Am Strand der Träume

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Heimlich träumt Alison von einem Glück mit Dr. Roberts, der gerade aus London nach Penhally Bay gezogen ist! Doch selbst nach seinem ersten zärtlichen Kuss weiß sie nicht: Gilt Jacks charmantes Lächeln nur ihr - oder nimmt er es mit der Treue nicht so genau?


  • Erscheinungstag 25.01.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729523
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Und wenn es ein Riesenfehler war, wieder herzukommen?

Jack Roberts parkte seinen Wagen und schaltete den Motor ab. Nachdenklich blickte er auf die Bucht. In Penhally Bay hatte er Kindheit und Jugend verbracht, und er kannte das Fischerstädtchen an Cornwalls zerklüfteter Küste wie seine Westentasche. Aber als er zum Medizinstudium nach London gegangen war, hatte er sich geschworen, nie mehr zurückzukehren.

Trotzdem war er hier. Ausgerechnet an dem Ort, dem er hatte entfliehen wollen, würde er sich ein neues Leben aufbauen.

Vor zwei Jahren war er das letzte Mal in Penhally Bay gewesen und hatte es seitdem keine Sekunde lang vermisst. Warum auch? Nach dem Tod seiner Mutter zog ihn nichts hierher, und die Beziehung zu seinem Vater war schon immer schwierig gewesen. Was Jack auch tat, für Nick Roberts schien es nie gut genug zu sein.

Seinen Geschwistern erging es ähnlich. Auch seine Zwillingsschwester Lucy und sein Bruder Ed hatten Probleme mit den hohen Erwartungen ihres Vaters. Doch Jack war das schwarze Schaf. Er rebellierte, wenn sein Vater versuchte, Einfluss auf seine Kinder zu nehmen, und das nahm Nick ihm übel.

Penhally Bay den Rücken zu kehren war die beste Entscheidung gewesen, die er jemals getroffen hatte. Wohnen und arbeiten in London, das war einfach perfekt. Der Arztberuf machte ihm Spaß, und seine vielfältigen gesellschaftlichen Kontakte sorgten für genau die Entspannung und die Anreize, die er brauchte, um sein Leben in vollen Zügen zu genießen. Seinetwegen hätte es ewig so weitergehen können.

Leider befahl ihm das Schicksal, eine Vollbremsung zu machen.

Jack wandte den Blick von dem malerischen Panorama ab und spürte die inzwischen vertraute Panik in sich aufsteigen, als er in den Rückspiegel sah. Wenigstens schlief der Kleine jetzt. Wie befürchtet, war die lange Fahrt nach Cornwall der reinste Horror gewesen. Stundenlang hatte Freddie wie am Spieß gebrüllt und war erst kurz vor Exeter erschöpft eingeschlafen.

Die Hilflosigkeit, die er beim Anblick des schreienden Kindes empfand, war kaum zu beschreiben. Jack war aus allen Wolken gefallen, als er von Freddies Existenz hörte. Er hatte einen Sohn! Der Schock wurde zum Albtraum, als er herausfand, dass der Junge außer ihm niemanden mehr hatte. Wie zum Teufel sollte er ein Kind allein großziehen?

Ehe er an seiner Beklommenheit ersticken konnte, holte er tief Luft und stieß die Fahrertür auf. Er fischte den Schlüssel aus der Hosentasche und schloss das Cottage auf. Als Erstes musste er Freddie ins Haus bringen und ihm etwas zu essen machen. Lucy hatte versprochen, den Kühlschrank zu füllen, und eine kurze Inspektion der Küche zeigte ihm, dass seine Schwester Wort gehalten hatte. Auf dem Herd stand sogar ein Eintopf, den er nur aufzuwärmen brauchte.

Ausgezeichnet. Seine eigenen Kochkünste waren nämlich mehr als bescheiden.

Rasch holte er das Gepäck aus dem Kofferraum und stellte es in den Flur. Das Cottage hatte in den letzten Jahren als Ferienwohnung gedient, und die Ausstattung war ziemlich schlicht. Aber für den Anfang sollte ihm das genügen. Später konnte er sich immer noch ein paar Möbel dazukaufen – vorausgesetzt, er blieb.

