Alle wollen Dr. Finelli

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Ein wunderschöner nackter Männerpo auf ihrem Computermonitor? Offensichtlich wurde Dr. Matteo Finelli beim Umziehen heimlich fotografiert. Nun soll Rechtsanwältin Ivy Leigh den sexy Arzt aus Italien über die Gefahren des Internets aufklären. Doch sie kann nur an das Foto denken …


  • Erscheinungstag 24.03.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506045
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Was in aller Welt…?“ Ivy Leigh starrte auf das Foto, das sich Pixel für Pixel auf ihrem Bildschirm aufbaute. Ein … Hintern? Ein wunderschöner, perfekt geformter, sonnengebräunter nackter Po. Zwei straffe Schenkel, ein Rücken wie gemeißelt … Ein nackter Männerkörper, offensichtlich in einem Männerumkleideraum. Neben dieser delikaten Rückansicht war zu lesen:

Dr. Delicious. Perfekt wie ein Pfirsich. Komm … nimm einen Bissen.

Sie musste heftig schlucken und fächelte ihren glühenden Wangen Luft zu. Auch wenn sie keine Beziehungen eingehen wollte, wusste sie einen schönen Anblick durchaus zu schätzen. Und das hier war ein schöner Anblick. Aber warum in aller Welt landete so etwas auf ihrem Firmencomputer? Vielleicht war die Firewall des Krankenhausservers nicht auf dem neuesten Stand. Sie fügte der To-do-Liste ihres Smartphones die Notiz „IT-Abteilung anrufen“ hinzu und stieß einen Seufzer aus, der weniger mit ihrem bescheidenen Sexualleben als mit ihrer neuen Arbeit zu tun hatte. Sie war gerade mal zwei Wochen dabei und musste schon die zweite Abteilung auf Vordermann bringen. Ihr Job war es, die Klinik ins 21. Jahrhundert zu befördern und das tat sie, egal, wem sie dabei auf die Füße treten musste. Sie drehte sich so auf ihrem Bürostuhl, dass niemand, der zufällig an ihrer offenen Bürotür vorbeikam, einen Blick auf den entblößten Hintern werfen konnte. Sie beugte sich vor, um das Foto etwas genauer zu betrachten, und ihr Blick fiel auf einen Stapel Kleidung, der auf einer Bank lag. Nein, nicht direkt Kleidung … Krankenhauskittel? Bitte nicht. Dunkelgrüne OP-Kittel, auf der man das gestickte Logo der St.-Carmen-Klinik erkennen konnte. Sie schnaufte. Was ihr eben noch unterhaltsam schien, wurde jetzt zu einem besorgniserregenden Problem und ihr bislang eher ereignisloser Tag nahm eine unerfreuliche Wendung. Also wer? Was? Warum? Warum ich? Sie schloss die Augen und weigerte sich, die dazugehörige Nachricht zu lesen.

Okay, jetzt nur nicht kneifen.

Sie öffnete ein Auge, atmete tief durch und las.

Von Albert Pinkney. Der Geschäftsführer der St.-Carmen-Klinik. Sie konnte seine vornehme und perfekte Aussprache förmlich aus den Zeilen heraushören.

„Miss Leigh, was um Himmels willen ist das? Unsere neue Werbekampagne? Seit wann ist die St.-Carmen-Klinik eine schmuddelige Cabaret-Show? Das verbreitet sich im Internet wie ein Hautausschlag und entspricht sicher nicht dem Bild, das wir repräsentieren wollen. Unsere Förderer wollen Köpfe rollen sehen. Wir sind ein Kinderkrankenhaus. Sie sind Anwältin – tun Sie etwas. Lassen Sie das verschwinden. Biegen Sie das wieder gerade.“

Wenn alle anderen mit einem Problem nicht mehr fertigwerden, rufen sie einen Anwalt, der das wieder geradebiegt, indem er den Verursachern ein paar antiquierte Paragrafen um die Ohren haut. Ja, verdammt, sie würde es wieder geradebiegen. Obwohl, das Verschwindenlassen könnte ein bisschen schwieriger werden. War Pinkney denn nicht klar, dass etwas, das einmal im Netz war, immer dort bleiben würde? Zweifellos gehörten das Internet und die sozialen Netzwerke nicht zu seinen Kernkompetenzen. Jetzt musste sie erst einmal herausfinden, zu wem dieses … Prachtstück gehörte. Das würde eine interessante Aufgabe werden.

