Auch Milliardäre brauchen Liebe

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Der milliardenschwere Brasilianer Victor weiß genau, was er will - eine lockere Affäre. Denn nie mehr wird er einer Frau erlauben, ihm zu nahe zu kommen. Die sanftmütige Engländerin Araminta geht ihm allerdings tiefer unter die Haut, als er sich eingestehen will…


  • Erscheinungstag 12.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779368
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

An einem trüben Dienstagnachmittag im Oktober parkte Araminta Dampierre gedankenverloren ihren alten Landrover vor dem Dorfladen, als sie plötzlich einen Ruck spürte und einen dumpfen Knall hörte. Betroffen drehte sie sich um und sah den Geländewagen, gegen den sie gerade geprallt war.

Seufzend stieg sie aus und begutachtete die verbeulte Stoßstange des silber glänzenden Range Rovers. Ihr eigener Landrover war auch vorher nicht im besten Zustand gewesen, ganz im Gegensatz zu dem anderen Wagen, einem brandneuen Modell. Verärgert über ihr Missgeschick, sah sie sich auf der verlassenen Dorfstraße nach dem Besitzer um, konnte aber niemanden entdecken.

Nach einem letzten zerknirschten Blick auf den Schaden, den sie angerichtet hatte, beschloss sie, ihre Einkäufe fortzusetzen. Vielleicht kehrte der Fahrer des chromblitzenden Gefährts, das ihr von Herzen zuwider war, inzwischen zurück, um seiner Empörung Luft zu machen. Oder die Fahrerin. Missmutig stellte Araminta sich vor, wie eine dieser todschicken Direktorengattinnen, von denen es in Sussex in letzter Zeit nur so zu wimmeln schien, sie wütend beschimpfte.

Sie betrat nun den Laden, überreichte dem guten alten Mr. Thompson ihre Einkaufsliste und sah geduldig zu, wie er umherschlurfte, um die Waren aus den Regalen zu holen.

„Und wie geht es der verehrten Lady?“, erkundigte sich der Lebensmittelhändler mit dem weißen Haar und den dicken Brillengläsern freundlich.

„Meiner Mutter geht es gut, vielen Dank“, erwiderte Araminta lächelnd. „Sie hat sich von ihrer Bronchitis erholt.“

„Dem Himmel sei Dank. Ein Elend war das! Meine Frau hatte es auch erwischt.“

„Das tut mir leid.“ Araminta warf einen flüchtigen Blick durchs Fenster auf die Autos draußen und hoffte, dass ihr die Einzelheiten von Mrs. Thompsons Krankengeschichte erspart blieben.

„War’s das?“ Mr. Thompson schenkte Araminta ein wohlwollendes Lächeln. Er kannte sie, seit sie als Kind nach dem Besuch des Ponyclubs immer zu ihm in den Laden gekommen war, um Süßigkeiten zu kaufen.

„Danke, ich glaube, das ist alles. Schreiben Sie es bitte auf die Rechnung, wie immer. Und bestellen Sie Mrs. Thompson gute Besserung von mir.“

„Danke, Miss, ich richte es aus.“

Mit einer braunen Papiertüte unter dem Arm trat Araminta auf die Straße hinaus. Wie merkwürdig, dachte sie, dass man mich hier immer noch Miss nennt. Immerhin war sie achtundzwanzig und bereits verwitwet.

Sie legte ihre Einkäufe auf den Beifahrersitz ihres Wagens und überlegte, was sie tun sollte. Von dem Fahrer des Range Rovers war weit und breit nichts zu sehen. Es konnte noch eine Ewigkeit dauern, bis er auftauchte, und sie hatte nicht den ganzen Nachmittag Zeit, um hier herumzustehen und zu warten.

Schließlich zog sie Notizblock und Stift aus ihrer altgedienten Hermès-Tasche, kritzelte etwas auf einen Zettel und klemmte ihn hinter den Scheibenwischer des Range Rovers. Wenn sich der Besitzer des Wagens bei ihr meldete, würde sie ihm ihre Versicherungsdaten durchgeben.

„Da bin ich wieder!“, rief Araminta in den Salon hinein, wo ihre Mutter mit einem Buch am Kaminfeuer saß.

