Aristos – Insel der Entscheidung

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Da taucht Louisa nach all den Jahren doch tatsächlich auf seiner Insel auf - mit einem anderen Mann! Der Millionär Andreas Markonos rast vor Wut. Aber wie soll er sich von einer Frau scheiden lassen, die er mit jeder Nacht, mit jedem Kuss und jedem Atemzug mehr geliebt hat?


  • Erscheinungstag 17.01.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749057
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Louisa spürte es mit jeder bis zum Zerreißen gespannten Faser ihres Körpers: Das hier war kein Spiel! Nach Atem ringend, versuchte sie, die Nerven zu behalten. So selbstbewusst, wie in dieser Situation möglich, hob sie das Kinn und öffnete die Augen. Aus der Nähe betrachtet, konnte wirklich kein Zweifel mehr bestehen: Andreas war der mit Abstand bestaussehende Mann, den sie je kennengelernt hatte! Ihr Herz klopfte wild, als sie die Arme vor der Brust verschränkte.

„Und?“, fragte sie, krampfhaft bemüht, möglichst gleichgültig zu klingen. „Was willst du mir jetzt so Wichtiges sagen?“

„Du möchtest doch sicher nicht, dass die Situation ganz und gar aus dem Ruder läuft, oder? Du bist gegen Blutvergießen, ich bin dafür. Also schlage ich dir einen Deal vor.“

„Was denn für einen Deal?“

„Sei wieder meine Frau – mit allem, was dazugehört. Und ich verspreche, meinen Wunsch nach Rache im Zaum zu halten.“

„Das ist doch albern“, rief sie entrüstet. „Und überhaupt, warum müssen wir das denn jetzt diskutieren, wo wir nicht einmal wissen, ob es überhaupt etwas zu diskutieren gibt?“

„Weil es mir hierbei um weit mehr geht. Weil ich jetzt die letzten fünf Jahre zurückhaben will!“

„Das ist absolut unmöglich, Andreas!“

„Ich fürchte, dann kann ich für nichts garantieren …“

1. KAPITEL

Wäre ein Schneesturm durch die weit geöffneten Terrassentüren hereingefegt, die Stimmung in der Sommerresidenz der Familie Markonos hätte kaum frostiger sein können.

Mit wütenden Blicken musterte Andreas seinen Vater, der ihm gegenüber an dem langen Eichenholztisch saß. „Auf gar keinen Fall!“, stieß er entschlossen hervor und hieb zur Bekräftigung mit der Faust auf die Tischplatte.

„Ich verstehe dich einfach nicht“, seufzte Orestes Markonos frustriert. „Du sagst mir, dass du dich bereit fühlst, die Leitung der Firma zu übernehmen, und ich bin bereit, sie dir zu übertragen. Also, was ist dein Problem?“

Das war doch wohl offensichtlich! „Ich lasse mich nicht erpressen.“

„Du nennst es Erpressung, ich nenne es Geschäftssinn. Wer in unserer Branche erfolgreich sein will, kann sich nun mal kein derart unbeständiges Privatleben leisten. Das sollte dir doch eigentlich selbst klar sein“, predigte sein Vater. „Wir müssen blitzschnell Entscheidungen treffen, immer und überall. Und teilweise wissen wir nicht einmal, wer alles davon betroffen sein wird. Berauschend kann sie sein, diese Macht – und sehr gefährlich!“

„Versuchst du gerade anzudeuten, dass ich verantwortungslos und machtbesessen bin?“

„Ach, was!“ Orestes machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du weißt ganz genau, dass du alle mit deinem Scharfsinn und deiner sicheren Entscheidungsfähigkeit beeindruckst. Aber ich bin älter als du, Andreas, und ich weiß, wie schnell man sich die Finger verbrennen kann. Bisher habe ich dich vor Fehltritten bewahrt, weitestgehend jedenfalls. Doch was passiert, wenn ich erst im Ruhestand bin?“

