Alle Sorgen sind vergessen

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Wie Aschenputtel auf dem Ball fühlt sich Allison auf der Wohltätigkeitsgala des Krankenhauses. Und ihr Prinz ist Staatsanwalt Jorge Perez, dessen Flirt sie stürmisch erwidert. In seinen Armen stürzt sie sich in eine Nacht, in der sie alle Sorgen vergessen will…


  • Erscheinungstag 21.10.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753665
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Du wirst heute Abend mit uns auf diese Party gehen.“

Allison Baker reagierte nicht auf Zoes Ankündigung. Stattdessen nahm sie einen Schluck Eistee, streckte die Beine aus, legte die bloßen Füße auf das gelbe Sitzkissen des freien Küchenstuhls und lächelte ihre Freundin liebenswürdig an.

Zoe Armbruster hörte auf, in der Küche hin und her zugehen, stemmte die Hände in die Seiten und sah Allison wütend an. „Spar dir dein süßes Lächeln. Ich weiß, du denkst dir gerade tausend Ausreden aus, um nicht hingehen zu müssen. Und ich nehme dir nicht eine einzige davon ab.“

Allison zeigte auf die zahlreichen juristischen Fachbücher, Zeitschriften, Kugelschreiber und losen Blätter, die auf dem kleinen Tisch verstreut waren. „Zoe, ich würde ja gern mit dir und Jack ausgehen, aber ich muss für meinen Kurs in der nächsten Woche noch einen Schriftsatz fertig stellen.“

Zoe hob die Rechte. „Nein. Keine Ausreden. Nichts da.“ Sie ergriff Allisons Hand und zog sie vom Stuhl, dann drehte sie die Freundin um und schob sie entschlossen in Richtung Schlafzimmer. „Du lebst wie eine Nonne – nur Arbeit, kein Vergnügen. Heute Abend werden wir beide unsere Jobs vergessen und ordentlich Spaß haben.“

Lachend ließ Allison sich von Zoe ins Schlafzimmer befördern. Wenn die kleine Brünette so in Form war, konnte man ihr nur schwer widerstehen. Allison wusste, dass sie eigentlich nach einem Vergleichsfall suchen sollte, um ihre Argumente im Schriftsatz zu untermauern. Aber die Aussicht auf einen Abend ohne Fachbücher oder Übungsaufgaben war äußerst verlockend.

„Ich habe absolut nichts, was ich zu einem Wohltätigkeitsball anziehen könnte, Zoe.“ Sie setzte sich ans Fußende des Betts und beobachtete, wie ihre Freundin den Schrank öffnete und die darin hängenden Sachen durchsah. Allison schaute an ihrer eigenen, schlanken Gestalt hinab, dann wieder zu ihrer viel kleineren und üppiger geformten Freundin hinüber. „Und ich kann unmöglich etwas von dir tragen.“

Mit gerunzelter Stirn starrte Zoe auf ein maßgeschneidertes schwarzes Business-Kostüm und schob es zur Seite. „Wir werden schon das Richtige finden. Notfalls machen wir eins meiner Kleider enger.“

Allison lachte. „Das würde die ganze Nacht dauern. Wir würden die Party verpassen.“

Zoe verschwand halb im Schrank, und ihre Stimme klang gedämpft. „Du wirst auf diesen Ball gehen, und wenn ich dir ein Kleid stehlen muss!“

„Oh, großartig“, erwiderte Allison. Sie schüttelte den Kopf und strich sich eine rötlichbraune Locke aus dem Gesicht. „Du bist bereit, eine Straftat zu begehen, nur damit ich auf eine Party gehen kann?“

„Ja.“ Zoes nachdrücklicher Antwort folgte ein zufriedener Laut. Mit einer durchsichtigen Hülle, in der ein schwarzes Abendkleid hing, tauchte sie aus dem Schrank auf. „Aha!“

Allison straffte sich. Das Designerkleid hatte sie völlig vergessen. Sie hatte ihre Eltern in Beverly Hills besucht und mit ihrer Mutter einen Einkaufsbummel gemacht. Sie hatte es nie getragen, denn sie war einen Tag früher nach New York zurückgeflogen, um ihre Eltern nicht zu einer Filmpremiere begleiten zu müssen. Sie hasste den Medienrummel, den die beiden auslösten, wenn sie auf einer ihrer geliebten Hollywood-Partys auftauchten.