„Becca?“

„Ja, Miss Leigh?“ Ihre Assistentin erschien in der Tür und setzte ihr übermotiviertes Grinsen auf. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Delikate Angelegenheit … Sie sind schon lange hier und haben ihre Ohren überall. Sie wissen sicher eine Menge über die Angestellten. Haben Sie eine Idee, wer das sein könnte?“ Ivy ging einen Schritt zur Seite und präsentierte den Bildschirm – tadaaa – mit einer theatralischen Geste. „Oh, mein …“ Becca fächelte sich mit den Prospekten, die sie in der Hand hielt, Luft zu. „Wollen wir einen Happen essen? Ich habe plötzlich Hunger bekommen.“ Ich auch, dachte Ivy. „Das ist jetzt nicht der Punkt. Erkennen Sie unser Logo? Da. Wir können so etwas nicht gebrauchen, das schadet unserem Ruf.“

„Nicht, wenn wir einen Haufen neuer Krankenschwestern suchen … Uups. Falsche Antwort? Entschuldigung.“ Beccas Schulterzucken zeigte, dass es ihr überhaupt nicht leidtat, tatsächlich war sie ganz schön beeindruckt. „Der Hintern ist sehr schön. Er ist fast schon perfekt. Und er gehört zu einem Arzt – das heißt also, wir können es eingrenzen. Wir könnten es wie bei einer Polizeiermittlung tun, wir stellen die Hauptverdächtigen an die Wand und …“ Sie blickte noch einmal auf das Foto und sagte mit schriller Stimme: „Ich werde mich sehr gern darum kümmern.“

„Ich bitte darum.“ Im Ernst, wie lange hatte sie Jura studiert? Für so etwas? Dafür hatte sie so hart gearbeitet? Dafür hatte sie auf jegliches Privatleben verzichtet? Eigentlich wollte sie Menschen dabei helfen, für ihre Fehler nicht ein Leben lang büßen zu müssen. Und jetzt sollte sie einen nackten Mann bestrafen. Aber immerhin konnte niemand behaupten, ihr Job sei nicht abwechslungsreich. „Ich will es nicht bloß eingrenzen, Becca, ich möchte, dass es verschwindet. Wir dürfen das jetzt nicht an die große Glocke hängen und müssen das PR-Team anweisen, größeren Schaden zu verhindern. Und wer immer dafür verantwortlich ist, wird den Zorn einer Ivy Leigh zu spüren bekommen.“

Es war schon spät. Er hatte gerade eine schwierige Transplantation bei einem zehnjährigen Jungen hinter sich. Es hatte ziemlich lange gedauert, doch er hatte es geschafft, und die Prognose war gut. Die Operationsliste für morgen war lang und er musste noch einiges vorbereiten. Und nun das. Eine dringende Vorladung einer Abteilung, von deren Existenz er gar nichts gewusst hatte. Es hatte ihn bislang auch nicht interessiert. Die Rechtsabteilung? Um halb sieben abends? Müssten diese Schreibtischhengste nicht längst zu Hause sein? Matteo Finellis Stimmung war alles andere als gut. Er klopfte an die geschlossene Tür und ging hinein, ohne eine Antwort abzuwarten. „Sie wollten mich sprechen?“

„Ja.“ Die Frau vor ihm saß aufrecht an einem großen Schreibtisch aus Mahagoni, der von zwei Aktenschränken flankiert war. Das große Fenster dahinter gab den Blick auf eine lebhafte Londoner Hauptstraße frei. Es war sonnig und er stellte sich vor, jetzt vor einer Bar oder einem Café zu sitzen und bei einem kühlen Bier in der Abendsonne zu entspannen. Stattdessen stand er jetzt hier.