„Dann muss ich mich wohl selbst vor Fehltritten bewahren …“

Seine ironische Antwort wirkte auf den alten Mann wie ein rotes Tuch auf einen kampfeslustigen Stier. Langsam und bedrohlich lehnte er sich über den Tisch, während er seinen Sohn mit zornigen Blicken anstarrte. „Wage nicht, in diesem Ton mit mir zu sprechen“, knurrte der Siebzigjährige warnend. „Du weißt ganz genau, wovon ich spreche. Ich hatte deine Mutter und meine geliebten Kinder, die mich tagtäglich daran erinnerten, was wirklich zählt im Leben. Du hingegen hast nur einige sehr unverbindliche Beziehungen zu einigen sehr unverbindlichen Damen. Und das ist ganz einfach nicht gut genug!“

„Ich werde bestimmt nicht noch einmal heiraten, weil du es so willst“, erwiderte Andreas kühl.

„Das klingt ja, als ob ich deine erste Ehe verlangt hätte! Du selbst warst irgendwann klug genug, um einzusehen, dass Louisa ein Fehler war.“

Andreas erstarrte. Dann zog er die schwarzen Augenbrauen nach oben und erklärte nachdrücklich: „Niemals habe ich das gesagt!“

„Ihr wart damals beide viel zu jung und unüberlegt“, brummte Orestes. Für seine Verhältnisse ein riesiges Zugeständnis; normalerweise gab er seiner einstigen Schwiegertochter die ganze Schuld für die Katastrophe.

Nur selten stellte Andreas sich offen gegen seinen Vater. Dazu respektierte er den alten Mann viel zu sehr. Jetzt aber bewegte er sich klar auf verbotenem Terrain! Niemand erwähnte ungestraft Louisas Namen oder seine missglückte Ehe mit ihr!

Seufzend warf er seine Serviette auf den Tisch, stand auf und ging zur Bar hinüber. Wie gewohnt hatte er seinen schlanken, muskulösen Körper in einen schwarzen Maßanzug gezwängt. Bei gemeinsamen Mahlzeiten bestand seine Mutter auf eleganter Abendkleidung, komme, was wolle.

Nachdenklich ließ Andreas den Blick durch den eleganten Salon schweifen. Seit der erste Markonos seinen Fuß auf die Insel Aristos gesetzt hatte, gab es diese Villa. Wenn auch nicht in der heutigen Form. Zahlreiche Umbauarbeiten hatten die Sommerresidenz der Markonos nach und nach zu einem wahren Prachtbau gemacht.

Trotzdem hätte er gern auf seinen Besuch hier verzichtet, wie er es auch die vergangenen fünf Sommer getan hatte. Nur die eindringliche Bitte seiner Mutter und die Andeutung seines Vaters, er habe etwas überaus Wichtiges mit ihm zu besprechen, hatten ihn letztlich umgestimmt. Allerdings auch nur, weil er ahnte, worüber sein Vater mit ihm reden wollte, sonst wäre ihm wohl in allerletzter Minute noch etwas furchtbar Dringendes „dazwischengekommen“. So wie seiner Mutter, die heute Abend mit einer höflichen Ausrede vom Abendessen ferngeblieben war, um „ihren Männern“ die Gelegenheit zu geben, unter vier Augen zu sprechen.

Längst schon wäre der Rückzug seines Vaters aus dem stressigen Tagesgeschäft des Markonos Firmenimperiums fällig gewesen. Doch bisher hatte er sich standhaft geweigert, den Chefsessel freizugeben und seinem ältesten Sohn die Firmenleitung zu überlassen. Jetzt war er zwar dazu bereit, allerdings nur unter einer Bedingung, die Andreas absolut nicht akzeptieren konnte.