Jack unterdrückte ein Stöhnen. Er musste endlich aufhören, an Hintertürchen zu denken. Die einzige Chance, als alleinerziehender Vater klarzukommen, bestand darin, dass er sich so viel Unterstützung wie möglich sicherte. Und das konnte er nur hier in Penhally Bay. Ihm fiel niemand ein, der besser helfen könnte als seine Schwester. Lucy würde wissen, was zu tun war, wenn Freddie nachts schreiend aufwachte. Sie würde ihn beruhigen, wenn er anfing, wie ein Wahnsinniger vor und zurück zu schaukeln, eingeschlossen in seine eigene kleine, wer weiß wie schreckliche Welt.

Der Psychiater, den er um Rat gebeten hatte, hatte ihm erklärt, dass es eine Weile dauern würde, bis der Junge das erlittene Trauma verarbeitet hätte. Jack war bereit, Freddie Zeit und all die Liebe zu geben, die er brauchte. Falls Freddie es zuließ …

Behutsam befreite er ihn aus dem Kindersitz und trug ihn ins Haus. Vielleicht war er ein bisschen zu optimistisch, aber Jack hoffte, dass sich zwischen Freddie und ihm bald eine Beziehung entwickelte. Zurzeit konnte davon keine Rede sein. Der Kleine duldete ihn, das war alles. Er lächelte oder lachte nie, und die einzigen Laute, die er von sich gab, waren Weinen oder Schreien. Als wäre in ihm ein Licht erloschen in dem Moment, in dem er miterleben musste, wie seine Mutter starb. Und Jack hatte keine Ahnung, wie man es wieder zum Strahlen bringen konnte.

Nachdem er Freddie auf das Sofa gelegt hatte, marschierte Jack in die Küche. Auf der Arbeitsplatte lag ein Zettel von Lucy. Lächelnd folgte er ihren Anweisungen, die ihm haarklein erklärten, wie er den Herd einstellen sollte. Seine Schwester wusste genau, dass er in der Küche keine große Leuchte war!

Er füllte den Wasserkocher und fand im Schrank ein Paket Kaffee. Entschlossen riss er die Packung auf. Anscheinend zu heftig. Jack verzog das Gesicht, als Kaffeekörnchen auf die Arbeitsplatte rieselten. Na toll! Noch während er sich nach einem Lappen umsah, klopfte es an der Haustür. Seine Laune besserte sich schlagartig. Das musste Lucy sein. Sie hatte versprochen, vorbeizukommen, und er konnte es kaum erwarten, sie und seine kleine Nichte zu sehen.

Schwungvoll zog er die Tür auf. „Hey, du kommst genau richtig!“

Vor ihm stand eine hübsche Blondine und lächelte ihn höflich an. Jack blieb abrupt stehen. Er hatte keinen Schimmer, wer die Frau war.

„Entschuldigung“, sagte er rasch, da ihr Lächeln inzwischen etwas gezwungen wirkte. „Ich habe Sie für jemand anders gehalten.“

„Lucy bat mich, Ihnen dies hier zu bringen.“ Sie drückte ihm einen Karton Milch in die Hand. „Sie hat noch Sprechstunde, und ich soll Ihnen ausrichten, dass sie Sie erst heute Abend besuchen kann.“

„Ach so, ja, dann … danke, dass Sie Bescheid sagen. Und vielen Dank auch hierfür.“ Er hob den Karton.

„Bitte.“ Sie wandte sich ab und eilte davon.

Verwundert blickte Jack ihr nach. Hatte er etwas Falsches gesagt? Sie hatte es ziemlich eilig gehabt, wieder zu verschwinden.

In Gedanken noch bei der seltsamen Begegnung, ging er wieder in die Küche. Freddie war wach geworden, und Jack füllte schnell den Kinderbecher des Kleinen mit Milch. Dann ging er ins Wohnzimmer und hockte sich vor das Sofa. „Hallo, Tiger, wie geht’s dir? Hast du Durst?“

Er gab ihm den Becher und registrierte seufzend, dass Freddie sich damit ängstlich in die äußerste Sofaecke zurückzog. Aber wenigstens fing er nicht wieder an zu schreien.

