Baccara Exklusiv Band 248

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SO VERLIEBT IN DEN FEIND von YVONNE LINDSAY
Ihr Leben könnte perfekt sein: Die Nächte mit Ilya Horvath entfesseln in Yasmin eine unglaubliche Leidenschaft! Doch ihr dunkelstes Geheimnis konnte sie ihrem Ehemann und einstigen Konkurrenten nie anvertrauen. Nun wird sie eiskalt erpresst – und muss Ilya alles beichten …

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  • Erscheinungstag 27.07.2024
  • Bandnummer 248
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523257
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Yvonne Lindsay, Joss Wood, Kat Cantrell

BACCARA EXKLUSIV BAND 248

1. KAPITEL

„Das Ganze ist ein Riesenfehler!“

Yasmin Carter erstarrte auf dem königsblauen Teppich, der zum Altar führte, und blickte den Mann an, der sich gerade zu ihr umgedreht hatte. Ilya Horvath, Erbe der Horvath Unternehmensholding und CEO ihres schärfsten Konkurrenten.

Ihr Bräutigam – den sie eben erst kennengelernt hatte.

Sie konnte ihn unmöglich heiraten.

Ihr Blick glitt über die Hochzeitsgäste, die in den Bänken nah am Gang saßen und eindeutig geschockt waren. Zumindest blickten sie sie ungläubig und bestürzt an.

Und Ilya? Ihre Ankündigung schien ihn nicht zu überraschen – oder zu amüsieren. Er wirkte verärgert.

Das konnte sie gut verstehen. Ihr ging es nicht anders, und das würde sie den Leuten von der Heiratsvermittlung bei der nächstbesten Gelegenheit auch sagen.

Als ihre Assistentin Riya ihr von dieser Agentur erzählte, schien das die Lösung ihrer geschäftlichen Probleme zu sein. Mal abgesehen von den Kosten, gewann sie mehr, wenn sie sich auf eine arrangierte Ehe einließ, als wenn sie Single blieb.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf absolvierte sie die psychometrischen Tests und die Interviews. Und es klappte.

Wegen der geplanten Eheschließung gelang es ihr, den ersehnten Exklusivvertrag mit Hardacre Incorporated abzuschließen. Nun würde sie die Flüge für die Angestellten und deren Familienmitglieder durchführen. Das war die Sache allemal wert. Hardacre Inc. war eine der bekanntesten Firmen für Motivationstraining und Coaching und arbeitete überall in den Vereinigten Staaten. Dank des Exklusivvertrags würde ihre kleine Chartergesellschaft endlich aus den roten Zahlen gelangen.

Allerdings hatte sie den Vertrag nur unter der Bedingung bekommen, dass sie verheiratet war und die Ehe mindesten drei Monate aufrechterhielt.

Ohne mit der Wimper zu zucken unterschrieb Yasmin auch diesen Passus, aber inzwischen hatte sie schwere Bedenken. Es war falsch, ganz falsch. Die Hochzeit durfte nicht stattfinden.

Sie hätte sich nie auf diese windige Geschichte einlassen dürfen, nur um ihre Firma zu retten. Aber man hatte ihr zu verstehen gegeben, dass die Ehefrau des Verantwortlichen bei Hardacre Inc. dem Vertrag nie zustimmen würde, wenn die Vertragspartnerin jung, hübsch und unverheiratet war. Wallace Hardacre war dafür bekannt, ein Auge auf junge Frauen zu werfen, er war jedoch anständig genug, sich nie mit verheirateten Frauen einzulassen.

Alles hatte so einfach ausgesehen. Ledig zu sein war die einzige Hürde für den Exklusivvertrag gewesen, denn preislich hatte Yasmin alle anderen unterboten, daher musste es mit der Eheschließung schnell gehen. Und es war ja nicht so, dass sie nicht irgendwann heiraten wollte. Nur hatte sie mit dem Aufbau und dem Führen ihrer Chartergesellschaft so viel zu tun, dass ihr gar keine Zeit für Männer blieb.

Und dieser Ilya … Kurz trafen sich ihre Blicke, und Yasmin überlief es heiß. Das hatte nichts mit Sympathie oder Zuneigung zu tun, sondern war eher ein primitiveres Gefühl. Es machte ihr jedoch klar, dass eine Ehe mit diesem Mann ein Riesenfehler wäre. Auch wenn Ilya Horvath aussah, als wäre er gerade dem Cover eines Männermagazins entstiegen, ihren Konkurrenten konnte sie unmöglich heiraten.

Äußerlich war nichts an ihm auszusetzen. Er war groß und breitschultrig, und der Dreitagebart stand ihm ausgesprochen gut. Sexuell würden sie sich gut verstehen, da war Yasmin sicher. Schon bei dem Gedanken fühlte sich das Korsett ihres trägerlosen Hochzeitskleids, in das sie sich heute Morgen mit Riyas Hilfe gezwängt hatte, noch enger an. Trotzdem verdrängte sie diese Empfindungen und holte tief Luft – soweit das möglich war – und sagte sich, dass sie vom sozialen Umfeld und dem finanziellen Hintergrund her überhaupt nicht zusammenpassten. Nein, sie konnte das schon im Gedenken an ihren verstorbenen Großvater nicht tun. Denn der hatte sie aufgenommen und sie aufgezogen, als ihre Eltern sie einfach bei ihm abluden. Sie wollten von ihrem Leben noch was haben und sich nicht mit der Verantwortung für ein Kind belasten.

Und Ilya war unglücklicherweise der Enkel des Mannes, der mit ihrem Großvater eng befreundet gewesen war, bis er ihm die Frau wegnahm, die ihr Großvater liebte. Seitdem bestand zwischen den beiden Familien Funkstille, ja, sogar echter Hass.

Sexuelle Anziehung war ja schön und gut, aber schon wegen der Sache mit ihrem Großvater konnte sie Ilya nicht heiraten.

„Das Ganze ist tatsächlich ein Riesenfehler“, sagte sie noch einmal, diesmal laut und fest in die atemlose Stille hinein. Sie bückte sich, raffte ihren weiten Organzarock zusammen und hastete so schnell aus dem Ballsaal, wie es auf den perlengeschmückten Sandaletten ging. Ein paar Sekunden herrschte absolutes Schweigen hinter ihr, dann redeten alle durcheinander.

Wo sollte sie hin? In die luxuriöse Suite für Flitterwöchner, in der sie sich heute Morgen fertig gemacht hatte, oder raus auf die Straße, in der Hoffnung, dass dort ein Taxi wartete? Allerdings war es wohl ein bisschen zu weit von Port Ludlow im nördlichen Washington bis nach Kalifornien, wo sie zu Hause war. Eine Fahrt mit dem Taxi über diese lange Strecke wäre heller Wahnsinn.

„Yasmin!“ Eine Frau kam hinter ihr her. „Warten Sie! Wir müssen unbedingt miteinander reden!“

Yasmin blieb stehen und wandte sich um. Eine elegante alte Dame folgte ihr, Alice Horvath. Ihretwegen war es vor knapp sechzig Jahren zur Feindschaft zwischen den Horvaths und den Carters gekommen.

„Geben Sie sich keine Mühe, ich ändere meine Meinung nicht.“

„Ich werde Sie nicht lange aufhalten.“ Alice legte ihr eine Hand auf den Arm und drängte sie sanft in Richtung Fahrstuhl. „Ich bitte Sie. Es ist sehr wichtig.“

„Hören Sie, ich …“

„Lassen Sie uns doch kurz in Ihre Suite gehen, da sind wir ungestört.“

Das Adrenalin, das beim Anblick ihres Bräutigams schlagartig durch ihre Venen gerauscht war, verebbte und hinterließ ermüdende Lethargie. Yasmin zuckte mit den Schultern. „Okay. Aber gerade Sie sollten am besten wissen, dass dies reine Zeitverschwendung ist. Sie können mich nicht überreden, Ihren Enkelsohn zu heiraten.“

Inzwischen hatten sie den Fahrstuhl erreicht. Alice sagte nichts, sondern lächelte nur wissend, während sie hinauffuhren. Vor der Hochzeitssuite zog sie eine Schlüsselkarte aus der Tasche und öffnete die Tür damit. Nachdem sie eingetreten waren, warf sie die Karte auf den Tisch.

„Das ist Ilyas Karte“, sagte sie. „Ich wollte sie ihm nach der Zeremonie geben.“

„Aha.“ Yasmin runzelte die Stirn und setzte sich auf eins der Sofas. Alice nahm ihr gegenüber Platz und blickte sie verlegen an.

„Ich verstehe sehr gut, dass Sie wissen wollen, was das alles bedeutet.“

Allerdings! Um das Zittern ihrer Finger zu verbergen, umklammerte Yasmin das Bouquet aus dunkelroten Rosen fester.