„Du weißt, dass ich sehr stolz auf dich bin“, begann Orestes in versöhnlicherem Ton. „Aber wenn du meinen Platz einnehmen willst, bestehe ich darauf, dass du dich mit einer Frau verheiratest, die …“

„Ich bin bereits verheiratet“, unterbrach sein Sohn ihn barsch und griff nach der Brandyflasche.

„Das ist doch nur noch eine Formalie“, erwiderte der alte Mann ungerührt. „Meine Anwälte werden sich darum kümmern.“

Deine Anwälte?“ Wütend fuhr er herum. Jetzt ging sein Vater wirklich zu weit!

„Natürlich nur, um für dich die nötigen Informationen einzuholen.“

„Natürlich!“ Diesmal würde sich sein Vater den ironischen Ton gefallen lassen müssen. „Aber nicht ohne mein Einverständnis.“

Das war deutlich. Aufbrausend stieß sein Vater hervor: „Fünf Jahre sind ja wohl mehr als genug Zeit, um einer Vergangenheit nachzutrauern, die nicht mehr verändert werden kann!“

Ach ja? Den Kommentar seines Vaters ignorierend, schenkte er sich ein Glas Brandy ein.

„Es ist an der Zeit, nach vorn zu schauen, dir ein neues Leben aufzubauen. Auf der stabilen finanziellen Basis, die ich dir hier anbiete. Mit einer zuverlässigen Ehefrau, die dich ab und an ein wenig zügelt. Mit einem neuen Kind.“

Der Nachsatz des durch und durch taktlosen Vortrags seines Vaters versetzte Andreas einen heftigen Stich. „Das also willst du“, brachte er mühsam hervor. „Einen neuen Enkelsohn.“

„Unsinn!“, donnerte Orestes. „Ich will, dass du endlich einsiehst, dass es mit dir so nicht weitergehen kann! Dein Lebenswandel ist mehr als ungesund! Du machst deiner Mutter große Sorgen – und mich treibst du in den Wahnsinn!“

„Tut mir aufrichtig leid, dass ich eine solche Enttäuschung für euch beide bin!“

„Ich brauche keine Entschuldigungen von dir“, erwiderte Orestes mühsam beherrscht. „Ganz egal, wie reif und erwachsen du dich fühlst, ich bin immer noch dein Vater. Und jetzt hör mir genau zu …“

„Gern“, sagte Andreas in die Atempause seines Vaters. „Wenn du etwas zu sagen hast, was ich hören will.“ Die darauf folgende Stille legte sich bleischwer über den Salon. Bestimmt würde gleich seine Mutter hereinkommen und sich nach dem Ergebnis des Vater-Sohn-Gesprächs erkundigen und dann …

Nein! Bloß nicht noch eine zermürbende Diskussion! Entschlossen machte er auf dem Absatz kehrt und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum durch die Terrassentür. Frische Luft würde ihm guttun. Das resignierte Seufzen seines Vaters ignorierend, lehnte er sich an die Hauswand und starrte grimmig in den riesigen, dämmerigen Park, der die Villa umgab. Langsam beruhigte sich sein Herzschlag, während seine Blicke zum silbrig glänzenden Meer jenseits der Gartenanlagen schweiften und an den Lichtern eines Schiffes, das gerade Kurs auf die Insel nahm, hängen blieben.

Sicherlich handelte es sich um die Fähre. Da die Insel für einen Flughafen zu gebirgig war und es noch nicht einmal eine Landebahn gab, stellte das Fährschiff, das einmal die Woche im Hafen von Aristos anlegte, die einzige Verbindung zum Festland dar. Aus lebenslanger Erfahrung wusste Andreas, dass der kleine Hafen in weniger als einer Stunde vor Menschen, Autos und Waren nur so wimmelte. Wie sehr er dieses Leben und Treiben liebte! Doch nur zwei Stunden später würde der Zauber bereits vorbei sein, wenn die Fähre wieder ablegte. Dann schien die Zeit plötzlich nur noch ganz langsam zu laufen, und Aristos verwandelte sich wieder in den ruhigen kleinen Fischerort mit den hölzernen Booten der Einheimischen, die behäbig im Wasser schaukelten. Die Promenade lag wieder verschlafen da, und nur noch ein paar Fischer tranken in den urigen Tavernen ein Gläschen Ouzo vor dem Heimgehen. Die Insel würde wieder so ruhig und beschaulich sein wie eh und je, und das war auch gut so!