Jack holte Besteck aus dem Schrank, deckte den Tisch und füllte zwei Teller. Als er Freddie auf den Stuhl setzte, überkam ihn wieder diese Hilflosigkeit. Wenn er nun nicht das Zeug zum Vater hatte? Wenn er Fehler beging, wenn er für seinen Sohn alles schlimmer statt besser machte?

Flüchtig dachte er an die junge Frau, die ihm die Milch vorbeigebracht hatte. Sie schien von ihm auch nicht gerade begeistert gewesen zu sein.

Du bist ja so blöd!

Ihre Wangen brannten wie Feuer, während sie die Straße hinunterlief. Alison Myers konnte es nicht fassen, wie sie sich benommen hatte, als Jack Roberts ihr die Tür öffnete. Dabei hatte sie sich vorher alles sorgfältig zurechtgelegt. Sie wollte sich vorstellen, ihm die Milch geben und ihm von Lucy ausrichten, was diese ihr gesagt hatte. Stattdessen führte sie sich auf wie … wie ein linkischer Teenager!

Was um Himmels willen war nur in sie gefahren? Musste es ihr gleich die Sprache verschlagen, wenn sie Jack Roberts in Fleisch und Blut vor sich sah? Was war so schwierig daran, einen freundlichen Small Talk zu führen? Sie war doch sonst nicht auf den Mund gefallen!

Noch immer ärgerlich auf sich selbst schloss sie die Haustür des kleinen Cottages auf, das sie mit ihrem dreijährigen Sohn Sam bewohnte. Es war zehn vor fünf, also blieben ihr noch ein paar Minuten, ehe sie Sam von der Babysitterin abholen musste.

Sie eilte in die Küche, setzte Wasser auf und warf einen Teebeutel in ihre Lieblingstasse. Ein Tee sollte ihre angespannten Nerven beruhigen. Im hintersten Winkel ihres Herzens befürchtete sie allerdings, dass mehr dazugehörte, um sie über ihren peinlichen Auftritt hinwegzutrösten. Was musste Jack Roberts jetzt von ihr denken?

Nachdenklich nippte sie an ihrem Tee. Wahrscheinlich machte sie aus einer Mücke einen Elefanten, aber schließlich war Jack Roberts nicht irgendein Mann. Alison wusste auch nicht, wie es passiert war, doch irgendwann hatte er angefangen, in ihrem Leben eine besondere Rolle zu spielen.

In den düsteren Tagen und Wochen nach ihrer Scheidung blätterte sie oft in Illustrierten. Am liebsten las sie die Gesellschaftsseiten. Wenn sie die Hochglanzfotos der Stars und anderer Berühmtheiten betrachtete und von all den Tragödien, den Partygeschichten und pikanten Details aus deren Leben las, lenkte sie sich erfolgreich von ihrer eigenen Misere ab. Der bekannte Schönheitschirurg Dr. Jack Roberts begegnete ihr dabei immer wieder. Bilder von ihm und seiner Freundin India Whitethorn, der eleganten Erbin des milliardenschweren Whitethorn-Holidays-Imperiums, zierten fast jede Ausgabe.

Alison hätte nicht genau sagen können, warum er sie so stark faszinierte. Abgesehen von dem Offensichtlichen, natürlich. Groß, dunkelhaarig, verboten gut aussehend und unglaublich sexy zog er die Aufmerksamkeit aller Frauen auf sich. Doch da war noch mehr, etwas, das sie zutiefst berührte. Obwohl er auf jedem Foto charmant in die Kamera lächelte, glaubte sie, in seinen Augen eine besondere Verletzlichkeit zu entdecken. Alison wurde das Gefühl nicht los, dass das glamouröse Leben ihn nicht so glücklich machte, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Das ging so weit, dass sie jedes Mal, wenn sie ihn betrachtete, glaubte, eine Verbindung zu spüren.

Ihr stieg das Blut ins Gesicht. Was für ein Unsinn! Sie und Jack trennten nun wirklich Welten. Er war bestimmt nicht nach Penhally Bay zurückgekommen, weil er das Londoner Nachtleben satthatte. Nach allem, was Lucy erzählte, war es eher eine Vernunftentscheidung gewesen. Da er sich um seinen Sohn kümmern musste, brauchte er seine Familie um sich. Ohne den kleinen Freddie hätte Jack bestimmt keinen Fuß mehr nach Cornwall gesetzt.

