Abschied für immer?

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Als Delaney Townsend auf die kleine Insel Turnabout fährt, will sie eigentlich nur eins: ihren Exmann Sam Vega den Ehering zurückgeben. Die hübsche Psychiaterin und der temperamentvolle Sheriff - das hat nie so richtig gepasst! Nur eins schien sie miteinander verbunden zu haben: ihr guter Sex! Ehe Delaney weiß, wie ihr geschieht, befindet sie sich wieder in einer lautstarken Auseinandersetzung mit Sam, um wenig später in seinen Armen zu liegen: Stürmisch erwidert sie seine leidenschaftlichen Küsse...


  • Erscheinungstag 16.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779450
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Delaney Townsend zog den Blazer aus und legte ihn sich über den Arm. Selbst um zwei Uhr morgens war es in Las Vegas noch heiß. Aber es war nicht die Temperatur, die ihr unangenehm war. Es war die ganze Situation, in der sie sich befand.

„Etwas nicht in Ordnung?“ Der Mann neben ihr strich mit einem Finger über ihren Arm.

Trotz der Hitze ließ die kurze Berührung sie frösteln. Sie sah zu Samson Vega hinauf, wenn auch nur, um den Blick von der Hochzeitskapelle vor ihnen abzuwenden. The Moonlight Chapel of Love.

Würde dies alles ihr weniger unwirklich erscheinen, wenn sie den kitschigen Namen oft genug im Kopf wiederholte?

„Sie … blinkt“, sagte sie schließlich.

Er zog einen Mundwinkel hoch, und ihr Herz schlug so schnell wie damals, als sie sein Lächeln zum ersten Mal gesehen hatte.

Hätte sie sich stärker gegen das entwaffnende Gefühl gewehrt, das er in ihr auslöste, würden sie beide jetzt nicht morgens um zwei vor einer grell blinkenden Hochzeitskapelle stehen.

„Sie ist ziemlich hell“, erwiderte er.

Was für eine Untertreibung. Sie spürte ein Lachen in sich aufsteigen. Vielleicht war es auch ein hysterischer Anfall. „Es steht eine Schlange davor.“

Er nickte, obwohl sein Blick mehr auf ihr als auf den Wartenden ruhte.

Am Straßenrand stieg gerade ein unglaublich junges Pärchen aus der längsten Limousine, die Delaney je gesehen hatte. Arm in Arm und fröhlich lachend rannten die beiden über den Rasen, um sich hinten anzustellen.

Delaney wollte sich gerade fragen, ob sie mit ihren vierunddreißig Jahren nicht viel zu alt für das hier war, da ging die angestrahlte Flügeltür der Kapelle auf, und heraus kamen ein Mann und eine Frau, ein verlegenes Lächeln auf den Gesichtern und breite goldene Ringe an den Fingern.

„Sie sehen aus, als würden sie oben auf eine Hochzeitstorte gehören.“ Sie hätte nicht gedacht, dass es Leute gab, die sich für … so etwas festlich kleideten.

„Hättest du das auch gern gehabt? Rüschen und Spitze, Brautstrauß, Blumenkinder, das volle Programm?“

Ihr ging auf, dass sie das frisch gebackene Ehepaar anstarrte, als wären die beiden exotische Tiere im Zoo. „Nein.“

Sam schmunzelte leise. „Warum so entsetzt? Wir können immer noch nach Hause fliegen und es dort tun. Du musst dich ja nicht wie eine wild gewordene Barbie anziehen. Aber wenn du deine Mutter oder deinen Dad …“

„Nein.“ Sie führte sich auf wie ein Feigling. Es gab kein anderes Wort dafür. Sie hatte sich einverstanden erklärt, ihn zu heiraten. Und sie beide wollten es jetzt. Es war lächerlich, sich so zu benehmen, als hätte sie es sich anders überlegt. „Das Letzte, was wir brauchen, sind meine Mutter und mein Vater zusammen in einem Raum. Und sei es auch nur für zehn Minuten. Wir alle würden es unser Leben lang bereuen.“

„Bereust du, dass wir hier sind?“

„Du redest selten drum herum, nicht wahr?“

Seine rechte Augenbraue hob sich ein wenig. „Stimmt. Es macht auf lange Sicht alles einfacher.“

Delaney sah dem davoneilenden Hochzeitstortenpaar nach. Sam wollte sie heiraten. In all der Zeit, die sie ihn jetzt kannte, hatte er nie Ausflüchte gemacht.

