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EINE FAMILIE FÜR DR. EVANS? von MARION LENNOX
Seine maskuline Ausstrahlung ist so unwiderstehlich wie damals – Emilys Herz macht einen Satz! Fünf Jahre Trennung liegen hinter ihr und Dr. Oliver Evans, weil er ihren Traum von einer Familie nicht teilte. Wie soll es nur werden, mit Oliver auf der Entbindungsstation zu arbeiten?

EIN LEBENSRETTER ZUM VERLIEBEN von JOSIE METCALFE
Dr. Ben Ross’ erster Arbeitstag in der Praxis endet dramatisch: Er rettet dem Sohn seiner neuen Kollegin Kat das Leben und wird dabei verletzt! Glück im Unglück: Kat nimmt ihn in ihrer kleinen Familie auf. Fast, als hätte sie nur auf ihn gewartet …

WIE SPUREN IM SAND VON MELANIE MILBURNE
Ist Lachlan der Richtige für sie? Eloise hat das wilde Rauschen der Brandung in den Ohren, als er sie am Strand in seine Arme zieht und zärtlich küsst. Hier, an der Küste Cornwalls ist sie sich plötzlich ganz sicher: Lachlan ist der Mann ihres Lebens. Doch eigentlich soll die junge Gerichtsmedizinerin mit ihm gemeinsam einen mysteriösen Mordfall aufklären. Als dann die Ermittlungen auf einmal eine unerwartet persönliche Wende nehmen, bekommt Eloise dennoch Zweifel …

ERFÜLLE MEINEN HERZENSWUNSCH von LILIAN DARCY
Aus tiefem Koma erwacht Janey – und blickt in die sanften Augen von Dr. Luke Bresciano! Ist er der Grund, warum ihr Herz plötzlich schneller schlägt? Und was wird der gut aussehende Arzt sagen, wenn er erfährt, warum sie zu ihm nach Crocodile Creek zurückgekehrt ist?

UNSER KIND MUSS LEBEN! von SUE MACKAY
Alles will Jodi tun, um das Leben ihres Sohnes zu retten! Auch wenn sie den Mann anflehen muss, den sie früher so geliebt und dann verlassen hat, weil er Gefühle nicht zuließ und nur seine Arbeit kannte: Dr. Mitch Maitland – Jamies Vater, der nichts von Jamie ahnt …


  • Erscheinungstag 24.08.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527316
  • Seitenanzahl 800
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

Eine Familie für Dr. Evans? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Jennifer Galka
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2015 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Meant-To-Be-Family“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN
Band 83 - 2016 by HARLEQUIN ENTERPRISES GmbH, Hamburg
Übersetzung: Michaela Rabe

Umschlagsmotive: GettyImages_nd3000

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733729875

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Zu spät. Zu spät. Zu spät. Schon das dritte Mal in dieser Woche. Ihre Vorgesetzte würde einen Anfall kriegen …

Oder auch nicht, dachte Emily, als sie ihren Mitarbeiterausweis an der Einfahrt zum Parkhaus durch den Automaten zog. Isla hörte gar nicht mehr auf zu lächeln, seit sie die Liebe ihres Lebens gefunden hatte. Die leitende Hebamme und ihr Verlobter schwebten auf einer rosaroten Wolke durch das Melbourner Victoria Hospital, was Emily gelegentlich einen Stich versetzte.

Liebe, Ehe. „Wer braucht das schon?“, murmelte sie vor sich hin, während sie ihre Familienkutsche durch die geöffnete Schranke lenkte und zu ihrem Parkplatz fuhr. Sie hätte gern einen tiefer gelegenen beantragt, weil sie oft spät dran war und jede Minute zählte, aber ihr Kombi war zu breit für die Parkbuchten. Also hatte sie sich mit einem der Gynäkologen arrangiert, der mit dem Motorrad zur Arbeit kam. Er parkte seine Harley so, dass Emily die Hälfte seines Platzes mitbenutzen konnte.

Leider lag die Parkbucht im fünften Stock.

Zu allem Überfluss kroch der Wagen vor ihr im Schneckentempo die Auffahrt hoch. Komm schon, gib Gas! Emily hätte bereits vor einer Viertelstunde auf der Station sein sollen. Doch Gretta war schlecht geworden. Wieder einmal.

Sie musste mit ihrer Kleinen zum Kardiologen. Ihr klangen noch seine Worte bei ihrem letzten Besuch in den Ohren: Emily, uns läuft die Zeit davon.

Hatte das Kind sich nur den Magen verdorben, oder hatte die Übelkeit etwas mit ihrem Herzen zu tun? Gretta wollte ihre Mummy vorhin nicht loslassen, schlang ihr weinend die Ärmchen um den Hals, und Emily dankte dem Himmel für ihre Mutter. Sie wüsste nicht, was sie ohne sie machen würde.

Adrianna blieb ruhig, nahm ihr die Kleine ab und schickte sie auf den Weg. „Fahr zur Arbeit, Mädchen, ich kümmere mich um Gretta. Falls es ihr bis heute Mittag nicht besser geht, rufe ich dich an. Und jetzt ab mit dir!“

Am Wochenende war sie mit den Kindern zu deren Lieblingsspielplatz im Botanischen Garten gefahren. Dort gab es ein Bächlein, das Gretta liebte. Kaum war sie ins Krabbelalter gekommen, war sie darauf zu gekrabbelt, und später hingelaufen, sobald sie sicher auf ihren Beinchen stand. Vor sechs Monaten noch hatte sie juchzend vor Freude die Zehen in das kühle Wasser gehalten.

Aber jetzt war sie nicht einmal in der Lage gewesen zu krabbeln. Emily hatte mit ihr am Bach gesessen und versucht, sie zum Lachen zu bringen. Doch Gretta weinte nur, so als wüsste sie, dass sie mehr und mehr an Kraft verlor.

Nicht! ermahnte Emily sich. Denk nicht daran. Es wird alles gut werden, es wird weitergehen.

Vor ihr ging allerdings so gut wie nichts mehr. Der Wagen wurde noch langsamer. Am liebsten hätte sie gebrüllt und wild gestikuliert, um den Fahrer anzutreiben. Da bog er auf das vierte Deck ab. Endlich freie Bahn! Emily seufzte erleichtert, jagte die letzte Rampe hinauf, drehte das Steuer nach links, wie schon Hunderte Male zuvor, und lenkte ihr Ungetüm schwungvoll in die Parkbucht.

Erschrocken trat sie auf die Bremse. Viel zu spät! Es schien das Motto des Morgens zu sein …

Wo Harrys Motorrad stehen sollte, war ein Auto. Ein schicker Oldtimer, der an alte Belmondo-Filme erinnerte, in sattem Burgunderrot, gepflegt und auf Hochglanz poliert. Ein Liebhaberstück.

Breiter als eine Harley.

Und statt wie sonst bequem und geräuschlos einzuparken, hörte Emily ein hässliches Knirschen von Metall auf Metall.

Ihr Kombi hatte einen Frontschutzbügel, nützlich, um Kühe abzudrängen oder sich kleinere Wagen vom Leib zu halten. Was bedeutete, dass ihre Familienkutsche einiges aushielt.

Das Ding, das sie gerammt hatte, hielt nicht so viel aus.

Eine Seite des Sportwagens war komplett aufgerissen.

Dr. Oliver Evans, Gynäkologe, Geburtshelfer und Spezialist für in-utero-Operationen, nahm Aktenkoffer und Jackett vom Beifahrersitz. Heute traf er sich mit dem Direktorium des Victoria Hospitals und wollte noch kurz seine Notizen überfliegen.

Konzentriert darauf, sich die Namen einzuprägen, hörte er vage, wie ein Wagen mit aufröhrendem Motor die Auffahrt hinter ihm heraufpreschte.

Im nächsten Moment krachte jemand in die Beifahrerseite und zerfetzte sie praktisch auf gesamter Länge.

Emily verdankte es allein ihrer hart erprobten Selbstbeherrschung, dass sie nicht anfing zu schreien. Sie brach auch nicht in Tränen aus. Sie fluchte nicht einmal.

Sie starrte einfach geradeaus. Zähl bis zehn, sagte sie sich. Als das nicht viel half, erweiterte sie auf zwanzig.