Der Gedanke beunruhigte sie, doch als sie zur Uhr schaute, vergaß sie ihn schnell wieder. Alison trank den letzten Schluck Tee und machte sich auf den Weg, um Sam abzuholen. Es gab nichts Besseres als einen lebhaften Dreijährigen, um sich wieder auf die wesentlichen Dinge des Lebens zu konzentrieren.

Jack hatte Freddie gerade ins Bett gebracht, als Lucy kam. Sie begrüßte ihn mit einem übermütigen Lächeln.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich den Tag erlebe, an dem du dich häuslich niederlässt, Bruderherz“, neckte sie und bedachte das bunt geringelte Hemdchen auf seiner Schulter mit einem vielsagenden Blick.

„Was bleibt mir anderes übrig, Kleines?“ Jack umarmte sie herzlich.

Lucy erwiderte die Umarmung und sah ihn dann prüfend an. „Passt du auch gut auf dich auf? Ich weiß ja, wie anstrengend diese Winzlinge sein können, und die Vaterrolle stand bisher nicht gerade an erster Stelle deiner Prioritätenliste. Du musst auch auf dich achten.“

„Ja, ja, ja.“ Jack grinste. „Du hast noch nicht mal den Mantel ausgezogen und hältst schon Vorträge.“

Lucy versetzte ihm einen leichten Klaps auf den muskulösen Oberarm. „Sei froh, dass sich jemand um dich kümmert, du undankbarer Kerl!“

„Bin ich doch. Wirklich.“ Jack räusperte sich, als sie ihn aufmerksam musterte. Seine Schwester Lucy war der einzige Mensch, der ihn dazu bringen konnte, sich zu öffnen. Aber er war nicht sicher, ob er das wollte. Abgesehen davon, dass Lucy mit ihrer eigenen Familie genug um die Ohren hatte, musste er sein Leben selbst regeln.

In London hatte er eine sorglose Zeit verbracht. Eine Party jagte die nächste, dazwischen Theaterpremieren und Dinnerabende. Damit war jetzt Schluss. Er wollte Verantwortung für seinen Sohn übernehmen und vor allem eins vermeiden – dass Freddie und er so distanziert miteinander umgingen wie Jack und sein Vater.

Jack zwang sich zu einem Lächeln. „Wie kommt es, dass du allein hier aufkreuzt? Ich hatte gehofft, endlich meine kleine Nichte kennenzulernen.“

„Ich hatte vor, sie mitzubringen, aber dann musste ich in der Praxis einspringen.“ Lucy schlüpfte aus dem Mantel und warf ihn auf die Sofalehne. „Dad wurde bei einem Hausbesuch aufgehalten und Dragan zu einem Notfall gerufen. Deshalb habe ich angeboten, einen Teil der Nachmittagssprechstunde zu übernehmen.“

„Du willst wohl nicht aus der Übung kommen, wie?“ Jack hob die Weinflasche, die er vorhin geöffnet hatte. „Möchtest du ein Glas?“

„Eigentlich gern, aber ich glaube, Annabel hätte etwas dagegen. Das ist einer der Nachteile des Stillens. Sie muss alles essen, was ich zu mir nehme.“

Ihr fröhliches Lächeln brachte ihr Gesicht zum Strahlen, und Jack konnte sich einer gewissen Wehmut nicht erwehren. Es war nicht zu übersehen, dass sich seine Schwester in der Mutterrolle wohlfühlte wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser. Unwillkürlich verglich er sie mit India. Nach allem, was er gehört hatte, hatte sie sich nur dann für Freddie verantwortlich gefühlt, wenn es ihr in den Kram passte. Sobald es zu anstrengend oder zu langweilig wurde, sich um ein Kleinkind zu kümmern, standen gut bezahlte Bedienstete bereit, die ihr den Jungen abnahmen.

