Auf der Suche nach dem Earl ihrer Träume

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Eine zärtliche Umarmung und ein Kuss im Mondschein - mehr als die Erinnerung an diese magische Begegnung ist Alex Leighton, Earl of Greystone, nicht geblieben. Der Krieg hat sein Aussehen zerstört, deshalb will er der schönen Emma nicht mehr gegenübertreten. Doch nun, zwölf Jahre später steht Emma überraschend wieder vor ihm! Noch immer wunderschön … und noch immer auf der Suche nach dem Mann, der einst ihr Herz eroberte.


  • Erscheinungstag 02.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778378
  • Seitenanzahl 100
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

1811

Das hier war das Mutigste, was sie je gemacht hatte. Und das wiederum war eine traurige Zusammenfassung ihres siebzehnjährigen Lebens, fand Emma Termaine, während sie auf Zehenspitzen über die Galerie ging. Ihre nackten Füße schienen sich dabei gegen die eisige Kälte der Holzdielen zu wehren.

Als sie die Balustrade erreichte, sah sie in den Hof unter ihr. Eine dicke Schicht Schnee bedeckte den gefrorenen Boden und verbarg die Furchen, die die ankommenden Kutschen im Schlamm hinterlassen hatten. Das altmodische, von einem gedeckten Gang umgebene Gasthaus war an diesem Abschnitt der Straße der einzige Schutz vor dem Sturm und deshalb mehr als ausgebucht.

Hätte der Kutscher nicht darauf bestanden, so hätte Tante Sophie nie erlaubt, dass sie die Nacht an einem solchen Ort verbrachten. Nur seine eindringliche Warnung, der Schneesturm werde sie einholen und sie würden erfrieren, bevor jemand sie retten konnte, hatte sie schließlich dazu gebracht, ihre Meinung zu ändern.

Sobald sie die Kutsche verlassen hatten, hatte Tante Sophie das Haus mit ihren Wünschen ins Chaos gestürzt. Die Bediensteten des Gasthauses waren die äußere Treppe, die zu dem Zimmer führte, das sich Emma mit ihrer Tante teilen musste, hinauf und wieder hinuntergeeilt und hatten Eimer voller Kohle und Wärmepfannen, gefolgt von Glühwein und saftigen Stücken Braten, der auf einem Spieß im enorm großen Kamin gesteckt hatte, gebracht.

Natürlich stellte nichts davon Sophie zufrieden. Weder das Essen noch die Geschwindigkeit der Bedienung, noch der Zustand der Laken, noch die Festigkeit der Seile, die die Matratze trugen.

Während des allgemeinen Durcheinanders hatte Emma auf den richtigen Augenblick gewartet, dem Ganzen zu entfliehen. Sie hatte sich die endlosen Klagen ihrer Tante geduldig angehört, bis sich deren Stimme in ein leises, vom Wein verursachtes Schnarchen verwandelte. Dann hatte sie sich Sophies schweres wollenes Umschlagtuch um die Schultern gewickelt und es so drapiert, dass es sie fast bedeckte, bevor sie leise die Zimmertür öffnete.

Obwohl der Sturm am Nachmittag ordentlich gewütet hatte, war die Nacht bemerkenswert klar. Die Luft, die die Schneefälle vom Staub gereinigt hatten, schien zu funkeln. Emma atmete tief ein und genoss die klare Luft. Daran, wie lange es dauern würde, bis sie wieder englische Landluft schnuppern konnte, wollte sie jetzt nicht denken.

Geplagt von den Regeln und Konventionen der bevorstehenden Saison würde sie in den nächsten Monaten eine Gefangene der Erwartungen ihrer Familie auf eine gute Partie sein. Während des vergangenen Jahres hatte sie das immer und immer wieder zu hören bekommen, bis sie es sich wie eine Litanei hatte herbeten können.

Die Hoffnungen ihrer Familie ruhten auf Emmas Fähigkeit, sich einen wohlhabenden Gentleman zu angeln, der sie dabei unterstützen würde, weiterhin jenen verschwenderischen Lebensstil zu führen, an den sie sich allzu sehr gewöhnt hatten. Bei dem Gedanken, dass ihre Familie ihr dieses Opfer abverlangte und damit das Vergnügen an diesem Abenteuer beträchtlich schmälerte, machte sich in Emma eine gewisse Bitterkeit breit. Sie war entschlossen, nicht über das nachzudenken, was vor ihr lag.