Da es auf Aristos keinen Massentourismus gab – und es ihn ohne Flughafen auch niemals geben würde, konnte sich wenigstens dieser winzige Teil Griechenlands seine Besonderheiten und sein einzigartiges Flair bewahren. In der Hochsaison kamen nur wenige Sommergäste auf die Insel, die die Naturschönheiten der malerischen Landschaft und das glasklare tiefblaue Meer genießen wollten. Für Pauschalreisegruppen bot Aristos ohnehin zu wenig Abwechslung. Und wer weiß, wenn dem Anwesen der reichen und mächtigen Markonos-Familie nicht ein privater Hubschrauberlandeplatz angegliedert wäre, vielleicht würden sogar sie nur selten die Abgeschiedenheit und Stille der Insel aufsuchen.

Das leise Knarren der Terrassentür kündigte das Kommen seines Vaters an.

„Louisa war …“

„Meine Frau und die Mutter meines Sohnes“, brachte Andreas den Satz zu Ende. „Ganz egal, wie jung oder alt wir bei unserer Heirat gewesen sind – ich kann dir versichern, dass rein gar nichts es leichter macht, zu ertragen, was vor fünf Jahren passiert ist.“

„Das weiß ich doch, Junge“, sagte Orestes versöhnlich. „Deshalb habe ich mich auch immer bemüht, dieses Thema möglichst zu vermeiden.“

Dass ich nicht lache! Wortlos fixierte Andreas die Lichter der Fähre. Nur mit äußerster Anstrengung konnte er die scharfe Bemerkung hinunterschlucken, die ihm auf der Zunge lag. Sein Vater und taktvoll ein Thema vermeiden! Nie hatte er das getan! Nie! Nicht, als Louisa frisch verheiratet und schwanger mit ihm hierher gezogen war. Und erst recht nicht, als sie todunglücklich und verzweifelt der Insel ein für alle Mal den Rücken kehrte.

Damals hatte sein Vater gesagt, es sei so „am besten“ – und seitdem wiederholte er dies bei jeder sich bietenden Gelegenheit, insbesondere wenn er ihn dazu bringen wollte, sich doch endlich scheiden zu lassen.

Scheidung, dachte Andreas grimmig. Gab es etwas Sinnloseres auf der Welt? Wie zum Teufel sollte er sich denn von einer Frau scheiden lassen, die Nacht für Nacht in seinen Armen gelegen und die er mit jedem Blick, jeder Berührung, jedem Atemzug mehr geliebt hatte? Wie sollte er sich von all den Bildern scheiden lassen, die sich in seinem Kopf, in seine Seele eingebrannt hatten? Als sie ihm seinen Sohn geschenkt hatte, wie sie ihn gemeinsam ins Bettchen brachten – und ihn nur wenig später in der dunklen Erde für immer schlafen legen mussten. Konnte man sich davon vielleicht scheiden lassen?

Nein, das konnte man nicht! Damit musste er leben. Tag für Tag musste er damit leben, und nachts überfielen ihn die Erinnerungen. Die schönen, die traurigen und die unerträglichen, sodass er nur noch wünschte, seinen Kopf ausschalten zu können, ganz egal wie, Hauptsache, die Erinnerungen blieben weg.

Unter diesen Umständen empfand er die Behauptung seines Vaters, dass alles so „am besten“ sei, nur als grausam, und das ermutigend gemeinte „Zeit, nach vorn zu sehen“ seiner Mutter als zynisch. Denn wie sollte er jemals diesen furchtbaren Schmerz, diese unsägliche Trauer hinter sich lassen und weiterleben, als sei nichts geschehen?

