Alles riskieren - Eine verführerische Enthüllung (3-teilige Serie)

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VERFÜHRERISCHE VERWANDLUNG von CARA SUMMERS
Nach einer heißen Liebesnacht mit Sean hat Natalie schnell Lust auf eine Fortsetzung. Aber der sexy Detektiv scheint sich in den Kopf gesetzt zu haben, mit keiner Frau mehr als einmal zu schlafen. Also muss Natalie sich verwandeln: in die sinnliche Verführerin Rachel, das sexy Model Calli...


ENTHÜLLT! von CARA SUMMERS
Die junge Reporterin Corinne muss fliehen: vor einem sehr attraktiven, aber leider auch sehr wütenden Mann! Unerlaubt hat sie Fotos gemacht und damit Hunter Marks auf den Plan gerufen. In einer Dessousboutique stellt er sie. Erst verlangt er die Aufnahmen, dann küsst er Corinne, wie sie noch nie geküsst worden ist…


WAS DU SCHON IMMER ÜBER SEX WISSEN WOLLTEST von CARA SUMMERS
Bei dem attraktiven Ryder vergisst Sierra zum ersten Mal alle Hemmungen. An den ausgefallensten Orten hat sie mit ihm leidenschaftlichen Sex. Aber ihr Traumlover hat leider auch einen sehr gefährlichen Beruf. Und plötzlich hat Sierra nicht nur eine heiße Affäre, sondern steckt auch mitten in einem aufregenden Abenteuer…


  • Erscheinungstag 18.11.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512312
  • Seitenanzahl 480
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Cara Summers

Alles riskieren - Eine verführerische Enthüllung (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

Verführerische Verwandlung erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
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Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2004 by Carolyn Hanlon
Originaltitel: „The Proposition“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY SEXY
Band 22 - 2006 by CORA Verlag GmbH, Hamburg
Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein

Umschlagsmotive: Photographee.eu / Shutterstock

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733778965

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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PROLOG

Sommer 1999

Harry Gibbs liebte sein risikoreiches und abenteuerliches Leben als internationaler Juwelendieb.

Sicher, er war von Geburt an gerissen gewesen und hatte Glück gehabt. Und was seine anderen Talente betraf – sein besonderes Geschick, Schlösser zu öffnen und sein Fähigkeit, sich zu verkleiden – nun, diese Talente hatte er über die Jahre perfektioniert.

Er hatte es weit gebracht. Auf dem Balkon seiner toskanischen Villa stehend, überblickte er die Weinberge, die in goldenes Sonnenlicht getaucht waren. Er besaß auch ein Cottage in Dublin und ein Apartment in Paris, doch hier, in der Toskana, hielt er sich zwischen zwei Jobs am liebsten auf.

Man könnte es ein perfektes Leben nennen.

Harry unterdrückte einen Seufzer. Kein Leben war perfekt, und das wusste er besser als die meisten Männer. Das Leben verlangte Entschlüsse. Vor zehn Jahren hatte er eine weit reichende Entscheidung getroffen – er hatte seine Frau und seine zehnjährigen Töchter – die Mädchen waren Drillinge – verlassen, um seine Karriere als Meisterdieb wieder aufzunehmen.

Seine Frau hatte gewünscht, dass er mit seiner Familie ein normales Leben führte. Das war auch sein Wunsch gewesen. Zehn Jahre lang hatte er es versucht, doch letztendlich hatte er einsehen müssen, dass er für ein normales Leben nicht geschaffen war.

Die Sonne ging langsam unter, die Schatten wurden länger. Harry seufzte. Es war kein Tag vergangen, an dem er seine Familie nicht vermisst hatte. Und an diesem herrlich warmen Sommerabend, dem zwanzigsten Geburtstag seiner Töchter Natalie, Corinne und Sierra, vermisste er sie mehr denn je.

Er schlenderte in den Salon, trat an die Bar und schenkte sich Champagner ein. Noch sechs Jahre musste er warten. Seine Frau Amanda und er hatten sich darauf geeinigt, dass er bis zu ihrem sechsundzwanzigsten Geburtstag keinen Kontakt zu den Mädchen aufnehmen würde.

Heute Abend erschienen ihm die sechs Jahre wie eine Ewigkeit. Neuerdings hatte er immer häufiger das Gefühl, ihm liefe die Zeit davon.

Er ging hinüber an seinen Schreibtisch, nahm das Fotoalbum und schlug die Seite mit den drei Fotos seiner ältesten Tochter Natalie auf. Dann hob er das Glas.

„Auf meine couragierte Natalie“, murmelte er. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“

In mancher Hinsicht glich sie ihm. An dem eiskalten Getränk nippend, betrachtete er die Bilder. Es waren seine Lieblingsfotos. Das erste hatte er aufgenommen, als ihr die Mandeln entfernt wurden. Sie war damals zwölf gewesen, und er hatte die Nacht nach der Operation zusammen mit Amanda an ihrem Bett gewacht, was Natalie jedoch nicht mitbekommen hatte. Das zweite zeigte Natalie bei der Abschlussfeier der Schule. Sein Abkommen mit Amanda hatte ihn nicht davon abgehalten, an den wichtigen Ereignissen im Leben seiner Töchter teilzunehmen. Nur wissen durften sie es nicht.

Harry beugte sich tiefer über das Foto, das er von Natalie an ihrem ersten Tag an der Polizeiakademie gemacht hatte, und grinste. Seine älteste Tochter schlug auf jeden Fall einen völlig anderen Weg ein als er. Sie schien entschlossen, sich für die Einhaltung der Gesetze einzusetzen, die er sein Leben lang gebrochen hatte.

Das war ganz seine Natalie. Seit sie laufen und sprechen konnte, hatte sie ihre Schwestern verteidigt und für eine gerechte Behandlung gesorgt. Eine Reihe von Bildern ging ihm durch den Kopf. Auf jedem stand Natalie wie eine Kämpferin vor ihren Schwestern. Als sie zehn war, erkannte Harry, dass seine älteste Tochter nicht nur seine roten Haare, sondern auch seine Gabe geerbt hatte, Schlösser zu knacken und sich zu verkleiden. Sie wäre eine wunderbare Juwelendiebin geworden.

Harry hob sein Glas und trank darauf. Von seinen drei Mädchen war Natalie immer diejenige gewesen, die die größten Risiken einging, und er fragte sich, ob sie in ihrem Beruf als Polizistin in dieser Hinsicht auf ihre Kosten kam. Wenn er doch nur mit ihr sprechen könnte …

Doch wofür sollte das gut sein? Harry stellte sein Glas ab. Was sollte er sagen?

Sein Blick wanderte zu dem gerahmten Foto seiner Frau. Er hatte es bei der Schulabschlussfeier seiner Töchter aufgenommen. Zärtlich strich er mit dem Finger über ihre Wange. Er hatte nie aufgehört, sie zu lieben.

Und auch seine Töchter hatte er immer geliebt. Er nahm einen Briefbogen, einen Stift und setzte sich an den Schreibtisch. Selbst wenn er Natalie den Brief jetzt noch nicht schicken konnte, er würde dafür sorgen, dass sie ihn irgendwann bekam.

Harry trank noch einen Schluck Champagner auf seine Tochter. Dann begann er zu schreiben.

1. KAPITEL

Frühjahr 2005

Sean Mitchell war in seinem ganzen Leben noch nie von einer Frau besessen gewesen. Doch jetzt blickte er immer wieder zu Detective Natalie Gibbs, die ein Glas Weißwein trank. Er beobachtete, wie sie sich eine widerspenstige Haarsträhne hinter das Ohr strich. Die beiden Frauen, die neben ihr saßen, waren ebenso attraktiv, doch er hatte nur Augen für Natalie, seit er mit seinen Freunden im „Blue Pepper“ saß.

Um neun Uhr war das beliebte Lokal in Georgetown, einem Stadtteil von Washington, D. C., gerammelt voll. Eine große Traube von Gästen belagerte die Bar, und im Innenhof spielte eine Salsaband. Unbewusst nahm Sean das alles wahr, genauso wie die Unterhaltung an seinem Tisch, doch sein Hauptinteresse galt der faszinierenden Polizistin.

Die Haare fielen ihr über die Schultern, und in dem schwachen Licht des Bistros sahen die rotgoldenen Locken aus, als würden sie jeden Moment in Flammen aufgehen. Er sehnte sich danach, diese Locken zu berühren.

Sean trank einen großen Schluck von seinem kalten Bier, doch es half nicht, das Feuer, das in ihm brannte, zu löschen. O ja, er war verrückt nach Natalie, und er wollte wissen, warum.

Seit er sie das erste Mal gesehen hatte, war er scharf auf sie. Sie hatten beide undercover zusammengearbeitet – sie für die Polizei, er im Auftrag einer Versicherung. Und es hatte sofort zwischen ihnen gefunkt.

Bisher hatte er noch nichts unternommen, um ihr näher zu kommen. Während der drei Tage ihrer Zusammenarbeit hatte die kühle, reservierte Rothaarige ihn auf Abstand gehalten. Und er hatte es zugelassen, was völlig untypisch für ihn war. Normalerweise nahm er sich, was er wollte, doch bei Natalie Gibbs zögerte er wie ein unreifer Junge.

Vielleicht war es an der Zeit, endlich zu handeln. Heute Abend wirkte sie nicht so kühl und distanziert wie sonst. Wahrscheinlich lag es an der Kleidung. Bei der Arbeit trug sie Hosenanzüge, das Standardoutfit für eine Frau in einer Männerwelt. Doch heute Abend hatte sie eine ärmellose, tief ausgeschnittene Bluse gewählt, die ihre Kurven betonte und viel Haut zeigte.

Sein Blick fiel auf den V-Ausschnitt, der dort endete, wo die Mulde zwischen ihren Brüsten begann, und glitt dann über die winzigen Perlenknöpfe. Unwillkürlich stellte er sich vor, wie er sie einen nach dem anderen aufmachte.

Bei diesem Gedanken wurde er total heiß auf Natalie. Warum zum Teufel zögerte er noch?

Er trank noch einen Schluck von seinem Bier.

„Ist alles okay?“

Sean sah die beiden Männer an, die neben ihm saßen. Tracker McBride hatte die Frage gestellt, während Lucas Wainwright ihn nachdenklich betrachtete.

„Ich glaube, er interessiert sich für diese Polizistin“, bemerkte Lucas.

„Meinst du wirklich?“, gab Tracker zurück.

„Habt ihr, du und Sophie, schon ein Datum für die Hochzeit festgelegt?“, fragte Sean, um vom Thema abzulenken.

Trackers Blick fiel auf die große Blondine, die rechts neben Natalie saß.

Lucas grinste. „Von Mac habe ich gehört, dass Sophie im Herbst heiraten möchte.“

Sean lenkte seinen Blick auf die dritte Frau am anderen Ende des Tisches, Dr. MacKenzie Lloyd Wainwright. Mac und Lucas waren seit einem Jahr verheiratet und erwarteten ihr erstes Kind. Sean hatte sich früher nie vorstellen können, dass einer seiner Freunde einmal heiraten und sesshaft werden würde.