Seit Allison siebzehn war, hatte sie es geschafft, diese glamourösen Anlässe zu meiden. Jene katastrophale Nacht auf der Party nach einer Filmpreisverleihung hatte bei ihr ein unauslöschliches Trauma hinterlassen.

Zoe zog die Hülle auf und nahm das Abendkleid heraus. Ihre Augen wurden groß. „Mann, das ist ja wunderschön. Und absolut perfekt für heute Abend.“ Sie warf Allison einen Blick zu. „Hast du Schuhe, die dazu passen?“

„Ja. Ich glaube, die stehen in dem Regal hinter dem Stapel Winterpullover.“

„Toll! Hier.“ Zoe warf Allison das Kleid zu und verschwand erneut im Schrank.

Allison strich mit der Handfläche über den mit feiner Spitze besetzten Satin und befühlte den kühlen Stoff.

Zoe kam wieder zum Vorschein. Triumphierend ließ sie ein Paar schwarzer Sandaletten an einer Hand baumeln. „Hier sind sie.“ Sie blieb vor Allison stehen. „Gehst du jetzt duschen und ziehst dich um, oder muss ich dich dazu zwingen?“

„Nein, ich gebe auf.“ Allison musste über das schelmische Lächeln ihrer Freundin lachen. „Ich gehe auf die Party.“

Eine Stunde später betrachtete Allison sich in dem Spiegel, der an der Schlafzimmertür hing. Verschwunden war die arbeitsame Assistentin, die in Abendkursen Jura studierte. Die Person, die sie vor sich sah, war eine ganz andere als die, die jeden Morgen brav zur Arbeit ging und sich nach Feierabend weiterbildete. Das elegante Kleid schmiegte sich um ihre schlanken Kurven und betonte die sanft geschwungenen Brüste unterhalb des weiten, an den Schultern ansetzenden Ausschnitts.

Der schmale, knöchellange Rock war seitlich geschlitzt und gab bei jedem Schritt den Blick auf das schlanke, in Seide gehüllte Bein frei, bis hinab zu den schwarzen Sandaletten mit spitzen Absätzen.

Sie drehte sich vor dem Spiegel und schaute über die Schulter. Die schwarze Spitze umschloss Hüften und Po und ließ ihre Figur auf diskrete Weise verführerisch erscheinen. Sie hatte ihr Haar mit schlichten goldenen Kämmen hochgesteckt und nur an den Schläfen und am Nacken ein paar zarten Locken die Freiheit gelassen. Um den Hals trug sie eine einfache goldene Kette, während die filigran geflochtenen Ohrringe aus Gold ihr einen Hauch von Exotik verliehen.

Dezenter Mascara und goldbrauner Lidschatten gaben den Augen etwas Geheimnisvolles, was vom Rouge und dem sorgfältig abgestimmten Lippenstift noch betont wurde.

Die Frau im Spiegel wirkte nicht vorsichtig. Nicht brav oder arbeitsam. Und auch nicht schüchtern und introvertiert. Sie sah ganz anders aus als die Allison, die die meisten Leute kannten.

Aber, so fand Allison, sie sah aus wie eine Frau, die selbstbewusst und kontaktfreudig war und sich nicht unterkriegen ließ.

Zögernd verzog sie den Mund zu einem Lächeln. Die Frau im Spiegel lächelte zurück.

Allisons Lächeln wurde noch breiter.

Nur heute Abend, erklärte sie ihrem ungewohnten Spiegelbild. Dieses eine Mal würde Allison so wie die Frau im Spiegel sein. An diesem Abend würde sie lachen und flirten und sich amüsieren, ohne an gestern oder morgen zu denken.