„Sehr gut. Ich habe Olive gerade darum gebeten, den Tee zu servieren.“

„Okay, ich bin gleich wieder da. Ich bringe nur schnell die Lebensmittel in die Speisekammer. Viele Grüße von Mr. Thompson übrigens.“

„Besten Dank.“ Lady Drusilla nickte huldvoll. „Ich muss mich dringend um den Weihnachtsbasar kümmern, und du könntest mir dabei helfen, Araminta, anstatt diese albernen Kinderbücher zu schreiben. Höchste Zeit, dass du dich am Riemen reißt und etwas Vernünftiges tust. Nach dem Tod deines Vaters habe ich mich nicht so hängen lassen.“

„Bitte, Mutter, fang nicht wieder davon an.“

„Schon gut.“ Lady Drusilla verdrehte die Augen, und Araminta stahl sich davon.

Ich muss mir endlich ein eigenes Zuhause suchen, dachte sie, als sie die Hintertreppe hinauf in die Küche ging. Es war ihre eigene Schuld, dass sie sich ständig die Kommentare ihrer Mutter anhören musste. Doch sie hätte es nicht ertragen und es sich auch nicht leisten können, das Haus zu behalten, in dem sie mit Peter gelebt hatte. Es hatte sie enorme Anstrengung gekostet, es zu räumen, zum Verkauf anzubieten und die Hypothek abzuzahlen. Jetzt aber, das spürte sie, war es Zeit für eine Veränderung.

Das Erste, was Victor Santander sah, als er auf seinen neuen Range Rover zuging, war die hässliche Beule im rechten Kotflügel. Irgendein Idiot hatte ihn beim Zurücksetzen gerammt und nicht einmal den Anstand besessen, auf ihn zu warten. Er ging in die Hocke, begutachtete den Schaden und stellte fest, dass der ganze Kotflügel ausgetauscht werden musste.

Verärgert richtete er sich auf und sah den Zettel unter dem Scheibenwischer. Zumindest seine Telefonnummer hat der Übeltäter hinterlassen, stellte er halbwegs besänftigt fest. Unterschrieben war die Nachricht mit A. Dampierre. Kein Mr., Miss oder Mrs., nur die Initialen.

Nun, dann würde er A. Dampierre wohl anrufen müssen, sobald er wieder auf Chippenham Manor war. Erst gestern war er dort eingezogen, und ein Unfall gleich am ersten Tag seines Aufenthalts in diesem schrulligen englischen Dorf schien ihm kein gutes Vorzeichen zu sein.

Normalerweise genoss er den Anblick der sanften Hügel, der gestutzten Hecken und der Pferde auf den Weiden, wenn er auf der Landstraße unterwegs war, aber der Unfall hatte ihm die Laune verdorben. Selbst das Wetter war miserabel, passte aber zu seiner trüben Stimmung. Auf den gleißenden Sonnenschein in seinem Heimatland konnte er momentan gut verzichten.

Hier hatte er die Möglichkeit, in Ruhe seine Wunden zu lecken und dem Skandal aus dem Weg zu gehen, den Isabellas neueste Affäre in Rio de Janeiro auslösen würde. Niemand belästigte ihn hier.

Zurück auf seinem Landsitz, wurde er schon in der Eingangshalle von freudigem Hundegebell begrüßt. Er lächelte, als ihm seine Golden-Retriever-Hündin Lolo auf dem kostbaren Orientteppich entgegensprang.

„Calma, linda“, sagte er, streichelte dem Hund den Kopf und wandte sich zum Arbeitszimmer. „Ruhig, meine Hübsche. Du wirst dich schon daran gewöhnen, in einem großen englischen Landhaus zu leben. Das gefällt dir doch besser als das Penthouse in Rio, oder?“ Er dachte an sein weitläufiges, modernes, in kühlem Marmor gehaltenes Apartment in Ipanema und war froh, weit weg zu sein. Weg von der Wohnung und von den unliebsamen Überraschungen, die seine Frau, die nun bald seine Exfrau sein würde, ihm bereitet hatte. Der Abstand zwischen Isabella und ihm hätte größer kaum sein können, weder räumlich noch gefühlsmäßig.

Aber immer noch nicht groß genug, dachte er grimmig.

Er fischte den Zettel aus der Hosentasche und beschloss, diesen A. Dampierre sofort anzurufen, um die unerfreuliche Angelegenheit hinter sich zu bringen.