Das konnte er einfach nicht. Auch damit musste er leben!

„Andreas …“

„Nein“, sagte er eisig. „Dieses Gespräch ist beendet.“

„Du bist verrückt“, tobte Orestes los, der nun nicht mehr an sich halten konnte. „Deine Ehe ist beendet! Akzeptiere das endlich. Lass dich scheiden, und fang neu an!“

Ohne seinen Vater eines weiteren Wortes zu würdigen, lief er die Treppe in den Garten hinab und verschwand mit großen Schritten in der abendlichen Dunkelheit der Parkanlagen. Zwei Minuten später saß er in seinem Sportwagen und brauste mit offenem Verdeck davon.

Warum zum Teufel war er überhaupt hergekommen? Es hätte ihm doch klar sein müssen, wohin das führen würde. Wieso hatte er die Bitten seines Vaters nicht einfach ignoriert und war dieser verdammten Insel ferngeblieben, wie er es seit Jahren klugerweise getan hatte?

Genervt bremste er für einen alten Mann, der mit seinem Eselkarren langsam über die Straße zockelte. Wie idyllisch, dachte er zynisch. Ein zerzauster Esel, ein klappriges Wägelchen und eine Flasche Ouzo unter dem Sitz, vermutlich noch eine kleine Holzhütte in den Bergen mit einer dicken, Kuchen backenden Frau darin und ein paar Hühnern und Schafen im Olivenhain hinterm Haus – was brauchte Mann mehr im Leben?

In einem Leben, das sich von seinem eigenen so sehr unterschied, dass man es kaum für möglich hielt, dass er und der Alte auf derselben kleinen griechischen Insel das Licht der Welt erblickt hatten. Wie zwei Außerirdische, die zufällig auf dem gleichen Fleckchen Erde gestrandet sind, dachte Andreas kopfschüttelnd. Oder wie er und Louisa damals. Ein selbstbewusster junger Student von zweiundzwanzig Jahren und sie, süße siebzehn, die sechs Wochen Sommerferien mit ihrer Familie in einer gemieteten Villa am Strand verbringen wollte. Sechs Wochen, die sein Leben für immer verändert hatten.

Dumme, leichtsinnige, impulsive Kinder waren sie gewesen. Er nicht fähig, seine Finger von ihr zu lassen, und sie nicht imstande, ihn abzuweisen. Insgeheim verfluchte er diese Zeit. Wie die Lemminge hatten sie sich in ihr Unglück gestürzt, fest davon überzeugt, dass sie ihre Gegensätze und die ihrer starrsinnigen Familien durch ihre Liebe überwinden könnten.

Fluchend setzte er den Wagen wieder in Bewegung. Seidig umschmeichelte die warme Abendluft sein erhitztes Gesicht, genau wie an jenem schicksalhaften Abend, als er die gleiche kurvenreiche Straße entlanggefahren war, zum Hafen hinunter, wo er sich mit seinen Freunden auf ein Bier verabredet hatte. Während sie zusammensaßen und über ihre Lieblingsthemen Autos und Mädchen redeten, beobachteten sie, wie die Fähre anlandete und die Passagiere von Bord gingen.

Ganz genau erinnerte er sich an seine Überraschung, plötzlich ein so hübsches Mädchen mit langem blonden Haar und noch längeren schlanken Beinen vor sich zu sehen. Ihre leuchtend blauen Augen, ihre weiche, helle Haut und ihr wunderschönes Gesicht, das sich schlagartig dunkelrot färbte, als sie bemerkte, dass ein halbes Dutzend junger Männer sie mit offenem Mund anstarrte, hatten sich tief in sein Gedächtnis eingeprägt. Ihren kleinen Bruder hinter sich herziehend, der unbedingt noch bleiben und die im Hafen vertäuten Boote anschauen wollte, war sie blitzschnell zu ihren Eltern gelaufen. Drei Tage lang hatte er sie nur in seinen heißesten Träumen wiedergesehen, bis er sich schließlich auf die Suche nach ihr machte.

