Baccara Collection Band 434

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DU SETZT MEIN HERZ IN FLAMMEN von KIANNA ALEXANDER
Eine leidenschaftliche Nacht ohne Folgen – so war es zwischen Ainsley und ihrem Boss abgemacht. Doch die Erinnerung an diese Nacht hängt wie eine Gewitterwolke über ihnen. Anstatt jedoch darüber zu reden, streiten sie sich nur noch. Ainsley sieht nur einen Ausweg: Sie muss kündigen.

ZU EINER NACHT SAG ICH NICHT NEIN von NIOBIA BRYANT
Eine Millionenerbschaft ändert alles zwischen Monica und Gabe: Endlich können das arme Zimmermädchen und der erfolgreiche Koch ihrer gegenseitigen Anziehung nachgeben. Doch Gabe muss sich zwischen Liebe und Beruf entscheiden und lässt damit Monicas schlimmste Ängste wahr werden …

SO WILD UND ZÄRTLICH WIE ZUVOR von REESE RYAN
Das Feuer zwischen ihnen brennt noch so heiß wie vor einem Jahr, und dieses Mal ist Bree entschlossen, den attraktiven Wes Adams zu erobern. Doch er gibt sich ihr gegenüber verschlossen. Sie spürt, dass ein Geheimnis dahintersteckt. Kann sie es ihm in sinnlichen Nächten entlocken?


  • Erscheinungstag 13.07.2021
  • Bandnummer 434
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501026
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kianna Alexander, Niobia Bryant, Reese Ryan

BACCARA COLLECTION BAND 434

KIANNA ALEXANDER

Du setzt mein Herz in Flammen

In einer einzigen gemeinsamen Nacht hat Gages umwerfende Assistentin sein Herz in Flammen gesetzt – doch weil er das nicht zugeben konnte, hat er nun alles verloren. Denn Ainsley hat gekündigt.

NIOBIA BRYANT

Zu einer Nacht sag ich nicht Nein

Unter dem Sternenhimmel fühlt Monica sich wie eine Göttin. Die Göttin der Liebe, dem Blick von Gabe nach zu urteilen. Impulsiv zieht sie ihn für einen Kuss an sich, nicht ahnend, was sie damit auslöst.

REESE RYAN

So wild und zärtlich wie zuvor

So etwas wie mit der hinreißenden Bree hat Wes noch nie erlebt. Zu gern würde er sich dieser Beziehung von ganzem Herzen hingeben. Doch er fürchtet, dass sein Geheimnis ihnen das Happy End unmöglich macht.

1. KAPITEL

Ainsley Voss tippte im Takt eines Migos-Songs auf das Lenkrad, als sie vor der Carter G. Woodson Academy an den Straßenrand fuhr und sich in die Schlange der wartenden Autos einreihte. Es war kurz vor halb fünf an einem Freitagnachmittag, und ihr elfjähriger Sohn Cooper musste jeden Moment herauskommen. Das Baseballtraining endete immer pünktlich, da Coach Tyler Rigsby in dieser Hinsicht pedantisch war und selbst eine Familie hatte, zu der er nach Hause wollte. Ein paar Minuten später strömten Schüler durch die Glastür. Suchend ließ sie den Blick über die Menge schweifen und lächelte, als sie Cooper sah. Sein schmutziges Baseballtrikot glich zwar dem von zehn oder zwölf weiteren Kindern, doch mit seinem seitlich aufgesetzten Basecap und dem hellorangefarbenen Rucksack war er unverkennbar. Er redete mit zwei seiner Teamkameraden und schien Ainsley nicht zu bemerken. Sie wollte schon hupen, ließ es aber, als ihr einfiel, wie er sich beim letzten Mal darüber beschwert hatte.

Als die beiden anderen Jungs weggingen, sah Cooper zu ihr herüber. Er kam zum Auto und stieg ein. Sie sah ihn im Rückspiegel an und sagte: „Hallo Schatz!“

„Hey Ma.“ Er warf den Rucksack neben sich auf den Sitz und schnallte sich an. „Das Training war cool. Ich weiß, dass du mich das fragen wolltest.“

Sie lachte. „Okay. Wie war die Schule vorher?“

„Auch okay. Sozialkunde war total langweilig, aber sonst …“ Betont lässig zuckte er die Achseln.

„Verstehe.“ Langsam fuhr sie los und folgte der Wagenkolonne zur Ausfahrt. Während sie auf den Schülerlotsen achtete, fragte sie: „Gibt es sonst noch etwas?“

Nach kurzer Stille erwiderte er: „Ja, ich brauche ein paar Sachen.“

Ainsley unterdrückte ein Seufzen. Immer wenn Cooper diesen Satz sagte, wusste sie, dass es teuer werden würde. „Okay, ich höre.“

„Naja, erstens hat der Coach gesagt, ich bräuchte neue Sportschuhe, weil die Sohlen langsam abgehen. Dann machen wir in zwei Wochen die Klassenfahrt nach Washington, D.C. Hast du das vergessen?“

Sie bog nach links in den Stadtverkehr ab und zuckte zusammen. „Entschuldige, Coop. Das hatte ich wirklich vergessen. Wie viel kostet das noch mal?“

„So zweihundert, weil wir über Nacht bleiben. Das Geld und das Formular hätte ich eigentlich heute mitbringen sollen, aber Mrs. Rush hat mir bis Montag Zeit gegeben.“

Damit wäre der Mädelsabend dahin. „Noch etwas?“ Bitte lass es alles sein. Mein Portemonnaie ächzt jetzt schon.

„Nur noch eines. Kannst du ein bisschen Geld auf mein Streamingkonto laden? Damit ich den neuen Song von Boosie Badazz runterladen kann? Ich nehme auch die jugendfreie Version, versprochen.“

Während sie im dichten Verkehr von Atlanta saß und im Kopf durchrechnete, wie viel ihres schwer verdienten Geldes sie bald loswerden würde, spürte Ainsley ein leichtes Pochen in ihrer rechten Schläfe. „Ich kann ein paar Dollar einzahlen, aber das ist wirklich alles, was ich entbehren kann, Coop.“

„Ach ja, Bryce hat gefragt, ob ich heute mit ins Kino gehen will. Darf ich?“

Bryce Redford, der Sohn ihrer Nachbarn Fitz und Bebe Redford, war Coopers bester Freund. Die beiden waren wie Pech und Schwefel, lernten zusammen, trainierten zusammen und verbrachten Stunden mit Comics und Minecraft-Marathons. Sie rieb über ihre Schläfe, ohne den Blick von der Straße zu lösen. „Himmel, Coop. Ich habe gerade einen Batzen Schulgeld bezahlt, plus das Geld für eure Schulvalentinskarten. Ich bin kein Goldesel.“

„Ich weiß, Mama. Tut mir leid, dass ich so viel Zeug brauche“, sagte er mit aufrichtigem Bedauern.

Schuldgefühle nagten an ihr. „Keine Sorge, Schatz. Du kannst gehen, aber ich weiß nicht, ob ich dir Geld für Snacks geben kann.“

„Das macht nichts. Bryce kauft Snacks von seinem Geburtstagsgeld.“

Jetzt seufzte sie doch. Zwar waren nicht alle Ausgaben unbedingt nötig, aber darüber wollte sie nicht mit ihm diskutieren. Cooper stellte keine großen Ansprüche. Er war ein guter Junge, der sich in der Schule anstrengte, gute Noten bekam und keinen Ärger machte – abgesehen von gelegentlichen jugendlichen Fehlurteilen. Für einen Jungen seines Alters bot der Südwesten Atlantas reichlich Gelegenheiten, Ärger zu bekommen, doch obwohl ihm ein männliches Vorbild fehlte, war er nicht auf die schiefe Bahn geraten. Sie war stolz auf ihn und arbeitete nur deshalb so hart im Tonstudio „404 Sound“, um ihm ein gutes Leben zu ermöglichen.

Als sie zu Hause ankamen, hatte sich das Pochen in Ainsleys Schläfe in ausgewachsene Kopfschmerzen verwandelt. Sie ging nach oben zum Arzneischrank und nahm zwei Ibuprofen-Tabletten mit einer Handvoll Wasser. Dann ging sie in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Sie schlüpfte aus ihren schwarzen Wildlederpumps und tauschte ihre lavendelfarbene Bluse und den schwarzen Bleistiftrock gegen eine Leggings und ein übergroßes „Disturbing Tha Peace“-Sweatshirt. Dann stieg sie in Häschenpantoffeln und ging nach unten, um Abendessen zu machen. Gerade hatte sie den Herd eingeschaltet, um den Ofen vorzuheizen, als Cooper mit seinen weißen Ohrstöpseln in die Küche kam. Sie wusste nicht, was er hörte, da er den Text nur lautlos mit den Lippen formte. Er nahm einen Ohrstöpsel heraus. „Kochst du heute?“

„Ich wollte gerade eine Pizza reinschieben. Wir können noch einen Salat dazu essen.“

„Lass nur, Ma. Ms. Bebe holt uns Burger auf dem Weg zum Kino.“

Sie griff in ihre Hosentasche. „Hier sind zehn Dollar für deine Karte.“

Er nahm den Schein. „Danke. Ich gehe schon rüber.“

Pflichtschuldig drückte er ihr einen Kuss auf die Wange, steckte den Ohrstöpsel wieder ein und tanzte zur Hintertür hinaus. Ainsley schob die Pizza in den Ofen und setzte sich an den Küchentisch. Dann öffnete sie die Finanzplanungsapp auf ihrem Handy und gab alles ein, was Cooper heute draufgeschlagen hatte. Die Ergebnisse sahen alles andere als rosig aus, und sie runzelte die Stirn. Wenn das so weitergeht, verkaufe ich bald eine meiner Nieren online.

Sie musste ihre Karriere endlich voranbringen. Seit fünfeinhalb Jahren war sie schon Assistentin von Gage Woodson, Geschäftsführer des legendären Tonstudios 404 Sound. Sie kannte die Firma in- und auswendig, weshalb sie ein Auge auf eine Managementstelle in der Personalabteilung geworfen hatte. Falls sie den Job ergattern konnte, bekäme sie ein eigenes Büro, einen Firmenparkplatz und eine beachtliche Gehaltserhöhung. Angesichts ihrer jetzigen Lage war die Gehaltserhöhung der größte Anreiz.

Ich liebe meinen Sohn, aber der Junge kostet mich ein Vermögen!

Sie war mehr als qualifiziert für die Stelle. Es gab nur ein Problem: Gage. Ihr gut aussehender, aber unglaublich verschlossener Chef. Sie kümmerte sich schon so lange um seine Belange, dass sie nicht wusste, ob jemand anderes mit ihm klarkommen konnte oder wollte. Ihm gegenüber empfand sie eine tiefe Loyalität, was vermutlich daran lag, dass sie total verknallt in ihn war. Ja, sie war scharf auf ihren Boss, und das seit sie bei ihm angefangen hatte. Bislang hatten jedoch praktische Erwägungen und seine Tendenz, sich in seinem Büro einzuschließen, sie daran gehindert, ihren Gefühlen nachzugeben. Was würde er davon halten, wenn sie als seine Assistenz aufhörte? Wie sie Gage kannte, wäre er sauer auf sie, weil er dann einen Ersatz finden musste. Dennoch stand Cooper für sie an erster Stelle. Wenn sie den Job bekam, würde sie ihn annehmen.