Außer einem Kalender war nichts weiter in diesem Raum. Nichts Persönliches, keine Fotos, keine Stifte, keine Heftklammer. Nichts. Entweder hatte sie eine Persönlichkeitsstörung oder sie war zumindest kurz davor. Das würde auch erklären, warum er bislang noch nichts von ihr gehört oder sie gesehen hatte. Sie fuhr mit der Hand durch ihre kurzen blonden Haare, mit denen sie jünger aussah. Zumindest jünger als sie in einer Position, in der man in so einem Büro sitzen durfte, tatsächlich sein müsste. Aus kühlen grünen Augen sah sie ihn an. Ihre Bluse hatte fast das gleiche Grün – er hatte keine Ahnung, warum ihm das jetzt aufgefallen war. Ihr Mund, den man landläufig als hübsch bezeichnen würde, war zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Ihr verkniffener Gesichtsausdruck ließ vermuten, dass sie nicht viel Spaß in ihrem Leben hatte. Sie sah ihn selbstbewusst an. „Mr. Finelli, nehme ich an? Nehmen Sie bitte Platz.“ Er blieb stehen. „Ich habe keine Zeit. Sie wollten mich dringend sprechen? Worum geht es?“

„Okay, keine Floskeln. Umso besser, dann komme ich gleich zum Punkt. Sagen Sie …“ Ihre Augen wurden schmaler und sie schluckte hörbar. Ihre Finger mit den grün lackierten Nägeln huschten über die Tastatur, und auf dem Bildschirm erschien ein Foto. „Sind Sie das?“ Er versuchte gar nicht erst, sein Lachen zu unterdrücken. Wer immer dieses Foto gemacht hatte, hatte auf jeden Fall eine ziemlich gute Perspektive erwischt. Er sah gut aus. Mehr als gut. Er stieß einen anerkennenden Laut aus. „Gefällt es Ihnen?“

„Darum geht es nicht.“ Ihre Augen funkelten, und ihre Wangen wurden rot.

„Es gefällt Ihnen. Es ist beeindruckend, oder? Sie lassen mich von der anderen Seite der Klinik hierherkommen, um mir Nacktfotos zu zeigen? Interessant.“ Er drehte sich um und wollte hinaus. „Kann ich jetzt gehen? Ich habe zu arbeiten.“

„Nicht so schnell, Mr. Finelli.“

Ma che diavolo?

„Nennen Sie mich bitte Matteo.“

Sie funkelte ihn an. „Mr. Finelli, warum haben Sie dieses Foto gepostet? Wenn Sie gehofft haben, dass es viral geht – Glückwunsch, das ist gelungen. Es sieht so aus, als könnte das Internet nicht genug bekommen von Ihren … Vorzügen. Ist Ihnen klar, was es für den Ruf der Klinik bedeutet, dass auf diesem Foto unser Logo für alle Welt sichtbar ist?“

„Alle nennen mich Matteo, ich reagiere nicht auf Mr. Finelli. Das klingt so förmlich. Ich habe dieses Foto nirgendwo hochgeladen. Und bei allem Respekt, Miss …“ Sein Blick glitt über ihr Gesicht, das sich von einem hübschen Rosa zu Dunkelrot verfärbt hatte, zu ihrem Namensschild. An ihrer linken Hand war kein Ehering. Also Miss. „Miss Ivy Leigh. Ich habe nichts hochgeladen.“

„Sie leugnen also, dass dies ihr Hin… äh – Musculus gluteus maximus ist?“ Es war nicht fair, wieder zu grinsen. Aber er tat es. „Natürlich leugne ich es nicht. Ich habe ja schon zugegeben, dass es meiner ist. Aber ich habe das Foto weder gemacht noch dafür posiert. Es sieht so aus, als hätte ich geduscht und mich gestreckt, um meine Sachen aus dem Spind zu holen – mit dem Rücken zur Kamera. Mein Gesicht ist nicht zu sehen, und ich kann in dieser Position kein Foto von meiner Rückansicht machen. Richtig? Zudem bin ich ein schwer beschäftigter Arzt, der keine Zeit hat rumzusitzen und im Internet zu surfen wie andere Leute.“ Wie Sie. Doch er sprach es nicht laut aus. „Ich bin nicht ganz sicher, wer dieses Foto gemacht hat, aber ich kann es mir fast denken.“

„Ach, und wer?“ Sie beugte sich vor und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. In einem anderen Leben hätte es sicher Spaß gemacht, noch ein paar Spielchen mit ihr zu spielen und herauszufinden, wo ihre weichen Seiten waren, falls sie überhaupt welche hatte. Aber nicht in diesem Leben.