Erst dann sickerte langsam in ihr Bewusstsein, was passiert war. Ihr Parkplatz war nur deshalb so geräumig, weil Harry ihr von seinem etwas abgab. Aber Harry war nicht mehr da. Am Freitag, auf seiner Abschiedsfeier, hatte sie ihm persönlich alles Gute gewünscht. In Eile wie immer, weil zu Hause die Kinder auf sie warteten.

Der Oldtimer musste dem Arzt gehören, der als Harrys Nachfolger ans Victoria gekommen war.

Und sie hieß ihn herzlich willkommen, indem sie ihm den Wagen zertrümmerte!

„Ich habe eine Versicherung. Ich habe eine Versicherung. Ich habe eine Versicherung.“ Wie ein Mantra drehten sich die Worte in ihrem Kopf. Nicht dass sie Emily beruhigt hätten.

Kraftlos und einer Ohnmacht nahe, ließ sie die Stirn aufs Lenkrad sinken.

Sein Auto war im Eimer.

Oliver stieg aus und blickte ungläubig auf seinen geliebten Morgan. Er hatte ihn absichtlich genau in die Mitte der Parkbucht gestellt, um zu vermeiden, was in Parkhäusern immer wieder passierte: Die Leute stießen ihre Türen auf, als hätten sie keine Augen im Kopf, und schon war der Lack angekratzt.

Aber das Monstrum von Wagen neben ihm besaß einen Bullenfänger und hatte nicht nur den Lack beschädigt.

Der schicke Sportwagen aus den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts bedeutete ihm viel. Er besaß ihn seit fünf Jahren, ein Trostpflaster, damit er sich besser fühlte, nachdem seine Ehe den Bach hinuntergegangen war. Die Anschaffung kostete ihn ein kleines Vermögen, und als Oliver ins Ausland ging, hatte er ihn für viel Geld in einer überwachten Garage unterstellen lassen.

Nur die Aussicht darauf, seinen Morgan wieder fahren zu können, versüßte ihm die Vorbehalte, mit denen er nach Australien zurückgekehrt war. Und nun hatte irgendein Idiot mit seiner Riesenkarre …

„Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?“ Den Fahrer konnte er noch nicht sehen, also ließ Oliver seinen Zorn an dem Vehikel aus, diesem zerkratzten, unansehnlichen, brutalen Ding … Er war kurz davor, ihm einen kräftigen Tritt zu versetzen!

Halt, Moment mal … warum rührte sich der Fahrer nicht?

Der Arzt in ihm gewann die Oberhand, sein Ärger wich Besorgnis. Vielleicht hatte der Fahrer einen Herzinfarkt erlitten, war ohnmächtig geworden? Oliver holte tief Luft, tauschte augenblicklich die Rollen. Wütender Sportwagenfahrer wurde zum Mediziner.

Da die Fahrertür mit seinem Morgan verkeilt war, lief Oliver zur anderen Seite. Im selben Moment erstarb das Motorengeräusch. Okay, wer immer am Steuer saß, schien noch am Leben zu sein. Sein Ärger brach sich erneut Bahn.

Oliver riss die Tür auf. „Ich hoffe für Sie, dass Sie einen Herzinfarkt haben!“, bellte er ins Wageninnere. „Weil Sie nämlich eine verdammt gute Entschuldigung dafür brauchen, dass Sie mit Ihrem Haufen Schrott in meinen Wagen gekracht sind! Wollen Sie nicht aussteigen und mir das erklären?“

Nein!

Ihre Lage war mehr als miserabel, aber es drohte noch schlimmer zu werden.

Sie kannte die Männerstimme. Eine Stimme aus der Vergangenheit.

Das kann nicht sein.

Ihr Gehör spielte ihr einen Streich, ganz bestimmt. Trotzdem wagte sie es nicht, die Augen zu öffnen. Wenn er es wirklich war …

Unmöglich. Sie war übermüdet, halb verrückt vor Sorge um Gretta, kam zu spät zum Dienst und hatte gerade einen Unfall gebaut. Kein Wunder, dass sie halluzinierte.

Mach die Augen auf und sieh den Tatsachen ins Gesicht, redete sie sich im Stillen gut zu und wiederholte die Worte noch zwei Mal. Ohne Erfolg.

Die Stille dehnte sich. Vielleicht verschwand dieser Albtraum von selbst, wenn sie sich einfach nicht bewegte …

„Hey, sind Sie okay?“

Die raue Stimme hatte sich nicht verändert, und Emily dämmerte, dass ihr Gehör einwandfrei funktionierte. Einen Moment noch. Einen klitzekleinen Moment noch, dann würde sie die Augen öffnen.

Jemand stieg in den Wagen, glitt auf den Beifahrersitz. Groß, breit, männlich.

Er.

Seine Hand berührte ihre auf dem Steuer. „Miss? Sind Sie verletzt? Kann ich helfen?“ Und jetzt, da er nicht mehr wütend, sondern teilnahmsvoll klang, da wusste sie mit untrüglicher Sicherheit, wer neben ihr saß.

Oliver. Der Mann, den sie aus vollem Herzen geliebt hatte. Der Mann, der sie vor fünf Jahren verlassen hatte, um ihr die Chance auf ein neues Leben zu geben.

Gefühle wirbelten in ihr auf wie welke Herbstblätter im Sturm … Zorn, Verwunderung, Kummer … Fünf lange Jahre hatte sie Zeit gehabt, sich ein neues Leben zu schaffen, und dennoch war dieser Mann, so verrückt es sich anhörte, die ganze Zeit ein Teil von ihr geblieben.

Emily holte ganz tief Luft, wappnete sich, und dann blickte sie auf, ins Gesicht ihres Mannes.

Emily?

Eine Sekunde lang glaubte er, sich zu täuschen. Die Frau vor ihm sah anders aus, älter, ein bisschen … mitgenommen, abgekämpft. Ausgeblichene Jeans, Flecken auf der Windjacke, ungekämmte Locken.

Aber es war Emily. Seine Frau? Sie ist es immer noch, dachte er. Meine Em.

Nein, sie war nicht mehr seine Em. Er hatte sie vor fünf Jahren verlassen, damit sie das Leben führte, das sie sich wünschte. Ohne ihn.

Sie hatte seinen Wagen beschädigt. Seinen geliebten Wagen.

Die Gedanken entglitten ihm. Oliver fühlte sich wie betäubt.

Sie hatte einen Moment Zeit gehabt, sich seelisch auf das Wiedersehen vorzubereiten. Er nicht.

„Em?“ Ungläubig sah er sie an.

Was sagte man zu dem Ehemann, den man fünf Jahre lang weder gesehen noch gesprochen hatte?

„H…hi“, brachte sie heraus.

„Du hast meinen Wagen gerammt.“

„Da sollte ein Motorrad stehen.“

Was für ein intelligenter Dialog. Gut, dass uns niemand zuhört, dachte Emily.

„Du hast Milchflecken auf deiner Schulter.“

Klar, das fällt ihm als Erstes auf. Die Hebammentracht war in ihrer Tasche. Emily zog sie grundsätzlich nie zu Hause an. Die Chancen, in sauberem Zustand das Haus zu verlassen, standen gleich null. Also trug sie immer noch Jeans und die Windjacke, die sie beim Frühstück angehabt hatte.

Gretta hatte Milch getrunken, bevor sie sich übergeben hatte. Und sich an Em gekuschelt, als diese sie auf den Arm nahm, bevor sie sich auf den Weg zur Arbeit machte.

„In deinem Wagen sind Kindersitze.“

Er klang immer noch, als könnte er es nicht fassen. Milchflecken, die Familienkutsche … natürlich sah er eine völlig andere Frau vor sich als die, der er vor fünf Jahren den Rücken gekehrt hatte.

Oliver hingegen hatte sich nicht verändert. Er war immer noch groß, schlank, wahnsinnig gut aussehend. Dunkelbraune Augen, an denen sich wie Sonnenstrahlen feine Fältchen bildeten, wenn er lächelte. Und Oliver hatte oft gelächelt. Ein breiter Mund, markante Gesichtszüge. Auch sein Haar war genauso dunkel und gewellt wie damals, kurz geschnitten, um die Locken zu bändigen. Kräftiges, dichtes Haar. Sie erinnerte sich, wie wunderbar es sich anfühlte, wenn sie mit den Fingern hindurchstrich …

Vergiss es, ermahnte sie sich. Auch wenn er formal immer noch ihr Mann war, weil sie sich nie hatten scheiden lassen.