„Wahnsinn! Du siehst atemberaubend aus!“ Zoes Spiegelbild erschien neben dem von Allison. „Zwei Prinzessinnen vor dem Ball.“

Zoe trug ein purpurrotes Cocktailkleid, und mit ihrem dunklen Haar und Teint gab sie einen idealen Kontrast zu Allisons schwarzer Spitze, der hellen Haut und dem rötlichbraunen Haar ab.

Allison hakte sich bei ihr ein und legte den Kopf von links nach rechts, als würde sie die beiden Spiegelbilder kritisch mustern. „Nicht schlecht für eine Sekretärin und eine Kellnerin, was?“

Zoe wedelte mit der Hand. „Ich bin keine Kellnerin, ich bin eine ‚Barista‘. Und du bist nicht Sekretärin, sondern eine Chefassistentin, aus der bald eine brillante Anwältin wird. Und heute Abend sind wir beide elegante Damen der Gesellschaft“, fügte sie hinzu.

Es läutete. „Oh, das wird Jack sein.“

Zoe zog ihre Freundin aus dem Badezimmer, und auf dem Weg zur Tür schaffte Allison es gerade noch, sich ihre winzige Abendtasche und den Mantel zu schnappen.

Der Ballsaal war so voll, dass Allison schon nach wenigen Minuten von Zoe und ihrem Begleiter getrennt wurde. Aber dieses Mal machte es ihr nichts aus, sich allein inmitten einer Menschenmenge zu befinden. In das schützende Outfit einer selbstbewussten, attraktiven Frau gehüllt, plauderte sie ohne jede Scheu mit einem viel jüngeren Mann, der neben ihr am Büffet stand. Ganz offenbar interessierte er sich für sie, und als sie nach dem kurzen Gespräch davonging, war ihre Zuversicht gewaltig gewachsen.

Ich bin eine vollkommen andere Person, dachte sie lächelnd. Und das hier macht riesigen Spaß.

Decke und Wände des Ballsaals waren mit blauem Chiffon verhängt, durch den goldgelbes Licht drang, was die Illusion einer Unterwasserwelt schuf. Rund um den Raum waren Fotos und Figuren von Walen in ihrer natürlichen Umgebung platziert. Davor drängten sich Gäste um Fachleute, die Namensschilder trugen und alle Fragen sachkundig beantworteten. Allison nippte an ihrem Champagnerglas, während sie von Gruppe zu Gruppe schlenderte, überaus fasziniert vom Wissen und der Begeisterung der Professoren.

Sie lauschte gerade einem Meereskundler, der beschrieb, wie er zusammen mit Kollegen ein verwaistes Waljunges ausgewildert hatte, als sie zusammenzuckte. Empört fuhr sie herum, um denjenigen zur Rede zu stellen, dessen Finger sie gerade an ihrem Nacken gespürt hatte.

Sie stand am Rand der Gruppe, doch obwohl es um sie herum von Menschen wimmelte, war niemand ihr so nahe, dass er sie hätte berühren können.

Seltsam. Verwirrt drehte sie sich wieder zu dem Wissenschaftler um.

Doch kurz darauf fühlte sie das federleichte Streicheln wieder. Stirnrunzelnd schaute sie über die Schulter. Aber auch dieses Mal hatte sich ihr niemand auf Armeslänge genähert.

Nervös ließ sie ihren Blick durch den Raum wandern und erstarrte.

Auf der anderen Seite des Ballsaals lehnte ein Mann an einer Marmorsäule und beobachtete sie.

Allison fühlte es so deutlich, als hätte er den Arm um ihre Taille gelegt und sie an sich gezogen. Er war groß und gebräunt, hatte kurzes, schwarzes Haar und Augen, die so dunkel waren, dass sie geradezu schwarz wirkten.