Er sprach immer aus, was er dachte.

Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit.

„He.“ Er drehte ihr Gesicht zu sich und legte den Daumen unter ihr Kinn. „Ich kenne etwas, das gegen kalte Füße hilft.“

„Genau das hat uns hergebracht.“

Seine Lippen streiften ihre. „Also? Bist du bereit?“ Er legte eine Hand um ihren Nacken.

Sie hatte schon andere attraktive und interessante Männer geküsst. Aber bei keinem von ihnen waren ihre Knie weich geworden. Das schaffte nur dieser. Ein Mann, der ihr Leben in den letzten zwei Jahren kompliziert gemacht hatte. Erst beruflich. Dann privat.

Ihr Verstand sagte ihr, dass sie vom Regen in die Traufe kam, wenn sie ihn heiratete. Doch dann hob er den Kopf und sah sie an. Nur sie. Ihr Herz begann zu klopfen, und sie hörte nicht mehr auf die immer leiser werdende Stimme der Vernunft.

„Ja“, flüsterte sie. „Ich bin bereit.“

Sam ließ die Hand an ihrem Arm nach unten gleiten und schob die Finger zwischen ihre.

Sie gingen hinüber und stellten sich ans Ende der Schlange.

Eine Stunde später, nach einer Zeremonie, die ganze sieben Minuten gedauert hatte, traten Delaney Townsend und Samson Vega durch die weiße Flügeltür, ein verlegenes Lächeln auf den Gesichtern und goldene Ringe an den Fingern.

1. KAPITEL

Zwei Jahre.

Zum ersten Mal seit zwei Jahren sah sie Sam wieder – und zwar in den Armen einer anderen Frau.

Es war nicht irgendeine Zeugin, die er nach einem Verbrechen befragte. Keine ältere Lady, der er über die Straße half. Nein, die Frau, mit der er tanzte, war alles andere als ältlich. Und wenn sie etwas bezeugen konnte, dann nur, wie es sich anfühlte, die Schläfe an Sams markantes Kinn zu pressen, während sie sich unter dem Sternenhimmel drehten.

Na, wenn das nicht einfach prima war.

Delaney stieß den angehaltenen Atem aus und blieb am Rand der Menschenmenge stehen, die die Lichtung säumte. Obwohl sie sich im Freien befand, fühlte sie sich von den erhitzten Körpern und der lauten Musik eingeengt. Und von Sam.

Sie hatte nicht sehr gründlich darüber nachgedacht, wie es sein würde, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen. Das war seltsam. Schließlich war sie Psychiaterin. Aber erst jetzt versuchte sie, sich über ihre Gefühle klar zu werden.

Bunte Lichterketten hingen in den Bäumen und Büschen. Sie blinkten und tauchten die Feiernden in ein unwirkliches Licht.

Genauso fühlt es sich an, dachte Delaney.

Unwirklich.

Wie war es nur so weit gekommen?

Die Frage war müßig. Sie kannte die Antwort sehr gut.

Sie warf einen Blick zum Hauptgebäude hinüber. Zum Glück war der junge Alonso hier im Castillo House in den besten Händen. Es war ihr nicht leicht gefallen, sich von ihm zu verabschieden. Jetzt blieb nur diese letzte … Aufgabe.

Vielleicht war es albern. Aber zu gehen, ohne wenigstens kurz mit ihm gesprochen zu haben, erschien ihr feige. Er würde annehmen, dass sie noch nicht verwunden hatte, was geschehen war. Und das sollte er nicht. Auch wenn es stimmte.

Delaney strich erst an ihrem zerknitterten Kostüm hinab, dann über ihr Haar, das sich gegen die strenge Frisur zu wehren schien, und schlängelte sich zwischen den tanzenden Paaren hindurch.

