Auf der Insel der Verführung

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Trotz seines Rufes folgt Floristin Grace dem Tycoon Andreas Petrakis auf die einsame Insel. Denn er bietet ihr einen lukrativen Auftrag: die Dekoration für die Hochzeit seines Bruders. Dass sie die Nächte vor dem Fest allein mit dem berüchtigten Playboy verbringen muss, stand nicht im Vertrag …



  • Erscheinungstag 22.08.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751535403
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Oh, nein! Schon wieder Sofia, dachte Grace und starrte auf ihr Handy. Sie liebte ihre beste Freundin, die unter normalen Umständen nichts erschüttern konnte. Aber dass Sofia diesmal die Ruhe verlor, musste an ihrer kurz bevorstehenden Hochzeit liegen.

Grace war mit siebenstündiger Verspätung in Athen eingetroffen, hatte aber alles unter Kontrolle. Dennoch hatte Sofia in Panik die Familie ihres Bräutigams zu Hilfe gerufen und damit die Hoffnung zunichte gemacht, dass Grace die letzte Fähre in Piräus noch erreichen konnte. Stattdessen musste sie in der VIP-Lounge des Flughafens die Ankunft von Sofias gestrengem Schwiegervater erwarten.

Damit war ihr eng gestrickter Zeitplan gescheitert. Sie würde nicht rechtzeitig zur Anlieferung der Blumen auf der Insel Kasas eintreffen. Ihr blieben knapp drei Tage, um die „Hochzeit des Jahres“ vorzubereiten, wie die griechische Presse das Ereignis bezeichnete. Das war sehr wenig Zeit, um sich als Hochzeitsfloristin zu etablieren.

Vielleicht hat mein Vater doch recht, und ich bin eine hoffnungslose Träumerin, dachte Grace frustriert und schob das Champagnerglas beiseite, das eine Hostess ihr gereicht hatte.

In diesem Moment öffnete sich die Tür zur Lounge. Beim Gedanken an den bärbeißigen Vater Petrakis sank ihr Herz. Es kam jedoch ein deutlich jüngerer Mann herein. Er blickte sich um, entdeckte sie, lockerte die seidene Fliege um seinen Hals und kam geradewegs auf sie zu.

Fasziniert sah Grace dem selbstbewussten, hochgewachsenen Mann mit den klassisch-eleganten Zügen entgegen. Er trug einen perfekt sitzenden Smoking, sein Haar war jedoch so zerzaust, als käme er direkt aus dem Bett.

„Miss Chapman?“, fragte er mit wohlklingender Stimme.

Grace erhob sich mühsam aus dem tiefen Sessel und zerrte dabei am Saum ihres gelben Sommerkleids. Angesichts seines eleganten Abendanzugs erschien es ihr viel zu kurz und leger. Der Mann betrachtete sie eindringlich und schien auf eine Antwort zu warten, doch zum ersten Mal in ihrem Leben fehlten ihr die Worte. Ihr Kopf war wie leer gefegt, ihr einziger Gedanke war, wie attraktiv der Fremde doch aussah.

Er runzelte die Stirn, und eine winzige sichelförmige Narbe knapp oberhalb seiner linken Augenbraue wurde sichtbar.

Ehe das Schweigen allzu peinlich wurde, riss sie sich zusammen. „Ja, ich bin Grace Chapman. Das Bodenpersonal bat mich, hier auf Mr. Petrakis zu warten.“

„Das habe ich so veranlasst.“

„Oh!“ Erst jetzt begriff sie, wer vor ihr stand. „Sie sind bestimmt Andreas … Christos’ Bruder. Ich dachte, ihr Vater würde mich abholen. Ich habe ihn im vergangenen Monat in London bei der Verlobungsparty von Christos und Sofia kennengelernt.“ Grace reichte ihm die Hand. „Sind Sie nicht auch der Trauzeuge?“

Nach kurzem Zögern ergriff Andreas ihre Hand. Sein Händedruck war so fest, wie man es von einem mächtigen Mann erwarten konnte, der es gewohnt war, seinen Willen durchzusetzen.

Er war groß, sodass Grace den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Seine schönen grünen Augen waren von langen, dunklen Wimpern umrahmt, der feste, arrogante Blick erinnerte sie an seinen Vater. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, dachte sie. Auf seiner sonnengebräunten Haut zeichnete sich ein dunkler Bartschatten ab.