„Da Lucas und ich in festen Händen sind, bist du jetzt an der Reihe“, sagte Tracker.

Sean hob abwehrend beide Hände. „Keine Chance!“ Er lachte. Er war einfach kein Mann zum Heiraten.

Natürlich mochte er Frauen. Sehr sogar. Aber er hatte immer darauf geachtet, dass seine Beziehungen unkompliziert blieben. Dauerhaft war ein Wort, das in seinem Wortschatz nicht existierte.

„Ich weiß nicht“, sagte Tracker. „Sophie meint, zwischen dir und der Polizistin würde es heftig knistern.“

Ein Handy klingelte, und alle drei Männer griffen instinktiv in ihre Hosentaschen. Sean war gerettet. Lucas klappte sein Handy auf und verkündete eine Sekunde später: „Für den Anruf brauche ich etwas mehr Ruhe.“ Er stand auf und signalisierte Tracker, mit ihm zu kommen. Die beiden Freunde arbeiteten zusammen bei Wainwright Enterprises. Lucas leitete das Familienunternehmen, und Tracker war Chef des Sicherheitsdienstes.

Sean trank von seinem Bier und sah wieder zu Natalie. Ihre Blicke trafen sich, und alles andere um ihn herum schien zu verblassen. Die hitzige Diskussion am Nebentisch, das fröhliche Lachen an der Bar, selbst die Musik war nur noch ein leises Summen in seinen Ohren. Die Gesichter der beiden anderen Frauen am Tisch traten in den Hintergrund. Er sah nur noch Natalie.

„He“, sagte Tracker und riss Sean aus seiner Benommenheit, „wir beenden den Abend. Mac ist müde, Lucas und sie fahren nach Hause. Sophie und ich gehen zu Fuß. Soll Lucas dich zum Hotel bringen?“

„Nein.“ Sean stand auf. Morgen früh würde er nach London fliegen, vorher gab es jedoch noch etwas zu tun. Er ging zusammen mit Tracker an das andere Ende des Tisches.

„Tut mir Leid, dass ich so ein Partymuffel bin“, sagte Mac und gähnte herzhaft.

„Ich habe als Erste gegähnt“, sagte Sophie. „Die letzten Tage waren sehr hektisch.“ Sie lächelte Natalie an. „Aber du solltest bleiben. Sean ist ein irrer Tänzer, und die Musik ist toll.“

„Nein, ich …“, begann Natalie und stand auf.

„In einem Punkt hat Sophie Recht“, unterbrach Sean sie. „Die Musik ist klasse.“

„Bitte. Ich will euch nicht den Abend verderben.“ Mac nahm Natalies Hand und drückte sie. „Bleib hier und tanz wenigstens einmal. Wäre ich nicht zum Umfallen müde, würde ich auch tanzen. Es gibt nichts Romantischeres, als unter den Sternen zu tanzen.“

„Was ist schon ein Tanz?“, sagte Sophie leise und küsste Natalie auf die Wange.

Sean wartete, bis die beiden Paare gegangen waren. „Wir müssen nicht tanzen, wenn du Angst vor heißen Rhythmen hast.“

Natalie kniff die Augen zusammen und sah ihn an. „Ich kann zu der Musik tanzen. Aber was ist mir dir?“

Das war genau die Reaktion, auf die Sean gehofft hatte. Bei seiner Arbeit mit der schönen Polizistin hatte er gelernt, dass sie keiner Herausforderung auswich. Das ist der Schlüssel, dachte er, nahm ihre Hand und führte sie in den Innenhof. Wenn er es geschickt anstellte, würden sie noch einiges mehr gemeinsam erleben, bevor die Nacht vorbei war.

In dem Moment, als Sean ihre Hand nahm, wusste Natalie, dass sie einen Fehler beging. Es war nicht das erste Mal, dass er sie berührte. Er war ein Mann, der Körperkontakt suchte. Während der kurzen Zeit ihrer Zusammenarbeit hatte er oft ihren Arm genommen oder eine Hand auf ihren Rücken gelegt. Aber er hatte nie ihre Hand gehalten. Die Geste erregte sie.

Seit sie sich das erste Mal in Sophie Wainwrights Kunstgalerie begegnet waren, dachte sie darüber nach, wie es wäre, ihn näher kennen zu lernen. Sie sah ihn verstohlen von der Seite an, als er sie durch die Menge führte. Sean Mitchell war ein Mann, nach dem sich alle Frauen umdrehten.

Er war groß und schlank und trug einen Armani-Anzug mit der gleichen lässigen Eleganz wie verwaschene Jeans. Seine Haarfarbe changierte von Blond bis Braun, seine Augenfarbe lag irgendwo zwischen Rauchgrau und Blau. Und er hatte ein unglaublich sympathisches Lachen.

Aber in den drei Tagen, die sie Seite an Seite gearbeitet hatten, waren es seine Hände gewesen, die sie am meisten fasziniert hatten – Hände, die eine wertvolle Skulptur genauso geschickt hielten wie eine Waffe. Mehr als einmal hatte sie sich vorgestellt, wie diese wohl geformten langgliedrigen Finger eine Frau streichelten.

Aber die Tatsache, dass sie eingesetzt worden waren, um Sophie Wainwright vor einem skrupellosen Killer zu beschützen, hatte sie davor bewahrt, irgendwelche Fantasien auszuleben. Doch jetzt war Sophie in Sicherheit. Der Fall war abgeschlossen. Es gab nichts mehr, was sie von diesem Mann ablenken konnte. Und sie begehrte ihn mit einer Intensität, die sie noch nie verspürt hatte.

Warum?

Die Antwort bekam sie, als Sean sie in seine Arme zog. Ihr wurde heiß, und jeder Nerv in ihrem Körper schien zum Leben zu erwachen. Bei keinem anderen Mann war ihr das bisher passiert, und sie wusste, dass dies nur ein Vorgeschmack auf das war, was sie in seinen Armen erleben würde, wenn sie es zuließ. Warum zögerte sie überhaupt?

„Wir passen perfekt zusammen“, murmelte er.

Hatte sie das nicht immer gewusst? Sie war groß, doch er war größer. Sein Kinn streifte ihre Haare, und als er sie über die kleine Tanzfläche führte, presste er seinen Schenkel an ihren. Sie kam ins Stolpern, und Sean zog sie noch enger an sich.

„Entspann dich“, flüsterte er ihr ins Ohr und strich mit den Fingern über ihren Rücken. „Hör einfach auf die Musik, und lass dich gehen.“

Sich gehen lassen. Natalie unterdrückte einen Seufzer. Genau dagegen kämpfte sie an. Sie hatte sich immer etwas darauf eingebildet, sich in Bezug auf Männer unter Kontrolle zu haben. Zwei Jahre bei einer Sondereinheit der Polizei in Washington, D. C., hatten ihr genügend Gelegenheit gegeben, Erfahrungen im Umgang mit Männern zu sammeln, egal ob im Job oder im Schlafzimmer. Bei den zwei ernsthaften Beziehungen, die sie gehabt hatte, hatten beide Männer Probleme damit gehabt, dass sie Polizistin war, und sie hatte gelernt, nicht zu viel Gefühl in eine Beziehung zu investieren.

Ihr Instinkt sagte ihr jedoch, dass Sean anders war. Er war fähig, ihre Beherrschung zu erschüttern, und der Gedanke daran war ebenso reizvoll wie beängstigend.

Als er ein wenig zurückwich, hätte Natalie fast protestiert.

„So ist es schon viel besser“, sagte er. „Entspannung ist das Schlüsselwort.“

Kein Wunder, dass sie entspannt wirkte, sie schmolz in seinen Armen nur so dahin. Aber das behielt Natalie für sich. Stattdessen sagte sie: „Du kannst wirklich gut tanzen. Wo hast du das gelernt?“

„Hier und da. Ich finde, Tanzen ist ein sehr nützliches Hilfsmittel.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Wie meinst du das?“

Sean lächelte. „Tanzen ist die einfachste Methode, eine Frau in die Arme zu bekommen, und wird nur noch übertroffen von meinen Kochkünsten, mit denen ich jede Frau ins Bett kriege.“

Ins Bett … Natalie wusste, sie hätte eine schlagfertige Antwort geben oder zumindest verächtlich lächeln sollen. Doch das Bild steigerte nur noch ihr Verlangen nach ihm.

Der Rhythmus der Musik änderte sich abrupt. Sean legte die Hände auf ihre Hüften und zog Natalie kurz an sich. Heftige Begierde überkam sie, als sie seine Erektion spürte. Ja, sagte ein Teil ihres Ichs, während ein anderer Teil ihr riet, zu flüchten, solange sie es noch konnte.

Doch die ablehnende Stimme verlor an Kraft, und Natalie erkannte plötzlich, dass sie nicht auf Nummer sicher gehen würde. Hatte sie diese Entscheidung nicht schon getroffen, als sie die Kleidung für den heutigen Abend auswählte?

Eigentlich passte dieses Verhalten überhaupt nicht zu ihr. Normalerweise kleidete sie sich nicht sexy, um einen Mann zu verführen. Als die Erstgeborene – auch wenn es sich nur um ein paar Minuten handelte – war sie immer die Vernünftige gewesen und hatte stets ihre vom Vater geerbte Impulsivität unter Kontrolle gehabt.

„Ich will dich, Natalie“, flüsterte Sean ihr zu. Ihre Knie wurden weich. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass er sie von der Tanzfläche in eine dunkle Ecke auf der Terrasse gezogen hatte. Kübelpflanzen umgaben sie; mit dem Rücken stieß sie gegen eine Backsteinmauer. Und Sean stand vor ihr, sie spürte die Hitze seines Körpers …

„Ich will mit dir ins Bett, ich will dich berühren – überall.“

„Ich …“

„Nein.“ Er legte den Finger auf ihre Lippen. „Lass mich ausreden. Ich möchte dir einen Vorschlag machen. Morgen früh fliege ich nach London. Wenn ich Glück habe, habe ich den Auftrag dort in drei Monaten erledigt. Vielleicht dauert es aber auch länger. Uns bleibt also nur diese Nacht.“ Er zog mit dem Finger eine Linie von ihrem Hals zum Ansatz ihrer Brüste. „Verbring diese Nacht mit mir.“

Er hatte seine Worte sorgfältig gewählt. Das tat er bei Frauen immer. Eine Nacht ohne weitere Verpflichtungen war genau das, was die disziplinierte, logisch denkende Natalie Gibbs reizen würde. In Bezug auf Männer war sie sicherlich vorsichtig, da sie keine Komplikationen wollte.

Aber als er in die kühlen grünen Augen blickte, konnte er nicht erkennen, was sie dachte. Sie musste beim Tanzen doch gespürt haben, dass die Chemie zwischen ihnen stimmte – dass es eine unvergessliche Nacht werden konnte. Und sie musste doch zumindest teilweise die Verzweiflung spüren, die er jetzt empfand.