Niemand beachtete sie, und das war ihr ganz recht. Das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben war ein Vorteil, wenn man mit Sam zu tun hatte. Sie war vorbereitet, er nicht.

Sie wich einem Paar aus, das selbstvergessen einen unbeholfenen Tango tanzte, und stand plötzlich Sam gegenüber.

Nun ja, eher hinter ihm.

Sie unterdrückte einen kindischen Anflug von Nervosität. Meine Güte, die Schmetterlinge, die einst bei seinem Anblick in ihr aufgestiegen waren, schliefen längst fest.

Sie räusperte sich. „Entschuldigung.“ Ihre Stimme ging in der schlagartig lauter werdenden Musik unter. Sie seufzte, probierte es ein zweites Mal und trat zur Seite, als Sam und seine Partnerin sich drehten und die andere Frau ihr den Rücken zukehrte. „Entschuldigung.“ Sie tippte der Dunkelhaarigen auf die Schulter.

Mit hochgezogenen Brauen schaute die Frau sich um.

Auch Sam hatte sie bemerkt. Seine Augen wurden schmal, und er runzelte verwirrt die Stirn.

Schön. Sie hatte ihn überrascht. „Tut mir leid, wenn ich störe“, sagte sie freundlich. „Es wird nur einen Moment dauern.“

Die Frau sah von ihr zu Sam und wieder zurück, und Delaney streckte ihr die Hand entgegen. „Delaney … Townsend.“ Der Name ging ihr noch immer nicht leicht von den Lippen. Daran würde sie arbeiten müssen. Sie benutzte ihn erst, seit sie mit Castillo House – dem Heim, in dem ihr Schützling ab jetzt leben würde – zu tun hatte. Also seit zwei Monaten, dabei hätte sie ihn schon vor zwei Jahren annehmen sollen.

„Sara Drake“, murmelte die andere Frau und schüttelte Delaney zögernd die Hand.

„Drake?“ Delaney schaute zu dem großen Haus im spanischen Stil hinüber, das zusammen mit den Lichtern und Bäumen den Hintergrund für diese Party bildete. „Eine Verwandte von Logan Drake?“

„Er ist mein Bruder. Aber ich fürchte …“

„Was zum Teufel willst du hier, Delaney?“, unterbrach Sam seine Begleiterin.

Seinem Blick zu begegnen war schwieriger, als sie erwartet hatte, also schaute sie auf das schimmernde schwarze Haar, das ihm in die Stirn fiel. Warum konnte der Mann nicht wenigstens Geheimratsecken haben? Oder einen Bauchansatz statt eines Körpers, der noch schlanker und fester als früher aussah – wenn das überhaupt möglich war.

Sie packte den Griff ihrer Aktentasche fester und hob die Stimme, um die Musik zu übertönen. „Ich würde gern mit dir sprechen. Ganz kurz, dann kannst du zu deiner Tanzpartnerin zurückkehren.“ Sie rang sich ein Lächeln für Sara ab. Schmetterlinge oder nicht, nach einem anstrengenden harten Tag, von dem sie die letzte Stunde auf einem kalten, feuchten und nach Dieseltreibstoff stinkenden Boot verbracht hatte, war ihr eher danach, die Zähne zu fletschen.

„Nur ein paar Minuten deiner wertvollen Zeit, Sam. Mehr verlange ich nicht.“

„Townsend“, wiederholte er unvermittelt.

Delaneys ohnehin nicht sehr überzeugendes Lächeln verblasste endgültig. Dass sie auf die Insel gekommen war, hatte nichts mit ihm zu tun. Doch dass sie jetzt mit ihm reden wollte, lag allein an seinem Starrsinn. Sie wollte keine Szene machen. „Dies ist wohl kaum der Ort …“

„Warum nicht? Du bist hergekommen, oder etwa nicht?“

Sara wirkte peinlich berührt.

