Baccara Exklusiv Band 196

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VERLANGEN, DAS FÜR IMMER BRENNT von JANICE MAYNARD

Um das Baby ihrer verstorbenen Schwester adoptieren zu können, bittet Hattie ihre Jugendliebe Luc Cavallo, sie zu heiraten. Der attraktive Millionär lässt sich auf die Scheinehe ein, in der Hoffnung, durch eine Überdosis Nähe endlich von Hattie loszukommen. Doch gegen brennendes Verlangen gibt es kein Heilmittel!

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  • Erscheinungstag 24.07.2020
  • Bandnummer 196
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726805
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Janice Maynard, Emilie Rose, Kristi Gold

BACCARA EXKLUSIV BAND 196

1. KAPITEL

Es war ein heißer, sonniger Morgen, doch Hattie Parker war viel zu verzweifelt, um das zu bemerken.

„Ich muss bitte mit Mr. Cavallo sprechen“, sagte sie und fügte dann der Genauigkeit halber hinzu: „Mr. Luc Cavallo. Es ist dringend.“

Die etwa dreißigjährige Assistentin, die einen eisblauen Hosenanzug trug, warf ihr aus nicht minder eiskalten Augen einen skeptischen Blick zu. „Haben Sie einen Termin?“

Hattie biss die Zähne zusammen. Vor der jungen Frau lag ein geöffneter Terminkalender aus feinstem Leder. Die Assistentin wusste mit Sicherheit genau, dass sie es mit einer unerwünschten Besucherin zu tun hatte, die es einzuschüchtern galt.

Besänftigend schaukelte Hattie das Baby auf ihrer Hüfte hin und her und zwang sich zu einem Lächeln. „Sagen Sie ihm bitte, dass Hattie Parker ihn sprechen will. Ich habe zwar keinen Termin, aber Luc wird mich trotzdem empfangen wollen. Wenn Sie ihm also bitte ausrichten würden, dass ich hier bin?“ Was genau genommen von vorne bis hinten gelogen war. Sie hatte keine Ahnung, ob Luc sie sehen wollte oder nicht. Zwar hatte es Zeiten gegeben, zu denen er der reinste Traumprinz gewesen war und ihr jeden Wunsch von den Lippen abgelesen hatte. Doch diese Zeiten waren vorbei.

Mittlerweile war es gut möglich, dass er ihr einfach die Tür vor der Nase zuknallen würde. Trotzdem hoffte Hattie, dass er sich wenigstens so weit an ihre schönen Momente erinnern konnte, um ihr für ein paar Minuten zuzuhören. Damals waren sie nicht gerade im Guten auseinander gegangen, aber Luc war ihre einzige Hoffnung. Und Hattie hatte wirklich alle anderen Optionen in Betracht gezogen – die legalen wie die illegalen. Ihr blieb nur diese einzige Chance. Sie würde sich also nicht kampflos geschlagen geben, wenn Lucs Sekretärin sich weigerte, sie zu ihm vorzulassen.

Der Gesichtsausdruck der Frau blieb unverändert abweisend. Von ihrem akkuraten aschblonden Nackenknoten über die vollkommene Nase bis hin zum Make-up und den sorgfältig manikürten Fingernägeln war sie die Perfektion in Person. Voller Verachtung musterte sie Hatties zerzaustes blondes Haar, den kakifarbenen No-Name-Rock und die rosafarbene Baumwollbluse. Auch ohne die Sabberflecken auf der Schulter hätte Hattie in diesem Outfit wohl kaum mit Stilbewusstsein punkten können. Aber es war einfach unmöglich, wie aus dem Ei gepellt auszusehen, wenn man rund um die Uhr ein Kleinkind mit sich herumtrug.

Hatties Beine fühlten sich an wie Pudding. Der stoisch wirkende Sicherheitsmann in der Lobby hatte darauf bestanden, dass sie den Kinderwagen unten abstellte. Mit ihren sieben Monaten wog Deedee schon eine ganze Menge, und Hattie war besorgt und zutiefst erschöpft. Um genau zu sein, war sie am Ende ihrer Kräfte. Die letzten sechs Wochen waren die Hölle auf Erden gewesen.

Sie holte tief Luft und fuhr fort: „Entweder Sie lassen mich zu Mr. Cavallo durch, oder ich lege den größten Wutanfall aufs Parkett, den Atlanta seit Scarlett O’Hara gesehen hat.“ Am Ende ihrer Drohung zitterten ihre Lippen zwar ein bisschen, aber sie hoffte, trotzdem Eindruck hinterlassen zu haben. Die arrogante Hexe blinzelte irritiert. Zwar nur ein einziges Mal, aber das reichte, um Hattie zu verraten, dass sich das Machtgefüge soeben zu ihren Gunsten verschoben hatte. Die Assistentin stand mit einem resignierten Seufzen auf. „Warten Sie hier.“ Dann verschwand sie in den endlosen Tiefen eines Flurs.

Hattie vergrub ihre Nase in Deedees süß duftenden goldenen Haaren. „Keine Angst, mein Schatz. Ich lasse nicht zu, dass jemand dich mir wegnimmt.“ Deedee lächelte und gab damit den Blick auf ihre beiden neuen unteren Schneidezähne frei – im Augenblick die einzigen, die sie hatte. Seit einigen Wochen brabbelte sie immer wieder einzelne, unzusammenhängende Silben, und Hattie liebte ihren kleinen Spatz von Tag zu Tag mehr.

Die Wartezeit kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Doch als Lucs Assistentin endlich zurückkehrte, waren laut Wanduhr nicht einmal fünf Minuten verstrichen. „Mr. Cavallo wird Sie jetzt empfangen“, verkündete sie missmutig. „Aber er ist ein viel beschäftigter Mann, und er muss sich heute Vormittag noch einer Vielzahl von wichtigen Verpflichtungen widmen.“

Während Hattie der jungen Frau den Flur entlang folgte, konnte sie nur mit Mühe den kindischen Impuls unterdrücken, ihrem schmalen Rücken die Zunge herauszustrecken. Ein dicker dunkelroter Teppich verschluckte die Geräusche ihrer Schritte. Vor der zweiten Tür hielt die Assistentin inne. „Sie dürfen eintreten.“ Sie würgte die Worte förmlich hervor, so schwer fiel es ihr, sie über die Lippen zu bringen.

Hattie holte tief Luft, um ihren Ärger abzubauen. Dann gab sie Deedee einen Kuss auf die Wange. „Showtime, mein Schatz.“ Deutlich forscher, als sie sich eigentlich fühlte, klopfte sie an die Tür und betrat den Raum, ohne eine Antwort abzuwarten.

Luc leitete ein millionenschweres Unternehmen. Mit Krisensituationen umzugehen, gehörte für ihn zum Tagesgeschäft. Und seine schnelle Reaktionsfähigkeit war durch den permanenten Kriegszustand in der Großwirtschaft nur noch geschärft worden.

Demzufolge war es nicht leicht, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aber als Hattie Parker in seinem Büro erschien, schlug ihm das Herz bis zum Hals, seine Muskeln verkrampften sich, und für einen kurzen Moment verschlug es ihm tatsächlich den Atem.

Seit mehr als einem Jahrzehnt hatte er sie nicht mehr gesehen. Und sie war noch immer genauso schön wie mit zwanzig. Zart gebräunte Porzellanhaut, dunkelbraune Augen, in denen kleine Bernsteinsprenkel blitzten. Endlos lange Beine und seidiges blondes Haar. Es war allerdings viel kürzer als damals. Heute reichte es ihr nicht einmal mehr bis zu den Schultern.

Luc achtete darauf, dass sie nicht um seinen breiten Mahagonisekretär herumkam. Er brauchte diese Distanz, diesen Schutzwall.

Im ersten Moment war sein Schock über das plötzliche Auftauchen der Frau, die er einst geliebt hatte, so groß, dass er das Kind überhaupt nicht bemerkte. Doch dann traf ihn die Eifersucht mit einem Schlag – härter und tiefer, als er nach all den Jahren für möglich gehalten hätte. Verdammt! Hattie hatte ein Kind. Und das bedeutete, dass es auch einen Mann in ihrem Leben gab.

Er konnte kaum glauben, wie sehr ihre Anwesenheit ihn aus dem Konzept brachte. Er hatte doch schon vor vielen Jahren mit ihr abgeschlossen. Aber warum hatte er dann das Gefühl, dass der Sauerstoff im Raum knapp wurde? Und warum raste sein Puls wie verrückt?

Er blieb stehen und schob die Hände in die Hosentaschen. „Hallo, Hattie“, sagte er betont gelassen.

„Hallo, Luc“, erwiderte sie sichtlich nervös.

Er wies auf den Stuhl, der ihm am nächsten war, und bedeutete ihr, sich zu setzen. Einen kurzen Moment lang konnte er einen Blick auf ihre Oberschenkel erhaschen, weil ihr Rock hoch rutschte. Das Baby klammerte sich an ihr fest, und Hattie rutschte auf dem Stuhl herum, bis sie den Rock wieder zurechtgezupft hatte.

Er musterte ihr Gesicht und wartete bewusst ab, bis das Schweigen unangenehm wurde. Hattie Parker war von einer natürlichen Schönheit, die nicht betont werden musste, um bezaubernd zu wirken. Selbst in der eher schlichten Kleidung, die sie trug, hätte in einem Raum voller attraktiver Frauen jeder Mann nur Augen für sie gehabt.

Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der Hattie ihm alles bedeutet hatte.

Und es ärgerte ihn, dass die Erinnerungen immer noch schmerzten. „Was machst du hier, Hattie? Es ist Ewigkeiten her, dass wir das letzte Mal miteinander geschlafen haben. Du wirst mich ja wohl kaum davon überzeugen wollen, dass das Baby von mir ist.“

Angesichts seines Hohns wurde sie bleich. Luc bekam zwar sofort ein schlechtes Gewissen, aber er musste nun mal alle Waffen nutzen, die ihm zur Verfügung standen. Der Luc von heute war nicht verletzlich und würde es auch nie wieder werden.

Sie räusperte sich. „Ich brauche Hilfe.“

Erstaunt hob er eine Braue. „Und dann kommst du ausgerechnet zu mir? Dabei müsste ich doch der Letzte auf deiner Liste sein.“

„Um ehrlich zu sein, warst du das auch. Aber meine Lage ist ernst, Luc. Ich stecke in großen Schwierigkeiten.“

Er verlagerte sein Gewicht. „Wie heißt sie denn?“

Sein Gedankensprung irritierte Hattie sichtlich. Es dauerte einen Augenblick, bis sie antwortete. „Das hier ist Deedee.“

Luc musterte das Baby. Er konnte keine großen Ähnlichkeiten mit Hattie erkennen. Wahrscheinlich kam es eher nach dem Vater. Er beugte sich vor und drückte auf die Gegensprechanlage. „Marilyn, würden Sie bitte für einen Augenblick hereinkommen?“

Als Luc seine nächste Bitte aussprach, hätte er nicht sagen können, welche der beiden Frauen entsetzter wirkte. Denn nachdem Marylin sein Büro betreten hatte, wies er auf das Baby und sagte: „Würden Sie sich bitte für ein paar Minuten um die Kleine kümmern? Ihr Name ist Deedee. Ms. Parker und ich haben einige ernste Angelegenheiten zu besprechen, und ich habe nicht viel Zeit.“

Es war offensichtlich, dass Hattie protestieren wollte, aber dann setzte sie das Baby doch widerwillig auf Marilyns Arm. „Hier ist das Fläschchen. Sie wird langsam hungrig. Und das Tuch hier brauchen Sie auch, für das Bäuerchen. Schließlich werden Sie ja keine Flecken auf Ihrem schönen Hosenanzug wollen.“

Luc war sich sicher, dass seine Assistentin mit dem Kind zurechtkommen würde. Marilyn mochte zwar kalt wie ein Fisch sein, aber sie war gleichzeitig auch der Inbegriff der Effizienz.

Nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, ließ sich Luc in seinen ledernen Schreibtischsessel sinken. Es war eine Sonderanfertigung, perfekt auf die Maße seines langen, sehnigen Körpers abgestimmt. Dann lehnte er sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und hob sie nachdenklich ans Kinn. „Also, raus mit der Sprache, Hattie. Was kann so schrecklich sein, dass du ausgerechnet mich um Hilfe bitten musst? Wenn ich mich recht entsinne, hast schließlich du mich sitzen lassen, nicht umgekehrt.“

Sie errötete und rang die Hände. „Müssen wir wirklich darüber sprechen? All das ist so lange her.“

Achselzuckend erwiderte er: „Na gut, dann konzentrieren wir uns eben auf die Gegenwart. Warum bist du hier?“

Als sie begann, nervös an ihrer Unterlippe herumzuknabbern, wich Luc ihrem Blick aus. Warum in Gottes Namen konnte er sich immer noch so lebendig daran erinnern, wie es war, diese fein geschwungenen Lippen zu küssen? Seine Hände in ihren seidigen Locken zu vergraben? Jeden Zentimeter ihrer weichen warmen Haut zu berühren? Er schluckte schwer.

Unsicher suchte Hattie seinen Blick. „Erinnerst du dich noch an meine ältere Schwester Angela?“

Er runzelte die Stirn. „Vage. Ihr zwei habt euch nicht sonderlich gut verstanden, oder?“

„Unser Verhältnis ist enger geworden, nachdem unsere Eltern gestorben sind.“

„Oh, davon wusste ich nichts, Hattie. Mein Beileid.“

Für einen kurzen Moment traten ihr Tränen in die Augen, aber sie kämpfte erfolgreich dagegen an. „Danke. Mein Stiefvater ist einige Jahre nach meinem Uniabschluss gestorben. Lungenkrebs. Er hat zwei Schachteln Zigaretten am Tag geraucht, das hat sich irgendwann gerächt.“

„Und deine Mutter?“

„Ohne Dad ist sie nicht gut zurechtgekommen. Er hat sich ja bis zu seinem Tod um alles gekümmert, und als er dann fort war, war sie einfach völlig überfordert. Am Ende hatte sie einen Nervenzusammenbruch und musste eingewiesen werden. Leider ist sie bis zu ihrem Tod nicht wieder entlassen worden. Angela und ich haben das Haus verkauft und auch sonst alles, was Mom und Dad besessen haben. Aber es hat hinten und vorne nicht gereicht. Ich habe mich praktisch ruiniert, um die Kosten für ihre Versorgung zusammenzubekommen.“

„Und Angela hat dir nicht geholfen?“

„Sie war der Meinung, dass wir den Staat für unsere Mutter Sorge tragen lassen sollten … vor allem, nachdem Mom irgendwann vollständig in ihrer eigenen Welt gelebt und uns nicht mal mehr erkannt hat.“

„Es gibt eine Menge Leute, die deiner Schwester zustimmen würden.“

„Aber ich nicht. Ich kann doch meine eigene Mutter nicht im Stich lassen.“

„Und wann hast du sie verloren?“

„Letzten Winter.“

Er warf einen Blick auf ihre linke Hand, aber er konnte keinen Ring entdecken. Was für eine Rolle spielte ihr Ehemann bei alldem? War Deedees Vater so ein Mistkerl, dass er Hattie verlassen hatte, um sie nicht mehr unterstützen zu müssen? Und was war mit dem Baby?

Plötzlich war die Situation sonnenklar: Hattie wollte sich Geld leihen. Sie war stolz und unabhängig, und wenn sie ihren Stolz mit Füßen trat, indem sie hierher gekommen war, musste sie tief in der Klemme stecken.

Er stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und beugte sich vor. Niemand, der ihre gemeinsame Vorgeschichte kannte, hätte ihm einen Vorwurf daraus gemacht, wenn er sie hochkant aus seinem Büro geworfen hätte. Aber obwohl er bittere Erinnerungen an Hattie hatte, brachte er es nicht über sich, grundlos grausam zu sein. Besonders nicht, wenn ein Kind im Spiel war. Und auch wenn es albern war: Der Gedanke, dass Hattie in seiner Schuld stehen und dass es doch so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit geben würde, gefiel ihm irgendwie. „Du hast schwere Zeiten hinter dir“, sagte er ruhig. „Ich leihe dir gerne so viel Geld, wie du brauchst. Zinsfrei und ohne dass du mir eine Erklärung schuldest. Um der alten Zeiten willen.“

Ein ungläubiger Ausdruck erschien auf Hatties Zügen. „Wie bitte?“

„Deswegen bist du doch gekommen, oder? Um dir Geld zu leihen. Kein Problem, wirklich! Wofür habe ich denn all das Geld auf meinem Konto, wenn nicht, um einer alten Freundin aus der Klemme zu helfen?“

Nun stand ihr das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. „Nein, nein, nein“, haspelte sie und sprang auf. „Ich will kein Geld von dir, Luc. Darum geht es gar nicht.“

Er war ebenfalls aufgestanden, umrundete seinen Schreibtisch und blieb schließlich vor Hattie stehen – so nahe, dass er ihr Parfüm riechen konnte. Sie trug noch immer denselben Duft wie damals. Die Erinnerung schmerzte. Luc hob die Hände und legte sie sanft auf Hatties Schultern, die ein wenig zitterten.

Nur wenige Zentimeter trennten sie voneinander. „Dann sag mir, worum es geht, Hattie. Was willst du von mir?“

Sie reckte trotzig das Kinn. Hattie war groß für eine Frau, und so konnte er ihr direkt in die braunen Augen sehen. Ihr Atem ging nun stoßweise, und Luc konnte das schnelle Pochen ihrer Halsschlagader sehen.

Vorsichtig drückte er ihre Schultern. „Na, komm schon, spuck es aus. Was ist los?“

Sie leckte sich mit der Zunge über die Lippen. Gott, Luc kam es so vor, als wäre es erst Tage her, dass er Hattie zuletzt gesehen hatte. Plötzlich überfluteten ihn die Erinnerungen, gute wie schlechte.

Er war nicht weniger überrascht als Hattie, als er ihr unvermittelt einen zarten Kuss auf die Wange gab. Jetzt war er ihr so nahe, dass er das Kirscharoma ihres Lipgloss’ riechen konnte. „Hattie?“

Bei seinem Kuss hatte sie die Augen geschlossen, doch jetzt hob sie die Lider und suchte seinen Blick. Sie wirkte erstaunt, gleichzeitig aber auch verärgert und … ja, resigniert.

Nach langem Schweigen rümpfte sie die Nase und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich möchte dich bitten, mich zu heiraten.“

Hastig nahm Luc seine Hände von ihren Schultern. Sein Gesichtsausdruck wirkte weiterhin gefasst. Nur in seinem Blick war ein kurzer Anflug von Überraschung zu beobachten, doch auch dieser verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war. Die meisten Männer hätte Hatties Bitte wohl völlig aus der Fassung gebracht.

Aber Luc Cavallo war nun einmal nicht wie die anderen.

Seine von einem teuren Anzug verhüllten Schultermuskeln spannten sich an. Der weiche, fein gewebte Wollstoff stammte garantiert aus der Eigenproduktion. Durch das Textilimperium, das von Lucs Großvater in Italien gegründet worden war und seinen Hauptsitz heute in Atlanta hatte, waren die Cavallo-Brüder reich geworden.

Luc verzog die Lippen zu einem fast schon verächtlichen Lächeln. „Soll das ein Witz sein? Ist hier irgendwo eine versteckte Kamera?“

Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Sich ihrer Vergangenheit zu stellen, fiel ihr schwerer, als sie angenommen hatte. Sie fühlte sich ausgeliefert und verletzlich. „Nein, kein Witz. Es ist mein blutiger Ernst. Ich muss dich heiraten, um Deedee in Sicherheit zu bringen.“

Luc sah sie erstaunt an. In seiner Stimme schwang Sorge mit. „Große Güte, Hattie! Was ist denn los? Bedroht euch der Vater? Hat er euch etwa schon etwas angetan? Los, erzähl schon!“

Seine heftige Reaktion ließ sie schaudern. Hätte sie wirklich einen gewalttätigen Mann gehabt, wären seine Tage zweifellos gezählt gewesen. Hattie beeilte sich, ihre Situation zu erklären. „Es ist kompliziert“, murmelte sie etwas hilflos. „Aber nein, es ist nicht so, wie du denkst.“

Er strich sich durch sein dunkles glänzendes Haar. Im selben Augenblick piepste die Erinnerungsfunktion seines Blackberrys, und Luc warf dem Gerät einen gehetzten Blick zu. „Ich habe leider gleich einen wichtigen Termin“, erklärte er. „Offensichtlich lässt sich dieses Thema nicht in fünfzehn Minuten klären. Kannst du für heute Abend einen Babysitter organisieren?“

„Ungern. Deedee hat in der letzten Zeit eine ganze Menge mitgemacht. Im Moment klebt sie förmlich an mir, und ich will sie so wenigen Veränderungen wie möglich aussetzen.“ Und abgesehen davon, wollte sie auf keinen Fall mit Luc Cavallo allein sein. Die wenigen Minuten, die ihre Begegnung bislang gedauert hatte, hatten die unangenehme Wahrheit ans Licht gebracht. In irgendeinem entlegenen Winkel ihres Herzens versteckte sich noch immer die Hattie, die völlig verrückt nach diesem Mann gewesen war. Und sie lauerte nur darauf, eine Chance zu bekommen und heilloses Chaos in Hatties Gefühlswelt anzurichten.

Luc rückte seine Krawatte zurecht und trat wieder hinter seinen Schreibtisch. „Dann lasse ich dir einen Wagen schicken.“ Als sie schon den Mund geöffnet hatte, um zu protestieren, fügte er hinzu: „Mit Kindersitz. Wir werden bei mir zu Hause essen und reden. Und die Haushälterin kann auf das Kind aufpassen.“

So klar und einfach seine Worte auch gewesen waren: Hattie bekam plötzlich kaum mehr Luft. War all das ihr Ernst? Hatte sie wirklich vor, Luc von einer Ehe zu überzeugen? Was für eine Schnapsidee! Dieser Mann hatte überhaupt keinen Grund, ihr auch nur zuzuhören. Außer vielleicht Neugier. Aber warum hatte er sie dann nicht umgehend vor die Tür gesetzt?

Und warum in Gottes Namen übte dieser Mann, der ihr einst das Blaue vom Himmel versprochen hatte, noch immer eine magische Anziehungskraft auf sie aus?

2. KAPITEL

Was zog man denn nur an, wenn man jemandem einen vollkommen unromantischen Heiratsantrag machen wollte? Während Deedee ihr Mittagsschläfchen machte, wühlte Hattie sich durch den winzigen Kleiderschrank in ihrer ebenso winzigen Wohnung, obwohl sie ganz genau wusste, dass sie hier kein Kleid finden würde, mit dem sie Luc Cavallo beeindrucken konnte. Das einzige ansatzweise angemessene Kleidungsstück in ihrem Besitz war ein schwarzes Etuikleid aus glänzendem Baumwollstoff, das sie auf den Beerdigungen ihrer Eltern getragen hatte. Vielleicht konnte sie das Teil ja mit ein paar Accessoires aufmotzen.