Gage Woodson unterdrückte ein Gähnen, als er am Samstagmorgen um sechs Uhr fünfzehn das Licht in seinem heimischen Fitnessraum einschaltete. Zwar bemühte er sich, seine Trainingsroutine einzuhalten, doch er war kein Morgenmensch. Er ging zum Crosstrainer, setzte seine Kopfhörer auf und trat in die Pedale. Etwa zehn Minuten später schlenderte sein jüngerer Bruder Miles herein. Er trug einen schwarz-weiß gestreiften Jogginganzug und trank grünen Saft aus einem Plastikbecher.

„Morgen, Bro.“

„Zu spät, wie immer“, witzelte Gage und erhöhte den Belastungsgrad der Maschine, bis seine Oberschenkel zu schmerzen begannen. Der Rhythmus eines Goodie-Mob-Songs in seinen Ohren half ihm, durchzuhalten. „Was zum Teufel trinkst du da?“

Miles lachte. „Einen Power-Smoothie mit Aminosäuren. Alles, was hilft, oder?“

Er kletterte auf den Heimtrainer neben Gage und strampelte los. Nach dreißig Minuten wechselten sie die Geräte. Gage radelte jetzt langsamer, da seine Oberschenkel ernsthaft protestierten. Nach dem einstündigen Cardiotraining gingen sie zum Krafttraining über. Gage legte sich auf die Drückbank, während Miles Gewichte auf die Stange schob. „Bist du sicher, dass du hundertzehn schaffst? Das ist dein Körpergewicht plus fünfzig oder so.“

Gage verdrehte nur die Augen. „Mach einfach. Nicht jeder hat so schlaffe, dünne Ärmchen wie du.“

Kopfschüttelnd machte Miles weiter. Während Gage Gewichte stemmte, blieb Miles bei ihm stehen. Nach zwanzig Wiederholungen legte Gage die Stange wieder in die Halterung. „Noch Fragen?“

„Nö, du hast mich überzeugt.“ Miles tauschte mit ihm. „Aber ich bin nicht wie du, also kannst du das Gewicht auf achtzig runtersetzen. Ich kenne meine Grenzen.“

Nach dem Training saßen sie auf Gages Veranda und tranken Proteinshakes. Gage wischte sich den Schweiß von der Stirn und nahm einen großen Schluck. „Wer hat den vorläufigen Bericht zu den vierteljährlichen Ausgaben verfasst?“

„Mein leitender Buchhalter, Kali Ramirez.“ Miles sah ihn an. „Ich habe ihn aber abgezeichnet. Warum?“

„Ich komme einfach nicht über den Verlust der zehntausend Dollar hinweg, den wir wegen meiner Entscheidungen hinnehmen mussten.“

Miles verdrehte die Augen. „Niemand gibt dir dafür die Schuld. Zumindest niemand in der Finanzabteilung.“ Als Finanzdirektor verwaltete Miles das Budget des Unternehmens. „Es ist nicht deine Schuld.“

„Doch, ist es. Ich war dumm.“ Er würde sich nie verzeihen, dass er seiner Exfreundin auf diese Weise vertraut hatte, und er hielt es für seine Pflicht, das Geld zu ersetzen, das sie veruntreut hatte. „Warum hast du den Verlust als Ermessenskosten verbucht?“

„Das war Kali. Ich habe es genehmigt, weil es nicht in feste Kategorien wie Verbindlichkeiten oder Forderungen passte.“ Miles winkte ab. „Das ist doch Haarspalterei. Hier geht es nur um Begrifflichkeiten.“

„Ich weiß, aber …“

„Nein, kein Aber. Es ist Samstag. Kannst du mal fünf Minuten aufhören, über die Arbeit zu reden?“

Gage zuckte zusammen. „Entschuldige.“

„Ich weiß, es ist nicht deine Schuld, dass du so verbissen bist. Das hast du von Dad. Aber du könntest wenigstens versuchen, mal locker zu lassen. Es ist Wochenende, schönes Wetter und alles, und du bist angespannter als die Sicherheitsleute am Flughafen.“

Auch wenn es Gage widerstrebte, musste er seinem Bruder recht geben. Ihm war es schon immer schwergefallen, die Arbeit im Büro zu lassen. Mit seiner Stellung als Geschäftsführer ging große Verantwortung einher, was er nicht auf die leichte Schulter nahm.

„Hör mal. Ich habe eine Tinder-Geschichte für dich.“

Gage schüttelte den Kopf. „Hast du etwa dein Profil wieder aktiviert? Ich dachte, du kriegst nur die Goldgräberinnen ab?“

„Das war vorher. Dieses Mal habe ich ein Bild mit einer Silhouette genommen und nur eine vage Beschreibung von mir und meiner Arbeit gegeben.“ Miles rieb sich die Hände. „Ich hatte sechs Treffer in zwei Stunden. Gestern Abend habe ich diese hübsche Kleine getroffen.“

Gage hörte zu, als sein Bruder davon erzählte, wie er mit seiner „hübschen Kleinen“ etwas in einer Bar getrunken hatte, ehe sie in ein Hotel in Downtown Atlanta gegangen waren. Doch seine Gedanken wanderten wieder zur Arbeit zurück. Genauer gesagt zu seiner schönen und effizienten Assistentin Ainsley Voss. Sie hatte einen Körper, der für die Liebe gemacht schien, ein schönes Gesicht und seidiges schwarzes Haar. Doch in den über fünf Jahren, die er mit ihr arbeitete, hatte er sich ihr nie auf diese Weise genähert. Sie war einfach zu gut in ihrem Job, und er konnte es nicht riskieren, das zu ruinieren, indem er sie um eine Verabredung bat.

Seine veruntreuende Ex hatte ebenfalls bei 404 Sound gearbeitet, und in den drei Jahren, die sie zusammen waren, hatte er sich eingeredet, es wäre in Ordnung, da sie in einer anderen Abteilung tätig war. Nachdem ihm das auf spektakuläre Weise um die Ohren geflogen war, hatte er nicht vor, diesen Fehler zu wiederholen. Doch das hielt ihn nicht davon ab, Fantasien über Ainsley nachzuhängen. Meistens trug sie ihr Haar in einem hohen Dutt mit einem geraden Pony, der knapp über ihren perfekt geschwungenen Brauen endete. In seine Fantasien löste er den Dutt, sodass ihr die schwarzen Strähnen über die Schultern fielen. Dann ließ er die Finger hindurchgleiten und atmete den Duft nach frischen Blumen ein, der sie immer zu umgeben schien. Mit den Fingerspitzen strich er am Saum ihres Bleistiftrocks entlang und …

„Gage!“, rief Miles und schnippte mit den Fingern. „Hörst du mir überhaupt zu?“

Gage schüttelte den Kopf und kehrte widerwillig in die Realität zurück. „Nein, tut mir leid. Was?“

„Ich sagte, sie hatte Körbchengröße G.“ Er machte jonglierende Bewegungen mit seinen Händen.

Gage lachte. „Du bist unverbesserlich. Und wie geht es jetzt weiter, nachdem sie weiß, wer du bist?“

Miles zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Wahrscheinlich sehe ich sie wieder, schon allein wegen der Größe ihres Vorbaus.“ Er lachte. „Nein, nur ein Witz. Sie scheint nett zu sein. Ich schicke ihr in den nächsten Tagen eine Nachricht, um zu fragen, ob wir uns wiedersehen wollen.“

Angesichts der Kapriolen seines Bruders schüttelte Gage nur den Kopf. Er trank seinen Shake aus und stellte den Becher auf den Korbtisch vor sich. Ihm fiel ein, dass er die Anforderungsformulare auf seinem Schreibtisch liegen gelassen hatte und fluchte leise. Miles runzelte die Stirn. „Stimmt etwas nicht?“

Da Gage wusste, wie sein Bruder reagieren würde, wenn er wieder die Arbeit erwähnte, tat er die Sache ab. „Nein, mir ist nur etwas eingefallen, aber das hat Zeit.“

„Okay. Wollen wir zum Frühstück in diesen Pancakeladen fahren?“

„Ja, können wir machen.“ Das taten sie fast jedes Wochenende – erst trainierten sie, und dann stopften sie sich voll. „Aber vorher muss ich duschen. So verschwitzt kann ich nicht losgehen.“

„Natürlich nicht. Kein Woodson geht so auf die Straße.“ Miles stand auf und streckte sich. „Ich nehme die Dusche unten, du oben. Dann ziehen wir uns um und gehen los.“

Gage folgte seinem Bruder ins Haus. „Klingt nach einem Plan.“

2. KAPITEL

Als Ainsley am Montagvormittag die Geschäftsräume von 404 betrat, wurde sie von der üblichen gedämpften Stille empfangen. Zu den Räumen in der zweiten Etage gehörten Gages Büro, die Büros der beiden anderen Mitarbeiter der Betriebsleitung, ein kleiner Konferenzraum und ein Lobbybereich. Dort hingen Fotos von Künstlern, die bei 404 Alben aufgenommen hatten. An einer roten Akzentwand prangte ein plakatgroßes Foto des Firmeninhabers Caleb Woodson zusammen mit Todd „Speech“ Thomas, Rapper und Produzent der legendären Hip-Hop-Band Arrested Development.

Ainsley ging zu ihrem Schreibtisch in der Mitte des Lobbybereichs und legte ihre Handtasche in eine Schublade. Mit ihrem Firmentablet und Bedienstift in der Hand ging sie an den geschlossenen Bürotüren vorbei zum Konferenzraum. Wie gewöhnlich traf sie als Erste zur monatlichen Abteilungsbesprechung ein. Auf dem schwarzen Lacktisch, um den sechs Polsterstühle gruppiert waren, spiegelte sich der Kronleuchter darüber. Sie zog die Vorhänge auf, stellte eine Wasserkaraffe und Gläser in die Tischmitte und setzte sich dann rechts neben den Stuhl am Kopfende. Während sie wartete, las sie den Onlineartikel des Greater Fulton Business Journals über Shana Dresden. Nach mehr als zwanzig Jahren als Personalleiterin von 404 trat Mrs. Dresden im Frühjahr in den Ruhestand.

Mit etwas Glück bekomme ich ihre Stelle. Ich habe in der Personalabteilung angefangen und kenne die Firma wie meine Westentasche – ich bin perfekt für diesen Job geeignet.

