Als wäre es unsere letzte Nacht

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Spaß haben, alles vergessen, einfach nur leben! Olivia ist entschlossen, die Weihnachtsparty ausgelassen zu genießen. Dazu gehören: das aufregende rote Kleid und die dazu passenden ultraheißen High Heels, dann die sexy Küsse des dunkelhaarigen Fremden, dessen Blicke sie von der ersten Sekunde an schwach werden lassen. Und schließlich seine sinnliche Umarmung auf der Dachterrasse mit dem umwerfenden Blick auf den festlich erleuchteten Hafen! Es ist die Nacht, in der Olivia ihr junges Leben feiern will - weil es tatsächlich bald zu Ende sein könnte …


  • Erscheinungstag 09.12.2014
  • Bandnummer 0025
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701222
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nachdem sie rotes Lipgloss aufgetragen hatte, betrachtete Olivia sich noch einmal prüfend im Spiegel. „Rote Lippen, rotes Kleid, rote Haare.“ Sie griff nach ihrem kleinen Schwarzen. „Auch wenn Heiligabend ist, das …“

„Ist auch schön, aber nicht für heute.“ Ihre beste Freundin Breanna Black nahm ihr das schlichte schwarze Kleid ab. „Das rote trägerlose Cocktailkleid sieht bombastisch an dir aus.“ Sie warf einen Blick auf Olivias Dekolleté. „Die Männer werden Augen machen!“

„Solange sie mir auch zuhören …“ Wenn es dazu gut war, die anderen Teilnehmer der diesjährigen Sydney-Hobart-Regatta dazu zu bewegen, Geld für die Pink-Snowflake-Stiftung zu spenden, konnte es nicht schaden, ein wenig Haut zu zeigen.

„Denk dran – es ist Weihnachten. Hier, die wird dich in Stimmung bringen.“ Brie warf Olivia eine weiße Federboa zu und schlüpfte in einen knappen brombeerfarbenen Einteiler mit Pelzbesatz. „Und du hast nichts dagegen, wenn Jett bei uns in der Hotelsuite wohnt?“, fragte sie zum hundertsten Mal.

„Dein geheimnisvoller Bruder, den du mir seit … ja, wie viel Jahren vorenthalten hast?“ Olivia schlüpfte in ihre roten Stilettos. „Ich habe doch schon gesagt, dass ich nichts dagegen habe. Im Gegenteil, ich bin schon gespannt auf ihn.“

„Halbbruder. Und es wird sicher nicht ganz leicht mit ihm. Ich bin nicht sicher, ob er mich überhaupt mag.“

„Wieso sollte er dich denn nicht mögen? Außerdem hat er deine Einladung angenommen.“

Seufzend warf Brie ihr dichtes schwarzes Haar zurück. „Ja, aber nur, weil seine eigentlichen Pläne ins Wasser gefallen sind.“

„Das weißt du doch gar nicht sicher“, erwiderte Olivia, obwohl sie davon ausging, dass Brie richtiglag. Typisch männliches, egozentrisches Benehmen. Ja, Olivia freute sich darauf, ihn kennenzulernen, und selbst wenn es nur dazu diente, ihm klarzumachen, wie viel er Brie bedeutete. Ihrer Freundin war das Treffen mit dem Bruder, von dem sie erst kurz vor dem Tod ihres Vaters erfahren hatte, offenbar wichtiger als diesem Jett. „Wann landet er denn?“

„Keine Ahnung. Wenn ich gehe, hinterlasse ich eine Nachricht am Empfang für ihn.“ Bries Handy klingelte und sie sah auf das Display. „Das ist er. Hallo, Jett.“

Als Olivia sah, wie das Lächeln aus dem Gesicht ihrer Freundin wich, überkam sie das Bedürfnis, ihr das Telefon wegzunehmen und diesem Bruder die Meinung zu geigen. Doch das ging sie ja nichts an.

