weg.“ Sie schob das Gerät in die seidene Tasche ihrer schwarzen Hose. Er sah sie mit seinen dunklen Augen an und ließ seinen Blick über ihren Körper gleiten. Ihr wurde bewusst, dass er sich absichtlich Zeit nahm, um ihre Kurven zu begutachten. Dass er sie absichtlich auf sexuelle Weise musterte.

Diese Erkenntnis verunsicherte sie, weil etwas tief in ihr kurz davorstand, ein Wagnis einzugehen. Jener kleine Teil von ihr, der sich unterdrückt fühlte, der auf der Party gestern gelangweilt gewesen war …

„Ein paar Dinge“, sagte er langsam. Auch seine Worte waren sorgfältig abgewogen. Ohne nachzudenken, zog sie ihre Unterlippe zwischen die Zähne und biss darauf, ehe sie mit der Zunge über die schmerzende Stelle fuhr. Woraufhin Holden sie noch eindringlicher ansah.

Sie wusste genau, was sie getan hatte. Sie hatte seine Aufmerksamkeit auf ihren Mund gelenkt, obwohl sie nicht recht wusste, was sie sich davon versprach. Oder doch. Aber das war unmöglich.

Plötzlich streckte er seine Hand nach ihr aus und nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ich weiß nicht, wie die Jungs in Ihrer Welt dieses Spiel spielen. Aber ich bin kein Mann, der durch Fotos scrollt und sich wünscht, er könnte etwas berühren. Wenn ich etwas will, nehme ich es mir. An Ihrer Stelle würde ich aufhören, Spielchen zu spielen.“

Sie stotterte nur „Ich … ich … ich …“ und stolperte rückwärts. Beinahe wäre sie mit dem Hintern ins Gras gefallen, doch Holden legte ihr seinen starken Arm um die Taille und zog Emerson wieder auf die Füße. Atemlos wurde sie gegen seinen harten Körper gepresst. Vorsichtig legte sie ihre Hand auf seine Brust. Er war ein wenig verschwitzt. Und verdammt, war das sexy!

Sie zermarterte sich den Kopf, um eine geistreiche Bemerkung zu finden, etwas, das die Situation entschärfte, aber sie konnte nicht klar denken. Ihr Herz pochte rasend schnell, und sie spürte ein Echo davon zwischen ihren Schenkeln, was es ihr unmöglich machte zu atmen. Sie fühlte sich, als würde sie eine verrückte Fantasie erleben, die sich nur in ihrem Kopf abspielte und nicht in der Wirklichkeit.

Doch Holdens Körper war warm und fest unter ihrer Hand, und es bestand kein Zweifel daran, dass sie einen echten Mann berührte.

Weil ihre Finger brannten.

Weil ihr Körper brannte.

Weil alles brannte.

Ihr fiel nichts ein, was sie sagen konnte. Das war untypisch, weil Männer sie in der Regel nicht aus der Ruhe brachten. Männer mochten sie. Sie flirteten und redeten gern mit ihr, noch lieber sogar, seit sie verlobt war. Männer betrachteten sie als kleine Herausforderung, und es kostete Emerson nichts, das Spiel mitzuspielen. Weil sie nie versucht war, mehr zu tun. Weil es nie Gefühle bei ihr weckte. Weil es nur Unterhaltung war und nicht mehr.

Doch das hier fühlte sich nach mehr an. Dieses Mehr lag schwer in der Luft, und sie konnte sich nicht erklären, warum gerade er, warum gerade jetzt. Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln, und plötzlich wusste sie es. Sein schönes, markantes Gesicht und sein Körper spielten eine Rolle. Doch vor allem war er … ein Gesetzloser. Alles, was sie nicht war.

Er war ein Mann, den es nicht kümmerte, was andere dachten. Jede seiner Gesten zeigte das deutlich, ebenso die lässige Eleganz seiner Bewegungen, sein ungezwungenes Lächeln, der warme, honigsüße Klang seiner Stimme. Wenn sie ihn in all seiner rauen Schönheit ansah, wie er perfekt in diese Umgebung passte, kam sie sich vor wie eine glänzende Hülle, in der sich nichts als ein trauriges Kind verbarg.