Die Produktionsleiterin Kelly Ross kam als Erste, dicht gefolgt vom Marketingleiter Duval Anderson. Nachdem die beiden ihre Plätze eingenommen hatte, tauschten die drei morgendliche Nettigkeiten aus, wobei Ainsley den Artikel schloss und ihre Notiz-App öffnete. Minuten später betrat Gage den Raum und zog wie immer sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug, ein hellrotes Hemd und eine schwarz-grau gestreifte Krawatte. Sein Lockenschopf und Vollbart waren makellos frisiert, und als er sein Tablet auf den Tisch legte, blickte er mit seinen fesselnden braunen Augen kurz in die Runde. „Guten Morgen allerseits.“

Als sein Blick auf ihren traf, verharrte Gage kurz. Sie schluckte. Warum musste er so gut aussehen? Obwohl sie innerlich dahinschmolz, bot sie ihm ein kleines Lächeln und ein Kopfnicken zur Begrüßung. Er lächelte zurück, woraufhin sie noch mehr dahinschmolz. Er setzte sich und klatschte in die Hände. „Okay, fangen wir an. Duval, wie läuft es im Marketing?“

Duval räusperte sich. „Wir testen ein neues Layout für die Website. Außerdem haben wir die Formulare aktualisiert, mit denen Künstler und Manager Studiotouren oder Aufnahmezeit buchen können.“

„Gut. Und wie wollt ihr mehr Künstler erreichen?“, fragte Gage.

„Ich schalte auf SoundCloud Anzeigen in mehreren Versionen, um zu sehen, welche am besten funktioniert. Wir wollen Künstlern zeigen, welche Vorteile wir ihnen bieten.“

„Klingt gut. Kelly, was gibt es von der Produktionsfront zu berichten?“

Kelly zog einen Bleistift aus ihren rotbraunen Locken und klopfte damit auf ihren kleinen Notizblock. „Im Januar haben wir vier Alben produziert. Davon überschritt eines die festgelegte Aufnahmedauer, und der Künstler bezahlte für zusätzliche zwanzig Stunden.“

Gages Lächeln wurde breiter. „Pech für sie, aber unserer Bilanz hat das sicher gutgetan. Was ist mit diesem Monat?“

„Wir liegen gut in der Zeit für fünf Alben mit dreihundertsiebzig abrechenbaren Stunden, vorausgesetzt, alles läuft glatt mit den neuen Geräten für Studio 1.“

Gage kratzte sich am Kinn und sah Ainsley an. „Gibt es schon neue Informationen zu den Geräten?“

Ainsley öffnete eine App auf dem Tablet und prüfte die Trackingnummer für die Lieferung. Sie runzelte die Stirn. „Hier steht, die Lieferung ist verloren gegangen.“

Gages Augen blitzten auf. „Was?“

Sie wusste, dass er sie verstanden hatte, ihm gefiel nur die Antwort nicht. „Da steht ‚Lieferung verloren gegangen‘.“

Kelly pfiff, Duval zuckte zusammen, und Gage seufzte laut. „Dafür haben wir keine Zeit. Das Studio muss fertig sein, wenn Organized Noize mit The Visionary vor der Tür stehen.“ Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Es ist gut zehn Jahre her, dass sie einen neuen Künstler präsentiert haben. Wir können diesen Auftrag nicht verlieren.“

Sie scrollte nach unten und suchte nach Kontaktdaten. „Ich überprüfe das und rufe den Spediteur an.“

„Danke. Bis dahin ist die Besprechung vertagt.“ Gage stand auf. „Versucht, alles andere am Laufen zu halten, während wir die Sache mit den Geräten klären.“

Nachdem Kelly und Duval gegangen waren, rief Ainsley die Kundendienstnummer an und landete in der Warteschleife. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingerspitzen auf den Tisch, während ihr Boss sie eindringlich und erwartungsvoll ansah. Seine Anspannung war spürbar, doch sie konnte nur warten. Unter seinen forschenden Blicken schien sich das Warten ewig hinzuziehen. Absichtlich lehnte sie sich nach hinten und blickte zur Decke, denn wenn sie ihn ansah, würden ihr nur seine berauschenden braunen Augen begegnen. Schließlich antwortete jemand. „Was kann ich für Sie tun?“

Sofort nannte Ainsley ihren Namen, beschrieb das Problem und gab die Trackingnummer durch. Kurz war ein Tippen im Hintergrund zu hören, dann bestätigte die Kundendienstmitarbeiterin, dass die Kisten tatsächlich verschwunden waren.

„Wie ist das möglich? Und was unternimmt Ihre Firma, um unsere Lieferung zu finden oder die Sache in Ordnung zu bringen?“ Die Mitarbeiterin spulte einen Standardtext über eine Gutschrift für künftige Lieferungen ab und erklärte, dass die Kosten nach einer Bearbeitungszeit von sechs bis acht Wochen erstattet werden würden. Ainsley legte auf und sah Gage an. „Wie es aussieht, sind die Geräte wirklich verschwunden.“

„Mist.“ Gage fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Das kann ich nicht zulassen. Ich muss sofort mit Marshall Harcroft reden.“ Er kam zu ihr und beugte sich über ihre Schulter. „Bitte suchen Sie seine Nummer heraus.“

Als er näher kam, drang ihr der würzige Geruch seines Eau de Toilettes in die Nase. Seine Wärme ließ ihre Körpertemperatur ansteigen, sodass sich kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn bildeten. Er roch himmlisch, und sie konnte spüren, wie ihr Gehirn aussetzte. Nichts törnt mich mehr an als ein gepflegter, gut riechender Mann. Wie soll ich mich auf meine Arbeit konzentrieren, wenn er mir so nahe ist?

Sie rief die Nummer von Harcroft Sound Limited auf. „Soll ich sie anrufen?“

Kopfschüttelnd beugte er sich über ihre Schulter, um die Nummer anzusehen. „Das mache ich.“

Sein Unterarm streifte ihre Schulter, und sie sah Sternchen. Sie schluckte und erwiderte: „Okay, wie Sie wollen.“

Er hatte bereits gewählt und hielt sein Handy ans Ohr. „Kommen Sie mit in mein Büro. Wir müssen etwas besprechen.“

Gage hörte auf, auf und ab zu laufen, als Ainsley sein Büro betrat. Kurz bewunderte er ihre Schönheit. Das Sonnenlicht, das durch das Bürofenster fiel, ließ ihre goldene Haut fast übernatürlich schimmern. Sie trug einen marineblauen Bleistiftrock, eine gelbe Bluse und gelbe Pumps. Ihr Haar hatte sie zu dem gewohnten Dutt hochgesteckt, und an ihren Ohrläppchen glitzerten goldene Kreolen. Sein Blick traf ihren, und von dem Funkeln in ihren Augen blieb ihm fast das Herz stehen. Warum musste sie so atemberaubend aussehen?

„Sie hängen wohl noch in der Warteschleife?“

Er schluckte und versuchte, sich auf ihre Worte zu konzentrieren und nicht auf ihre glänzenden Lippen. „Ja. Ich verstehe nicht, wie sie so eine wertvolle Lieferung verlieren konnten.“

Sie zuckte die Achseln. „Wer weiß? Aber wie es aussieht, ist vom Spediteur nicht viel Hilfe zu erwarten, also ist Harcroft unsere beste Hoffnung.“ Sie schob sich eine verirrte Locke aus der Stirn, und er rieb sich über die Augen. „Das denke ich auch. Sobald jemand rangeht, hake ich nach.“

Harcroft Sound Limited, ein Fachbetrieb in San Leandro, Kalifornien, stellte alle Mischpulte und anderen Studiogeräte für 404 her. Die Techniker von Harcroft bauten jede Anlage in Handarbeit nach den Vorgaben der Auftraggeber. Ihrer Expertise verdankte 404 den einzigartigen Spitzenklang, den die Leute mit der Firma verbanden.

„Die Geräte in Studio 1 geben langsam ihren Geist auf. Nach zwanzig Jahren können wir uns darüber nicht beschweren, aber das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist eine Panne.“

„Stimmt.“ Sie verlagerte ihr Gewicht auf das andere Bein, während sie das Tablet in ihrer Armbeuge hielt. „Brauchen Sie noch etwas anderes von mir?“

Er zeigte auf einen Stuhl. „Setzen Sie sich. Wenn jemand rangeht, schalte ich den Lautsprecher ein, und Sie notieren alles, was sie sagen.“

„Ja, Sir.“ Sie setzte sich, schlug die Beine übereinander und legte das Tablet auf ihr Knie. Er drückte auf die Lautsprechertaste, sodass Warteschleifenmusik erklang. Gerade lief ein heißblütiger Latin-Titel von Herb Alpert & The Tijuana Brass. Als Gage über den Tisch hinweg Ainsley ansah, die ihren Stift wie einen kleinen Tambourstab durch ihre Finger wirbelte, musste er daran denken, wie sehr das Lied seiner Wahrnehmung von ihr entsprach. Sie war schön, anziehend, sanft und seidig mit einem kleinen Kick. Plötzlich sah sie ihn an, als hätte sie seine Gedanken gespürt. Einen Moment lang begegneten sich ihre Blicke. Ihre Lippen kräuselten sich langsam, fast unmerklich. Er schluckte. Waren diese Lippen so weich, wie sie aussahen? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Er rutschte auf seinem Stuhl nach vorn und beugte sich vor. Die Musik hörte auf, und eine weibliche Stimme sagte: „Harcroft Sound Limited, wie kann ich Ihnen helfen?“

Gage räusperte sich und lehnte sich zurück. „Guten Morgen. Hier ist Gage Woodson von 404 Sound in Atlanta. Ich muss mit Marshall sprechen.“

„Mr. Harcroft hat heute einen vollen Terminkalender …“

Er zügelte seine Frustration, da er wusste, dass die Empfangsmitarbeiterin nicht die Verantwortung dafür trug. „Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich weiß, dass Marshall jeden Morgen um sieben an seinem Schreibtisch ist. Wir vermissen eine große, teure Bestellung. Und da 404 Ihrer Firma Hunderttausende Dollar zahlt, möchte ich, dass Sie mir Mr. Harcroft ans Telefon holen.“

„Einen Moment, Mr. Woodson.“

„Vielen Dank.“ Er seufzte, als wieder Musik erklang, auch wenn es diesmal eine Jazznummer mit Ella und Louis war.

„Wenigstens ist ihre Musik ganz okay“, bemerkte Ainsley lächelnd. „Letzte Woche musste ich mir eine Akustikversion eines Songs von Snoop Doggy Dogg anhören.“

„Oh nein.“ Unwillkürlich musste er lächeln. So war sie. Sogar in den stressigsten Situationen schien sie zu wissen, wann sie Humor einbringen konnte.