Erst als einige Gäste sich zwischen sie schoben und den Blickkontakt unterbrachen, schnappte Allison nach Luft und gestand sich ein, dass sie den Fremden angestarrt hatte. Hastig nippte sie am Champagner, sah sich verlegen um und stellte erleichtert fest, dass niemand es bemerkt zu haben schien. Verwirrt und plötzlich erhitzt eilte sie so unauffällig wie möglich durch die offene Flügeltür auf die Terrasse.

Dort hielt sie sich am Geländer fest, atmete mehrmals tief durch, um sich zu beruhigen, und starrte auf die Lichter der Stadt.

Der letzte Ort, an dem Jorge Perez sich an einem heißen Samstagabend im August aufhalten wollte, war ein Wohltätigkeitsball für eine Organisation, die sich für die Rettung der Wale einsetzte. Nicht, dass er etwas gegen die großen Meeressäuger hatte. Nur zu gern hätte er einen Scheck ausgeschrieben und ihn der guten Sache gespendet. Was ihn störte, das war die Party selbst.

Er ging selten zu derartigen Anlässen und zog es vor, auch am Wochenende zu arbeiten. Doch sein Chef hatte ihn gebeten, ob er ihn vertreten könnte, und Jorge hatte nicht ablehnen können. Er mochte Ross und seine beiden Kinder. Als Ben und Sarah ihn anflehten, für Ross hinzugehen, damit ihr Vater mit ihnen zum Segeln gehen konnte, hatte er sich schnell breitschlagen lassen.

Also war er jetzt hier, in einem Smoking von Armani statt in verwaschenen Jeans, plauderte mit Stadträten, beantwortete Fragen eines Reporters nach seinem letzten Mordfall und wehrte die nicht gerade dezenten Avancen eines Hollywood-Starlets ab, das in der Begleitung eines örtlichen Hotelmagnaten gekommen war.

Was für eine langweilige Art, das Wochenende zu verbringen!

Jorge warf einen Blick auf seine Rolex. Er schätzte, dass er noch etwa eine halbe Stunde bleiben sollte, bevor er sich von der Gastgeberin verabschieden konnte, ohne unhöflich zu erscheinen.

Als hinter ihm das glockenhelle Lachen des Starlets ertönte, hätte er beinahe genervt aufgestöhnt. Ohne über die Schulter zu blicken, umrundete er die fröhlich lachende Gruppe vor ihm, nahm sich vom Tablett eines vorbeikommenden Kellners ein Glas Champagner und flüchtete in den hinteren Teil des Raums. Dort lehnte er sich mit der Schulter gegen eine Marmorsäule und ließ seinen Blick durch den Ballsaal schweifen.

Er kannte viele der Gäste aus der Zeit, in der seine Exverlobte ihn mehrmals in der Woche auf Partys wie diese geschleppt hatte. Die Verlobung hatte nicht lange gehalten, und seitdem ging er nur dann zu solchen Anlässen, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ.

Gelangweilt sah er sich um und zählte insgeheim die Minuten. Die Menge teilte sich und gab plötzlich den Blick auf eine Frau frei, die auf der anderen Seite des Saals stand. Schlagartig verflog Jorges Langeweile, denn ihr Anblick faszinierte ihn. Das rötlichbraune Haar schien im goldenen Licht zu schimmern, und ihr schlanker Körper steckte in einem perfekt sitzenden Kleid aus schwarzer Spitze. Sie kehrte ihm den Rücken zu, und er wünschte, sie würde sich umdrehen. Er musste ihr Gesicht sehen.

Komm schon, drängte er stumm. Dreh dich um.

Und als sie es schließlich tat, hielt er unwillkürlich den Atem an …

Sie war unglaublich schön. Selbst inmitten der eleganten, manikürten, juwelenbehangenen, perfekt gestylten Damen der Gesellschaft in ihren sündhaft teuren Designerroben fiel sie auf. Schwarze Spitze umschmeichelte Schultern, die wie poliertes Elfenbein über dem weiten Dekollete schimmerten und den Blick auf einen schlanken, anmutigen, von einer schlichten Goldkette noch betonten Hals lenkten. Rötlichbraune Locken kringelten sich an Schläfen, Wangen und Nacken, während der Rest des selbst aus der Ferne seidenweich aussehenden Haars locker hochgesteckt war und nur darauf zu warten schien, dass es sich endlich wieder auf die Schultern ergießen durfte.