Als sie den Mund öffnete, um etwas zu sagen, legte er den Finger auf ihre Lippen. „Sag nicht Nein. Ich …“ Er unterbrach sich, weil ihm klar war, dass er fast gesagt hätte: Ich brauche dich. Und das stimmte nicht. Verrückt nach jemandem zu sein, war eine Sache. Aber jemanden zu brauchen? Er holte tief Luft. „Überleg doch einmal. Wann hattest du das letzte Mal einfach Sex, ohne dir Gedanken darüber machen zu müssen, wie es weitergeht? Komm schon. Was meinst du?“

Natalie schob seinen Finger von ihren Lippen. „Das ist dein Vorschlag? Sex ohne jede Verpflichtung?“

„Genau.“

„Ich akzeptiere dein Angebot“, erwiderte sie locker und lächelte.

Sean blieb fast das Herz stehen.

Natalie führte Sean über einen schmalen Pfad zur Rückseite des Hauses, das nur drei Straßen vom Blue Pepper entfernt lag. Zu beiden Seiten ihrer Wohnungstür brannten Lampen.

Sie hatte noch nie einen Mann in ihre Wohnung mitgenommen. Aber als Sean den Vorschlag gemacht hatte, weil ihre Wohnung näher lag als sein Hotel, hatte Natalie zugestimmt. Wenn sie sich schon auf einen One-Night-Stand einließ, dann konnte es auch in vertrauter Umgebung geschehen.

Sean hatte nichts mehr gesagt, seit sie das Lokal verlassen hatten. Er hatte sie auch nicht berührt, doch sie war sich seiner Nähe sehr bewusst. Als sie den Schlüssel aus der Tasche holte und ins Schloss steckte, legte er die Hand auf ihre.

Sie drehte sich um und sah ihn an. Der Vollmond erhellte den Garten hinter ihm, doch Seans Gesicht lag im Schatten, sodass sie nicht erkennen konnte, was er dachte.

„Hast du Bedenken?“, fragte er.

„Nein. Du?“

„Nein.“

Sie ging mit ihm in die kleine Diele. Nachdem Sean die Tür mit dem Fuß zugestoßen hatte, drückte er Natalie mit dem Körper gegen die Wand. „Dies ist keine Nacht für irgendwelche Überlegungen“, murmelte er und näherte sich mit dem Mund ihren Lippen. „Heute Nacht werden wir nur fühlen.“

Jeder noch so winzige Zweifel verschwand bei der ersten Berührung ihrer Lippen. Seans Mund war fest, doch sinnlich, seine Hände glitten zärtlich über ihre Arme und dann unter ihre Haare. Und sein Geschmack – Natalie hatte nur einen Moment lang Zeit, sich daran zu berauschen, dann presste Sean sich noch enger an sie. Eine köstliche Benommenheit erfasste sie, und als er nun mit der Zunge in ihren Mund vordrang, spürte sie ein eigenartiges Kribbeln im Bauch.

Hitze durchströmte Natalie. Noch nie hatte sie ein so starkes Verlangen nach einem Mann empfunden. Sean küsste sie leidenschaftlicher, fordernder, als sei er wild entschlossen, etwas zu finden, was sie noch vor ihm verbarg.

Und die ganze Zeit glitten seine Hände über sie – erforschten die Linie ihres Halses, umfassten ihre Brüste und packten sie um den Po, um sie noch näher an sich zu ziehen. Seine Leidenschaft entfachte ein Feuer in ihr, das heißer brannte als jedes Feuer zuvor. Und ihr Herz pochte heftiger, als sie es je erlebt hatte.

„Mehr.“ Hatte sie das wirklich laut gesagt? Sie hatte sich die Frage kaum gestellt, da beantwortete Sean sie schon, indem er mit den Fingern in ihre Bluse griff und sie aufriss. Mit einer blitzartigen Bewegung zog er das, was von der Bluse übrig geblieben war, über ihre Arme, sodass ihre Hände gefangen waren.

Sich ausgeliefert fühlen, das war etwas, was sie ihr Leben lang vermieden hatte. Doch jetzt genoss sie es ebenso wie das erotische Prickeln, das sie am ganzen Körper verspürte. Sie war immer stolz darauf gewesen, alles unter Kontrolle zu haben, sei es im Job oder im Bett. Jetzt aber, während Seans Hände über ihren Körper glitten, wollte sie sich nur noch den neuen sinnlichen Gefühlen hingeben, die er in ihr auslöste.

Seine Lippen schlossen sich um ihre Brustwarze.

Sie griff in sein Haar und versuchte, seinen Kopf hochzuziehen, damit er sie wieder küsste. „Mehr“, wiederholte sie.

Ihr leises Flehen steigerte sein Verlangen. Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Er wusste nur, dass er sie wieder küssen wollte.

Würde er jemals genug von ihren süßen Lippen bekommen? Oder ihrem heiseren Stöhnen? Oder ihrem exotischen Duft, der in ihm den Wunsch weckte, sie an einem verlassenen mondbeschienenen Strand zu lieben?

„Beeil dich. Bitte.“

Ihre Worte erregten ihn noch mehr. Während er sie leidenschaftlich küsste, öffnete er ihren Gürtel und schob ihre Hose mit dem Slip nach unten. Dann hob er den Kopf, denn er wollte sie ansehen, wenn er mit zwei Fingern in sie eindrang. Ihre Augen verdunkelten sich, und als sie kam, rief sie mit rauer Stimme seinen Namen.

Sean ging dieser Laut durch und durch, und er wurde noch härter.

Selbst als die letzten Wellen des abklingenden Höhepunkts sie noch durchströmten, wusste sie, dass sie sich damit nicht zufrieden geben konnte. Ungeduldig zog sie sein Hemd aus der Hose und öffnete seinen Gürtel. Zusammen zerrten sie an seiner Kleidung, bis Sean nur noch seinen schwarzen Slip trug, und Natalie ließ die Hand zwischen seine Schenkel gleiten.

„Wo ist dein Schlafzimmer?“, stieß Sean hervor.

„Lass uns hier bleiben.“

Sie zogen sich gegenseitig auf den Boden. Kaum lagen sie, rollte Natalie sich auf Sean und begann ihn mit dem Mund zu erforschen. In fieberhafter Gier überzog sie seine Haut mit feurigen Küssen, reizte seine flachen Brustwarzen mit der Zunge, setzte ihre Zähne ein, um ihn noch mehr zum Wahnsinn zu treiben. Noch nie hatte ihr Herz so schnell geschlagen, noch nie hatte sie ein so starkes Verlangen verspürt.

Rittlings setzte sie sich auf seine Schenkel, zog an seinem Slip. Sean legte die Hände auf ihre Taille und hob Natalie hoch. Sobald er in sie eingedrungen war, begannen sie, sich in einem schnellen, stetigen Rhythmus zu bewegen, den ihnen ihr erhitztes Blut diktierte, und im Nu riss die Leidenschaft sie fort.

„Jetzt“, flüsterte Natalie. „Komm mit mir zusammen.“

Ohne sie loszulassen, rollte er sich mit ihr herum, sodass sie unter ihm lag. Seine Stöße wurden härter, tiefer, und hemmungslos aufschreiend erreichten Natalie und Sean den Gipfel der Lust.

2. KAPITEL

Drei Monate später

Mit einer Hand griff Sean in die Kühlbox neben sich und nahm ein Bier hinaus. Er wurde beobachtet. Suchend blickte er zur Küste, konnte jedoch niemanden entdecken. Trotzdem befand er sich seit dem Moment, als sie das Boot in diese Bucht gesteuert hatten, in Alarmbereitschaft.

„Meine aufgestellten Nackenhaare sagen mir, dass ich für Fotos in Positur stehe“, bemerkte Tracker, der am Steuerrad stand.

„Kann schon sein“, erwiderte Sean. Wenn es einen Menschen gab, dessen Instinkt er mehr vertraute als seinem eigenen, dann war es Tracker. „Ich habe das gleiche Gefühl.“

Er machte die Bierdose auf und trank einen Schluck, ohne seine Angel aus der Hand zu legen. Auf jeden Beobachter musste er den Eindruck eines zufriedenen Anglers machen. Und genau das sollten die Sicherheitsleute glauben, die ihn höchstwahrscheinlich beobachteten.

Wenn sie weitere Nachforschungen anstellten – und er war sicher, dass sie dies in genau diesem Moment taten – würden sie herausfinden, dass das Boot auf Lucas Wainwright III registriert war, Geschäftsführer von Wainwright Enterprises, und dass dieser tatsächlich von Washington, D. C. an die Südküste Floridas geflogen war, um das Wochenende in Boca Raton auf seinem Boot zu verbringen.

Sean zog seinen Hut tiefer ins Gesicht. Glücklicherweise hatten sein Freund Lucas und er dieselbe Größe und Statur, so hatte er nur eine schwarze Tönung für sein Haar gebraucht. Aber er wusste nicht, wie gut die Kameras waren, und er wollte nicht, dass irgendjemand an der Küste sein Gesicht genau erkennen konnte.

Etwas riss an der Angel. Sean hätte fast laut gelacht. Manchmal liebte er solche Undercover-Einsätze wirklich. Er war hier, um das Anwesen von Carlo Brancotti in Florida auszukundschaften, und hatte jetzt noch das Vergnügen, einen dicken Fisch zu angeln. Besser hätten die Beobachter gar nicht getäuscht werden können.

Jetzt musste er nur noch Carlo, einem Millionär, der sein Vermögen gemacht hatte, indem er andere bestohlen hatte, ebenfalls an die Angel bekommen. Vor zwei Jahren war ein riesiger gelber Diamant von der Größe einer Babyfaust aus der Privatsammlung Ferrante in Rom verschwunden, und seitdem war Sean Brancotti auf der Spur. Der Raub war während des Transports zwischen dem Ferrante-Palast und dem Museum geschehen, wo der Diamant ausgestellt werden sollte. Der echte Edelstein war entwendet und durch eine Imitation ersetzt worden.

Vom ersten Moment an war Sean sicher gewesen, dass Brancotti als führender Kopf hinter diesem Coup steckte. Er verfolgte den Mann schon lange, und Brancottis typische Vorgehensweise bei solchen Diebstählen war der Austausch durch täuschend echt aussehende Imitationen. Bis der Diebstahl entdeckt wurde, hatte Brancotti längst einen Käufer gefunden, und es gab nichts, was den Mann mit dem Verbrechen in Verbindung brachte.

In diesem Fall war der Austausch innerhalb weniger Tage bemerkt worden, da Graf Ferrante aus Versicherungsgründen vor der Ausstellungseröffnung auf einer Schätzung des Diamanten bestanden hatte.

Sean hatte die Versicherungsgesellschaft und den Grafen dazu gebracht, eine Belohnung für den Diamanten auszusetzen, die groß genug war, um Brancotti dazu zu verleiten, ihn zurückzugeben. Und Brancotti hatte angebissen. Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, hätte der Graf seinen Diamanten zurückbekommen, und Sean hätte eine alte Rechnung beglichen und Brancotti hinter Gitter gebracht. Doch der Plan war fehlgeschlagen, und Sean hatte seine Partnerin Venetia Gaston verloren.