„Du stehst auf Harrys Parkplatz.“ Vorwurfsvoll deutete sie auf seinen Wagen. Ein wunderschönes Auto – bis auf die Beifahrerseite –, Vintage, super gepflegt, ein offener Sportwagen. Die Sorte Auto, bei der man nicht mal eben in der Mittagspause ein Ersatzteil kaufte.

Oliver hatte schon immer eine Schwäche für alte Autos gehabt. Emily erinnerte sich an den Tag, an dem sie seinen letzten Sportwagen verkauft hatten.

Seinen letzten? Wer weiß, wie viele er seitdem gehabt hat? Wie auch immer, damals tauschten sie den schicken Flitzer, den sie beide geliebt hatten, gegen einen Kombi ein. Einen kleineren als den, den sie jetzt fuhr, aber ein solides, vernünftiges Familienauto. Direkt vom Autohändler fuhren sie zu einem Babyausstatter und ließen einen Kindersitz einbauen.

Emily war im sechsten Monat schwanger gewesen, und beide waren überglücklich nach Hause gefahren.

Oliver wollte eine Familie genauso sehr wie sie. Jedenfalls dachte sie das damals. Was dann passierte, zeigte ihr jedoch, dass sie ihn überhaupt nicht kannte.

„Man hat mir diesen Parkplatz zugewiesen“, sagte er und riss sie aus ihren traurigen Gedanken. „Parkdeck fünf, Platz elf. Der gehört mir.“

„Als Besucher?“

„Ich arbeite hier – seit heute.“

„Das geht nicht.“

Er antwortete nicht. Oliver stieg aus, schob die Hände in die Hosentaschen, blickte auf seinen lädierten Wagen und dann wieder Emily an. „Warum nicht, Em?“ Das Auto war plötzlich zweitrangig.

„Weil ich hier arbeite.“

„Das Victoria bietet die beste Behandlung für Neugeborene in ganz Melbourne. Du weißt, dass das mein Fach ist.“

„Du bist in die USA gegangen.“ Sie hatte ihn am anderen Ende der Welt vermutet. Sie wollte ihn hier nicht haben.

„Ich habe mich dort auf Operationen im Mutterleib spezialisiert.“ Was für eine seltsame Unterhaltung! Er lehnte an einer der Betonsäulen, Emily klammerte sich immer noch wie eine Ertrinkende an ihr Steuer. „Man hat mir hier einen Job angeboten, und ich habe angenommen. Und nein, ich wusste nicht, dass du hier arbeitest. Ich dachte, du wärst immer noch in der Hemmingway-Privatklinik. Natürlich habe ich damit gerechnet, dass wir uns irgendwann über den Weg laufen, aber Melbourne ist groß. Wenn du glaubst, dass ich dich stalke, täuschst du dich.“

„So meinte ich es nicht.“

„Nein?“

„Nein“, sagte sie. „Und es tut mir leid, dass ich deinen Wagen demoliert habe.“

Spät kamen sie, die Worte, die man normalerweise in einer Situation wie dieser sagte. Auch Emilys Herzschlag normalisierte sich allmählich. Vorhin, als sie auf den Sportwagen prallte, schien ihr Puls explodieren zu wollen. Unbewusst schützte sie sich mit den Atemtechniken, die sie anwandte, wenn sie mit Gretta im Arm auf und ab ging, voller Angst um das Kind und Furcht vor der Zukunft. Inzwischen kamen ihr diese Techniken automatisch zu Hilfe, sobald sie verzweifelt war. Oder völlig verwirrt.

So wie jetzt. Stalken? Dachte Oliver, sie fürchtete sich vor ihm? Niemals, früher nicht und heute auch nicht.

„Kann ich dir schnell meine Daten geben?“ Emily versuchte, so zu tun, als hätte sie einen alten Bekannten getroffen, dem sie nun ihre Versicherung nennen musste. „Oliver, es ist schön, dich wiederzusehen …“ Ist es das? Eigentlich nicht, aber sagte man in solchen Fällen nicht so etwas? „Ich bin echt spät dran“, fügte sie hastig hinzu.

„Weshalb du meinen Wagen gerammt hast.“

„Okay, es war meine Schuld“, entgegnete sie scharf. „Doch ob du es glaubst oder nicht, es war eine Verkettung unglücklicher Umstände.“ Sie kletterte aus dem Auto und kramte in ihrer ausgebeulten Umhängetasche. Dabei förderte sie zwei Windeln und eine Packung Feuchttücher zutage, bevor sie endlich ihr Portemonnaie fand. Vor lauter Nervosität ließ sie die Windeln fallen. Oliver hob sie wortlos auf und reichte sie ihr. Verlegen hielt sie ihm dafür ihren Führerschein hin.

Er nahm ihn, studierte ihn schweigend.

„Du nennst dich immer noch Emily Evans?“, fragte er schließlich.

„Du weißt, dass wir nicht geschieden sind. Aber das ist unwichtig, du sollst dir nur meine Adresse merken.“

„Lebst du bei deiner Mutter?“

„Wie du siehst.“ Sie schnappte sich die Plastikkarte. „Fertig?“

„Willst du meinen nicht sehen?“

„Wozu? Du kannst mich verklagen, ich dich nicht. Es war eindeutig mein Fehler. Die genauen Versicherungsdaten schicke ich dir über den hausinternen Verteiler, ich habe sie nicht bei mir.“

„Eine Menge anderer Sachen schon.“ Wieder blickte er ins Wageninnere, wo Spielzeug, Kissen und Kinderkleidung wild verstreut lagen.

„Da hast du recht“, erwiderte sie so freundlich wie möglich. „Oliver, es tut mir wirklich leid mit deinem Wagen, aber ich muss dringend los, ich komme zu spät zum Dienst.“

„Du kommst nie zu spät.“

Ja, früher war ich die Pünktlichkeit in Person. „Ich bin nicht mehr die Emily, die du kennst“, brachte sie heraus. „Ich habe mich verändert, doch jetzt kann und will ich nicht darüber reden.“ Schuldbewusst warf sie einen Blick auf seinen Wagen. „Soll ich einen Abschleppdienst organisieren?“

„Nein, darum kümmere mich selbst.“

„Entschuldige bitte …“ Emily holte tief Luft. „Oliver, ich muss weg.“ Sie wusste, dass Isla heute knapp an Personal war, und die Kolleginnen vom Nachtdienst sehnten sich danach, endlich nach Hause zu kommen. „Tut mir leid, dass ich dich mit dem Chaos allein lasse, aber ich muss los. Willkommen am Victoria Hospital. Wir sehen uns.“

2. KAPITEL

Olivers erste Patientin am Victoria war Ruby Dowell, siebzehn Jahre alt, in der zweiundzwanzigsten Woche schwanger und völlig verängstigt.

Sie war auch der Grund, warum er früher als geplant anfing. Man hatte ihm die Stelle von Harry Eckmann angeboten, einem Facharzt für Geburtshilfe, der sich für in-utero-Prozeduren interessierte. So hatte Oliver auch angefangen, doch für ihn war die Chirurgie im Mutterleib mittlerweile kein Nebenschauplatz mehr. Während seines fünfjährigen USA-Aufenthalts war er in der ganzen Welt herumgekommen, um die neuesten Techniken zu erlernen.