„Es tut mir leid“, sagte Delaney zu ihr. Das tat es wirklich. Hätte sie keine Skrupel, könnte sie Sam die Schachtel hier und jetzt geben. Vielleicht würde er sie ja gleich an Sara weiterreichen.

Bei der Vorstellung wurde ihr fast schlecht.

„Vielleicht wäre eine ruhigere Ecke besser“, sagte Sara sanft. Der Blick, den Sam ihr zuwarf, versetzte Delaney einen Stich.

Hastig nahm sie einen Umschlag aus der Aktentasche. „Zwei Minuten, Sam. Mehr nicht.“

„Mehr nicht?“ Er warf einen Blick auf den Umschlag. „Das bezweifle ich.“

Sie widerstand der Versuchung, mit dem Fuß aufzustampfen. „Es ist zwei Ja…“

„Einundzwanzig Monate.“

Delaney verstummte. Sie hätte ihm sagen können, wie viele Tage es her war, dass sie beide sich zuletzt gesehen hatten.

Die Temperatur schien gestiegen zu sein. Das war unmöglich. Es musste an ihr liegen. Hätte sie doch nur etwas anderes unter der Kostümjacke angezogen. Eine Bluse oder ein Top. Aber sie trug nur einen BH, denn sie hatte sich vor ihrer Abreise über das Wetter in Kalifornien informiert.

„Ich hole Ihnen ein Glas Bowle“, bot Sara plötzlich an. „Dann können Sie und Sam sich in Ruhe unterhalten.“ Ihr Lächeln war gelungener als Delaneys.

Sie waren alle erwachsen. Dass Sara Sam durch die Blume dazu auffordern musste, mit ihr zu sprechen, machte Delaney nichts aus.

Überhaupt nichts.

Sie zupfte an ihrer Jacke, um ein wenig frische Luft an die Haut zu lassen. „Ein Glas Bowle wäre gut“, log sie. Alles andere als klares Wasser konnte ungeahnte Folgen haben.

Sara ging davon. Sie war fast einen Kopf größer als Delaney und hatte keine Mühe, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Oder die Leute machten ihr ganz selbstverständlich Platz. So, wie sie es auch bei Sam taten.

Delaney zuckte zusammen, als er eine Hand um ihren Ellbogen legte.

„Nervös, Delaney?“

Früher hatte er sie Laney genannt. Sie machte sich los. „Es war ein langer Tag.“ Sie schaute zu Sara hinüber, die inzwischen das Büfett erreicht hatte. „Ist das zwischen euch beiden etwas Ernstes?“

„Würde dich das stören?“

„Kannst du mir noch immer keine klaren Antworten geben?“, entgegnete sie.

„Was meinst du?“

„Ich meine, du hast dich kein bisschen verändert.“ Sie kehrte ihm den Rücken zu, und ihre Absätze versanken im weichen Boden. Sie hätte ihm den Ring einfach geben sollen. Noch besser wäre es allerdings gewesen, ihn bei Annie und Logan Drake zu lassen.

Als ihr bewusst wurde, dass Sam sich von der Stelle gerührt hatte, drehte sie sich vorsichtig wieder um. Er hatte den Kopf schief gelegt und musterte sie.

Dann schaute er abrupt in eine andere Richtung, und sie folgte seinem Blick.

Alonso stand neben der Eingangstür vom Castillo House, an die Wand gelehnt, die Hände in den Taschen der weiten Jeans, die sie ihm geschenkt hatte. Es wirkte lässig, aber sie wusste, dass es nur so aussah.

Sam sah sie wieder an und kam auf sie zu. „Ich hätte wissen müssen, dass das hier etwas mit ihm zu tun hat“, sagte er leise. „Manche Dinge ändern sich nie.“

„Manche Menschen auch nicht.“

„Wann lernst du endlich deine Lektion, was ihn betrifft? Hat er dich nicht genug gekostet?“

Du meinst, dass er mich dich gekostet hat? Sie wollte die Frage aussprechen, besann sich jedoch eines Besseren. „Er hat einen Namen, Sam. Er heißt Alonso. Und er hat mich nichts von Wert gekostet.“ Ihre Stimme war ausdruckslos. Hoffentlich klang der Schmerz nicht durch.

