Auf Befehl des Königs

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Marguerite d’Alençon, stolze Mätresse König Henrys, erlebt einen Albtraum. Der König ist ihrer überdrüssig und verheiratet sie mit seinem Gefolgsmann Lord Orrick of Silloth. Tief verletzt, wehrt sich Marguerite gegen die Zärtlichkeiten…


  • Erscheinungstag 06.07.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733760342
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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HISTORICAL erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2005 by Theresa S. Brisbin
Originaltitel: „The King’s Mistress“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL
Band 215 - 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG Hamburg
Übersetzung: Traudi Perlinger

Abbildungen: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733760342

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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Prolog

 

Grafschaft Anjou in Frankreich

November im Jahr des Herrn 1177

 

Der schwere Stoff des bodenlangen Gewandes bauschte sich raschelnd um ihre schlanken Beine, als Marguerite d'Alençon aufgebracht herumfuhr und den König in fassungslosem Entsetzen anstarrte.

"Sire! Ihr wollt mir doch nicht wirklich Eure Gunst entziehen."

"Ich bin Euch stets in Liebe zugetan, schöne Marguerite, auch jetzt, da Ihr mein Kind tragt. Aber eines muss Euch klar sein – der Titel und die Ehre der Königin an meiner Seite bleiben Euch verwehrt."

"Ihr haltet sie wie eine Gefangene, habt Euch ihre Macht und ihre Ländereien angeeignet. Es wäre Euch ein Leichtes, eine andere zur Gemahlin und Königin zu wählen."

Erst nachdem ihr die Worte entschlüpft waren, wurde ihr bewusst, wie gefährlich es war, den Unmut des Plantagenets herauszufordern. Nur darauf bedacht, ihre eigenen Ziele durchzusetzen, hatte sie ihre Grenzen überschritten. Indem sie ihre Gedanken laut aussprach, war sie entschieden zu weit gegangen.

"Es würde Euch wohl anstehen, nicht zu vergessen, dass Eleonores Ländereien bei unserer Vermählung rechtmäßig in den Besitz des Hauses Plantagenet übergingen und ich sie mit Fug und Recht wegen ihres schädlichen Einflusses auf meine Söhne unter Hausarrest stellen ließ. Es würde Euch weiterhin wohl anstehen, Euch nicht in die Angelegenheiten Eures Königs einzumischen."

Henry Plantagenet stand mit hoch erhobenem Haupt, gerötetem Gesicht und geballten Fäusten vor ihr, seine herrische Stimme hallte in dem weitläufigen Gemach wider. Der Zorn des Königs jagte Marguerite eisige Schauer über den Rücken. Sie wünschte sich, ihre unbedachten Äußerungen ungeschehen machen zu können.

"Sire, ich bitte um Vergebung für meine respektlose Rede. Aber ich erträume mir nichts sehnlicher, als Euch lieben zu dürfen, Euch Freude zu bereiten und zu dienen, das ist mein Begehr. Ich trage Euer Kind unter dem Herzen, und mein Herzenswunsch besteht darin, dieses Glück mit Euch zu teilen."

Doch sie konnte sich nicht dazu durchringen, ihre Worte völlig zurückzunehmen. Zu sehr hatte sie, die fest davon überzeugt war, ihm einen Sohn zu gebären, sich erhofft, Königin zu werden. Schließlich entstammte sie einem alten französischen Adelsgeschlecht und war geeignet, den Platz an seiner Seite einzunehmen. Das Blut, das in ihren Adern floss, ließ sich bis zu Karl dem Großen zurückverfolgen.

Aber sie war auch klug und realistisch genug, um ihren Stolz zu mäßigen. Marguerite sank mit geneigtem Haupt in einen tiefen Hofknicks zu seinen Füßen und verharrte lange in dieser demütigen Haltung. Nach einer Weile hob sie seine Hand an ihre Lippen, hauchte einen ehrerbietigen Kuss darauf und berührte seinen Handrücken mit der Stirn.

"Ich gehöre Euch, Henry", flüsterte sie ergeben. "Ich lebe nur dafür, Euch zu lieben und zu dienen."

Ihre Worte beschwichtigten das aufbrausende Temperament des Königs, sein Atem beruhigte sich, sein Unmut schwand. Er half ihr beim Aufstehen und führte sie zu einem Stuhl. Nachdem sie sich gesetzt hatte, begann er schweigend auf und ab zu wandern. Marguerite war dieses Verhalten nicht fremd. Jedes Mal, wenn er mit unangenehmen und unerwünschten Situationen konfrontiert wurde, reagierte er aufbrausend und barsch, fasste sich aber rasch und wurde wieder umgänglich und aufgeschlossen.

Seine in Ungnade gefallene Gemahlin Eleonore von Aquitanien völlig zu verstoßen, würde bedeuten, sich mit den Kirchenfürsten und dem Hochadel anzulegen. Henry hatte keinesfalls die Absicht, sich noch stärker in Auseinandersetzungen auf dem Kontinent und mit den Adeligen im eigenen Herrschaftsgebiet zu verstricken. Zwar hatte Eleonore von Aquitanien heimlich eine Revolte ihrer Söhne gegen ihren Vater Henry unterstützt, doch dem König lag daran, eine friedliche Lösung zu finden, um einerseits die Königin endgültig zu entmachten, ohne andererseits den Fehler ihres ersten Gemahls, Louis VII., König von Frankreich, zu begehen, der bei der Auflösung seiner Ehe mit ihr gezwungen gewesen war, seinen Landbesitz an Eleonore abzutreten.

Marguerite griff nach dem Kelch, um ihre trockene Kehle mit einem Schluck des süßen Weines anzufeuchten. Mit heimlichen Blicken folgte sie dem rastlosen Umhergehen des Königs und hatte bald den Eindruck, Henry beginne sich allmählich mit ihren Gedanken anzufreunden. Sie lehnte sich im hohen Stuhl zurück und wartete. Es wäre nicht ratsam gewesen, ihn jetzt in seinen Grübeleien zu stören. Sein langes Schweigen machte sie beklommen, doch dann hielt er endlich inne und wandte sich ihr zu.

"Vor einigen Jahren", begann der König, "unterstützte ich einen Mönch aus Sempringham in seinem Kampf gegen seine revoltierenden Laienbrüder, welche unbotmäßige Forderungen stellten." Marguerite konnte sich nicht denken, worauf er damit hinauswollte, wartete aber geduldig auf seine weitere Erklärung. "Heute erfreut sich dieser Orden, der unter meinem Patronat steht, eines regen Zulaufs. Eines dieser mittlerweile gegründeten Nonnenklöster, dem ein Laienstift angeschlossen ist, wäre der geeignete Ort, wo Ihr die Geburt Eures Kindes abwarten könnt."