Er verzog das Gesicht zu einer finsteren Grimasse, während er daran dachte, wie er sie dann endlich beim Sonnenbaden am Strand gefunden hatte. Zwei Wochen später waren sie beide hoffnungslos verliebt gewesen und völlig außerstande, ihrem brennenden Verlangen noch länger standzuhalten. Zwei weitere, herrlich wilde und ungezwungene Wochen folgten, bis Louisa ihm anvertraute, dass sie ein Kind erwartete, und die Hölle losbrach.

Deutlicher hätten seine Eltern ihm ihre Verachtung kaum zeigen können! Aber ihr eigentlicher Hass traf Louisa.

„Die denken doch, ich bin eine billige kleine Schlampe!“

Noch immer schmerzten ihn diese Worte. Vor allem, weil sie haargenau zutrafen. Wie sehr hatte Louisa darunter gelitten, dass seine Eltern eine so schlechte Meinung von ihr hatten!

„Sicher werden sie zur Vernunft kommen, wenn du ihnen ihr erstes Enkelkind in die Arme legst!“ Schon damals hatte sein Trost sie nicht so recht überzeugen können. Er selbst hatte es, blauäugig und naiv, tatsächlich geglaubt. Heute, acht Jahre später, wunderte er sich, dass Louisa nicht schon viel früher davongelaufen war. An ihrer Stelle hätte er es getan.

Vielleicht wäre das sogar das Beste gewesen. Der schreckliche Unfall hätte nicht passieren können, Nikos würde noch leben, und er hätte mehr als nur diesen Schmerz, um die furchtbare Leere nach ihrem Fortgehen zu füllen.

Abrupt fuhr Andreas rechts ran und sprang aus dem Auto, als stünde es in Flammen. Eine salzige Brise zauste sein dichtes schwarzes Haar, während er eine kleine Anhöhe hinaufstürmte, von der aus er einen guten Blick über die Bucht hatte, in der der Hafen lag. Die Hände in den Hosentaschen, beobachtete er mit finsterer Miene, wie die weißen Lichter der Fähre ihrem Ziel immer näher kamen.

„Lass dich scheiden, und fang neu an“, hatte sein Vater gesagt. Insgeheim wusste Andreas, dass er diesen Rat beherzigen sollte. Aber dazu würde er erst einmal loslassen müssen, und er war sich nicht so sicher, ob er das eigentlich wollte.

Ob Louisa schon losgelassen hatte? Fünf lange Jahre hatte er nichts von ihr gehört. Vielleicht hatte sie mittlerweile einen netten, zuverlässigen Engländer geheiratet und schenkte nun ihm all ihre Zärtlichkeit … Bei dem Gedanken daran krampfte sich alles in ihm zusammen.

Während er zum Auto zurückmarschierte, zerrte er ungeduldig an seiner Krawatte. In hohem Bogen flog der schwarze Seidenschlips auf den Beifahrersitz, Jackett und diamantenbesetzte Manschettenknöpfe folgten. Mit offenem Hemd und aufgerollten Ärmeln fühlte er sich schon ein wenig besser. Und für den Rest würden ein paar Drinks in seiner Lieblingsbar sorgen.

Sich mit den Armen auf die Reling der Fähre stützend, beobachtete Louisa die Scheinwerfer eines Autos, das gerade über die Halbinsel, eine Art natürliche Barriere zwischen den exklusiven Villen der Reichen und Mächtigen und der kleinen Hafenstadt von Aristos, brauste. Wenn sie wollte, könnte sie auch die Lichter der Markonos-Sommerresidenz ausmachen, denn diese war auf einer Anhöhe gelegen und hob sich deutlich von den anderen Villen ab. Aber sie wollte gar nicht. Auch wenn sie dort einmal gelebt hatte, heute verband sie nichts mehr mit dem Haus und seinen Bewohnern.