Mühsam beherrscht setzte er sich an den großen, mit Akten und Fotos von Rennpferden bedeckten Schreibtisch und wählte die angegebene Telefonnummer. Der Vorwahl nach zu urteilen war A. Dampierre jemand aus der Gegend. Vermutlich ein tollpatschiger Farmer, dachte Victor.

„Taverstock Hall hier“, meldete sich nach mehrmaligem Läuten eine vornehme Frauenstimme.

„Guten Tag, könnte ich bitte …“, er zögerte, „… einen A. Dampierre sprechen?“

Einen A. Dampierre?“, fragte die Stimme pikiert.

„Leider kenne ich nur den Anfangsbuchstaben des Vornamens“, erwiderte er kühl.

„Oh, ich verstehe. Sie meinen wahrscheinlich … Einen Moment, bitte.“ Er hörte gedämpfte Geräusche im Hintergrund.

„Hallo?“ Eine andere, sehr viel weichere Frauenstimme meldete sich, und Victor war überrascht, dass es sich bei A. Dampierre um eine Frau handelte. Er hatte einen stämmigen, rotgesichtigen Farmer erwartet, und dazu passte diese Stimme nun wirklich nicht, was ihn aber nicht milder stimmte.

„Verzeihen Sie, Madam, an meiner Windschutzscheibe steckte eine Nachricht von einem gewissen A. Dampierre. Sind Sie das?“

„Ja, richtig. Die Stoßstange. Tut mir leid, dass das passiert ist. Ich habe sie beim Einparken aus Versehen gerammt.“

„Was Sie nicht sagen.“

„Ich fürchte, ich habe nicht richtig aufgepasst“, sagte die Frau am anderen Ende der Leitung zerknirscht.

„Das“, erwiderte er sarkastisch, „liegt wohl auf der Hand.“

„Meine Versicherungsgesellschaft wird sich darum kümmern“, erwiderte sie, nicht mehr ganz so kleinlaut.

„Ja, sicher“, meinte er unwirsch.

„Es tut mir leid, dass ich Ihnen Unannehmlichkeiten verursacht habe.“ Die Stimme klang jetzt um einiges frostiger. „Wenn Sie wollen, rufe ich sofort bei der Versicherung an und erkläre den Fall.“

Victor zögerte einen Moment, dann gewann seine Neugier die Oberhand. Er lächelte. „Vielleicht sollten wir uns lieber persönlich treffen, um unsere Daten auszutauschen.“

Nach kurzem Zögern kam die Antwort. „Einverstanden. Wann passt es Ihnen?“

Er überlegte. Nun, da er eingezogen war und seine Pferde im nahe gelegenen Rennstall gut untergebracht waren, hatte er nicht mehr viel zu tun. Und diese Stimme machte ihn neugierig.

„Wäre es Ihnen morgen früh um zehn Uhr recht?“

„Ja, in Ordnung.“

„Aber nicht vor dem Lebensmittelladen, wenn ich bitten darf“, fügte er mit einem Anflug von Humor hinzu.

Ein schönes, melodisches Lachen drang aus dem Hörer. „Nein, lieber nicht. Wo wohnen Sie?“

„Auf Chippenham Manor.“

„Chippenham? Dann sind Sie ja unser neuer Nachbar! Ich lebe in Taverstock Hall. Unsere Grundstücke grenzen aneinander.“

„So? Dann wird es höchste Zeit, dass ich mich vorstelle“, erwiderte Victor und fragte sich im Stillen, ob sich hinter dieser reizenden Stimme womöglich eine Frau Mitte sechzig mit Übergewicht und Doppelkinn verbarg. Geschähe mir recht, dachte er. „Gestatten, Victor Santander.“

„Ja, also … Araminta Dampierre.“

„Sehr erfreut. Dann bin ich morgen um zehn Uhr bei Ihnen.“

„Wenn Sie nichts dagegen haben, komme ich lieber nach Chippenham Manor“, sagte sie schnell. „Ich bin um diese Zeit sowieso unterwegs.“

„Ganz wie Sie wünschen. Ich erwarte Sie also um zehn bei mir.“

„Und die Sache mit der Stoßstange tut mir wirklich leid.“

„Das braucht Ihnen nicht leid zu tun, es ist nun einmal passiert. Bis morgen dann.“

Er legte auf, betrachtete das Foto von Copacabana Baby, seiner Lieblingsstute, und fragte sich, warum die Frau seinen Vorschlag, nach Taverstock Hall zu kommen, so energisch abgelehnt hatte. Vielleicht hatte sie einen jähzornigen Ehemann, der ihr eine Szene machte, wenn er von dem Unfall erfuhr.