Er lächelte. „Deine Zunge ist noch spitzer geworden.“

„Außerdem lebt Alonso ab sofort im Castillo House. Du solltest dich daran gewöhnen, ihn häufiger zu sehen.“

„In meiner Gefängniszelle vielleicht.“

Delaneys Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Was Logan Drake und seine Frau Annie im vergangenen Jahr bei ihrer Arbeit mit obdachlosen und gefährdeten Kindern und Jugendlichen vollbracht hatten, war auf ihr Interesse und das ihrer Kollegen gestoßen. Daher hatte sie die beiden gebeten, Alonso in ihr Programm aufzunehmen, obwohl Castillo House sich auf Turnabout befand und damit in Sams Zuständigkeit als Sheriff der Insel fiel. Dies war Alonsos letzte Chance, dem Gefängnis zu entgehen. Was seine Bewährungsauflagen anging, verlor der Richter langsam die Geduld.

„Nicht ohne Grund, Samson. So tief würdest selbst du nicht sinken, oder?“

Trotz der Musik und des fröhlichen Geplauders um sie herum wurde das Schweigen zwischen ihnen schlagartig angespannter.

„Also billigst du mir wenigstens ein Mindestmaß an Rechtschaffenheit zu?“, erwiderte er schließlich. „Immerhin ein Fortschritt.“

Delaney atmete tief durch, um ruhig zu bleiben. „Hier.“ Sie hielt ihm den Umschlag mit dem Ehering hin. „Ich weiß nicht, warum du das hier ungeöffnet zurückgeschickt hast. Was für ein Spiel …“

„Mit dir war es nie ein Spiel. Ein Spiel hätte Spaß gemacht.“

Es war nicht das erste Mal, dass sie diesen Vorwurf hörte.

Trotzdem tat er weh.

„Dann wirst du sicher froh sein, das hier zurückzubekommen.“ Sie wedelte mit dem Umschlag und wünschte, er würde ihn einfach nehmen.

„Warum hast du es plötzlich so eilig?“

Erstaunt sah sie ihn an. „Plötzlich? Ich habe mehr als einmal versucht, es dir zu schicken!“ Sie hatte sogar einen Kurierdienst beauftragt, auch das ohne Erfolg.

„Vielleicht hättest du den Wink verstehen sollen.“

„Welchen Wink? Dass du nicht an unsere gemeinsame Zeit erinnert werden willst? Das kann ich mir vorstellen. Aber der Ring ist …“

„Deiner“, unterbrach er sie. „Selbst wenn dein Auftritt hier ein offizieller sein soll.“

Sie blinzelte. „Was soll das heißen?“

Er beugte sich noch weiter vor, und sie musste sich beherrschen, um nicht zurückzuweichen. „Warum jetzt, Delaney?“

Sie sah, wie Sara sich mit zwei Plastikbechern näherte. „Du bist nicht der Einzige, dessen Leben weitergeht, Sam.“

Seine Lippen zuckten. „Jemand, den ich kenne?“

„Geht dich das etwas an?“

„Ich glaube schon.“ Der Umschlag knisterte zwischen seinen Fingern. „Lass mich raten. Dein geschätzter Kollege Chadly Wright.“

Sam hatte Chad Wright nie gemocht. Natürlich beruhte das auf Gegenseitigkeit. Hätte sie gewusst, wie alles enden würde, hätte sie von Anfang an auf Chad gehört. Leider war sie nur ihrem Herzen gefolgt.

Ohne Vorwarnung hob Sam die freie Hand und strich ihr eine Locke aus dem Gesicht.

Sie straffte sich.

Nicht nur meinem Herzen, verbesserte sie sich insgeheim. Bei Sam war sie einem ganz anderen Impuls gefolgt.

Und die Leute glaubten, dass nur Männer sich von ihrer Lust leiten ließen. Was für ein Witz.

Als würde er ihre Gedanken lesen, streiften seine Finger ihre Schläfe. Ihre Wange.