Aus der Schmuckschatulle, die sie schon seit ihrer Kindheit besaß, kramte sie den einzigen Gegenstand hervor, bei dem es sich nicht um billigen Modeschmuck handelte. Die zarte Platinkette glänzte noch immer so strahlend wie an dem Tag, an dem Luc sie ihr geschenkt hatte. Hattie legte sie sich um und schob den von kleinen Diamanten umrahmten Perlenanhänger zurecht.

Obwohl es viele Tage gegeben hatte, an denen sie nicht mehr wusste, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollte, hatte sie es niemals übers Herz gebracht, die Kette zu verkaufen. Sie war die einzige Erinnerung an ihre Vergangenheit mit Luc, daran, was hätte sein können. Sie strich über die Perle und ließ ihre Gedanken schweifen.

Sie hatten die Nachmittagskurse an der Emory geschwänzt und waren mit einer Decke und einem Picknickkorb in den Piedmont Park geschlendert. Sie war damals Stipendiatin, seine Familie hatte die gesamte Fakultät für bildende Künste finanziert.

Und wie sie da so in der warmen Frühlingssonne lagen und sich lebendig und frei und ein bisschen verwegen fühlten, beugte sich Luc über sie und gab ihr einen von diesen zarten Küssen, von denen sie nicht genug bekommen konnte. Er lächelte, und seine Augen leuchteten vor Glück. „Ich habe ein Geschenk für dich. Weil heute so ein besonderer Tag ist.“

„Ein besonderer Tag?“

Er strich ihr über die Wange. „Vor sechs Monaten haben wir uns kennengelernt. Du hast diesen Minikürbis auf dem Markt gekauft. Ich habe dir angeboten, ein Gesicht hineinzuschnitzen. Du hast gelacht – und da wusste ich es.“

„Was denn?“

„Dass du die Richtige bist.“

Ihr Lächeln verblasste. „Collegejungs sollten die Kerben in ihren Bettpfosten zählen und keinen romantischen Nonsens verbreiten.“

Plötzlich wirkte Luc nicht mehr ganz so gut gelaunt. „Du vergisst, dass ich italienische Vorfahren habe. Die Romantik liegt uns im Blut.“ Als er mit den Schultern zuckte, bereute sie es, den Augenblick verdorben zu haben. Gott, was wünschte sie sich, dass er es ernst meinte! Aber ihre Mutter hatte ihr eingetrichtert, dass alle Männer nur das Eine wollten. Und Hattie hatte ihr bedenkenlos geglaubt.

Ihre Beziehung zu Luc Cavallo war das Beste, was ihr jemals passiert war. Er war ihr erster Freund, und sie liebte ihn so sehr, dass es fast schon wehtat. Aber trotzdem hatte sie niemals aufgehört, sich zu schützen. Sie musste ihren Abschluss machen, ihren Notendurchschnitt halten. Und sich auf einen Mann zu verlassen, bedeutete letzten Endes nur Kummer.

Luc zog eine kleine, türkisfarbene Schachtel aus seiner Hosentasche und reichte sie Hattie wortlos.

Wenn ihr eine höfliche Ausrede eingefallen wäre, hätte sie sie wohl ungeöffnet zurückgegeben. Aber er sah sie so gespannt an, dass sie ihre Zweifel abschüttelte und den Deckel abnahm. In der Lederschachtel lag eine teure Halskette von erlesenem Geschmack.

Natürlich kannte Hattie Tiffany’s. Im Herbst war sie sogar in der Filiale an der Philips Plaza gewesen, mit einer Freundin, die ein Hochzeitsgeschenk suchte. Hattie hatte sich fehl am Platz gefühlt. Hier gab es nichts, was sie sich auch nur ansatzweise hätte leisten können.

Und jetzt das.

Luc ignorierte ihr Schweigen und nahm die Kette aus der Schachtel, um sie ihr um den Hals zu legen. Hattie trug ein rosafarbenes Top, und die Perle rutschte in ihr zurückhaltend hochgeschlossenes Dekolleté. Luc gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Sie steht dir.“

Nein, da irrte er sich. Und zwar gewaltig. Sie war nicht die Frau, für die er sie hielt. Eines Tages würde Luc seinen Platz in der Oberschicht einnehmen. Und Hattie, ob nun mit oder ohne Halskette, würde dann nicht anderes übrig bleiben, als ihm Lebewohl zu sagen und das Beste zu wünschen. Denn sie war nicht die „Richtige“ für ihn. Und würde es auch niemals sein.

Draußen auf der Straße knallte ein Autoauspuff. Hattie schrak zusammen und wurde mit einem Schlag wieder ins Hier und Jetzt zurückkatapultiert. Nach einem finsteren Blick in Richtung Spiegel klappte sie entschlossen die Schmuckschatulle zu. Wahrscheinlich erinnerte Luc sich nicht mal mehr an diese alberne Kette. In den letzten Jahren hatte er bestimmt kiloweise teuren Schmuck an seine Liebschaften verteilt.

Der Nachmittag verstrich, Deedee jammerte, weil sie zahnte, und Hattie war nervös und unsicher. Als der Chauffeur pünktlich um halb sieben an ihre Tür klopfte, war sie fast schon erleichtert.

Der freundliche ältere Herr, der sich als Sherman vorstellte, nahm ihr Hand- und Wickeltasche ab und wartete, bis sie Deedee im Kindersitz verstaut hatte. Im Gegensatz zu Hatties eigenem Wagen sah die Rückbank der Limousine aus wie geleckt: keine Kekskrümel, keine Spuckeflecken. Deedee war vollkommen begeistert, dass Hattie ihr ausnahmsweise einmal gegenübersaß.

Die Trennung lag zwar schon zehn Jahre zurück, aber Hatties und Lucs Wege hatten sich danach niemals wieder gekreuzt. Die Stadt war groß, und sie lebten in unterschiedlichen Welten.

West Paces Ferry war eine der schicksten Adressen in Atlanta. Alte Villen standen neben Neubauten, die architektonisch liebevoll an die Kolonialhäuser angepasst waren. Selbst der Gouverneur lebte in dieser schmalen, gewundenen Straße. Erst kürzlich hatte Luc eins der alten Anwesen gekauft. Hattie hatte es in der Lokalzeitung gelesen.

Zweifellos war es genau dieser Artikel gewesen, der Hattie dazu gebracht hatte, sich Luc jetzt auf Gedeih und Verderb auszuliefern. Denn als er ihr aus der Zeitung entgegengelächelt hatte, waren all die Gefühle wieder zum Leben erwacht, die sie seit Jahren für abgestorben gehalten hatte.

Die Villa war unglaublich. In dem riesigen Garten blühten Azaleen und Forsythien. Eine lange, gepflasterte Auffahrt wand sich bis zu einem Wendeplatz direkt vor der imposanten Eingangstür. Als die Limousine anhielt, war Luc schon aus dem Haus getreten. Seine dunklen Augen blitzten in der Abendsonne auf.

Er reichte ihr die Hand. „Willkommen, Hattie.“

Als er seine Finger um ihre schloss, begann ihre Haut zu prickeln. „Dein Haus ist wirklich wunderschön.“

Er wich einen Schritt zurück und wartete, bis sie Deedee aus dem Kindersitz befreit hatte. „Die Renovierungsarbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Ich bin froh, wenn das hier endlich keine Baustelle mehr ist.“

Tatsächlich war an der Seitenwand noch ein kleines Gerüst zu sehen, doch das war auch schon der einzige Makel, den Hattie an dem Anwesen entdecken konnte. Das Innere des Hauses war einfach atemberaubend. Eine bogenförmige Treppe führte in den ersten Stock, der Boden der Eingangshalle war mit schimmerndem italienischem Marmor ausgelegt, und die Wände waren mit einer meergrünen Seidentapete tapeziert. Ein mit Sicherheit unbezahlbarer Kronleuchter verbreitete weiches, warmes Licht, und auf einer Konsole unter einem antiken Spiegel verbreitete ein riesiges Blumenbouquet einen angenehmen Duft.

Hattie drehte sich im Kreis. Selbst Deedee schien beeindruckt zu sein, denn sie quäkte ausnahmsweise einmal nicht herum. „Beeindruckend, Luc, wirklich!“

In seinem Lächeln spiegelte sich eine stille Zufriedenheit wider. „Langsam fängt es an, sich wie ein Zuhause anzufühlen. Das Paar, das vor mir hier gelebt hat, hat das Haus in den zwanziger Jahren gekauft. Mittlerweile sind sie beide verstorben, aber sie haben mir Ana und Sherman mit vererbt. Sherman kennst du ja schon. Er ist nicht nur Chauffeur, sondern auch Gärtner, Hausmeister und, und, und.“

„Er war ganz reizend. Und Ana?“

„Seine Frau. Sie macht den Haushalt, kocht und so weiter. Ich versuche schon die ganze Zeit, die beiden in Rente zu schicken, aber ich glaube, sie lieben das Haus noch mehr als ich.“

Wie versprochen, kümmerte sich Ana während des Abendessens um Deedee. Währenddessen genossen Luc und Hattie die Kochkünste der Haushälterin. Es gab gedünstete Regenbogenforelle, Babyspargel und zum Dessert Obstsalat mit Gebäck, das so luftig war, dass es einem förmlich auf der Zunge schmolz.

Obwohl sie allein waren, vergaß Hattie ihre anfängliche Unsicherheit innerhalb kürzester Zeit. Luc war ein faszinierender Mann: hochintelligent, belesen und humorvoll. Je weiter der Abend fortschritt, desto schmerzhafter wurde ihr Bedauern. Erst jetzt begriff sie, was sie damals aus Unreife und Feigheit eigentlich aufgegeben hatte.

Als Luc ihr zum wiederholten Mal Wein nachschenkte, bemerkte er: „Ich nehme mal an, dass du das Baby nicht stillst.“

Sie verschluckte sich fast an ihrem Chardonnay. Unwissentlich hatte er ihr gerade eine Möglichkeit auf dem Silbertablett serviert, das Thema anzusprechen, dessentwegen sie eigentlich hier war.