Hatte er die Absicht, sie zu verstoßen?

"Hoheit, wollt Ihr mich etwa in ein Kloster verbannen?" Der Gedanke nahm ihr den Atem. "Ich will doch nur …"

"Ich verstehe, Marguerite", unterbrach er sie mit diesem unwiderstehlichen Lächeln, das sie bereits bei ihrer ersten Begegnung so sehr in Bann gezogen hatte. "Es ist besser, die Geburt des Kindes geheim zu halten, bevor weitere Entscheidungen zwischen uns getroffen werden."

Die Angst kroch ihr eiskalt den Rücken hinauf. Eine dunkle Ahnung warnte sie, dass er ihr die Worte im Mund umdrehte, um sie für seine eigenen Ziele zu nutzen. Der König pflegte selbstherrlich seine Interessen zu verfolgen, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. Marguerite aber hätte ihre privilegierte Stellung bei Hofe nicht ohne ihre Beharrlichkeit und Durchsetzungskraft erreicht. Deshalb wagte sie erneut einen Vorstoß. Sie durfte nicht riskieren, dass er sie entließ, ohne ihr eine bindende Zusage zu geben.

"Und eine legale Verbindung, Sire? Wird es nach der Geburt eine Hochzeit geben?"

Henry trat zu ihr, nahm sie bei den Armen und zog sie unsanft auf die Füße. Bei seiner stürmischen Umarmung entglitt der Kelch ihren Händen und fiel klirrend zu Boden. Der König küsste sie leidenschaftlich und besitzergreifend, wie so oft in ihrer glutvollen Liebesbeziehung. Er kostete innig von ihren Lippen, und sie spürte, wie ihr Widerstand schmolz und sie sich seinen Wünschen beugen würde. Als sie sich atemlos an ihn klammerte, löste er sich von ihr und sah sie mit seinen durchdringenden machtbesessenen Augen lächelnd an.

"Seid unbesorgt, meine schöne Marguerite, es wird eine legale Verbindung geben."

1. Kapitel

 

Abbeytown

Silloth-on-Solway, England

Im Jahr des Herrn 1178

 

"Mylord!"

Auf dem Weg zu seinem Pferd drehte Orrick sich nach der kraftvollen Stimme des Mönchs um, dessen hoch gewachsene, breitschultrige Gestalt sich mit weit ausholenden Schritten näherte. Brachte er eine Botschaft?

"Bruder David? Gibt es noch etwas?"

Er kannte die meisten Klosterbrüder mit Namen, da er die Abtei seit frühester Kindheit häufig besucht hatte, anfangs mit seinem Vater und später allein. Bruder David war vor vierzehn Jahren in den Orden eingetreten. Mittlerweile unterstand ihm die Aufsicht über die große Anzahl der Schreiber in der Abtei.

"Der hochwürdige Herr Abt bittet noch um eine kurze Unterredung und erwartet Euch in seiner Studierstube."

Orrick klemmte sich den Helm unter den Arm, nickte seinen Männern zu und folgte Bruder David durch den Wandelgang des Klosters. Es musste sich um eine wichtige Angelegenheit handeln, sonst hätte der Abt ihn nicht noch einmal rufen lassen. Wenig später stand er dem Gottesmann gegenüber.

"Tretet ein, Mylord. Jemand möchte Euch sprechen, und ich halte ein Gespräch unter vier Augen für angebracht."

Orrick bückte sich beim Eintreten unter dem niedrigen Türsturz. Ein Kurier des Königs, der die Insignien des Hauses Plantagenet trug, stand vor dem Schreibtisch des Abts, auf dem sich Schriftrollen und Bücher stapelten. Der Klostervorsteher zog sich schweigend zurück und schloss die Tür leise hinter sich.

"Mylord", begann der Gesandte mit einer höflichen Verbeugung. "Abt Godfrey will uns beiden eine unnötige Reise ersparen. Dies schickt Euch der König."

Orrick zögerte einen Moment, die Pergamentrolle mit dem königlichen Siegel entgegenzunehmen, die der Bote ihm reichte. Da er keinen Brief des Königs erwartete, der sich zurzeit im französischen Anjou aufhielt, ahnte er nicht, welche Kunde das Pergament enthalten mochte. Aus einem unerfindlichen Grund wollte er es auch nicht wissen.

Zögernd streifte er den Kettenhandschuh ab, griff nach dem Schreiben und entband damit den Gesandten seiner Pflicht. Er brach das Siegel, trat ein paar Schritte beiseite, entrollte das Schriftstück und überflog den Inhalt. Als er den Sinn des Schreibens begriff, stockte ihm der Atem.

König Henry beabsichtigte, ihn und seinen verstorbenen Vater für ihre treuen Dienste an der Krone zu belohnen mit einer Frau, nein, einer Gemahlin, die Orricks Rang angemessen war; eine Dame, die hoch in der Wertschätzung und Achtung des Königs stand. Des Weiteren sah der König vor, seinen zuverlässigen Vasallen mit Zuwendungen in Gold, Ländereien und einem zusätzlichen Adelstitel zu ehren.

Orrick schluckte gegen den Knoten an, der ihm die Kehle zuschnürte. Sein Vater war kein Narr gewesen, ebenso wenig wie er einer war. Orrick wusste klar und deutlich: Er sollte gekauft werden. Und der Preis, den der König bezahlte, war sehr hoch, Besorgnis erregend hoch. Wenn Henry sich in die Privatangelegenheiten seiner Getreuen einmischte, bestand Grund zur Sorge. Noch dazu, wenn es einen Gefolgsmann betraf, der in einer abgelegenen Gegend von England lebte, und diese Einmischung ihm eine Braut namens Marguerite d'Alençon bescherte.

Der Bote erkundigte sich höflich, ob er auf Antwort warten solle, worauf Orrick den Kopf schüttelte. "Ich beabsichtige, dem König mit meinem persönlichen Erscheinen bei Hofe die Antwort zu geben, Sir."

"Sehr wohl. Ich unterrichte den König von Eurer Bereitschaft, Mylord."