Zwei Jahre lang hatte er darauf gewartet, wieder etwas von dem gelben Diamanten zu hören, und vor einer Woche war es dann endlich so weit gewesen: Von einem Kontaktmann hatte er den Wink bekommen, dass Carlo Brancotti eine ausgewählte Gruppe Männer und Frauen für ein Wochenende auf sein Anwesen in Südflorida einladen wollte und dass der Ferrante-Diamant versteigert werden sollte.

Die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen am Strandabschnitt von Carlos Anwesen bestätigten dies. Carlo Brancotti ging kein Risiko ein. Deshalb wurde er auch nie gefasst. Sean neigte ein wenig den Kopf und blickte wieder zum Strand. Das Wasser glitzerte in der untergehenden Sonne, trotzdem entging ihm das Aufblitzen zwischen den dichten Zypressen nicht. Licht wurde von einer Kameralinse reflektiert. Er spürte den Adrenalinstoß. Die Jagd konnte beginnen.

„Showtime“, sagte er zu Tracker. „Ich brauche deine Hilfe bei dem Fisch. Er ist riesig.“

„Verdammt. Hast du wieder ein Glück.“

Eine Sekunde später stand sein alter Freund an seiner Seite. Sean hatte sich sehr gefreut, mit Tracker zusammen an dieser Sache zu arbeiten – sie gaben ein gutes Team ab. Zusammen beobachten sie den Fisch, der in einem hohen Bogen aus dem Wasser sprang. Die Angel bog sich durch, als der Fisch wieder unter die Wasseroberfläche tauchte.

„Hast du etwas entdeckt?“, fragte Tracker.

„Einer von ihnen steht von hier auf Position zwei Uhr.“

„Verstanden“, erwiderte Tracker. „Da ist noch einer etwa fünfhundert Meter links.“

Der Fisch sprang wieder aus dem Wasser.

„Viele Sicherheitsmaßnahmen“, bemerkte Sean, als er die Leine einholte.

„Es scheint etwas zu geben, was bewacht werden muss“, sagte Tracker.

„Das denke ich auch. Behalt die Küste im Auge, okay? Ich kümmere mich um den Fisch. Vielleicht entdeckst du ja noch mehr Leute.“

„Okay.“

Die nächsten Minuten verliefen schweigend. Als der Fisch endlich an Bord geholt war, hatte das Boot Brancottis Anwesen passiert.

Sean wartete, bis sie gewendet hatten und zurücktuckerten. Tracker gab Gas, und Sean stand neben ihm am Steuerrad, während die Videokamera am Heck des Bootes jeden Zentimeter der Küste filmte. Dieses Mal gab es kein verräterisches Aufblitzen. Offensichtlich hatte ihre Tarnung funktioniert. Die Fotos, die Brancotti zu sehen bekam, würden einen sehr glücklichen Angler zeigen, der sich nach einem großartigen Fang auf den Weg nach Hause machte.

„Kannst du an die Küste gelangen, ohne entdeckt zu werden?“, fragte Sean.

Tracker grinste. „Ist der Papst katholisch?“

„Carlo überlässt nichts dem Zufall.“

„Mich von hier wegzubekommen, ist kinderlicht. Den schwierigeren Part hast du. Du musst zu der Party eingeladen werden, um überhaupt ins Haus zu gelangen. Und du musst den Diamanten stehlen.“

Sean lächelte seinen alten Freund an. „Ich habe bereits eine Einladung, dank meines Kontaktmannes. Und was den Raub betrifft – das wird der lustige Teil.“

Tracker betrachtete seinen Freund einen Moment lang. „Das ist mehr als nur ein Job für dich, oder?“

„Carlo und ich kennen uns schon lange.“ Länger, als er irgendjemandem anvertrauen würde. Er und Carlo hatten ein Jahr lang in demselben Waisenhaus gelebt. Er war damals zwölf gewesen und Carlo siebzehn und sein einziger Freund. Natürlich hatten sie beide damals noch andere Namen gehabt. Sean – damals noch Gianni – hatte den älteren Jungen als Helden verehrt. Doch die Freundschaft war in der Nacht gestorben, in der Carlo das Waisenhaus ausgeraubt und dafür gesorgt hatte, dass Sean dafür bestraft wurde. Das war vor zwanzig Jahren gewesen.

Tracker warf seinem Freund einen nachdenklichen Blick zu. „Wenn es etwas Persönliches zwischen dir und Brancotti ist, dann könnte es dir im Weg stehen.“

„Nein.“

„Besteht die Gefahr, dass er dich erkennt?“

„Nein das ist unwahrscheinlich. Ich war zwölf, als wir uns das letzte Mal gesehen haben.“

Tracker runzelte die Stirn, dann sagte er: „Ich begleite dich als Bodyguard oder dein persönlicher Assistent.“

Sean grinste. „Danke, aber ich habe andere Pläne.“

„Erzähl.“

„Ich gebe mich als Steven Bradford aus. Du hast wahrscheinlich noch nicht von ihm gehört. Er ist sehr zurückhaltend, aber er ist ein Software-Genie, der sein Vermögen während des Hightech-Booms gemacht hat. Und ich bringe meine neueste Begleiterin mit, ein Model, das hofft, mit meiner Unterstützung Karriere zu machen.“

Tracker grinste. „Der Computerfreak und seine reizende Begleiterin.“

„Genau. Ich werde Natalie Gibbs bitten, mit mir zusammenzuarbeiten.“

Tracker dachte einen Moment lang nach. „Sie sieht toll aus.“

„Sie hat die richtige Figur und hat große Ähnlichkeit mit Catherine Weston, die sich jetzt Calli nennt.“ Aber nicht nur ihr Aussehen war dafür verantwortlich, dass er seit drei Monaten unaufhörlich an sie dachte und von ihr träumte.

„Ich habe einige Nachforschungen angestellt. Ihr Vater, Harry Gibbs, war ein internationaler Juwelendieb. Eine dieser Legenden, die bei jedem großen Coup als Erstes verdächtigt, aber niemals gefasst wurden. Er starb vor sechs Jahren bei einem Unfall.“

„Der Vater ist ein Juwelendieb, und die Tochter wird Polizistin. Interessant.“

Faszinierend war das Wort, das Sean benutzt hätte. Das Komische war, je mehr er über Natalie Gibbs erfuhr, desto neugieriger machte sie ihn. „Sie ist nicht die einzige Tochter. Sie ist die Älteste von Drillingen.“ Wie er aus zuverlässiger Quelle wusste, hatte sie ihre Funktion als Älteste sehr ernst genommen, vor allem seit ihre Mutter vor sechs Jahren gestorben war.

Tracker lenkte das Boot um eine Landzunge herum, die sie von dem Brancotti-Anwesen trennte. „Sophie ist überzeugt davon, dass irgendetwas zwischen euch ist. Sie meint, dass die Funken sprühen, sobald ihr im selben Raum seid.“

Sean zuckte mit den Schultern. „Das stört nicht bei dem Job.“

„Es könnte dein Denkvermögen beeinträchtigen. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.“

„Das Entscheidende ist, ich brauche sie für den Job. Sie behält einen klaren Kopf.“ Außer, wenn sie in seinen Armen lag. „Und sie hat das Talent, sich zu verkleiden, und liebt Undercover-Einsätze.“

„Bist du dir sicher?“

„Sie ist genau das, was ich brauche.“ Schon vor der Nacht in ihrem Apartment hatte er sie mehr begehrt als jede andere Frau, die er jemals kennen gelernt hatte. Allerdings hatte er irrtümlich geglaubt, eine Nacht mit ihr würde ihm genügen. Diese Fehleinschätzung war nicht der einzige Fehler in jener Nacht gewesen. Er war noch nie in seinem Leben so rau mit einer Frau umgesprungen. Teufel, er hatte ihr die Kleider vom Körper gerissen und sie auf dem Boden in der Diele genommen. Und später im Bett war er auch nicht viel sanfter gewesen.

Und um das Ganze auf die Spitze zu treiben, war er gegangen, bevor sie wach geworden war, und war nach London geflogen, ohne eine Notiz zu hinterlassen oder sich per Telefon zu verabschieden. Sean liebte Frauen, und er behandelte sie normalerweise immer sehr gut. Nur bei Natalie war das nicht der Fall gewesen.

Tatsächlich erschreckte ihn seine Reaktion auf sie. Es war nicht nur der Mangel an Kontrolle über sein körperliches Verlangen nach ihr. Nein, als er morgens in ihrer Schlafzimmertür stand, da hatte es einen Moment gegeben, wo er sie nie wieder verlassen wollte.

Das war ihm noch nicht passiert. Er hatte noch nie mit dem Gedanken gespielt, eine feste Bindung einzugehen. Aber Natalie Gibbs reizte ihn wie keine andere Frau. Und da ihm das Angst machte, hatte er sie nicht angerufen oder ihr Blumen geschickt. Jetzt aber, drei Monate später, wollte er, dass sie ihm half, Brancotti zu schnappen.

„Du hast mit Natalie aber noch nicht darüber gesprochen?“, fragte Tracker.

„Nein.“

„Und weißt du schon, wie du es anstellen willst, sie für diesen Job zu gewinnen?“

„Noch nicht.“ Vor drei Tagen hatte er ihre Abteilung angerufen, doch im letzten Moment hatte er darum gebeten, ihren Partner Matt Ramsey sprechen zu dürfen.

„Sie scheint mir nicht der Typ zu sein, der sich leicht lenken lässt“, sagte Tracker und grinste breit.

„Nein.“ Sean unterdrückte einen Seufzer. Wenn er Natalie Gibbs dazu bewegen wollte, mit ihm zusammenzuarbeiten, dann musste er sich etwas einfallen lassen. Und bisher hatte er keine zündende Idee.

„Sophie gibt am Freitag in ihrer Galerie eine Party, um ein paar Künstler vorzustellen“, sagte Tracker. „Natalie wird dort sein. Komm doch auch.“

Sean dachte einen Moment nach. Die Idee war nicht schlecht. Auf einer Party hatte sie keine andere Wahl, als mit ihm zu sprechen. „Ich nehme die Einladung an.“ Somit blieben ihm noch etwa achtundvierzig Stunden, um sich eine Strategie zu überlegen. Feste Termine beflügelten seine Kreativität.

„Schön. Ich hatte schon Angst, mich auf dieser Party zu langweilen. Jetzt aber habe ich die Gelegenheit, dich bei der Arbeit zu beobachten.“

„Hier sind die letzten Zusagen für Ihre Party.“

Carlo Brancotti blickte nicht von seinem Computer auf, als seine Assistentin Lisa McGill einen Ordner auf seinen Schreibtisch legte. Er war ein vorsichtiger Mann. Einige meinten, zu vorsichtig, aber er wäre nicht so weit gekommen, wenn er Risiken eingegangen wäre. Alles Ungewöhnliche wurde ihm sofort berichtet. Sein Security-Team hatte ihn im selben Moment benachrichtigt, als es das Boot bemerkt hatte. Sie hatten den Besitzer schon ausfindig gemacht. Es gehörte Lucas Wainwright. Nachdenklich klopfte Carlo mit den Fingern auf den Schreibtisch. Wainwright … der Name war ihm vertraut, aber er konnte ihn im Moment nicht unterbringen.