Er hingegen war echt. Er war wie der Berg, der hinter ihm aufragte. Stark, standhaft und unerschütterlich. Unbeirrbar. Davon wollte sie kosten.

Von ihm.

Von der Freiheit.

Sie beugte sich vor, doch er trat einen Schritt zurück. „Kommen Sie, Prinzessin“, sagte er, griff nach ihrer linken Hand und hielt sie hoch, sodass der Verlobungsring im Sonnenlicht funkelte. „Das wollen Sie nicht tun.“

Entsetzen erfasste sie, und sie trat zurück. „Ich wollte nicht … Nichts.“

Er lachte leise. „Doch.“

„Mein Verlobter und ich haben eine Übereinkunft“, erklärte sie. Im Stillen nahm sie sich vor, Donovan zu fragen, ob das tatsächlich der Fall war. Sie vermutete es, da sie einander noch nie berührt hatten. Außerdem konnte sie sich schwer vorstellen, dass Donovan in den letzten beiden Jahren enthaltsam gelebt hatte.

Du schon. Ja, die Frage musste sie unbedingt klären.

„Tatsächlich?“

„Ja“, log sie.

„Ich habe eine Übereinkunft mit Ihrem Vater, dass ich bei ihm angestellt bin. Das möchte ich ungern ausnutzen.“

„Ich bin eine erwachsene Frau“, sagte sie.

„Und was würde Ihr Daddy denken, wenn er herausfände, dass Sie den Hilfsarbeiter gevögelt haben?“

Ärger stieg in ihr auf und ließ ihre Kopfhaut prickeln. „Ich halte meinen Vater nicht über mein Liebesleben auf dem Laufenden“, gab sie zurück.

„Das Problem ist, dass Sie und ich zu seinen geschäftlichen Angelegenheiten gehören. Ich achte darauf, dass mein Liebesleben niemanden etwas angeht mit Ausnahme von mir und der Lady, mit der ich nackt bin.“

„Dass ich Sie fast geküsst hätte, bedeutet nicht, dass ich Ihnen Sex angeboten habe. Ihr Ego geht mit Ihnen durch.“

„Und Ihr Erröten verrät Sie, Schätzchen.“

Die Stimmung zwischen ihnen war angespannt und gereizt, und Emerson wusste nicht, was sie tun sollte. Das war ebenso ungewöhnlich wie ihre Sprachlosigkeit zuvor. Holden hatte recht. Er arbeitete für ihren Vater und damit auch für ihre Familie, und für sie. Nur hatte sie nicht das Gefühl, hier das Sagen zu haben. Oder die Kontrolle. Sie war diejenige mit dem Vermögen, dem Familiennamen der Maxfields, und er war nur … ein Rancharbeiter. Warum fühlte sie sich dann im Nachteil?

„Wir reiten besser weiter“, sagte sie. „Ich habe noch viel zu tun.“

„Fotos posten?“

„Aber keines von Ihnen“, erwiderte sie.

Er schüttelte den Kopf. „Nicht von mir.“

Sie stieg wieder in den Sattel, und er tat dasselbe. Auf dem Rückweg übernahm er die Führung, und sie fühlte sich ein wenig erleichtert.

Als sie wieder in ihrem Büro saß, trommelte sie mit den Fingern nervös auf dem Schreibtisch herum und bemühte sich, keine Textnachricht an Donovan zu schicken.

Klack. Klack. Lass es.

Klack. Klack. Lass es.

Dann schnappte sie sich das Handy und schrieb doch eine Nachricht.

Haben wir eigentlich eine exklusive Beziehung?

Keine Pünktchen, keine Bewegung. Sie legte das Handy ab und versuchte, nicht hinzusehen. Nach ein paar Minuten war der Benachrichtigungston zu hören.

Wir sind verlobt.

Das ist keine Antwort.

Wir leben nicht in derselben Stadt.

Emerson holte tief Luft.

Hast du mit anderen geschlafen?