Mit einem Glas Whisky setzte er sich wieder an den Schreibtisch, um die Akten seiner Pferde zu studieren.

„Wer, um alles in der Welt, war denn dieser merkwürdige Mann am Telefon?“, erkundigte sich Lady Drusilla, während sie argwöhnisch die Schale mit Gebäck auf dem Tisch musterte.

„Unser neuer Nachbar im Gutshaus. Er klingt ein wenig arrogant.“

„Ein Ausländer, nehme ich an. A. Dampierre – was für eine seltsame Art, nach dir zu fragen!“

„Es war nicht seine Schuld. Ich hatte ihm einen Zettel an die Windschutzscheibe gesteckt und mit A. Dampierre unterschrieben.“

„Du hast einem fremden Mann einen Zettel ans Auto gesteckt?“ Lady Drusilla zog entsetzt die Augenbrauen hoch. „Also wirklich, Araminta! Was hast du dir dabei gedacht?“

„Ich bin aus Versehen gegen sein Auto gefahren“, erklärte Araminta geduldig, schob ihr langes blondes Haar in den Nacken und beugte sich vor, um Tee einzuschenken.

„Wie unaufmerksam von dir!“

„Das weiß ich selbst“, sagte sie gereizt. „Aber er war sehr entgegenkommend.“

„Das will ich hoffen. Schließlich hat er nicht jeden Tag die Ehre, von einer Taverstock angefahren zu werden.“

„Mutter, wie kannst du nur so überheblich sein?“, fragte Araminta empört. Ihre blauen Augen funkelten vor Zorn.

„Ich muss mich unbedingt bei Marion Nethersmith erkundigen, wer dieser Mann ist und was auf dem Gut vor sich geht“, überging Lady Drusilla den Einwand ihrer Tochter. „Schlimm, dass man heutzutage nicht einmal mehr weiß, wer in die Nachbarschaft zieht.“

„Das werde ich bald wissen“, sagte Araminta trocken. „Ich soll ihm morgen früh um zehn meine Versicherungsunterlagen bringen.“

„Also wirklich, Araminta! Wie kannst du dich nur dazu herablassen, als verheiratete Frau … als Witwe, meine ich. Warum hast du ihm nicht gesagt, er soll herkommen?“

„Weil …“ Araminta unterbrach sich. Weil ich niemandem, schon gar keinem Fremden, dein unmögliches Benehmen zumuten kann, hatte sie sagen wollen, doch sie behielt es für sich. „Ich muss morgen sowieso ins Dorf.“

„Nun gut. Sei so lieb und reich mir ein Plätzchen, Liebes. Ich denke, eins kann nicht schaden.“

2. KAPITEL

Pünktlich um zehn Uhr morgens fuhr Araminta in verwaschenen Jeans, Regenjacke und Gummistiefeln mit ihrem alten Landrover die kiesbestreute Einfahrt von Chippenham Manor hinauf. Erstaunt stellte sie fest, dass die ehemals verwilderten Gartenanlagen vom Unkraut befreit, die Hecken gestutzt und die Wege geharkt waren. Wer immer Mr. Santander war, er legte offenbar Wert auf eine gepflegte Umgebung.

Nach Sir Edwards Tod war das Gut lange Zeit vernachlässigt worden, weil der Erbe, ein entfernter Cousin, nur daran interessiert gewesen war, es zu verkaufen. Dass sich der neue Besitzer nun darum kümmerte, wirkte Vertrauen erweckend auf Araminta.

Als sie aus dem Auto sprang, sah sie den nagelneuen Range Rover mit der lädierten Stoßstange neben einem blitzblanken Bentley stehen und seufzte. Sie stieg die Vortreppe hinauf, läutete, und ein südländisch aussehender Mann in Dienstbotenuniform öffnete ihr die Tür.

„Mr. Santander erwartet mich“, sagte sie erstaunt. Chippenham Manor war zwar ein großes, komfortables englisches Landgut, aber mit uniformiertem Personal hatte sie nicht gerechnet.