„Ich will offen zu Ihnen sein, meine Liebe. Als Sie sich bei der Heiratsvermittlung anmeldeten, wusste ich sofort, dass Sie und mein Enkelsohn durchaus zusammenpassen. Ich brauchte keine Testergebnisse, um sicher zu sein, dass Sie und Ilya das ideale Paar sind.“

Yasmin glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. „Wie bitte? Arbeiten Sie etwa für Match Made in Marriage? Wollen Sie damit sagen, dass Sie die Auswahl treffen?“

Alice nickte. „Ich weiß, das ist nicht allgemein bekannt. Und normalerweise helfen uns Tests und Interviews dabei, die richtigen Partner zu finden. Aber eigentlich benutze ich die Ergebnisse mehr oder weniger nur als Bestätigung dessen, was ich sowieso schon entschieden habe. Glauben Sie mir, ich kann mich auf mein Gefühl verlassen und liege selten falsch mit meinen Entscheidungen. Als ich aus dem Familienunternehmen ausstieg, lag es für mich auf der Hand, mein Talent anderswo einzusetzen. Also habe ich die Heiratsvermittlung gegründet. Und als mein Enkelsohn meinte, er sei jetzt so weit und wolle heiraten und eine Familie gründen, hat er sich verständlicherweise an mich gewandt. Ich war verblüfft, als ich so schnell die passende Partnerin fand. Nämlich Sie. Ich konnte es kaum glauben, als ich Ihre Bewerbung las.“

Alice Horvath blickte bekümmert auf die hübsche, aber unübersehbar verwirrte junge Frau, die ihr gegenübersaß. Wenn die Familien doch nur besser miteinander auskämen, wenn die Entfremdung, ja, der Hass sie nur nicht entzweit hätte. Wieso hatten Eduard Horvath und Jim Carter sich auch beide in sie verlieben müssen.

Vielleicht hatte sie jetzt die Chance, diesen Riss zu kitten, besser gesagt, die Schlucht zu überbrücken, die sich zwischen den Familien aufgetan hatte. Mit dieser albernen Feindschaft musste endlich Schluss sein. Die Heirat von Ilya und Yasmin war eine einmalige Gelegenheit, die sie sich nicht entgehen lassen durfte.

Sie blickte Yasmin ernst an und wusste, sie musste ihre Worte sorgfältig wählen. Die junge Frau war karrierebewusst und wollte mit Carter Air Erfolg haben. Aber ihre Firma steckte in den roten Zahlen. Alice war klar, dass Yasmin die Hochzeit durchziehen wollte, weil sie mit dem Exklusivvertrag mit den Hardacres ihr Unternehmen retten konnte.

Also lächelte sie zuversichtlich. „Bitte, glauben Sie mir, es ist kein Riesenfehler, sie beide zusammenzuführen, wie Sie meinen. Sie passen perfekt zueinander, auch, weil Sie die gleichen Werte haben und Ihre Erwartungen und Wünsche an die Zukunft sich sehr ähneln. Ich habe volles Vertrauen, dass Sie zusammengehören und eine glückliche und befriedigende Ehe führen werden.“

„Aber …“

Alice hob eine Hand. „Bitte, lassen Sie mich ausreden. Irgendwann muss man die Vergangenheit mal hinter sich lassen, sonst kann man sich nie auf die Zukunft konzentrieren. Und genau dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Ich weiß, dass sich zwischen unseren Familien viel Hass aufgestaut hat. Und dass Ihr Großvater und mein Eduard kein freundliches Wort mehr miteinander gewechselt haben, seit …“ Alice stockte von Gefühlen überwältigt, die sie nicht zeigen wollte. „Was ich damit sagen will, dieser Hass hat schon viel zu lange viel zu viele Leben bestimmt.“

„Aber es geht nicht nur um diese leidige Familienfehde, Mrs. Horvath …“

„Sagen Sie Alice zu mir“, unterbrach sie Yasmin schnell. „Und ja, ich weiß, es gibt noch andere Gründe. Doch im Augenblick möchte ich Sie nur bitten, sich alles noch einmal zu überlegen und wieder mit mir in den Ballsaal zu kommen. Alle warten.“

Yasmin schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht. Ich kann nicht gegen die Werte verstoßen, mit denen ich aufgewachsen bin, und den Mann heiraten, der versucht, mich in den Konkurs zu treiben. Das bin ich schon meinen Leuten und auch meinem Großvater schuldig. Daher muss ich die Klausel in Anspruch nehmen, die es mir ermöglicht, aus dem Vertrag mit Ihrer Heiratsvermittlung auszusteigen. Ilya und ich passen aus vielen Gründen nicht zusammen.“

Die grauen Augen der jungen Frau zeigten Alice, wie sehr sie mit dem Herzen dabei war. Sie musste sofort an Yasmins Großvater denken, und schon deshalb gab sie nicht auf. „Ach, meine Liebe, wie oft habe ich erlebt, dass übertriebener Stolz alles kaputt machen kann. Von Ihrem Großvater mal ganz abgesehen, Sie schulden es Ihren Angestellten, die Sache durchzuziehen. Wir wollen nicht darum herumreden, finanziell steht es nicht zum Besten mit Carter Air, oder?“ Alice ließ eine kurze Pause eintreten, um Yasmin die Gelegenheit zu geben, diesen Haken zu schlucken. „Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind sehr geschönt“, fuhr sie fort, „um es freundlich auszudrücken. Und um Ihre Frage vorwegzunehmen, ja, wir haben alles genau überprüft.“

Yasmin wollte protestieren, aber Alice ließ sie nicht zu Wort kommen. „Indem Sie den Vertrag mit meiner Heiratsagentur unterschrieben haben, gaben Sie uns das Recht, die Fakten zu überprüfen. Wir wollen ehrlich miteinander sein. Negative Schlagzeilen in der Presse über Vertragsbrüche und falsche Zahlenangaben Match Made in Marriage gegenüber helfen Ihrer Sache nicht weiter.“

„Was soll das?“, brauste Yasmin auf. „Wollen Sie mich erpressen?“

„Manchmal, mein Kind, heiligt der Zweck die Mittel. Schließlich geht es doch hier um Ihre glückliche Zukunft, die Sie sich nicht verbauen sollten.“

„Dann wollen Sie unbedingt, dass ich Ilya heirate? Warum nur?“

Alice blickte Yasmin lange an, die blass geworden war. Die großen grauen Augen, die vollen Lippen, die sie zusammenpresste, und die aufrechte Haltung, mit der sie verzweifelt versuchte, eine Schlacht zu gewinnen, die längst verloren war. Die Leidenschaft, mit der Yasmin sich für ihre Sache einsetzte, beeindruckte Alice und sie lächelte leise. War sie nicht als junge Frau genauso gewesen? Und auch jetzt kämpfte sie noch leidenschaftlich für die Menschen, die sie liebte. Dazu gehörte, dass sie Yasmin und Ilya zusammenbringen musste, denn sie zweifelte nicht daran, dass sie füreinander geschaffen waren. Wenn sie nicht davon überzeugt wäre, hätte sie die beiden nie zusammengeführt. Das war ihr Talent, ihre Gabe, die sie einsetzte, wenn etwas Positives zu erreichen war.

Alice liebte ihren ältesten Enkelsohn, den Sohn ihres Ältesten, von ganzem Herzen, mehr als sie je für möglich gehalten hätte. Für ihn war das Beste gerade gut genug, und sie wusste, dass diese junge Frau hier ihn glücklich machen konnte. Sie wusste es mit der gleichen Sicherheit, mit der sie sich damals für Eduard Horvath entschieden hatte. Sie hoffte nur, dass Yasmin auch zu dieser Überzeugung gelangte.

„Ich liebe meinen Enkelsohn sehr. Er arbeitet zu viel, und ich glaube, dass er im Grunde seines Herzens nicht glücklich ist in seinem Leben. Ob Sie mir nun zustimmen oder nicht, ich weiß, dass Sie ihn glücklich machen können. Und Sie beide glücklich zu sehen ist das Einzige, was ich mir wünsche. So einfach ist das. Und doch so kompliziert, ich weiß.“

Alice schnippte einen unsichtbaren Fussel von ihrem maßgeschneiderten Jackett und blickte Yasmin dann wieder an. „Wie ist es, wollen wir zu den anderen zurückkehren? Wir wissen beide, dass Sie es sich gar nicht leisten können, die Hochzeit abzusagen.“

„Aber wie soll ich mit dem Interessenkonflikt umgehen? Ilya ist mein schärfster Konkurrent, und ich weiß nicht, wie ich damit zurechtkommen kann.“

Alice hob kurz die Schultern. „Das müsst ihr zwei schon selbst miteinander ausmachen.“

„Nein, da machen Sie es sich zu leicht. Ich muss sicher sein, dass Horvath Air sich nicht gegen Carter Air stellt. Ilyas Unternehmen hat bisher jedes kleine Charterunternehmen aufgekauft oder in den Konkurs getrieben. Das darf mit Carter Air nicht passieren. Ich habe meinem Großvater versprochen, dass die Firma, die er gegründet hat, bestehen bleibt.“

Alice nickte und sah Yasmin mitfühlend an. „Sie armes Ding, ich weiß, Sie haben Ihren Großvater sehr geliebt. Und trotz seines polterigen Temperaments war er ein Mann, der sich viele Gedanken um seine Lieben machte. Aber manchmal gibt man in bestimmten Situationen Versprechen, die man bei Licht besehen nicht hätte machen sollen und die es nicht wert sind, gehalten zu werden. Hängen Sie wirklich mit ganzer Seele an Carter Air, oder fühlen Sie sich nur Ihrem Großvater gegenüber verpflichtet? Seinen Träumen und seiner unseligen Verbitterung?“

„Wie können Sie so etwas sagen! Er war ja wohl zu Recht verbittert. Sie haben ihn fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel! Ja, Sie waren nicht mal so anständig, es ihm selbst zu sagen. Er musste von Ihrer Verlobung mit Eduard Horvath aus der Zeitung erfahren!“

Alice senkte den Kopf. „Es war für alle das Beste so“, sagte sie leise.