Sie hatte keine Lust auf seine ausweichenden Antworten. Ihr war es egal, ob er versuchte, sich mögliche Konsequenzen zu ersparen.

Wir leben nicht in derselben Stadt. Also ja, habe ich.

Was, wenn ich es auch täte?

Was du vor der Hochzeit machst, ist deine Sache.

Sie antwortete nicht darauf, und seine nächste Nachricht folgte prompt.

Möchtest du am Telefon darüber reden?

Nein.

Ok.

Das war alles. Weil sie einander nicht liebten. Außerdem hätte sie Donovan nicht schreiben müssen, weil zwischen ihr und Holden nichts passieren würde.

Und wie stehst du zu der Tatsache, dass Donovan mit anderen geschlafen hat? Sie war sich nicht sicher. Sie wusste nur, dass sie bei diesem Gedanken kaum etwas empfand. Und dass sie jetzt einen Freifahrtschein hatte, anders konnte sie es nicht sehen. Es war doch nicht normal, dass es Donovan nichts ausmachte, dass sie ihm solche Fragen stellte. Dass sie damit klargemacht hatte, dass sie daran dachte, mit anderen zu schlafen. Und es war nicht normal, dass sie nicht eifersüchtig reagierte, wenn Donovan ihr gestand, dass er es bereits getan hatte.

Doch sie war nicht eifersüchtig. Sein Geständnis förderte auch keine verborgenen Gefühle in ihr zutage. Ihre Reaktion unterstrich nur die Tatsache, dass bei ihrem Arrangement etwas fehlte. Keiner vor ihnen hegte die Vorstellung, dass sie eine richtige Beziehung führten. Sie hatten es zugelassen, verkuppelt zu werden, doch bis zu diesem Moment war sie sicher gewesen, dass sich mit der Zeit Gefühle entwickeln würden.

Aber sie konnte nicht … Ihr Vater verlangte nicht viel von ihr. Er bot ihr endlose Unterstützung. Wenn sie ihn enttäuschte … Dann wäre sie wohl eine komplette Versagerin.

Wrens Ehemann sucht er nicht aus. Crickets auch nicht.

Wren würde sich vermutlich weigern. Emerson konnte sich nicht vorstellen, dass ihre starrköpfige Schwester dem zustimmen würde. Und Cricket … Nun ja, niemand konnte Cricket zähmen.

Ihr Vater hatte nicht ihre Schwestern gefragt. Sondern sie. Und sie hatte zugestimmt, weil das ihre Art war. Auf sie war in allen Dingen Verlass, und es war zu spät, jetzt einen Rückzieher zu machen.

Es war Irrsinn gewesen, diese Textnachrichten an Donovan zu schicken, sich Holden zu nähern, noch viel mehr. Sie hatte keine Zeit für derartiges Benehmen. Sie musste eine Kampagne auf den Weg bringen, und das würde sie tun. Weil sie wusste, wer sie war. Sie war nicht die Art von Mensch, die Männer küsste, die sie kaum kannte, kein Mensch, der sich auf rein körperliche Liebesabenteuer einließ, niemand, der professionelle Grenzen überschritt. Das einzige Problem war, dass Holden ihr das Gefühl gab, nicht sie selbst zu sein. Und das war das Beunruhigendste überhaupt.

4. KAPITEL

Emerson entwickelte sich zu einem ernsthaften Problem. Holden hatte erwartet, dass ihn alles an der Familie Maxfield abstoßen würde. Als er während des Vorstellungsgesprächs James Maxfield gegenübergestanden hatte, musste er seine gesamte Willenskraft aufbieten, um den Mann nicht zu erwürgen. Doch der Tod wäre eine zu milde Strafe. Viel lieber wäre es Holden, wenn er James im Leben komplette Erniedrigung spüren lassen konnte, ehe er ihn für alle Zeiten in der Hölle schmoren ließ.