„Hm. Hhm. Verstehe. Ja, dann treffen wir uns später auf der Party. Schreib mir eine SMS, wenn du da bist“, sagte Brie, bevor sie auflegte. „Sein Flug hat Verspätung – er ist noch in Melbourne.“ Lächelnd fügte sie hinzu: „Also habe ich noch Zeit, mich mit dem aufregenden Kapitän der Horizon Three auf einen Drink an der Bar zu treffen.“

„Na dann viel Spaß.“ Olivia sparte sich fürs Erste die Kritik an Jett. Sie steckte einen Packen Visitenkarten in ihre Handtasche und reichte Brie eine davon. „Gib sie ihm und mach ein bisschen Werbung für unsere Sache.“

Mit dem Telefon am Ohr nickte Brie; sie wartete darauf, dass ihr aufregender Kapitän dranging. „Trink nicht so viel und lass die Finger von fremden Männern, bis ich da bin.“

Von wegen! Im Gegensatz zu Brie trank Olivia kaum und ließ sich auch nicht auf Männergeschichten ein. Doch trotz aller Unterschiede waren sie ein gutes Team, sie vertrauten einander und passten aufeinander auf. „Keine Sorge.“

„Okay … Pass auf dich auf. Hi, Liam …“ Bries Stimme hatte einen verführerischen Ton angenommen.

„Du auch“, murmelte Olivia, verließ die Suite und ging hinunter, um den Fahrer herbeizuwinken, den sie für den Abend gebucht hatten.

Als sie über die Brücke fuhren, achtete Olivia kaum auf den festlich beleuchteten Hafen. In Gedanken war sie bei dem Beratungsgespräch, das verbindliche Voraussetzung für die Durchführung des Gentests war, dem sie sich letzte Woche unterzogen hatte.

Man hatte ihr gesagt, dass es Wochen dauern konnte, bis das Ergebnis kam. Es durchlief Olivia eiskalt. Sie hätte den Test nicht gemacht, wenn sie ihrer Mutter nicht versprochen hätte, ihn vor ihrem 26. Geburtstag durchführen zu lassen – Olivias Großmutter mütterlicherseits war 26 Jahre alt gewesen, als man Brustkrebs bei ihr festgestellt hatte.

Also war Olivia zum Arzt gegangen. Zwei Monate später, aber sie war hingegangen. Um den Wunsch zu erfüllen, den ihre Mutter auf dem Sterbebett geäußert hatte. Olivia hatte so viel um die Ohren gehabt, dass es ihr leichtgefallen war, ihre Sorgen zu verdrängen, aber jetzt war die Angst, dass auch sie Trägerin des mutierten Gens war, erschreckend konkret geworden. Aber zumindest würde sie nicht weiter mit dieser Ungewissheit leben müssen, ganz egal, wie das Ergebnis ausfiel. Und sie würde schon damit umgehen können. Aber bis dahin wollte sie nicht daran denken. Es war Weihnachten, sie wollte bei einer Regatta mitsegeln und Spenden einwerben.

Und leben.

Jett Davies ging um den riesigen Weihnachtsbaum im Foyer und nahm dann die Treppe nach oben. Im zweiten Stock befand sich eine Dachterrasse; der Geruch von frisch gemähtem Rasen und Hafen stieg ihm in die Nase. Die Gesichter der erlesenen Gäste strahlten im Glanz der Festtagsbeleuchtung.

Neben allen, die im Segelsport Rang und Namen hatten, waren auch zahlreiche Angehörige der gehobenen Gesellschaft hier, um den Auftakt einer der wichtigsten und härtesten Hochseeregatten der Welt zu feiern.

Als Jett sich ein Bier von dem Tablett eines Kellners nahm, richteten sich einige neugierige Augenpaare auf ihn. Doch er ging schnurstracks auf eine alte Wendeltreppe zu, die er in einer Ecke entdeckt hatte. Er hoffte, dass sie steil genug war, um die stilettobewehrte Damenwelt davon abzuhalten, ihm hinaufzufolgen. Denn die einzige Frau, mit der er sprechen wollte, war seine Schwester. Die hatte ihm allerdings vor zehn Minuten per SMS mitgeteilt, dass sie aufgehalten worden wäre. Ihr Auto würde streiken und sie würde sich melden, wenn sie auf dem Weg sei.