„Fass mich nicht an.“

„Angst, dass es Wright nicht gefallen könnte?“ Ohne jede Hast schob er die Locke hinter ihr Ohr.

„Er heißt Chad.“ Ihre Stimme versagte völlig, als er den Daumen unter ihr Kinn gleiten ließ und es anhob, als würde er sie küssen wollen. Sie schloss die Augen und öffnete sie mühsam wieder, um sich nicht zu verraten.

Sie hörte ihn leise mit der Zunge schnalzen. „Sieh dich an. Elegant wie immer. Zweireihiges Kostüm. Strenge Frisur. Aber du würdest die Knöpfe gern öffnen, nicht wahr? Und das Haar scheint sich in dem Knoten nicht sehr wohl zu fühlen. Hat Chad dich je so erlebt?“

„Die Überfahrt war stürmisch.“

Sein Daumen strich über ihre Lippen. „Neunzig Minuten auf offener See. Was hast du erwartet? Windstille?“

„Sam.“ Ihre Lippen bewegten sich an der schwieligen Haut. „Der Ring …“

„Vergiss den Ring“, sagte er, bevor er den Kopf senkte. Sein Mund bedeckte ihren und dämpfte den verblüfften Aufschrei, den sie nicht unterdrücken konnte. Seine Hand legte sich um ihren Nacken und hinderte sie am Zurückweichen.

In dem Kuss war keine Liebe. Sie wusste es. Er wusste es.

Er war zornig. Einundzwanzig Monate schienen daran nichts geändert zu haben.

Nach einem Moment gab Delaney auf und erwiderte den Kuss.

Sie schwankte, als er sie endlich losließ, und achtete nicht auf Saras schockiertes Gesicht und die neugierigen Blicke der Umstehenden. Sie wollte ihn ohrfeigen. Ihm einen Fußtritt verpassen.

„Das war unangebracht“, sagte sie heiser. „Absolut unangebracht.“

„Du scherzt, richtig?“ Er lächelte grimmig, bevor er sich zu den anderen Gästen umdrehte.

Er hob die Stimme, damit alle ihn verstehen konnten. „Meine Ehefrau Delaney kommt endlich nach Turnabout, da muss ich ihr doch einen Begrüßungskuss geben. Findet ihr nicht auch?“

2. KAPITEL

Meine Ehefrau.

Delaney erstarrte, als Sams Worte in der abrupt einsetzenden Stille widerhallten. Falls sie je daran gezweifelt hatte, dass Sam jedem auf der Insel ihre ebenso kurze wie katastrophale Ehe verheimlicht hatte, so sorgten die schockierten Gesichter der Umstehenden jetzt für Gewissheit.

Er hatte sich ihr wieder zugewandt und schaute auf ihren Mund. Obwohl sie ihn am liebsten beschimpft hätte, kribbelten ihre Lippen noch von seinem Kuss.

Und weil sie sich darüber ärgerte, schlug sie ihm den Umschlag gegen die Brust. „Du weißt, dass wir nicht mehr verheiratet sind“, sagte sie leise, aber scharf.

Er drehte sich einfach um und schlenderte davon.

Der Umschlag fiel auf die Erde.

Delaney hob ihn auf und versuchte, den neugierigen Blicken zu entgehen. Aber der Fluchtweg war blockiert, auf der einen Seite von den schaulustigen Tänzern, auf der anderen von der weiß getünchten Fassade des Hauptgebäudes. Sie begann zu zittern und musste sich beherrschen, um ihre Wut und Frustration nicht einfach herauszuschreien.

„Hallo, Doc. Sie haben mir nicht gesagt, dass der Cop hier sein würde.“

Sie strich das Haar zurück und sah zu Alonso hinauf, der direkt vor ihr stand. Er war im vergangenen Jahr gewachsen. Obwohl erst fünfzehn, war er mindestens einsachtzig groß. Noch war er schmal und schlaksig, aber schon bald würde seine stattliche Gestalt die Blicke der Mädchen auf sich ziehen. „Dass du ab jetzt hier lebst, hat mit Sam nichts zu tun.“

Er verzog den Mund. „Ist er hier auch bei der Polizei?“, fragte er, während er die Ärmel des übergroßen T-Shirts hochschob.