„Tut mir leid, aber der Meinung bin ich nicht.“ Yasmin stand auf und ging aufgebracht hin und her. „Leider haben Sie in einem Punkt recht. Ich kann es mir nicht leisten, auf den Vertrag mit Hardacre zu verzichten. Also werde ich die Hochzeit durchziehen. Allerdings unter einer Bedingung.“

„Und die wäre?“

„Dass Carter Air und Horvath Air weiterhin unabhängig voneinander existieren und geschäftliche Themen zwischen Ilya und mir tabu sind.“

Auch Alice erhob sich nun. „Wie stellen Sie sich das vor? Ihr jeweiliges Unternehmen ist für Sie beide sehr wichtig. Wenn Sie miteinander nicht über Ihre Arbeit reden können, dann fällt ein großer Teil Ihres gemeinsamen Lebens weg. Halten Sie das für klug?“

Yasmin blieb stehen und sah sie scharf an.

„Ob klug oder nicht, das ist meine Bedingung. Wenn sie nicht erfüllt wird, müssen wir die Hochzeit abblasen, und Sie werden mich aus dem Vertrag mit Ihrer Ehevermittlung entlassen. Und zwar ohne Strafzahlung. Mir geht dann zwar der Auftrag von Hardacre verloren, aber auch Ihre Agentur sieht nicht gut aus, wenn Ihre Vermittlung platzt. Schließlich ist Ilya Ihr Enkelsohn, und wenn Sie noch nicht einmal fähig sind, für Ihren eigenen Enkelsohn die passende Partnerin zu finden …“

Bewundernswert, wie die junge Frau für ihre Sache kämpft … Alice nickte. „Und es genügt Ihnen, wenn Ilya Ihnen sein Wort gibt, dass Ihre Bedingung erfüllt wird? Sie haben sicher gehört, dass man sich auf sein Wort hundertprozentig verlassen kann.“

„Ja, es genügt mir.“

„Gut. Dann will ich das mit ihm besprechen.“

Valentin Horvath lehnte sich vor und flüsterte Ilya zu: „Ich bin wirklich überrascht, wie gelassen du mit dieser Sache umgehst. Schließlich kommt es nicht oft vor, dass ein Mann schon beim ersten Zusammentreffen so vehement von seiner Braut abgelehnt wird. Vielleicht bin ich voreingenommen, aber so unattraktiv bist du doch gar nicht.“

Ilya presste die Lippen zusammen und zählte bis zehn, bevor er Valentin antwortete, der nicht nur sein Cousin, sondern auch sein bester Freund war. Valentin führte das Pharmaunternehmen der Horvaths in New York und war normalerweise ernsthafter als sein jüngerer Bruder Galen. „Ich habe erwartet, dass sie nervös ist.“

„Und wenn sie nun nicht zurückkommt?“, fragte Galen.

„Sie kommt zurück.“

„Mit Nagy dicht hinter ihr gibt es kein Entkommen“, sagte Valentin grinsend. „Wahrscheinlich kann Großmutter eine Niederlage nicht ertragen. Wir wissen ja, wie sehr sie sich immer für ihre Paare einsetzt.“

Ilya rollte mit den Augen. Das Gerede seines Cousins nervte, denn er wurde allmählich ungeduldig. Wo, um alles in der Welt, blieb seine Braut?

Als er sie in ihrem Hochzeitskleid gesehen hatte, war er hingerissen gewesen. Sie war wunderschön. Er hätte nie geglaubt, dass die burschikos wirkende junge Frau in Jeans und T-Shirt sich in ein so feminines Zauberwesen verwandeln könnte. Sie wirkte zerbrechlich, verletzlich und rührte sofort etwas in ihm an: sein Bedürfnis, für die zu sorgen und die zu beschützen, die ihm wichtig waren. Dass er genau das bereits für seine Braut empfand, hatte ihn selbst überrascht. Spontan wollte er ihr folgen, als sie den Gang hinunterlief, nachdem sie verkündet hatte, ihn nicht heiraten zu können. Und er hätte es getan, wenn Grandma ihm nicht signalisiert hätte, er solle die Sache ihr überlassen.

Wieder blickte er auf die Uhr. Fast zwanzig Minuten waren die beiden Frauen schon fort.

„Man wird nervös.“ Valentin ließ den Blick über die Gästeschar schweifen. Erstaunlich viele Verwandte und Freunde waren trotz der kurzfristigen Einladung gekommen. „Gut, dass du den Champagner entkorkt hast, Galen.“

Galen war der CEO der Horvath Hotelkette und hatte sofort reagiert, als die beiden Frauen den Ballsaal verließen. Kellner gingen mit gefüllten Champagnergläsern herum, was wohlwollend aufgenommen wurde. Ilya lehnte jedoch ab. Er wollte einen klaren Kopf behalten.

Es gab eine Bewegung an der Tür, und er eilte seiner Großmutter entgegen, die ihn schnell in den Flur zog. „Alles okay mit Yasmin?“

„Ja.“

„Ich frage mich immer noch, wie du auf die Idee kommen konntest, dass wir zusammenpassen. Doch ich verlasse mich auf dein Urteil. Wie ist es mit ihr? Sie ist kritischer, als ich dachte.“

„Vertrau mir. Du weißt, dass ich nur dein Bestes will.“ Alice tätschelte ihm die Wange. „Es gibt allerdings ein kleines Problem.“

Ein kleines Problem? Dass seine Braut sozusagen vorm Altar davongelaufen war, war ja wohl etwas mehr als nur ein kleines Problem.

„Sie stellt eine Bedingung.“

„So? Und welche?“

Carter Air ist ihr sehr wichtig. Sie ist nur dann bereit, dich zu heiraten, wenn du versprichst, nie mit ihr Geschäftliches zu besprechen und wenn eure Firmen getrennt bestehen bleiben. Also keine Übernahme, keine Zusammenarbeit, kein Informationsaustausch.“

„Das ist alles?“ Aufs Ganze gesehen war das wirklich nicht viel. Natürlich wollte sie ihre Firma schützen, und er war auch gar nicht daran interessiert, Carter Air zu übernehmen. Abgesehen von der üblichen Konkurrenzsituation wünschte er ihr nichts Schlechtes, das war nicht sein Stil. Er hatte sowieso nie verstanden, wieso dieser Hass zwischen ihren Familien herrschte, und das schon seit Generationen.

„Dann bist du einverstanden?“, fragte seine Großmutter lächelnd.

„Aber sicher, Nagy. Zeig mir, wo ich unterschreiben soll.“ Er sah, wie erleichtert sie war. Offenbar war das für sie wirklich eine große Sache.

„Danke, mein Junge. Vorläufig sollten wir es bei einer mündlichen Abmachung belassen, man weiß nie, ob sich die Umstände nicht mal ändern. Und da du einen so guten Ruf hast, ist Yasmin mit einer mündlichen Erklärung einverstanden.“ Sie schob ihn spielerisch in Richtung Tür. „Und nun geh rein und warte auf uns.“

„Dann geht’s jetzt weiter wie geplant?“

„Allerdings.“

2. KAPITEL

Alles schon da gewesen, dachte Yasmin, als sie sich zum zweiten Mal der hohen Flügeltür näherte. Sie würde heiraten. Dies war ihr Hochzeitstag. Sie zog das Ganze tatsächlich durch. Und damit wären ihre Probleme hoffentlich bald gelöst, zumindest die geschäftlichen. Die privaten, nun, das war etwas anderes.

Vor dem Teppich blieb sie stehen. Und plötzlich war Ilya an ihrer Seite.

„Yasmin Carter, willst du mich heiraten?“, fragte er leise und reichte ihr den Arm, um mit ihr zusammen nach vorn zu gehen.

Sie blickte hoch. In seinen blauen Augen stand Zuversicht und Herzenswärme. Seltsam, im Geschäftsleben waren sie harte Konkurrenten, und hier bot er ihr anscheinend Trost und Freundschaft an. Irgendwie ergab das keinen Sinn, denn sie kannte den Mann ja kaum. In diesem Augenblick hatte sie jedoch das verrückte Gefühl, dass er ihr den Weg in eine glückliche Zukunft öffnen könnte.

„Yasmin?“

„Ja, ich werde dich heiraten“, sagte sie, allerdings nicht so fest und überzeugt, wie sie es sich vorgenommen hatte. Ihre Stimme klang rau und atemlos.