„Und Sie sind die erste Brautjungfer und Trauzeugin.“

Seinen frostigen Tonfall ignorierend, ließ Grace sich von ihrer Begeisterung über die Hochzeit hinreißen. „Und zugleich die Hochzeitsfloristin. Sofia und ich sind seit Jahren beste Freundinnen. Wie schade, dass Sie nicht an der Verlobungsparty teilnehmen konnten. Alle haben sich prächtig amüsiert.“

Er tat ihre Bemerkung mit einem Achselzucken ab. „Sie haben Ihren Flieger verpasst.“

Es klang wie ein Vorwurf, und Grace zuckte betroffen zusammen. Sie wollte ihm erklären, wie es dazu gekommen war, überlegte es sich dann aber anders. Verspätungen im britischen Bahnverkehr würden ihn kaum interessieren. „Ja, leider“, sagte sie stattdessen. „Nun muss ich zusehen, wie ich schnellstmöglich nach Kasas komme.“

„Die letzte Fähre hat bereits abgelegt.“

„Das ist mir bewusst.“ Bleib ruhig, sag nichts mehr, ermahnte sie sich, weil seine Arroganz sie irritierte. Gleich darauf vergaß sie diesen Vorsatz wieder. „Ich hätte sie noch erwischt. Wir sind pünktlich gelandet, und ich hatte bereits vorab ein Taxi bestellt, das mich zum Hafen bringen sollte.“

„Und morgen geht die Sonne im Westen auf …“, murmelte er.

„Ich hatte noch eine gute Stunde Zeit!“, protestierte Grace genervt.

„Christos hatte aber Sorge, dass Sie die Fähre verpassen. Er bat mich, Sie hier aufzulesen.“

Unter seinem finsteren Blick senkte Grace den Kopf. Seine arrogante Haltung ging ihr gegen den Strich. Offensichtlich hatte die Abholaktion seine Pläne für den Abend durchkreuzt. Sie betrachtete seinen eleganten Smoking. „Ich hoffe, ich habe Sie bei nichts Wichtigem gestört?“

In seinen Augen flackerte etwas auf – war es Zorn oder etwas anderes? Sofia hatte erzählt, dass ihr Schwager ein Playboy war. War er vielleicht bei einer Frau gewesen? War sein Haar so sexy zerrauft, weil er geradewegs aus dem Bett kam? Es war zwar noch früh am Abend, aber sie hatte keine Erfahrung mit den Bettgewohnheiten von Playboys … Ihre Exfreunde hatten nicht annähernd in dieser Liga gespielt.

„Vermutlich ist Sofia in Panik geraten. Sie weiß, dass ich zum ersten Mal in Griechenland bin, überhaupt zum ersten Mal allein im Ausland.“

Ein überraschter Blick traf sie, und für eine Weile herrschte angespanntes Schweigen. Als Grace es nicht mehr aushielt, sagte sie das Erste, was ihr in den Sinn kam: „Sie reisen bestimmt viel … geschäftlich und privat.“

„Haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht und sich über mich informiert?“

„Natürlich nicht!“ Sie spürte, wie sie errötete. Hoffentlich legte er das nicht als Eingeständnis aus. „Ich weiß nur, dass Sie Christos’ älterer Bruder sind.“

Andreas war der älteste Sohn aus dem reichen, mächtigen Haus Petrakis, und er hatte, unabhängig von der Familie, im Bau- und Immobiliensektor ein Vermögen erwirtschaftet.

Als er sie nur stumm betrachtete, fuhr sie fort: „Ich bin Christos noch nicht oft begegnet, habe aber auf den ersten Blick erkannt, dass er und Sofia füreinander geschaffen sind. Ich freue mich so für Sofia. Ihr Vater ist natürlich begeistert, dass sie einen Griechen heiratet. Seine Familie stammt ursprünglich aus Griechenland.“

Als Andreas immer noch nichts sagte, sondern sie nur weiterhin durchdringend anstarrte, wechselte sie das Thema. Eine ganz andere Frage brannte ihr ohnehin auf der Zunge. Sie deutete verstohlen auf die anderen Gäste in der Lounge. Dabei bemerkte sie, dass zwei elegant gekleidete Frauen Andreas mit unverhohlener Bewunderung anstarrten. „Wie haben Sie mich eigentlich erkannt?“

Andreas griff in die Innentasche seines Jacketts, zog sein Handy hervor, entsperrte den Bildschirm und reichte es ihr. Auf dem Display war ein Foto von Grace und Sofia zu sehen, auf dem sie Grimassen schnitten. Christos hatte das Bild nach Sofias Junggesellinnenabschied am vergangenen Wochenende in London aufgenommen. Sie hatten einige Mojitos zu viel getrunken …

Als sie entsetzt stöhnte, zuckte es um seine Mundwinkel. Gleich darauf wirkte er wieder so nüchtern wie zuvor. „Christos überhäuft mich mit Fotos von Sofia.“ Es klang ein wenig gequält.