„Ged Peterson.“ Der Punkt geht an dich. „Mein Assistenzarzt. Er liebt Streiche.“

„Peterson. Peterson. Ged? Kurz für Gerard?“ Grüne Fingernägel gaben etwas in die Datenbank ihres Computers ein. „Er arbeitet nicht hier.“

„Nein, jetzt nicht mehr. Er arbeitete bis letzten Monat hier, bis er nach Australien ging. Er sagte mir, er würde mir ein Abschiedsgeschenk dalassen. Ich hätte nicht gedacht, dass es so eines sein würde.“ Matteo trat einen Schritt zurück, bereit zu gehen. „Und nun haben wir das Geheimnis gelüftet, und jetzt muss ich los.“

„Auf keinen Fall. Sie bleiben hier.“

Das hatte gesessen. Keine Frau hatte je so mit ihm geredet. Das war … nun, das war ja interessant. „Warum?“

„Ich frage Sie noch mal: Ist Ihnen klar, was das für die Klinik bedeutet? Lady Margaret hat bereits aus Protest ihre Förderzusage für die neuen Familienzimmer zurückgezogen. Eltern haben sich beschwert, dass sie so etwas nicht von einer Klinik erwarten, in deren Hände sie das Leben ihrer Kinder geben. Ärzte, die sich darüber beklagen, dass sie überarbeitet und unterbezahlt sind, aber trotzdem genug Zeit haben, ihren nackten Körper zur Schau zu stellen, machen die Klinik lächerlich. Das ist alles andere als professionell.“

„Wir sollten nicht übertreiben, es ist nichts passiert.“

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. Er hatte es nicht verstanden. „Image ist alles, Mr. Finelli. Im digitalen Zeitalter ist es besonders wichtig, nach außen Vertrauen und Respekt zu präsentieren. Wir brauchen Leute, die sich einbringen, Geld ranschaffen und an unseren Zielen arbeiten. Wie, brauchen keine übergeschnappten Ärzte, die ihren Hintern und unser Logo in die Kamera halten.“

Er machte einen Schritt nach vorn, beugte sich zu ihr und tippte mit dem Finger auf das Bild. Der Duft von Honig stieg in seine Nase. Mag sein, dass sie ein bisschen übereifrig war, auf jeden Fall duftete sie verdammt gut. Er wich zurück. Er fühlte sich seltsamerweise von ihrem Duft angezogen, aber er konnte heute keine weitere Ablenkung gebrauchen. Es reichte ihm jetzt, außerdem hatte er noch ein paar Stunden Arbeit vor sich. „Wenn Sie sich Sorgen um die Finanzen machen, hätte ich eine Idee. Warum schießen Sie nicht noch elf Fotos von mir und machen ein paar Kalender daraus. Verkaufen Sie mich doch.“

„Ich bin Anwältin.“ Als würde das alles erklären. Aber es erklärte doch einiges. Mit einem Bruder, der noch in der Ausbildung war und einem, der das College bereits hinter sich hatte, wusste Matteo, dass das Jurastudium genauso hart war wie das Medizinstudium. Und dass die dunklen Schatten unter ihren Augen nicht von durchfeierten Nächten kamen, sondern vom Lernen bis in die Morgenstunden. Sie zeigten, dass diese Frau unter harten Bedingungen fleißig gelernt hatte. Ihr heller Teint verriet ihm außerdem, dass sie die beste Zeit ihres Lebens vermutlich in geschlossenen Räumen verbracht hatte und ihre Nase in die Bücher gesteckt hatte, statt die Welt zu erkunden oder ihre Nachmittage entspannt im warmen Sonnenschein zu verbringen. Das erklärte, warum sie so verdreht war. Sie schüttelte ihren Kopf. „Sie haben uns bereits Tausende, wenn nicht sogar Hunderttausende gekostet, Mr. Finelli. Kalender würden nur ein paar Pfund pro Stück einbringen.“