„Hallo Gage?“

„Marshall, guten Morgen. Ainsley ist auch hier.“ Gage presste die Fingerspitzen aneinander. „Ich rufe an, weil unsere Geräte offenbar verloren gegangen sind.“

„Das tut mir leid, was sagt die Spedition dazu?“

„Nicht viel“, antwortete Ainsley. „Es gab wohl eine Funktionsstörung beim Trackingsystem, und die Geräte sind irgendwo zwischen Oakland und Vegas verschwunden.“

„Sch…“ Marshall klang sowohl frustriert als auch peinlich berührt. „Ich würde bis heute Nachmittag warten, um zu sehen, ob sie wieder auftauchen, entweder bei Ihnen oder im Trackingsystem.“

„In Ordnung, aber was, wenn nicht?“ Gage spürte, wie sich die Anspannung zwischen seinen Schulterblättern verstärkte.

„Leider müssten Sie eine neue Bestellung aufgeben. Kostenlos, versteht sich.“

Gage zuckte. „Gut zu wissen, Marshall. Aber nicht das Geld ist das Problem, sondern die Zeit.“ Dem würde Miles nicht ganz zustimmen. Sein zahlenversessener, budgetorientierter Bruder würde ausflippen, wenn sie für eine weitere Anlage bezahlen müssten. „Ich weiß, dass Sie sehr anspruchsvolle Arbeit leisten.“

„Stimmt. Falls nötig, können wir einen Eilauftrag daraus machen und noch ein paar Leute mehr daran arbeiten lassen.“ Marshall seufzte. „Hoffentlich wird das nicht nötig sein.“

Gage strich sich über das Gesicht. „Okay. Danke für Ihre Hilfe, Marshall.“

„Kein Problem. Sagen Sie bis siebzehn Uhr Bescheid.“

Gage legte auf und sah zu Ainsley, die Notizen auf dem Tablet machte. „Haben Sie alles mitbekommen?“ Sie nickte. „Danke. Behalten Sie das Trackingsystem im Auge. Falls es bis halb fünf nichts Neues gibt, sagen Sie mir Bescheid, damit ich Marshall verständigen kann.“

„Ja, Sir.“ Sie schob sich den Stift hinter das Ohr. „Sonst noch etwas?“

Er kratzte sich am Kinn, während er sie ansah. Aus irgendeinem Grund wollte er nicht, dass sie schon an ihren Schreibtisch zurückkehrte. In Gedanken ging er mehrere Aufgaben durch, die er ihr auftragen konnte, um sie in seinem Büro zu halten. Wenn er in diese ausdrucksstarken honigbraunen Augen blickte, fiel es ihm immer schwerer, sich zu konzentrieren. Deshalb arbeite ich so wenig wie möglich allein mit ihr. Sie ist die schönste Ablenkung, gegen die ich je ankämpfen musste. Schließlich schüttelte er den Kopf. „Nein. Sie können gehen.“

„Ich bin an meinem Schreibtisch, wenn Sie mich brauchen.“

Dann verließ sie das Büro. Ihr süßer, blumiger Duft verschwand mit ihr. Ohne sie erschien sein Büro seltsam leer. Was hatte Ainsley Voss nur an sich, dass sie ihn so durcheinanderbrachte? Normalerweise war er sehr selbstbeherrscht. Doch sobald sie in seine Nähe kam, fühlte er sich wie ein Teenager, der zum ersten Mal verliebt war. Nach über fünfjähriger Zusammenarbeit, in der er versucht hatte, seine Gefühle für sie zu leugnen oder zu unterdrücken, blieb seine Faszination für sie ungebrochen. Wenn er sich nicht irrte, empfand sie auch etwas für ihn. Doch er hütete sich davor, sich ihr zu nähern. Ihr Verhältnis als Vorgesetzter und Angestellte schloss aus, dass er sie ansprach. Sein törichtes Herz hatte ihm schon ein Desaster am Arbeitsplatz eingebrockt, und er brauchte kein zweites. Davon abgesehen würde er Ainsley nie in Verlegenheit bringen. Nein, falls zwischen uns mehr passieren soll, muss es von ihr ausgehen.

Ainsley ging zu ihrem Schreibtisch und aktivierte den Computer. Falls die Lieferung wirklich verschwunden ist, wird Gage in Panik ausbrechen. Alle wussten, wie viel von den neuen Studiogeräten abhing, und niemand trug mehr Verantwortung dafür als ihr Chef. Sie musste auf alles vorbereitet sein. Dazu rief sie Mike an, einen Praktikanten, und bat ihn, um Viertel nach vier etwas für sie zu erledigen. Dann zog sie die oberste Schublade auf und durchsuchte ihre ätherischen Öle, bis sie die passenden fand. Sie packte die Fläschchen in einen Beutel und legte ihn auf den Tisch.

Danach las sie online den jüngsten Firmennewsletter und markierte wichtige Passagen. Sie öffnete auch alle internen Memos der letzten Woche und markierte sie ebenso. Das war ihre wöchentliche Routine. So blieb sie über alles was bei 404 vor sich ging auf dem Laufenden. Sie stand auf und holte zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank im Pausenraum. Da Gage häufig vergaß, etwas zu trinken, wenn er in seine Arbeit vertieft war, stellte sie ihm eine Flasche auf den Schreibtisch. Er blickte auf und nickte ihr dankbar zu. Die andere Flasche nahm sie mit an ihren Tisch.

Zwanzig Minuten nach vier bekam sie eine E-Mail von der Spedition. Ihre Augen weiteten sich, als sie sie las. Am Ende musste sie tief durchatmen. Sie nahm den Beutel und einen Diffusor und ging in Gages Büro. Er las gerade etwas auf seinem Tablet. Als sie eintrat, sah er auf und legte das Tablet weg. „Gibt es Neuigkeiten zu den Geräten?“

„Ja.“ Wortlos stellte sie den batteriebetriebenen Diffusor auf den Schreibtisch, gab ein paar Tropfen Lavendel- und Salbeiöl in den Zerstäuber und schaltete ihn ein. Gage blickte auf den Diffusor und dann zu ihr. „Oh nein. Wenn Sie das Ding herbringen, gibt es schlechte Nachrichten.“

Sie schluckte. „Die Geräte wurden irgendwo hinter der kalifornischen Grenze aus einem Lieferwagen gestohlen. Sie haben sie eben in Reno gefunden.“

Er zog die Schultern hoch. „Sie sind vermutlich in keinem guten Zustand.“

Sie schüttelte den Kopf. „Jemand hat die Kiste aufgebrochen und das meiste gestohlen.“ Sie seufzte. „Es ist nichts übrig als ein paar lose Kabel und Plastikgehäuse.“

Er schlug auf den Tisch. „Verdammt.“ Seine Augen blitzten. „Ich fasse es nicht. Jahrelang verwenden wir dieselben Geräte. Dann rüsten wir endlich auf, und so etwas passiert? Unglaublich.“

„Ich weiß, wie schwierig das ist“, sagte sie.

„Schwierig ist gar kein Ausdruck.“ Er stand auf und fing an, auf und ab zu gehen. „Diesen Monat stehen fünf Alben an. Was sollen die Künstler jetzt benutzen? Die alten Geräte sind nicht mehr gut genug. Wir können nicht einfach …“

„Ich verstehe, dass Sie wütend sind, aber das bringt doch nichts.“ Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und versuchte, das Kribbeln zu ignorieren, als sich seine Muskeln anspannten. Sie führte ihn zu seinem Platz zurück und drückte ihn sanft nach unten. „Sie wissen, wie es läuft. Atmen Sie tief durch.“

Er runzelte die Stirn. „Ach, kommen Sie. Ich bin nicht …“

Sie legte den Kopf schräg und sah ihm fest in die Augen. „Tief einatmen.“

Er gab nach und lehnte sich zurück. Langsam und tief atmete er ein und durch den Mund wieder aus, wie sie es ihm beigebracht hatte. Ainsley sah ihm zu, bis ein Klopfen an der Bürotür sie ablenkte. Sie drehte sich um und lächelte. „Danke, Mike. Genau im richtigen Moment.“ Sie ging auf den jungen Praktikanten zu und nahm ihm den Becher ab, den sie Gage reichte. Er nahm ihn, wobei sich sein Kiefer sichtlich entspannte. „Ein Erdnussbutter-Proteinshake von Powerhouse. Wann haben Sie den bestellt?“

„Schon vor Stunden. Nur für den Fall, dass etwas schiefgeht.“

Der Anflug eines Lächelns lag auf seinem Gesicht, als er den ersten Schluck nahm. „Sie kennen mich zu gut.“

„Ich mache nur meinen Job.“ Es war mehr als das, aber sie hatte nicht vor, ihm zu gestehen, was sie empfand. Das würde ihr Verhältnis nur verkomplizieren. Er stellte den Becher ab und seufzte. „Wie es aussieht, muss ich neue Geräte bestellen. Aber dieses Mal müssen sie unbedingt heil ankommen.“

„Darüber habe ich nachgedacht.“ Sie setzte sich. „Und ich habe eine Idee …“

3. KAPITEL

Am Dienstagmorgen kämpfte sich Ainsley durch den Berufsverkehr. Während sie im Schritttempo über die Interstate 20 kroch, klingelte ihr Telefon. Sie nahm den Anruf über die Freisprechanlage an. „Hallo?“

„Hey, Cousinchen. Wie läuft’s?“

Beim Klang von Edens Stimme lächelte sie. „Hey! Du weißt, wie es hier läuft. In Atlanta ist Berufsverkehr, und die I-20 ist eine Mischung aus Parkplatz und Rennstrecke.“

Eden lachte. „In Atlanta ist immer Berufsverkehr. Das vermisse ich kein bisschen.“

„Es muss schön sein, sich von einem Chauffeur durch New York kutschieren zu lassen.“

„Das ist wahr.“ Undeutlich sprach sie zu jemandem im Hintergrund. „Meist bin ich aber mit Chanel im Studio. Für viel Sightseeing war noch keine Zeit.“

Ainsley seufzte, als vor ihr eine Ampel auf Rot schaltete. „Wie ist die Arbeit mit Chanel the Titan?“

„Viele lange Nächte. Gerade haben wir wieder durchgemacht“, erwiderte Eden gähnend.

„Darum bist du so früh wach. Du warst nicht im Bett“, sagte Ainsley lachend. „Ruh dich ein bisschen aus.“

„Das musst du mir nicht zweimal sagen. Sobald ich hier wegkomme, gehe ich in mein Hotelzimmer und falle ins Bett.“ Eden gähnte wieder. „Wie läuft’s bei der Arbeit?“

Ainsley verdrehte die Augen. „Völliges Chaos. Diese große Gerätebestellung ist verloren gegangen.“

„Ach du Scheiße.“

„Das kannst du laut sagen. Wir haben bis gestern Nachmittag gewartet, ob sie wieder im System der Spedition auftaucht.“

„Sie haben sie nicht gefunden?“

„Doch, was davon übrig war.“

Eden pfiff. „Das klingt nicht gut.“

„Du sagst es.“ Kurz berichtete sie, was passiert war.