Die Treppe führte auf eine kleine Aussichtsplattform; außer ihm war hier keine Menschenseele, worüber Jett sehr froh war. Er lehnte sich auf die Brüstung und sah auf den Hafen hinunter.

Das Auto streikt. Von wegen. Auch wenn er Breanna kaum kannte, wusste er, dass eher ein Mann dahintersteckte als ein Fahrzeug. Er stürzte sein Bier herunter. Vielleicht waren sie sich ähnlicher, als er glaubte.

Die Band unten schmetterte Weihnachtslieder, und sein Kopf begann zu schmerzen. Er konnte mit Weihnachten nichts anfangen – mit diesem ganzen Weihnachtsmannquatsch, dem Geschrei um Mistelzweige und all der Nostalgie.

Warum hatte er sich nur darauf eingelassen, Breanna hier zu treffen und nicht an der Hotelbar? Oder, besser gesagt, die beiden, denn Breanna wohnte mit einer Freundin in der Suite. Er hatte sich schon gefragt, wem die erdbeerroten Spitzenhöschen und der passende BH mit D-Körbchen, die im Badezimmer hingen, wohl gehören könnten …

Denk nicht einmal daran. Er sah auf die Uhr. In zehn Minuten bin ich weg, Breanna.

Die Gäste fingen an, sich auf den Heimweg zu machen. Endlich kam Olivia dazu, sich zu setzen und einen Moment lang alleine zu sein. Sie nippte an ihrem Christmas Jones – ihrem ersten alkoholischen Getränk heute Abend – und sah sich um.

Beeilung, Brie.

Den ganzen Abend lang hatte sie für ihre Stiftung geworben; sie hatte viel Beifall bekommen, und eine Menge Leute hatten versprochen, etwas zu spenden. Aber ihre Füße schmerzten und sie brauchte dringend eine Mütze Schlaf, schließlich hatte sie fünf Tage lang gemeinsam mit ihrer Crew hart trainiert. Und anstatt ans Telefon zu gehen, hatte ihr Brie nur einen augenzwinkernden Smiley gesimst.

Hatte sie vergessen, dass sie verabredet waren? Olivia erhob sich und überlegte, ob sie Brie schreiben sollte, dass sie ging, doch vor Jahren hatten sie sich versprochen, einander nie im Stich zu lassen.

Ihr Blick fiel auf die untere Hälfte eines Mannes, der eine Wendeltreppe, die sie jetzt erst bemerkt hatte, hinunterstieg. Wohlwollend betrachtete Olivia die langen, muskulösen Beine und den knackigen Po in den schwarzen Hosenbeinen. Auch wenn Männer nicht ganz oben auf ihrer Prioritätenliste standen, fand Olivia, dass man sich ab und an einen lustvollen Augenblick gönnen sollte. Und dieser Augenblick wurde immer länger.

Der Mann war auf der untersten Treppenstufe angekommen und sah atemberaubend aus. Olivia blinzelte. Vor ihr stand das Sinnbild der Männlichkeit.

Der fremde Mann, von dem fernzuhalten sie Brie nicht versprochen hatte.

Ein Fremder mit sonnengebräunter Haut, der ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Sicher wäre jede Frau versucht gewesen, über dieses Kinn mit dem Bartschatten zu streicheln und diesen perfekten Mund zu küssen.

Er blickte sie an, als habe sie ihn dazu gebracht, in ihre Richtung zu sehen. Und er sah aus, als gefiele ihm das nicht. Er kniff die Augen und die Lippen zusammen; seine Züge verhärteten sich. Irgendwie kam er ihr bekannt vor, aber an einen Typen wie ihn würde sie sich erinnern.

Einen Moment lang hatte sie ihre weibliche Stärke gespürt, doch dieser Mann hatte den Spieß umgedreht. Olivias Beherrschung, die sie normalerweise nie im Stich ließ, schmolz dahin wie Eis auf einem Grill.

Der feste Blick dieser schwarzen Augen hatte die Macht, zu verführen. Zu überzeugen. Olivia lief ein Schauer den Rücken hinunter. Gleichzeitig wurde ihr so heiß, als würde sie im Hochsommer an Bord ihrer Jacht vor Barbados stehen.