Leise seufzend strich sie sich eine Locke aus der Stirn. Seit fünf Jahren kam sie nun jeden Sommer hierher, um die Ruhestätte ihres Sohnes zu besuchen, doch nicht ein einziges Mal hatte sie dabei auch nur eine Zehenspitze auf das Anwesen der Markonos gesetzt. Alles, was auch nur im Entferntesten zu dieser Familie gehörte, hatte sie ein für alle Mal aus ihrem Leben verbannt, nachdem es zwischen ihr und Andreas aus gewesen war. Alles – bis auf die Erinnerung an ihren Sohn.

„Alles o. k.?“, riss eine tiefe Stimme sie aus den Gedanken.

Langsam wandte sie sich zu dem großen, dunkelhaarigen jungen Mann um, der plötzlich neben ihr an der Reling stand. Als sie den besorgten Blick in seinen Augen sah, lächelte sie ihm zu.

„Keine Sorge, Jamie“, erwiderte sie. „Mir geht es gut. Ist ja nicht das erste Mal, dass ich hierher zurückkehre.“ Und die Zeit besänftigt den Schmerz, auch wenn sie ihn nicht auslöscht, fügte sie in Gedanken hinzu, während ihre Blicke wieder die Lichter des Autos verfolgten, bis sie auf der anderen Seite der Halbinsel in der Dunkelheit verschwanden. Wahrscheinlich wollte der Fahrer jemanden von der Fähre abholen oder einfach nur das fröhliche Treiben am Hafen genießen, das einmal die Woche die kleinen, an der Strandpromenade gelegenen Cafés und Bars erfüllte, sobald das Fährschiff anlegte.

„Kannst du dich eigentlich noch an irgendetwas hier erinnern?“, fragte sie ihren jüngeren Bruder und betrachtete ihn liebevoll. Aus dem kleinen dünnen Jungen war mittlerweile ein überaus attraktiver Mann geworden. Dennoch hatten seine markanten Gesichtszüge ihren jungenhaften Charme noch nicht verloren.

„Ja, ich weiß zum Beispiel noch ganz genau, dass wir beide damals genauso zusammen an der Reling standen wie heute, bevor wir in den Hafen einliefen.“

„‚Standen‘ ist gut. Du hingst halb über der Reling vor lauter Aufregung, und ich hab dich am Gürtel festgehalten, damit du mir nicht ins Wasser fällst.“

Grinsend erwiderte Jamie: „Daran kann ich mich komischerweise gar nicht mehr erinnern! Aber dass Mom und Dad seekrank unter Deck waren und kaum geradeaus laufen konnten, geschweige denn einen quirligen Zehnjährigen beaufsichtigen.“

„Was du alles noch weißt!“, staunte Louisa.

„Um ehrlich zu sein, ich habe rein gar nichts vergessen können: wie du Andreas kennenlerntest und all den Wahnsinn, der darauf folgte. Wie unsere Eltern dich einfach hier zurückgelassen haben.“

„Unsere Eltern haben mich doch nicht ‚einfach hier zurückgelassen‘.“

„Natürlich! Sie haben dich regelrecht zu dieser schrecklichen griechischen Familie abgeschoben.“

„Quatsch!“

„Und dann hat dich Andreas auch noch im Stich gelassen und ist abgehauen!“

„Aber nur, um sein Studium zu beenden“, versuchte sie, ihren Bruder zu beruhigen.