„Gage war bestimmt nicht erfreut.“

„Er hat es besser aufgenommen, als ich dachte, aber ich weiß, dass er innerlich ausgeflippt ist. Ich habe vorgeschlagen, dass er hinfliegen soll, um die neuen Geräte persönlich nach Atlanta zu holen, und er hat mir fast den Kopf abgerissen. Keine Ahnung, wie es weitergeht.“ Ainsley dachte daran, wie angespannt sein Kiefer gewesen war, als er ihr sagte, dass er es sich nicht erlauben könne, das Büro zu verlassen, wenn bei 404 Sound alles in Aufruhr war. Trotzdem, sie hatte ihm eine handfeste Idee geliefert. Jetzt musste er entscheiden, ob er ihren Rat annahm.

„Lass dich nicht unterkriegen, Ains. Er beruhigt sich schon wieder.“

„Wenn er will, dass Studio 1 für die neuen Projekte einsatzbereit ist, hat er keine andere Wahl.“

„Da fällt mir etwas ein. Ich habe gelesen, dass Shana aus der Personalabteilung in den Ruhestand geht. Du solltest dich bewerben.“

Ainsley zögerte. „Ich habe daran gedacht, mich aber noch nicht entschieden.“

„Ainsley.“ Edens strenge Stimme klang fast wie Ainsleys Mutter. „Du hast in zwei Firmen in der Personalabteilung gearbeitet, ehe du bei Gage angefangen hast. Tu es. Du weißt, dass interne Stellenwechsel bei 404 Sound gefördert werden, und wer weiß besser als du, wie die Dinge dort laufen? Niemand. Also kümmere dich darum.“

„Jetzt geh mir nicht gleich an die Gurgel. Es ist noch Zeit. Ich muss nur noch meinen Lebenslauf überarbeiten.“

„Okay. Aber mach es vor Ende der Woche. Wir wissen beide, dass du bereit bist, ins Management aufzusteigen. Gage wird ohne dich vermutlich verloren sein, aber das ist sein Problem.“

Ainsley stimmte zu. „Du hast recht. Keine Sorge, ich kümmere mich um die Bewerbung.“

„Gut. Genug von der Arbeit, wie geht’s Coop?“

„Ihm geht’s gut, aber meine Taschen sind leer.“ Kopfschüttelnd dachte sie an all die Ausgaben, die er ihr gerade mitgeteilt hatte. „Ich habe das Gefühl, er hält mich kopfüber und schüttelt das letzte Kleingeld aus mir heraus.“

„Ich habe dir eine Kleinigkeit geschickt.“

Sie seufzte. „Das brauchst du nicht.“

„Ich weiß, aber ich will es. Weißt du noch, was ich gesagt habe, als Cooper diese OP brauchte?“

„Ja, du hast gesagt, wir stehen das zusammen durch.“

„Richtig. Und daran hat sich nichts geändert, nur weil ich in New York bin.“ Sie hielt inne. „Also, keine Einwände mehr, weil es schon erledigt ist.“

Eine App-Benachrichtigung ertönte, und Ainsley musste gegen ihre Tränen ankämpfen. „Ich hab dich lieb, Eden.“

„Ich dich auch, Ains. Bis bald.“

Ainsley hielt bei Bodacious Bean, um Gages Morgenkaffee zu besorgen. Sie holte jeden Morgen dasselbe, und als sie heute hereinkam, reichte ihr der Barista ihre Bestellung, noch bevor sie „Guten Morgen“ gesagt hatte. An der Kasse steckte sie ein Trinkgeld in das Glas und ging zum Auto zurück. Als sie im Büro ankam, klopfte sie an Gages Tür. Kurz darauf öffnete er. Gage Woodson, Mr. Verantwortung in Person. Von frühester Jugend an war er darauf vorbereitet worden, die Führung im Unternehmen zu übernehmen, und diese Vorbereitung zeigte sich in allem. Von seinen Maßanzügen bis zu seiner dominanten Präsenz schrie alles an ihm praktisch „Ich hab hier die Verantwortung“. Sein heutiger anthrazitfarbener Anzug, zu dem er ein königsblaues Hemd und eine silbergraue Krawatte trug, war keine Ausnahme.

Er lächelte. „Guten Morgen.“

„Guten Morgen.“ Sie reichte ihm den Kaffee und eine Papiertüte mit dem Gebäck, das er dienstags immer bekam, eine Scheibe Bananenbrot. Nickend drehte sie sich um und wollte gehen.

„Warten Sie.“

Sie blieb stehen. „Ja?“

„Ich wollte mich für mein Verhalten gestern Nachmittag entschuldigen.“ Er lehnte sich an den Türrahmen und legte eine Hand auf seine Brust. Sie zog die Augenbrauen hoch. Ich habe noch nie gehört, dass er sich entschuldigt hat. Er sah ehrlich zerknirscht aus.

„Okay.“

„Mein Verhalten war nicht in Ordnung. Ich habe Sie angefaucht, weil ich wegen der Geräte unter Druck stand, aber das ist keine Entschuldigung.“

Sie nickte langsam. „Das verstehe ich und betrachte es als Schnee von gestern.“

„Das weiß ich zu schätzen.“ Er räusperte sich. „Ich werde auch Ihren Rat annehmen. Wäre ich gestern nicht so aufgebracht gewesen, hätte ich es da schon getan.“

Sie schluckte. „Es freut mich, dass Sie meinen Vorschlag hilfreich finden.“

„Ja, ich wünschte nur, ich hätte es früher so gesehen.“ Sein Blick wurde eindringlicher. „Sie sind von unschätzbarem Wert für diese Firma, Ainsley. Und für mich.“

Ihr schlug das Herz bis zum Hals. „Danke.“

„Nein, ich habe zu danken.“ Er griff nach ihrer Hand und drückte sie. „Ich treffe mich heute Mittag mit meiner Mutter und meiner Schwester, um zu besprechen, wie wir Ihren brillanten Plan umsetzen.“

„Soll ich mitkommen?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich informiere Sie über alles, wenn ich zurück bin.“ Er senkte den Blick. Ainsley wand sich innerlich. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass er auf meine Lippen starrt. In ihr stieg die vertraute Hitze auf, die sie stets fühlte, wenn sie zu lange im selben Raum waren. „Gut. Dann gehe ich wieder an meinen Schreibtisch.“

Ihre Blicke trafen sich erneut, und kurz hatte sie den Eindruck, dass seine Augen verschmitzt funkelten. Dann ließ er ihre Hand los, wenn auch scheinbar widerwillig. „Gehen Sie nur. Ich wollte Ihnen nur danken.“

Als sie wegging, spürte sie seine Blicke auf ihrem Rücken. Damit er nicht sah, wie sehr er sie zum Schwitzen brachte, ging sie, so schnell ihre Pumps sie trugen. An ihrem Tisch startete sie den PC und versuchte, produktiv zu sein. Doch eine Frage ging ihr nicht aus dem Sinn: Flirtete Gage Woodson etwa mit ihr? Nach all den Jahren fängt er jetzt an zu flirten? Gerade, wenn ich mich um die neue Stelle bewerben will? Bin ich irgendwo falsch abgebogen?

Gage saß in Mary Mac’s Tea Room und las die Speisekarte. Das Lokal war eine Institution in Downtown Atlanta seit 1945. Früher gab es sechzehn ähnliche Lokale in der Stadt. Nur Mary Mac’s existierte noch und bot sowohl eine nostalgische Erinnerung an den Glamour der Zwanzigerjahre in Atlanta als auch einen Ruhepol inmitten der schnelllebigen, technologiegesteuerten Welt vor der Tür. Im Laufe der Jahre hatte er hier öfter gegessen, als er zählen konnte.

„Hierhin komme ich am liebsten zum Mittagessen“, erklärte Addison neben ihm. „Es ist so eine nette Abwechslung von allem, was im Büro passiert.“

„Stimmt, Mama.“ Nia drehte die Speisekarte um und schaute sich die Desserts an. „Außerdem ist es abends fast unmöglich, einen Tisch zu kriegen.“ Fast jeder in Atlanta wusste, dass man lange Wartezeiten einplanen musste, wenn man nach der Arbeit Lust auf Mary Macs Delikatessen hatte.

„Wie laufen die Dinge in der dritten Etage, Mom?“

Addison zuckte die Achseln. „Gut, größtenteils.“ Ihre Funktion als Vizepräsidentin der Firma war hauptsächlich eine Förmlichkeit, doch Gages Schwester Nia bezog ihre Eltern aus Liebe und Respekt in alle wichtigen Geschäftsentscheidungen mit ein. Etwas an ihrem Ton ließ Gage aufhorchen. „Gibt es ein Problem?“

„Es ist nur, dass ich anfangen sollte, die Feier zu unserem dreißigjährigen Bestehen zu planen, und die Aussicht auf die ganze Arbeit bereitet mir Sorgen.“ Sie seufzte leise.

„Es ist ein wichtiger Meilenstein. Bis dahin sind es noch ein paar Monate, und du weißt, dass wir dir alle helfen werden, wenn es zu viel wird.“ Nia trank einen Schluck Eistee. „Wir sind ein Familienunternehmen, also planen wir auch die Feier zusammen.“

Addisons Miene hellte sich etwas auf. „Danke, Nia.“

Der Kellner kam, um ihre Bestellungen aufzunehmen. Als er gegangen war, legte Gage die Arme auf den Tisch und verschränkte die Finger. „Ich nehme an, ihr habt bereits gehört, was mit unseren neuen Studiogeräten passiert ist?“

Nia machte dicke Backen. „Ja, ich habe ein Memo von Miles bekommen.“

„Was für ein Chaos. Was wollen diese Leute denn mit den Einzelteilen anstellen?“, fragte Addison kopfschüttelnd.

„Wer weiß?“ Gage konnte sich ebenfalls keine Verwendung dafür vorstellen. „Aber darum geht es nicht. Wir müssen Ersatz beschaffen, und das schnell.“

„Richtig.“ Nia setzte die ernste Miene auf, die sie stets trug, wenn sie über Geschäftliches nachdachte. „Ich vertraue der Spedition nicht. Ihre Sicherheits- und Trackingsysteme sind furchtbar.“

„Wir hätten das Transportunternehmen nie wechseln sollen“, gab Gage zu. „Das ist meine Schuld. Ich wollte einer kleineren Spedition eine Chance geben und dabei ein bisschen Geld sparen.“ Das hatte sich bitter gerächt.

Addison winkte ab. „Das hattest du nicht ahnen können. Mach dir keine Sorgen deswegen.“

Er machte sich sogar große Sorgen deswegen, behielt es aber für sich. „Wir müssen jetzt sicherstellen, dass die neuen Geräte heil und pünktlich ankommen.“

Seine Schwester nickte. „Nehmen wir wieder unsere alte Spedition?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe eine bessere Idee. Ich hole die Geräte persönlich ab.“

Das Essen kam, und für eine Weile war es still am Tisch. Schließlich fragte ihre Mutter: „Was hast du vorhin über das Abholen gesagt?“

„Ich werde alles selbst abholen. Nur so kann ich sicher sein, dass es ankommt.“

Nachdenklich kaute Nia einen Bissen Hühnchen. „Klingt vernünftig. Es ist aber ein weiter Weg nach Kalifornien.“

„Ich weiß, außerdem brauche ich Platz für die Geräte.“ Gage wischte sich mit der Serviette den Mund ab. „Deshalb wollte ich gern den Firmenjet nehmen.“

„Das sollte kein Problem sein.“

„Gut.“ Gage lehnte sich zurück.