Der Kurier betonte seine Worte beinahe wie eine Frage. Die Absicht des Herrschers, eine Edeldame seiner Gunst mit einem seiner Lehnsmänner zu verheiraten, war offenbar bei Hofe kein Geheimnis, da selbst der Abgesandte den Inhalt des Schreibens zu kennen schien. Offenbar hatte dieser gewisse Zweifel gehegt, ob Orrick seine Zustimmung geben würde. Um keine Frage offen zu lassen, räumte er die unausgesprochenen Zweifel des Boten aus.

"Ich bin ein treuer Gefolgsmann des Königs, Sir. Mein Leben ist seinen Diensten gewidmet."

Mit einer Verneigung verließ der Gesandte den Raum. Orrick wartete auf die Rückkehr des Abts und zögerte nicht, dem frommen Mann, dessen Rat ihm stets wertvoll war, den Entschluss des Königs zu eröffnen, der sein Leben von Grund auf verändern würde.

"Ich muss auf Geheiß des Königs heiraten."

"Heiraten, Mylord? Hat der König Euch mitgeteilt, wen Ihr heiraten sollt?"

Orrick wusste wie jeder andere Edle im Lande, dass der Ehevertrag aufgrund seiner Auswirkungen mehr zählte als die Personen, welche davon betroffen waren. Er nickte. "Lady Marguerite d'Alençon."

"Kennt Ihr die Dame?", fragte Godfrey mit einem Blick auf das Schriftstück, das Orrick ihm bereitwillig reichte. Der Mönch studierte es eingehend in der Befürchtung, seinem Schützling sei möglicherweise ein wichtiges Detail entgangen. "Marguerite d'Alençon … der Name kommt mir irgendwie vertraut vor. Vielleicht weiß Eure Frau Mutter etwas über die Dame?"

"Wenn sie an Henrys Hof lebt, kennt meine Mutter ihren Namen und ihren Hintergrund, daran zweifle ich nicht."

"Ja, richtig, Mylord. Eure Frau Mutter zeigt seit jeher großes Interesse an allen Belangen des Königs und seiner Umgebung. Würde sie ihr Augenmerk weniger profanen Dingen zuwenden, könnte ihre Seele an Einsicht und Weisheit gewinnen."

Orrick wusste, wie sehr Godfrey das Faible seiner Mutter für Klatsch und Intrigen missbilligte. Bedauerlicherweise hatten die vielen Jahre der Trennung von ihrer Verwandtschaft und ihren Freundinnen in der Normandie ihren Drang, Neuigkeiten über das Leben bei Hofe zu erfahren, nicht geschmälert. In diesem Fall könnten die Verbindungen seiner Mutter Orrick allerdings nützlich sein, um zu beurteilen, ob dieses unerwartete und großmütige Geschenk seines Königs eine Belohnung oder eine Bestrafung darstellte.

"Ich werde mit meiner Mutter über ihre Schwäche für Hofklatsch sprechen, Godfrey", sagte Orrick, rollte das Pergament zusammen und steckte es in die Tunika, die er unter dem Kettenhemd trug.

Godfrey schlug ihm mit einem gutmütigen Lachen auf die Schulter. "Ihr werdet sie zunächst danach fragen, was Ihr wissen wollt, bevor Ihr sie wegen ihrer Schwäche zur Rede stellt, nehme ich an, Mylord."

"Ihr kennt mich gut, Godfrey", entgegnete Orrick schmunzelnd. "Es könnte immerhin wichtig für mich sein, Näheres über die mir zugedachte Braut zu erfahren. Schließlich geht es um meine Zukunft. Es ist mein gutes Recht, Erkundigungen über sie anzustellen, ehe ich dem Ruf des Königs folge und die Ehefrau nehme, die er mir anbietet."

Godfreys weise hohe Stirn legte sich in Sorgenfalten. "Orrick, lasst Euch von der blumigen Sprache, mit der Henry die Schönheit dieser Frau preist, nicht beirren. Er befiehlt Euch, sie zu heiraten – und zwar ohne Verzug."

Auch Orrick war ernst geworden. "Das ist mir keineswegs entgangen, Godfrey. Ich bin mir über die Absicht des Königs völlig im Klaren."

"Dann geht mit Gott, Mylord. Ich werde Euch und Lady Marguerite in meine Gebete einschließen, bis Ihr unversehrt wieder in die Heimat zurückgekehrt seid."

Nachdem Orrick dem Abt herzlich die Hand geschüttelt und seinen Segen erhalten hatte, verließ er das Kloster, schwang sich aufs Pferd und gab seinen Leuten das Zeichen zum Aufbruch.

Unter normalen Bedingungen dauerte der Ritt zwei Tage. Doch diesmal drängte es Orrick, seine Burg so rasch wie möglich zu erreichen, damit er Vorbereitungen für eine lange Reise über den Ärmelkanal an den Hof des Königs treffen konnte, um seine Braut kennen zu lernen. Er forderte Pferden und Reitern das Äußerste ab.

Vorderhand galt es, seine Mutter von der überraschenden Entwicklung zu unterrichten und ihr andere Gemächer in der Burg zuzuweisen. Seine Braut würde anfangs gewisse Anleitungen brauchen, um sich mit der Wirtschaftsführung vertraut zu machen, wobei Orrick befürchtete, dass seine Mutter, die mehr als dreißig Jahre die Aufsicht über das Gesinde und das Leben auf der Burg geführt hatte, sich ihre Vorrangstellung nicht ohne Weiteres aus den Händen nehmen lassen würde. Doch mit der Zeit würden diese Schwierigkeiten ausgeräumt werden. Zunächst einmal musste er seine Braut heimführen.

Die Reise schien ihm wie im Flug zu vergehen, während seine Gedanken mit der Frau beschäftigt waren, die bald seine Gemahlin und die Mutter seiner Kinder und Erben sein würde. Orrick war kein unerfahrener Mann, kein Grünschnabel, der keine Ahnung hatte, was auf ihn zukam. Er trug sich seit einiger Zeit mit dem Gedanken an eine Heirat, aber stets war irgendetwas dazwischengekommen. Nun hatte der König ihm die Entscheidung aus der Hand genommen und ihn schlicht und einfach vor vollendete Tatsachen gestellt.

Von Unruhe erfüllt ritt er an der Spitze seiner Soldaten in den Hof von Silloth Castle und sprang am Fuß der Steintreppe zur großen Halle aus dem Sattel. Er war noch keine drei Stufen hinaufgeeilt, da empfing ihn die entrüstete Stimme seiner Mutter, die jede Hoffnung, der Befehl des Königs könne problemlos ausgeführt werden, im Keim erstickte.