„Wollen wir dann?“ Er wies mit dem Kopf auf den langen blauen Teppich.

Sie nickte und hakte sich bei ihm ein. Langsam schritten sie auf den lächelnden Mann zu, der die Trauung vornehmen sollte.

Von der Zeremonie selbst bekam Yasmin kaum etwas mit. Sie ging davon aus, dass sie die richtigen Worte zur richtigen Zeit gesagt hatte, denn ehe sie sichs versah, steckte Ilya ihr einen funkelnden Ring an den Finger, und die Ehe wurde als geschlossen verkündet.

Ilya beugte sich zu ihr herunter. Oh Gott, er will mich küssen, ging es ihr durch den Kopf, und ihr Herz hämmerte. Sie starrte ihn an, als sein Gesicht näher kam, er lächelte und hatte ein amüsiertes Glitzern in den Augen. Dann spürte sie seine Wärme und nahm seinen Duft wahr, ein herbes Cologne, das leicht nach Tannennadeln und Sandelholz roch. Als seine Lippen ihre berührten, überlief es sie heiß, ihr Atem stockte, und ihr war, als bliebe die Zeit stehen. Viel zu schnell richtete er sich wieder auf.

Die Hochzeitsgesellschaft klatschte, und Ilyas Trauzeuge und die Freunde johlten. Yasmin stand da wie erstarrt, sie fühlte immer noch seinen Kuss. Verrückt und wunderbar zugleich. Dann nahm sie den Applaus wahr, riss die Augen auf und sah direkt in Ilyas lächelndes Gesicht. Mein Ehemann …

„Vergiss nicht zu atmen, Yasmin“, flüsterte er ihr zu.

Ach so, ja. Sie holte tief Luft und wandte sich den Gratulanten zu. Ihre Mitarbeiter von Carter Air waren gekommen, was sie sehr freute, denn andere Freunde hatte sie nicht. Während sie lächelnd die Glückwünsche entgegennahm, ging ihr vieles im Kopf herum. Sie war verheiratet. Mit Ilya Horvath. Der Mann war gefährlich.

Ein einziger Kuss hatte sie vollkommen durcheinandergebracht. War sie so schwach, so leicht zu verführen? Sehnte sie sich so sehr nach einem Mann? Sie warf einen kurzen Blick auf Ilya, und sofort fühlte sie, wie ihre Erregung zunahm. Als er sich dann auch noch von der Person abwandte, mit der er sich gerade unterhalten hatte, und sie ansah, stieg ihr die Röte in die Wangen, und sie senkte schnell den Blick.

Plötzlich stand Alice Horvath vor ihr. Waren das tatsächlich Tränen in ihren Augen? Das konnte doch wohl nicht sein …

„Herzlichen Glückwunsch, meine Liebe, und herzlich willkommen in der Familie. Du gehörst jetzt zu uns.“

Damit nahm Alice sie fest in die Arme und drückte sie mehrere Sekunden an sich. Was hatte sie gesagt? Über die Familie? Bevor Yasmin antworten konnte, war Ilya wieder an ihrer Seite.

„Der Fotograf ist da und will ein paar Fotos von uns machen. Du entschuldigst uns doch, Nagy?“

Er zog sie mit sich und Yasmin fand sich in einem zauberhaften Garten wieder, von dem aus man einen atemberaubenden Blick auf den Hafen hatte. Obgleich sie aus Kalifornien stammte, liebte sie die Küstenregion des Staates Washington mit den hohen Bäumen, den Seen, den Meeresbuchten und den Bergen im Hintergrund. Das Hotel mit seinen Gärten war so, wie sie es sich erträumt hatte. Tief atmete sie die würzige Seeluft ein.

„Jetzt geht es dir wieder besser, oder?“ Ilya legte ihr einen Arm um die Schultern. „Du hast ausgesehen, als müsstest du dringend an die frische Luft.“

„Stimmt. Ja, es geht mir gut. Ich konnte nur die vielen Menschen nicht mehr ertragen. Der ganze Zirkus ging mir auf die Nerven. Ich wusste nicht, dass das alles …“

„… so überwältigend ist?“

Er hörte sich an, als könne er sie nur zu gut verstehen. Yasmin sah zu ihm hoch. Sie war nicht gerade klein, aber er war doch fast einen Kopf größer als sie. „Ja, überwältigend.“

Wobei sie nicht nur an die Zeremonie dachte, sondern eher an ihn, an ihren Ehemann. Er war ganz anders, als sie erwartet hatte. Zwar hatte sie Fotos von ihm gesehen, war wohl auch ab und zu mit ihm im selben Raum gewesen, wenn es um irgendwelche Veranstaltungen für die Flugzeugindustrie ging. Aber dass sie mal seine Frau sein würde, auf die Idee wäre sie nie gekommen.

In der rechten Hand hielt er eine Flasche französischen Champagner, in der linken ein einzelnes Glas. Er goss ein, und sie bewunderte, wie elegant er das Glas hielt.

„Hier“, sagte er und reichte es ihr. „Das wird dir guttun.“

Wieder überlief es sie heiß, als hätte er sie berührt, als striche er mit seinen schönen Händen über ihre Brüste und dann tiefer … Sie spürte, wie ihre Brustspitzen hart wurden, und stöhnte leise auf, da sie ein unbekanntes Verlangen verspürte. Hatte Alice das gemeint, als sie sagte, sie und Ilya gehörten zusammen? Wusste Ilyas Großmutter Näheres über die Chemie, die zwei Menschen zueinander hinzog? Sie zumindest fühlte sich, als würde sie von ihm angezogen wie ein Häufchen Eisenspäne von einem Magneten.

Sie zwang sich, den Blick von seinen Händen zu lösen, nahm ihm das Glas ab und trank einen Schluck. Ja, das brauchte sie jetzt. Die Bläschen kitzelten auf ihrer Zunge und in ihrem Hals. Das Blut schien schneller und leichter durch ihre Adern zu fließen, je länger sie in Ilyas Nähe war. Nein, dass sie sich so intensiv nach einem Mann sehnte, den sie kaum kannte, mit dem sie aber verheiratet war, damit hatte sie wirklich nicht gerechnet.

Ilya hob schmunzelnd eine Augenbraue. „Du hast wohl Durst?“

„Irgendwie schon.“ Um ihre Verlegenheit zu verbergen, nahm sie schnell noch einen Schluck.

Gerade, als sie ihn fragen wollte, wieso er nichts trank, kam der Fotograf mit seinem Assistenten auf sie zu. In der nächsten Stunde wurden sie in allen natürlichen und unnatürlichen Posen fotografiert. Dabei trank Yasmin mehr Champagner, als sie sollte, denn sie hatte kaum etwas im Magen, da sie vor lauter Aufregung das Frühstück und den Lunch ausgelassen hatte.

„Das war schon mal sehr schön, Leute“, erklärte der Fotograf, „aber wie wäre es jetzt mit ein bisschen Leidenschaft?“

„Er weiß doch, dass wir uns heute zum ersten Mal begegnet sind, oder?“, zischte sie Ilya zu. „Wir kennen uns eigentlich gar nicht.“

Ilya trat dicht an sie heran und legte ihr einen Arm um die Taille. „Aber wir wissen ja, wie das auszusehen hat, und können ihm den Gefallen tun, oder?“

Er beugte sich zu ihr und verharrte mit seinen Lippen einen Millimeter vor ihrem Mund. Sie starrte ihm in die Augen, die schönsten Augen, die sie je gesehen hatte. Die blauen Iris waren von einem schwarzblauen Ring umgeben, ein unglaublicher Kontrast. Dann fühlte sie seine Hand auf ihrem Rücken, warm und stützend. Auch wenn er ihr fremd war, hatte er eine Wirkung auf sie, die sie zugleich faszinierte und ängstigte.

Sie spürte seinen Atem auf ihren Lippen, sein Blick nahm sie gefangen, als er ihr in die Augen sah, und unwillkürlich legte sie ihm eine Hand an die Wange. Leicht öffnete sie den Mund und wartete auf seine Berührung.

„Perfekt!“, rief der Fotograf begeistert und der Zauber verflog. „Lasst uns reingehen. Ich will ein paar Gruppenaufnahmen machen, und dann muss auch die Hochzeitstorte angeschnitten werden.“

Yasmin blinzelte und ließ die Hand sinken, die gerade noch Ilyas Wange berührt hatte, mit der anderen hielt sie krampfhaft das Bouquet fest. Was war das? Sollte sie dankbar sein, dass der Fotograf sie unterbrochen hatte, oder sich darüber ärgern? Fröstelnd fuhr sie zusammen. Obgleich der Herbst kaum begonnen hatte und die Tage mild und sonnig waren, hatte sich der Himmel bezogen, und die Temperatur war merkbar gesunken.

„Ist dir kalt? Komm, nimm das.“

Bevor sie ablehnen konnte, hatte Ilya sein Jackett ausgezogen und es ihr über die Schultern gehängt.