Sie wandte sich ab, und dabei gab der Schlitz in ihrem Rock für den Bruchteil einer Sekunde den Blick auf Oberschenkel und Wade frei.

Wer zum Teufel mochte die Frau sein? Jorge kannte die meisten Leute im Ballsaal, einige persönlich, die Mehrzahl von Fotos oder vom Bildschirm. Er war sicher, dass er diese Frau noch nie gesehen hatte. Daran hätte er sich erinnert.

Erneut schoben sich Gäste zwischen sie und ihn.

Los, bewegt euch, bat er im Stillen. Er starrte auf den schmalen Streifen aus rötlichbraunem Haar und schwarzer Spitze, bis die lachende, plaudernde Menge weiterwogte.

Jetzt kam sie wieder in Sicht. Gebannt wartete er darauf, dass sie sich umdrehte und ihn ansah. Sie schaute über die Schulter, eine winzige Falte zwischen den Brauen, während sie nach jemandem zu suchen schien.

Ihre Blicke trafen sich. Jorge spürte es wie einen schwachen Stromschlag. Er konnte nicht erkennen, welche Farbe ihre Augen hatten, aber er sah, wie sie sich weiteten und ihr Körper mitten in der Bewegung innehielt.

Er unterdrückte einen Fluch, als die Menge ihm die Sicht nahm, und stieß sich vom Pfeiler ab, um den Raum zu durchqueren. Als er sich der Gruppe näherte, bei der sie gestanden hatte, registrierte er, dass sie gegangen war. Sein geradezu verzweifelter Blick in die Runde fiel auf ihr rötlichbraunes Haar, als sie gerade auf der Terrasse verschwand. Hastig wechselte er die Richtung und nahm einem freundlichen Kellner eine noch fast volle Flasche Champagner und zwei Gläser ab, bevor er ihr nach draußen folgte.

Langsam ging er auf sie zu und nutzte die Gelegenheit, sie genauer zu betrachten, bevor sie ihn bemerkte.

„Zu schade, dass wir die Sterne nicht sehen können.“

Sie erstarrte. Dann drehte sie den Kopf und sah ihm entgegen.

Ihre Augen waren bernsteinfarben und erfüllt von einem Misstrauen, das so gar nicht zu ihrem Kleid und der raffinierten Frisur passte.

Schlagartig wurde Jorge klar, dass einer der bewährten Anmachsprüche bei ihr völlig fehl am Platz wäre.

Noch bevor sie ihn gesehen hatte, wusste Allison, dass die tiefe Stimme dem Mann aus dem Ballsaal gehörte. Einen Moment lang drohte die Panik sie zu lähmen. Doch dann lächelte er, und in seine fast pechschwarzen Augen trat eine Wärme, die ihr die Angst nahm.

Er blieb zwei Schritte vor ihr stehen, als würde er spüren, welchen Sicherheitsabstand sie brauchte, und sah zum Himmel hinauf.

„Luftverschmutzung“, bemerkte er nur.

„Luftverschmutzung?“

Sein Blick traf sich kurz mit ihrem, bevor er wieder den Kopf hob und auf die Großstadt um sie herum und das funkelnde Kristall der beiden Gläser in seiner Hand zeigte.

„Vielleicht sollte ich lieber ‚Lichtverschmutzung‘ sagen.“ Er kam näher, lehnte sich mit einer Hüfte gegen das Geländer, reichte ihr ein Glas und füllte es. „Wussten Sie, dass die Astronauten die Nacht auf der Erde nur sehen können, wenn sie sich über dünn besiedelten Bundesstaaten wie North Dakota oder Montana befinden? Die Ostküste ist so dicht besiedelt und so hell erleuchtet, dass die Nacht von dort oben wie Tag aussieht.“

„Wirklich?“ Allison nippte am Champagner und fühlte, wie sich entspannte, weil er keine Anstalten machte, sich ihr weiter zu nähern. Er war groß, weit über ein Meter achtzig, die Schultern breit in dem schwarzen Smoking.