Sie sah ihn immer noch an – genau wie er sie – und sie hätte schwören können, dass seine Lippen das Wort „Ärger“ formten.

Oh ja, allerdings. Richtig Ärger in blinkender Leuchtschrift. Nie zuvor hatte sie einen Mann getroffen, der es ihr so sehr angetan hatte wie dieser.

Ihr Puls beschleunigte sich. Ganz unmerklich hatte er sich zwischen sie und den einzigen Weg zur Treppe, die nach unten führte, gestellt. Ob das Absicht war, wusste sie nicht; jedenfalls summte ihr ganzer Körper vor Aufregung.

Kämpfen oder flüchten? Beim Segeln kam nur eines infrage. In unerwarteten und gefährlichen Situationen musste man die Ruhe bewahren. Und im Umgang mit Männern war es das Gleiche. Was auch passierte – sie würde nicht wegrennen.

Mit gleichgültiger Miene warf sie die inzwischen etwas zerrupfte Federboa über die Schulter, wobei eine Feder an ihrer Unterlippe hängen blieb, atmete tief ein und sagte: „Hallo.“

Als der Ärger in Form der allerschönsten Rothaarigen, die ihm je begegnet war, vor ihm stand, wusste Jett, dass es an der Zeit war, zu gehen. Doch er konnte seinen Blick nicht von ihren vollen Lippen losreißen, an denen eine Feder hängen geblieben war, die sie vergeblich wegzupusten versuchte. Er stellte sich vor, wie sie stattdessen an seinen Oberkörper pustete und mit den Fingerspitzen über seinen Bauch streichelte – und sich nach weiter unten vorarbeitete.

Sag einfach Hallo und verschwinde. Und zwar schnell. Doch seine Füße gehorchten jenem Teil von ihm, der gerade merklich härter wurde, und bevor er sich’s versah, hatte Jett einen Schritt auf sie zu gemacht, die Hand ausgestreckt und die Feder von ihrem hübschen Mund genommen. Bevor er seine Hand zurückzog, spürte er ein wohliges Kribbeln.

„Danke.“ Ihre Augen funkelten in der Farbe seiner berühmtesten Cocktailkreation – Blue Mint Lagoon.

Zum Kuckuck. Humor hatte sie auch noch. Hinter ihrer Belustigung zeigte sich noch etwas anderes, doch sie sah schnell beiseite, als wolle sie es verbergen. Sie richtete ihren Blick auf die Wendeltreppe. „Gibt es da oben irgendetwas Interessantes?“

Man könnte dort etwas Interessantes anstellen … „Nö.“

„Aber irgendetwas muss doch da sein, sonst gäbe es die Treppe nicht.“

Er zuckte mit den Schultern und schob die Hände in die Hosentaschen. „Nur ein paar Teleskope.“

„Echt? Ich liebe es, in die Sterne zu gucken.“

Trotz des gedämpften Lichts konnte er die Sommersprossen auf ihrer Nase und die hellen Linien in ihren Augenwinkeln erkennen. Offenbar hielt sie sich viel draußen auf, wozu er selbst kaum Zeit fand. Zweifelsohne eine von diesen Bessergestellten, die ihre Zeit mit Nichtstun verschwenden konnten. „In der Stadt gibt es zu viel Lichtverschmutzung“, gab er zu bedenken. „Ich glaube, sie sind eher dazu gedacht, den Hafen anzusehen.“

„Ah, stimmt.“

Sie ging zur Treppe und spähte hinauf. Die eine Hand legte sie auf das Geländer – ihre Fingernägel waren gepflegt, aber nicht lackiert. Und was für ein Dekolleté … Er musste aufhören, sie anzustarren wie ein vorpubertärer Teenie!

„Und, hast du was Schönes entdeckt?“

„Was?“ Rasch sah er beiseite, doch dann begriff er, dass sie von den Teleskopen sprach. „Äh, nein.“

Sie warf ihm einen Blick zu, den er nicht deuten konnte, und schickte sich an, hinaufzugehen. „Warum nicht?“

„Weil … hey, so solltest du nicht da hochgehen!“ Mit einem großen Schritt war er bei ihr und griff nach ihrer Hand – die Berührung schoss ihm heiß und prickelnd durch den Arm.