„Deedee ist nicht mein leibliches Kind“, sagte sie leise. „Meine Schwester Angela war ihre Mutter.“

„War?“

Hattie schluckte schwer. Die Trauer war noch frisch, saß dicht unter der Oberfläche. „Sie ist vor sechs Wochen bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Mein Schwager Eddie ist gefahren. Er war sturzbetrunken und mit Drogen vollgepumpt und ist frontal in ein anderes Auto gerast. Die Insassen waren beide sofort tot. Eddie ist aus dem Wagen getorkelt und von der Unfallstelle geflohen. Angela hat noch ein paar Stunden durchgehalten … lange genug, um mir zu sagen, dass Deedee bei mir aufwachsen soll. Ich war an jenem Abend der Babysitter, und seitdem ist die Kleine bei mir.“

„Und was ist mit diesem Eddie geschehen?“

„Er saß ein paar Tage hinter Gittern. Im Augenblick ist er gegen Kaution auf freiem Fuß und wartet auf seine Verhandlung. Aber ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass er ungestraft davonkommt. Seine Familie hat eine Menge Beziehungen. Das sind harte, kaltherzige Menschen. Ich weiß ja nicht, ob die Mafia auch hier in Georgia unterwegs ist. Aber wenn, dann hat Eddies Familie ganz sicher die Finger im Spiel. Um ehrlich zu sein, jagen diese Leute mir eine Heidenangst ein.“

„Verständlich.“

„Anfangs haben sie sich überhaupt nicht für Deedee interessiert. Aber vor etwa zwei Wochen dann wurde ich plötzlich auf das Familienanwesen in Conyers bestellt.“

„Eddie wollte sein Kind sehen?“

Sie lachte bitter auf. „Könnte man meinen, oder? Aber nein. Er war da, als wir ankamen, und viele andere auch. Aber nicht ein einziges Mitglied dieser vollkommen durchgeknallten Familie hat Deedee auch nur eines Blickes gewürdigt. Sie haben sie zwar ausnahmslos als ‚das Balg‘ bezeichnet, aber über sie gesprochen, als wäre sie eine von ihnen und müsse von ihnen großgezogen werden.“

„Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn, wenn sie sich nicht für das Baby interessieren!“

„Doch, wenn man bedenkt, dass Deedee in Eddies Augen sein Ass im Ärmel sein wird, wenn er vor den Richter tritt. Er will den trauernden Ehemann und aufopfernden Vater spielen. Mit Deedee im Gerichtssaal wird er auf die Jury weicher und sympathischer wirken.“

„So ist das also“, sagte Luc nachdenklich. „Ich nehme mal an, dass du ihnen nicht wirklich entgegengekommen bist.“

„Natürlich nicht! Ich habe ihnen gesagt, dass Angela das Sorgerecht für Deedee auf mich übertragen hat und ich sie adoptieren werde.“

„Und wie haben sie das aufgenommen?“

Sie schauderte. „Eddies Vater meinte, dass kein Richter der Welt das Sorgerecht einer alleinstehenden Frau mit wenig Geld zusprechen würde, wenn es einen Vater gibt, der das Kind zu sich nehmen und für es sorgen kann und will.“

„Und was hast du geantwortet?“

Sie knabberte auf ihrer Lippe herum und wich seinem Blick aus. „Dass ich mit meinem College-Sweetheart verlobt bin – also dir. Und dass du jede Menge Geld hast und Deedee liebst, als wäre sie dein eigen Fleisch und Blut. Und dann habe ich die Beine in die Hand genommen und bin abgehauen.“

Luc besaß ernsthaft die Frechheit, laut aufzulachen.

„Das ist überhaupt nicht witzig“, fuhr sie ihn an und sprang auf. „Mir ist es todernst!“

Ungerührt füllte Luc ihr Weinglas wieder nach. „Entspann dich, Hattie! Ich habe mehr Anwälte als ein Hund Flöhe. Deedee wird nichts geschehen, darauf gebe ich dir mein Wort.“

Mit einem Mal gaben Hatties Beine nach, und sie ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken. „Ehrlich? Ist das dein Ernst?“ Ganz glauben konnte sie es nicht. „Wieso willst du das für mich tun?“

Er lehnte sich zurück und musterte sie so durchdringend, dass sie sich am liebsten unter dem Tisch versteckt hätte. „Meine Beweggründe können dir doch eigentlich egal sein, oder, Hattie? Schließlich bin ich offenbar deine letzte Hoffnung.“ Seine Worte klangen so emotionslos, dass es ihr kalt den Rücken herunterlief.

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Schloss sie etwa gerade einen Pakt mit dem Teufel? „Bist du dir absolut sicher, dass du das tun willst?“

„Ich sage niemals etwas, das ich nicht auch so meine. Das solltest du eigentlich wissen. Wir werden deine Lüge einfach zur Realität machen. Ich habe den besten Rechtsberater in ganz Atlanta. Angelas letzter Wunsch wird erfüllt werden.“

„Natürlich werde ich einem Ehevertrag zustimmen“, warf Hattie ein. „Denn dein Geld will ich nicht.“

Sein Blick wurde eiskalt. „Das hast du bereits vor zehn Jahren mehr als deutlich gemacht, Hattie.“

Ihr Magen verkrampfte sich. Wie machte er das nur, dass sie sich wegen eines einzigen Blickes so klein und bedeutungslos vorkam?

Als sie weiterhin schwieg, stand er mit sichtlicher Ungeduld auf. „Ich nehme mal an, du musst das Baby langsam ins Bett bringen. Schließlich ist es schon spät. Ich lasse mein Team die ganze Sache durcharbeiten, und in ein paar Tagen können wir dann über die Einzelheiten sprechen.“

„Einzelheiten?“, fragte sie mit schwacher Stimme.

Er warf ihr ein düsteres Lächeln zu. „Dir wird ja wohl klar sein, dass ich die eine oder andere Bedingung stellen werde.“

Hattie nahm ihren letzten Schluck Wein in einem großen Zug und versuchte, damit den dicken Kloß in ihrer Kehle wegzuspülen. Die Flüssigkeit brannte ihr im Hals wie purer Whiskey. „Natürlich. Schließlich musst du deine Interessen schützen.“ Auch wenn sie nicht genau verstand, was gerade passiert war: Auf einmal lag eine fast greifbare sexuelle Spannung in der Luft. Ihr Mund war so trocken, dass sie kaum sprechen konnte.

Lucs Anwälte würden ja wohl kaum eine Pflichtsexklausel im Kleingedruckten verstecken. Oder etwa doch?

Plötzlich kam ihr ein ausgesprochen unangenehmer Gedanke. „Ähm, Luc … Was ich schon vorher hätte fragen sollen … gibt es da jemanden, der … ich meine … eine …“

Er neigte den Kopf und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen. Seine Miene wirkte ernst, doch seine Augen blitzten erheitert auf. „Willst du wissen, ob ich eine Freundin habe? Meinst du nicht, dass es ein bisschen zu spät ist, sich darüber Gedanken zu machen? Immerhin hast du ja schon in der ganzen Welt verbreitet, dass wir verlobt sind.“

Tiefe Demütigung beschrieb nicht einmal ansatzweise das grauenhafte Gefühl, das sich ihrer bemächtigte. „Doch nicht in der ganzen Welt“, murmelte sie.

„Nur bei den Mafiosi also?“ Er lachte leise auf. Für ihren Geschmack genoss er ihr Unbehagen eine Spur zu sehr. „Lass mein Privatleben mal meine Sorge sein, Hattie. Du hast genug damit zu tun, dich um dich selbst und das kleine Mädchen zu kümmern.“ Dann stutzte er. „Sag mal, unterrichtest du im Augenblick eigentlich gar nicht? Du hast doch gleich nach deinem Abschluss eine Stelle als Lehrerin angetreten.“

„Nach dem Unfall musste ich unbezahlten Urlaub nehmen. Für den Rest des Jahres.“

Plötzlich wirkte Luc wieder vollkommen ernst und kam mit einem einzigen langen Schritt so nahe an sie heran, dass er Hattie übers Haar streichen konnte. „Du hast echt eine Menge mitgemacht“, sagte er leise. „Aber jetzt wird alles besser.“

Sie lächelte wehmütig. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass nichts jemals wieder so sein wird, wie es einmal war.“

„Das hat ja auch niemand behauptet.“

Aus irgendeinem Grund klangen seine Worte in ihren Ohren wie eine Drohung. Als sie zu ihm aufsah, streifte sie sein warmer Atem. „Was hast du davon? Warum bist du bereit, einer Frau zu helfen, die du seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hast?“

„Versuchst du gerade, mir die ganze Sache auszureden?“

„Sag mir, warum du mitspielst. Ich war mir eigentlich zu neunzig Prozent sicher, dass du mich hochkant aus deinem Büro werfen würdest.“

„Hin und wieder kommt es eben vor, dass ich einen Anfall von Nettigkeit erleide.“ Seine Stimme troff förmlich vor Sarkasmus.

Sie sah ihn offen an, stellte sich der schmerzhaften Erkenntnis, dass ihr sein Gesicht noch immer genauso vertraut war wie vor zehn Jahren. „Es steckt mehr dahinter“, sagte sie. „Das kann ich in deinem Blick erkennen.“

Sein Gesichtsausdruck wurde verschlossen. „Lass uns einfach sagen, dass ich meine Gründe habe“, erwiderte er barsch. Deutlicher hätte er ihr nicht mitteilen können, dass dieses Gespräch für ihn beendet war.

Er schloss sie aus – und das tat weh. Obwohl sie eigentlich kaum mehr als Fremde waren. Fremde, die sich einst voller Leidenschaft geliebt hatten, aber nichtsdestotrotz Fremde.

„Ich muss los.“

Er versuchte nicht, sie aufzuhalten, sondern führte sie stattdessen in ein geräumiges Wohnzimmer, wo Ana auf dem Teppich mit Deedee spielte, die schon ganz schläfrig war.

Hattie nahm die Kleine hastig hoch und rieb ihre Nase an dem duftenden Haar des Babys. „Hat sie ein bisschen geschlafen?“

Ana stand auf und glättete den Rock ihres geblümten Hauskleids. „Etwa eine Dreiviertelstunde. Lange genug, dass sie jetzt wach bleibt, bis Sie zu Hause sind und sie ins Bett bringen können. Ihre Tochter ist wirklich ein Schätzchen, Ms. Parker. Ein richtiger kleiner Engel.“

„Sie ist meine Nichte, nicht meine Tochter. Aber trotzdem danke.“

Das höfliche Geplänkel schien Luc ganz ungeduldig zu machen. „Ich begleite dich noch nach draußen.“

Sherman wartete bereits neben der Limousine, weswegen sie es vermieden, persönliche Themen anzuschneiden. Allerdings ließ Luc es sich nicht nehmen, Deedee eigenhändig im Kindersitz anzuschnallen.

Überrascht hob Hattie eine Braue. „Du bist ja ein richtiger Experte!“

Er strich dem Baby über die Wange und trat beiseite, damit Hattie einsteigen konnte. „So schwierig ist das nun auch wieder nicht. Ich freue mich auf euren nächsten Besuch.“

„Rufst du mich an?“

„Ich werde meine Sekretärin bitten, dich zu kontaktieren und ein Treffen zu arrangieren. Wahrscheinlich dauert es aber noch ein paar Tage. Allerdings solltest du besser schon mal anfangen, deine Sachen zu packen.“

„Packen?“, wiederholte sie irritiert. Gott, was hatte sie sich da nur eingebrockt? Ja, Luc half ihr. Aber um welchen Preis? Früher hatte sie seine Gedanken lesen können wie ein offenes Buch. Heute war er ihr ein vollkommenes Rätsel.

Sein verhaltenes Lächeln erinnerte an ein Raubtier, das seine Beute begutachtete, ehe es zubiss. „Na, ihr zwei zieht hier ein, sobald die Hochzeit vorbei ist.“

3. KAPITEL

Zwei Tage später klopfte Luc kurz an die Bürotür seines Bruders und trat dann ein. Leo, der nur ein gutes Jahr älter war als Luc, verschwand trotz seiner imposanten Statur fast hinter den dicken Aktenstapeln, die sich auf seinem Schreibtisch türmten. Er war für die Finanzen des Imperiums verantwortlich und galt als Genie in seinem Metier, während sich Luc um die Entwicklung neuer Produkte kümmerte.