Die Hölle war genau, was James verdiente. Holden hatte endlich gefunden, wonach er gesucht hatte – Geheimhaltungsvereinbarungen, auf die er in James’ Büro gestoßen war. Als James ihn zum Vorstellungsgespräch eingelassen hatte, hatte sich Holden den Türcode gemerkt. Anschließend musste er nur noch den passenden Moment abwarten, um sich Zutritt zu verschaffen.

Es faszinierte Holden, dass alles hier unbewacht blieb, aber es war kaum verwunderlich. Immerhin befand sich James’ Büro im Haus seiner Familie. Er vertraute seiner Familie, und warum auch nicht? Es war offensichtlich, dass Emerson nur Gutes über ihren Vater dachte. Holden nahm an, dass dies auch auf den Rest des Haushalts zutraf.

Wie vermutlich auf alle, mit Ausnahme der Frauen, die James in sein Bett gezwungen hatte. Angestellte. Allesamt jung. Alle von ihm lohnabhängig. Allen hatte er anschließend einen Maulkorb verpasst und sie mit einer Abfindung weggeschickt. Sobald Holden einen Weg gefunden hatte, wie er diese Informationen richtig einsetzen konnte, wäre James erledigt.

Doch nun stand das Problem Emerson im Raum. Holden hatte nicht damit gerechnet, dass die Anziehungskraft, die bei ihrer ersten Begegnung zwischen ihnen aufgeflammt war, bestehen bleiben würde. Außerdem war Emerson immer in seiner Nähe. Für den Job, den er angetreten hatte, um Beweise für James’ illegale finanzielle Machenschaften oder die Beziehung zwischen ihm und Holdens Schwester zu finden, musste Holden tagsüber tatsächlich arbeiten. Dafür ging viel Zeit drauf. Zudem lief ihm Emerson ständig über den Weg.

Gerade als er mit dem Ausmisten einer Box fertig war, kam Emerson in den Stall. Sie trug eine hautenge hellbraune Reithose, die sich an jede Rundung ihres Körpers schmiegte.

„Das ist mal ein anderes Reitoutfit“, sagte er.

„Heute mache ich keine Selfies“, erwiderte sie mit einem verschmitzten Lächeln, bei dem sich ihm der Magen zusammenzog.

„Sie wollen nur ausreiten?“

„Ich will den Kopf freibekommen“, erklärte sie. Dabei sah sie ihn unsicher an.

„Stimmt etwas nicht?“ Er wusste genau, was sie beschäftigte. Es war dieselbe Anziehungskraft, die er spürte, wenn Emerson in seine Nähe kam. Sie fühlte sie auch, und das machte alles nur schlimmer.

„Nein, ich muss nur … Was machen Sie eigentlich sonst? Haben Sie schon immer auf einer Ranch gearbeitet? Sie haben doch bestimmt ein Fachgebiet, sonst hätte mein Vater Sie nicht eingestellt.“

„Ich kenne mich gut mit Pferden aus.“ Das meiste, was er seit seiner Ankunft auf dem Weingut über sich erzählt hatte, war eine Lüge. Aber das hier stimmte. Schon als Jugendlicher hatte er auf Ranches gearbeitet. Inzwischen besaß er selbst eine, aber noch immer erledigte er einen Teil der Arbeit selbst. Ihm gefiel es, auf seinem eigenen Land zu arbeiten. Es war ein Geschenk, nachdem er jahrelang für andere hatte arbeiten müssen. Wenn er zusätzliche Arbeitskräfte benötigte, gab er lieber Bürotätigkeiten ab.

Schon früh hatte er eine Affinität zu Tieren entwickelt, woran sich bis heute nichts geändert hatte. Holden war nur ein armer Junge aus einer armen Familie. Er war als Cowboy geboren worden. Durch sein Händchen für Tiere hatte er seinen ersten Job auf einer Ranch bekommen, und dieser Arbeit verdankte er alles, was er heute war.

Einer seiner Arbeitgeber hatte Holden ein großes Stück Land vererbt. Es war nicht die Ranch, die Holden jetzt besaß, sondern verwahrlostes Ackerland ein paar Meilen davon entfernt. Zunächst hatte Holden nicht gewusst, was er mit dem unerschlossenen Gelände anfangen sollte. Auf dem Bezirksamt hatte er dann erfahren, dass das Land in Parzellen aufgeteilt werden konnte. Daraufhin hatte er sich mit einem Bauunternehmen zusammengetan.