„Wirklich.“ Er lächelte mit leicht nach oben gezogenen Mundwinkeln, und seine Augen lachten sie an. „Interessieren Sie sich für Astronomie?“

„Nun ja …“ Allison wurde bewusst, dass sie auf seine Lippen gestarrt und keine Ahnung hatte, was er gerade gesagt hatte. „Wie bitte?“

„Astronomie“, wiederholte er sanft. „Interessieren Sie sich dafür?“

„Als Kind schon, aber seit ich nach New York umgezogen bin, fehlt mir die Zeit, um nach den Sternen zu schauen“, erwiderte sie und konnte den Blick noch immer nicht von seinem Gesicht losreißen.

„Und wie lange ist das her?“

„Einige Jahre.“ Plötzlich ging ihr auf, dass er ihr Fragen stellte und sie gar nicht über die Antworten nachdachte, weil er sie so faszinierte. Er brauchte nur zu lächeln, schon fühlte sie den Puls an ihrem Hals und die erotische Wirkung, die von ihm ausging. Zum ersten Mal in ihrem Leben ertappte sie sich dabei, einen Mann körperlich anziehend zu finden. Aber noch verwirrender war, dass sie überhaupt keine Angst hatte. In seiner Nähe fühlte sie sich absolut sicher. Der perfekte Mann für einen Flirt, dachte sie und erinnerte sich daran, was sie vorhin zu der Frau im Spiegel gesagt hatte: Heute Abend werde ich flirten und mich amüsieren.

Sie lächelte unwillkürlich, und er lächelte zurück, doch sein Blick wurde eindringlicher.

„Ich fürchte, ich habe vergessen, mich vorzustellen“, sagte sie höflich und streckte die Hand aus. „Mein Name ist Allison Baker.“

„Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Allison.“ Er trat näher und nahm ihre Hand in seine. „Ich bin Jorge Perez.“

Seine Finger umschlossen ihre, ein wenig rau, aber warm, und ein Kribbeln durchlief ihren ganzen Körper.

„Hallo.“ Ihre Stimme klang heiser.

Seine Augen verdunkelten sich, der Druck seiner Finger wurde fester. „Also, Allison Baker.“ Er strich mit dem Daumen über ihren Handrücken. „Was macht ein nettes Mädchen wie Sie an einem Ort wie diesem?“

Er zog eine Augenbraue hoch, und Allison lachte.

„Sie meinen, auf dieser Terrasse oder bei einem Ball zur Rettung der Wale?“

„Egal. Vor allem frage ich mich, ob sie eine besondere Beziehung zu Walen haben?“

„Aha, Sie wollen wissen, ob mich etwas zu großen Säugetieren hinzieht?“, entgegnete sie.

Er schmunzelte, doch bevor er antworten konnte, flog hinter ihnen die Tür auf, und eine Gruppe von Gästen betrat die Terrasse. Die Musik folgte ihnen, und mehrere Paare begannen zu tanzen.

Jorge schaute über die Schulter. „Ich glaube, die Party hat uns gefunden.“ Er nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es zusammen mit seinem und der fast leeren Flasche ab. „Es wäre eine Schande, die Musik nicht zu nutzen. Sollen wir?“

Als Allison nickte, legte er einen Arm um ihre Taille und zog sie behutsam an sich. Dann nahm er ihre rechte Hand und begann sich mit ihr zu drehen.

Wieder fühlte sie das, was sie im Ballsaal durchzuckt hatte, als ihre Blicke sich trafen. Ihr Oberteil streifte sein Hemd, und ihre linke Hand lag auf der breiten Schulter, nur Zentimeter von seinem schwarzen Haar entfernt. Jedes Mal, wenn sie Luft holte, atmete sie den unaufdringlichen Duft seines Rasierwassers mit ein. Würzig und männlich verband sich dieser Duft mit der unglaublichen Ausstrahlung dieses Mannes zu einer berauschenden Kombination, die ihr zu Kopf stieg.