„Mit meiner Rückansicht würden wir sicher noch mehr machen.“

„Sie sind ziemlich von sich überzeugt, was?“ Ihre Stimme wurde leiser, und er merkte ihr an, dass sie versuchte, sich zu beherrschen. Okay, das bedeutete, dass er sie verärgert hatte, aber vielleicht nicht so sehr, wie sie ihn quälte. Nun gut, er hatte Wichtigeres zu tun. Zum Beispiel nach dem Jungen mit der Transplantation zu schauen. „Natürlich. Warum auch nicht?“ Sie sprang auf und kam um den Schreibtisch herum. Wenn ihn nicht alles täuschte, rang sie ein wenig nach Fassung, dann nahm sie ein Dokument aus einem Aktenordner und knallte ihn mit Schwung zu. Sie setzte sich wieder, aber nicht, bevor er nicht einen ausgiebigen Blick auf ihre schmale Taille, ihre enge Hose und ihre hochhackigen Schuhe werfen konnte. Sehr interessant …

Als er bemerkte, dass sie seinen Arbeitsvertrag in den Händen hielt, blickte sie ihn kalt an. „Sehen Sie, Mr. Finelli. Sie scheinen das alles nicht ernst zu nehmen. Ich muss sichergehen, dass Sie sich über die Konsequenzen im Klaren sind, die Ihr Nacktfoto für Sie haben könnte. Ich habe den Fall mit der Personalabteilung besprochen, und die Abteilungsleiterin und alle anderen sind der Meinung, dass wir unsere Mitarbeiter dringend in Sachen Internet-Etikette schulen müssen. Das gilt für alle.“

„Deswegen? Ich habe doch nichts falsch gemacht.“

„Genau deswegen. Wir können nicht das Leben anderer aufs Spiel setzen oder unsere Pflichten als Klinik aus den Augen verlieren. Und wir können uns keine Fehler erlauben.“ Wie er an der Leidenschaft in ihren Augen und den leicht zitternden Händen sehen konnte, schien ihr das wirklich wichtig zu sein – sie nahm es fast persönlich. Sie nahm einen Schluck Wasser aus dem Glas. Ihm fiel auf, dass sie ihm nichts anbot. Sie hielt einen Moment lang inne und schien sich zu sammeln, bevor sie fortfuhr. „Kontrolle ist wichtig, wie wir ja jetzt sehen konnten, und diese Geschichte bestätigt meinen Standpunkt. Ich habe das in meinem letzten Job bereits erfolgreich umgesetzt und werde am Donnerstag hier damit beginnen. Und Sie werden teilnehmen.“

Auf keinen Fall.

„Ich operiere donnerstags.“

„Und dienstags und freitags auch, ich weiß. Es sind nur vier Stunden. Ich erwarte von Ihnen, dass sie mitmachen, so wie alle anderen in dieser Klinik auch. Dann ist das Thema erledigt.“

Dio santo. Sie meinte es ernst. „Wissen Sie eigentlich, wie wertvoll Operationszeiten für einen Chirurgen sind?“ Sie schaute weg und verdrehte die Augen. Dann riss sie sich zusammen. „Ich kann es mir vorstellen, ja.“

„Und wenn ich mich weigere?“

Ihre Finger trommelten auf seinem Aktenordner. „Dann werden Sie eine Anhörung über sich ergehen lassen müssen, damit hätten sich Operationszeiten sowieso erledigt. Es würde zeitraubend und unangenehm werden. Möglicherweise würde man Sie sogar suspendieren. Wer weiß?“

Jetzt war der Spaß aber wirklich vorbei, Ärger stieg in ihm hoch. „Aus welchem Grund?“

„Rufschädigung der Klinik. Das Verweigern einer Pflichtschulung. Es ist alles ganz klar in Ihrem Vertrag geregelt: Verhaltensregeln, Schulungsanweisungen, Kleidungsvorschriften und so weiter. Mr. Finelli, viele Kliniken erlauben es ihrem ärztlichen Personal nicht, mit ihren Gesichtern in sozialen Netzwerken aufzutauchen. Es ist also nichts Ungewöhnliches, dass auch wir uns schützen wollen.“