Offenbar hatte auch sie es gespürt, denn sie sah ihn mit großen Augen und offenem Mund an. „Wie…so?“

Er ließ ihre Hand los. „Mit diesen High Heels. Du wirst dir das Genick brechen.“

„Nur wenn ich …“ Kaum, dass sie es aussprechen wollte, verhakte sich einer ihrer Absätze in der Treppenstufe aus schmiedeeisernem Gitter. Sie zog ihn heraus. „Puh. Verstehe.“

Er schüttelte den Kopf. „Warum ziehst du …“

„Okay …“ Auf der dritten Stufe streifte sie ihre Schuhe ab und gab einen wohligen Seufzer von sich – ein Geräusch, das seine ohnehin schon sehr wache Libido weiter anstachelte. „Das tut gut! Warum bin ich nicht schon früher auf diese Idee gekommen?“ Sie reichte ihm die Schuhe. „Halt mal. Ich bin gleich wieder da.“

„Ich …“ Die knallroten Schuhe waren noch warm von ihren Füßen und rochen nach neuem Leder. Jett sah zu, wie sie die Treppe erklomm. Ihre Fußnägel waren im passenden Rotton lackiert, ihre Waden waren wohlgeformt und durchtrainiert. Glatte, sonnengebräunte Schenkel verschwanden unter dem Saum ihres kurzen Kleides. Schnell und leichtfüßig ging sie hinauf, was sehr sportlich wirkte. Ob sie die Frau eines Seglers war?

Wäre er, Jett, der Skipper, hätte er diese Frau unter Deck versteckt, um sie für sich allein zu haben.

Aber er war nicht auf der Suche nach einer Frau. Er wartete auf Breanna, seine Halbschwester, die gerade weiß Gott was mit weiß Gott wem trieb. Hier war sie jedenfalls nicht. Und er sollte sich auf den Weg ins Hotel machen und schlafen. Und diesem Ärger hier aus dem Weg gehen.

Doch er hatte ihre Schuhe. Und die konnte er wohl kaum einfach hier stehen lassen. Außerdem wollte er die Fremde doch gern noch einmal kurz ansehen. Was nicht ganz stimmte – wenn er ehrlich war, wollte er sie gern ein wenig länger ansehen. Viel länger.

Also fasste er einen Entschluss. Er würde auf Breanna pfeifen – sie war schließlich diejenige, die nicht ans Telefon ging. Nein, vielleicht stand für ihn noch ein bisschen Nähe und Zärtlichkeit auf der Speisekarte. Kein Ärger, sagte er sich; er musste ja nicht wissen, wer sie war. Die Vorfreude durchlief ihn heiß, und er beschleunigte seinen Schritt. Einmal von ihrem süßen Mund kosten. Das wäre der Abschluss für den Abend.

Olivia hoffte, dass man nicht hören konnte, wie heftig ihr Herz pochte. Als sie die Schritte des Mannes auf der Treppe hörte, wandte sie sich um. Und sein Anblick raubte ihr den Atem. Was ein wenig beunruhigend war, denn vor langer Zeit schon hatte sie Männer an das Ende ihrer Prioritätenliste gesetzt.

Entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er es ihr angetan hatte, ging sie zu dem größeren Teleskop und richtete es auf den Circular Quay, um sich abzulenken und zu überlegen, was sie nun tun sollte.

Sie spürte seinen Blick; er jagte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken und die Schenkel. Sein maskuliner Duft wehte zu ihr herüber. Und natürlich lenkte der Ausblick sie nicht ab. Und was sie als Nächstes tun würde … das Einzige, woran sie denken konnte, war, wie seine Lippen wohl schmeckten.

„Atemberaubend.“

„Finde ich auch.“

Sie wandte sich zu ihm um, doch er sah nicht auf den Hafen hinaus, sondern betrachtete sie, was sie verwirrte. „Segelst du bei der Regatta mit?“, fragte sie.