„Mrs. Dampierre?“, fragte der Mann höflich und hielt ihr, als sie bejahte, mit einer Verbeugung die Tür auf. „Bitte folgen Sie mir.“

Noch im Eingang blieb Araminta verwundert stehen, denn die Halle war nicht wiederzuerkennen. Zwar hatte sich herumgesprochen, dass das Gutshaus renoviert wurde, aber da Londoner Firmen die Arbeiten ausführten, hatte niemand im Ort etwas Näheres darüber gewusst.

Staunend betrachtete sie die schöne Wandverkleidung, die stilvollen Leuchter und die farbenfrohen, ausgefallenen Kunstwerke. Mitten auf dem blendend weißen Marmorboden, der zu Sir Edwards Zeiten abgenutzt und schäbig ausgesehen hatte und seiner Haushälterin immer ein Dorn im Auge gewesen war, stand ein kleiner runder Tisch mit einem prächtigen Blumengebinde.

„Hier entlang bitte, Madam“, sagte der Bedienstete.

An der Schwelle zum Salon verschlug es ihr vor Überraschung die Sprache. Verschwunden waren die muffigen alten Wandbehänge aus schmutzig-grünem Brokat, die schlaffen Fransengardinen und die düsteren Porträts von Sir Edwards unattraktiven Vorfahren. Jetzt erstrahlte der Raum in hellen Farben, an den Fenstern hingen duftige weiße Vorhänge, die bis auf den glänzenden Parkettboden hinabreichten, und es gab eine moderne, bequeme Sitzecke mit pastellfarbenen Kissen. Die Wände aber zierten Gemälde in so leuchtenden Farben, wie Araminta sie noch nie gesehen hatte.

„Sie scheinen etwas anderes erwartet zu haben.“

Araminta fuhr herum und stolperte beinahe über die Kante eines dicken handgeknüpften Teppichs. Vor ihr stand ein gut eins neunzig großer Mann, der sie aus seinen dunklen Augen amüsiert musterte. Sein Haar war tiefschwarz, an den Schläfen von silbrigen Strähnen durchzogen, seine Züge waren stolz und eine Spur arrogant.

„Hoffentlich ist Wohlgefallen und nicht Entsetzen der Grund für Ihren kritischen Blick.“ Er zog fragend die Augenbrauen hoch und begutachtete Araminta eingehend von Kopf bis Fuß, bevor er mit ausgestreckter Hand auf sie zukam. „Ich bin Victor Santander.“

„Araminta Dampierre“, erwiderte sie verwirrt. „Und mein Blick war nicht kritisch, nur erstaunt. Ich hätte nicht gedacht, dass Sir Edwards düsterer Salon so schön aussehen könnte.“

„Gefällt er Ihnen?“

Er hielt ihre Hand einen Moment länger als nötig, und Araminta verspürte ein merkwürdiges Kribbeln auf der Haut. Schnell entzog sie ihm die Hand.

„Ja. Die Einrichtung ist … ungewöhnlich, so hell und fröhlich. Und so gar nicht englisch! Aber trotzdem sehr gelungen“, setzte sie verlegen hinzu. Schlimm genug, dass sie seinen Wagen gerammt hatte. Sie musste ihn nicht auch noch vor den Kopf stoßen.

„Vielen Dank, ich fasse das als Kompliment auf. Ich wollte das alte Haus ein wenig heiterer gestalten. Hoffentlich habe ich es nicht übertrieben mit der lateinamerikanischen Kunst“, meinte er zweifelnd.

„Nein, bestimmt nicht. Das macht ja gerade den Reiz aus“, versicherte sie. Sie straffte die Schultern und wünschte, sie hätte sich etwas Hübscheres angezogen als alte Jeans und einen Pulli. Nicht, dass es darauf ankam. Aber ihr Gastgeber wirkte so aufreizend selbstsicher und kultiviert in seiner perfekt sitzenden beigefarbenen Cordhose, dem Hemd mit Krawatte und der blassgelben Kaschmirweste, dass sie es bereute, sich mit ihrer Garderobe nicht mehr Mühe gegeben zu haben.

„Ich möchte mich noch einmal für mein Missgeschick entschuldigen. Das mit Ihrem Wagen tut mir wirklich leid.“

„Nicht so wichtig.“ Er winkte lässig ab. „Bitte, legen Sie doch ab. Manuel wird uns Kaffee bringen.“ Er wandte sich an den Angestellten, der im Türrahmen stand, und sagte leise etwas in einer Sprache zu ihm, die Araminta nicht verstand. Der andere Mann trat einen Schritt vor, nahm ihr die Jacke ab und verschwand.