Es dauerte ganze dreißig Sekunden, bis Leo endlich den Blick von seinen Unterlagen hob. „Luc! Hatte nicht damit gerechnet, dich heute zu Gesicht zu bekommen.“

Die Brüder trafen sich zwar zweimal im Monat ganz offiziell, um über Geschäftliches zu sprechen, und verbrachten oft auch mehrmals die Woche die Mittagspause miteinander, aber es kam so gut wie nie vor, dass sich einer von beiden unangekündigt beim anderen blicken ließ. Dafür hatten sie meist einfach zu viel zu tun.

Luc ignorierte den bequemen, dick gepolsterten Besucherstuhl neben Leos Schreibtisch und trat stattdessen ans Fenster. Von dem Blick auf die Skyline von Atlanta würde er wohl niemals genug bekommen.

Erst jetzt bemerkte er, wie verspannt sein Nacken seit Hatties Besuch war. Dann drehte er sich lächelnd um. „Hast du am vierzehnten Mai schon was vor?“

Leo drückte eine Tastenkombination und sah auf den Bildschirm. „Sieht nicht so aus. Worum geht’s denn?“

„Ich dachte, du würdest vielleicht gern mein Trauzeuge sein.“

Damit war Luc die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Bruders gewiss. Leo sprang auf und starrte Luc fassungslos an. „Das soll ja wohl ein Witz sein, oder?“

„Wie kommst du darauf?“

„Weil du mir vor drei Wochen noch erzählt hast, dass du im Augenblick nicht mal eine Affäre hast.“

Luc zuckte mit den Schultern. „Seitdem ist viel passiert.“

Leo warf ihm einen seiner berühmt-berüchtigten finsteren Blicke zu. „Ich sehe dir doch an, dass du irgendetwas ausheckst.“

„Alles andere als das.“

Offenbar bemerkte Leo, dass er so nicht weiterkommen würde, denn er wechselte die Taktik. „Kenne ich sie?“

Wieder zuckte Luc mit den Schultern. „Ihr seid euch schon über den Weg gelaufen.“

„Und wie lange kennst du sie? Ich will einfach nur wissen, dass dich nicht irgendein dahergelaufener One-Night-Stand um den Finger gewickelt hat.“

„Mach dir keine Sorgen. Ich kenne sie schon ewig.“

„Und jetzt ist dir ganz plötzlich klar geworden, dass du sie liebst?“

Nun war es an Luc, seinem Bruder einen strengen Blick zuzuwerfen. „Ich glaube, wir haben den Faden verloren. Eigentlich will ich einfach nur wissen, ob du mein Trauzeuge sein wirst oder nicht. Also: ja oder nein?“

„Verdammt, Luc, jetzt hör doch auf mit dieser Geheimniskrämerei! Wer ist sie? Und wann werde ich sie kennenlernen?“

„Das weiß ich noch nicht. Im Augenblick sind wir noch … miteinander beschäftigt. Versprich mir einfach nur, dass du am vierzehnten auftauchst. Wann und wo, sage ich dir noch. Und zieh einen Smoking an.“

Die Stille war ohrenbetäubend. „Mir gefällt das Ganze nicht“, erwiderte Leo schließlich nachdenklich. „Also versprich mir eins: Wenn diese ganze Sache mit einem lauten Knall endet, dann sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

Luc konnte die Vorsicht seines Bruders gut verstehen. Sie beide hatten ihre Lektionen in Sachen Frauen schon früh gelernt. Doch das hier war etwas ganz anderes. Denn hier ging es nicht um Liebe. Luc wollte nur eins: Ein für alle Mal einen Schlussstrich unter seine Vergangenheit mit Hattie Parker ziehen.

Am liebsten hätte Hattie laut geschrien. Umzuziehen war so oder so schon schrecklich, aber ein Umzug plus Baby grenzte an Unmöglichkeit. Und gerade, als Deedee endlich eingeschlafen war, klingelte auch noch das Handy. „Was gibt es, Luc?“, fauchte Hattie gereizt in den Hörer.

Das Schweigen am anderen Ende der Leitung dauerte peinlich lange an.

„Tut mir leid“, sagte Hattie schließlich und schluckte mühsam die aufsteigenden Tränen herunter.

Als Luc endlich zu sprechen begann, schwang Humor in seiner Stimme mit. „Ich hätte nicht gedacht, dass du überhaupt dazu in der Lage bist, die Fassung zu verlieren. Gefällt mir aber irgendwie.“

„Sei nicht albern“, entgegnete sie und schob sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. „Was willst du?“

„Einfach nur nachfragen, ob ich dir irgendwie helfen kann.“

„Drei muskelbepackte junge Männer wären nicht schlecht.“

Wieder Schweigen. Dann stellte Luc fest: „Auf so was stehst du also.“

Hattie spürte, dass sie feuerrot wurde, und war dankbar, dass Luc sie in diesem Augenblick nicht sehen konnte. „Als Umzugshelfer“, murmelte sie zur Rechtfertigung.

„Sieh mal an. Bittet Hattie Parker etwa gerade um Hilfe?“

„Kann sein.“ Es war nicht nur der Umzugsstress. Vor ein paar Tagen hatte Eddie angefangen, sie mit E-Mails und SMS zu bombardieren, um sie unter Druck zu setzen. Und es funktionierte: Langsam wusste Hattie einfach nicht mehr, wo ihr der Kopf stand.

Luc seufzte. „Ich hätte ja schon längst eine Umzugsfirma beauftragt. Aber da du so auf deine Unabhängigkeit pochst, dachte ich, dass du mir wahrscheinlich die Ohren lang ziehst, wenn ich versuche, dir zu helfen.“

„Auch ich bin erwachsen geworden, Luc. Ich kann dazu stehen, wenn ich mich überfordert fühle.“

„Tut mir leid. Ich hätte wirklich fragen sollen, anstatt voreilige Schlüsse zu ziehen. Wird nicht wieder vorkommen.“

Erneut kam das Gespräch zum Stillstand. Frustriert musterte Hattie das Chaos in ihrer Küche und seufzte tief. „Weißt du mittlerweile, wann wir uns wegen des Ehevertrags zusammensetzen können?“

„Ich dachte an morgen Abend. Wann bringst du Deedee denn immer ins Bett?“

„Gegen acht, wenn alles gut läuft.“

„Was hältst du davon, wenn ich einfach zu dir komme? Für euch zwei ist das sicher praktischer. Ich bringe Abendessen mit.“

„Das klingt toll.“

„Hast du von deinem Schwager gehört?“

„Nur das Übliche.“ Das hier war nicht der richtige Augenblick, um Luc von Eddies neuer Taktik zu erzählen. „Er markiert den großen Macker und macht sich wichtig, aber mehr auch nicht.“

„Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut.“

Ausnahmsweise schien Luc einmal recht zu haben. Am nächsten Abend ließ Deedee sich widerstandslos ins Bett bringen, und Hattie fand ganz hinten in ihrem Schrank sogar noch eine hübsche Bluse, die sie vollkommen vergessen hatte. Der dünne pfirsichfarbene Seidenstoff war genau das Richtige für diesen warmen Sommerabend. Kombiniert mit ihrer Lieblingsjeans, wirkte das Teil schick, aber auch nicht overdressed.

Als sie Luc die Tür öffnete, warf er ihr einen anerkennenden Blick zu. „Ich kann nicht sagen, dass du sonderlich erschöpfst wirkst.“

Lächelnd bat sie ihn herein. „Danke. Heute lief es schon viel besser. Seit ich weiß, dass das Umzugsunternehmen morgen kommt, bin ich deutlich entspannter. Außerdem konnte ich ausnahmsweise in Ruhe duschen, weil Deedee ein langes Mittagsschläfchen gemacht hat.“

Sie bemerkte, wie Luc den Blick durch ihr Wohnzimmer gleiten ließ.

„Nichts für ungut, aber den Großteil der Möbel hier brauchst du wirklich nicht einlagern zu lassen. Sag den Umzugshelfern morgen doch einfach, dass sie die Sachen, an denen du nicht mehr hängst, zur Caritas bringen sollen.“

Hattie biss sich auf die Lippe. Irgendwann hatte das Thema ja aufkommen müssen. „Also, es ist so, dass …“

„Was willst du sagen?“, fragte er, legte seine Tasche ab und trug die beiden Plastiktüten mit dem Essen in die offene Küche. „Gibt es ein Problem?“

Hattie trat unruhig auf der Stelle und suchte nach den richtigen Worten. „Na ja, unsere Ehe wird nicht für immer sein. Und wenn all das vorbei ist, muss ich doch wieder auf eigenen Beinen stehen können.“

Luc stieß mit dem Fuß gegen einen schäbigen dunkelblauen Sessel. „Wenn es so weit ist, dann werde ich dich und das Kind aber sicher nicht in ein Leben zwischen abgenutzten, billigen Möbeln zurückschicken. Ich habe einen Ruf zu wahren. Ob es dir nun passt oder nicht: Du heiratest einen reichen Mann.“

Diesmal machte er sich nicht einmal die Mühe, seinen freundlichen Spott zu verbergen. Schließlich war es auch sein gutes Recht, sie mit ihrem vergangenen Verhalten aufzuziehen. Bei ihrer Trennung hatte Hattie stur darauf beharrt, dass ihre Lebensumstände einfach nicht zusammenpassten. Wenn sie ehrlich war, hatte sie Angst gehabt. Angst vor Lucs Geld und der Macht, die damit einherging. Angst davor, sich auf ihn und seinen Wohlstand zu verlassen.

Ihre Mutter war es gewesen, die ihr eingeimpft hatte, niemals die Kontrolle zu verlieren. Der Mann, den Hattie „Vater“ genannt hatte, war eigentlich ihr Stiefvater gewesen. Ihren leiblichen Vater hatte sie niemals kennengelernt. Er hatte ihre Mutter, die seine Vorzimmersekretärin war, verführt, als sie gerade einmal neunzehn gewesen war. Sobald sie ihm mitteilte, dass sie schwanger sei, hatte er sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.

Hattie reckte das Kinn. „Mir ging es nie ums Geld“, versicherte sie. „Jedenfalls nicht nur. Sieh dir doch nur mal an, was für ein Leben du heute führst, Luc. Du bist der Geschäftsführer eines der größten Modekonzerne des Landes. Und ich bin nur eine ganz gewöhnliche Lehrerin. Ich schneide Rabattgutscheine aus und fahre ein zehn Jahre altes Auto. Mein Lebensstil war schon einfach, bevor ich angefangen habe, meine Mutter zu unterstützen.“

„Ist das jetzt der Augenblick, in dem ich mir ein Tränchen aus dem Augenwinkel wischen sollte?“

„Ach, vergiss es einfach“, erwiderte Hattie verärgert.

Luc zuckte mit den Schultern. „Kann ich mich eben umziehen, bevor wir essen? Ich komme direkt aus dem Büro.“

„Das Baby liegt in meinem Schlafzimmer, aber das Bad gehört ganz dir. Ich decke dann schon mal den Tisch.“

Doch kaum war Luc im Bad verschwunden, da klopfte es an die Wohnungstür. Hattie warf einen Blick durch den Spion und atmete tief durch. Eddie. Verdammter Mist! Widerwillig öffnete sie die Tür.