Punktsieg für Ivy Leigh. Ivy bedeutet Efeu – das war doch diese giftige Pflanze? Sommaco velenoso. Das beschreibt sie perfekt. Jetzt brauchte er ein schlagkräftiges Argument, um ihr einen Dämpfer zu verpassen. „Ich könnte Sie auch belangen.“ Sie sah ihn überrascht an. „Wofür, zur Hölle?“

„Für die Verletzung meiner Privatsphäre. Ich könnte behaupten, dass ich nicht einverstanden war, dass mein Körper für eine derart misslungene Werbung benutzt worden ist.“

Sie lachte – überraschend sanft und weiblich. „Gehen Sie und spinnen Sie Ihre Fantasien weiter. Aber wir beide wissen, dass es keine Werbung war. Sie haben keine Handhabe. Aber ich. Paragraf 3 des Arbeitsrechts …“

„Vergessen Sie es. Ich werde Ihnen jetzt nicht mehr zuhören. Sie können ihr Referat für sich behalten.“

„Okay, Ihre Entscheidung.“

Sie erinnerte ihn an seine jüngere Schwester Liliana, die niemals aufgeben wollte. Nie. Mit ihr zu diskutieren, war wie mit einer Mauer zu diskutieren. „Dann muss ich Sie morgen früh zu einem Gespräch mit dem Leiter der Personalabteilung bitten.“

„Nein.“ Noch mehr wertvolle Arbeitszeit verlieren? Vielleicht könnte er seinen Dienstplan mit Mike tauschen, nur um diese unerträgliche Frau loszuwerden. „Mr. Finelli. Wir sitzen doch beide im selben Boot.“

„Ganz sicher nicht.“ Aber ihm blieb nichts anderes übrig, wenn er nicht noch mehr Zeit verlieren wollte. Es war besser, wenn er es hinter sich brachte. „Sie lassen mir keine andere Wahl. Ich werde an Ihren Veranstaltungen teilnehmen.“

„Dann sind wir uns ja einig. Danach werden Sie nie wieder von mir oder dieser Angelegenheit hören. Danke für Ihre Zeit.“ Sie hielt ihm ihre Hand hin, und er nahm sie widerwillig. Ihr Händedruck war warm, fest und irgendwie vertraut. Ihre Berührung ließ ihn erschauern – was er zu ignorieren versuchte. Sie schien es nicht zu bemerken, ihre Stimme war ruhig und kühl genau wie ihre Augen. „Ich bin überzeugt, dass Sie die Schulung interessant finden werden.“

„Da bin ich mir nicht so sicher. Jetzt muss ich meinen Tag neu planen. Aber vier Sitzungen sollten nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen. Ab wann kann ich mich wieder meiner Arbeit widmen? Nach der Mittagspause?“ Ein Ausdruck der Erheiterung huschte über ihr Gesicht, als hätte sie einen harten Kampf gewonnen. „Oh, Entschuldigung, habe ich mich nicht klar ausgedrückt? Mit vier meinte ich vier Tage.“

„Vier Tage? Nein. Auf keinen Fall. Das werde ich nicht machen.“

„Aber Sie haben zugestimmt und mir die Hand darauf gegeben. Ist das Wort eines Italieners nichts mehr wert?“

Er hielt ihrem Blick stand. Seine Ehre war einwandfrei im Gegensatz zu manch anderen. Er würde niemanden hintergehen, so wie er hintergangen worden ist. „Doch. Aber ich habe eine Bedingung.“

„Ach ja?“ Ihr Gesichtsausdruck machte ihm klar, dass er nicht in der Position war, Bedingungen zu stellen.