Jedenfalls nicht an diesem Abend. Dieser Abend gehörte nur ihr. Diese wenigen kostbaren Stunden der Freiheit.

Sie lehnte sich übers Geländer, um den Himmel betrachten zu können. Die fernen Sterne schimmerten wie Edelsteine, die jemand auf schwarzen Samt geschüttet hatte. Dieses Funkeln würde sie ebenfalls vermissen. In der Hauptstadt erwartete sie ein ständiger Schleier aus Smog.

Eine einzelne Schneeflocke segelte herab und landete auf Emmas Wange. Lächelnd berührte sie das feuchte Gebilde. Im selben Moment bemerkte sie am anderen Ende der Galerie, die sich vor den Schlafzimmern erstreckte, eine Bewegung.

Eine Gestalt löste sich aus dem dunklen Teil des Bereichs, in dem die Außentreppe vom Hof hinaufführte. Ohne nachzudenken zog Emma das Umschlagtuch enger um sich. Ihr hochgeschlossenes, langärmeliges Nachthemd war weitaus züchtiger als die Abendkleider, die sie in London tragen würde. Allerdings erinnerte sie die Kälte daran, dass es sehr dünn und beinahe durchsichtig war.

„Wer ist da?“, fragte sie.

„Ein Mitreisender. Einer, der ebenfalls nicht schlafen kann.“

Trotz der keineswegs beunruhigenden Antwort löste die männliche Stimme doch eine leichte Panik in Emma aus. Jede gut erzogene junge Frau wusste, dass diese Situation das Potenzial für eine Katastrophe besaß.

„Ich will Ihnen nichts tun“, fügte der Fremde rasch hinzu.

Die beschwichtigende Bemerkung sollte ihr offenbar die Angst nehmen. Das bedeutete – nahm sie an –, dass er eine gewisse Ahnung von gutem Benehmen hatte. War er vielleicht ein Gentleman?

Während sich dieser hoffnungsvolle Gedanke in ihrem Gehirn formte, löste sich der Fremde aus dem Schatten und ging die Galerie entlang auf Emma zu. Sie versuchte zurückzuweichen, hatte jedoch die Brüstung im Rücken und konnte nirgendwo hin.

Offensichtlich erkannte er ihr Dilemma, denn er blieb sofort stehen. Trotz ihres Unbehagens war sie ein wenig enttäuscht darüber, dass sie außer seiner Größe – er war etwas größer als die meisten Männer – nichts erkennen konnte. Das Licht war zu schwach, um seine Gesichtszüge ausmachen zu können, und der lange Umhang, den er trug, verbarg seine Statur.

„Kann ich Ihnen irgendwie zu Diensten sein, Madam?“, erkundigte er sich.

Er musste sich fragen, was sie im Nachthemd draußen auf dem Balkon tat. Sie versuchte, sich vernünftige Gründe dafür auszudenken; ihr fiel aber nichts ein, was ihren Ausflug erklären konnte. Jedenfalls nichts, was der Wahrheit nahekam, und die wollte sie diesem Fremden natürlich vorenthalten.

„Ich bin herausgegangen, um etwas frische Luft zu schnappen“, sagte sie.

Wenn es weniger kalt gewesen wäre, hätte diese Erklärung sicher gereicht. Zu behaupten, sie habe sich bei dieser Eiseskälte wegen der frischen Luft hinausgewagt, grenzte allerdings ans Absurde. Und das wussten sie beide.

„Ich versichere Ihnen, ich bin wirklich vertrauenswürdig.“ Seine Stimme klang jetzt verschwörerisch und er trat einen weiteren Schritt auf Emma zu. Der Umhang, schwärzer als die Schatten hinter ihm, umriss jetzt breite Schultern. „Wenn Sie Probleme haben ...“

Keine Probleme, außer Sie betrachten es ebenfalls als Problem, dazu gezwungen zu werden, einen Mann nur wegen seines Einkommens heiraten zu müssen.

Natürlich sagte sie nichts dergleichen. Wie auch immer sie darüber dachte, sie hatte sich schon vor langer Zeit in ihr Schicksal ergeben. Das hier heute Nacht war ihr einziger Akt der Rebellion. Bis dieser Mann erschienen war, war ihr das ausgesprochen unschuldig erschienen.

„Probleme? Natürlich nicht. Ich bin auf dem Weg zur Saison nach London“, sagte sie und versuchte ihre Stimme so enthusiastisch klingen zu lassen, wie sie sich ganz und gar nicht fühlte.