Er stank nach Alkohol und konnte kaum mehr gerade stehen. „Wo ist mein kleines Mädchen? Ich will Deedee sehen.“

Hattie warf einen hastigen Blick über die Schulter und zischte ihm zu, leiser zu reden. „Sie schläft schon, wie so ziemlich jedes Baby um diese Uhrzeit. Warum rufst du mich nicht morgen früh an, und wir vereinbaren, wann du sie besuchen kannst?“

Sie wollte die Tür zuknallen, doch Eddie stellte seinen Fuß dazwischen. „Warum rufen wir nicht jetzt sofort die Polizei an? Dann kannst du erklären, warum du meine Tochter gekidnappt hast.“

Die Drohung war lächerlich, und sie wussten es beide. Hattie hatte über dieses Thema bereits mit einem Anwalt gesprochen, und eine Krankenschwester hatte Angelas letzten Wunsch mit angehört. Dennoch versetzten Eddies Worte Hattie in Panik. Sie wollte sich nicht um Deedee streiten. Das hatte die Kleine einfach nicht verdient.

„Geh nach Hause, Eddie!“, bat sie leise, aber bestimmt. „Das ist kein guter Augenblick. Wir reden morgen.“

Ohne Vorwarnung packte er sie an den Schultern und stieß sie rückwärts in die Wohnung. „Von wegen.“

Hattie taumelte gegen die Wand und schlug sich so heftig am Kopf, dass sie Sternchen sah.

Doch als er sie erneut angreifen wollte, stürmte Luc bereits durch den kleinen Flur, packte den Eindringling beim Nacken und nahm ihn in den Würgegriff. Eddies Gesicht lief puterrot an.

„Ruf die Polizei, Hattie“, erklärte Luc. Sein Blick war hart und kalt.

„Aber ich will nicht …“

Lucs Miene wurde etwas weicher. „Es muss sein. Keine Sorge, ich lasse dich nicht damit alleine.“ Dann wandte er sich an Eddie. „Und Sie … wenn Sie meine Verlobte jemals wieder anrühren, sind Sie ein toter Mann. Haben Sie das verstanden?“

Zwanzig Minuten später wurde Eddie in Handschellen abgeführt. Nachdem die beiden Polizeibeamten die Aussagen aufgenommen hatten, sank Hattie völlig erschöpft auf ihr Sofa. Wenigstens hatte Deedee von all der Aufregung nichts mitbekommen.

Luc ging neben Hattie in die Hocke und sah sie besorgt an. „Lass mich mal deinen Kopf ansehen.“ Als er die dicke Beule abtastete, fluchte er leise vor sich hin.

„Halb so schlimm“, versicherte Hattie. „Ein paar Ibuprofen und ein bisschen Schlaf, und schon bin ich wieder so gut wie neu.“

Nachdem Luc ihr die Tabletten, ein Glas Wasser und ein behelfsmäßiges Kühlkissen aus einem Geschirrtuch und ein paar Eiswürfeln gebracht hatte, servierte er das Essen. Doch als Hattie sich aufsetzen wollte, warf er ihr einen strengen Blick zu. „Bleib liegen. Ich füttere dich.“

„Ach, sei doch nicht albern“, protestierte sie, obwohl die Beule bei der schnellen Bewegung heftig zu pochen begonnen hatte.

„Du musst dich nicht ständig gegen mich wehren. Und jetzt leg dich hin und mach den Mund auf“, erwiderte Luc und drückte sie sanft in die Kissen. Als Hattie der verlockende Duft von Hühnchen-Piccata und Wildreis in die Nase stieg, gab sie sich seufzend geschlagen. Doch als eins der Häppchen, die Luc ihr auf der Gabel reichte, auf dem Sofa landete, sagte sie: „Da siehst du mal, was du anrichtest.“

„Mach dir nichts draus“, antwortete Luc trocken. „Dieses scheußliche Ungetüm von Sofa kann von ein paar Flecken nur profitieren.“

Einen Augenblick lang sah Hattie ihn fassungslos an, dann brachen sie beide in Lachen aus. Doch gleichzeitig stiegen ihr die Tränen in die Augen. Sie versuchte, sich einzureden, dass es sich nur um eine verspätete Reaktion auf Eddies Angriff handelte. Doch in Wahrheit ging es um Luc. Darum, dass er gerade für einen kurzen Moment sein altes Ich preisgegeben hatte. Der junge Mann, den Hattie einst so sehr geliebt hatte, steckte immer noch in ihm.

Ob sie wohl eine Mitschuld daran trug, dass Luc so hart und sarkastisch geworden war? Hatte ihn ihre Ablehnung damals womöglich tiefer getroffen, als ihr bewusst gewesen war? In den letzten Jahren war kaum ein Tag vergangen, an dem sie ihre Entscheidung nicht infrage gestellt hatte. Natürlich war es gut für sie gewesen, sich ein eigenes Leben aufzubauen, und ihre Mutter war wahnsinnig stolz auf sie gewesen. Doch manchmal hatte sie sich gefragt, ob der Preis für ihre Unabhängigkeit möglicherweise nicht doch zu hoch war.

Nachdem sie aufgegessen hatte, schlug die Stimmung um. Schweigen legte sich über das kleine Wohnzimmer. Luc stapelte die leeren Teller aufeinander und sagte: „Bleib einfach liegen. Du musst dich morgen früh um Deedee kümmern, da kannst du jede Minute Ruhe gebrauchen.“

Hattie beobachtete, wie er das Geschirr wegräumte, und dachte darüber nach, wie sich ihr Leben so schnell so grundlegend hatte verändern können. Noch vor zwei Monaten war sie eine ganz gewöhnliche, alleinstehende Frau mit einem guten Job und einem erfüllten Sozialleben gewesen. Jetzt war sie Pflegemutter, stand kurz vor einem Sorgerechtsstreit und versuchte, ihr Gefühlschaos in den Griff zu bekommen, das entstanden war, weil sie bald den Mann heiraten würde, den sie einst für ihren Seelenverwandten gehalten hatte. Nein, es war wirklich kein Wunder, dass sie sich vom Verlauf der Ereignisse überwältigt fühlte.

Und ihre Lage besserte sich nicht gerade, als Luc ihr mitteilte, dass er über Nacht bleiben würde.

4. KAPITEL

Hattie sah ihn schreckerfüllt an. „Oh, nein! Ich meine, danke, aber das ist wirklich nicht nötig!“

„Du musst doch auch an das Baby denken. Heute Nacht wirst du bestimmt nicht besonders gut schlafen. Da kannst du eine helfende Hand morgen früh sicher gut brauchen. Ich schlafe auf dem Sofa. So hässlich es auch ist, wenigstens ist es bequem.“

Hattie war hin- und hergerissen. Die Vorstellung, mit Luc in dieser kleinen Wohnung eingesperrt zu sein, war zutiefst beunruhigend. Aber die Begegnung mit Eddie hatte sie vollkommen durcheinander gebracht, und sie war zum Umfallen müde.

Schließlich gab sie sich geschlagen. „Ich hole dir Handtücher und eine Decke.“ Vorsichtig stand sie auf und schob sich an Luc vorbei, wobei ihr der verführerische Duft seines Aftershaves in die Nase stieg.

Als sie wieder zurückkehrte, telefonierte er gerade mit Ana, um ihr Bescheid zu geben, dass er heute nicht nach Hause kommen würde und sie sich keine Sorgen machen solle. Sein gedankenvolles Handeln berührte Hattie. Abgesehen von seinem Humor, war es genau das, was sie damals so zu ihm hingezogen hatte: seine Freundlichkeit. Doch leider hatte er sich seitdem spürbar verändert.

Als sie anfing, sein Bett für das Sofa zu beziehen, legte Luc auf und hielt sie zurück. „Geh schlafen, Hattie. Ich komme schon klar.“

„In Ordnung, danke. Dann gute Nacht.“

Sein Blick wanderte zu der Tür, die in den hinteren Flur führte. Einen Moment lang wirkte er unentschlossen. „Darf ich sie sehen?“

„Deedee?“ Natürlich, wen oder was denn sonst?

„Ja.“

„Natürlich.“

Er folgte ihr ins Schlafzimmer, das von einer schwachen Schlummerlampe in weiches Licht getaucht wurde. Luc stützte sich auf dem Rand des Gitterbetts ab und schaute auf das friedlich schlafende Baby. Hattie hielt sich im Hintergrund. Der Anblick traf sie unerwartet tief. Wäre die Vergangenheit auch nur ein wenig anders verlaufen, hatte das hier ihr gemeinsames Kind sein können. Ihr Baby, das sie gemeinsam zu Bett brachten, ehe sie selbst zusammen schlafen gingen.

Luc streckte die Hand aus, zögerte kurz und strich Deedee dann sanft übers Haar. „Sie hat das alles nicht verdient“, flüsterte er.

Hattie schüttelte den Kopf. In ihren Augen standen Tränen. „Nein, das hat sie nicht. Ich kann nicht zulassen, dass Eddie sie sich holt. Sie ist unschuldig, so perfekt.“

Luc drehte sich um. Das diffuse Licht betonte seine maskulinen Gesichtszüge. Er suchte Hatties Blick und sah sie unverwandt an. „Ihr wird nichts passieren. Darauf hast du mein Wort.“

Dann verließ er leise das Schlafzimmer.

Hattie schlüpfte in Nachthemd und Morgenmantel. Normalerweise schlief sie in T-Shirt und Slip, aber mit Luc im Haus brauchte sie mehr als das, um sich gewappnet zu fühlen.

Im Badezimmer fiel ihr auf, dass sie nicht einmal an die grundlegendsten Dinge gedacht hatte. Sie nahm eine frische Zahnbürste aus dem Schränkchen über dem Waschbecken und kehrte ins Wohnzimmer zurück. „Tut mir leid, ich hatte ganz vergessen, dir das hier zu geben. Zahnpasta steht auf dem Waschbecken, und falls du dich morgen ras…“

Mitten im Satz brach sie ab. Ihr Herz machte einen Satz. Luc trug nichts außer seinen grauen Boxershorts, die wenig Raum für Fantasie ließen. Jeder Quadratzentimeter seines Körpers war durchtrainiert und muskulös. Seine Haut hatte noch immer jenen warmen Oliveton, an den sie sich noch so gut erinnern konnte, und die wenigen schwarzen Haare auf seiner Brust wirkten noch genauso weich wie damals.

Und dann seine langen, sehnigen Beine, die nach oben führten zu … Sie stand da wie angewurzelt und versuchte verzweifelt, ihren Blick von der Wölbung in Lucs Hose loszureißen. Im Gegensatz zu ihr schien Luc die Situation nicht im Geringsten peinlich zu sein.

„Danke für die Zahnbürste.“ Sein linker Mundwinkel hob sich zu einem spöttischen Lächeln.

Endlich war der Bann gebrochen. Linkisch reichte Hattie ihm die kleine Schachtel und achtete dabei peinlich darauf, dass sich ihre Hände nicht berührten. „Bitte sehr.“

Doch den Raum verlassen konnte sie nicht. Sie erinnerte sich mit schmerzhafter Klarheit daran, wie es gewesen war, in diesen starken Armen gehalten zu werden, ihr Gesicht gegen diese warme, breite Brust zu schmiegen, den harten Beweis seiner Erregung an ihrem Bauch zu spüren.

„Gefällt dir, was du siehst?“ Das machte er mit Absicht, da war sie sicher. Es war, als wolle er sagen: Siehst du, wie dämlich du damals warst? Was du dir hast entgehen lassen?

Ihr wurde unerträglich heiß. Am liebsten hätte sie sich den Morgenmantel vom Leib gerissen und sich Luc an den Hals geworfen. Zum Glück war sie noch immer unfähig, sich zu bewegen.