Jack schob die Gedanken beiseite. Wozu sich jetzt noch darüber aufregen? Obwohl er sich oft wünschte, er hätte früher von Freddies Existenz gewusst, so konnte er doch nichts mehr daran ändern. Tatsache war, dass India ihn benutzt hatte, um schwanger zu werden. Ein Platz im Leben seines Sohnes war für ihn von Anfang an nicht vorgesehen gewesen. Nur eins rechnete er ihr hoch an – sie hatte ihren Anwalt damit beauftragt, Jack im Falle ihres Todes die Wahrheit mitzuteilen.

Als hätte sie es geahnt … Schaudernd spülte er den Gedanken mit einem Schluck Wein hinunter.

„Ich weiß nicht, ob ich nicht aus der Übung kommen will.“ Lucy holte ihn in die Gegenwart zurück. „Ben ist der Meinung, dass ich mir ruhig noch Zeit lassen soll, aber mir hat die Arbeit in der Praxis Spaß gemacht.“

„Und wenn du es langsam angehen lässt und nur stundenweise arbeitest?“, schlug er vor. „Zwei Nachmittage im Monat vielleicht.“

„Das hat Alison auch gesagt. Oh, da fällt mir ein … hat sie an die Milch gedacht? Ich wollte dir heute Morgen welche in den Kühlschrank stellen, hatte es aber leider vergessen. Alison hat versprochen, sie dir auf dem Nachhauseweg zu bringen.“

„Ach, das war Alison.“

Jack schwenkte sein Rotweinglas. Der Name passt zu ihr, dachte er. Sie sah genau so aus, wie man sich eine Alison vorstellte … blondes Haar, bezaubernd weiblich. Leider schien er auf sie keinen besonders guten Eindruck gemacht zu haben.

Seltsamerweise versetzte dieser Gedanke ihm einen Stich. „Dann arbeitet sie in der Praxis?“

„Ja. Hat sie das nicht erzählt?“ Lucy reagierte erstaunt, als er den Kopf schüttelte. „Merkwürdig, sonst ist sie nicht so zugeknöpft. Sie ist unsere Praxisschwester, und die Patienten lieben sie.“

„Das ist ja schön“, entgegnete er leichthin. Insgeheim fragte er sich, was er getan haben mochte, dass sie kaum drei Sätze mit ihm gewechselt hatte. War er ihr auf den ersten Blick so unsympathisch gewesen?

„Wir können wirklich froh sein, sie zu haben. Sie hat einen Sohn, ungefähr in Freddies Alter, ist aber alleinerziehend. Wir versuchen, ihre Arbeitszeit so zu organisieren, dass sie sich auch um ihr Kind kümmern kann.“

„Wie heißt sie mit Nachnamen?“ Lucys fragenden Blick kommentierte er mit einem lässigen Schulterzucken. „Ich dachte, vielleicht kenne ich sie von irgendwoher. Wohnt sie in Penhally Bay?“

„Ja, aber sie ist in Rock aufgewachsen. Ihre Eltern leben nicht mehr.“ Lucy seufzte. „Sie heißt Myers. Sie und ihr Mann haben sich kurz nach Sams Geburt scheiden lassen. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste mein Kind allein großziehen … sie ist nicht zu beneiden.“

„Bestimmt nicht“, sagte er matt.

Lucy verzog das Gesicht. „Entschuldige, das ist mir so rausgerutscht. Aber dich und Alison kann man nicht vergleichen. Du hast immerhin deine Familie im Rücken.“

„Ich habe dich“, betonte er. „Ich glaube kaum, dass Dad mir seine Hilfe anbieten wird.“

„Lass dich überraschen. Er ist richtig vernarrt in Annabel. Allmählich entwickelt er sich zu einem Bilderbuch-Großvater.“

„Das freut mich sehr, Lucy. Ich weiß noch, wie er dir und Ben das Leben schwer gemacht hat. Schön, dass ihr euch gut versteht.“

„Aber du glaubst nicht, dass sich Dad bei Freddie genauso verhalten wird?“

„Abwarten und Tee trinken“, antwortete er schulterzuckend.