„Sicher mit einer Kiste voller Kleider und einer anderen voller Erwartungen.“ Seine tiefe Stimme klang noch besser, wenn er amüsiert war.

Emma fand, dass sie unbedingt sein Gesicht sehen wollte, und wenn auch nur, um herauszufinden, ob es ebenso anziehend war. Der Fremde bemühte sich umsichtig darum, die nötige Distanz zu wahren, aber er wollte ihr Gespräch offenbar auch fortsetzen. Und je mehr sie es in die Länge ziehen konnte, desto größer würde das Abenteuer sein, wenn sie sich irgendwann daran erinnerte. Sie versuchte sich eine witzige Bemerkung auszudenken und entschied sich, als ihr keine einfiel, die Wahrheit zu sagen.

„Mehr Ängste als Erwartungen muss ich leider sagen.“

„Ah, aber Sie müssen sich weder zu dem einen noch zu dem anderen bekennen.“ Immer noch klang in seiner Stimme Humor mit, doch nun war sein Tonfall deutlich ernster. „Egal, welche Zweifel Sie auch haben mögen, Sie müssen immer die Fassade aufrechterhalten und gelassen und zuversichtlich wirken.“

„Ich nehme an, Sie sprechen aus Erfahrung.“

Er lachte. Es klang kräftig, obwohl er die Stimme gesenkt hielt. Und irgendwie machte er ihr auch klar, dass er sich nicht über ihre Naivität, sondern über sich selbst amüsierte.

„Ich glaube, ich bin mit jeder Gastgeberin in London bekannt, die einen zusätzlichen Junggesellen braucht. Mehr bin ich nicht, das versichere ich Ihnen. Einer, der eine Tischgesellschaft auffüllt oder eine noch nicht vergebene junge Dame zur Tafel begleitet.“

Sie mochte provinziell sein, doch selbst Emma wusste, was „nicht vergeben“ bedeutete. Und sie wusste auch, dass dieser Zustand unter allen Umständen vermieden werden musste.

„Dann sind Sie also kein guter Fang?“

„Ein jüngerer Sohn“, sagte er bereitwillig. „Aus einer respektablen Familie, das versichere ich. In meinem Keller gibt es keine Leichen.“

Während sie ihn dabei beobachtete, trat er an die Balustrade und sah hinunter.

„Sieht so aus, als gebe es einen Wetterwechsel. Morgen früh wird es vollkommen aufgeklart haben.“

Falls das zutraf, konnten ihre Truhen wieder auf die Kutsche ihres Onkels geladen werden, und sie würden ihre Reise so früh wie möglich fortsetzen. Es würde so sein, als habe diese Nacht nie stattgefunden.

Er wandte den Kopf und sah nun nicht mehr den mitternächtlichen Himmel, sondern sie an. Der Schnee unten reflektierte das Mondlicht inzwischen so stark, dass sie endlich das Gesicht des Fremden sehen konnte.

Eine Adlernase und ein eckiges, entschlossenes Kinn dominierten seine regelmäßigen, angenehmen Gesichtszüge. Blaue Augen unter einer hohen Stirn, die von zerzausten schwarzen Locken bedeckt war, lächelten Emma an.

Ihr Herz machte etwas sehr Seltsames: Es hörte auf zu schlagen oder setzte einen Moment aus oder schlug zu schnell. Und dann – wie Herzen es für gewöhnlich tun – begann es wieder regelmäßig zu schlagen, wenn auch etwas schneller als zuvor.

„Sie haben mir immer noch nicht verraten, was Sie um Mitternacht draußen auf dem Balkon tun“, sagte er.

Es war schon ziemlich lange her, dass sich jemand für ihre Gefühle interessiert hatte. Emma holte tief Luft und platzte dann mit der Wahrheit heraus.

„Ich nehme an, es ist eine Alternative zum Davonlaufen.“

„Vor der Saison?“

„Vor allem. Vor den Regeln, den Vorschriften und den Erwartungen. Vor der Ehe mit jemandem, den ich kaum kenne.“

„Vielleicht verlieben Sie sich.“

„Tun die Menschen in London das?“

„Manchmal.“

„Aber sehen Sie, das ist nicht die wichtigste Voraussetzung für meinen zukünftigen Ehemann.“

„Und was ist die wichtigste Voraussetzung?“, fragte er sehr ernst, auch wenn seine Augen noch immer lächelten.