Grace beschloss, darüber hinwegzugehen. Sie gab ihm das Handy zurück, und er steckte es wieder ein. „Die beiden sind ja so verliebt! Sofia hat mir erzählt, dass Kasas ein unglaublich romantischer Ort ist. Sie ist Ihnen überaus dankbar dafür, dass sie auf der Insel heiraten darf.“

Die Arme vor der Brust verschränkt, lächelte er höflich. Dabei fiel Grace sein wohlgeformter Mund auf, der fest und breit war, die Lippen nicht zu voll, gerade richtig zum Küssen …

Energisch rief sie sich zur Ordnung. Mit den Blumen für die Hochzeit hatte sie wirklich alle Hände voll zu tun. Sich von einem griechischen Gott von der Arbeit abhalten zu lassen, wäre keine gute Idee.

„Setzen Sie sich doch“, forderte er sie in diesem Moment auf. „Ich finde, wir sollten über Ihren Aufenthalt auf Kasas sprechen.“

Verwirrt ließ sie sich wieder in den Sessel sinken. Dabei rutschte der Saum ihres Kleides an ihren Schenkeln nach oben, und sie bemerkte, wie Andreas, der ihr gegenüber Platz nahm, voller Bewunderung auf ihre Beine starrte. Gleich darauf atmete er durch, hob den Kopf und stützte die Ellbogen auf die Knie.

„Ursprünglich wollte ich Sie heute Abend noch nach Kasas bringen …“

Froh und erleichtert unterbrach Grace ihn: „Das wäre wunderbar! Morgen in aller Früh werden die Blumen und Arbeitsmaterialien angeliefert. Ich muss vor Ort sein, um …“

Mit einer herrischen Geste schnitt er ihr das Wort ab. „Nachdem ich nun weiß, dass Sie Griechenland noch nicht kennen, schlage ich vor, die Hochzeitsplaner übernehmen auch das Arrangement der Blumen, während Sie einige Tage lang das Land erkunden. Kasas ist eine winzig kleine Insel. Eine Rundreise durch Griechenland wäre für Sie gewiss interessanter als langweilige Tage dort. Ich lebe und arbeite den Rest der Woche auf Kasas, daher stehen Ihnen mein Apartment hier in Athen und mein Chauffeur zur freien Verfügung.“

Grace starrte ihn aus großen Augen sprachlos an. „Unmöglich! Ich bin die Hochzeitsfloristin.“ Ein erschreckender Gedanke schoss ihr durch den Kopf. „Hat Christos Sie nicht darüber informiert, dass ich die gesamte Blumendekoration erstelle? Seit Wochen bereite ich alles dafür vor.“

„Schon möglich, dass er es gesagt hat. Im Chaos der Hochzeitsvorbereitungen … Mir war nicht bewusst, dass Sie so viel Zeit auf Kasas eingeplant haben.“

Offensichtlich war ihm ihre Anwesenheit auf der Insel unangenehm. Ebenso offenkundig hatte er keine Ahnung davon, welchen Zeitaufwand und welches Geschick das Arrangement von Blumen erforderte. Unwillkürlich musste Grace an die Kommentare ihres Vaters denken. ‚Mit Blumen herumspielen‘ war noch eine seiner höflichsten Bezeichnungen.

„Danke für das freundliche Angebot, doch morgen werden mehr als eintausend Blumen angeliefert, um die ich mich kümmern muss. Ich nehme meinen Job ernst. Allein das Design der Buketts und Gestecke hat Monate gedauert. Obendrein musste ich die besten Lieferanten finden und Floristen von den Nachbarinseln zur Unterstützung bestellen. Es kommt nicht infrage, dass ich mich jetzt vor meinen Verpflichtungen drücke und Urlaub mache.“

Andreas presste die Lippen fest aufeinander und warf ihr einen durchdringenden Blick zu. „Kasas wird Sie langweilen. Es gibt dort weder Geschäfte noch Bars, sondern nur mein Haus.“