Charles Delamere, der Direktor des Victoria Hospitals, konnte sehr überzeugend sein. „Harry folgt seiner Freundin nach Europa“, sagte er, nachdem er kurzerhand zum Telefon gegriffen und Oliver angerufen hatte. „Wir brauchen dringend jemanden mit Ihren Fachkenntnissen. Der Bedarf ist groß. Gerade haben wir hier eine Kleine im sechsten Monat, und die Aufnahmen zeigen Spina bifida beim Fetus. Heinz Zigler, unser Kinderneurologe, meint, dass die Operation jetzt erfolgen muss. Er sagt, den spinalen Kram kann er übernehmen, aber er verfügt nicht über das nötige Wissen, um eine Fehlgeburt zu verhindern.“

Er räusperte sich. „Oliver, solche Fälle sehen wir immer öfter, und wir bieten Ihnen einen Vollzeitjob an. Wenn Sie besser heute als morgen anfangen, ersparen wir dem Würmchen das Risiko von Hirnschäden und ein Leben mit eingeschränkter Mobilität von der Taille abwärts. Kurzfristig möchte ich, dass Sie dem Kind ein Happy End erkämpfen. Langfristig sind wir bereit, Ihre Forschungsvorhaben zu unterstützen. Wir übernehmen die Kosten für jede Fortbildung, die Sie wollen, für zusätzliches Personal. Wir wollen den Besten, Oliver, und wir zahlen dafür – aber Sie müssen sofort kommen.“

Ein besseres Angebot konnte er sich nicht wünschen. Trotzdem war ihm nicht wohl dabei, nach Melbourne zurückzukehren. Er war gegangen, um Em ein anderes Leben zu ermöglichen.

Anscheinend war es die richtige Entscheidung gewesen. Als er sie heute Morgen vor sich sah, mit dem Kombi, mit Milchflecken auf der Schulter – der Inbegriff einer erschöpften jungen Mutter, die Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen versucht –, da hatte er gedacht …

Nein, nichts hatte er gedacht. Er war wie vor den Kopf geschlagen gewesen, und die Nachwirkungen spürte er noch. Aber jetzt hatte er keine Zeit, über seine Ehe nachzudenken. Er musste sich auf andere Dinge konzentrieren.

Nach einem kurzen Gespräch mit Charles betrat er nun das Untersuchungszimmer, in dem Ruby Dowell wartete.

„Das Zeitfenster für einen erfolgreichen Eingriff ist nicht besonders groß“, hatte Charles gesagt.

Ruby lag auf der Liege. In ihren Unterlagen stand, dass sie siebzehn Jahre alt war und am Teenage-Mummy-Treff des Victoria Hospitals teilnahm. Nachdem bei ihrem Baby eine Rückenmarksanomalie diagnostiziert worden war, bot man ihr einen Schwangerschaftsabbruch an, was sie sofort ablehnte. Allerdings war in ihrer Akte notiert, dass sie das Kind nach der Geburt zur Adoption freigeben wollte.

Der Teenager trug Shorts und ein weites T-Shirt, das aschblonde schulterlange Haar war strähnig, der Schnitt herausgewachsen. Abgesehen von dem runden Schwangerschaftsbauch war sie erbärmlich dünn, der Ausdruck in den geröteten Augen angstvoll.

Sie erinnerte Oliver an ein wildes Tier, das man in einen Käfig gesperrt hatte. Auch wenn der Vater des Kindes keine Rolle spielte, so hätte ihre Mutter doch bei ihr sein müssen oder wenigstens eine Freundin.

Er fand es unmöglich, dass sie mit allem allein gelassen schien. Charles hatte ihm erzählt, dass seine Tochter Isla, die leitende Hebamme am Victoria, den Teenage-Mummy-Treff ins Leben gerufen hatte. Warum war Isla nicht hier? Warum schickte sie keine Hebamme, die das Mädchen unter ihre Fittiche nahm?

„Hi“, begann er und trat ins Zimmer. Die Tür ließ er offen. „Ich bin Oliver Evans, der Babychirurg. Ich habe mich darauf spezialisiert, Babys zu behandeln, wenn sie noch im Mutterleib sind. Und du bist Ruby Dowell?“ Keine Antwort. Er zog einen Stuhl ans Bett und setzte sich. „Ruby, ich möchte nur mit dir reden. Noch passiert gar nichts.“

Furchterfüllt starrte sie ihn an. Ja, sie wich sogar zurück, soweit die Liege es erlaubte. „Ich … ich habe Angst vor Operationen“, stammelte sie. „Ich will nicht hier sein.“

Die Tür ging weiter auf, und eine Frau in Hebammenkleidung, Kittel über locker sitzender Hose, kam herein.

Es war Emily. Seine Frau.

Oder war sie seine Exfrau? Sie hatte ihn nie um die Scheidung gebeten, dabei hätte es jederzeit genügt, ein paar Papiere zu unterschreiben.

„Ich habe auch Angst vor Operationen“, erklärte sie nüchtern, so als wäre sie bei der Unterhaltung von Anfang an dabei gewesen. „Und da sind wir beide nicht die Einzigen. Aber Dr. Evans ist der beste Babychirurg der Welt. Ich kenne ihn schon ewig. Wäre es mein Baby, ich würde nur ihn wollen. Dr. Evans ist ein großartiger Arzt, Ruby. Freundlich, erfahren und sehr kompetent. Bei ihm hat dein Mädchen die allerbesten Chancen.“

„Aber ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich sie gar nicht will.“ Ruby fing an zu schluchzen, wischte sich mit dem Handrücken die strömenden Tränen ab. „Meine Mum hat gesagt, ich soll es wegmachen lassen. Sie hätte mir das Geld gegeben. Ich weiß auch nicht, warum ich es nicht getan habe. Und jetzt wollen Sie ein Baby operieren, das ich nicht einmal haben will. Lasst mich doch alle in Ruhe!“

Schon unter günstigen Umständen waren in-utero-Operationen schwierig. Es bestanden hohe Risiken für Mutter und Kind. Eine Mutter auf den OP-Tisch zu bringen, die ihr Baby nicht einmal wollte …

Oliver suchte noch nach den richtigen Worten, da ging Emily zu Ruby hinüber, nahm sie einfach in die Arme und hielt sie.

Ruby versteifte sich. Doch Emily ließ sich nicht beirren, sondern strich ihr beruhigend übers Haar. „Ruby, wir wissen, wie schwer das hier für dich ist. Du fühlst dich allein, und du hast dich gegen den Rat deiner Familie entschieden. Das war sehr mutig von dir. Trotzdem reicht noch so viel Mut manchmal nicht für alles, was du durchstehen musst. Deshalb hilft Isla dir, deshalb bin ich hier. Und ich werde die ganze Zeit für dich da sein, Ruby. Ich bin deine Hebamme, ich unterstütze dich in deinen Entscheidungen. Auch in diesem Moment. Wenn du möchtest, dass Dr. Evans später wiederkommt, wird er das tun. Du brauchst es nur zu sagen.“

Über Rubys Kopf hinweg suchte sie seinen Blick, und die Botschaft war unmissverständlich. Gib mir Rückendeckung.

Em war also Rubys Hebamme. Wo zum Teufel hatte sie gesteckt, als er ins Zimmer kam? Erst einmal den Schrecken nach dem Crash verarbeitet? Und natürlich sich umgezogen. Trotzdem, sie hätte früher hier sein können.

„Wir hatten ein Drama mit einem Frühchen, bei dem ich helfen musste“, sagte sie da, als hätte er seine Frage laut ausgesprochen. Immer noch hielt sie Ruby im Arm. „Deshalb bin ich spät dran. Es tut mir leid, ich wollte hier sein, wenn du kommst. Doch jetzt bin ich da. Solltest du dich für die Operation entscheiden, stehst du für mich an erster Stelle, Ruby. Brauchst du ein Papiertaschentuch? Dr. Evans, reichen Sie mir bitte ein paar Tücher.“

„Sie haben bei einer Geburt geholfen?“ Vor Patienten siezte er sie, doch ihr ärgerlicher Blick galt sicher seiner Nachfrage. Er hatte sich angehört, als hielte er ihre Entschuldigung für eine Ausrede.

„Genau. Ich hatte mich gerade umgezogen, da ging der Alarm los. Zu allem Überfluss hatte ich heute Morgen einen Unfall. Ich habe meinen Kombi zerschrammt, Ruby, und rate mal, wessen Wagen ich gerammt habe? Keinen geringeren als den von Dr. Evans. Es ist sein erster Arbeitstag am Victoria, und ich beschädige zur Begrüßung sein Auto. Wundert mich, dass er mich noch nicht aus dem Zimmer geworfen hat!“

Rubys Schluckauf verstummte. Sie hob den Kopf, sah Emily an, dann Oliver. „Sie hat Ihren Wagen demoliert?“

„Ja.“ Normalerweise sprach er mit Patienten nicht über Persönliches. Er ahnte jedoch, was Em vorhatte, und er konnte ihr nur recht geben. Ruby brauchte Ablenkung – und Vertrauen zu ihnen. Wenn er dafür Privates preisgeben musste, herzlich gern.