„Nehmen Sie Platz!“ Einladend deutete Victor Santander auf eins der breiten Sofas. „Wir sind also Nachbarn. Leben Sie zusammen mit Ihrem Gatten in Taverstock Hall?“, fragte er und musterte die große, graziöse Frau mit den schönen blauen Augen, der makellosen Haut und dem langen blonden Haar, das ihr in Wellen über die Schultern fiel, aufmerksam. Zu seinem Bedauern ließ ihr übergroßer Pullover ihre Figur nur erahnen. Doch sie war zweifellos eine Schönheit, seine Nachbarin, wenn auch etwas nachlässig.

„Nein, der Besitz gehört meiner Mutter.“

Er beobachtete, wie sie sich anmutig niederließ, und nahm ihr gegenüber Platz.

„Wie ich schon sagte“, fuhr sie fort, „ist mir das Ganze sehr unangenehm. Ich habe meine Versicherungsunterlagen mitgebracht, damit wir die Sache so schnell wie möglich bereinigen können. Oh“, rief sie betroffen, „jetzt habe ich sie in der Jackentasche gelassen!“

„Macht nichts, Manuel wird sie holen.“

„Danke.“

Er ließ den Blick viel sagend über ihre schlanke Gestalt gleiten. „Ehrlich gesagt, ich bin froh, dass Sie meine Stoßstange gerammt haben. Sonst hätte ich vielleicht keine Gelegenheit gehabt, meine reizende Nachbarin kennen zu lernen.“

Er lächelte ein amüsiertes, wohlgefälliges Lächeln, und wieder stellte Araminta verwirrt fest, wie attraktiv er war. Ganz abgesehen davon, dass er sie langsam und genüsslich mit Blicken auszuziehen schien.

„Danke, sehr freundlich.“ Sie setzte sich kerzengerade auf und sah zur Tür, als Manuel mit einem Tablett mit dampfendem Kaffee, zwei Tassen und einer Schale mit winzigen Biskuits hereinkam.

„Ach, der Cafézinho.“ Victor Santander ließ beim Lächeln eine Reihe blendend weißer Zähne sehen. „In meiner Heimat trinkt man ihn den ganzen Tag über.“

„In Ihrer Heimat?“ Sie hatte einen leichten Akzent bei ihm bemerkt, konnte ihn aber nicht einordnen.

„Ich bin Brasilianer. In Brasilien trinken wir zu jeder Tageszeit kleine Tassen sehr starken Kaffees. Der Kaffee, den Sie gleich probieren werden, stammt von meiner eigenen Plantage“, fügte er mit einem Anflug von Stolz hinzu. „Ich lasse Ihnen eine Packung bringen.“

„Nett von Ihnen“, erwiderte Araminta, die sich irgendwie überrumpelt fühlte.

Er schenkte ihr von dem kräftigen schwarzen Kaffee ein, und als sie ihre Tasse entgegennahm, berührten sich ihre Finger. Wieder spürte sie das Prickeln auf der Haut und war wie elektrisiert. Sie zog die Hand so schnell zurück, dass sie beinahe ihren Kaffee verschüttete.

„Hoffentlich sind Sie nicht an koffeinfreien Kaffee gewöhnt.“ Sein Ton war unverändert höflich, aber sein spöttischer Blick verriet, dass er wusste, was in ihr vorging.

„Oh, nein. Ich liebe Kaffee“, versicherte sie und trank einen Schluck von dem heißen, aromatisch duftenden Getränk. „Dieser hier ist köstlich.“

„Gut, dann bekommen Sie von Manuel eine Packung Santander Kaffee.“

„Vielen Dank. Was meine Versicherung betrifft …“ Behutsam stellte sie ihre Tasse auf der Untertasse ab, entschlossen, sich von diesem Mann nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Vielleicht sollten wir jetzt …“

„Ich möchte nicht unhöflich sein“, warf er charmant lächelnd ein, „aber müssen wir wirklich über eine kaputte Stoßstange sprechen? Erzählen Sie mir lieber etwas von sich – wer Sie sind und was Sie machen.“

Araminta, nicht daran gewöhnt, dass jemand sie so unverblümt ausfragte, fühlte sich plötzlich unbehaglich. Victor Santanders bohrender Blick schien die dünne Schutzmauer zu durchdringen, die sie nach Peters Tod um sich herum aufgebaut hatte.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen“, sagte sie nervös. „Ich lebe in Taverstock Hall und schreibe Kinderbücher.“