Plötzlich erschien die Information auf dem Monitor. Carlo las sie schnell durch. Lucas Wainwright, Geschäftsführer von Wainwright Enterprises, Besitzer eines Urlaubshotels auf den Keys und einem anderen in South Beach, benutzte sein Boot häufig zum Angeln.

Zufrieden wandte Carlo sich an Lisa. „Erzähl.“

Lisa blickte etwas finster drein. Neulinge machten sie nervös, denn es bestand immer die Möglichkeit, dass jemand von einer Versicherungsgesellschaft oder von der Polizei eingeschleust wurde. Carlo freute sich auf diese Möglichkeit. Die Pläne jener zu durchkreuzen, die glaubten, ihn schnappen zu können, hatte ihm seit jeher großes Vergnügen bereitet. Das Geld war nur ein angenehmer Nebeneffekt.

„Risa Manwaring, Armand Genovese und Steven Bradford haben zugesagt und werden Sonnabend anreisen.“

Lisas kaum unterdrückte Missbilligung amüsierte ihn, was er jedoch nicht zeigte. Schließlich war es ihr Job, sich Sorgen um seine Sicherheit zu machen. „Du lässt sie überwachen?“

„Natürlich.“

Carlo schlug die Akte auf und betrachtete die Fotos. Lisa hatte bereits Nachforschungen über alle drei angestellt – Risa Manwaring, der einstige Filmstar, lebte jetzt sehr zurückgezogen. Armand Genovese, italienischer Geschäftsmann mit Verbindung zur Mafia. Und Steven Bradford, der Softwareentwickler, der Geld wie Heu haben sollte. Jeder von ihnen hatte besondere Gründe, warum er oder sie den Diamanten ersteigern wollte. Wer von ihnen war so besessen von dem Diamanten, dass er den Preis in die Höhe treiben würde?

Carlo nahm die Fotos, legte sie in eine Reihe und betrachtete sie durch ein Vergrößerungsglas. Keines von ihnen bot ein deutliches Bild. „Waren dies die besten Fotos, die du bekommen konntest?“

„Ja, aber ich arbeite noch daran.“

Er nickte zustimmend, glaubte jedoch nicht, dass sie Erfolg haben würde. Er hatte gerade diese drei Gäste ausgewählt, weil sie die Medien scheuten. In wessen Rolle würde der Mann schlüpfen, der sich selbst Sean Mitchell nannte?

Carlo hatte keinen Zweifel daran, dass der Versicherungsagent, der ihn das letzte Mal fast geschnappt hätte, den Köder geschluckt hatte. Der Mann war gut. Zu gut. Seit dem letzten Vorfall hatte Carlo es sich zur Aufgabe gemacht, alles über den freiberuflich arbeitenden Versicherungsdetektiv herauszufinden, der unter dem Namen Sean Mitchell bekannt war.

Carlo glaubte nicht, dass dies der richtige Name des Mannes war oder dass er ihn häufig benutzte. Es bestand sogar die Möglichkeit, dass Sean eine Frau war. In den letzten sieben Jahren war Sean Mitchell zur Legende in gewissen Kreisen geworden, zu der Person, die jeder in Carlos „Branche“ fürchtete.

Aber Carlo hatte keine Angst. Er freute sich darauf, es mit Sean Mitchell aufzunehmen. Das Leben bot viel zu wenig Herausforderungen. Er tippte mit dem Finger auf jedes der drei Fotos. Wen würde Sean verkörpern? Armand oder Steven? Und was war mit der Frau an Stevens Arm? Er senkte das Vergrößerungsglas, um den Namen entziffern zu können. Calli.

„Stell auch Nachforschungen über diese Frau an.“

„Natürlich“, entgegnete Lisa.

Carlo legte das Vergrößerungsglas weg. Er würde jeden seiner geladenen Gäste sehr genau kennen, bevor sie überhaupt hier eintrafen. Welchen von ihnen würde er töten müssen?

3. KAPITEL

Natalie entdeckte ihre Schwestern sofort, als sie das Blue Pepper betrat. Wie üblich stand Corinne mitten im Gewühl und führte eine lebhafte Debatte mit der Frau, die für die Tischreservierung zuständig war. Natalie zweifelte nicht daran, dass Corinne trotz der vielen Gäste einen Tisch bekommen würde. Mit ihrem elfenhaften Gesicht und den kurzen dunklen Haaren erinnerte Corinne sie immer an Puck, den Kobold aus Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“.

Etwas abseits stand Sierra, die jüngste der Drillinge, und notierte etwas auf die blauen Notizkarten, die sie immer bei sich hatte. Natalie unterdrückte einen Seufzer.

Mit ihren glatten blonden Haaren und dem unschuldigen Gesichtsausdruck erinnerte sie Natalie an Alice aus dem Wunderland. Allerdings war sie nicht so unorganisiert wie Alice, sondern plante alles, was sie tat, sehr genau und schrieb es auf blaue Kärtchen.

Auch Natalie war ein Mensch, der nichts dem Zufall überließ, aber vor bunten Kärtchen machte sie Halt. Ihrer Meinung nach war Sierra ein wenig zu organisiert und zu vorsichtig. Aber immer wenn sie dieses Thema ansprach, hob ihre Schwester hervor, dass dieser Lebensstil ihr immerhin zwei Doktortitel und einen gut bezahlten Posten an der Georgetown University eingebracht hatte.

Seit ihr Vater verschwunden war, hatte Natalie das Gefühl, sich um ihre Schwestern kümmern zu müssen, und sie machte sich Gedanken, wie sie die Neuigkeiten aufnehmen würden, die sie ihnen heute Abend überbringen wollte.

Draußen im Innenhof spielte ein Saxophonist ein paar Töne, und Natalie blieb abrupt stehen, als das Bild von Sean Mitchell unbewusst vor ihrem geistigen Auge erschien. Ihr Körper reagierte sofort. Sie wurde wütend. Drei Monate waren vergangen, seit sie alle Vorsicht in den Wind geschlagen und eine Nacht mit ihm verbracht hatte. Und noch immer konnte sie ihn nicht vergessen.

Eine Nacht. Das hatte er angeboten, dem hatte sie zugestimmt. Keine Bedingungen, keine Komplikationen, nur hemmungsloser Sex. Und den hatten sie gehabt. Schon bei der Erinnerung daran wurde ihr heiß.

Ihr Blick glitt zu dem Innenhof, wo sie getanzt hatten. Oh, wie gern würde sie es ihm irgendwie heimzahlen, dass sie seit der Nacht mit ihm unzufrieden mit ihrem Job und ihrem Leben war.

Dabei war sie vorher absolut zufrieden gewesen. Ihr Job bei der Spezialeinheit der Polizei war aufregend, doch in letzter Zeit langweilte sie sich nur.

„Detective Natalie! Seien Sie gegrüßt!“

Natalie lächelte Rad an, der herbeieilte und sie galant mit einem Handkuss begrüßte. Der junge Restaurantbesitzer war einen Kopf kleiner als sie, und wechselte seine Haarfarbe so häufig wie seine Krawatten. Heute standen sie wie Dornen vom Kopf ab, die Spitzen waren orange gefärbt. Sie bemerkte, dass sich die Farbe auf seiner Krawatte wiederholte.

Rads Lächeln verblasste, als er Natalies Outfit genauer betrachtete. Ein khakifarbener Leinenanzug und ein schwarzes T-Shirt. Wie langweilig!

„Wie geht es George?“, fragte Natalie, um von sich abzulenken. George, Rads Partner, war ein sonnengebräunter, sanftmütiger Hüne, der sich um die Bar kümmerte, während Rad das Restaurant leitete.

„George geht es gut. Sie aber …“ Er brach ab und legte die Hand ans Herz. „Es macht mich ganz fertig, Sie in diesen Farben zu sehen. Aquamarinblau würde Wunder wirken. Oder mintgrün.“ Er legte einen Finger an den Mund, während er nachdachte. „Nein, Sie sollten Pink tragen.“

Natalie schauderte es. Eine Polizistin in Pink? Ganz zu schweigen davon, wie pink zu ihren roten Haaren aussehen würde. Noch einmal versuchte sie, Rad abzulenken. „Tolle Frisur.“

Er grinste breit. „Danke.“

„Die Farbe passt perfekt zu Ihrer Krawatte.“

„Ich habe über eine Stunde daran gearbeitet. Soll ich es bei Ihnen auch einmal versuchen?“

„Mir wäre es lieber, Sie würden uns einen Tisch besorgen.“

Rad blickte zu Corinne. „Ich denke, darum hat sich Ihre Schwester schon mit Erfolg gekümmert.“

Natalie folgte Rad durch die Menge. Heute Abend feierten sie und ihre Schwestern den sechsundzwanzigsten Geburtstag, und sie hatte ein Überraschungsgeschenk mitgebracht.

Der Umschlag in ihrer Tasche war heute Morgen gekommen. Er enthielt eine Notiz von ihrem Vater und drei einzelne Umschläge für Harry Gibbs Töchter. Darin waren Briefe von ihrem Vater – Briefe, die er vor sechs Jahren geschrieben hatte und die sie an ihrem sechsundzwanzigsten Geburtstag lesen sollten.

Den ganzen Tag über hatte Natalie diese Briefe im Kopf gehabt. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Harry Gibbs hatte die Familie verlassen, als sie und ihre Schwestern zehn Jahre alt waren. Als sie zwanzig waren, verunglückte er tödlich beim Bergsteigen. Sechs Monate nachdem ihre Mutter von Harry Gibbs Tod gehört hatte, verstarb sie ebenfalls.

Natalie wusste, dass ihre Eltern sich geliebt hatten – dennoch hatten Harry und Amanda Gibbs sich wegen „unüberbrückbarer Differenzen“ getrennt.

Vor sechs Jahren hatte ihr Vater nun plötzlich beschlossen, ihnen einen Brief zu schreiben, den sie an ihrem sechsundzwanzigsten Geburtstag erhalten sollten? Warum?

In dem Moment entdeckte Corinne sie und rief: „Nat! Hier entlang.“

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, sagte Natalie, als sie ihre Schwestern erreichte.

„Herzlichen Glückwunsch“, gab Corinne zurück.

„Ebenfalls“, sagte Sierra, als sie sich umarmten.

„Man wird nicht jeden Tag sechsundzwanzig“, sagte Corinne. „Als ich das der Empfangsdame erklärte, stimmte sie mir zu, dass wir einen Tisch im Innenhof brauchen. Kommt.“

Gerade dort wollte Natalie nun absolut nicht sein. Die Erinnerung an Sean war zu stark.

„Alles klar?“, fragte Sierra, als sie Corinne über die Tanzfläche folgten.