„Max ist aus dem Urlaub zurück“, sagte Addison, während sie ihr Bratapfeldessert löffelte. „Sie wird gerne wieder durchstarten.“

Gage nickte. Maxine Kidder arbeitete seit zehn Jahren als Pilotin für die Firma. „Klingt gut.“

„Wann willst du hinfliegen?“, fragte Nia.

„Montag. Marshall hat zugesagt, dass die Bestellung bis dahin fertig ist.“ Er schob seinen leeren Teller weg. „Ich habe vor, am Montagmorgen hinzufliegen und am selben Abend wieder zurück. Wenn alles gutgeht, sollte bis Mittwoch alles einsatzbereit sein.“

„Wann sollen die Aufnahmen von The Visionary anfangen?“ Nia strich sich mit der Hand über ihre kurzen Locken, ehe sie den Kellner heranwinkte und um die Rechnung bat.

„Am Montag darauf. Das ist knapper, als mir lieb ist, aber das ist nicht zu ändern.“ Solange das Studio 1 einsatzbereit war, bevor der Künstler kam, sollte es in Ordnung sein. „Das lasse ich mir nicht entgehen. Organized Noize in unserem Studio zu haben, ist eine große Sache.“

„Definitiv.“ Nia nahm die Rechnung entgegen und öffnete die Ledermappe. „Nicht nur wegen der Einnahmen, sondern wegen der Publicity, die eine Zusammenarbeit mit solch einem legendären Produzententeam einbringt.“ Nachdem sie ihre Kreditkarte in die Mappe gelegt hatte, sagte sie: „Lass Ainsley die elektronische Anforderung ausfüllen, und ich bitte Ariel, Max zu kontaktieren.“

„Okay.“ Ainsleys Namen zu hören, rief ihm ihr Bild vor Augen. Sie war der Inbegriff von Schönheit und Selbstbeherrschung. Ihre witzigen Kommentare waren ein Lichtblick und heiterten ihn bei langweiligen Sitzungen auf. Seit Kurzem fiel ihm auch der Duft auf, der sie wie eine Wolke umgab. Er konnte nicht sagen, was es war, vielleicht ein neues Parfüm, eine Creme oder ein Haarpflegeprodukt. Der Duft war eine berauschende blumige Mischung, die er tief einatmete, wann immer sie den Raum verließ.

„Es war eine gute Idee, die Geräte selbst abzuholen“, sagte Addison lächelnd.

„Danke, Mom.“ Er dachte daran, dass es Ainsleys Vorschlag gewesen war, aber da er ihr bereits gedankt hatte, wollte er dem Gespräch keine peinliche Wendung geben, indem er sie erwähnte. Doch er hatte eine andere Idee, die ihnen beiden zugutekäme. Ainsley sollte mit mir nach Kalifornien kommen.

Nach ihrer Mittagspause fuhr Ainsley mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss und ging zum Abholschalter der Poststelle. Die zuständige Mitarbeiterin Mallory Evans schaute auf und lächelte. „Hallo Ainsley. Wie geht’s?“

„In der Geschäftsführung gab es ein kleines Drama, aber ich kann mich nicht beklagen.“ Sie nahm einen Stift aus dem Becher auf dem Schalter und unterzeichnete das Logbuch.

Mallory pfiff. „Ja, schon gehört. Die Sekretärin der Firmenchefin war vorhin hier. So ein Pech wegen der Geräte, aber wenigstens nimmt Ihr Boss den Firmenjet, um die neuen Sachen selbst abzuholen.“ Sie durchsuchte die Unterlagen auf ihrem Tisch und zog einen blauen Ordner heraus. „Hier sind die Briefe für Ihre Abteilung. Warten Sie kurz. Ich habe hinten noch ein paar Pakete für Sie.“

Lächelnd sah Ainsley zu, wie Mallory rasch den Raum durchquerte. Immer wenn sie in die Poststelle kam, konnte sie sich darauf verlassen, das Neueste aus der Firma zu erfahren, und Mallorys Informationen hatten sich schon mehrfach als wertvoll erwiesen. Nachdem sie den Rest der Post bekommen hatte, kehrte sie ins Büro zurück. Überrascht sah sie, dass Gage an ihrem Schreibtisch wartete. „Hi Gage. Brauchen Sie etwas?“

Er drehte sich zu ihr um und sah ihr in die Augen. „Ja. Ich wollte Ihnen sagen, dass ich die Reise nach Kalifornien plane.“

„Dann setzen Sie meine Idee in die Tat um?“

„Ja, wie ich es gesagt hatte. Die Idee ist wirklich gut.“ Er hielt inne. „Außerdem wollte ich Sie fragen, ob Sie mich vielleicht begleiten möchten.“

Abrupt blieb sie stehen. Eines der Pakete rutschte ihr aus der Hand und fiel zu Boden. „Wirklich?“

„Ja.“ Er kam zu ihr und hob das Paket auf. „Ich glaube, das Ganze geht viel reibungsloser, wenn Sie dabei sind.“

Sie schluckte. Ihr Herz pochte schneller bei dem Gedanken, mit ihrem gut aussehenden Boss in der engen Kabine des Firmenjets zu sitzen. Doch ihre vernünftige Seite gestattete ihr nicht zu viel Aufregung. Könnte sie sich davon abhalten, etwas zu sagen oder zu tun, was ihr Verhältnis unangenehm machen würde? Etwas, das ihre Beziehung dauerhaft ändern würde und sich nicht ungeschehen machen ließe?

„Ainsley?“

Unter seinem prüfenden Blick stammelte sie nur: „Ich … ja, ich schätze schon.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Ich muss es wissen, damit ich Max sagen kann, dass sie alles für zwei Passagiere vorbereiten soll.“

„Wann?“

„Montag.“ Er las die Adresse auf dem Paket, das er aufgehoben hatte, und klemmte es sich unter den Arm. „Durch die Geschichte mit der ersten Bestellung sind wir in Verzug geraten, also muss ich die Geräte so schnell wie möglich holen. Studio 1 muss fertig werden.“

Sie holte tief Luft, ging zu ihrem Schreibtisch und legte die Post ab. „Wie lange wären wir weg?“

„Nur einen Tag. Mein Plan ist es, hinzufliegen, den Papierkram zu erledigen, die Geräte sicher zu verstauen und am selben Tag zurückzufliegen.“

Sie überlegte kurz. „Dann muss ich nur Bebe fragen, ob sie sich nach der Schule um Cooper kümmern kann. Solange das klappt, sollte ich mitkommen können.“

Er lächelte. „Schön. Können Sie mir bis Geschäftsschluss heute Bescheid geben?“

Sie nickte. „Ich schicke Bebe eine Nachricht.“

Sein Lächeln wurde breiter. „Gut. Ich freue mich wirklich darauf.“ Er zeigte auf den Poststapel. „Ist noch etwas für mich dabei?“

Sie sah die Briefe durch und reichte ihm drei.

„Danke, Ainsley. Sie sind die Beste.“ Zwinkernd verschwand er in den Korridor.

Bilde ich mir das nur ein, oder ist er übertrieben charmant? Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen und versuchte, sich zu beruhigen. Gage hatte etwas an sich, was sie schon an ihrem ersten Arbeitstag bemerkt hatte, aber immer noch nicht benennen konnte. Je länger sie in seine Augen sah, desto mehr berührte es sie … was es auch war. Sie schickte eine Nachricht an Bebe und dachte nach. Wollte er sie wirklich dabeihaben, um das Geschäftliche zu regeln? Oder wollte er Zeit mit ihr verbringen? Sie war schon früher bei Geschäftsreisen mit Gage und anderen Mitgliedern der Geschäftsleitung mitgeflogen. Nun würde sie zum ersten Mal allein mit ihm reisen. Er hatte sich immer wie ein Gentleman verhalten, sodass sie sich deswegen keine Sorgen machte. Was sie beunruhigte, war ihr eigenes Verhalten. Doch im Grunde hatte sie ja bereits zugestimmt.

Bebe antwortete – sie war einverstanden. Ainsley holte tief Luft und ging in Gages Büro, um ihn zu informieren.

4. KAPITEL

Am Donnerstagnachmittag saß Ainsley wieder in Gages Büro und machte Notizen auf ihrem Tablet, während er Anweisungen für ihre Reise nach Kalifornien gab. Ich war nicht wirklich überrascht, als er mich gebeten hat, mitzukommen. Sie war schon ewig nicht mehr im Urlaub gewesen und würde einen Gratisflug quer durchs Land nicht ablehnen, schon gar nicht in einem Privatjet.

Gerade telefonierte Gage mit der Firmenpilotin. „Max, ich freue mich, dass Ihr Flugplan nächste Woche noch frei ist. Wir brauchen Sie aber nur am Montag. Was halten Sie von einem kurzen Abstecher nach Kalifornien und zurück?“

Max lachte, ehe sie antwortete: „Das würde ich nicht als kurzen Abstecher bezeichnen. Es sind gut vier Stunden pro Strecke. Aber es klingt toll.“

„Sehr schön. Sobald wir bei Harcroft waren und unsere Geräte verstaut haben, können wir nach Hause fliegen. Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht bis zum Abend wieder zurück sein sollten.“

„Verstehe. Wann wollen Sie starten?“

Er sah Ainsley an. „Können Sie bis acht Uhr dreißig fertig sein?“

Sie nickte. „Das geht.“ Coopers Bus fuhr um zehn nach sieben.

„Können wir acht Uhr dreißig abheben?“, wandte sich Gage an Max.

„Ich notiere es mir. Sonst noch etwas?“

„Nein.“

„Okay, dann bis Montag.“ Dann legte Max auf.

„Nachdem das geklärt wäre“, sagte er und sah Ainsley an, „sorgen Sie bitte dafür, dass Folgendes an Bord ist.“ Sie notierte, was er aufzählte. Die Liste umfasste hauptsächlich seine Proteinshakes, Snackriegel für den Muskelaufbau, frisches Obst und Mineralwasser. Er achtet sehr auf seinen Körper. Das kann ich ihm nicht verdenken. Als sie ihren Blick über seinen Körper schweifen ließ, dachte sie, dass es sich definitiv lohnte, ihn in Form zu halten.

„Ich spreche besser noch mal mit Marshall.“ Er griff zu seinem Bürotelefon. „Ehe wir die Reiseplanungen fortsetzen, vergewissere ich mich lieber, dass die Nachbestellung pünktlich fertig wird.“

Während er mit Marshall sprach, versuchte sie, sich nicht vorzustellen, wie er beim Workout aussah. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Gage mit nacktem Oberkörper auf dem Laufband, während Schweißtropfen über seinen muskulösen Rücken rannen.