„Sie sind Schriftstellerin? Wie faszinierend!“

„Überhaupt nicht“, erwiderte sie kühl. „Es ist mein Job, und ich mache ihn gern. Aber jetzt sollten wir uns der Versicherungsangelegenheit zuwenden, Mr. Santander. Ich bin auf dem Weg ins Dorf und habe noch eine Menge zu erledigen.“ Sie sah auf ihre Armbanduhr. Irgendetwas sagte ihr, dass es höchste Zeit war, dieses merkwürdige, beunruhigende Gespräch zu beenden.

Einen Moment lang musterte er sie scharf, dann entspannte er sich, lächelte und zuckte die Schultern. „Wie Sie wünschen. Ich werde Manuel bitten, Ihre Jacke zu bringen.“

„Ja, danke. Wie dumm von mir, die Papiere in der Tasche zu lassen.“

„Keineswegs“, erwiderte er galant. „Sie sind Schriftstellerin. Kreative Menschen sind von Natur aus zerstreut, weil sie immer zum Teil in ihrer Fantasiewelt leben.“

Araminta sah erstaunt auf. „Woher wissen Sie das?“

„Weil ich oft mit Künstlern zusammen bin.“ Er zeigte auf die Bilder an den Wänden. „Die meisten dieser Werke stammen von befreundeten Malern. Brillante Leute, aber man darf sie nicht fragen, wo ihre Schlüssel sind. Wenn ich bei einem von ihnen zu Besuch bin, ist garantiert der Strom abgestellt, weil er vergessen hat, die Rechnung zu bezahlen.“

Er lachte, warm und dunkel, und Araminta schluckte verlegen. Dann konnte sie ihre Heiterkeit nicht länger unterdrücken und brach in fröhliches Gelächter aus. Im selben Moment wurde ihr klar, dass sie seit Jahren nicht mehr so gelacht hatte. Nicht, seit sie das letzte Mal mit Peter …

Doch das gehörte nicht hierher. Sie musste aufhören, ständig an ihre Ehe zu denken.

„Offenbar kennen Sie sich mit Künstlern bestens aus“, sagte sie und lächelte Manuel zu, der ihr die Jacke brachte.

Sie zog die Papiere aus der geräumigen Seitentasche und passte auf, dass nicht auch der restliche Inhalt herausfiel: Schlüssel, Brieftasche, Hundeleine, eine Mohrrübe für ihre Stute Rania und einige Zuckerwürfel. Als Victor Santander die zerfledderten Versicherungsunterlagen musterte, errötete sie. „Leider sind sie ein wenig zerknittert, ich trage sie schon eine Weile mit mir herum.“

„Hauptsache, sie sind gültig.“

„Stimmt.“ Araminta tat, als konzentriere sie sich auf den Inhalt der Dokumente, aber es machte sie nervös, dass ihr Gastgeber aufstand, sich lässig neben sie auf die Sofalehne setzte und ihr vertraulich über die Schulter blickte. Ein Hauch seines würzigen After Shaves stieg ihr in die Nase. „Hier, Mr. Santander“, sagte sie und rückte ein Stück von ihm ab. „Sehen Sie sich die Papiere an. Sollen wir gleich bei der Versicherung anrufen?“

„Lassen Sie mir doch einfach die Unterlagen da“, schlug er vor, nahm sie ihr aus der Hand und warf einen flüchtigen Blick darauf. „Ich kümmere mich darum. Übrigens, da wir Nachbarn sind und noch nicht im Greisenalter, könnten wir uns doch mit Vornamen anreden, oder?“ Fragend zog er die dichten schwarzen Augenbrauen hoch.

„Ja, natürlich“, antwortete sie so lässig, als wären Begegnungen dieser Art für sie an der Tagesordnung. Dann erhob sie sich. „Ich muss jetzt gehen. Vielen Dank für den Kaffee und für Ihr Verständnis.“

„De nada“, antwortete er, „keine Ursache.“ Er stand auf. „Darf ich Ihnen in die Jacke helfen?“

Und wieder spürte sie diesen eigenartigen Schauer, als seine Hände wie zufällig ihre Schultern streiften.

Autor

Fiona Hood Stewart
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