Natalie lächelte. „Absolut. Wie läuft denn deine Forschungsarbeit, Dr. Gibbs?“

„Es geht. Ich habe noch nicht alle Ergebnisse.“

„Hör nicht auf sie. Ihre Arbeit läuft fantastisch“, sagte Corinne. „Wie immer. Die große Neuigkeit ist, dass meine Arbeit für das Celebrities ebenfalls gut läuft.“

„Darauf müssen wir ein Glas Champagner trinken“, sagte Sierra.

„Einverstanden“, sagte Corinne, als sie sich setzte und zur Speisekarte griff. „Ich habe einen Mordshunger.“

Natalie wartete, bis alle saßen, dann sagte sie: „Vielleicht sollten wir mit der Feier noch ein wenig warten.“

„Was ist los?“, fragte Sierra.

Natalie erzählte von dem Umschlag, den sie am Morgen bekommen hatte, nahm die versiegelten Briefe aus ihrer Tasche und legte sie auf den Tisch.

„Öffnen oder nicht, ist jetzt die Frage“, sagte Sierra schließlich.

„Genau.“

„Sie sind von unserem Vater“, bemerkte Corinne.

„Na und?“, sagte Natalie ein wenig verärgert. „Als wir zehn waren, haben wir beschlossen, ihn nicht mehr Vater zu nennen.“

Es entstand ein Schweigen.

„Vor sechzehn Jahren haben wir ihn das letzte Mal gesehen, und seit sechs Jahren ist er tot.“ Sierra legte einen Finger auf ihren Brief. „Warum jetzt?“

„Genau“, sagte Natalie erneut. „Er hat nicht einmal Kontakt zu uns aufgenommen – nicht, als wir krank waren, nicht zum Geburtstag oder zum Schulabschluss. Nie. Warum hat er den Anwalt angewiesen, uns jetzt diese Briefe zu schicken?“

Ein Kellner erschien. „Möchten Sie schon Getränke bestellen?“

„Einen Martini“, sagte Natalie, ohne den Blick von den Umschlägen zu wenden. „Sehr trocken und mit einer Olive.“

„Für mich das Gleiche“, sagte Sierra.

Corinne seufzte. „Für mich auch. Champagner ist jetzt nicht das Richtige. Und bringen Sie uns bitte Appetithäppchen. Ich brauche unbedingt etwas zu essen, bevor ich mich hiermit befasse.“

Der Kellner verschwand eilig, und wieder breitete sich Schweigen aus.

„Keine von euch muss sich jetzt damit befassen“, sagte Natalie schließlich. „Aber ich glaube, ich werde meinen öffnen. In mir steckt zu viel von Harry, um ihn einfach wegzuwerfen.“

„Wir haben alle zu viel von Harry in uns“, sagte Corinne.

Sierra holte tief Luft. „Ich habe Angst, meinen zu öffnen.“

„Wisst ihr was? Wir öffnen sie der Reihe nach. Die Älteste zuerst. Also ich.“

„Ich bin die Zweite“, sagte Corinne.

„Und ich die Dritte.“

„Ich werde als Einzige den Brief heute Abend öffnen“, schlug Natalie vor. „Ihr beide könnt euch Zeit lassen. Ein paar Wochen, ein Jahr, fünf Jahre – nehmt euch so viel Zeit, wie ihr braucht. Harry hat sich mit den Briefen auch Zeit gelassen.“

„Ein guter Vorschlag“, sagte Corinne.

Natalie nahm ihren Umschlag, öffnete ihn und zog den Brief hinaus. Dann räusperte sie sich und las laut vor:

„Liebste Natalie,

herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Du fragst dich wahrscheinlich, warum ich dir diesen Brief an diesem speziellen Tag schicke. Die Antwort ist ein wenig kompliziert. Eure Mutter und ich waren genau sechsundzwanzig, als ihr geboren wurdet. Zehn Jahre später habe ich euch verlassen. Bei der Trennung stimmten eure Mutter und ich überein, dass ich keinen Kontakt zu euch aufnehme, bis ihr sechsundzwanzig seid. Wir hielten es so für das Beste. Mittlerweile weiß ich, dass es der größte Fehler meines Lebens war, euch und eure Mutter zu verlassen. Falls mir irgendetwas zustößt und ich an eurem sechsundzwanzigsten Geburtstag nicht dabei sein kann, so möchte ich dir auf diesem Weg etwas sagen: Mach nicht denselben Fehler, den ich gemacht habe. Wenn es etwas gibt, was du haben willst, vertrau auf deine Talente. Riskier alles, um es zu bekommen, und halt es fest. Alles Liebe, Harry.“

„So“, sagte Corinne.

Natalie legte den Brief auf den Tisch und fuhr mit dem Finger langsam über die Unterschrift. Sie konnte nicht wirklich sagen, was in ihr vorging.

„Sieh mal“, sagte Sierra und deutete auf den Umschlag. „Da ist noch etwas drin.“

Natalie holte drei Fotos hinaus. Das eine war von ihrer Schulabschlussfeier, das andere von ihrem ersten Tag auf der Polizeiakademie. Das dritte war nach ihrer Mandeloperation aufgenommen worden.

„Er war da“, sagte Corinne. „Ich dachte, er hätte uns vergessen.“

Sierra betrachtete die Fotos. „Ich habe immer vermutet, dass er und Mom vereinbart haben, dass er sich von uns fern halten soll. Sie hatte so große Angst, dass wir nach ihm geraten.“

„Und jetzt rät er dir, genau so zu sein“, sagte Corinne. „Vertrau auf deine Talente … riskier alles …“

„Das ist das, was du willst, nicht wahr?“, fragte Sierra, als der Kellner die Getränke brachte und eine Platte mit Appetithäppchen auf den Tisch stellte. „Das ist es, was dich seit drei Monaten beschäftigt, stimmt’s?“

Natalie starrte ihre Schwester an. Sierra war sehr aufmerksam. Ihr entging so schnell nichts, doch Natalie hatte nicht geglaubt, dass sie so leicht zu durchschauen war. „Ich will kein Juwelendieb werden, wenn du das meinst.“

„Aber …“, drängte Sierra.

Natalie seufzte und drehte sich zu Corinne. „Es war ein Fehler, sie Psychologie studieren zu lassen.“

„Du weichst aus“, stellte Corinne fest. „Du bist in der letzten Zeit anders. Selbst mir ist das aufgefallen. Ich wette, es hat mit einem Mann zu tun.“

„Ich habe den Männern abgeschworen“, erklärte Natalie.

Corinne hob ihr Glas. „Darauf trinke ich. Nachdem mich Paul, dieser Mistkerl, verlassen hat, habe ich beschlossen, dass ich nur noch die Männer in mein Leben lasse, die ich in meiner Fantasie erschaffe.“

Sierra lachte und hob ebenfalls ihr Glas. „Welchem speziellen Mann hast du abgeschworen, Nat?“

Natalie seufzte. „Du hättest Polizistin werden sollen.“ Sie stellte ihr Glas ab. Warum sollte sie nicht mit ihren Schwestern darüber sprechen? „Es ist der Mann, mit dem ich vor drei Monaten an diesem Schmuggelfall zusammengearbeitet habe. Ich kann ihn einfach nicht vergessen.“

„Und wo liegt das Problem?“, fragte Corinne. „Du hast doch noch nie ein Problem damit gehabt, dir den Mann zu angeln, den du haben willst.“

„Genau das ist das Problem. Ich will nicht, dass ich ihn will. Außerdem scheint er nicht mehr an mich zu denken. Ich habe in den drei Monaten nichts von ihm gehört. Nicht, dass ich damit gerechnet hätte. Wir hatten eine Abmachung – eine Nacht. Mehr nicht.“

„Das ist ein Problem“, stellte Sierra fest.

Natalie seufzte. „Das ist nicht das Einzige. Seit ich mit ihm zusammengearbeitet habe, bin ich in meinem Job irgendwie ruhelos. Ich bin zu meinem Partner Matt mürrisch, in meinem Büro fühle ich mich eingekesselt, und ich würde am liebsten fliehen. Ich bin wie Harry.“

„Natürlich bist du wie er“, sagte Corinne und nahm sich ein Krabbenhäppchen. „Wir wollen es zwar nicht wahrhaben, aber wir sind alle wie er. Ich vertraue auf mein Glück, um mit Schwierigkeiten fertig zu werden. Sierra hat seinen brillanten Verstand geerbt. Und du bist genauso risikobereit wie er. Wir können unsere Herkunft nicht verleugnen.“

„Sierra, sag ihr, dass sie sich täuscht.“

Sierra schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid. Corinne hat Recht. Wir sind seine Töchter, ob es uns passt oder nicht. Aber wenn du meinen Rat willst … Ich denke, du solltest Harrys Ratschlag folgen. Es gibt etwas, was du haben willst. Also vertrau auf deine Talente und hol es dir.“

Natalie sah Corinne an.

„Du wirst von mir keinen Widerspruch hören. Drei Monate hat dich der Mann nicht angerufen, trotzdem bist du noch scharf auf ihn. Dann hol ihn dir. Und wenn du deinen Job als Polizistin aufgeben willst, dann los. Jahrelang hast du die Verantwortung getragen, hast einen festen Job gehabt und uns immer wieder unterstützt. Aber Sierra und ich stehen jetzt auf eigenen Füßen. Du brauchst dir keine Sorgen mehr um uns zu machen. Tu, was du willst.“

„Ich werde meinen Job nicht aufgeben.“ Allein der Gedanke löste Panik bei Natalie aus. „Aber ich habe gehört, dass er auf der Party sein wird, die Sophie Wainwright am Freitagabend in ihrer Galerie gibt.“

„Ausgezeichnet“, sagte Corinne. „Dann sehen wir uns dort. Sierra ist eingeladen, und ich begleite sie.“

„Ich bin nicht sicher, ob ich …“

„Willst du ihn?“, fragte Corinne.

„Ja.“ Das konnte sie nicht leugnen.

„Dann würde ich sagen, nimm Harrys Ratschlag an und riskier es. Was hast du zu verlieren?“

„Wir hatten eine Abmachung.“

„Na und? Solche Abmachungen können neu verhandelt werden.“ Corinne nippte an ihrem Martini.

„Eine Nacht – wessen Idee war das?“, fragte Sierra.

„Seine“, erwiderte Natalie.

„Das wundert mich gar nicht“, stellte Corinne trocken fest.

„In vielen primitiven Kulturen ergreift die Frau die Initiative bei der Auswahl des Partners“, sagte Sierra.

Natalie hob abwehrend die Hände. „Ich bin nicht auf eine feste Partnerschaft aus. Ich bin eher in der Stimmung für eine heiße Affäre. Und was den One-Night-Stand betrifft, so war ich völlig einverstanden.“

„Und jetzt willst du noch eine Nacht. Mehr nicht?“, fragte Sierra.

„Genau“, entgegnete Natalie. Noch eine Nacht. Vielleicht hatte sie dann genug von ihm und konnte ihr normales Leben weiterführen.

Sierra räusperte sich. „Dann mache ich dir einen Vorschlag. Für mein letztes Forschungsprojekt habe ich die sexuellen Fantasien verschiedener Kulturen untersucht.“

„Das ist unsere Sierra“, sagte Corinne und hob ihr Glas.