Dennoch sagte er: „Für jede Minute, die ich in Ihrer lächerlichen Schulstunde sitze, müssen Sie entsprechend viel Zeit mit mir bei meiner Arbeit verbringen. Diese Arbeit, die diese Klinik ausmacht, die Leben rettet. Dann sehen Sie vielleicht, wie sehr Sie meine Zeit verschwenden.“ Er sah sie direkt an. Ein Anflug von Besorgnis in ihren Augen wich einem entschlossenem Kopfnicken. „Okay.“ Ihr Lächeln war wie Kondensmilch – eine Spur zu süß. „Sehen wir es so, dass ich neu in der Klinik bin und mich sowieso mit den Abteilungen vertraut machen muss. Es wird mir einen unschätzbaren Einblick in die speziellen rechtlichen Probleme geben, die jeweils auftreten können, und ich kann passende Strategien für die Zukunft entwerfen. So schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe.“

Wie konnte er nur annehmen, dass man mit ihr Spielchen spielen konnte? Der Spaß war vorbei. Das war Krieg. „Glauben Sie mir, Miss Leigh, das einzige Problem, das in meinem Operationssaal auftreten kann, ist, einen Dummkopf aus mir machen zu wollen. Auf Wiedersehen.“

2. KAPITEL

Er würde wohl nicht kommen.

Ivy überblickte den Konferenzsaal, der gefüllt war mit schnatternden, kaffeetrinkenden Portiers, Krankenschwestern und Pflegern, medizinischem Personal und Ärzten. Die Veranstaltung würde in weniger als zwei Minuten beginnen. Sie musste zu ihrer Schande gestehen, dass sie trotz der zahlreich anwesenden Mitarbeiter enttäuscht war, dass sie die famose Rückansicht eines Mr. Finelli nicht entdecken konnte, und sie wusste zum Henker nicht, warum. Dabei wollte sie sich auf ein verbales Scharmützel mit diesem Doktor einlassen, um ihm ihre Stärken zu beweisen. Dieser Mann mochte reichlich narzisstisch sein, aber als Gegner war er sicher nicht zu unterschätzen. Natürlich nicht. Dazu passte auch, dass er es nicht nötig hatte, hier zu erscheinen. Aber vielleicht war es auch besser, dass er hier nicht mit seinen dunklen Augen auftauchte und arrogante Reden schwang, weil das alles unter seinem Niveau war. Außerdem würde es ihr sicher schwerfallen, sich auf ihren Vortrag zu konzentrieren.

„Okay, Miss Leigh …“ Becca brachte ihr die Mappe mit den Unterlagen für das Seminar. „Eines für jeden und noch ein paar zum Verteilen. Die erste Teepause ist um halb elf. Das Catering wird gegen viertel nach zehn liefern.“

„Und Mittagessen? Sie wissen, wie das ist. Wenn sie nicht zeitig gefüttert werden, werden sie mürrisch.“

„Um ein Uhr. Im Steadman Room. Oh, und der Laptop ist mit dem Projektor verbunden, es sollte also alles glattgehen. Viel Glück.“

Prima. Alles lief reibungslos, bis auf den leichten Kopfschmerz, den sie verspürte. „Danke. Ach, und Becca, bitte, bitte, lassen wir das mit den Formalitäten, nennen Sie mich Ivy. Ich weiß, mein Vorgänger wollte, dass Sie ihn Sir nennen – bei mir läuft das aber anders.“

„Okay, wenn Sie mein…“ Ihre Assistentin lief rot an, und ihre Aufmerksamkeit galt etwas hinter Ivys Rücken. „Oh … nur, oh.“

„Ist alles in Ordnung?“

„Oh ja, alles pfirsichweich. Eine Schande, dass er so ein Herzensbrecher ist.“ Becca grinste und bewegte sich wie von Geisterhand gesteuert vorwärts, als wäre Herzbrechen eine Sportart, in der er numero uno war und der Titelträger in dieser Disziplin. Was er möglicherweise auch war.

„Mr. Finelli, bitte nehmen Sie sich einen Kaffee und setzen Sie sich. Ich zeige Ihnen, wo die Tassen sind.“

Großartig. Aus irgendeinem Grund hüpfte ihr Herz. Vielleicht Lampenfieber. Sie war zu Beginn eines Workshops immer ein wenig nervös, es gab so viel zu beachten. Die Technik konnte streiken, die Klimaanlage musste korrekt eingestellt sein – zu warm, und alle würden einschlafen, zu kalt, und niemand würde sich konzentrieren können, das Essen musste pünktlich kommen und überhaupt, alle mussten bei der Stange gehalten werden.

Autor

Louisa George
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