Der Bau einer Wohnsiedlung war ein interessantes Projekt gewesen, obwohl ein Teil von ihm den Gedanken verabscheute, gutes Ackerland in Baugrund zu verwandeln. Doch ein anderer Teil freute sich, dass neue Häuser mehr Menschen in die Region und die Stadt bringen würden, die ihm am Herzen lagen.

Es hatte etwas Befriedigendes an sich, Wohnhäuser für Familien zu bauen. Als jemand, der zeitweise ohne ein eigenes Zuhause aufgewachsen war, war Holden die Bedeutung eigener vier Wände für das Leben eines Menschen sehr bewusst. Deshalb hatte er mit dem Bauunternehmen vereinbart, dass ein paar der Häuser ihm gehörten und er damit tun konnte, was er wollte. Vor rund zehn Jahren waren sie an wohnungslose Familien verschenkt worden. Zudem hatte jedes der Kinder ein Hochschulstipendium bekommen, das von Holdens Unternehmen finanziert wurde. Das Gleiche hatte er seitdem bei jedem seiner Bauprojekte gemacht. Er würde zwar nicht die Welt retten, aber er veränderte das Leben von ein paar Menschen zum Guten. Und er wusste genau, wie sich eine solche Veränderung auswirken konnte. Er hatte es am eigenen Leib erfahren.

Alles Gute aufzuzählen, was du in der Vergangenheit getan hast, ändert nichts an dem, was du gerade tust. Vielleicht nicht. Aber das war ihm egal. Ja, bei der Zerstörung des Maxfield-Imperiums würde auch Emerson seiner Rache zum Opfer fallen. Deshalb war es besser, an seinem Hass auf jeden festzuhalten, der mit James Maxfield in Verbindung stand.

Bislang hatte er es geschafft, der jüngsten Tochter Cricket aus dem Weg zu gehen, die ständig irgendwohin unterwegs zu sein schien. Auch Wren hatte er mehrmals gesehen, als sie zielstrebig an ihm vorbeimarschierte, nur welches Ziel sie genau verfolgte, war ihm noch nicht klar. Er wollte es auch nicht wissen. Emerson dagegen konnte er nicht aus dem Weg gehen – oder sie ihm nicht. Doch egal, wie die Begegnungen zustande kamen, ihre Wege kreuzten sich immer wieder.

„Sie müssen sich sehr gut mit Pferden auskennen“, meinte sie.

„Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich war hier, und ich wollte den Job, also hat mich Ihr Vater eingestellt.“

Sie legte den Kopf schief und musterte ihn, als wäre er ein interessantes Kunstwerk. „Sind Sie verheiratet?“

„Teufel, nein“, antwortete er. „Auf solchen Unsinn habe ich keine Lust.“

„Sie finden, Liebe ist Unsinn?“, hakte sie nach.

„Sie haben mich nicht nach Liebe gefragt, sondern nach der Ehe.“

„Gehört das nicht zusammen?“

„Glauben Sie das? Immerhin hätten Sie mich gestern fast geküsst, obwohl Sie den Ring eines anderen Mannes tragen.“ Großartig, warum hatte er das gesagt? Gar keine gute Idee unter den Umständen. Aber wenn er sie verärgerte, würde sie sich vielleicht von ihm fernhalten.