„Nein.“

Er fragte nicht zurück, ob sie dabei war. Wahrscheinlich gab er sich nur mit zarten, empfindlichen Frauen ab, die Angst hatten, sich die Fingernägel abzubrechen. „Segeln ist nicht so dein Ding?“

Schulterzuckend schob er die Hände in die Hosentaschen. „Falls du dich fragst, was ich hier mache – ich bin wegen des Gratisessens hier.“

Sie lachte. „Ach du warst das, der die ganzen Garnelen weggegessen hat.“ Sie zeigte auf die letzten Gäste auf der Tanzfläche, die ihre Hüften zu „Jingle Bell Rock“ schwangen. „Und, hast du auch getanzt heute Abend?“

Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Nein, ich bin nicht der Garnelendieb, und da du mich nicht aufgefordert hast, habe ich auch nicht getanzt.“

In seinen Mundwinkeln erschienen schnuckelige Lausebengel-Grübchen, die irgendeinen komischen Mutterinstinkt in ihr wachriefen, anstatt sie zu warnen und Reißaus nehmen zu lassen.

Zwischendurch hatte sie immer wieder getanzt – und selbst dabei ihre Stiftung angepriesen. „Ich habe dich nicht gesehen …“ Sie war es nicht gewohnt, dass Männer mit ihr flirteten, aber dieser hier tat es, das nahm sie zumindest an. Verunsichert verstummte sie.

„Ich bin noch nicht so lange hier“, antwortete er. „Und Macarena tanzen kann ich nicht.“

„Nicht mal die Weihnachtsversion mit Glöckchen und Elchgeweih?“

„Mit Weihnachten habe ich nichts am Hut.“ Er ging zur Balustrade und sah über den Hafen hinweg.

„Nein? Heißt das, dass du bei dem ganzen Eierlikör-, Mistel- und Wichtelkram nicht mitmachst, oder hat das was mit deinem Glauben zu tun?“

„Es hat was mit dem Konsumterror zu tun.“

Das kaufte sie ihm nicht ab – ihm war irgendetwas zugestoßen, das nichts mit Konsumterror zu tun hatte. Das sah sie an seinem Blick, der sich auf einmal verdüstert hatte.

„Den braucht man ja nicht an sich heranzulassen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Und wenn – wer braucht schon Mistelzweige? Wenn man jemanden küssen möchte, dann geht das auch ohne, findest du nicht?“

„Es kommt darauf an, ob die Person geküsst werden möchte.“ Olivia wünschte sich, dass sie nicht geküsst werden wollte, aber in Wirklichkeit wollte sie. Und wie. Jede Faser ihres Körpers sehnte sich danach, und ihre Lippen kribbelten bei dem Gedanken daran. „Aber so ein Schmatzer unter dem Mistelzweig ist doch immer lustig.“ Und harmloser als ein Kuss in irgendeiner dunklen Ecke.

„Immer?“ Auf einmal war er ganz nah bei ihr. Sie spürte die Wärme, die von ihm ausging. Er sah sie durchdringend an.

„Normalerweise“, korrigierte sie sich und lachte nervös. „Wenn man ein bisschen was getrunken hat und alle in Feierlaune sind, ist das doch harmlos.“ Ganz anders als das, was sich hier zwischen ihnen anzubahnen schien.

Hatte sie harmlos gesagt? Es stand ja so gut wie fest, dass dieser Fremde sie küssen und sie ihn gewähren lassen würde. Ihr ganzer Körper kribbelte vor Erregung.

„Dann versuch mal, mich zu überzeugen, dass Weihnachten all das Aufhebens wert ist“, murmelte er und angelte sich eine Strähne von ihrem Haar.