Dass er immer noch zu glauben schien, sie hätte Zeit für derlei Vergnügungen, amüsierte Grace. Sie konnte sich das Lachen nicht verkneifen. „Ich bin schließlich nicht zum Einkaufen hier oder wegen des Nachtlebens.“

„Sie werden sich einsam fühlen. Die Hochzeitsplaner kehren abends nach Naxos zurück, auf Kasas lebt niemand außer mir, meiner Haushälterin und dem Gärtner.“ Fast beschwörend fügte er hinzu: „Wir werden ganz allein sein, Sie und ich.“

Plötzlich lag eine knisternde Spannung in der Luft. Grace spürte sie körperlich, und ihr Atem stockte, als allein ein verlockender Gedanke in ihr warme Wellen des Verlangens verursachte.

Konnte es sein, dass er etwas Ähnliches empfand? Seine Augen erschienen ihr dunkler als zuvor, seine Wangen waren leicht gerötet. Gleich darauf wandte er jedoch den Blick ab und räusperte sich. „Ich werde bis spätnachts arbeiten und kann nicht zu Ihrer Unterhaltung zur Verfügung stehen.“

Grace musste mehrmals blinzeln. Der unerwartete Ansturm von Begierde hatte sie aus dem Konzept gebracht. Am liebsten hätte sie sich auf seinen Schoß gesetzt, ihn umarmt, seinen betörenden Duft eingesogen, die Hitze seines Körpers gespürt. Was war nur los mit ihr?

Seit Monaten fieberte sie Sofias Hochzeit entgegen. Das Fest war die Chance, sich endlich einen Namen als Hochzeitsfloristin zu machen und irgendwann ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Sollte sie ihre Pläne aufgeben und auf sein Angebot eingehen?

Die Aussicht, die Nächte allein mit ihm auf einer abgeschiedenen Insel zu verbringen, schreckte sie ab. Er zog sie unwiderstehlich an und irritierte sie zugleich. Die widersprüchlichen Gefühle raubten ihr den Seelenfrieden. Wollte sie wirklich Zeit mit einem Mann verbringen, dem ihre Anwesenheit so offenkundig lästig war?

Denk an Sofia und Christos, ermahnte sie sich. Sie durfte sich nicht durch Andreas davon abhalten lassen, perfekte Blumenarrangements für die Hochzeit herzustellen und ihre ganze Liebe und Kreativität in Sofias Brautbukett zu binden. Dass die Feier ihre Karriere beflügeln könnte, war dabei auch nicht zu verachten.

„Ich habe die Aufgabe, spektakulären Blumenschmuck herzustellen. Das erfordert einen hohen Arbeitsaufwand, sodass ich Ihnen nicht in die Quere kommen werde“, erklärte sie mit so viel Nachdruck, wie sie aufbringen konnte. „Griechenland erkunde ich nach dem Fest. Ich habe die Tour bereits geplant.“ Damit stand sie auf und ergriff Reisetasche und Koffer. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich jetzt gerne aufbrechen.“

Grace stand am Rand des Pfads, der vom Hubschrauberlandeplatz zur Villa führte. Der Helikopter hob gerade ab, mit dem Luftsog flog ihr Rock in die Höhe, und sie kämpfte mühsam dagegen an. Andreas hatte im Lauf seines Lebens schon tollere Beine gesehen, dennoch war es ihm während des Flugs schwergefallen, nicht ständig auf ihre zu starren. Sie waren wohlgeformt mit Grübchen an den Knien, und ihm waren eine Reihe unangemessener Dinge eingefallen, die er gern damit anstellen würde …

Während des gesamten Flugs hatte Grace geschwiegen, dabei hatte er sie am Flughafen für eine Plaudertasche gehalten. Hatte er sie zu schroff angefahren und dadurch verschreckt? Sie konnte schließlich nichts dafür, dass die Gäste bei dem Ball früher am Abend es auffällig vermieden hatten, über Christos’ bevorstehende Hochzeit zu sprechen. Und dann kam der Anruf mit der Bitte, die wichtigste Brautjungfer vom Flughafen abzuholen.

Wieso hatte er seinem Bruder überhaupt gestattet, auf seiner privaten Insel zu heiraten? Alles wurde von Tag zu Tag komplizierter und weckte zudem schmerzliche Erinnerungen, die er seit zwei Jahren erfolgreich verdrängte.