„Wie gesagt, wir haben … eine Übereinkunft getroffen.“

„Was bedeutet das?“

„Wir führen eine offene Beziehung.“

„Was ist dann der Sinn Ihrer Verlobung? Man steckt einer Frau doch nur einen Ring an, damit sie einem ausschließlich gehört. Wären Sie mit mir zusammen, würde ich bestimmt keinem anderen Mann erlauben, Sie zu berühren.“

Sie wurde rot. „Sie haben aber genaue Vorstellungen für jemanden, der keinen Sinn in der Ehe sieht.“

„Geht es dabei etwa nicht um Besitz?“

„Frauen werden nicht mehr als Vieh angesehen, also nein.“

„Ich meinte nicht, dass die Frau ein Besitzstück ist. Mann und Frau besitzen einander. Gegenseitig. Ist das nicht der Sinn des Ganzen?“

Sie lachte ungläubig. „Ich denke, der Sinn besteht oftmals in Dynastien und Verbindungen.“

„Das klingt verdammt zynisch, sogar für mich.“

Sie ging nicht darauf ein. „Also, Sie können gut mit Pferden umgehen, und Sie glauben nicht an die Ehe“, fasste sie zusammen. „Noch etwas?“

„Nicht das Geringste.“

„Wenn Sie nicht an die Ehe glauben, woran dann?“

„Leidenschaft“, antwortete er. „Solange sie heiß brennt. Aber das war es dann auch.“

Emerson nickte langsam und wandte sich von ihm ab.

„Wollten Sie nicht ausreiten?“

„Nicht jetzt. Ich muss … nachdenken.“ Ohne ein weiteres Wort lief Emerson Maxfield vor ihm weg.

Die Unterkunft war eine Bruchbude. Holden fühlte sich hier äußerst unwohl, nicht zuletzt, weil er sich aus Orten wie diesen herausgearbeitet hatte. Spartanische Unterkünfte, die nur mit einem Holzofen beheizt werden konnten. Aber er war hier, um eiskalt Rache zu nehmen, da konnte er sich auch den Hintern abfrieren. Nicht, dass er nicht wüsste, wie man Feuer machte.

Nur mit Jeans und Stiefeln bekleidet, trat er in die Dämmerung hinaus und suchte nach einer Axt. Es gab kein Feuerholz bei der Hütte. Das wäre zu praktisch gewesen, und Holden hatte den Eindruck, dass James Maxfield in jeder Hinsicht ein Arschloch war. Nicht bloß Soraya war ihm gleichgültig, sondern alle. Sogar Menschen, die auf seinem Gut lebten und für ihn arbeiteten.

Obwohl Emerson zu glauben schien, dass James sie gernhatte. Als sie erzählte, dass sie sich Anerkennung von einem ihrer Elternteile wünschte, war er überzeugt gewesen, sie meinte James. Doch allem Anschein nach war James stolz auf seine Tochter und unterstützte sie. Möglicherweise hatte er jedes Quäntchen Menschlichkeit in seiner Vaterrolle aufgebraucht. Oder Emerson kannte die Wahrheit über ihn und half, seine Fehltritte zu vertuschen, um die Marke zu schützen.

Holden wusste es nicht, und es kümmerte ihn auch nicht. Es scherte ihn nicht, was mit den Leuten geschah, die James Maxfield nahestanden. Wenn man Wasser aus einem vergifteten Brunnen trank, musste man die Konsequenzen tragen. Wenn es nach Holden ging, war jede einzelne Weinrebe auf diesem Gelände mit James Maxfields Gift vollgesogen.

Er fand eine Axt und holte kräftig aus. Das Holz vor ihm zersplitterte mit Leichtigkeit. Die Anstrengung wärmte ihn und vertrieb zumindest einen Teil seiner mörderischen Wut. Er lachte, setzte ein weiteres Holzstück auf den großen Klotz zu seinen Füßen und hieb mit der Axt zu.

„Hallo“, sagte plötzlich eine Frauenstimme. „Ich habe nicht erwartet, Sie hier anzutreffen. Unbekleidet.“

Er drehte sich um. Da stand Emerson in einem schwarzen Mantel. Ihr dunkles Haar hing offen über ihre Schultern. Sie trug High Heels, ihre Beine waren nackt. Es war kalt, und sie stand hier draußen im Matsch vor seiner Hütte.

„Was zum Teufel tun Sie hier?“ Er musterte sie von Kopf bis Fuß. „Und in diesem Aufzug?“

„Dasselbe könnte ich Sie fragen. Warum haben Sie kein Hemd an? Es ist eiskalt hier draußen.“

„Warum haben Sie dann keine Hose an?“

Sie zögerte, aber nur kurz. Dann nahm ihr Gesicht diesen hoheitsvollen Ausdruck an, den er inzwischen so interpretierte, dass sie all ihre Starrköpfigkeit zusammennahm.