„Er ist der Sheriff.“

„Na ja, er schleift mich besser nicht ins Gefängnis, sonst …“

„Sonst?“, unterbrach Delaney ihn streng. Alonso Petrofski hatte seine mokkafarbene Haut von seiner jamaikanischen Mutter und die strahlend grünen Augen vom russischen Vater geerbt. Er war intelligent, aber auch vernachlässigt und verstört. Sie hatte ihn kennen gelernt, als ein Gericht sie zu seiner Therapeutin bestellt hatte. Jetzt, vier turbulente Jahre später, sah sie sich als eine gute Freundin.

„Du kommst nicht ins Gefängnis, Alonso. Es sei denn, du tust hier etwas Verbotenes. Und wenn du es innerhalb der nächsten zwei Monate tust, wird deine Bewährung widerrufen, und du musst dein volles Strafmaß in New York absitzen. Dann war all die gute Arbeit der letzten Monate umsonst.“

„Nicht, wenn sie mich nicht finden“, sagte er.

„Turnabout ist eine Insel, Alonso“, ertönte eine Stimme. „Hier machst du keinen Schritt, von dem wir nichts wissen.“ Logan Drake, der Mann, der Castillo House leitete, schien aus dem Nichts aufgetaucht zu sein.

„Er übertreibt nicht“, bestätigte ein hochschwangeres Mädchen, das neben Logan erschien. „Aber glaub mir, er ist umgänglicher als der Sheriff. Ich bin seit drei Monaten hier, also muss ich es wissen.“ Sie lächelte Logan zu, dessen Miene sich ein wenig aufheiterte, als er liebevoll an ihrem langen roten Zopf zog.

„Das ist Caitlin Reed“, stellte er sie Alonso vor. „Sie wird dir zeigen, welche Aufgaben du heute Abend hast.“

„Mann, ich bin gerade erst angekommen.“

Delaney sagte nichts. Hier waren Logan und Annie für ihn verantwortlich. Je früher Alonso sich an sein neues Zuhause gewöhnte, desto besser.

Logan zog eine breite Schulter hoch. „Jeder hier hat Pflichten, Alonso. Wenn du bleiben willst, bist du willkommen. Aber wie alle anderen wirst auch du arbeiten.“

Der Junge funkelte den Leiter an und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, bis die beiden einander Auge in Auge gegenüberstanden. Logan wartete nur. Gelassen. Geduldig. Selbstsicher. Dann grunzte Alonso, drehte sich um und ging die breite Treppe hinauf. Delaney beobachtete, wie er Caitlin die schwere Tür aufhielt, als sie ihm folgte.

Er war für sie viel mehr als ein Patient, aber allein wurde sie mit ihm nicht fertig, und er war noch zu jung, um ihn sich selbst zu überlassen. Er brauchte ein Zuhause.

Hoffentlich konnte Castillo House ihm das geben, was sie ihm versagen musste.

Sie drehte sich zu Logan um, der noch nichts zu dem Kuss und Sams empörendem Kommentar gesagt hatte. Dafür war sie ihm dankbar. „Ich weiß, Sie haben eigentlich noch gar keinen Platz für ihn, weil die Renovierung noch nicht abgeschlossen ist. Aber ich bin froh, dass Sie ihn aufgenommen. Die Leute, mit denen er sich herumtrieb, waren nicht gut für ihn.“

„Solange er sich an die Regeln hält, werden wir uns gut verstehen“, erwiderte Logan. Er lächelte einer jungen Frau mit blonder Lockenpracht zu, die sich bei ihm einhakte. Es ließ ihn viel freundlicher und etwas jünger aussehen.

„Alonso wird es schaffen“, sagte Annie Drake. „Und wir wissen das Geld wirklich zu …“

Delaney machte eine abwehrende Handbewegung. Sie wollte die Spende, die sie ihrer Mutter für das Heim entlockt hatte, nicht an die große Glocke hängen.