Er hatte gewusst, dass Grace Chapman vorzeitig anreisen würde. Wie enthusiastisch sie der Hochzeit entgegenfieberte, hatte ihm dagegen niemand verraten. Oder wie toll sie aussah. Ihre Begeisterung machte ihm erneut bewusst, mit welchem Widerwillen er dieser Veranstaltung entgegensah, obendrein hatte er weder Zeit noch Lust, sich um die Frau zu kümmern. Sein neuestes Projekt, eine Hotelanlage auf den Kaiman-Inseln in der Karibik, forderte seine gesamte Aufmerksamkeit. Einen anspruchsvollen Gast konnte er gerade nicht gebrauchen.

Grace, die von seinen Überlegungen nichts ahnte, sah derweil nach Naxos hinüber. Die Lichter der Nachbarinsel strahlten in der Dunkelheit, während zu ihren Füßen die Brandung der Ägäis unablässig gegen die Felsen schlug. „Was für ein Anblick!“, rief sie und rieb fröstelnd mit den Händen über ihre bloßen Arme. Ein silbernes Charmarmband an ihrem Handgelenk klimperte leise.

Andreas schlüpfte aus seinem Jackett und legte es ihr um die Schultern. Sie zuckte überrascht zurück, und er erhaschte einen Blick in ihre veilchenblauen Augen, die ihn vom ersten Moment an fasziniert hatten.

Sie zögerte, dann schob sie die Arme in das Sakko, und Andreas zog es um ihre schmalen Schultern. Grace hob ihr langes blondes Haar über den Kragen. Als sie es wieder fallen ließ, streifte es seine Hände. Es fühlte sich seidig weich an und duftete so köstlich, dass sich etwas in ihm zusammenzog. Am liebsten hätte er ihre Wangen gestreichelt, den Daumen über ihre vollen Lippen gleiten lassen. Stattdessen wich er einen Schritt zurück, und Grace wandte sich wieder zum Meer um.

Höflich ergriff er ihr Gepäck. „Der Weg zum Haus ist gut beleuchtet, aber steil. Passen Sie also gut auf. Ich gehe voran.“

Nach einer Weile erreichten sie die Stelle, von der aus man die Villa sehen konnte. Andreas hörte Grace nach Luft schnappen und wandte sich besorgt um. Doch nichts war passiert, sie bewunderte lediglich das von der Beleuchtung vorteilhaft in Szene gesetzte Gebäude.

„Wunderschön! Es sieht aus wie an den Berghang geklebte Zuckerwürfel. Wirklich außergewöhnlich.“

Unwillkürlich musste Andreas an die letzte Frau denken, die er hergebracht hatte. Wäre sie nur halb so begeistert gewesen! Rasch verdrängte er die Erinnerung. „Danke. Es ist spät. Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer, die Gärten können Sie morgen erkunden.“

„Jetzt verstehe ich, weshalb die Hochzeit hier stattfinden soll. Sofia hat mir Fotos von Kasas gezeigt, doch sie werden der Realität nicht annähernd gerecht. Ich stelle mir gerade vor, wie idyllisch es aussehen wird, wenn die Gäste bei Kerzenschein auf der Terrasse tanzen …“

„Sobald ich Ihnen Ihr Zimmer gezeigt habe, können wir eine Kleinigkeit essen.“

„Danke, aber ich bin nicht hungrig.“ Grace zog das Jackett enger um sich und verschränkte die Arme. „Freuen Sie sich denn gar nicht auf die Hochzeit?“

Erst wusste Andreas nicht, was er sagen sollte, dann beschloss er, die Karten offen auf den Tisch zu legen. „Ich finde, die beiden überstürzen es. Sie kennen sich erst seit vier Monaten.“

„Sie sind wahnsinnig verliebt und ganz offensichtlich füreinander bestimmt. Es war Liebe auf den ersten Blick“, fügte sie verträumt hinzu.

„Wohl eher Lust auf den ersten Blick“, murmelte er und zerstörte damit absichtlich die romantische Stimmung. „Jemanden kennenzulernen dauert lange – wenn es überhaupt gelingt. Menschen sind nicht immer so, wie sie sich geben.“

„Was wollen Sie damit andeuten?“

„Mein Bruder ist ein außergewöhnlich wohlhabender Mann.“

„Das bedeutet Sofia nichts“, protestierte sie.

Andreas tat es leid, sie mit seinem Zynismus verletzt zu haben. Allerdings war er selbst zum Narren gehalten worden. „Sind Sie sicher?“ Er lachte bitter.