Lady Constance rauschte heran, gefolgt von ihren Gesellschaftsdamen und Zofen, und baute sich vor ihrem Sohn auf. Ihr erhitztes Gesicht und ihre Atemlosigkeit waren deutliche Zeichen ihres inneren Aufruhrs. Aber warum war sie so aufgebracht?

Ein flaues Gefühl breitete sich in Orricks Magengrube aus, als Lady Constance ihm mit einigen Schriftstücken vor der Nase herumwedelte. Ohne ihre Stimme zu dämpfen, schleuderte sie ihm ihre besorgten Worte ins Gesicht.

"Schwöre mir, dass du Marguerite d'Alençon nicht heiraten wirst!"

Woher wusste sie Bescheid? Er und sein Gefolge waren soeben erst nach einem anstrengenden Ritt aus Abbeytown eingetroffen. Der Bote des Königs hatte ihn dort erreicht, ohne zuvor nach Silloth zu reiten. Wer hatte ihr die Neuigkeiten hinterbracht?

"Mutter, der König befiehlt mir diese Heirat. Ich werde seinem Ruf folgen und bringe meine Braut nach Silloth. Woher kennst du eigentlich ihren Namen?"

Verwirrung, Zorn und Enttäuschung kämpften in ihren Gesichtszügen. Sie wandte sich ratlos an ihre Damen, ohne den Rückhalt zu finden, den sie suchte. Orrick dachte an Abt Godfrey, der seinem Missfallen darüber Ausdruck verliehen hatte, dass Lady Constance unnötig viel Zeit mit Klatsch und Tratsch verschwendete. Würde es seiner neuen Gemahlin gelingen, sie von derlei seichter Unterhaltung abzulenken?

"Du kannst diese Frau nicht ehelichen."

Mit dieser Anmaßung ging sie entschieden zu weit. Genau aus diesem Grund hätte er eine Heirat nicht so lange hinauszögern dürfen. Es war höchste Zeit, dass seine Mutter lernte, sich mit einer untergeordneten Stellung in seinem Haushalt zufrieden zu geben, sobald eine Ehefrau die häuslichen Geschicke lenkte. Aber ihre tiefe Trauer um den frühen Tod seines Vaters hatte ihn zu nachsichtig mit ihr gemacht, zumal er von ihren Fähigkeiten in der Wirtschaftsführung profitierte. Jetzt war die Zeit gekommen, diesen Zustand zu ändern, und seine zukünftige Gemahlin würde das unter seiner Anleitung bewerkstelligen.

"Der König hat mir Marguerite d'Alençon als Gattin zugedacht, wovon du offenbar bereits unterrichtet bist. Er erweist sich mit dieser Auszeichnung erneut als großzügig …" Orrick beendete den Satz nicht, da ihn bei dem Gedanken an die zugesagte hohe Geldsumme ein unangenehmes Gefühl beschlich. Herrgott nochmal! Seine Mutter kannte offensichtlich das Motiv dieses königlichen Erlasses, aber Orrick scheute sich, sie danach zu fragen. Dennoch drängte es ihn zu erfahren, was ihn vom König erwartete. "Nenne mir endlich den Grund deiner Einwände. Ich will über alles informiert werden."

Orrick machte sich auf das, was seine Mutter ihm eröffnen würde, gefasst, holte tief Atem und blickte ihr unverwandt ins Gesicht.

Ohne sich um die Umstehenden zu kümmern, erklärte Lady Constance mit lauter Stimme: "Der König ist zwar für seine Großzügigkeit berühmt, mit dieser Entscheidung erweist er dir indes keinen Gefallen. Er bezahlt dir eine hohe Summe Gold, um seine Mätresse loszuwerden. Marguerite d'Alençon ist die Hure des Königs."

Die Geliebte des Königs?

Die Worte seiner Mutter hallten in seinem Kopf wider, während er an ihr vorbei stürmte und Zuflucht in seinen Gemächern suchte. Orrick wollte allein sein, um sich darüber klar zu werden, ob er riskieren durfte, diesen Befehl des Königs zu verweigern.

Nun wusste er endlich, dass er für etwas bestraft werden sollte, für eine Verfehlung, die entweder er oder sein Vater verschuldet hatte. Welchen anderen Beweggrund könnte der König sonst haben, seinen getreuen Vasallen auf diese unerhörte Weise zu demütigen?

2. Kapitel

 

"Henry wird mir das nicht antun. Du irrst dich, Johanna", widersprach Marguerite hitzig. "Er liebt mich."

Aber die Worte klangen selbst in ihren Ohren wenig überzeugend. Sie drehte ihrer Gesellschafterin den Rücken zu und betrachtete das kostbare Kleid, welches auf dem Bett ausgebreitet lag. Es konnte nicht sein. Es durfte einfach nicht wahr sein, dass Henry sie einem anderen als Gemahlin versprochen hatte.

"Du kennst ihn besser als jede andere, Marguerite", entgegnete Johanna beschwichtigend. "Wenn du sagst, er holt dich zurück, bevor die Hochzeit stattfindet, so glaube ich dir."

In plötzlich aufwallendem Jähzorn packte Marguerite das Kleid, riss es in der Mitte entzwei, so dass Perlen und Edelsteine der kostbaren Stickerei durchs Zimmer flogen und klirrend über die Steinfliesen kullerten. Bevor sie in ihrer Zerstörungswut fortfahren konnte, gebot ihr eine barsche Männerstimme Einhalt.

"Ist das eine Art, mit den Geschenken des Königs umzugehen?"

Marguerite fuhr herum, als Lord Bardrick, Henrys Haushofmeister auf Woodstock, ihre Gemächer betrat. Johanna machte einen hastigen Knicks und entfloh, wobei Marguerite nicht wusste, ob ihr Wutanfall oder die lüsternen Blicke des Vogts auf ihren üppigen Busen die Freundin in die Flucht jagten. Die Tür fiel ins Schloss, und Marguerite war allein mit dem Vertrauten des Königs, der seine verborgensten Geheimnisse kannte.

"Mylord", hauchte Marguerite und machte einen tiefen Hofknicks, der ihm einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté gewährte. "Ich fürchte, Ihr seht mich nicht von Begeisterung überwältigt über meine bevorstehende Heirat mit Lord … Lord …" Sie gab vor, sich des Namens ihres zukünftigen Gemahls nicht zu entsinnen, bis Bardrick ihr zu Hilfe kam.