Olivia rang um ihre Fassung. „Womit soll ich denn anfangen?“

„Erklär mir das mit dem Wichteln noch mal. Ist das das Gleiche wie der Weihnachtsmann?“

„Nicht unbedingt“, antwortete sie und wagte sich in unbekannte Gewässer vor. „Erstens …“, sagte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen, schlang ihm die Federboa um den Hals, hielt die Enden fest und trat einen Schritt zurück, „… und das ist das Wesentliche …“, sie sah ihm fest in die Augen und die Knie wurden ihr weich, „… bleibt beim Wichteln geheim, wer ein Geschenk gemacht hat.“

„Du kannst mir vertrauen, ich sage niemandem ein Sterbenswörtchen.“ Seine Stimme war zu verführerisch – sie raubte Olivia das letzte bisschen Vernunft.

„Heißt das, mit mir würdest du wichteln?“

„Mit dir …“, er fuhr genüsslich mit der Fingerspitze über ihr Schlüsselbein, „…doch, vielleicht. Gibt es jemanden, mit dem du schläfst?“

Er fragte das, als wolle er wissen, ob sie ihren Kaffee mit Zucker trank. Sie verspürte ein angenehmes Ziehen in Unterleib und errötete tief. „Das geht dich nichts an.“ Sie wusste nicht, ob seine Arroganz sie ärgerte oder verwirrte.

„Doch, wenn ich dich so küsse, wie ich dich küssen möchte, geht es mich schon was an.“ Seine Fingerspitze wanderte zu ihrer Unterlippe empor.

Ihre Lippen glühten und das Ziehen in ihrem Unterleib wurde stärker. Und ihre übliche Abwehrhaltung hatte sich in Luft aufgelöst. Was hatte dieser Mann an sich, dass sie jegliche Vorsicht über Bord warf?

Offenbar war sie von irgendeinem Wahn befallen.

Im Laufe der Jahre hatte sie sich daran gewöhnt, von Männern vorgeworfen zu bekommen, dass sie einschüchternd und verschlossen sei. Die Stiftung und ihr Studium hatten sie voll in Anspruch genommen und sie hatte weder Zeit noch Energie für irgendetwas anderes gehabt – schon gar nicht für vorübergehende Affären. Sie hatte Wichtigeres zu tun – Leuten helfen, die unheilbar krank waren, zum Beispiel.

Aber es war Heiligabend – und gerade stand ganz oben auf ihrem Wunschzettel, von diesem Mann geküsst zu werden.

Er sah sie an, als könne er ihre Gedanken lesen. Doch dann sagte er: „Wenn eine Frau sagt, dass es mich nichts angeht, dann heißt das normalerweise, dass sie mich küssen will – trotz des Mannes, mit dem sie schläft.“

Seine Arroganz verschlug ihr den Atem. „Natürlich gibt es niemanden, sonst würde ich nicht mit dir hier draußen stehen.“ Sie straffte sich. „Und wenn du mich für so eine hältst, hast du einen sehr schlechten Geschmack – und nichts mit mir gemein.“

„Ganz im Gegenteil, was Frauen betrifft, habe ich einen sehr erlesenen Geschmack. Wenn ich der Annahme wäre, dass du lügst, wäre ich nicht mehr hier.“

Das beruhigte sie ein wenig. Sie atmete tief durch. „Gut. Denn ich möchte, dass du mich … so küsst.“

Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als er wieder eine ihrer Haarsträhnen angelte, während die Band unten „All I Want for Christmas“ spielte. „Ich bin froh, dass das soweit geklärt ist.“

„Ich auch.“

„Wo waren wir stehengeblieben?“

Sie befeuchtete ihre Lippen. „Beim Geheimnis.“

„Stimmt.“ Verwegen lächelnd streichelte er ihre bloßen Arme.

Als sie ihm in die Augen sah, lief ihr ein Schauer über den Rücken. „Auch wenn es mir so scheint, als sprächen wir von einem sündigen Geheimnis.“

Er zog sie ganz nah an sich, bis ihre Lippen sich fast berührten. „Und, möchtest du ein sündiges Geheimnis haben?“

2. KAPITEL

Natürlich konnte der Typ obendrein Gedanken lesen – er wusste, dass sie Ja sagen würde. Er umfasste ihre Arme fester und drängte sich ihr entgegen.

Und sündig und verwegen war genau das, was sie heute brauchte. Sie wollte sich im Sinnesrausch verlieren. Sich kopfüber in die dunklen Tiefen seiner Augen stürzen und sich der Lust hingeben, die darin so verheißungsvoll glänzte.