„Mach dir keine Sorgen, das klappt schon. Es ist gut, dass du nach Penhally Bay zurückgekommen bist. Wann fängst du im Krankenhaus an?“

„Montagmorgen.“ Jack lächelte bemüht. Es bestand kein Grund, kalte Füße zu kriegen. Bevor er nach Penhally Bay gezogen war, hatte er die Vor- und Nachteile sorgfältig gegeneinander aufgerechnet. Erstere überwogen eindeutig. „Ich freue mich schon darauf“, fügte er hinzu. „Meine Chefin besitzt einen ausgezeichneten Ruf, und ich hoffe, ich kann viel von ihr lernen.“

„Großartig! Dann wird wenigstens einer von uns ein Klassechirurg.“ Lucy warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stöhnte auf. „Ich muss los. Fütterungszeit. Mein Vögelchen mag die Flasche nicht, und Ben wird sich die Haare raufen, wenn ich nicht rechtzeitig zum Stillen da bin.“

„Es war nett, dich zu sehen, Schwesterchen.“ Jack half ihr in den Mantel.

„Gleichfalls.“ Sie umarmte ihn. „Bis bald, großer Bruder.“

„Gut, dass du meine Position anerkennst“, neckte er. Jack hatte zehn Minuten vor ihr das Licht der Welt erblickt, eine Tatsache, die er während ihrer Kindheit nicht oft genug betonen konnte.

Lucy lachte hell auf. „Mein großer Bruder, der bekannte Chirurg. Wer könnte dich übersehen, Jack?“

„Raus mit dir, bevor du etwas sagst, das du später bereust.“ Er scheuchte sie zur Tür.

An der Schwelle blieb sie stehen und drehte sich um. „Wahrscheinlich sehen wir uns Sonntag. Ben und ich kommen mit Annabel vorbei. Falls du mich vorher brauchst, ruf mich an. Hast du meine Nummer?“

„Selbstredend.“

„Im Notfall kannst du dich auch an Alison wenden. Sie wohnt sozusagen um die Ecke.“ Lucy deutete die Straße hinunter. „Polkerris Road 2. Klopf einfach an ihre Tür, wenn du Hilfe brauchst. Sie wird tun, was sie kann.“

„Super.“ Es müsste schon um Leben und Tod gehen, bevor er an Alisons Tür klopfte. Jack hatte keine Lust, sich noch einen Kratzer am Ego zu holen.

Lucy gab ihm einen Kuss auf die Wange und rannte zu ihrem Wagen. Gleich darauf fuhr sie davon, die Hand winkend aus dem offenen Fenster gestreckt. Jack stand auf dem Bürgersteig, hörte das Klatschen der Wellen, die gegen die Hafenmauer brandeten, und spürte die kühle Märzluft im Gesicht. Sie roch nach Salz und Meer.

Unwillkürlich blickte er zur Straßenecke, wo die Polkerris Road abzweigte. Ob Alison auch draußen stand und auf das Meer blickte, oder saß sie in einem gemütlichen Sessel am Kaminfeuer? Ihm war schleierhaft, warum es ihn interessierte, was sie gerade tat. Und doch ließen sich die Gedanken nicht so einfach vertreiben. Seltsamerweise fand er es tröstlich, Alison in der Nähe zu wissen.

2. KAPITEL

Alison war gerade auf dem Weg ins Bett, als es an der Haustür klopfte. Sie flitzte hin, damit Sam nicht aufwachte. Eine ihrer Nachbarinnen hatte ihr eine DVD versprochen, und wahrscheinlich wollte sie sie noch vorbeibringen.

Sie riss die Tür auf – und wich spontan einen Schritt zurück. Vor ihr stand Jack Roberts, in den Armen ein Deckenbündel, aus dem ein schmales Gesichtchen hervorschaute. Warum schleppte er spätabends das Kind durch die Gegend?