Nachdem sie sich zugeprostet hatten, fuhr Sierra fort: „Eine der verbreitetsten Fantasien ist Sex mit einem Fremden.“ Sie machte eine Pause und räusperte sich dann wieder. „Warum gibst du dich in dieser einen Nacht nicht für eine andere aus?“

Als ihre beiden Schwestern sie anstarrten, redete Sierra schnell weiter. „Es macht Sinn. Du liebst den Undercover-Einsatz, und du bist gut darin. Komm zu Sophies Party also einfach als jemand anderes.“

„Das ist eine super Idee“, sagte Corinne.

„Ich glaube nicht …“

„Das ist dein Problem, Nat“, sagte Corinne. „Du überdenkst alles hundertmal. Sierras Idee ist klasse.“

„Du kannst dich so gut verstellen“, fuhr Sierra fort. „Du kannst einfach eine andere Person sein. Auf diese Weise kannst du Natalie Gibbs’ Ängste für eine Nacht vergessen und völlig unbelastet auf den Mann zugehen.“

„Das meinst du nicht ernst, oder?“, fragte Natalie.

„Doch, natürlich.“ Sierra beugte sich vor. „Das ist das alte Konzept beim Karneval. Eine Nacht verbirgst du dich hinter einer Maske und tust Dinge, die du normalerweise nie tun würdest. Sehr befreiend.“

Corinne warf Natalie einen Blick zu. „Befreiend. Klingt das nach unserer kleinen Schwester?“

Natalie schüttelte den Kopf, während sie ernsthaft die Idee ihrer jüngsten Schwester erwog. Sie blickte auf ihren Martini. Das Glas war noch halb voll, also konnte sie den Alkohol nicht verantwortlich machen. Ihr Blick wanderte zu dem Brief und den Worten ihres Vaters.

Wenn es etwas gibt, was du haben willst, vertrau auf deine Talente. Riskier alles

Natalie strich wieder mit dem Finger über die Unterschrift ihres Vaters. Sie wollte Sean, und wenn sie auf Sierras Vorschlag einging, konnte sie ihn anmachen, ohne sich Gedanken machen zu müssen. Sie wäre nicht Natalie, die Frau, die er drei Monate lang nicht angerufen hatte.

„Denk darüber nach“, sagte Sierra.

Zwei Dinge waren sicher, wenn sie Sierras Ratschlag befolgte. Sean Mitchell würde sie nicht erkennen. Und er würde nicht wissen, wie ihm geschah.

Sean Mitchell stand auf der Terrasse auf der Rückseite von Sophie Wainwrights Kunstgalerie und betrachtete die Menschenmenge durch die Fensterscheibe. Soweit er sehen konnte, war die Party ein Erfolg. Drei Musiker spielten in einer Ecke Stücke von Mozart, ein elegant gekleideter Kellner servierte den Gästen eisgekühlten Champagner.

Zwischen den Kübelpflanzen entdeckte Sean einen prominenten Senator, eine Kongressabgeordnete und mehrere betuchte Sammler.

Nur Natalie Gibbs hatte er bisher nicht entdeckt. Er redete sich ein, dass er wegen der vielen Gäste, die durch den Haupteingang in die Galerie drängten, von hinten gekommen war, in Wirklichkeit jedoch war er einfach nur feige. Er wusste immer noch nicht, wie er reagieren sollte, wenn er Natalie begegnete.

Verdammt, er hatte feuchte Hände. Verärgert wischte er sie an seiner Hose ab. Seit der High School-Zeit hatte ihn keine Frau mehr nervös gemacht. Zwei Tage lang hatte er darüber nachgedacht, wie er sie dazu überreden könnte, ihn nach Florida zu begleiten. Am besten improvisierte er. Er war nicht der Typ, der immer alles bis ins Kleinste plante. Wegen des Jobs machte er sich auch keine großen Gedanken – sie würde ihn nach Florida begleiten, das stand für ihn fest. Doch wie er privat mit Natalie Gibbs umgehen sollte, wusste er nicht.

Irgendetwas zog seinen Blick zu dem kleinen Balkon in der ersten Etage von Sophies Galerie. Später konnte er nicht mehr sagen, was es gewesen war, doch in dem Moment, als er die Frau sah, war sein Kopf leer, und es gab für ihn nur noch sie. Ihre Haare waren blond, in der Mitte gescheitelt, und fielen ihr offen auf die Schultern. Das knappe schwarze Kleid betonte ihre sinnlichen Kurven und zeigte viel nackte Haut.

Sie war eine Frau, nach der sich jeder Mann umdrehte. Sean verspürte sofort unerwartet heißes Verlangen nach ihr. Was ihn jedoch überraschte, war der Anflug von Vertrautheit, als würde er sie kennen. Dabei könnte er schwören, dass er sie noch nie gesehen hatte. An diese Frau würde er sich hundertprozentig erinnern.

Und dann trafen sich ihre Blicke, und wieder war da diese Leere in seinem Kopf. Er war nur noch scharf auf sie und suchte nach einer Treppe, einer Leiter – oder den Ast eines Baumes, der weit genug reichte, um … Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er ein paar Schritte vorgetreten war, bis er mit einem Kellner zusammenstieß. Das Tablett des Mannes kippte, zwei Champagnergläser rutschten ab. Sean schaffte es gerade noch, sie aufzufangen.

„Entschuldigung“, murmelte er und stellte sie wieder auf das Tablett.

„Nichts passiert, Sir.“

„Wenn Sie nichts dagegen haben, nehme ich mir gleich eins.“ Er trank einen großen Schluck von dem eisgekühlten Champagner, bevor sein Blick wieder zum Balkon glitt.

Die Frau war fort.

Enttäuschung kämpfte mit Verwunderung. Hatte er wirklich daran gedacht, den Romeo zu spielen, und den Balkon hinaufzuklettern? Was, zum Teufel, war mit ihm los? Shakespeares unglückseliger Held war sechzehn gewesen. Sean war doppelt so alt. Hormonell bedingte Verrücktheit sollte eigentlich der Vergangenheit angehören.

Außerdem war er nicht hierher gekommen, um sich in die Frau zu verlieben, auf die er schon beim ersten Blick scharf gewesen war.

Er war hier, um Natalie Gibbs ein Angebot zu machen, das sie nicht ablehnen konnte. Sean trank noch einen Schluck, dann betrat er durch die weit geöffnete Terrassentür die Galerie.

Nervös und mit klopfendem Herzen schloss Natalie die Balkontür hinter sich und trat in das Büro über Sophies Galerie.

So viel zu der Hoffnung, dass Sean Mitchell keinen Reiz mehr auf sie ausübte. Im Gegenteil, die drei Monate, die sie nichts von ihm gehört oder gesehen hatte, hatten die Anziehung offensichtlich noch vergrößert.

Ein Blick in seine Augen über eine Distanz von mehreren Metern hinweg, und es war um sie geschehen. Ihre Brustwarzen wurden hart, und sie spürte ein verräterisches Ziehen zwischen ihren Schenkeln. Wenn er das schon mit einem Blick erreichte, was würde erst geschehen, wenn er sie wieder berührte … sie küsste … mit ihr schlief? Bei dem Gedanken wurde ihr heiß.

Es gab keinen Grund, in Panik zu geraten. Sie wurde mit dieser Situation fertig – denn sie war Rachel Cade. Sie holte tief Luft und stellte sich vor den großen antiken Spiegel in einer Ecke des Raumes. Sie musste nur zu der Person werden, die sie verkörperte. So wie sie es bei einem Undercover-Einsatz auch tat. Sie sah in die Augen der Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, und entspannte sich. Natalie Gibbs war nicht zu erkennen. Rachel Cade hatte glatte blonde Haare, während Natalies Haare rot waren und sich lockten. Rachels Augen waren blau, Natalies grün. Rachel trug ein gewagtes Kleid, das Natalie niemals kaufen würde.

Lächelnd betrachtete sie ihr Spiegelbild. Rachel Cade hatte keine Komplexe, was Männer betraf. Sie strich sich die Haare hinter die Ohren. Sie trug keine Perücke. Dafür war es im Sommer in D. C. viel zu heiß. Also hatte sie ihr Haar färben und glätten lassen. Wenn sie schon Sierras Ratschlag annahm und sich in jemand anderen verwandelte, dann richtig. Die nächsten Tage war sie Rachel Cade. Sie hatte sich Urlaub genommen, und ihr Partner Matt Ramsey hatte ihr viel Spaß gewünscht.

Dies war ihre Chance, zu sehen, ob Blondinen wirklich mehr Spaß hatten und von Männern vorgezogen wurden. Sie holte sich Lipgloss aus der Tasche und trug es auf. Die große Blondine, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, war eine entfernte Cousine von ihr, die für zwei Wochen aus Südflorida zu Besuch gekommen war.

Natalie war nie in ihrem Leben in Südflorida gewesen, deshalb hatte sie sich ausgiebig darüber informiert. Zwar erwartete sie nicht, dass Sean ihr Fragen stellte, aber ein professioneller Undercover-Einsatz zeichnete sich durch gute Vorbereitung aus.

Als sie an Sean dachte, sah sie ihn sofort vor sich. Im Smoking wirkte er einfach umwerfend, und sein muskulöser Körper ….

Nein. Sie würde nicht darüber nachdenken, sonst lief sie Gefahr, die ganze Nacht in diesem Zimmer zu bleiben und erotischen Fantasien nachzuhängen. Natalie wäre mit der Fantasie vielleicht zufrieden, doch Rachel bevorzugte die Realität. Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel. Rachel Cade wollte eine heiße, hemmungslose, für beide Seiten befriedigende Nacht – oder zwei oder drei – mit Sean Mitchell. Er würde Spaß haben. Sie würde Spaß haben. Und anschließend konnten sie wieder ihrer Wege gehen.

„Du siehst nicht so aus, als würdest du dich besonders amüsieren.“

Sean hatte weder gesehen noch gehört, dass sich sein Freund Tracker genähert hatte. „Ich habe Natalie noch nicht entdeckt.“

„Sie wird kommen. Ihre Schwestern sind vor etwa zwanzig Minuten mit einer Cousine aus Südflorida eingetroffen. Sophie hat sie kurz herumgeführt. Die Galerie ist toll geworden, findest du nicht?“

Sean betrachtete fasziniert seinen Freund. Es lag so viel Stolz und Loyalität – ein anderes Wort fiel Sean nicht ein – in seiner Stimme. „Du bist noch gar nicht verheiratet und benimmst dich schon wie ein alter Ehemann.“

„Ja.“ Tracker, der keine großen Worte machte, dachte einen Moment lang nach. „Ja.“ Er schien nicht unzufrieden. „Übrigens, ich habe die Fotos entwickelt, die wir beim Angeln gemacht haben. Anscheinend gibt es nur die beiden Wachposten, die wir entdeckt haben. Es wird zwar nicht einfach werden, aber ich kann dich auf dem Wasserweg von dort wegbringen. Weißt du schon, wann du abreist?“

„Übermorgen.“

„Und wenn Natalie nicht zustimmt?“

„Ich muss ihr eben ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen kann.“ Sean blickte zu der Treppe, die in die obere Etage führte. Er wusste, dass sich dort ein Ausstellungsraum befand und ein weiteres kleines Zimmer, das Sophie als Büro nutzte. Die geheimnisvolle Frau, die er vorhin gesehen hatte, musste dort sein.