„Sagen Sie mir, Allison, was tun Sie, wenn Sie nicht gerade auf Wohltätigkeitsbällen für große Säugetiere fremde Männer verzaubern?“

Sie legte den Kopf zurück und erwiderte sein Lächeln. Sollte sie ihm von ihrem Job bei Manhattan Multiples erzählen? Nein, entschied sie, nicht heute Abend. Heute Abend war sie ein anderer Mensch. „Ich studiere.“

„Tatsächlich? Was studieren Sie denn?“

„Jura.“

„Noch etwas, was wir gemeinsam haben.“ Die Musik wurde langsamer, und er legte ihre rechte Hand auf seine Schulter, um ihre Taille zu umschließen und sie fester an sich zu ziehen.

„Sie studieren auch Jura?“, fragte Allison.

„Nein. Jetzt praktiziere ich Jura.“

Erfreut strahlte sie ihn an. „Sie sind Anwalt? Wie schön. Welches Fachgebiet?“

„Strafrecht.“

„Dann müssen Sie viel zu tun haben“, vermutete sie trocken. „Die Kriminalitätsrate in Amerika ist erschreckend.“

„Halt, langsam!“ Er lachte. „Das ist nicht meine Schuld. Ich tue, was ich kann, um die Situation zu verbessern.“

Ein Kellner ging mit einem Tablett voller Häppchen umher, und Jorge vermied geschickt einen Zusammenstoß, indem er Allison an sich drückte. Ihre Körper berührten sich von den Schultern bis zu den Oberschenkeln, und ihr stockte der Atem, so gewaltig war das Verlangen, das schlagartig in ihr aufstieg. Spontan legte sie die Hände in seinen Nacken.

Allison nahm nur am Rande wahr, dass die Musik und das Lachen um sie herum leiser wurden, während sie den Kopf wieder nach hinten legte, um in seine Augen zu sehen. Sie glitzerten unter halb gesenkten Lidern, als ihr Haar seinen Hals und das Gesicht streifte.

Dann bedeckte sein Mund ihren, und die erotische Spannung, die von Anfang an zwischen ihnen geherrscht hatte, explodierte geradezu. Allison schwindelte, ihr Herz schlug immer heftiger, und eine erregende Hitze durchströmte sie.

Schon bald ließ der Kuss die Zaghaftigkeit einer ersten Umarmung hinter sich und wurde leidenschaftlich. Jorge legte eine Hand um ihren Hinterkopf und tastete mit der Zunge nach ihrer. Ungeduldig empfing Allison sie und fühlte die Berührung im ganzen Körper. Sie schmiegte sich an ihn und seufzte auf, als seine Finger über eine Brust strichen und die feste Spitze fanden. Aus dem Schreck wurde jedoch sofort reine Lust, als er sie sanft gegen die Wand drängte und einen seiner muskulösen Schenkel zwischen ihre Beine schob.

Sie rieb sich an ihm, wollte mehr von ihm fühlen. Einen ekstatischen Moment lang erwiderte er es, doch dann erstarrte er, und die kräftigen Muskel seiner Arme spannten sich, bevor er den Mund von ihrem löste.

„Allison, hier geht das nicht“, sagte er schwer atmend. „Komm mit mir nach oben.“

Sie starrte ihn an, denn noch war sie unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

„Ich habe ein Zimmer. Ross hat es für sich und seine Frau gebucht. Als er mich bat, ihn heute zu vertreten, hat er mir den Schlüssel gegeben, für den Fall, dass ich hier übernachten will. Komm mit mir nach oben, Liebling. Bitte!“ Er erkannte seine eigene Stimme kaum wieder.

„Ich tue so etwas nicht“, brachte sie schließlich heraus.