„Wie wäre es mit einer Antwort, Hattie?“, sagte Luc mit rauer Stimme. „Wenn du mich weiter so ansiehst, verstehe ich das nämlich als Einladung.“

Sie öffnete den Mund, doch sie brachte einfach keinen Ton heraus.

Lucs Augen blitzten auf. „Komm her.“

Keine Umschweife. Kein Zögern.

Luc war kontrolliert, stark, voller Selbstvertrauen. Er berührte nur ihr Gesicht, schob seine Finger in ihr Haar und hielt sie fest, während er sie gierig küsste. Hattie zitterte am ganzen Körper, konnte kaum mehr stehen. Luc hingegen schien völlig unbeeindruckt, intensivierte seinen Kuss sogar noch.

Dann drückte er seine Hüften gegen Hatties, und ihr Körper erwachte wieder zum Leben. Siedende Hitze schoss durch ihre Adern, und ihre Arme schlangen sich wie von selbst um Lucs Taille. Erst jetzt erwiderte sie den Kuss, doch dafür umso heftiger. Aber im gleichen Moment strich Luc versehentlich über die Beule an ihrem Hinterkopf. Unwillkürlich zuckte Hattie zusammen.

Luc fluchte und schob sie von sich. In seinem Blick lagen Wut und Ungläubigkeit. „Verdammt noch mal, Hattie! Geh ins Bett!“

Am liebsten wäre sie wie eine viktorianische Romanheldin einfach in Ohnmacht gefallen. Stattdessen murmelte sie ein ersticktes „Gute Nacht“ und flüchtete in ihr Schlafzimmer.

Eine gefühlte Ewigkeit später drehte sie sich auf den Rücken und schirmte mit der Hand ihre Augen vor dem strahlenden Sonnenlicht ab, das durch den Vorhangspalt drang. Sie hatte geschlafen wie eine Tote, traumlos, tief und fest. Als sie einen Blick auf die Uhr warf, blieb ihr fast das Herz stehen. Es war neun Uhr. Deedee!

Sie sprang aus dem Bett, doch das Kinderbett war leer. Im ersten Moment empfand sie reine Panik, doch dann geriet ihr schlaftrunkenes Gehirn in Gang.

Luc. Kaum dachte sie an den Kuss, da empfand sie wieder dasselbe heftige Pochen zwischen den Beinen wie am Abend zuvor.

Sie rieb sich mit der Hand über die Augen, atmete tief durch und öffnete die Schlafzimmertür. Aus dem Küchenbereich drangen Deedees Gebrabbel und der himmlische Duft von gebratenem Speck in den Flur. Luc stand am Herd, neben ihm saß das Baby im Hochstuhl.

Er sah auf. „Guten Morgen.“

Deedee streckte begeistert die Händchen nach Hattie aus, die sie sofort auf den Arm nahm.

„Ich habe ihr ein Fläschchen und ein halbes Glas Pfirsichbrei gegeben. Ich hoffe, das war in Ordnung“, sagte er barsch.

Hattie staunte, wie selbstverständlich er mit der Situation zurechtkam. Nicht, dass sie ihn für unfähig hielt, aber sie hatte ihn noch nie zuvor im Umgang mit Kindern erlebt.

„Du solltest dir etwas anziehen“, fuhr er fort, während er ein paar Eier in eine Schüssel schlug. „Das Frühstück ist in fünf Minuten fertig, und außerdem kommen die Umzugshelfer gleich.“

Entsetzt stellte Hattie fest, dass sie völlig vergessen hatte, ihren Morgenmantel überzuziehen, und ihr dünnes Nachthemd viel mehr preisgab, als ihr lieb war. Dann fiel ihr Blick auf einen Aktenstapel auf dem Küchentresen. „Luc … es tut mir so leid. Wir sind gestern ja gar nicht dazu gekommen, über den Ehevertrag zu sprechen.“

Er schob zwei Scheiben Brot in den Toaster. „Kein Problem, dafür haben wir später sicher noch Zeit.“

Sie zögerte kurz, dann sagte sie: „Luc, danke für alles. Ich kann kaum glauben, dass ich Deedee nicht gehört habe.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin sowieso Frühaufsteher. Außerdem hat es Spaß gemacht, Zeit mit ihr zu verbringen. Sie ist wirklich ein süßes Kind.“

„Das sagst du nur, weil du noch nie einen ihrer legendären Wutanfälle miterlebt hast“, scherzte Hattie. „Deedees Lungen sind ein Wunder der Natur.“

Luc hielt mitten in der Bewegung inne und sah sie ernst an. „Du machst das alles toll. Sie hat Glück, eine Mutter wie dich zu haben.“

Um halb eins befand sich all ihr Hab und Gut in den Umzugswagen vor der Tür, die ausstehende Miete war bezahlt und der Schlüssel beim Hauswart abgegeben. Draußen warteten Luc und Sherman darauf, dass sie in die Limousine stieg. Doch in diesem Punkt wollte Hattie ihren eigenen Kopf durchsetzen. „Ich fahre euch in meinem Auto hinterher.“

Luc runzelte die Stirn. „Ich dachte, darüber hätten wir gesprochen?!“

„Aber ich mag mein Auto. Und ich will es nicht verkaufen.“

Der Machtkampf dauerte nur wenige Sekunden, dann gab Luc sich achselzuckend geschlagen. „Dann sehen wir uns gleich in der Villa.“

Es war nur ein kleiner Sieg, aber trotzdem fühlte Hattie sich besser. Ihr war klar, dass sie dankbar hätte sein müssen, dass Luc sich so effizient um alles kümmerte. Aber sie mochte das Gefühl einfach nicht, wie eine hilflose Maid in Not behandelt zu werden. Ja, sie hatte ihn um Hilfe gebeten. Aber das hieß noch lange nicht, dass er einfach tun und lassen konnte, was er wollte.

Sie setzte Deedee in den schäbigen alten Kindersitz und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass ihr Auto sie nicht ausgerechnet jetzt im Stich ließ. Zum Glück sprang der Wagen sofort an, und Hattie trat die Fahrt in ihr neues Leben an, während ihr altes Zuhause im Rückspiegel immer kleiner wurde. Sie empfand Erleichterung. Trauer. Vorfreude. Und Angst. Denn sie war sich noch immer nicht sicher, ob sie nicht ihre Seele dem Teufel verkauft hatte.

Ein unerwartet starkes Triumphgefühl breitete sich in Lucs Brust aus, als Hattie über seine Türschwelle schritt. Sie kam zu ihm, und aus freiem Willen! Sie würde unter seinem Dach leben … und seinen Ring tragen! Vor zehn Jahren hatte ihm sein Stolz verboten, um sie zu kämpfen. Und natürlich seine fälschliche Annahme, er müsse ihre Wünsche respektieren. Aber diesmal war alles anders. Diesmal hatte er die Fäden in der Hand.

Die Anziehungskraft zwischen ihnen war noch immer vorhanden. Er spürte es, und er wusste genau, dass es Hattie ganz genauso ging. Es würde nicht mehr lange dauern, und sie würde ganz von selbst in sein Bett kommen. Gott, er konnte es kaum mehr erwarten!

Er bat Ana und Sherman, den beiden zu helfen, sich im Haus zurechtzufinden. Dann zog er sich um und fuhr ins Büro, wo er sich auf all die Arbeit stürzte, die an seinem spontanen freien Vormittag liegen geblieben war.

Doch ganz entgegen seiner Gewohnheit hatte er Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Immer wieder wanderten seine Gedanken zu Hattie und dem Baby. Und zu der Nacht, die ihn erwartete.

Schon gegen halb sieben machte er sich auf den Heimweg und rief vom Auto aus Hattie an.

„Hallo, Luc.“

„Ana hat angeboten, sich heute Abend um Deedee zu kümmern. Ich dachte, wir könnten etwas essen gehen und das Geschäftliche besprechen.“

Das Geschäftliche? Luc verzog das Gesicht. Wieso drückte er sich nur so brüsk aus?

Hattie reagierte entsprechend unterkühlt. „Ich möchte Ana nicht ausnutzen.“

„Das tust du ganz bestimmt nicht. Sie ist schon ganz vernarrt in Deedee. In zwanzig Minuten hole ich dich ab.“

Luc legte auf und stellte verwundert fest, dass sein Herz plötzlich bedenklich schnell schlug.

Hattie musste ein weiteres Mal auf das schwarze Kleid zurückgreifen. Auf die Platinkette würde sie diesmal allerdings verzichten. Für ein Geschäftsessen musste sie sich nun wirklich nicht aufdonnern. Der orange-rote Schal und die einfachen Goldkreolen würden reichen müssen.

Als Luc nach Hause kam, erwartete sie ihn bereits im Foyer.

„Schläft Deedee schon?“, fragte er ein wenig enttäuscht.

Hattie nickte, und so machten sie sich umgehend auf den Weg.

Das Restaurant war elegant, aber gleichzeitig so gemütlich, dass Hattie sich sofort wohl fühlte. Während des Essens plauderten sie ausnahmslos über unverfängliche Themen. Erst nach dem Dessert zog Luc ein paar Papiere aus einer dünnen Ledermappe. „Meine Anwälte haben alles erledigt. Wenn du möchtest, kannst du gerne einen eigenen Rechtsberater einschalten. Ich weiß ja, wie schwer dieses Juristenchinesisch manchmal zu verstehen ist.“

Hattie nahm die Papiere an sich und sah sie aufmerksam durch. Als sie auf Seite drei angelangt war, hob sie erstaunt die Brauen. „Hier heißt es, dass mir im Falle einer Scheidung eine Summe von fünfhunderttausend Dollar ausgezahlt wird.“

Ungeduldig trommelte Luc mit den Fingern auf dem Tisch herum. Seine Haut zeichnete sich dunkel gegen das schneeweiße Tischtuch ab. „Findest du, dass das zu wenig ist?“

„Ach, komm schon, Luc! Du schuldest mir keinen Cent. Ich will kein Geld von dir. Wenn du möchtest, kannst du gerne etwas Geld für Deedees Ausbildung beiseite legen. Aber diese Klausel hier muss gestrichen werden!“

Luc reckte das Kinn. „Die Klausel bleibt. Wenn nicht, platzt unser Deal.“

Verwirrt sah Hattie zu ihm auf. „Ich verstehe nicht ganz.“

Er warf ihr einen finsteren, kämpferischen Blick zu. „Seit wir uns kennen, machst du mir meinen Reichtum zum Vorwurf. Aber jetzt benutzt du ihn, um jemanden zu schützen, den du liebst. Ich habe kein Problem damit. Aber ich kann es mir nicht leisten, dass nachher jemand behauptet, ich hätte dich mittellos auf die Straße gesetzt.“

Mühsam schluckte Hattie ihren Ärger herunter. Er war stolz, viel stolzer noch, als sie bis jetzt gedacht hatte. Und nach allem, was er für sie getan hatte, schuldete sie ihm wenigstens dieses kleine Zugeständnis. Kurz entschlossen zog sie einen Stift aus ihrer Handtasche und begann, die gekennzeichneten Stellen zu unterschreiben.

Luc legte seine Hand auf ihre. „Bist du sicher, dass du nicht vorher mit einem Anwalt sprechen willst?“

Sie betete, dass er nicht spürte, wie sie unter seiner Berührung erzitterte. „Ja, ich bin sicher“, erwiderte sie mühsam.

Er ließ sie los und beobachtete, wie sie eine Unterschrift nach der nächsten setzte.

„Ist das alles?“, fragte sie schließlich und reichte ihm die Papiere zurück.