„Natalies Schwestern stehen dort drüben, falls du sie fragen möchtest, wann Natalie kommt.“

Sean sah in die Richtung, in die Tracker deutete.

„Die Blonde ist die Akademikerin mit den beiden Doktortiteln“, erklärte Tracker. „Sie heißt Sierra. Mac sagt, dass es ein schönes Gerede gab, als sie gleich zwei Posten an der Universität von Georgetown erhielt – einen bei den Anthropolgen, den anderen bei den Psychologen. Die mit den kurzen dunklen Haaren ist Corinne. Sie ist Journalistin. Wenn du willst, stelle ich dich vor. Oh, Sophie gibt mir ein Zeichen. Ich muss dich leider allein lassen.“

Als Tracker sich entfernte, beschloss Sean, sich zu den zwei Schwestern zu gesellen. Doch zu ihnen zu kommen, war leichter gesagt als getan. Zwei größere Hürden stellten sich ihm in den Weg – eine Gruppe Frauen und eine riesige Kübelpflanze. Er versuchte, sich seinen Weg um die Frauengruppe herum zu bahnen.

„Das Gewühl ist mir einfach zu groß“, sagte eine große Brünette. „Ich werde noch einmal wiederkommen, wenn ich mich hier richtig umsehen kann.“

„Ich auch“, sagte eine andere Frau.

„Sieh mal, dort drüben. Ist das nicht Mame Appelgate, die die Kolumne für die Washington Post schreibt? Ein Wort von ihr reicht, und morgen herrscht hier genauso ein Gedränge.“

Sean sah sich kurzfristig eingekeilt zwischen der Wand und einer Palme. Durch die Blätter hindurch konnte er Sierras gerötete Wangen sehen. Sie schüttelte den Kopf, als Corinne ihr etwas von dem gut gefüllten Teller anbot, den sie in der Hand hielt.

„Ich kann nichts essen“, sagte Sierra.

„Entspann dich. Natalie ist okay“, sagte Corinne.

Sierra blickte auf ihre Uhr. „Du solltest nach oben gehen und nach ihr sehen.“

Obwohl Sean nicht lauschen wollte, trat er ein wenig näher.

„Auf keinen Fall“, erwiderte Corinne. „Du kennst Nat. Sie erscheint nicht in einer neuen Rolle, solange die Verkleidung nicht perfekt ist und sie sich in den Charakter eingefühlt hat.“

Corinne bot Sierra noch einmal etwas zu essen an. „Nun iss schon etwas. Danach wirst du dich besser fühlen.“

„Ich bin zu nervös. Ich fühle mich verantwortlich für diese Situation. Schließlich habe ich den Vorschlag gemacht.“

Corinne tätschelte den Arm ihrer Schwester. „Jetzt beruhige dich. Nat geht’s gut. Und dein Plan ist brillant. Für eine kurze Zeit kann Nat all ihre Verpflichtungen vergessen und jemand anders sein. Sobald mein Job bei Celebrities sicher ist, versuche ich so eine Maskerade auch einmal.“ Sie steckte sich ein Häppchen in den Mund. „Du solltest die Krabben probieren. Köstlich.“

Sean versuchte zu begreifen, was er gerade gehört hatte. Natalie Gibbs gab sich als eine andere aus? Er ließ seinen Blick über die Menge schweifen. Er hatte Natalie Gibbs zweimal in einer Verkleidung für einen Undercover-Einsatz erlebt. Sie war gut, aber er müsste sie eigentlich erkennen.

Er durchquerte die Galerie. Natalie war nirgends zu sehen. Frustriert ging er auf die Terrasse. Natalie. Er spürte, dass sie hier war. Doch als er sich umdrehte, sah er nicht Natalie, sondern die aufregende Frau vom Balkon. Selbst jetzt hätte er wahrscheinlich noch weiter nach Natalie gesucht, wenn die Frau nicht genau in diesem Moment die Haare hinters Ohr geschoben hätte, eine Geste, die er bei Natalie Gibbs unzählige Male gesehen hatte. Er blickte auf ihre Füße. Natürlich, mit einem Fuß tippte sie auf den Boden. Auch eine Angewohnheit von Natalie.

Konnte es möglich sein? War dies die Verkleidung, von der Sierra und Corinne gesprochen hatten? War diese geheimnisvolle blonde Frau Natalie Gibbs?

Abgesehen von den Gesten, bot diese Frau einen deutlichen Kontrast zu der Natalie Gibbs, die er kannte. Doch sein Instinkt sagte ihm, dass die Polizistin, die er suchte, und diese Blondine ein und dieselbe Person waren. Das Licht war nicht besser als vorhin, doch er war ihr näher, und kein Balkon blockierte seine Sicht.

Über die Jahre hatte er seine Beobachtungsgabe verbessert, doch sie hatte ihm selten so viel Vergnügen bereitet. Die Frau hatte ihre vollen Lippen knallrot geschminkt. In der Zeit, die er mit Natalie verbracht hatte, war sie entweder als Mann verkleidet oder nur ganz dezent geschminkt gewesen. Er stand nicht nah genug, um ihre Augenfarbe erkennen zu können. Natalie hatte grüne Augen, doch er könnte wetten, dass die der Blondine eine andere Farbe hatten. Wenn ein Profi in die Rolle eines anderen Menschen schlüpfte, veränderte er alles, was verändert werden konnte.

Wie zum Beispiel das Haar. Natalies waren rot und lang und lockig. Er hatte an einen Sonnenuntergang gedacht, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Die Haare dieser Frau waren blond und glatt und glänzten wie gesponnene Seide. Ein Mann verspürte unweigerlich den Drang, sie zu berühren. Und wenn er erst einmal so weit war, würde er auch über die samtene Haut streichen. Und dann die Beine – einfach fantastisch.

Ihm kam in den Sinn, dass er Natalie nie im Kleid gesehen hatte. Ihre weiblichen Formen hatte sie immer unter Hosen und Jacketts verborgen. Doch diese Frau schien nichts davon zu halten, irgendetwas zu verbergen. Die Gegensätze faszinierten ihn. Natalie Gibbs bei der Arbeit. Der Startknopf war gedrückt. Die kühle, distanzierte Natalie hatte sich in eine heiße, erotische Frau verwandelt.

Ein Mann musste sich unweigerlich an ihrem Feuer verbrennen, wenn er ihr zu nah kam. Und Sean wurde von ihr angezogen wie eine Motte vom Licht. Er war schon auf dem Weg zu ihr, obwohl er immer noch nicht entschieden hatte, wie er mit ihr umgehen sollte. Sicher, dies war Natalie Gibbs. Hatte er es nicht schon im ersten Moment geahnt, als er sie gesehen und diesen Hauch von Vertrautheit gespürt hatte? Diese Natalie war diejenige, die er entdeckt hatte, als sie sich vor drei Monaten in ihrer Wohnung geliebt hatten.

Nur, welches Spiel spielte sie?

Eine Stimme warnte ihn, zu warten, bis er seine Möglichkeiten überdacht und eine Strategie ausgearbeitet hatte. Die andere jedoch, der er immer vertraut hatte, erinnerte ihn daran, dass er die beste Arbeit leistete, wenn er improvisierte.

4. KAPITEL

Natalie spürte genau den Moment, als Sean sie erblickte, und versuchte, ruhig zu bleiben, obwohl sie sofort wieder Schmetterlinge im Bauch hatte.

Sie fühlte, dass sein Blick von ihrem Gesicht zu ihren Beinen glitt. Obwohl es ihr schwer fiel, hörte sie auf, mit dem Fuß auf den Boden zu tippen. Sean hatte eine gute Beobachtungsgabe, und er kannte sich mit Verkleidungen aus. Dies war der wichtigste Test, ob sie ihre Rolle gut spielte. Sie gab einem Kellner ein Zeichen und nahm sich ein Glas Champagner. Bis jetzt wusste niemand, wer sie wirklich war.

Als Generalprobe hatte sie Sierra und Corinne gebeten, sie Tracker McBride und Sophie Wainwright vorzustellen. Die beiden waren erfreut gewesen, die Cousine der Gibbs-Schwestern kennen zu lernen, und es hatte keinen Hinweis gegeben, dass sie Natalie erkannt hatten.

Als der kleine glatzköpfige Mann links neben ihr etwas sagte, schob sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und lächelte. Bevor sie seinen Namen verstehen konnte, belegten die beiden anderen Männer, die bei ihm waren, sie schon mit Beschlag. Im nächsten Moment steckte sie in einer Diskussion über eine Gesetzesinitiative zur Reinhaltung des Wassers.

„Liebling, ich suche schon die ganze Zeit nach dir“, sagte eine Stimme neben ihr. Dann nahm Sean ihren Arm und lächelte die drei Männer, die sie belagerten, strahlend an. „Tut mir Leid, Gentlemen, aber ich muss meine Frau entführen.“

Natalie protestierte nicht, als Sean sie wieder in die Galerie zog. Rachel Cade würde niemals einen Mann wie Sean Mitchell abweisen.

Vor einer der Ausstellungsvitrinen blieb er stehen und drehte sich zu ihr. „Wollen Sie mir nicht danken?“

„Wofür?“, fragte sie mit der leisen Stimme, die sie für Rachel gewählt hatte.

„Ich habe Ihr Leben gerettet. Weitere fünf Minuten in der Runde, und Sie wären zu Tode gelangweilt gewesen.“

Die Spannung fiel von ihr ab. Offensichtlich hatte er sie nicht erkannt. „Vielleicht finde ich ein Gespräch über Umweltprobleme ja sexy?“

„Dann würde ich mir sofort einen Job bei der Umweltbehörde suchen.“

Sie musste lachen, und sie wehrte sich nicht, als er den Finger unter ihr Kinn legte und ihr Gesicht hob, so dass sie sich das erste Mal tief in die Augen sahen.

„Blau“, sagte er. „Das wollte ich wissen.“

Fünf lange Sekunden hielt Natalie den Atem an. Doch noch immer schien er sie nicht zu erkennen. In seinen blaugrauen Augen entdeckte sie nur Neugierde und Verlangen. „Warum haben Sie sich Gedanken über meine Augenfarbe gemacht?“

„Weil ich sie von so weit weg nicht erkennen konnte. Wer sind Sie?“

Die Frage vertrieb auch den letzten Rest ihrer Anspannung. Noch war Sean nicht misstrauisch. Jetzt lag es an ihr, dafür zu sorgen, dass es dabei blieb. „Rachel Cade.“

Lächelnd hielt er ihr die Hand hin. „Sean Mitchell.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Habe ich danach gefragt?“

Autor

Cara Summers
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