"Lord Orrick of Silloth."

"Ja, richtig. Lord Orrick of Silloth. Es liegt mir fern, mich dem König gegenüber respektlos zu erweisen. Im Gegenteil, ich fühle mich von seinen Aufmerksamkeiten und seinen Geschenken sehr geehrt."

Beide dachten an das kostbarste Geschenk, welches sie von Henry erhalten hatte – das gemeinsame Baby. Bedauerlicherweise war das Kind ein Mädchen. Dies war für Marguerites Pläne nutzlos, ja sogar hinderlich im Hinblick auf Henrys künftige Großzügigkeit und Zuneigung. Ein Knabe wäre akzeptabel und mit einem Adelstitel und Besitztümern ausgestattet worden, nicht anders als Henrys letzter unehelicher Sohn Geoffrey. Er hätte ihr auch gewisse Ansprüche an den König garantiert. Doch ihre vor wenigen Wochen geborene Tochter war völlig wertlos für sie. Sie hatte sie im Kloster zurückgelassen, wo sie zur Welt gekommen war, ein namenloser Bastard, der bei den Nonnen aufwachsen sollte. Zum Glück hatte Marguerites Schwester, die ihr Leben Gott geweiht hatte, sich bereit erklärt, den Säugling in ihre Obhut zu nehmen.

Bardrick öffnete die Tür und erteilte einer Zofe, die im Flur wartete, Anweisungen. "Lass das Kleid von einer Näherin flicken. Und beeil dich, Mädchen", befahl er schroff und versetzte ihr einen derben Stoß. "Es muss zur Hochzeit fertig sein, die morgen stattfindet."

Mit einem Anflug von Heiterkeit beobachtete Marguerite, wie die Dienerin das zerschlissene Gewand an sich raffte, auf dem Fußboden herumkroch, die abgesprungenen Perlen und Edelsteine einsammelte und hastig aus dem Zimmer huschte. Sie selbst hatte sich nicht von der Stelle bewegt.

"Will der König diese Farce tatsächlich noch weiter treiben?"

"Es ist kein Spiel, Mylady. Ihr werdet Lord Orrick heiraten! Der König duldet keinen Widerspruch."

"Und wenn ich mich dennoch weigere?" Marguerite konnte schlichtweg nicht glauben, dass dies das Ende sein sollte. Nein, Henry würde sie wieder zu sich nehmen. Es war ihm allerdings zuzutrauen, dass er erst im letzten Augenblick Einspruch erhob, um sie vor dieser ekelhaften Verbindung zu retten.

"Die letzten drei Menschen, die sich dem Willen des Königs widersetzten, sind bedauerlicherweise nicht mehr am Leben, um Euch von der Torheit ihres Handelns zu berichten. Daran solltet Ihr denken, während Ihr Euch auf die Vermählung vorbereitet."

Sie unterdrückte den Schauer, der sie überflog, doch das schmierige Feixen des Höflings ließ sie wissen, dass er ihr Entsetzen bemerkt hatte.

"Nun Mylady, Ihr tut gut daran, Euch den Wünschen Seiner Majestät zu beugen. Seine Untertanen, die sich diesen Rat zu Herzen nehmen, leben meist länger und in besseren Verhältnissen als jene, die dumm genug sind, sich gegen ihn aufzulehnen."

Widerstrebend nickte sie, ohne ihn anzusehen, da sie seine Genugtuung über ihre Niederlage nicht ertrug. Bardrick verneigte sich und ging rückwärts zur Tür, so wie er es getan hatte, als sie die Favoritin des Königs gewesen war. Marguerite durchschaute seine Häme – für ihn war sie lediglich eine von vielen willigen Frauen, die das Bett des Königs geteilt hatten und nun an einen seiner Gefolgsleute für dessen treue Dienste verschachert werden sollte.

"Schlaft gut, Marguerite."

Das höhnische Lachen des Höflings draußen auf dem Flur war mehr, als sie verkraften konnte. Sie warf sich auf das Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Nein, ein solches Schicksal durfte ihr nicht widerfahren. Sie war ihr ganzes Leben darauf vorbereitet worden, die Gefährtin eines bedeutenden Mannes zu werden. In ihren Adern floss königliches Blut. Sie hatte Besseres verdient, als mit einem unbedeutenden Adeligen zweifelhafter Herkunft verheiratet zu werden, der irgendwo im Norden Englands hauste. Dieser Lord Orrick lebte in einem fernen Winkel des Reiches, unendlich weit weg vom Hofe des Königs, in einem kalten, verregneten Landstrich. Ein kleiner Landbesitzer mit ein paar unwirtlichen Trutzburgen und einer Horde verlauster, ungebildeter und raubeiniger Gefolgsleute. Sie war zu Höherem geboren. Ihre Gedanken kreisten. Sie hatte das Recht auf ein Leben an der Seite eines Königs.

Lange dauerte es, bis Marguerites Tränen versiegten, sie wieder Mut fasste. Noch war nicht alles verloren, die Zeit arbeitete für sie. Henry konnte einschreiten, bevor das Eheversprechen sie für immer an diesen Orrick band. Er konnte jederzeit seine Stimme erheben, um dieser Posse ein Ende zu setzen, und diesen "Lord des Nordens", wie er genannt wurde, mit einer einfältigen Person aus seiner Schicht verehelichen. Ein Mädchen, das sich damit zufrieden gab, von einem Barbaren angefasst zu werden und ein Leben in einer feuchten Felsenburg in einem kalten Land zu fristen.

Marguerite blieb in ihren Gemächern, um die mitleidigen Blicke des Hofstaats nicht ertragen zu müssen, verweigerte das Abendessen und schickte ihre Dienerinnen fort.

Bevor der erlösende Schlaf sie übermannte, richtete sie inständige Gebete gen Himmel, in der Hoffnung, Henry möge ihr lediglich eine Lehre erteilen, weil sie ihre Grenzen überschritten hatte, und flehte, er möge sie endlich in die Arme schließen und ihr vergeben.

 

"Wenn du noch länger an mir herumzupfst, mach ich dich einen Kopf kürzer!", knurrte Orrick zwischen den Zähnen. "Wieso muss ich mich aufputzen wie ein eitler Pfau?"