„Ich besitze einen Sportwagen der Marke Morgan, Baujahr 1964“, erklärte er bekümmert und seufzte, als sei das Ende der Welt nahe. „Er ist in Burgunderrot lackiert und hat schwarze Ledersitze. Ein wundervoller Zweisitzer, versehen mit Sportwagen-Elementen, einschließlich Weber-Doppelvergasern, einem Derrington-Lenkrad und Lufthutze. Dazu Chrom-Speichenfelgen, ein Kühlergrillbügel mit Lucas-Zwillingsscheinwerfern und eine Tonneau-Abdeckung. Oh, und er wurde mit einem Retro-Overdrive-Getriebe nachgerüstet. Jetzt ist er außerdem mit einer kaputten Beifahrerseite ausgestattet – dank deiner Hebamme.“

„Ui!“, stieß Em hervor, wirkte aber nicht im Mindesten beeindruckt. „Weber-Doppelvergaser, Lufthutze und ein Derrington-Steuer, hm? Habe ich das alles auf dem Gewissen?“

„Wenn Sie wüssten, wie lange ich nach diesen Nebelleuchten gesucht habe …“

„Ups, tut mir sehr leid. Aber Sie haben meinen Wagen auch angekratzt.“ Sie sprach mehr zu Ruby als zu ihm und klang ziemlich fröhlich. Zwitscherte wie ein Vögelchen!

„Angekratzt“, murmelte er und sah, wie sie grinste.

„Ist schon okay, ich verzeihe Ihnen“, sagte sie. „Es sind doch nur Autos. Sachen. Dafür gibt es Versicherungen“, fuhr sie fort und schlug den Bogen zu dem, weshalb sie hier waren. „Ruby, dein kleines Mädchen ist keine Sache, sondern ein Mensch, und es ist unendlich viel kostbarer als ein Wagen. Du hast dich dafür entschieden, es zu behalten, einmal ganz zu Anfang und jetzt wieder, nachdem du von seiner Rückenmarksanomalie erfahren hast. Du hast mir auch erzählt, dass du es zur Adoption freigeben möchtest, sobald es auf der Welt ist …“

„Ich kann sie nicht behalten! Das schaffe ich nicht!“

„Das musst du auch nicht“, antwortete Em beschwichtigend. „Es gibt genug Eltern, die sonst etwas dafür gäben, ein Kind wie dein Baby lieben und verwöhnen zu dürfen. Das stimmt doch, Dr. Evans?“

„Ich … Ja.“ Ihre Worte waren wie ein Schlag in den Magen. Jener längst vergangene Abend … Damals hatte er wieder einmal versucht, sie zu überzeugen. Em, ich kann das nicht. Mir ist klar, dass uns außer einer Adoption keine andere Möglichkeit bleibt, aber ich weiß nicht, ob ich ein Kind lieben kann, das nicht unser leibliches ist.

Es wäre trotzdem unser Kind.

Nein, Em. Nein.

Ihr letztes Gespräch. Oliver hatte sich abgewandt und die einzige Frau, die er je geliebt hatte, verlassen. Es brachte ihn fast um. Aber sie hatte eine Familie verdient, Kinder, die sie sich so sehr wünschte. Und wie es aussah, hatte sie die Chance genutzt.

Doch jetzt ging es nicht um ihn, sondern allein um Ruby.

„Ruby, du bekommst ein kleines Mädchen“, sagte er. „Nach der Geburt kannst du sie zur Adoption freigeben. Bis dahin jedoch ist sie von dir abhängig, und du musst für sie sorgen. Das bedeutet, dass sie jetzt operiert werden muss.“

„Aber warum?“ Ruby wurde aufsässig. „Das verstehe ich nicht. Sie hat Spina bifida, das hat Dr. Zigler mir auf den Aufnahmen gezeigt. Welchen Unterschied macht es, ob sie jetzt operiert wird oder gleich nach der Geburt?“

„Festgestellt haben wir die Spina bifida bei der Ultraschalluntersuchung. Das hast du gesehen, oder?“

„Nicht richtig, nur verschwommen.“

Also hatte sie es nicht verstanden. ‚Heinz Zigler ist ein außergewöhnlich erfahrener Kinderneurologe‘, hatte Charles gesagt. ‚Technisch brillant, aber Kommunikation ist nicht gerade seine Stärke. Er wird die Spinaloperation übernehmen, doch alles andere überlassen wir Ihnen. Den Sachverhalt der Mutter zu erklären, eingeschlossen.‘

Das bedeutete, dass er bei null anfangen musste.

„Zugegeben, es ist nicht leicht, auf den Bildern etwas zu erkennen. Das geht mir auch so. Wir haben hier hoch spezialisierte Radiologen, die feinste Einzelheiten der Nerven rund um die Wirbelsäule erkennen. Sie sind sich absolut sicher, und Dr. Zigler ist ganz ihrer Meinung. Darf ich es dir erklären, Ruby? Und zwar nicht die Details, sondern das Gesamtbild? Das ist nämlich mein Job – ich kümmere mich um Mutter und Kind, um dich und dein Baby. Ich bin Geburtshelfer und Chirurg, der sich auf Babys spezialisiert hat, die noch vor der Geburt operiert werden müssen.“

Ruby sah ihn angstvoll an, sank förmlich in sich zusammen. Oliver wartete, während Emily ihr weitere Taschentücher reichte.

Als er sicher war, dass sie ihm genau zuhörte, sprach er weiter. „Bei deinem Baby haben sich die Knochen der Wirbelsäule, also die einzelnen Wirbel, nicht richtig gebildet, um das Rückenmark zu schützen. Im Rückenmark sind die zentralen Nerven enthalten, die dafür sorgen, dass sich dein Baby bewegen kann. Ist das Rückenmark dauerhaft beschädigt, kann dein Baby wahrscheinlich nicht gehen und auch Blase und Darm nicht kontrollieren. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem Flüssigkeitsstau im Gehirn. Dann braucht es sein Leben lang eine Drainage, damit die Flüssigkeit abfließen kann, um den Druck vom Gehirn zu nehmen.“

Ruby hatte wieder angefangen zu weinen, doch sie schluchzte nicht mehr verzweifelt vor sich hin. Em hielt sie immer noch im Arm. Die Furcht schien für den Moment gebannt, weil Rubys Neugier, mehr zu hören, stärker war.

„Und?“, flüsterte sie. „Und dann?“

„Die gute Nachricht ist, dass die vielen Probleme bei Spina bifida nicht durch die Spina bifida selbst verursacht werden“, fuhr er behutsam fort. „Ärzte wie Dr. Zigler, die viel schlauer sind als ich – wusstest du, dass er einer der führenden Forscher auf diesem Gebiet ist? –, haben etwas Wichtiges herausgefunden. Wenn das Rückenmark ungeschützt dem Fruchtwasser ausgesetzt ist, werden die Nerven geschädigt. Wenn wir jetzt operieren, also so früh wie möglich, können wir den Schaden gering halten. Dein Baby hat die besten Chancen, ein normales, glückliches Leben zu führen.“

„Aber nicht mit mir“, stieß Ruby kaum vernehmbar hervor.

„Noch hast du dich nicht endgültig entschieden, sie wegzugeben“, warf Emily ein.

Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht darüber nachdenken …“

„Das brauchst du auch nicht.“ Em drückte sie kurz. „Im Moment steht so viel anderes an, woran du denken musst. Aber eins möchte ich dir sagen: Wie auch immer du dich entscheidest, es ist und bleibt deine Tochter. Du bestimmst, was für ein Leben sie führen wird … ob du nun selbst für sie sorgst oder sie in fremde Hände gibst.“

„Sind … sind Sie sicher, dass sie wirklich operiert werden muss?“, wollte Ruby wissen. „Ganz sicher?“

„Ja“, bekräftigte Oliver und war auf einmal froh, dass Emily dabei war. Ohne sie hätte er es bestimmt nicht geschafft, dass das Mädchen seine Angst vergaß und ihm zuhörte. „Natürlich hat jede Operation ihre Risiken.“ Das musste er sagen. Er durfte Ruby keine falschen Versprechungen machen. „Auch für dich und dein Baby. Aber ich halte sie für minimal.“

„Aber … es hängt von mir ab, wie sie leben wird?“

„Dr. Zigler hat mir gesagt, dass deine Tochter aller Wahrscheinlichkeit ihr Leben im Rollstuhl verbringen wird, wenn die Operation unterbleibt. Und da das Rückenmark dem Fruchtwasser ausgesetzt ist, könnte sie auch einen Hirnschaden davontragen.“

„Deshalb ist Dr. Evans hier“, ergänzte Emily sanft. „Wir hatten keinen Facharzt, der auf Operationen im Mutterleib spezialisiert ist. Als er die Ultraschallbilder sah, meinte Dr. Zigler, dass wir so schnell möglich den besten Arzt für solche Fälle herholen müssten. Und das ist Dr. Evans. Er ist der Beste. Also, es liegt an dir, Ruby: Erlaubst du uns, dein Baby zu operieren?“

„Dr. Zigler und ich können die offene Stelle am Rückenmark schließen“, erklärte Oliver. „Vielleicht besteht bereits eine Schädigung, doch die dürfte nicht groß sein. Du bekommst eine Narkose, und ich setze einen Schnitt an deinem Bauch. Keine Sorge, die Narbe wird später kaum zu sehen sein, da bin ich sehr geschickt.“

Er lächelte das Mädchen an, und sie schenkte ihm ein zitterndes Lächeln. „Dann drehen wir dein Baby vorsichtig herum. Mit etwas Glück brauchen wir es nicht einmal aus dem Mutterleib herauszuheben. Sobald sie mit dem Rücken zu uns liegt, wird Dr. Zigler sie gründlich untersuchen, damit auch alles ordentlich an seinem Platz liegt. Danach schließen wir die Lücke, legen deine Kleine wieder an Ort und Stelle, nähen, was wir aufgeschnitten haben, und dann ist alles überstanden. Du musst ungefähr eine Woche im Krankenhaus bleiben, damit wir beobachten können, ob sich dein Baby nach dem Eingriff nicht zu früh auf den Weg in die Welt macht. Sobald das ausgeschlossen ist, geht deine Schwangerschaft ganz normal weiter.“

„Und sie muss nicht im Rollstuhl sitzen?“

„Ruby, wir können dir nichts versprechen.“ Oliver griff nach ihrer Hand. Em hatte Ruby nicht losgelassen, und nicht zum ersten Mal bewunderte er, was für eine großartige Hebamme sie war. Sie besaß ein unschätzbares Gespür dafür, sich im richtigen Moment einzumischen und wann sie schweigend warten musste. Außerdem strahlte sie eine unerschütterliche Ruhe aus, sodass sich ihre Patientinnen auf Anhieb gut aufgehoben fühlten.

Vor zehn Jahren hatte er sie kennengelernt. Er war gerade mit dem Studium fertig gewesen, sie noch in der Ausbildung. Schon damals beeindruckte ihn, wie schnell werdende Mütter Vertrauen zu ihr fassten. Vor allem die ganz jungen unter ihnen.

Oliver hatte keine Hebamme lieber an seiner Seite, und nachdem er zwei Mal mit ihr ausgegangen war, wusste er, dass er sie für den Rest seines Lebens an seiner Seite haben wollte. Seine Gefühle wurden erwidert, die Hochzeit war der nächste natürliche Schritt.

Auseinandergetrieben hatte sie ausgerechnet das, was sie auch beruflich eng aneinanderband: Babys. Oder vielmehr das Fehlen von Babys.

Die Nacht, in der ihr Sohn tot geboren wurde, gehörte zu den schlimmsten seines Lebens. Nie würde er den Anblick seiner Frau vergessen: aschgrau im Gesicht und so verzweifelt, dass er glaubte, nie wieder ihr wundervolles Lachen zu hören. Und er konnte ihr nicht helfen, sie nicht erreichen.

Doch daran durfte er jetzt nicht denken. Es war fünf Jahre her, sein und ihr Leben waren weitergegangen.

„Wie gesagt, ich kann dir nichts versprechen“, wiederholte er, um in die Gegenwart zurückzufinden. „Die Operation, die Dr. Zigler und ich durchführen werden, hat erfreulich hohe Erfolgsraten. Allerdings gibt es, wie überall, auch hier die Ausnahme von der Regel. Das will ich dir nicht verschweigen, Ruby. Risiken können wir nicht hundertprozentig ausschließen. Zum Beispiel besteht immer die Gefahr einer Infektion bei dir oder deinem Baby. Doch wir tun alles, was in unserer Macht steht, um das zu verhindern.“

„Aber es gibt keine Garantie.“

„Nein. Es ist deine Entscheidung, Ruby. Du entscheidest für deine kleine Tochter.“

„Ich bin zu jung für eine Tochter!“ Sie schluchzte auf.

Sofort drückte Em sie fest an sich. „Deshalb bin ich für dich da“, sagte sie beruhigend. „Möchtest du einen Rat? Kann ich dir geben, so oft du willst. Brauchst du eine tröstliche Umarmung? Du bekommst sie von mir.“

„Sie können nicht immer bei mir sein.“

„Da hast du recht. Ich habe meine eigenen Kinder, um die ich mich kümmern muss. Aber ich bin hier, jeden Tag, die ganze Woche lang. Ich kann sogar herkommen, wenn ich keinen Dienst habe. Meine Mum lebt bei uns, also kann ich alles stehen und liegen lassen. Das tue ich nicht für alle werdenden Mütter, die ich betreue, doch für dich würde ich es tun.“

„Warum?“, fragte Ruby misstrauisch.

„Weil du etwas Besonderes bist. Stimmt’s, Dr. Evans? Eine besondere junge Frau, die eine besondere Tochter haben wird.“

Oliver jedoch hörte kaum zu. Irgendwie brachte er einen zustimmenden Laut heraus, während es in seinem Kopf drunter und drüber ging.

Ich habe meine eigenen Kinder …

Was hast du gedacht? meldete sich eine spöttische Stimme. Dass sie die Em geblieben ist, die du damals verlassen hast? Die Familienkutsche, Spielzeug, Milchflecken auf ihrer Jacke, waren das nicht Hinweise genug?

Ich habe meine eigenen Kinder …

„Was meinst du, Ruby?“, fragte Emily sanft nach. „Willst du der Operation zustimmen? Möchtest du noch etwas Bedenkzeit haben?“

„Mir bleibt keine Wahl“, flüsterte sie. „Mein Baby ist das Beste, was mir je passiert ist …“

Oliver sah, wie sie die Hand auf ihren schwach gewölbten Bauch legte, um das darin heranwachsende Leben zu schützen, eine instinktive Geste, die so alt war wie die Menschheit selbst.

Für ihn brachte sie die Erinnerung daran zurück, wie sich zwischen ihm und Em ein Graben aufgetan hatte, breit genug, um ihre Ehe zu zerstören. Emily hatte Kinder adoptieren wollen, er nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, sie so zu lieben, wie ein Vater seine Kinder lieben sollte.

Er spürte ihren Blick, dachte an ihre wunderschönen Augen, in denen er damals versinken konnte, an die Liebe, die er für Emily empfunden hatte. Trotzdem war er gegangen.

Und sie hatte sich ihren innigsten Wunsch erfüllt.

Ich habe meine eigenen Kinder …

Das geht dich nichts mehr an, ermahnte er sich. Aber er hätte gern mehr gewusst.

Was jedoch warten musste. Jetzt war es wichtiger, Ruby zu zeigen, dass sie ihm voll und ganz vertrauen konnte.

Nachdem die Operation schließlich für den übernächsten Tag festgelegt worden war, verließ Oliver das Zimmer. Seine Gedanken blieben allerdings noch einen Moment dort. Bei Em, die neben Ruby saß und sie im Arm hielt.

Ich habe meine eigenen Kinder …

Sie hatte sich entschieden. Oliver war gegangen, um ihr die Chance für eigene Entscheidungen zu lassen.

Warum tat es dann so weh, dass sie sie genutzt hatte?

3. KAPITEL

Auch für Emily ging der Tag weiter.

Eine der schönsten Seiten an ihrem Beruf war, dass er all ihre Aufmerksamkeit forderte. Wenn sie arbeitete, blieb in ihrem Kopf wenig Platz für andere Dinge. Wie hieß es noch so treffend? Finde eine Arbeit, die du liebst, dann brauchst du nie mehr zu arbeiten. Genau das Gefühl hatte sie kennengelernt, als sie zum ersten Mal ein Baby auf die Welt holte. Und so war es seitdem geblieben.