„Weil ich mich nicht damit aufhalten wollte, wenn ich sie doch gleich wieder ausziehe. Zumindest hoffe ich das.“

Nur der rosige Hauch auf ihren Wangen verriet Holden, wie peinlich berührt sie war. Andernfalls hätte er sie für eine Eiskönigin gehalten, die ihn mit solcher Kälte zu verführen versuchte, dass sich Frostbeulen an seinen Eiern bildeten. Aber er sah die Wahrheit an ihren geröteten Wangen. Unter all ihrer äußerlichen Kälte stand Emerson in Flammen. Wie er.

Allerdings begriff er nicht, warum diese Frau, die Prinzessin von Maxfield Vineyards, den weiten Weg auf sich nahm und mit ihren Designerschuhen durch den Matsch stöckelte, nur um ihn zu verführen. Er blickte über die Schulter zu seiner winzigen Hütte und dann wieder zu ihr.

„Ist das Ihr Ernst?“

Ihre Wangen wurden noch röter. Verlangen und Neugier stiegen in ihm auf, und er kämpfte erst gar nicht dagegen an. Dunkle, verlockende Bilder davon, wie er Emerson in die schäbige Hütte führte und sie auf der steinharten Matratze nahm …

Die Vorstellung versprach Befriedigung in vielerlei Hinsicht. Die Tochter seines Feindes. Nackt und nach ihm bettelnd, in einer Hütte für Arbeiter, die für James so weit unter seiner Familie standen, dass er keinen Gedanken an ihre einfachsten Bedürfnisse verschwendete. Zu wissen, dass er sie da drin haben konnte, brachte Holdens Blut zum Kochen, wie es lange Zeit nur sein Zorn vermocht hatte. Er wollte sie. Mit einem widersinnigen, brennenden Verlangen, dem er geschworen hatte, nicht nachzugeben. Aber sie war hier. Vielleicht sogar nackt unter ihrem Mantel.

Sein Blick fiel auf ihre Hand. Er bemerkte, dass sie ihren Verlobungsring nicht trug. „Was spielen Sie hier für ein Spiel?“, fragte er.

„Sie haben gesagt, was zwischen Ihnen und einer Frau im Bett passiert, bleibt auch zwischen Ihnen und der Frau. Der Ansicht bin ich auch. Es geht niemanden außer uns etwas an, was hier passiert.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ich werde Ihnen jetzt die Wahrheit sagen.“

Dieser Satz traf ihn tief, denn wenn es etwas gab, was er ihr nie sagen würde, war es die Wahrheit.

„Ich liebe meinen Verlobten nicht. Ich habe noch nie mit ihm geschlafen. Weil ich nicht daran interessiert bin. Wir sind seit Jahren zusammen, leben aber an verschiedenen Orten. Jedes Mal, wenn wir das hätten ändern können, haben wir es nicht getan. Ehrlich gesagt, sind wir nicht einmal in Versuchung … Das sagt Ihnen wohl einiges über die Chemie zwischen uns. Aber das hier … Sie. Ich möchte es mit Ihnen tun. Ich denke an nichts anderes mehr, und so bin ich normalerweise nicht. Ich verstehe es selbst nicht, aber ich komme nicht dagegen an.“

„Soll ich mich etwa geschmeichelt fühlen, dass Sie sich dazu herablassen, aus Ihrem Elfenbeinturm herabzusteigen, weil Sie nicht aufhören können, an mich zu denken?“

„Ich will Sie“, sagte sie und hob trotzig das Kinn. „Sie haben mich gefragt, ob es je etwas gab, was ich nicht haben konnte. Ja. Sie. Es sollte nicht so sein, aber ich will Sie. Wenn mein Vater das erfahren würde, würde er uns beide umbringen. Meine Verlobung mit Donovan ist ihm wichtig.“

„Ich dachte, Sie hätten eine Übereinkunft“, gab er zurück.