„Ainsley?“ Seine Stimme riss sie aus ihrem Tagtraum.

„Verzeihung, was sagten Sie?“

„Ich habe gefragt, wie alt Ihr Sohn ist. Wird er am Montag allein zurechtkommen?“

Seine Frage überraschte sie, Gage erkundigte sich selten nach ihrem Kind. „Oh. Ja. Cooper ist elf. Meine Nachbarin kümmert sich um ihn, bis ich heimkomme.“

„Wie ist das so? Einen elfjährigen Sohn zu haben? Ich habe nicht viel Erfahrung mit Kindern.“

Sie zuckte die Achseln. „Es ist ein Abenteuer. Er ist alt genug, um vieles selbst zu machen, aber jung genug, um manchmal noch auf Hilfe angewiesen zu sein.“

„Zum Beispiel?“

„Er hat einen eigenen Hausschlüssel, aber er vergisst ihn mindestens einmal die Woche. So etwas.“

„Verstehe.“ Er lachte. „Ich ziehe jedenfalls meinen Hut vor Ihnen. Ich weiß nicht, wie Eltern das schaffen. Es erscheint mir wie eine Menge Arbeit, die nicht bezahlt wird.“

Da hatte er nicht unrecht. Trotzdem störte sie etwas an der Art, wie er es gesagt hatte. „Ehm, danke?“

„Glauben Sie mir, es ist ein Kompliment. Meine Geschwister nerven unsere Eltern immer noch, und wir sind alle erwachsen.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich schätze, es ist unbezahlte Arbeit, bei der man nie in Rente geht.“

„Apropos Kinder, Sie wissen, dass die Kinder von der Keystone-Mittelschule heute eine Hausführung machen, oder?“ Sie sah ihn an, um seine Reaktion abzuschätzen. Er schluckte. „Ist das heute?“

Sie nickte. „Es stand im Kalender. Ich habe Ihnen letzte Woche eine Erinnerung geschickt. Und gestern. Und heute Morgen.“ Schaut er sich die Nachrichten überhaupt an, die ich ihm schicke?

„Ich hab’s vergessen. Das Gerätedrama hat mich so beschäftigt, dass ich nicht daran gedacht habe.“ Er fuhr sich mit der Hand über den Kopf. „Ich muss keine Rede halten oder so etwas?“

„Nein. Die Kinder sind nur ein oder zwei Stunden da. Sie besichtigen das Gebäude und schauen sich an, wie die Arbeit in einem Tonstudio abläuft, sowohl in der Kabine als auch in den Büros.“ Sie hatte sich auf den Schulbesuch gefreut. Sie liebte Kinder, und ihre Anwesenheit wäre eine nette Abwechslung zur gelegentlich faden, ernsten Büroatmosphäre. „Sie schauen hier nur kurz herein.“

„Ich hoffe, wir werden vorgewarnt, ehe sie auftauchen.“ Gage stand auf und rückte sein Sportjackett zurecht. „Ich möchte vorher informiert werden, bevor sie herkommen und alles auf den Kopf stellen.“

Sie runzelte die Stirn. Wo war das Problem? Ja, es waren Kinder, aber schon ältere, etwa in Coopers Alter. Sie waren deutlich reifer und weniger unfallanfällig als ihre jüngeren Zeitgenossen. „Ich bitte Kim am Empfang, mich anzurufen, wenn die Schüler hochkommen. Brauchen Sie sonst noch etwas?“

„Nein. Sie können wieder an Ihren Schreibtisch gehen.“ Er lächelte sie schief an. „Warnen Sie mich bitte, bevor die Kinder kommen, okay?“

„Mache ich.“ Sie stand auf und ging zurück an ihren Schreibtisch. Gegen drei bekam sie einen Anruf, dass die Schüler hochkämen. Leise klopfte sie an Gages Tür und lächelte, als er öffnete. „Die Kinder kommen.“

Er holte tief Luft und sah auf seine Uhr. „Okay. Ich kann nur ein paar Minuten entbehren. Ich treffe mich mit meinen Dad zum Abendessen, und bei dem Verkehr muss ich spätestens um vier hier raus sein.“

Während sie sich fragte, warum die Aussicht, ein paar Zwölfjährige zu unterhalten, ihren Boss so nervös machte, ging sie zur Eingangstür und wartete. Ein paar Minuten darauf erschien eine Gruppe mit ungefähr zehn Schülern und ihrer Begleiterin. Ainsley öffnete die Tür. „Ich bin Ainsley Voss. Willkommen bei 404 Sound.“

Die Lehrerin, eine Frau mit rabenschwarzem Haar, weißer Haut und leuchtend rotem Lippenstift, schüttelte ihre Hand. „Ich bin Ms. Madison. Danke, dass Sie uns empfangen.“

Nach einem kurzen Gespräch mit Ms. Madison führte Ainsley sie und ihre Schüler durch die Geschäftsräume und ließ sie Fragen stellen. Kurz trafen die Schüler Duval und Kelly, ehe Ainsley sie wieder in die Lobby brachte, um auf Gage zu warten. Als er erschien, trug er eine Sonnenbrille, die er sich auf den Kopf geschoben hatte, sowie eine Aktentasche und Schlüssel. „Guten Tag, ich bin Gage Woodson, Geschäftsführer von 404 Sound.“ Er hielt kurz inne, als erwartete er, dass die Kinder klatschten. Als sie es nicht taten, sprach er weiter, wobei er etwas verärgert klang. „Hat jemand von euch Fragen zu dem, was ich hier mache?“

„Sind Sie nicht der Sohn des Gründers?“, fragte ein Junge mit blonden Spitzen an seinen Dreadlocks.

Gage nickte. „404 ist ein Familienunternehmen. Alle Führungskräfte sind meine Geschwister.“

„Dann machen Sie bestimmt nicht viel. Sie können ja nicht gefeuert werden oder so.“ Der Junge lachte über seinen eigenen Witz.

Umgehend rief ihn Ms. Madison zur Ordnung. „Andrew! Das ist unhöflich und ein inakzeptables Benehmen.“

Gage verzog das Gesicht. Dann rückte er seine Sonnenbrille zurecht und sagte: „Ich habe einen dringenden Termin. Es hat mich gefreut, euch kennenzulernen. Viel Spaß in der Schule und so weiter.“ Sein Kiefer war angespannter als eine Klaviersaite, als er an allen vorbeimarschierte und zur Tür hinausging. Kopfschüttelnd sah Ainsley ihm nach. Ich kann nicht glauben, dass er sich so verhält. Es sind doch nur Kinder. Immer wenn sie anfing zu glauben, Gage wäre perfekt, bewies er ihr das Gegenteil. Sie konnte sich nicht weiter nach einem Mann verzehren, der keine Lust hatte, sich mit Kindern zu beschäftigen. Denn es ging nicht nur um sie. Sie musste an Cooper denken.

Gage stand in der Schlange am Tresen von Chef Rob’s Caribbean Café & Upscale Lounge und schaute auf die Speisekarte. An den in Orange- und Rottönen gestrichenen Wänden des Restaurants hingen mehrere jamaikanische Kunstwerke. Neben ihm stand sein Vater Caleb, der ebenfalls mit der schweren Aufgabe beschäftigt war, aus den zahlreichen Köstlichkeiten von Chef Rob etwas auszuwählen. Die Stimme seines Vaters lenkte Gage ab. „Danke, dass du hergekommen bist, Junge.“

„Gerne doch, ich lasse mir nie die Chance entgehen, die leckeren Frühlingsrollen hier zu essen.“ Er rieb sich über den Magen, um seine Worte zu unterstreichen. „Die gibt’s sonst nirgendwo.“

Lachend sah Caleb wieder auf die Speisekarte. Nachdem sie bestellt hatten, setzten sie sich in eine der Sitznischen.

„Also, was ist der Anlass, Dad?“

„Ich wollte mich nur mit dir unterhalten. Ich weiß, dass du in ein paar Tagen nach Kalifornien fliegst, um unsere Geräte abzuholen.“

„Ja. Ich will nicht noch einmal riskieren, dass sie nicht ankommen.“ Er trank einen Schluck Limonade. „Ich bleibe einen Tag dort, um sicherzugehen, dass alles für die Session von The Visionary bereit ist.“

„Hervorragend. Es freut mich, dass du das so ernst nimmst.“ Caleb legte die Hände auf den Tisch und verschränkte die Finger. „Weil wir uns wirklich keine weiteren Fehler erlauben können.“

Gage zuckte zusammen, weil die Worte wehtaten. Doch er schüttelte das Gefühl schnell ab. „Du hast recht, und ich habe nicht vor, noch einen Fehler zu machen. Deshalb fliegen Ainsley und ich auch nur für einen Tag. Wir fliegen hin, holen die Geräte und sind abends wieder da.“

Calebs Braue zuckte. „Ainsley?“

„Ja, sie kommt mit. Alles, was das Betriebliche bei 404 betrifft, befindet sich auf ihrem Tablet. Wenn ich sie mitnehme, können alle elektronischen Formulare viel schneller ausgefüllt werden. Das Gleiche gilt für alle nötigen Arrangements, um die Geräte im Studio aufzubauen.“

„Ich weiß nicht, ob sie unbedingt mitkommen muss.“

„Nein, Dad, nicht unbedingt. Aber alles geht viel reibungsloser und schneller, wenn sie es tut.“ Er runzelte die Stirn und fragte sich, warum sich sein Vater plötzlich darüber zu sorgen schien, wie Gage seine Abteilung führte. „Gibt es ein Problem?“

Caleb seufzte, doch bevor er etwas sagen konnte, wurde ihr Essen gebracht. Als die Kellnerin die Rasta Pasta servierte, lächelte er und bedankte sich. Gage tat das Gleiche, während er seine Frühlingsrollen mit Shrimps und gedämpftem Red Snapper begutachtete. Er nahm ein paar Bissen, ohne den Blick von seinem Vater abzuwenden.

„Junge, ich weiß, dass du nicht gern darüber redest, was zwischen dir und Tara passiert ist.“

Gage spürte, wie sich sein Kiefer anspannte. „Warum erwähnst du es dann? Sofern es nichts Neues in der Sache gibt?“

„Weil es Bezug zu dem hat, worüber wir gerade sprechen.“ Caleb nahm einen Happen von seiner Pasta.

„Ich wüsste nicht, wieso.“ Du hast recht, ich will nicht über Tara reden. Das eine Mal, als er seine persönliche Regel gebrochen hatte, nicht mit jemandem aus der Firma auszugehen, hatte es sich böse gerächt.