"Aber Mylord, der König erweist Euch die Ehre, höchstpersönlich mit den bedeutendsten Würdenträgern seines Hofstaats an Eurer Hochzeit teilzunehmen. Ihr wollt doch einen untadeligen Eindruck machen."

Murrend fügte Orrick sich in das Unvermeidliche. Seinen eigenen Pagen waren Kammerdiener des Königs zur Seite gestellt worden, um sicherzustellen, dass das Hofprotokoll bis ins kleinste Detail befolgt wurde. Der Haushofmeister Seiner Majestät hier in Woodstock hatte ihn in den letzten beiden Tagen aufgesucht und der Zufriedenheit des Königs über Orricks unverzügliche Anreise und seine Zustimmung zu dieser Vermählung Ausdruck verliehen.

Offenbar war die Frau zum Problem geworden, da Henry sie so eilig loswerden wollte. In wenigen Stunden würde sie ihm gehören – sie würde seine Gattin und damit seine Angelegenheit sein.

"Es reicht, Gerard! Hör endlich damit auf", sagte Orrick unwirsch.

Der Kammerdiener wusste, dass sein Herr mit seiner Geduld am Ende war, drängte seine Gehilfen zur Eile und scheuchte sie alsbald weg. Gerard bedachte ihn mit einem letzten prüfenden Blick, bevor auch er sich zurückzog.

Argwöhnisch blickte Orrick an sich herunter. Er trug eine prachtvoll bestickte Tunika und schwere Goldketten, die ihm bis zum Gürtel hingen. Er hasste diesen Aufwand. Er verabscheute das Leben bei Hofe, samt all dem Prunk. Aber als treuer Gefolgsmann des Königs sah er sich gezwungen, all das über sich ergehen zu lassen, bevor er endlich nach Hause reiten und sein gewohntes Leben im fernen Norden von England wieder aufnehmen konnte.

Zusammen mit seiner Gemahlin.

In einer knappen Stunde würde er ihre Bekanntschaft machen – eine Gefälligkeit, die der König auf Ersuchen der Dame gewährt hatte. Sie wusste nichts von ihm; die Mehrzahl der Höflinge konnten ihn nicht einmal beschreiben und würden ihn nicht erkennen, wenn sie ihn sahen. Aber niemand in Woodstock zögerte, von ihr zu sprechen. Orrick hatte seit seiner Ankunft bereits manche Geschichten über Marguerite gehört; die Lobeshymnen über sie klangen ihm in den Ohren.

Sie war schön. Ihr langes goldenes Haar reichte beinahe bis zum Boden, umfloss ihre üppigen Formen wie ein schimmernder Vorhang. Dichter hatten ihre strahlend blauen Augen und ihre vollen roten Lippen besungen.

Marguerite war sehr gebildet, hatte eine ausgezeichnete Erziehung genossen und beherrschte fünf Sprachen in Wort und Schrift, einschließlich Latein und Griechisch.

Obgleich unehelicher Geburt, reichte ihr Stammbaum bis zu Karl dem Großen und anderen Königen des Frankenlandes zurück. Sie hatte Verbindungen zu den meisten königlichen Familien der christlichen Welt auf dem europäischen Kontinent.

Und sie war die Mätresse des Königs.

Orrick öffnete das Fenster und betrachtete das emsige Treiben auf dem Burghof. Er atmete die frische Morgenluft tief ein und hoffte, seine Bedenken zu beschwichtigen. Er hätte gerne mit jemandem über seine Situation gesprochen, aber es gab niemanden, dem er seine Zweifel über diese Heirat anvertrauen konnte. Er befürchtete, dass es sich nicht nur um einen schlichten Befehl des Königs handelte. Wurde ihm diese Demütigung zuteil, weil er nur ein einfacher englischer Adeliger war und kein Günstling des Königs? Wurde er wegen einer Verfehlung seines Vaters oder seiner Mutter gegen die Plantagenets bestraft?

Er hatte nicht die Absicht, sich in Woodstock unter den argwöhnischen Blicken des Hofstaats eine Blöße zu geben. Er würde Marguerite heiraten und sie in seine Heimat bringen. Falls es Differenzen zwischen ihnen geben würde, wollte er sie auf seiner Burg bereinigen, wo niemand seine Autorität in Frage stellte. Abgesehen von der Frau, die nun unangemeldet sein Gemach betrat.

"Hast du sie schon kennen gelernt? Wurde sie dir vorgestellt?" Seine Mutter hatte ihn, wie nicht anders zu erwarten, nach Woodstock begleitet. Aber ihre Anwesenheit war ihm keine Hilfe. Im Gegenteil, ihre Fragen und verschleierten Andeutungen verstärkten seine Zweifel.

"Ich treffe sie in einer Stunde, Mutter", sagte er, wandte sich vom Fenster ab und blickte ihr ins Gesicht. Um jeden Zweifel auszuräumen, fügte er hinzu: "Unter vier Augen."

Orrick sah, wie schwer es seiner Mutter fiel, keinen Einspruch zu erheben. Ihr immer noch faltenloses Gesicht verhärtete sich. Wann hatten sich graue Fäden in ihr flachsblondes Haar eingeschlichen? Ihre hohe schlanke Gestalt begann in die Breite zu gehen. Sie ähnelte immer mehr ihrer eigenen Mutter. Bei näherem Hinsehen fiel ihm auch auf, dass der Glanz ihrer grünen Augen ein wenig verblasste.

"Allein? Aber bei diesem wichtigen Treffen sollte jemand aus deiner Familie und der Familie der Braut anwesend sein. Ich muss …"

"Du musst gar nichts, Mutter. Meine erste Begegnung mit Marguerite wird unter vier Augen stattfinden. Du bist herzlich eingeladen, an der Trauung teilzunehmen, wie alle anderen Gäste." Er sah sich gezwungen, einen scharfen Ton anzuschlagen, sonst würde sie sich über seine Anweisungen hinwegsetzen.

Einen Augenblick fürchtete er, sie würde ihm den Gehorsam verweigern, doch dann besänftigten sich ihre Gesichtszüge. Ihre Augen wurden feucht. Orrick wusste, dass sie diesmal ihre Tränen nicht bewusst als Waffe einsetzte, um sein Mitleid zu erregen und ihn umzustimmen. Ihre Worte bestätigten seinen Eindruck.

"Ich wünschte nur, dein Vater könnte das noch erleben. Er hat sich so sehr gewünscht, dass du dich noch zu seinen Lebzeiten verheiratest, aber …" Sie beendete den Satz nicht.