„Entschuldigen Sie die Störung“, begann er. „Haben Sie vielleicht ein fiebersenkendes Schmerzmittel im Haus, das ich einem Dreijährigen geben kann? Ich wollte mich noch damit eindecken, bevor wir aus London wegfuhren, aber dann kam eins zum anderen, und ich habe es einfach vergessen. Das Einzige, was ich im Haus habe, ist Aspirin.“

„Das dürfen Sie ihm auf keinen Fall geben! Für Kinder in dem Alter ist Aspirin gefährlich.“

„Ich weiß.“

Alison errötete, obwohl Jack sie dankbar anlächelte. Du meine Güte, er ist Arzt, schalt sie sich. Du musst ihn nicht mit der Nase darauf stoßen, wie fatal es sein kann, Kleinkindern die falschen Medikamente zu geben. Sie zog die Tür weiter auf. „Kommen Sie herein. Ich hole Ihnen etwas.“

„Oh, ich wollte Ihnen keine Umstände …“

„Sie können nicht draußen stehen bleiben, wenn Ihr Sohn krank ist.“ Kaum waren die Worte heraus, ärgerte sie sich über ihren befehlenden Unterton.

„Danke.“

Jacks flüchtiges Lächeln schwand endgültig, als er den Flur betrat. Höflich wartete er, dass sie voranging, und Alison entschied sich für das Wohnzimmer. Mit Jack Roberts in ihrer engen Küche zu sitzen hätte sie jetzt überfordert.

„Setzen Sie sich doch.“ Sie griff zum Feuerhaken und stocherte in den glühenden Holzresten, ehe sie ein neues Scheit in den Kamin legte. Nachdem sie den Ofenschirm wieder davorgestellt hatte, ging sie zur Tür. „Ich hole die Flasche.“

„Vielen Dank.“

Mit einem unterdrückten Seufzer ließ Jack sich aufs Sofa sinken. Alison betrachtete ihn. Er sah erschöpft aus. „Alles in Ordnung mit Ihnen?“

„Es geht so.“ Angespannt schaute er auf seinen Sohn. „Ich würde mich besser fühlen, wenn der kleine Kerl wieder auf dem Damm wäre.“

Seine Besorgnis rührte sie. Sie wusste genau, wie hilflos man sich fühlte, wenn das eigene Kind krank war. Alison schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. „Freddie wird bald wieder gesund, da bin ich sicher.“

Jack nickte nur. Nachdenklich machte sie sich auf den Weg in die Küche. Dass ihn Freddies Zustand derart mitnehmen würde, hätte sie nicht gedacht. Von dem Jack Roberts, der ihr im Smoking und mit blitzendem Lachen weltmännisch von den Titelseiten entgegenblickte, hatte sie eher erwartet, dass er so etwas auf die leichte Schulter nahm.

Alison holte den Saft aus dem Schrank, griff nach einem Messlöffel und ging wieder ins Wohnzimmer. Der kleine Junge wimmerte leise, und Jack machte ein verzweifeltes Gesicht.

„Hier ist es“, sagte sie mitfühlend. „Soll ich es ihm geben, damit Sie ihn halten können?“ Sie setzte sich neben ihn.

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ Jack richtete Freddie auf und beugte sich über ihn. „Alison wird dir eine leckere Medizin geben, und dann geht es dir bald besser, Tiger. Sei ein braver Junge, und schluck alles runter, ja?“

Sorgsam maß sie die Dosis ab. „Das schmeckt lecker, Freddie. Nach Erdbeeren.“ Sie lächelte ihn an, aber er drehte sich weg. „Komm, nur ein Schlückchen.“

Als sie ihm den Löffel an die Lippen hielt, warf er plötzlich den Kopf nach hinten und erwischte seinen Vater am Kinn.

„Aua!“ Jack bewegte den Unterkiefer hin und her, schüttelte sich und grinste seinen Sohn an. „Guter Schlag, Tiger. Fast k. o., und das in der ersten Runde!“

Alison stand auf, um zu verbergen, wie sehr sie seine Reaktion überrascht hatte. Kein ärgerlicher Unterton, nicht die geringste Spur von Strenge in seiner Stimme. Auf einmal hatte sie ein schlechtes Gewissen, dass sie voreingenommen gewesen war.

Autor

Jennifer Taylor
Jennifer Taylor ist Bibliothekarin und nahm nach der Geburt ihres Sohnes eine Halbtagsstelle in einer öffentlichen Bibliothek an, wo sie die Liebesromane von Mills & Boon entdeckte. Bis dato hatte sie noch nie Bücher aus diesem Genre gelesen, wurde aber sofort in ihren Bann gezogen. Je mehr Bücher Sie las,...
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