„Du standst ihr näher, als es angemessen gewesen wäre, und das ist nach hinten losgegangen.“ Caleb schwieg kurz. „Normalerweise würde ich dir keine Vorwürfe machen, aber da die Firma einen finanziellen Schaden davongetragen hat, kann ich nicht darüber hinwegsehen.“

Gage schnaubte spöttisch. Ich stand ihr nahe. Ich habe sie geliebt. Zumindest dachte ich das. Sie hatte ihm etwas vorgemacht und seine Zuneigung ausgenutzt. „Was hat das hiermit zu tun? Zwischen Ainsley und mir läuft nichts.“

„Im Moment.“ Caleb aß weiter und sah Gage mit jenem wissenden Ausdruck an, den er immer aufsetzte, wenn er wusste, dass er recht hatte.

Gage seufzte. „Okay, ich gebe zu, dass Ainsley attraktiv ist.“ Wunderschön, wenn ich ehrlich bin. „Aber ich kann mich sehr wohl beherrschen. Außerdem ist es nur eine kurze Tagesreise.“

„So ist es geplant. Doch die Dinge laufen selten wie geplant.“ Kopfschüttelnd konzentrierte sich Caleb auf sein Essen und schwieg, bis sein Teller leer war. „Du weißt, dass ich die Wahrheit sage, Gage. Du hörst es sicher nicht gern, aber es ist zu deinem Besten. Jeder gute Vater würde dasselbe tun.“

„Ich verstehe, dass du besorgt bist. Aber, wie gesagt, da ist nichts zwischen uns.“

Caleb legte den Kopf auf die Seite. „Willst du das ernsthaft behaupten, so als hätte ich nie gesehen, wie du sie ansiehst?“

Gage runzelte die Stirn. „Was? Wann?“

„In Meetings. Bei mehr als einer Gelegenheit habe ich gesehen, wie du sie beobachtest.“

„Damit beschäftigst du dich in Meetings?“

Sein Vater zuckte die Achseln. „Nach all den Jahren sind Meetings nicht mehr wirklich aufregend, also suche ich mir anderweitig Unterhaltung.“

„Ehrlich, Dad?“ Er bewarf seinen Vater mit seiner zerknüllten Serviette. Caleb lachte. „Im Ernst, es ist schwer, es nicht zu bemerken. Und sie sieht dich auch an.“

Das gab ihm zu denken. Sagt er die Wahrheit, oder übertreibt er, um zu beweisen, dass er recht hat?

„Ich sage ja nur, dass du vorsichtig sein sollst. Lass aus der Geschäftsreise nichts Komplexeres zwischen euch beiden werden.“

„Keine Sorge.“

„Das hoffe ich.“

Gage dachte an Ainsley und musste lächeln. Sie war professionell, effizient und wunderschön. Zudem konnte sie auf zauberhafte Weise genau im richtigen Moment etwas Witziges sagen, bevor er ausflippte. Jeder, der sie traf, mochte sie – sie war der Klebstoff, der seine Abteilung zusammenhielt. Nein, ich weiß es besser, als etwas mit ihr anzufangen.

„Da du Tara schon erwähnst, gibt es Neuigkeiten in dem Fall?“

„Ja. Unser Ermittler hat Tara unweit von Cleveland aufgespürt, doch sie behauptet, sie hätte das Geld für medizinische Behandlungen ihres Neffen ausgegeben.“

Gage fluchte. „Und jetzt? Verklagen wir sie? Kommt sie ins Gefängnis?“

Caleb schüttelte den Kopf. „Zusammen mit Nia haben deine Mutter und ich beschlossen, die Klage fallenzulassen.“

„Was? Warum?“

„Ihre Schwester ist alleinerziehende Mutter eines kleinen Kindes, das gesundheitlich viele Probleme hat.“ Caleb wischte sich über das Gesicht. „Das rechtfertigt zwar nicht, was Tara getan hat, aber unser Anwalt meint, dass wenig bis keine Aussicht besteht, dass wir das Geld von Tara je zurückbekommen.“

„Das ist mir egal. Dann verklage ich sie selbst. Sie kann nicht einfach so davonkommen.“ Seine Exfreundin war mit einem Haufen Firmengeld verschwunden. Dafür hatte sie nur ihren Job verloren. Sein Verlust war ungleich größer: Er hatte das Vertrauen seines Vaters verloren. Das würde er nicht wieder zulassen. Nein, ich kann mich auf keinen Fall mit Ainsley einlassen. Sie ist nicht wie Tara, aber eine Beziehung zu einer Kollegin wird nicht gut enden. Das Risiko konnte er nicht eingehen.

5. KAPITEL

Kurz nach sieben am Montagmorgen stand Ainsley daneben, als sich Cooper für die Schule fertig machte. „Beeil dich. Du solltest schon auf dem Weg zur Bushaltestelle sein.“

„Ja, ja.“ Er rannte die Treppe hoch.

„Bring eine Jacke mit!“ Sie wartete unten an der Treppe, während die Haustür offen stand. Wenn der Bus kam, ehe Cooper fertig war, konnte sie dem Fahrer signalisieren, dass sie noch einen Moment brauchten. Dann kam Cooper die Treppe heruntergetrabt, den Riemen seiner Schultasche in einer Hand, die Jacke in der anderen. Ainsley runzelte die Stirn. „Es ist frisch draußen. Zieh die Jacke an.“

„Du hast gesagt, ich soll eine Jacke mitbringen“, meckerte er. „Kann ich sie nicht einfach tragen?“

Sie seufzte. Viele der Mütter, deren Söhne im Baseballteam waren, beklagten sich über die Abneigung ihrer Kinder gegen Jacken. Wieso bestanden Jungs darauf, ohne Grund zu frieren? „Es bringt nicht viel, wenn du die Jacke in der Hand hältst. Zieh sie an. Du kannst sie ausziehen, wenn du in der Schule bist.“ Er zog die Stirn kraus und presste die Lippen aufeinander, schlüpfte aber in die Jacke. „Danke.“ Sie beugte sich vor und küsste seine Stirn. „Wir sehen uns heute Abend. Tu, was Bebe dir sagt, während ich weg bin.“

„Schon klar, Mom.“ Er warf sich die Schultasche über und murmelte etwas. Sie wusste, was er gesagt hatte, konnte aber nicht widerstehen, ihn aufzuziehen. „Was hast du gesagt?“ Sie legte eine Hand um ihr Ohr.

„Hab dich lieb“, wiederholte er, als er zur Tür hinausrannte.

„Hab dich auch lieb“, rief sie ihm nach. Er erreichte den Bürgersteig gerade, als der Bus vorfuhr. Sie sah zu, wie er einstieg und der Bus wegfuhr. Dann machte sie die Tür zu und ging nach oben. Im Schlafzimmer frischte sie ihr Make-up auf und zog eine hellbraune Strickjacke über ihr einfaches burgunderrotes Midikleid. Unten nahm sie ihre Handtasche und Schlüssel sowie eine Tasche mit dem Proviant, den sie für die Reise besorgt hatte, und ging los. Nachdem sie die Sachen im Auto verstaut hatte, ging sie nach nebenan zu Bebe. Die Redfords waren seit sieben Jahren ihre Nachbarn, seit Eden und sie das Haus gekauft hatten. Bebe war kurz für Beatrice. Sie leitete eine Marketingfirma von zu Hause aus, während ihr Ehemann Fitz bei einem Autohändler in der Stadt arbeitete. Nach dem zweiten Klopfen öffnete Bebe. Sie war zierlich und hatte helle Haut und kurze rote Haare. Gerade hielt sie eine Tasse Kaffee in der Hand. „Morgen, Ainsley. Bist du startklar für deine Reise?“

„Ja, solange mein Boss nicht in letzter Minute noch irgendetwas verlangt, müsste ich alles haben.“

„Gut. Möchtest du reinkommen und einen Kaffee trinken?“

„Ich kann nicht. Wir wollen in weniger als einer Stunde abheben, und ich muss noch zum Flughafen fahren.“ Sie streckte die Arme aus und drückte Bebe kurz. „Nochmals vielen Dank, dass du dich um Cooper kümmerst.“

„Kein Problem, Süße. Gute Reise.“ Zwinkernd und lächelnd schloss Bebe die Tür.

Ainsley stieg ins Auto und fuhr zum Flughafen DeKalb-Peachtree. Trotz des morgendlichen Verkehrs bewunderte sie wieder einmal die Szenerie der Stadt. Sie konnte sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Als sie schließlich am privaten Teil des Flughafens ankam, den 404 nutzte, stellte sie das Auto auf einen der fünf Parkplätze und stieg aus. Ainsley nahm ihre Sachen und ging zum Flugzeug. Die Tür war offen, und die Treppe stand bereit, also ging sie an Bord. Drinnen sah die Maschine noch eindrucksvoller aus als von außen. Auf jeder Seite des Ganges befanden sich vier große Ledersitze. Hinten sah sie eine Minibar und einen kabinenartigen Konferenzbereich. Sie ging zur Minibar und verstaute Gages Snacks und Getränke.

„Ainsley, wir haben uns lange nicht mehr gesehen!“

Sie drehte sich um und lächelte, als sie Max aus dem Cockpit kommen sah. „Hallo Max. Wie geht es Ihnen?“

„Ich kann mich nicht beklagen. Vor allem, seit mich die Woodsons in diesen mondänen Flieger gesteckt haben. Sie ist eine Schönheit, nicht?“

„Definitiv“, erwiderte sie lachend.

„Ich nenne sie Swingin’ Ms. D.“ Max rieb sich die Hände.

„Ach, nach Dinah Washington.“

Max schien beeindruckt. „Offensichtlich kennen Sie die Jazzlegenden. Ja, sie ist wie Dinah. Wohlgeformt, elegant, und sie bewegt sich wie ein Traum.“ Lächelnd verschwand sie wieder in ihre Domäne.

Ainsley setzte sich vorn rechts auf den Fensterplatz und legte den Sicherheitsgurt an. Wo blieb Gage? Er hatte doch die Abflugzeit vorgeschlagen. Kurz überlegte sie, ob sie ihn anrufen sollte, entschied sich aber dagegen. Er ist alt genug, um zu wissen, wo er sein sollte. Dann zog sie ihr Tablet aus ihrer Handtasche und öffnete den Urban-Fantasy-Roman, den sie gerade las. Sie hatte einen viereinhalbstündigen Flug vor sich, sodass sie das Buch bis zur Landung schaffen müsste. Gerade hatte sie eine neue Seite angefangen, als Gage mit seinem kleinen Aktenkoffer in der Hand eilig das Flugzeug bestieg. Er trug einen hellbraunen Anzug und ein weißes Hemd ohne Krawatte. Seine Sonnenbrille steckte in seinen wilden Locken. „Morgen, Ainsley. Wie ich sehe, waren Sie schneller als ich.“

„Ich wollte Sie nicht warten lassen.“

Autor

Kianna Alexander
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Niobia Bryant
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Reese Ryan
<p>Reese Ryan schreibt Liebesgeschichten, die nicht nur sexy und gefühlvoll sind, sondern in denen sie auch von kleineren Familiendramen erzählt. Reese ist im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten geboren und aufgewachsen, ihre Familie hat aber auch Wurzeln in Tennessee.</p>
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