Seine Körperwärme hing im Stoff, und sie zog das Jackett fest um sich. Regentropfen lösten sich aus den dunklen Wolken, und dort, wo sie auf Ilyas Hemd trafen, schimmerte seine Haut durch. Yasmin spürte plötzlich ein so starkes Verlangen, dass sie beinahe gestolpert wäre.

Ilya stützte sie, und der Assistent des Fotografen stürzte sofort mit einem großen weißen Regenschirm auf sie zu. Ilya nahm ihm den Schirm ab und hielt ihn schützend über sie, bis sie den Raum erreicht hatten, in dem der Empfang stattfand. Dort befreite Yasmin sich sofort von seinem Jackett und warf es ihm zu. „Danke. Das brauche ich nicht mehr.“

„Hin und wieder muss man auch mal ein wenig Hilfe annehmen können“, sagte er nur.

„Das sagt ausgerechnet der Mann, der noch nie jemanden um Hilfe gebeten hat.“ Sie lächelte, um ihren Worten etwas von ihrer Schärfe zu nehmen, aber sie beide wussten, worauf sie anspielte. Er war mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden, wie man so schön sagte. Der Wohlstand war das Ergebnis harter Arbeit der früheren und auch der jetzigen Generation. Hatte er wirklich jemals um irgendetwas bitten müssen?

„Außerdem“, fügte sie schnell hinzu, „musst du für den Empfang makellos gekleidet sein.“

Er sah sie kurz an, sagte jedoch nichts und zog das Jackett wieder an.

Die Frau, die für die Organisation der Hochzeit verantwortlich war, empfing sie an der Tür. „Sind Sie bereit?“

„Ja, soweit es uns möglich ist.“ Ilya warf ihr ein breites Lächeln zu.

Yasmin nickte, während sie verzweifelt versuchte, die albernen Gefühle unter Kontrolle zu halten, die ihre Knie zittern ließen. Wenn die Anwesenden wüssten, wie es in ihr aussah, würden sie sie für eine von Sex besessene Frau halten, die schon ein angedeuteter Kuss fix und fertig machte.

Vielleicht gar nicht so falsch … Sie musste zugeben, dass sie lange nicht mehr mit einem Mann zusammen gewesen war, mindestens seit zwei Jahren nicht. Und dass sie Sex gehabt hatte, war noch länger her. Das sollte aber nicht bedeuten, dass sie wie ein Eiswürfel mitten im Juli dahinschmolz, wenn Ilya Horvath sie nur ansah. Vor allem, da er ziemlich unbeteiligt blieb. Das ärgerte sie und sie nahm sich vor, ihre albernen Reaktionen streng unter Verschluss zu halten. Das würde sie doch wohl fertigbringen.

Amüsiert betrachtete Ilya seine Ehefrau, die verzweifelt versuchte, einen gelassenen Eindruck zu machen. Dennoch erkannte er an ihren geröteten Wangen und der schnellen Atmung, bei der sich ihre Brüste hoben und senkten, dass sie sich genauso zu ihm hingezogen fühlte wie er sich zu ihr. Das konnte eine interessante Ehe werden, aber ob sie lange halten würde? Seine Großmutter schien davon überzeugt zu sein. Wie sie darauf kam, hatte sie ihm bisher noch nicht verraten. Immerhin teilten Yasmin und er die Leidenschaft für Flugzeuge und fürs Fliegen. Dass sie Konkurrenten waren, nun, das stand auf einem anderen Blatt.

Als sie den Raum betraten und als Mr. und Mrs. Horvath angekündigt wurden, wandten sich ihnen alle Anwesenden zu. Während sie ihre Runde machten, nickte Yasmin allen freundlich zu. Sie nahmen an der Kopfseite des langen Tisches Platz.

Lächelnd, zischte sie ihm zu: „Ich nehme deinen Namen nicht an!“

„Das habe ich auch gar nicht erwartet“, erwiderte er und grinste wegen ihrer Verblüffung. „Soll ich deinen annehmen?“

Sie sah ihn ungläubig an. „Würdest du das tun?“

„Wenn es für dich wichtig ist.“ Er wurde ernst. „Ich möchte, dass unsere Ehe klappt, Yasmin. Zwar weiß ich noch nicht, warum du dich darauf eingelassen hast, aber ich habe Vertrauen, dass die Experten wussten, was sie taten. Ich hoffe, dass wir es ernsthaft versuchen. Ich wünsche mir eine Familie mit einer Frau, nach der ich mich sehne, die ich um mich haben will, morgens und abends und überhaupt …“ Er zögerte. Das war vielleicht etwas zu direkt, zu forsch? Zumindest sah Yasmin ihn mit ihren großen grauen Augen fassungslos an. Er war selbst von seiner Rede überrascht. Allerdings hatte er schon immer ausgesprochen, was er wollte. Es stimmte, er wollte eine Familie und eine Frau, die in jeder Beziehung zu ihm gehörte und ihm eine gleichberechtigte Partnerin war.

Das Essen begann. Die einzelnen Gänge wurden mehrmals von Rednern unterbrochen, doch nur eine Person stand auf, um für Yasmin zu sprechen. Es war ihre Büroleiterin, die er schon bei Carter Air gesehen hatte. Offenbar war Yasmins Familie nicht gekommen. Er wusste, dass sie bei ihrem Großvater aufgewachsen war, der vor wenigen Jahren verstorben war. Aber wieso waren ihre Eltern nicht erschienen? Hatten sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter? Vielleicht hatte sie ihn geheiratet, weil sie sich nach einer eigenen Familie sehnte.

Dass er die Agentur seiner Großmutter eingeschaltet hatte, damit sie eine Braut für ihn suchten, hatte gute Gründe. Er wollte die Familientradition fortsetzen und irgendwann die Leitung der Horvath Unternehmensgruppe seinem Erben übergeben. Doch er hatte nicht die Zeit, nach der richtigen Frau zu suchen. Während seiner Studienzeit war er einmal verlobt gewesen, jedoch nicht lange.

Sein Vater war gestorben, als Ilya sechzehn war. Da seine Mutter sich sehr bald nach einem neuen Mann umgesehen hatte und ihre Mutterpflichten vernachlässigte, hatte er sich immer nach einer richtigen Familie gesehnt. Sicher, er hatte seine Großmutter, hatte Onkel und Tanten und Cousins und Cousinen, aber das war etwas anderes.

Er warf einen Blick auf Yasmin und spürte so etwas wie Verbundenheit. Ihr Familienleben war nicht besser gewesen. Er hatte ihren leicht aufbrausenden Großvater nur kurz kennengelernt. Dass der und sein eigener Großvater gute Freunde gewesen sein sollten, konnte er sich kaum vorstellen. Die beiden waren sehr unterschiedlich. Eduard Horvath war ein charismatischer Mann gewesen, der sich hundertprozentig für das einsetzte, was er für richtig hielt, und der das Leben liebte. Jim Carter dagegen lebte zurückgezogen, war misstrauisch und hasste jede Veränderung. Wahrscheinlich war es auch deshalb mit Carter Air bergab gegangen. Der alte Carter war kein Zukunftsplaner gewesen und hatte es versäumt, sein Unternehmen für die neue Zeit einzurichten. Da war Eduard ganz anders gewesen, und gerade ihre Unterschiedlichkeit war es wohl, die aus ihnen ein so unschlagbares Team gemacht hatte.

Bis Alice in ihr Leben trat.

Wieder sah er Yasmin an. Sie war anders als ihr Großvater, war zupackender und mehr dem Leben zugetan, auch wenn sie etwas von Jims Vorsicht übernommen hatte. Eins wusste er allerdings genau. Sie war eine verdammt gute Pilotin. Er hatte sie am Steuerknüppel der alten Ryan PT-22 auf Flugshows gesehen und war sehr beeindruckt gewesen. Die Ryan galt als schwer zu handhabendes Flugzeug.

Yasmin Carter war offenbar für viele Überraschungen gut.

3. KAPITEL

Ilya lehnte sich zu ihr herüber und flüsterte ihr ins Ohr: „Scheinen sich ja alle gut zu amüsieren.“

Yasmin nickte nur, bemüht, sich von seinem warmen Atem und der leisen dunklen Stimme nicht aus der Fassung bringen zu lassen.

„Nur du nicht.“

„Oh doch. Ich auch.“ Es stimmte. Alles hatte bisher gut geklappt. Sie hasste es jedoch, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Als würde sie auf einem Silbertablett zur Begutachtung durch die Familie herumgereicht. Ilyas Cousins und Cousinen machten einen netten Eindruck, aber mancher aus der älteren Generation konnte eine gewissen Feindseligkeit nur schwer verbergen. Und dann die ewigen Fragen nach ihrer Familie, nach ihren Eltern, ob die mit der Hochzeit denn nicht einverstanden waren?

Die Wahrheit war, dass Yasmin keine Ahnung hatte, wo ihre Eltern waren, deshalb hatte sie sie nicht von der bevorstehenden Hochzeit informieren können. Sie wusste nur, dass sie sich irgendwo in Südamerika herumtrieben. Ein traditionelles Leben mit einer geplanten Zukunft war ganz sicher nicht deren Ding.