„Absolut.“ Wütend trat sie auf ihn zu.

Wer’s glaubt, dachte er spöttisch. Er würde nicht leicht davon zu überzeugen sein, dass Sofia nicht auf Christos Namen und Reichtum aus war. Und Grace Chapman … War sie wirklich nur wegen der Blumenarrangements hier oder wollte sie mit dem Trauzeugen anbandeln?

Seine Überlegungen entsprangen keiner Eitelkeit, sondern basierten auf Erfahrung. Andreas hatte oft genug erlebt, wie sich Frauen ihm an den Hals warfen, weil sie von seinem Namen und seinem Vermögen geblendet waren. Er nutzte es durchaus aus, ließ aber keine von ihnen nahe an sich herankommen.

Eine Affäre mit der Brautjungfer war jedoch ausgeschlossen. Die beste Freundin seiner zukünftigen Schwägerin gehörte quasi zur Familie und man würde sich immer wieder begegnen.

Ein Klingelton riss ihn aus seinen Gedanken. Grace zückte ihr Handy, warf einen Blick auf den Bildschirm und drehte sich um. „Hallo, Matt. Natürlich vermisse ich dich!“

Sie lachte und plauderte vergnügt, und Andreas fragte sich, wann er zum letzten Mal am Telefon so liebevoll begrüßt worden war. Aber wieso ließ Grace diese Anziehungskraft und Schwingung zwischen ihnen zu, wenn sie einen Freund hatte?

„Ich liebe dich auch.“ Grace legte auf, massierte den verspannten Nacken und ging ins Haus, in dem Andreas bereits verschwunden war. Sie betrat ein riesiges Wohnzimmer mit weiß getünchten Wänden und einem offenen Kamin. Der Raum war von schlichter Schönheit. Antike Teakholzmöbel bildeten einen starken Kontrast zu den offensichtlich bequemen hellen Sofas auf dem weißen Marmorboden.

Der harmonische Anblick des Interieurs konnte jedoch nicht ihren Ärger darüber vertreiben, dass Andreas ihrer Freundin Habgier unterstellte. War er ebenso kalt und zynisch wie ihr Vater? So besessen von Geld und Macht, dass er wahre Liebe und Loyalität nicht erkannte?

Wie auch immer – Trauzeuge und Brautjungfer durften nicht auf Kriegsfuß stehen. Sie würde lernen müssen, mit ihm auszukommen.

Er war in die Küche vorausgegangen, lehnte lässig an der Arbeitsplatte und schälte eine Orange. Sorgfältig hängte sie sein Jackett über eine Stuhllehne und strich es glatt. Dabei bemerkte sie, dass er sie beobachtete, während er mit langen, eleganten Fingern die Orangenschale in Spiralen abzog, ohne auch nur einmal hinzusehen.

Nervös stellte sie eine Flasche Champagner auf die Küchentheke. „Das ist mein Dankeschön dafür, dass ich hier wohnen darf.“ So gut ihr die Idee zu Hause erschienen war, hier wirkte sie unpassend. Verlegen spielte sie mit den Anhängern an ihrem Armband, und allmählich ließ ihre Anspannung nach. „Wir müssen miteinander reden.“

Andreas nickte. „Kann ich Ihnen etwas anbieten? Wein? Bier?“

Erst wollte sie ablehnen, interpretierte es dann aber als Friedensangebot. „Morgen steht mir ein anstrengender Tag bevor, daher hätte ich lieber einen Fruchtsaft.“

Statt sich auf einen der Stühle zu setzen, die er ihr anbot, blieb sie stehen und lehnte sich an die Wand neben einem altmodischen Buffet voller bunter Keramikgegenstände, die nicht recht zu der modernen Küche passten, ihr aber Charakter verliehen.

Ihr Handy klingelte erneut, diesmal war es Lizzie. Sie ließ den Anruf auf die Mailbox umleiten. „Können wir jetzt reden?“, fragte sie, nachdem sie sich mit einem Schluck Apfelsaft erfrischt hatte.

Er prostete ihr mit Mineralwasser zu und trank, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Worüber?“

„Sofia ist meine beste Freundin. Die Hochzeit bedeutet ihr alles. An diesem Tag soll nichts und niemand sie anfeinden.“

„Damit meinen Sie mich?“

„Sofia heiratet Christos aus Liebe – aus keinem anderen Grund.“

„Das haben Sie bereits gesagt.“

Autor

Katrina Cudmore
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