Nur … dies alles kam ihr vor wie in ihren kühnsten Träumen, aber es war echt und passierte so schnell, dass sie gar nicht mehr mitkam.

„Warte.“ Sie erhob eine Hand und drückte ihm gegen den Brustkorb – er war hart wie Beton. Aber warm und wohlgeformt, und gegen Olivias Willen schmiegten sich ihre Finger wohlig dagegen. „Warte kurz.“

„Alles okay? Denn falls du nicht s…“

„Alles okay.“ Sie atmete tief durch. „Alles super.“ Das wäre es zumindest, wenn es ihr gelingen würde, mit diesem göttlichen, teuflisch verführerischen Wesen vor ihr auf Augenhöhe zu gelangen. Sie durfte ihm nicht erliegen. Musste ihm ebenbürtig sein.

„Worauf warten wir dann?“, fragte er.

„Ja, worauf warten wir?“ Bevor sie es sich wieder anders überlegen konnte, zog sie an den Enden ihrer Federboa. Das hier war eine seltene Gelegenheit, sich noch einmal richtig ins Leben zu stürzen. Er sah sie ein wenig überrascht an, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, ihn an sich zog und küsste.

In dem Moment, als ihre Lippen sich berührten, summte und kribbelte es. Das Knistern, was vom ersten Moment an zwischen ihnen geherrscht hatte, wurde zu einem wahren Feuerwerk, dessen Funken bis in die letzten Winkel ihres Körpers flogen.

Er zog sich ein Stück zurück. „Hast du gern das Sagen, Süße?“, fragte er mit einem belustigten und gleichzeitig verwegenen Lächeln.

Normalerweise hätte es sie geärgert, Süße genannt zu werden, aber dazu kam sie gar nicht erst, denn er küsste sie wieder, und diesmal war er derjenige, der den Ton angab. Er brachte sie völlig durcheinander, so magisch und unwiderstehlich war er.

Voller Inbrunst erwiderte sie seinen Kuss.

Sie schmeckte Reichtum, Macht und Überzeugungskraft. Spürte einen gefährlich starken Willen, der ihrem ebenbürtig war. Zum ersten Mal im Leben fragte sie sich, ob ein Mann – ob dieser Mann – zu viel für sie sein könnte.

Aber das hier war ja nur ein harmloser Flirt auf einem Balkon. Und es war Weihnachten – da durfte man mal was Verrücktes tun.

Mit beiden Händen machte sie sich über seinen muskulösen Oberkörper her, über die kleine Kuhle unter seinem Adamsapfel, die Härchen, die sich im Ausschnitt seines Hemdes kräuselten, dessen oberster Knopf offen war.

Auch seine Hände waren fleißig; sie fühlten sich warm und fest an auf ihren Schultern, in ihrem Haar und an ihrem Rücken, wo sie sich an ihrem Reißverschluss zu schaffen machten. Unwillkürlich erschauerte sie – würde er den Reisverschluss öffnen, stünde sie bis auf ein rotes Spitzenhöschen nackt da.

Auf einem Balkon, nur ein paar Meter von Hunderten von anderen Gästen entfernt.

Mit einem Mann, den sie nicht kannte.

Sicher hatte ihr irgendjemand etwas ins Getränk getan.

Oder es wurde Zeit, dass sie einmal unbekümmert tat, worauf sie gerade Lust hatte.

Jett löste seine Lippen von ihren und sah sie an. „Und, hat das jetzt Spaß gemacht oder ist es nötig, dass ein Zweig über unseren Köpfen baumelt?“

Autor

Anne Oliver
Anne Oliver wurde in Adelaide in Süd Australien geboren und ist dort immer noch heimisch. Sie hat zwei erwachsene Kinder und einen Abschluss in Naturwissenschaften. Seit annähernd 30 Jahren arbeitet sie im Bereich der früh kindlichen Bildung. Anne begann 1998 mit dem Schreiben und ist Mitglied der Romance Writers of...
Mehr erfahren