„Geheimnisse neigen dazu, ans Licht zu kommen, Delaney. Manchmal ist es besser, alles auf den Tisch zu legen.“

Delaney wusste nicht, ob Annie damit auch auf Sam und sie anspielte. Ihr Gesichtsausdruck verriet nichts.

Vermutlich war sie nur zu empfindlich.

„Du bist … Delaney, richtig?“

Eine andere junge Frau kam neugierig auf sie zu. Nach Sams Auftritt war sie auf Turnabout wahrscheinlich das Hauptgesprächsthema. „Ja.“

„Ich bin Janie Vega.“

Ein undefinierbares Gefühl stieg in Delaney auf. Also lernte sie doch noch jemanden aus Sams Familie kennen. „Sams Schwester.“ Sie suchte nach Ähnlichkeiten zwischen ihm und Janie, aber bis auf die dunklen Augen fand sie keine. „Er hat mir von dir erzählt.“

„Ich wünschte, das könnten wir auch von dir behaupten.“

Janie hatte die Arme ablehnend vor der Brust verschränkt. Logan und Annie murmelte eine Entschuldigung und zogen sich hastig zurück.

„Es tut mir leid“, sagte Delaney.

„Warum? Sam ist derjenige, der die ganze Zeit den Mund gehalten hat“, entgegnete die junge Frau spitz. „Seltsam. Sonst ist ihm Ehrlichkeit immer so wichtig.“

Es war nicht ihre Aufgabe, seine gekränkte Schwester zu besänftigen. Sie tat es trotzdem. „Nun ja, Sam und ich waren nicht sehr lange zusammen. Und es ist auch einige Jahre her.“

„Aber er hat gerade gesagt, dass du seine Frau bist.“

„War“, verbesserte Delaney sanft.

„Wenn du glaubst, dass das sein Verhalten entschuldigt, bist du nachsichtiger als ich.“

Es gab für Delaney nichts mehr zu sagen, und Janie schien es zu spüren. „Wo willst du die Nacht verbringen?“, fragte sie.

Die Reise nach Turnabout hatte länger als erwartet gedauert. Die Maschine aus New York war verspätet in San Diego gelandet, was bedeutete, dass sie die reguläre, zweimal am Tag zwischen dem Festland und der winzigen Insel verkehrende Fähre verpassten. Sie musste etwas chartern, das die Bezeichnung Boot nicht verdiente, sondern eher einer schaukelnden Badewanne glich.

Sie hätte gern bis zum nächsten Morgen gewartet, aber sie hatte es so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen.

Das war ein Fehler gewesen. Anstatt ihr in San Diego reserviertes Hotelzimmer zu beziehen, würde sie sich hier eine Unterkunft suchen müssen. „Ich hatte nicht vor, auf Turnabout zu bleiben“, gab sie zu. Sie war nicht gern unvorbereitet. „Gibt es hier ein Hotel?“

„Maisy Fielding hat ein Gasthaus. Es heißt Maisy’s Place, ist aber ausgebucht. Ich helfe manchmal dort aus.“ Janie zeigte auf die Gäste. „Viele Leute sind vom Festland herübergekommen, um den ersten Jahrestag von Castillo House zu feiern. Aber Sam hat ein Gästezimmer. Etta auch, aber das nutzt mein Vater, seit er wieder zu Hause ist.“

„Etta?“

„Henrietta Vega, unsere Großmutter.“

„Richtig.“ Die Situation kam Delaney immer unwirklicher vor. Es war, als würde jeder hier sie genau beobachten. Zu genau. Sie hatte es lieber umgekehrt.

Autor

Allison Leigh
<p>Allison Leigh war schon immer eine begeisterte Leserin und wollte bereits als kleines Mädchen Autorin werden. Sie verfasste ein Halloween-Stück, das ihre Abschlussklasse aufführte. Seitdem hat sich zwar ihr Geschmack etwas verändert, aber die Leidenschaft zum Schreiben verlor sie nie. Als ihr erster Roman von Silhouette Books veröffentlicht wurde, wurde...
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