Orrick schlug einen versöhnlicheren Ton an. "Ich konnte mich nicht dazu entschließen, und nun erlebt er es nicht mehr. Auch ich bedauere das." Er näherte sich seiner Mutter.

"Es wird sich alles verändern", flüsterte sie.

Er hörte die Angst in ihrer Stimme. Mit der Ankunft seiner Ehefrau würde sie ihre Position als Burgherrin verlieren, die das Gesinde beaufsichtigte und für den reibungslosen Ablauf der Wirtschaft und Verwaltung der Burg sorgte. Sie musste sich mit der Rolle einer Zuschauerin begnügen, ohne Machtbefugnisse oder Befehlsgewalt, falls er oder seine Ehefrau ihr nicht einen besonderen Aufgabenbereich zuwiesen. War seiner Mutter eigentlich klar, dass sie ihm nun Gelegenheit gab, mit ihr über dieses heikle Thema zu sprechen?

"Mutter", begann er, ohne recht zu wissen, wie er sich ausdrücken sollte. "Nach der Hochzeit …"

"Wenn du mir eine Eskorte zur Verfügung stellst, reise ich umgehend zu meinem Witwensitz in der Nähe von Ravenglass. Ich halte es für angebracht, mich möglichst bald dorthin zu begeben. Du kannst mir nach deiner Rückkehr in Silloth mein Gepäck schicken lassen."

Sie sprach zwar ruhig und gelassen, aber Orrick konnte beinahe ihren jagenden Herzschlag spüren. Er hörte, wie sie den Atem anhielt und auf seine Antwort wartete, die ihr Schicksal besiegeln würde. Zu gut kannte er seine Mutter und wusste genau, dass sie nichts mehr hasste, als auf ihren Alterssitz verbannt zu werden; eine Burg, die noch entlegener war als Silloth Castle. Er musste eine Lösung finden, mit der er ihre Bedenken beseitigen und zugleich Spannungen im eigenen Heim vermeiden konnte.

"Deine Burg in Ravenglass ist noch keine geeignete Wohnstätte für dich. Das Haus muss erweitert und instand gesetzt werden. Bis die Arbeiten ausgeführt sind, halte ich es für angebracht, dass du in Silloth bleibst und meine Braut in der Wirtschaftsführung anleitest. Du kannst ihr helfen, sich einzugewöhnen und sich mit unseren Leuten und ihrer neuen Umgebung vertraut zu machen."

Nach lastendem Schweigen entfuhr seiner Mutter ein befreiender Seufzer. Ihre Schultern entspannten sich, und er wusste, dass er die richtigen Worte gefunden hatte.

"Ich werde nur so lange bleiben, wie die neue Burgherrin meine Unterstützung braucht, Orrick. Ich will nicht in einem Haus wohnen, in dem ich nicht erwünscht bin."

Orrick nahm sie in die Arme. "Ich weiß, dass du dich zurückhalten wirst, Mutter. Du meinst es ja nur gut."

Ihrer beider Worte klangen hohl. Lady Constance war eine unverbesserliche Klatschbase. Sie tratschte über alle und jeden, nicht nur in Silloth, sondern auch auf seinen anderen Burgen. Sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen, war ihr, zumal nach dem Tod ihres Gatten, zum Lebensinhalt geworden. Aber heute, an seinem Hochzeitstag, wollte er ihr glauben und hoffen, es würde sich alles zum Guten wenden.

Er trat einen Schritt zurück. "Nun lass mich bitte allein, Mutter. Ich will mich auf das Treffen mit meiner Braut vorbereiten."

Er hatte den Eindruck, seine Mutter wolle noch etwas sagen, doch dann bildete sich eine steile Falte auf ihrer Stirn, ihre Lippen verschlossen sich zu einem schmalen Strich. Orrick hätte es vorgezogen, hier in der Ungestörtheit seines Gemachs weitere verächtliche Bemerkungen von ihr zu hören. Er wartete. Da sie beharrlich schwieg, beugte er sich vor und küsste sie auf die Stirn.

"Alles wird gut, Mutter. Vertraue mir."

Lady Constance neigte den Kopf und zog sich ohne ein weiteres Wort zurück. Orrick atmete erleichtert auf, allmählich fiel die Spannung von ihm ab. Die erste einer Reihe unangenehmer Unterredungen hier in Woodstock, vielleicht die schwierigste, lag hinter ihm. Nun konnte er der Begegnung mit seiner Braut leichteren Herzens entgegenblicken, ebenso der Audienz beim König, der ihn zwang, seine Geliebte zu heiraten.

Lady Marguerite hatte darum ersucht, das Zusammenkommen möge zum Breviergebet in der neunten Stunde stattfinden. Orrick verließ sein Gemach und ging den Korridor entlang zu einem kleinen Raum, in dem sie sich zum ersten Mal sehen sollten. Die Kirchenglocken begannen, die Gläubigen zum Gebet zu rufen, als er das Kabinett betrat. An die Unpünktlichkeit von Frauen gewöhnt, war er nicht darauf gefasst, dass sie ihn bereits erwartete.

Während er die Tür hinter sich schloss, stellte er fest, dass die Schilderungen über ihre Schönheit und Anmut keineswegs übertrieben gewesen waren. Als sie mit sittsam geneigtem Kopf in einen tiefen Hofknicks versank und ihm dabei einen tiefen Einblick in ihre üppigen weiblichen Formen gewährte, verspürte er ein verräterisches Ziehen in den Lenden. Es würde alles nicht so problematisch werden, wie er befürchtet hatte. Mit dieser Frau verheiratet zu sein, konnte kein großes Opfer sein.

3. Kapitel

 

"Mylady", grüßte er, beeindruckt von ihrer Sittsamkeit, und hielt ihr die Hand entgegen. "Bitte erhebt Euch."

Bei der Berührung ihrer zarten feingliedrigen Finger an seiner schwieligen Hand jagte ein Feuersturm durch ihn. Sobald sie den Blick gehoben hatte, wusste er, dass er rettungslos verloren war.

Ihr goldenes Haar reichte tatsächlich beinahe bis zum Saum ihres Kleides. In die schimmernden Locken, die ihr Antlitz einrahmten, waren Seidenbänder und Perlen geflochten. Es verlangte ihn danach, diese Pracht anzufassen, sein Gesicht darin zu vergraben und ihren Duft einzuatmen. Als sie den Kopf drehte, floss das Haar in Kaskaden golden glänzender Wellen über ihre Schultern und Arme. Seine Phantasie gaukelte ihm ein Bild der bevorstehenden Hochzeitsnacht vor. Er sah sie nackt auf dem Bett liegen, nur eingehüllt in ihre seidige Haarfülle.