„Unsere Eltern haben ihn gezwungen, dich zu heiraten, weil er dich geschwängert hat. So war es doch. Und dann hat er sich bei der nächstbesten Gelegenheit aus dem Staub gemacht, dieser feige Hund!“

„Jamie!“, rief sie entsetzt. „Ich dachte, du mochtest Andreas.“

„Das habe ich auch“, erwiderte er achselzuckend. „Jedenfalls bis er dein Leben kaputt machte und dich aus seinem ausschloss.“

„Er hat mich von gar nichts ausgeschlossen.“ Warum verteidigte sie eigentlich gerade ihren Ex? „Ich habe Andreas verlassen. Weil ich es so wollte. Und ich wüsste wirklich sehr gern, warum du unbedingt mit mir nach Aristos reisen musstest, wenn dich all das noch so sehr belastet!“

„Wegen Nikos“, murmelte er, die Hände in den Taschen seiner weiten Baggy-Jeans vergrabend. „Denn wenn ich erst einmal zur Uni gehe, werde ich wahrscheinlich nicht mehr den ganzen Sommer freimachen können. Und außerdem …“, unwillkürlich ballte er die Hände in den Hosentaschen, „… habe ich gehofft, diesem Feigling Andreas zu begegnen und ihm endlich das zu geben, was er verdient!“

Sein Ton ließ keinerlei Zweifel zu, dass er es ernst meinte. Trotzdem musste Louisa lachen. „Er würde dich erledigen, bevor du die Fäuste auch nur anheben könntest“, sagte sie neckend. „Du hast wohl vergessen, wie groß er ist? Eins fünfundachtzig und um einiges muskulöser gebaut als du, Brüderchen.“

„Ich trainiere aber schon seit einiger Zeit.“ Sein Ton klang beleidigt.

„Um dich mit Andreas zu prügeln?“

„Natürlich nicht!“ Seine Schwester wusste doch ganz genau, dass er damit die Mädels beeindrucken wollte. „Aber wenn er mir über den Weg läuft, kann er sich auf etwas gefasst machen!“

„Und wieso, bitte? Du hast kein Recht, ihn anzugreifen!“

„Jeder Bruder hat das Recht, seine Schwester zu verteidigen! Außerdem habe ich nie verstanden, warum Dad Andreas nicht windelweich geprügelt hat, als er dich in deiner Verzweiflung allein ließ.“

Weil Dad wusste, dass er auch verzweifelt war, dachte Louisa und unterdrückte einen schweren Seufzer. Wochenlang hatten ihre Eltern damals auf sie eingeredet, wieder zu ihnen nach England zurückzukehren, und irgendwann hatte sie nachgegeben. Allerdings hatte sie fest damit gerechnet, dass Andreas ihr folgen und sie zurückholen würde. Wie sehr sie sich doch in ihm getäuscht hatte!

Kopfschüttelnd rief sie sich zur Ordnung. Wenn sie jetzt daran dachte, in welcher Situation sie ihn dann vorgefunden hatte, als sie irgendwann von sich aus zu ihm zurückkehrte … Sie würde nur wieder die alte Wut und Enttäuschung heraufbeschwören.

„Du wirst ihn hier aber nicht treffen“, informierte sie schließlich ihren Bruder. „Seine Mutter hat mir geschrieben, dass er diesen Sommer in Thailand verbringen will. Und da diese Reise Nikos gilt, wäre ich dir sehr dankbar, wenn du deine Rachepläne in Zukunft für dich behalten könntest!“

Nachdenklich starrte sie über die Reling in das dunkle Wasser. Warum verteidige ich ihn nur immer wieder, diesen feigen, treulosen …

„Tut mir leid“, sagte Jamie leise.

Stillschweigend seine Entschuldigung akzeptierend, erwiderte sie nur: „Gleich legen wir an.“

Autor

Michelle Reid
Michelle Reid ist eine populäre britische Autorin, seit 1988 hat sie etwa 40 Liebesromane veröffentlicht. Mit ihren vier Geschwistern wuchs Michelle Reid in Manchester in England auf. Als Kind freute sie sich, wenn ihre Mutter Bücher mit nach Hause brachte, die sie in der Leihbücherei für Michelle und ihre Geschwister...
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