Manchmal allerdings … nein, sogar ziemlich oft empfand sie Gewissensbisse, weil ihre Mum sich zu Hause um die Kinder kümmerte, während sie dem schönsten Beruf der Welt nachging. Doch sie hatten die Entscheidung, Pflegekinder aufzunehmen, gemeinsam getroffen. Ihre Mutter liebte Gretta und Toby genauso sehr wie Emily selbst. Und auch wenn sie ein großes Haus besaß, so brauchten sie doch Emilys Gehalt.

Trotzdem zweifelte sie manchmal an ihrem Entschluss, vor allem, wenn ihre Mutter abends zum Umfallen müde war. Sobald Emily jedoch etwas sagte, wollte sie nichts davon hören.

„Und wen von den beiden wollen wir zurückgeben? Sei nicht albern, Em, wir schaffen das!“

Sie hat recht, dachte Emily, als sie in Windeseile ihre Hebammenkleidung aus- und die anderen Sachen anzog. Schon jetzt freute sie sich, zu den Kindern nach Hause zu kommen. Vorher noch zum Supermarkt und in die Apotheke, um Grettas Medikamente zu holen.

„Ihr geht es schon viel besser“, hatte Adrianna versichert, als Emily in der Mittagspause anrief.

Trotzdem wäre Em niemals auch nur das geringste Risiko eingegangen, dass sie nicht genug Medikamente für die Kleine vorrätig hatte.

„Langer Tag?“ Sophia Toulson, eine der Hebammen, die erst seit Kurzem am Victoria war, entledigte sich auch ihrer Arbeitskleidung. Aber sie zog nicht Jeans und eine milchbefleckte Windjacke an wie Emily, sondern modisch schicke Sachen, die verrieten, dass sie noch ausgehen wollte. In einen Nachtklub oder eine angesagte Bar. Ein Leben, das Emily schon lange hinter sich gelassen hatte.

Nicht dass es ihr fehlte, jedenfalls nicht sehr. Ab und zu allerdings …

„Ja, das kannst du wohl sagen“, antwortete sie. Und es konnte wieder eine lange Nacht werden. Emily hatte drei schlaflose Nächte hinter sich, weil sie ständig nach Gretta gesehen hatte.

„Den neuen Arzt hast du doch schon kennengelernt, oder? Den haben sie ja schnell hergeschafft, damit er deine Ruby operiert. Em, der Typ ist umwerfend! Kein Ehering. Obwohl das bei Chirurgen nichts zu sagen hat, sie tragen sie nie. Wegen der Infektionsgefahr, ist schon klar, aber irgendwie auch unfair. Man weiß nicht, ob sie verheiratet sind oder nicht. Bei ihm vermute ich, dass er Single ist. So schnell, wie er hier war und das aus den USA! Em, du arbeitest mit ihm zusammen. Willst du nicht dein Glück versuchen?“

Sicher doch, ich mache mich an Oliver ran. Wenn Sophia wüsste …

Emily lächelte, als wäre es ein völlig normaler Schwatz unter Hebammen, die ihren Beruf liebten, aber auch gern das Liebesleben anderer unter die Lupe nahmen. Sie wandte sich dem mannshohen Spiegel des Umkleidebereichs zu und verzog das Gesicht beim Anblick, der sich ihr bot: Verwaschene Jeans, an einem Knie eingerissen. Turnschuhe mit Schnürsenkeln, die aussahen, als würden sie bald reißen. Eine Jacke mit Milchflecken auf der Schulter. Warum war ihr das nicht aufgefallen, bevor sie das Haus verließ?

Ich muss dringend zum Friseur, dachte sie. Oliver hatte ihr Haar geliebt. Damals war es länger gewesen, schimmernde braune Locken voller Spannkraft. Sie hatte es mit einem guten Shampoo und Conditioner gepflegt, regelmäßig eine Haarkur aufgetragen und mit dem Lockenstab Fülle hineingezaubert.

Mittlerweile kaufte sie Shampoo und Spülung im günstigen Fünferpack beim Discounter, und ihr Lockenstab rostete im Schrank unter dem Waschbecken vor sich hin.

Oliver hatte sie nie mit diesen matten braunen Strähnen und herausgewachsenem Schnitt gesehen … bis heute.

Und Sophia schlug vor, dass sie Oliver schöne Augen machte!

„Oliver Evans und jemand wie ich? Das kann nicht dein Ernst sein, Sophia!“

„Versuch macht klug.“ Sophia trat hinter sie und blickte ihr über die Schulter in den Spiegel. „Du bist wirklich hübsch, Em. Mit ein bisschen Aufwand …“

„Mehr ist nicht drin, Sophia. Meine Energie brauche ich für die Kinder.“

„Aber du kommst dabei zu kurz.“

„Nein, ich gebe ihnen eine Chance.“ Sie blickte auf ihre Armbanduhr und stöhnte unterdrückt. „Schon so spät? Ich muss los. Amüsier dich gut heute Abend!“

„Ich wünschte, ich könnte das auch zu dir sagen. Aber zu Hause mit deiner Mutter und zwei Kids …?“ Sie biss sich auf die Lippe, und Em verstand, was sie meinte.

Sophia hatte das gleiche Problem wie sie: Sie konnte keine Kinder bekommen. Allerdings hatte sie ihr auch anvertraut, dass Emilys Lösung für sie nicht infrage kam.

„Ich möchte es nicht anders haben“, antwortete Em vehement. Ein bisschen zu vehement vielleicht. „Hab viel Spaß im … wo gehst du hin?“

„In die Rooftop Bar. Zufällig hat Madeleine deinem Dr. Evans gegenüber erwähnt, dass wir uns alle dort treffen.“ Sie lächelte verschmitzt, suchte kurz in ihrer Handtasche und förderte einen Lippenstift zutage. „Aber wenn du nicht interessiert bist …“

„Er gehört ganz dir. Viel Glück. Auf mich wartet der Supermarkt.“

„Em, ich wünschte …“

„Lass gut sein, Sophia“, unterbrach Emily sie schärfer als gewollt. „Dieses Leben habe ich mir selbst ausgesucht, und ich bin glücklich damit. Wahrscheinlich sitzt Dr. Evans an der Bar, und das ist das Leben, das er gewählt hat. Wir sind alle da, wo wir hingehören. Was will man mehr?“

Isla Delamere war die leitende Hebamme – und die Tochter des Krankenhausdirektors. Außerdem hatte sie sich kürzlich mit einem der Neonatologen und Intensivmediziner des Victoria Hospitals verlobt. Mit Isla legte man sich besser nicht an, hatte Oliver gedacht, als Charles sie ihm vorgestellt hatte.

Bei Dienstschluss sah er sie zum zweiten Mal an diesem Tag.

„Wie viele in-utero-Prozeduren hatten Sie schon für mich geplant, als ich noch nicht einmal gelandet war?“, meinte er scherzhaft, weil er allein am Nachmittag drei Termine gehabt hatte. „Hier wird man ja gleich ins kalte Wasser geworfen.“

„Sie erledigen nur die Operationen“, erwiderte sie lächelnd. „Meine Hebammen halten alles andere am Laufen. Ich habe das beste Team, das Sie sich vorstellen können.“

„Meine Hebamme war heute Morgen auch am Laufen. Sie kam zu spät.“ Das hätte er nicht sagen dürfen. Oliver merkte es bereits, als er den Mund noch nicht wieder geschlossen hatte. Auf keinen Fall wollte er Em in Schwierigkeiten bringen.

„Das tut mir sehr leid.“ Isla reagierte völlig gelassen. „Als Em zum Dienst erschien, hatten wir innerhalb von einer Viertelstunde drei Geburten. Ich weiß, dass sie sich in erster Linie um Ruby kümmern soll, aber das eine Kind war ein Frühchen, die Mutter völlig hysterisch. Niemand kann eine aufgeregte Mum besser beruhigen als Em. Ich habe sie nur für die letzten fünfzehn Minuten hinzugezogen, aber sie hat uns sehr geholfen. Sie sind doch in der Zeit allein klargekommen?“ Fragend hob sie die wunderschön geschwungenen Brauen.