„Das eine oder andere gibt es schon noch zu klären. Aber darüber würde ich lieber in Ruhe zu Hause sprechen.“

„Oh.“ Worum mochte es ihm wohl gehen? Sex? Natürlich musste das Thema irgendwann aufkommen, schließlich wollten sie heiraten. Aber Hattie hatte gehofft, dass sie noch ein bisschen Zeit haben würde, sich Gedanken darüber zu machen. Es gab noch so viele Fragen, auf die sie keine Antwort hatte. War sie überhaupt bereit, auch in dieser Hinsicht seine Frau zu sein? Konnte sie von ihm verlangen, auf körperliche Befriedigung zu verzichten?

Und warum machte sie sich überhaupt so viele Gedanken? Schließlich begehrte sie Luc doch. Trotzdem graute ihr vor dem bevorstehenden Gespräch.

5. KAPITEL

Luc saß in alten Jeans und seinem ausgeblichenen Uni-T-Shirt auf dem Ledersofa und starrte geistesabwesend auf den schwarzen Fernsehbildschirm.

Als sie zu Hause angekommen waren, hatte Hattie sich ein wenig Zeit erkauft, indem sie vorgeschlagen hatte, dass sie in bequemere Sachen schlüpfen sollten.

Und nun saß er hier und haderte mit sich selbst. War er denn wahnsinnig geworden? Macht – von wegen! Welcher Mann hatte schon alles im Griff, wenn sein Verstand beschloss, die Kontrolle einem weniger vernünftigen Körperteil zu überlassen als dem Kopf?

Hatties bloße Nähe in den letzten Tagen hatte ausgereicht, um ihn in regelmäßigen Abständen zu eiskalten Duschen zu zwingen. Seit Tagen versuchte er, sich einzureden, dass seine körperliche Reaktion nur auf seine Erinnerung an längst vergangene Zeiten zurückzuführen war. Als sie sich kennengelernt hatten, war Hattie noch Jungfrau gewesen. Ein zurückhaltendes, vorsichtiges Mädchen mit großen Augen. Auf ihn hatte sie so gewirkt, als würde sie ständig befürchten, jemand könne ihr im nächsten Moment den Boden unter den Füßen wegziehen.

Luc selbst war nicht gerade ein Kind von Traurigkeit gewesen. Schon zu Schulzeiten hatte er eine ganze Reihe von Freundinnen gehabt, und auf dem College war es nicht anders. Doch als Hattie in sein Leben trat, änderte sich alles. Sie war nicht so wie die anderen. Sie mochte ihn, aber im Gegensatz zu seinen sonstigen Affären interessierte sie sich kein bisschen für sein Geld. Anfangs hatte er noch den Verdacht gehabt, sie würde ihr Desinteresse nur heucheln, um sich interessant zu machen. Aber nach einer Weile war ihm klar geworden, dass sie sich tatsächlich nicht um seinen Reichtum scherte.

Sie erwartete keine Geschenke, sondern Aufmerksamkeit und echtes Interesse. Und das waren Dinge, die man mit Geld nicht kaufen konnte. Es dauerte lange, bis er begriff, dass sein Vermögen sogar ein Hindernis war.

Ein leises Geräusch ließ ihn herumfahren. Hattie stand im Durchgang zur Halle. Sie war barfuß, trug ein T-Shirt und eine bequeme Freizeithose und hatte sich das blonde Haar zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden.

Luc klopfte neben sich auf das Sofa. „Möchtest du ein Glas Wein?“ Das Gespräch, das ihnen bevorstand, würde Hattie sicher leichter fallen, wenn sie sich ein wenig entspannte.

Doch sie schüttelte den Kopf und nahm am anderen Ende des Sofas Platz, so weit von ihm entfernt wie irgend möglich. Offenbar war sie nervös, und das verschaffte ihm einen Vorteil. Er überreichte ihr einen dünnen weißen Umschlag. „Lass uns hiermit anfangen.“ In dem Kuvert befanden sich drei Kreditkarten, die bereits auf ihren zukünftigen Namen Hattie Parker Cavallo ausgestellt waren.

„Was soll das?“, fragte Hattie und drehte die Karten misstrauisch in den Händen.

Er legte seinen Arm auf die Sofalehne. „Als meine Frau brauchst du eine angemessene Garderobe. Wir werden viele Veranstaltungen besuchen und einige Reisen machen. Und ich möchte, dass ihr beide mich so oft wie möglich besucht, wenn ich unterwegs bin. Außerdem muss das Kinderzimmer eingerichtet werden. Ich habe dir ein paar Möbelkataloge auf dein Nachttischchen gelegt. Ana zeigt dir nachher das Zimmer, das ich für Deedee ausgesucht habe. Wenn es dir nicht gefallen sollte, finden wir sicherlich ein anderes.“

Hattie erblasste und warf ihm einen erschrockenen Blick zu.

„Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragte er.

Hilflos zuckte sie mit den Schultern. „Ich … ich habe einfach das Gefühl, dass du mein ganzes Leben in Besitz nimmst. Als hätte ich alle Kontrolle verloren.“

Instinktiv ballte er die Fäuste. Mühsam zwang er sich, wieder eine entspanntere Haltung anzunehmen. „Ich dachte, es wäre nützlich, wenn unsere Lüge so glaubwürdig wie möglich wirkt.“

„Das stimmt ja auch, aber …“

„Was, aber? Gefallen dir meine Pläne nicht?“

„Doch, absolut.“

„Dann verstehe ich dein Problem nicht.“

Hattie sprang auf und begann, unruhig auf und ab zu laufen. Dass sie Luc dabei ihre ausgesprochen ansehnliche Hinterseite präsentierte, machte die Situation nicht unbedingt einfacher für ihn. Wie sollte er sich bei diesem Anblick denn bitte auf die Krise konzentrieren, die sich so unerwartet entwickelt hatte?

Zum Glück fuhr Hattie wieder herum und sah ihn unverwandt an. „Ich bin es einfach gewöhnt, mich selbst um alles zu kümmern.“ Sie schrie die Worte fast, so aufgebracht war sie.

Luc atmete tief durch und erwiderte mit gespieltem Desinteresse: „Wenn du möchtest, können wir die ganze Sache auch abblasen. Meine Anwälte schaffen es sicherlich auch so, dir zum Sorgerecht zu verhelfen. Ist es das, was du willst?“

In einer Geste tiefer Verzweiflung vergrub Hattie das Gesicht in den Händen und schluchzte: „Nein! Im Grunde will ich doch einfach nur meine Schwester zurückhaben.“

Er konnte sie einfach nicht weinen sehen, ohne zu handeln. Mit einem Satz sprang Luc auf und schloss sie in die Arme. Sie fühlte sich zart und zerbrechlich an, aber er wusste es besser. Hattie war stark.

Eine Weile lang hielt er sie einfach fest. Dann spürte er, wie sie ihre Fassung zurückerlangte, und ließ sie wieder los, obwohl er dazu einen beträchtlichen inneren Widerstand überwinden musste.

Er ließ sich wieder auf dem Sofa nieder und wartete ungeduldig ab, bis sie das Wort an ihn richtete.

„Wenn wir jetzt nicht heiraten, weiß Eddie, dass ich gelogen habe. Und das wird er gegen mich verwenden. Ich habe keine Wahl mehr“, sagte sie schließlich leise.

Auch wenn er von Anfang an gewusst hatte, dass sie ihn nur aus der Not heraus heiratete, kratzten ihre Worte an seinem Stolz. Als er sprach, hallte seine Stimme kalt und hart in seinen Ohren wider. „Dann wirst du damit leben müssen, dass wir nach meinen Regeln spielen. Diesmal entkommst du mir nicht, Hattie. So was nennt man wohl Ironie des Schicksals, meinst du nicht auch?“

Sein Sarkasmus traf sie tief. Sie wusste, dass sie sich unfair verhielt. So tief, wie sie in Lucs Schuld stand, hatte er es einfach nicht verdient, dass sie ihn nun auch noch mit Vorwürfen und ihrer eigenen Unsicherheit belastete.

Und dass sie ihn mit jeder Faser ihres Körpers begehrte, machte alles nur noch schlimmer.

Mit einem gezwungenen Lächeln setzte sie sich neben ihn. „Meinst du nicht, dass wir wenigstens ein Budget vereinbaren sollten?“

Luc hob die Brauen und warf ihr einen skeptischen Blick zu. „Wenn ich eins über dich weiß, Hattie Parker, dann, dass du mich niemals ruinieren würdest.“ Er langte in seine Hosentasche und zog eine kleine Samtschachtel hervor. „Das hier ist der nächste Punkt, den ich besprechen wollte. In Anbetracht deiner momentanen Laune bin ich mir aber nicht mehr so sicher, ob es klug war, einfach etwas auszusuchen. Vielleicht ist es besser, wenn ich ihn zurückgebe und dich selbst wählen lasse.“

Hattie öffnete den Deckel und schnappte nach Luft. Aus einer schlichten, vollendet geschmackvollen Fassung blitzte ihr ein riesiger Diamant entgegen. Genauer hätte Luc ihren Geschmack nicht treffen können.

„Er ist wunderschön“, flüsterte sie betreten.

Da Luc keinerlei Anstalten machte, ihr den Ring überzustreifen, tat sie es selbst.

„Natürlich möchte ich ihn behalten. Ich danke dir, Luc.“

Er nickte knapp. „Als Nächstes sollten wir über die Hochzeit sprechen. Möchtest du eine kirchliche Trauung?“

Mühsam unterdrückte Hattie den Anflug von Enttäuschung, den seine Worte in ihr auslösten. Schließlich hatte auch sie mehr als einmal von einer romantischen Hochzeit geträumt. Doch das gehörte vergangenen Zeiten an. Einem Leben, das sie nun aufgeben würde. „Nein, das ist wohl nicht nötig.“

„Meine Familie besitzt eine kleine Insel vor der Küste bei Savannah. Ich denke, das wäre genau das Richtige. Ein Freund von mir ist Friedensrichter und kann die Trauung durchführen. Ich würde den vierzehnten Mai vorschlagen. Gibt es jemanden, den du gerne dabeihättest?“

Hattie schluckte. „Meine beste Freundin Jodi. Aber ihr Mann ist beim Militär und vor zwei Monaten nach Japan versetzt worden. Ich denke nicht, dass sie so spontan anreisen können.“

„Ana wird sicherlich gerne als Trauzeugin einspringen.“

In Anbetracht der Umstände lag diese Lösung nahe. „Gut, ich werde sie morgen fragen.“

„Ich selbst habe mich für meinen Bruder Leo entschieden. Er kennt die genauen Umstände unserer Hochzeit noch nicht und weiß bislang auch nicht, dass du die Braut bist. Ich erkläre ihm erst nach der Hochzeit, wie es dazu kam. Dann kann er nichts mehr daran ändern.“

Hattie wurde ein bisschen flau im Magen. „Denkst du, er erinnert sich überhaupt noch an mich?“

Luc lachte auf. „Mein Bruder vergisst niemals eine schöne Frau.“

Autor

Janice Maynard
Janice Maynard wuchs in Chattanooga, Tennessee auf. Sie heiratete ihre High-School-Liebe während beide das College gemeinsam in Virginia abschlossen. Später machte sie ihren Master in Literaturwissenschaften an der East Tennessee State University. 15 Jahre lang lehrte sie in einem Kindergarten und einer zweiten Klasse in Knoxville an den Ausläufern der...
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