Wer weiß, vielleicht wären sie sogar angetan von ihrer abenteuerlichen Entscheidung, einen Mann zu heiraten, den sie kaum kannte. Ihr Vater hatte zwar versucht, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, aber die beiden hatten sich nie gut verstanden. Und so war er schließlich aus der Firma ausgeschieden und führte ein freies unkonventionelles Leben mit der Frau, die er liebte. Immerhin hatte er genügend Verantwortungsbewusstsein, seine Tochter bei seinem Vater abzuliefern, damit sie in einer stabilen Umgebung aufwuchs.

Dafür war Yasmin ihren Eltern dankbar, auch wenn es nicht immer einfach gewesen war, mit ihrem Großvater auszukommen. Aber sie war anders als ihre Eltern und kam mehr nach ihrem Grandpa, obwohl sie sich das nur ungern eingestand. Sie brauchte Ordnung, Regelmäßigkeit und hasste Überraschungen. Deshalb war ein Tag wie der heutige für sie nur schwer zu ertragen.

Ilya unterbrach sie in ihren Gedanken: „Komm, lass uns gehen.“

Erstaunt sah sie ihn an. „Können wir das so einfach tun?“

„Warum denn nicht. Es ist doch unser Hochzeitstag. Da können wir machen, was wir wollen, oder?“

Er reichte ihr die Hand, und sie nahm sie. Dann stand er auf und zog sie hoch. Sie sah ihn unsicher an. Würde jetzt ihre Ehe beginnen? Oben in der Hochzeitssuite, von der aus man auf den Hafen schaute? Panik überfiel sie. So sehr sie sich auch zu Ilya hingezogen fühlte, sie wusste, sie war noch nicht bereit.

Erstaunte Blicke begleiteten sie, als sie durch eine der Glastüren auf den Innenhof traten. Es hatte aufgehört zu regnen, aber die Luft war feucht und kalt. Schnell zog Ilya wieder sein Jackett aus und legte es ihr um die Schultern. Sie sah ihn dankbar an und folgte ihm zu einer Tür, die in die Hotellobby führte.

„Du kennst dich hier ja gut aus“, sagte sie. „Ich hatte schon Probleme, den Ballsaal zu finden.“

Er schmunzelte. „Du hast wahrscheinlich was anderes im Kopf gehabt.“

Dieses Lächeln … Ihr wurden die Knie weich. Der Mann war unverschämt attraktiv. Wie wohl die erste gemeinsame Nacht sein würde? Wie fing man so was an? Was sollte sie tun?

Sie straffte die Schultern und holte tief Luft. „Okay, dann wollen wir mal“, sagte sie.

Ilya lachte und ging in Richtung Fahrstuhl. „Das hört sich ja so an, als könntest du es gar nicht mehr erwarten.“

„Entschuldige.“ Sie wurde knallrot. „Aber ich war noch nie in dieser Situation.“

„Ich auch nicht. Es war ein anstrengender Tag. Und ganz anders, als ich gedacht habe.“

„Was hast du dir denn vorgestellt?“ Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und Yasmin trat ein.

„Auf keinen Fall habe ich mit jemandem wie dir gerechnet. Das meine ich nur positiv“, fügte er hastig hinzu.

„Ich war auch überrascht, als ich dich sah“, sagte sie leise. „Falls dich das tröstet.“

„Das war nicht zu übersehen, so wie du reagiert hast.“

Unwillkürlich musste sie lächeln. Diesmal kam ihr Lächeln von Herzen und war nicht aufgesetzt.

„Wie schön du bist, wenn du lächelst“, sagte Ilya.

Der Fahrstuhl hielt und sie stiegen aus.

Auf diesem Stockwerk liegt die Hochzeitssuite, dachte Yasmin mit klopfendem Herzen. Sie wünschte, es gäbe eine Art Anleitung, die ihr sagte, was als Nächstes zu geschehen hätte. Dabei wusste sie genau, was passieren würde. Es war schließlich ihre Hochzeitsnacht.

Vor der Tür zur Suite blieb Ilya stehen und zog die Schlüsselkarte aus der Tasche. „Meine Sachen hat man während des Empfangs heraufgebracht“, erklärte er und ließ sie in den großen hellen Raum eintreten. „Ich habe allerdings gesagt, dass noch nichts ausgepackt werden soll.“

„Warum denn nicht? Sollen wir hier nicht unsere Flitterwochen verbringen?“

„Wenn du das möchtest, ist es mir recht. Aber wenn nicht, gibt es andere Möglichkeiten. Hawaii zum Beispiel. Oder mein Haus im Ojai Valley bei Santa Barbara. Da ist es hübsch. Ganz wie du willst.“

Ja, wenn sie das wüsste … Yasmin runzelte die Stirn. So sehr ihr Washington auch gefiel, hier fühlte sie sich fremd und unsicher, speziell in dieser Situation mit Ilya. Die Ehe mit ihm war schon beunruhigend genug. Vielleicht sollten sie sie in einer vertrauteren Umgebung wie Kalifornien beginnen. Sie blickte sich in der luxuriösen Suite um, in der sie sich wie eine Außenseiterin fühlte. Diesen zur Schau gestellten Reichtum war sie nicht gewohnt.

Sie sah Ilya an. „Hier möchte ich nicht bleiben.“

„Wohin möchtest du dann? Nach Hawaii? Oder lieber in mein Haus in Kalifornien?“

Das klang alles so harmlos und normal. Und vielleicht war es das in seiner Welt auch. „Kalifornien klingt gut. Aber ich weiß noch nicht. Erst einmal möchte ich mich umziehen und meine Sachen packen.“

„Brauchst du Hilfe?“

Sie wollte schon dankend ablehnen, als ihr einfiel, dass ihr Kleid hinten mit vielen Haken und Ösen geschlossen war, die Riya zugemacht hatte. „Ja, vielleicht.“ Sie drehte sich um. „Wenn du mir die Haken aufmachen könntest.“

Sie hörte, wie er hastig die Luft einsog.

„Selbstverständlich“, sagte er dann. „Das kannst du wirklich nicht allein.“

Gleich wird er mich berühren. Kurz ballte sie die Hände zu Fäusten und stand ganz still. Und da spürte sie auch schon seine Finger zwischen ihren Schulterblättern, sorgfältig löste er Haken für Haken. Krampfhaft presste sie sich das Vorderteil an die Brüste.

„Du hast ja ein Bustier drunter“, sagte er überrascht. „Kommst du damit allein zurecht?“

Sie schloss kurz die Augen. Seine Hände auf ihrer Haut … die reine Folter. „Vielleicht kannst du die oberen zehn Zentimeter aufmachen? Den Rest schaffe ich dann schon.“

Ilya sagte nichts, sondern fing an, die Knöpfe zu öffnen. Als sie spürte, wie sich das Bustier lockerte, machte sie einen Schritt vorwärts. „Danke, nun kann ich weitermachen.“

Sie merkte selbst, wie gepresst ihre Stimme klang. Das Herz hämmerte ihr in der Brust, und ihr kamen die wildesten Ideen. Was würde geschehen, wenn sie sich jetzt einfach umdrehte und die Hände sinken ließe, sodass ihr das Kleid auf die Hüften rutschte und das Bustier gerade noch knapp auf den Brüsten hing? Wie würde Ilya reagieren? Bei dem Gedanken wurde ihr heiß und kalt zugleich.

„Lass dir Zeit“, sagte er ruhig. „Ich warte hier auf dich.“

Sie hörte, wie er ein paar Schritte zurücktrat und sich offenbar in einen der Ledersessel fallen ließ. Wenn das so ist … Mit hoch erhobenem Kopf ging sie an ihm vorbei ins Schlafzimmer und schloss die Tür. Erst jetzt merkte sie, dass sie die Luft angehalten hatte, und atmete tief aus. Wenn er sich nicht zurückgezogen hätte, hätte sie sich umgedreht … Sie musste über sich selbst den Kopf schütteln. So etwas sah ihr doch gar nicht ähnlich. Sie war weder impulsiv noch handelte sie spontan. Ihr Leben lang hatte sie hart gearbeitet, denn nur Leistung machte sich bezahlt. Nach diesem Motto hatte sie immer gelebt. Was also war über sie gekommen, auch nur mit dem Gedanken zu spielen, sich einem Fremden an den Hals zu werfen? Einem Fremden, der allerdings ihr Ehemann war.

Yasmin ließ das Kleid auf den Teppich fallen, öffnete das Bustier vollständig und schleuderte die Sandaletten von den Füßen. Im Bad drehte sie das Wasser auf, streifte ihre Strümpfe und den kleinen Spitzenslip ab und trat unter die Dusche. Während sie das Gesicht den warmen Wasserstrahlen entgegenhielt, spürte sie, wie sie sich allmählich entspannte. Endlich wurde sie wieder sie selbst. Sie war nicht mehr die errötende Braut, die sich in ein Abenteuer stürzte. Diese Frau war eine Träumerin, aber nicht jemand, der sein Schicksal selbst in die Hand nahm. Sie war immer stolz darauf gewesen, dass sie alles anpackte und ihr Leben aktiv gestaltete.