Toll. Jetzt hielt ihn die leitende Hebamme für ein Weichei. Großartiger Einstand!

„Einige von uns treffen sich nach der Arbeit in der Rooftop Bar“, sagte Isla. „Hat Ihnen jemand Bescheid gesagt? Sie sind herzlich willkommen, uns Gesellschaft zu leisten.“

„Danke, aber ich muss mich um ein Problem kümmern.“

„Ihr Wagen?“ Sie lächelte immer noch.

Oliver dachte, dass solche Geschichten hier im Krankenhaus mit Wonne die Runde machten. Teurer Wagen des neuen Chirurgen werkstattreif demoliert. Zumal sich die meisten ein Gefährt wie seinen Morgan gar nicht leisten konnten.

„Emily wird Ihnen den Schaden ersetzen“, fuhr Isla fort. „Es tut ihr unendlich leid, sie war untröstlich, als sie heute Morgen hier ankam. Verlassen Sie sich darauf, Sie werden bald von ihrer Versicherung hören.“

„Ist sie nachher auch in der Bar?“

„Em? Du meine Güte, nein. Zu Hause warten zwei Kinder auf sie.“

„Zwei?“

„Gretta ist vier und Toby zwei. Süße Kinder, aber sie halten Em ziemlich auf Trab.“

„Das glaube ich.“ Eine vierjährige Tochter? War ein Wunder geschehen? Em hatte sich anscheinend sehr schnell neu orientiert! „Ihr Partner …“, begann er, ehe er sich zurückhalten konnte. Geheiratet haben konnte sie nicht, weil sie nicht geschieden waren. Aber es musste jemand anders geben. „Ist er auch Mediziner? Hat sie Hilfe?“

Islas Gesicht verschloss sich. „Das müssen Sie schon Em persönlich fragen“, erwiderte sie knapp. „Kann ich noch etwas für Sie tun?“

Ja, mir mehr über Emily erzählen. Sicher wusste sie alles, was er wissen wollte. Trotzdem machte er einen Rückzieher. Oliver wollte keine schlafenden Hunde wecken. Evans war ein häufiger Name. Anscheinend hatte Em niemandem gesagt, dass er – wenn auch nur noch auf dem Papier – ihr Mann war.

Am besten beließ er es dabei.

„Nein, vielen Dank.“

„Dann gute Nacht.“

Im Parkhaus fand er den Platz neben seinem leer vor. Natürlich war Em längst zu Hause. An der Windschutzscheibe seines Wagens entdeckte er einen Zettel.

Oliver, es tut mir wirklich wahnsinnig leid. Es war alles meine Schuld, und ich habe den Schaden meiner Versicherung gemeldet. Kopien meines Führerscheins und der Versicherungsdaten liegen hier bei. Eine der Krankenschwestern auf der Station hat eine Werkstatt empfohlen, die auf Oldtimer spezialisiert ist. Die Adresse steht unten. Wir sehen uns das nächste Mal bei Ruby.

Em

Kein einziges persönliches Wort. Es ging nur um seinen Wagen.

Tja, was hast du erwartet? Ohne Wenn und Aber hatte sie die gesamte Schuld auf sich genommen. Wahrscheinlich musste Em auch noch einen Selbstbehalt von mehreren hundert Dollar zahlen. Außerdem würde sie ihren Schadensfreiheitsrabatt verlieren.

Er konnte sich das leisten. Sie auch?

Noch einmal las er die wenigen Zeilen. Was hoffte er zu erfahren? Private Einzelheiten?

Ihr Führerschein verriet ihm nur, was er schon wusste. Emily Louise Evans. Sie hatte also seinen Namen behalten. Und sie wohnte bei ihrer Mutter.

Oliver hatte Adrianna immer gemocht – und sie seit Jahren nicht gesehen.

Sollte er vorbeifahren, Hallo sagen?

Und warum?

„Weil Em nicht allein für den Schaden aufkommen soll“, murmelte er. „Wenn sie wirklich allein zwei Kinder großzieht …“

Sie hatte geschrieben, dass sie die Versicherung informiert hätte. Vielleicht konnte er noch etwas richtigstellen, einen Teil der Kosten übernehmen.

Die selbstbewusste, unabhängige Em, die er vor fünf Jahren gekannt hatte, würde ihm sagen, dass er sich sein Geld sonst wohin schieben könnte.

Wirklich? Sein letztes Bild von ihr war ein anderes gewesen. Sie war wie am Boden zerstört gewesen, ohne Hoffnungen für die Zukunft, unendlich traurig.

Wenn du nicht willst, mache ich es allein. Glaubst du, ich kann wieder so leben, wie wir vorher gelebt haben? Arbeiten, abends mit Freunden feiern gehen … das ist für mich vorbei. Ich will nicht mehr nur für mich leben.

Auch nicht für uns?

Ich dachte, wir wollten eine Familie gründen. Mir war nicht klar, dass es Bedingungen gibt.

Em, ich kann das nicht.

Und deshalb gehst du?

Du lässt mir keine Wahl.

Wahrscheinlich nicht. Es tut mir leid, Oliver.

Fünf Jahre …

Okay, ihre Ehe war gescheitert. Trotzdem fühlte er sich irgendwie immer noch für Em verantwortlich.

Ich will nur nachsehen, wie es ihr geht, dachte er. Außerdem hatte er sowieso vorgehabt, Adrianna zu besuchen.

Um mit ihr über Em zu reden?

Vielleicht. Er war über sie hinweg. In den vergangenen Jahren hatte er zwei, drei Beziehungen gehabt, nichts von Dauer. Doch, für ihn war das Leben auch weitergegangen.

„Packen wir’s an“, sagte er, holte sein Smartphone heraus und bestellte Abschleppdienst und Mietwagen.

Eine halbe Stunde später bog er auf die Schnellstraße ab, die zu dem Vorort führte, wo seine Exschwiegermutter lebte. Zusammen mit seiner Frau und ihren zwei Kindern.

„Sag das noch mal. Wessen Auto hast du gerammt?“

„Olivers.“ Em fütterte Toby, eine schmierige, aber fröhliche Angelegenheit. Toby war zwei Jahre alt und schwelgte in seinem Lieblingsessen. Adrianna hatte ihm Tiernudeln in Tomatensoße gekocht. Und nun begutachtete er entweder jedes Tier auf dem Löffel ganz genau, oder er schlang gierig drei Löffel voll hintereinander hinunter, als gäbe es morgen nichts mehr zu essen.

Adrianna saß am alten gusseisernen Küchenofen und hielt Gretta im Arm. Die Kleine bekam schwer Luft.

So geht es nicht mehr lange weiter.

Der Gedanke tat weh, und sie schob ihn weit von sich.

„Und er arbeitet am Victoria?“

„Genau. Seit heute.“

„Oh, Em … Kannst du dort bleiben?“

„Ich kann nicht kündigen, wir brauchen das Geld. Außerdem gibt es für Hebammen in ganz Melbourne keinen besseren Job. Ich arbeite gern mit Isla und ihrem Team zusammen.“

„Dann sag ihm, er soll sich etwas anderes suchen. Du warst zuerst da.“

„Als könnte ich einem Mann wie Oliver Evans so etwas sagen. Abgesehen davon wird er am Victoria gebraucht. In der Mittagspause habe ich seinen Lebenslauf im Internet gelesen. Seine Referenzen sind noch beeindruckender als dam...

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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Als älteste Tochter einer großen Familie war Josie nie einsam, doch da ihr Vater bei der Armee war und häufig versetzt wurde, hatte sie selten Gelegenheiten, Freundschaften zu schließen. So wurden Bücher ihre Freunde und Fluchtmöglichkeit vor ihren lebhaften Geschwistern zugleich. Nach dem Schulabschluss wurde sie zur Lehrerin ausgebildet, mit...
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<p>Die Australierin Lilian Darcy hat einen abwechslungsreichen Weg hinter sich. Sie studierte Russisch, Französisch und Sprachwissenschaften und ging nach ihrem Abschluss als Kindermädchen in die französischen Alpen. Es folgten diverse Engagements am Theater, sowohl auf der Bühne als auch als Drehbuchautorin. Später hat Lilian Darcy als Lehrerin für Französisch und...
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