„Ich auch nicht.“

Allison hatte noch nie Leidenschaft gefühlt und hatte nicht geglaubt, es jemals zu können. Nicht, nachdem ihr mit siebzehn Gewalt angetan worden war. Dies war ihre erste und vielleicht einzige Chance, mit einem Mann zu schlafen. Durfte sie diesen Moment ungenutzt verstreichen lassen?

Nur heute Abend, dachte sie. Nur dieses eine Mal.

„Ja“, flüsterte sie.

In seinen Augen schien es aufzublitzen, während er wortlos zurücktrat und einen Arm um sie legte, als ihre Beine nachzugeben drohten.

Sie zögerte und strich sich übers Haar. „Müssen wir durch den Ballsaal?“, murmelte sie. Erst als sie sich nervös umsah, bemerkte sie, dass eine breite Säule sie vor neugierigen Blicken schützte.

„Nein.“ Er zog ihr Oberteil ein Stück höher. „Es gibt einen anderen Weg.“

Er führte sie durch eine versteckt liegende Tür am Ende der Terrasse in einen für Gäste nicht zugänglichen Korridor, der hinter dem Saal verlief. Erstaunt folgte Allison ihm durch zahllose Türen, bis sie endlich den Fahrstuhl erreichten.

„Woher kennst du dich in diesem Hotel so gut aus?“, wollte sie wissen, als die Kabinentür sich hinter ihnen schloss.

„Es ist vor zwei Jahren beraubt worden. Ich habe in dem Fall die Anklage vertreten und viel Zeit hier verbracht, um herauszufinden, wie die Beschuldigten sich Zugang verschafft haben.“

Sie nickte, obwohl sie ihm gar nicht richtig zuhörte, sondern auf seine Lippen starrte. Sie sehnte sich danach, sie wieder an ihren zu spüren.

„Hör auf“, verlangte er mit belegter Stimme und sah ihr in die Augen. „Ich fasse dich hier nicht an. Denn wenn ich das tue, schaffen wir es nicht bis ins Zimmer.“

Allison brachte gerade ein „Oh“ heraus, und Jorge legte den Arm fester um ihre Schultern, während die Anspannung in der engen Kabine noch wuchs.

Als der Fahrstuhl endlich hielt, führte er sie hinaus und den Korridor entlang. Er nahm seine Schlüsselkarte heraus, und Sekunden später waren sie in seinem Zimmer. Behutsam schob er Allison gegen die Tür, die er gerade hinter ihnen geschlossen hatte, küsste sie und tastete nach dem Reißverschluss ihres Kleides. Sie half ihm und zog die Schultern ein, als er es ihr abstreifte. Noch bevor der schwarze Stoff ganz nach unten geglitten war, gab er ihren Mund frei und fand eine der festen Spitzen ihrer Brüste.

Als er sie mit den Lippen umschloss und daran sog, schrie sie leise auf und presste die Hüften an seine.

Scheinbar mühelos hob er sie auf und trug sie zum Bett. Mit zitternden Fingern zog er erst sich, dann sie aus, streifte ein Kondom über und legte sich zu ihr, um sie mit Mund und Händen zu liebkosen.

Nach einer Weile hob er den Kopf, das schwarze Haar zerzaust, der Blick besitzergreifend. „Ist es sicher?“

Seine Stimme war rau und belegt, und Allison verstand nur das letzte Wort. Was hatte er gefragt? Ob sie sich sicher fühlte? Ja, das tat sie. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich bei einem Mann sicher. Sie nickte, und dann dachte sie nicht mehr an Sicherheit, denn er kam ganz zu ihr, und sie fühlte nur noch ihn und das, was er in ihr auslöste.

Mit gerunzelter Stirn schlug Allison ein zweites Mal in dem Kalender auf ihrem Schreibtisch nach.

Das konnte nicht sein!

Nichts führte jedoch an der Tatsache vorbei, dass der Tag, an dem sie das Ende ihrer Periode mit einem roten Sternchen markiert hatte, sechs Wochen her war.

Oder war das die vorletzte Regel gewesen, und sie hatte vergessen, die letzte einzutragen?

Autor

Lois Faye Dyer
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