„Donovan wäre es egal. Er weiß Bescheid, zumindest in allgemeiner Hinsicht. Ich habe ihn gefragt. Er hat es schon getan. Mit anderen geschlafen, meine ich. Es ist also keine große Sache. Mein Vater dagegen … Image ist alles für ihn, und meine Verlobung mit Donovan gehört dazu.“

Auf einmal wurde ihm klar, dass Emersons Beziehung zu ihrem Vater komplizierter war, als sie nach außen hin zeigte. Doch ihre Beziehung zu James war nicht Holdens Problem. Auch nicht, ob Emerson ein guter Mensch war oder ob sie die Verfehlungen ihres Vaters vertuschte. Das Einzige, was jetzt gerade zählte, waren sie beide.

Das Faszinierende war, dass Emerson nicht wusste, wer Holden war. Selbst wenn sie es gewusst hätte, brauchte sie nichts von ihm. Nicht in finanzieller Hinsicht. Es war schon lange her, seit ihn eine Frau aus rein körperlichem Interesse anziehend gefunden hatte. Nicht, dass er Frauen körperlich nicht gefallen hätte. Ihnen gefiel aber auch, was er ihnen sonst noch zu bieten hatte – eine luxuriöse Hotelsuite, Beziehungen, Einladungen zu angesagten Partys. Emerson wusste nichts von alldem. Wenn es nach ihr ging, wohnte er in einer heruntergekommenen Hütte, die ihm nicht einmal gehörte. Trotzdem wollte sie ihn.

Diese Erkenntnis wirkte auf ihn wie ein Aphrodisiakum. Das Wissen um ihre Unwissenheit entfaltete einen Reiz. Er hatte nicht einmal gewusst, dass es ihm wichtig war, um seiner selbst willen gewollt zu werden. Emerson hatte keinen Schimmer, dass er Holden McCall war, der wohlhabendste Bauunternehmer im gesamten Bundesstaat. Alles, was sie wollte, war ein Sprung in die Kiste. Warum sollte er dazu Nein sagen? Einerseits hätte er sie und alles, was sie repräsentierte, hassen sollen. Andererseits sprach auch einiges für eine Hassnummer.

„Lassen Sie mich ein paar Dinge klarstellen“, sagte er. „Sie haben mich noch nicht einmal geküsst. Ich weiß nicht, ob ich Sie überhaupt küssen will. Trotzdem sind Sie hergekommen, ohne zu wissen, wie das Ganze ausgeht.“

Ihr Gesicht wirkte erstarrt. Sogar jetzt, als sie ihn mit ihren blauen Augen ausdruckslos anblickte und die roten Lippen zu einem Strich zusammenpresste, war ihre Schönheit ungebrochen. Ihm wurde klar, dass da eine Frau vor ihm stand, die nicht damit umgehen konnte, wenn man ihr widersprach. Und die sich dennoch darum sorgte, was ihre Eltern von ihr und ihren Entscheidungen hielten.

„Das sollte Ihnen zeigen, wie ernst ich es meine“, erklärte sie kühl. „Wenn Sie nicht so empfinden, verstehe ich das. Sie stehen nicht kurz davor zu heiraten. Für mich könnte das hier aber die letzte Gelegenheit sein, bevor ich das Land des langweiligen, monogamen Liebeslebens betrete.“

„Dann beabsichtigen Sie, diesem Mann treu zu sein? Obwohl Sie noch nie mit ihm geschlafen haben?“

„Was wäre sonst der Sinn einer Ehe? Sie haben es selbst gesagt. Ich glaube an Monogamie. Nur fühle ich mich dazu unter den besonderen Umständen meiner Verlobung etwas … weniger stark verpflichtet.“

Holden hätte den Moment nutzen können, um ihr zu sagen, dass ihr Vater diese Ansichten über die Ehe offensichtlich nicht teilte. Doch er hatte noch nicht genügend Informationen über James gesammelt, um diesen bloßzustellen.

Autor

Nadine Gonzalez
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