Und der Mann, der draußen vor der Schlafzimmertür auf sie wartete? Er war zwar sehr attraktiv und angenehm und sexy, aber als ihr schärfster Konkurrent war er auch ihr Feind, das durfte sie nicht vergessen.

Ilya begann den Landeanflug. Er war erleichtert, als der runde Hubschrauberlandeplatz hinter seinem Haus aus dem Dunkel auftauchte. Yasmin saß schweigend neben ihm, unterdrückte hin und wieder ein Gähnen, beobachtete aber trotzdem aufmerksam seine Handgriffe.

Seit sie das Hotel verlassen hatten, hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Sie hatte zum Umziehen und Packen länger gebraucht, als er erwartet hatte. Und in der schwarzen Jeans, dem hellen Leinenhemd und einer etwas abgeschabten ledernen Fliegerjacke war die errötende Braut in der weißen Pracht wirklich nicht mehr zu erkennen. Und dennoch kribbelten ihm die Finger, wenn er daran dachte, wie sanft sich ihre Haut angefühlt hatte, als er die Haken an ihrem Kleid gelöst hatte.

Und ihr Duft … Er hatte sich schwer zusammenreißen müssen, um sie nicht auf den Nacken zu küssen, den sie ihm so unschuldig darbot. Er wollte sie jedoch nicht erschrecken. Wenn es mit dieser Ehe klappen sollte, musste er sich in diesem Punkt ganz nach Yasmin richten. Es würde sich lohnen, davon war er fest überzeugt.

Warum sie sich an Match Made in Marriage gewandt hatte, war ihm immer noch ein Rätsel. Nagy würde es wissen, aber vielleicht sollte er Yasmin einfach fragen. Schließlich waren sie jetzt Mann und Frau, und er sollte sich zuerst an sie wenden. Zumindest in allen Fragen, die nicht das Geschäftliche betrafen.

Nach der Landung kam Pete Wood, der Chefpilot von Horvath Air auf den Hubschrauber zu und öffnete die Tür auf Yasmins Seite.

„Willkommen zu Hause, Mr. und Mrs. Horvath!“, sagte er lächelnd. „Achtung, Ihr Kopf, Mrs. Horvath!“

„Yasmin, bitte“, sagte sie, während sie sich abschnallte, den Kopfhörer abnahm und aus dem Hubschrauber stieg.

Eigentlich schade, dachte Ilya. Mrs. Horvath, das hörte sich gut an und machte ihn irgendwie stolz. Yasmin war seine Frau, eine völlig neue und aufregende Erfahrung. Er war noch nie verheiratet gewesen, hatte nicht mal mit einer Frau zusammengelebt. Und nun die Zukunft mit ihr, was für ein Abenteuer.

Ilya nahm die beiden Koffer und stieg aus. „Danke, dass du uns eingewiesen hast, Pete.“

„Habe ich gern getan, Sir.“ Pete strahlte ihn an. „Und herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Hochzeit. Kann ich die Koffer nehmen?“

„Nein, danke, das mach ich selbst. Fliegen Sie nur nach Hause.“

Pete tippte kurz an seine Mütze. „Rufen Sie an, wenn Sie mich brauchen.“

Ilya grinste. „Offiziell bin ich ja jetzt auf Hochzeitsreise. Da werde ich Sie hoffentlich nicht brauchen. In zwei Wochen melde ich mich wieder.“

„Okay, Boss. Alles Gute!“

Yasmin stand außerhalb des Hubschrauberlandeplatzes, und Ilya trat neben sie. Als Pete den Hubschrauber startete, legte er ihr einen Arm um die Schultern. „Komm, lass uns ins Haus gehen, sonst werden wir noch weggepustet.“ Er wies mit dem Kopf auf den beleuchteten Pfad, der um das Gebäude herumführte.

Sie ließ den Hubschrauber nicht aus den Augen. „Heißt das, dass wir jetzt hier festsitzen und nicht mehr wegkönnen?“

„Würde dich das stören?“

„Sollte es?“

Ilya lachte. „Nein, das sollte es nicht. Und nein, wir sitzen hier nicht fest.“ Er zeigte auf die große Garage an der Seite des Hauses. „Du hast eine Reihe von Wagen zur Auswahl, falls du fliehen willst.“

„Fliehen?“ Sie sah ihn fragend an. „Wie kommst du auf die Idee, dass ich fliehen will?“

„Weil du deine Tasche so krampfhaft festhältst.“

Sofort lockerte sie den Griff.

„Wir sollten möglichst offen miteinander umgehen, was unsere Gefühle betrifft, einverstanden?“ Als sie nickte, drückte er sie kurz an sich. „Und hier sind wir auch schon.“

Immer wieder ging ihm das Herz auf, wenn er sich dem mächtigen Eingang näherte. Dieses Haus im mediterranen Stil, das auf einem Hügel gebaut war, hatte ihm gleich gefallen. Von hier aus hatte man einen weiten Blick ins Tal. Außerdem lag es nur eine halbe Autostunde vom Flughafen entfernt, wo Horvath Aviation seinen Sitz hatte, sehr bequem. Und nun sollte es das Heim von ihm und Yasmin werden.

Er setzte die Koffer ab, holte den Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. „Willkommen zu Hause, Yasmin.“ Er drückte die schwere Holztür auf, hielt Yasmin jedoch zurück, als sie eintreten wollte. „Wenn du nichts dagegen hast …“ Er hob sie hoch und trug sie über die Schwelle.

Vor Überraschung stieß sie einen leisen Schrei aus, legte ihm aber einen Arm um den Nacken und lächelte ihn an.

Wie leicht sie war. Und dennoch hatte der Druck ihres Körpers gegen seinen, zu spüren, wie sie sich an ihn schmiegte, eine unglaubliche Wirkung auf ihn. Er trug sie hinein, wie es Tradition war, aber gehörte dazu nicht auch ein Kuss, mit dem man die Braut im eigenen Haus begrüßte?

Die kurze Berührung ihrer Lippen nach der Trauungszeremonie war eher Folter als Vergnügen gewesen. Später im Ballsaal mit all den Menschen wollte er sie nicht leidenschaftlich küssen und sie damit in Verlegenheit bringen. Und auch jetzt hatte er Hemmungen, denn er wusste, wie müde und abgespannt sie nach diesem Tag war.

Also setzte er sie vorsichtig ab. Sie drehte sich jedoch zu ihm um, legte ihm die Arme um den Nacken und schmiegte sich an ihn. Da konnte er nicht anders. Er drückte sie an sich – und küsste sie.

Wow, was für eine Empfindung! Ilya war geschockt, als sie sofort die Lippen leicht öffnete und ihn einließ. Sie wusste, was sie tat, wenn es ums Küssen ging. Sein Kuss wurde leidenschaftlicher, tiefer, er nahm alles, was sie ihm bot, hielt inne und überließ sich ihren Wünschen. Und sie wusste, was sie wollte, und erwiderte seinen Kuss verlangend. Er konnte nicht mehr klar denken, sein Kopf war leicht und leer, vielleicht auch, weil sein Blut in andere Körperteile geflossen war. Er spürte nichts als unbändige Sehnsucht, ja, Begierde, sie zu besitzen. Wenn sie im Bett so war, wie sie küsste …

Gerade, als er überlegte, sie wieder auf die Arme zu nehmen, sie nach oben in sein Schlafzimmer zu tragen, sie auszuziehen und ihr zu zeigen, was für eine fantastische Ehe sie führen würden, spürte er ein gewisses Zögern bei ihr. Sie sah ihn an und legte ihm die Hände auf die Brust, als wolle sie ihn zurückstoßen.

Nichts überstürzen, Ilya. Bedauernd drückte er ihr noch einen kurzen Kuss auf die Lippen, dann richtete er sich auf und strich sich das Haar zurück. Sie sah ihn unter schweren Lidern an, ihre Wangen waren gerötet. Was für ein verführerisches Bild.

Trotzdem wandte er sich ab, nahm die beiden Koffer und schlug die Tür von innen zu.

„Möchtest du dir schon jetzt alles ansehen, oder wollen wir damit bis morgen warten?“

Sie sah sich in der Eingangshalle um, warf einen Blick ins Esszimmer, ins Wohnzimmer und blieb dann wieder vor ihm stehen. „Das ist ja ein riesiges Haus“, sagte sie staunend. „Und alles für eine einzige Person?“

„Als ich das Anwesen vor ein paar Jahren kaufte, dachte ich schon daran, hier Kinder aufwachsen zu sehen.“ Sofort hatte er Yasmin vor Augen, wie sie sich lächelnd zu einer Kinderschar hinunterbeugte. Waren das reine Zukunftsfantasien? Er konnte nicht anders. Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto deutlicher wurde dieses Bild. „Wie ist es denn mit dir?“, fragte er leise. „Möchtest du Kinder haben?“

„Oh ja!“ Ihre Augen strahlten, als sie ihn ansah. „Ich bin wie du als Einzelkind aufgewachsen. Aber du hast wenigstens Cousins und Cousinen, die ein bisschen die Geschwisterrolle übernehmen können, ich nicht. Deshalb habe ich mir immer geschworen, wenn ich mal Kinder haben sollte, dann bestimmt mehr als eins. Vielleicht ist das einer der Gründe, dass man uns zusammengeführt hat.“

Erleichtert atmete er auf. Einige seiner Beziehungen waren in die Brüche gegangen, weil er unbedingt eine Familie haben wollte. Gut, dass Yasmin da wie er dachte.