Orrick erschrak über sein sinnliches Verlangen bei dieser ersten Begegnung und nahm sich vor, seine animalische Gier zu zähmen, sonst würde sie tatsächlich den Barbaren in ihm sehen, für den sie ihn vermutlich hielt. Er trat einen Schritt zurück und lud sie mit einer höflichen Geste ein, auf einer Bank Platz zu nehmen. Orrick glaubte, sich wieder gefasst zu haben – bis er ihre Stimme hörte.

"Lord Orrick, ich bin erfreut, die Gelegenheit zu haben, ungestört mit Euch sprechen zu dürfen. Danke, dass Ihr mir diesen Wunsch erfüllt, der Euch befremdlich erscheinen mag."

Der melodisch weiche Klang ihrer Stimme mit einem rauchigen Unterton verfehlte seine Wirkung nicht. Er malte sich aus, wie sie ihre Leidenschaft in seinem Bett hinausschrie. Sah sie nackt, wie sie sich unter ihm wand, er sie ausfüllte, sich in ihr ergoss und ihrer beider Lustschreie miteinander verschmolzen. Für einen Moment schloss er die Augen und war sich ihrer betörenden Macht bewusst.

Orrick hatte sich nach den Klatschgeschichten, die er über die Liaison dieser schönen Frau mit dem König gehört hatte, mit einem gesunden Maß an Argwohn gewappnet, um sich in diesem Ränkespiel nicht zum Narren zu machen. Stets darauf bedacht, seine Entscheidungen nicht von der Begierde des Fleisches beeinflussen zu lassen, war er zu diesem Treffen erschienen in der festen Überzeugung, die Dame und die Situation mühelos handhaben zu können.

Dummkopf!

In wenigen Augenblicken war er in den Bann ihrer Schönheit, ihrer erotischen Ausstrahlung und ihrer stummen Verheißung geraten. Sie hatte ihn mit einem Hofknicks, einem anmutigen Nicken, einer Drehung des Kopfes, einer Bewegung ihrer goldenen Haarpracht, dem Hauch ihres verführerischen Duftes und wenigen schlichten Worten verzaubert und in ihre Falle gelockt. Nun stand er vor ihr, bis zum Bersten erregt, und begehrte sie heftiger als je eine Frau zuvor. Der Wunsch, das Verlangen, sie zu berühren, zu streicheln, von ihr zu kosten, sie in den Armen zu halten, zu besitzen, sein Eigen zu nennen, wuchs ins Unerträgliche. Unstet ließ er den Blick durchs Zimmer schweifen, entdeckte einen kleinen Tisch, auf dem eine Karaffe und zwei Kelche standen. Damit versuchte er, den Bann zu brechen.

"Ein Schluck Wein, Mylady?" Ohne auf ihre Antwort zu warten, schenkte er ein, schaffte es, nichts zu verschütten, obwohl seine Finger zitterten, und reichte ihr einen Pokal.

"Danke, Lord Orrick", hauchte sie und führte den Becher an ihre Lippen.

Fasziniert beobachtete er, wie sie daran nippte und sich mit der rosigen Zungenspitze über die feuchten Lippen fuhr. Er spannte jeden Muskel, jede Sehne an, um nicht über sie herzufallen. Da er auf keinen Fall zulassen durfte, dass er die Beherrschung verlor, wandte Orrick sich ab und trat einen Schritt zurück.

"Und der Grund für dieses Treffen?"

"Nun, um Euch kennen zu lernen, Mylord! Es ist zwar üblich in unseren Kreisen, dass Brautleute vor den Altar treten, ohne sich vorher gesehen zu haben." Sie legte kunstvoll eine Pause ein und betrachtete – mit einem Blick, der einer körperlichen Berührung glich – aufreizend seine Gestalt. Dann fuhr sie fort: "Aber Seine Majestät gestattete diese Lockerung der Etikette, da wir enge Freunde sind."

"Davon hörte ich, Mylady."

Gut so! Sie sollte getrost wissen, dass er kein Spielball war, auch nicht der des Königs. Selbst wenn er gezwungen war, Henrys abgelegte Geliebte zu heiraten, dachte Orrick nicht daran, sich dumm zu stellen und so zu tun, als wisse er nicht über die Beziehung zwischen Henry und Marguerite Bescheid. Vor allem nicht ihr gegenüber, obwohl dieser Umstand seinen Stolz zutiefst verletzte.

Ihre Reaktion versetzte ihn in Erstaunen. Sie stellte das Trinkgefäß ab und ging zur Tür. Langsam drehte sie sich zu ihm um. Der liebenswürdige Zug in ihrem Antlitz hatte sich verhärtet, worunter ihre Schönheit erheblich litt. Sie straffte die Schultern und sah ihn mit kalten Augen so scharf an, dass ihn fröstelte.

Er hatte eine bezaubernde, verführerische, sinnliche Marguerite kennen gelernt.

Nun stand ihm eine zornige, gebieterische, kriegerische Marguerite gegenüber.

"Ich bin Euch zwar keinerlei Erklärung schuldig, Orrick of Silloth, aber ich weiß, dass Ihr genau wie ich zu dieser Ehe gezwungen werdet, deshalb will ich Euch die Wahrheit sagen."

Orrick setzte den Kelch an und leerte ihn in einem Zug. "Wie lautet diese, Mylady?" Wollte sie ihm gestehen, dass sie das Bett des Königs geteilt und möglicherweise von ihm geliebt worden war?

"Diese Hochzeit wird nicht stattfinden. Ich bedauere in gewisser Weise, inwieweit Ihr in dieses Missverständnis zwischen dem König und mir hineingezogen worden seid. Deshalb ist es mir ein Anliegen, Euch zu warnen vor dem, was kommen wird."

War er unversehens Opfer einer Intrige geworden? Wofür wollte der König ihn bestrafen? Wieso diese vorgetäuschte Hochzeit, wenn Henry beabsichtigte, ihn anzuklagen und festzunehmen? Orricks Eingeweide krampften sich zusammen bei dem Gedanken, was aus seiner Familie und seinen Leuten werden sollte, wenn er im Kerker landete oder gehängt werden sollte. Schließlich fasste er sich.

"Was wird kommen?"

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