„Wie ist es nun mit dem Haus? Möchtest du es jetzt besichtigen und schon mal ein Kinderzimmer aussuchen?“ Er zwinkerte ihr übermütig zu.

Sie lachte. „Dafür ist es vielleicht doch ein bisschen zu früh. Außerdem bin ich todmüde. Lass uns die Tour durchs Haus auf morgen verschieben.“

„Nichts dagegen. Komm, ich zeig dir dein Zimmer.“

Er ging vor, die Treppe hinauf, den Flur entlang und öffnete die Tür zu einem großen Raum. Sie trat ein, er folgte ihr und stellte ihren Koffer auf eine Truhe am Fußende des breiten Bettes. „Ich hoffe, du wirst dich hier wohlfühlen. Dahinten geht es ins Badezimmer, und meine Haushälterin hat hoffentlich dafür gesorgt, dass du alles vorfindest, was du brauchst.“

Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Wir … äh … wir schlafen nicht in einem Zimmer?“

„Noch nicht. Es sei denn, du möchtest es.“

„Ich …“ Yasmin blickte verlegen zu Boden.

„Das ist völlig okay. Ich glaube, dir ist es lieber, wenn wir uns erst ein wenig kennenlernen, bevor wir diesen Schritt tun.“ Leichter gesagt als getan. Am liebsten würde er sie gleich hier aufs Bett werfen und ihr zeigen, wie dringend er sie besser kennenlernen wollte.

Die Erleichterung, mit der sie ihn ansah, wirkte auf ihn wie eine kalte Dusche.

„Danke, das ist sehr rücksichtsvoll“, sagte sie leise.

„Das bedeutet natürlich nicht, dass ich dir nicht Gute Nacht sagen will.“ Er beugte sich vor und küsste sie zärtlich auf die Lippen. Und als sie ihm entgegenkam, war die Versuchung groß, es mit der Rücksicht nicht so ernst zu nehmen. Doch er riss sich zusammen und trat einen Schritt zurück. Morgen war auch noch ein Tag.

In der Tür blieb er stehen und drehte sich zu ihr um. „Mein Schlafzimmer ist am Ende des Flurs. Nur für den Fall, dass du deine Meinung änderst.“ Er winkte ihr kurz zu und ließ sie allein.

4. KAPITEL

Yasmin konnte lange nicht einschlafen, was sie wunderte, weil sie doch so müde war. Aber Ilyas Küsse hatten ihre Fantasie angeregt. Und wie sie da so allein zwischen den schneeweißen Betttüchern lag, malte sie sich in lebhaften Farben aus, was hätte geschehen können. Wenn sie mutig gewesen wäre und Ilya nach dem zärtlichen Gutenachtkuss zurückgehalten hätte, wie wäre ihre Hochzeitsnacht dann wohl abgelaufen?

Sicher war er ein leidenschaftlicher Liebhaber und sehr gut im Bett. So, wie er in allem gut war, soweit sie es bisher beurteilen konnte. Und nun war sie mit ihm verheiratet und hatte ihr ganzes Leben Zeit, das zu überprüfen. Falls ihre Ehe so lange hielt.

Nach unruhigem Schlaf fühlte sie sich am nächsten Morgen reichlich zerschlagen. Stöhnend stand sie auf, duschte, zog sich an und ging in die Küche hinunter. Dabei folgte sie dem Geräusch des Mixers und fand so den großen hellen Raum. Ilya hatte ihr den Rücken zugewandt, und sie nutzte die Gelegenheit, ihn ausgiebig zu betrachten. Breite Schultern, schmale Hüften, auf denen eine ziemlich abgewetzte Jeans hing.

Als spürte er ihren Blick, stellte Ilya den Mixer ab und drehte sich um. Seine Augen leuchteten auf, als er sie im Türrahmen stehen sah.

„Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“

„Irgendwann schon.“ Sie schob sich auf einen der hohen Hocker, die vor dem Arbeitstresen standen, und sah zu, wie er zwei Gläser mit einem schaumigen Fruchtmix füllte.

Er reichte ihr eins. „Da wir perfekt zusammenpassen, wie zumindest meine Großmutter meint, magst du so etwas sicher zum Frühstück. Oder möchtest du lieber Eier und Schinken? Kann ich dir auch machen.“

„Nein, das ist genau richtig. Normalerweise frühstücke ich sowieso nicht.“

„Na ja, ein bisschen Energie brauchst du schon für das, was ich für heute Morgen geplant habe.“

„So?“ Sie hob schmunzelnd eine Augenbraue.

„Ich mag das“, sagte er und strich ihr über die Braue.

Bei der Berührung bebte ihre Hand, und Yasmin setzte das Glas hart ab. Ilya lachte leise und trank seinen Smoothie mit wenigen Schlucken aus.

„Und was hast du nun für heute Vormittag geplant?“ Yasmin griff wieder nach ihrem Glas und nippte am Saft. „Hm, das ist gut.“

„Ich wollte mit dir eine kleine Wanderung machen. Hast du geeignete Schuhe dabei?“

„Ja, hab ich. Wann willst du denn los?“

„In etwa einer halben Stunde. Schaffst du das?“

„Kein Problem.“ Sie trank aus und rutschte vom Hocker. „Bin zu allem bereit.“

„Gut zu wissen“, bemerkte er mit Nachdruck.

Seine dunkle Stimme hatte eine erregende Wirkung auf sie, die ihr klarmachte, dass sie offenbar von verschiedenen Dingen sprachen. Verwirrt nahm sie ihr Glas und spülte es aus. „Hübsche Küche. Hast du sie einbauen lassen, oder war sie bereits drin, als du das Haus kauftest?“

„Sie war schon eingebaut. Ich habe nicht viel verändert. Hast du Lust zu einer kurzen Tour durchs Haus, bevor wir rausgehen?“

„Ja.“ Sie folgte ihm. Er verließ die Küche, und als sie in einen Raum traten, der mit bequemen Sesseln und einem riesigen Flachbildfernseher ausgestattet war, blieb sie lächelnd stehen. „Wow! Das sieht ja gemütlich aus. Fehlt nur noch der Flaschenhalter an der Seite der Sessel, und ein Männertraum wird wahr.“

„Stimmt. Wenn ich hier sitze und mir die Flugshows ansehe, möchte ich das Gefühl haben, mittendrin im Geschehen zu sein. Deshalb der große Schirm.“

„Kann ich verstehen. Obgleich das nur ein schwacher Ersatz dafür ist, selbst im Cockpit zu sitzen.“

„Das ist wahr.“ Er drehte sich zu ihr um. „Dabei fällt mir ein, würdest du mich mal in deiner alten Ryan mitnehmen?“

„Möchtest du das wirklich? Ich habe gehört, dass du lieber selbst das Steuer übernimmst, als einem anderen die Kontrolle zu überlassen.“ Das kam in diesem Fall nicht infrage. Schließlich hatte sie jahrelang mithilfe ihres Großvaters die alte Maschine wieder flugtauglich gemacht. Nur sie selbst würde sie fliegen.

„Wer hat dir das denn erzählt?“

„Das ist unter Fliegern allgemein bekannt. Du weißt doch, wie die Leute sind.“

Ilya trat zu ihr. „Was wird denn sonst noch so über mich geredet?“

Normalerweise war ihr eher k...

Autor

Yvonne Lindsay
Die in Neuseeland geborene Schriftstellerin hat sich schon immer für das geschriebene Wort begeistert. Schon als Dreizehnjährige war sie eine echte Leseratte und blätterte zum ersten Mal fasziniert die Seiten eines Liebesromans um, den ihr eine ältere Nachbarin ausgeliehen hatte. Romantische Geschichten inspirierten Yvonne so sehr, dass sie bereits mit...
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Joss Wood
<p>Schon mit acht Jahren schrieb Joss Wood ihr erstes Buch und hat danach eigentlich nie mehr damit aufgehört. Der Leidenschaft, die sie verspürt, wenn sie ihre Geschichten schwarz auf weiß entstehen lässt, kommt nur ihre Liebe zum Lesen gleich. Und ihre Freude an Reisen, auf denen sie, mit dem Rucksack...
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Kat Cantrell
<p><em>USA Today</em>-Bestsellerautorin Kat Cantrell las ihren ersten Harlequin-Roman in der dritten Klasse und füllt ihre Notizbücher, seit sie Schreiben gelernt hat. Sie ist Gewinnerin des <em>So you think you can write</em>-Wettbewerbs und <em>Golden Heart</em>-Finalistin der <em>Romantic Writers Association</em>. Kat, ihr Mann und ihre beiden Jungen leben in Nordtexas.</p>
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