„Ein Vermögen.“

„Ah, jemand, der hinter Geld her ist. Dann werden Sie zweifelsohne nicht der Liebe wegen heiraten.“

„Ich fürchte, nicht einmal für den Fall, dass ich mich verlieben sollte. Also ist der heutige Abend ...“ Sie zögerte angesichts der verzwickten Situation, in die ihre Unbesonnenheit sie gebracht hatte.

„Der heutige Abend?“

„Besonders wichtig“, bekannte sie leise.

„Ein letztes Abenteuer?“, schlug er vor. Wieder schien er ihre Gedanken lesen zu können.

„Woher wissen Sie das?“

„Weil ich eine ähnliche Angewohnheit habe.“

„Abenteuer zu suchen?“

„Das Resultat einer unglücklicherweise romantischen Ader.“

Sie hatte noch nie darüber nachgedacht, ob auch sie eine Romantikerin war, aber vielleicht hatte er recht. Vielleicht war das die Ursache für ihre derzeitige Melancholie. Sie sollte eigentlich aufgeregt sein angesichts der vor ihr liegenden Vergnügungen. Stattdessen …

„Unglücklicherweise romantisch?“, wiederholte sie, als sie richtig erfasste, was er gesagt hatte.

„In einer Gesellschaft, die von diesen Regeln und Erwartungen regiert wird.“

„Ich habe nicht gewusst, dass auch Männer ihnen unterliegen.“

„Was glauben Sie denn, warum wir so willig Frauen heiraten, die hinter unserem Geld her sind?“, neckte er sie und lächelte sie wieder an.

„Das weiß ich nicht. Vielleicht aus dem Wunsch nach Gesellschaft?“, schlug sie zögernd vor.

„Die leisten ihnen ihre … ihre Bekanntschaften“, sagte er vorsichtig.

Sie war nicht so provinziell, wie er glaubte. Immerhin hatte Papa eine Mätresse gehabt, und ihre Mama nahm noch immer einen respektierten und unersetzbaren Platz in seinem Leben ein.

„Um ihnen den Haushalt zu führen“, sagte sie und dachte an die vielfältigen Aufgaben ihrer Mutter. „Damit alles reibungslos läuft.“

„Und um ihre Kinder zu gebären. Angemessene Kinder mit einer makellosen Herkunft.“

„Ich bitte Sie“, sagte sie und fühlte, wie sie trotz der Kälte errötete. Sie hoffte, dass die Dunkelheit es verbarg, damit er nicht merkte, wie naiv sie wirklich war.

„Ich habe Sie zum Erröten gebracht“, sagte er und löschte diese Hoffnung aus. „Vergeben Sie mir. Ich hatte vergessen, dass diese Nacht romantischen Gefühlen gewidmet ist.“

„Gehören Kinder nicht dazu?“

„Wohl kaum“, antwortete er. „Kinder sind Erben und bedeuten Vereinbarungen und Titel.“

„Sie sind offenbar sehr abgestumpft, Sir.“

„Allerdings. Aber es freut mich, dass Sie es nicht sind.“

Sie errötete noch mehr, widersprach ihm aber nicht.

„Und das hier“, er wies auf den Ausblick jenseits der Balustrade, „ist also ihr letztes großes Abenteuer?“

Sie folgte seiner Geste und betrachtete noch einmal den schneebedeckten Boden und den samtigen, mit Sternen besetzten Himmel. Bevor der Fremde gekommen war, war sie damit zufrieden gewesen. Jetzt schien ihr Aufstand – mit seinen Augen gesehen – ausgesprochen zahm und gewöhnlich.

„Ich fürchte, es muss reichen“, sagte sie. „Immerhin ist die Luft klar und die Nacht ...“

Sie wandte ihm wieder das Gesicht zu und stellte fest, dass er jetzt näher bei ihr stand als vorher. Es sah sogar so aus, als beuge er sich in ihre Richtung. Bevor sie etwas sagen konnte, hoben sich seine Mundwinkel erneut und verliehen seinem Gesicht wieder diese männliche Schönheit, die ihr schon vorhin aufgefallen war.

Wieder reagierte ihr Herz darauf, setzte einen Schlag aus und begann dann zu rasen, als sein Mund sich weiter herabsenkte. Obwohl sie genau wusste, dass sie jetzt etwas tun sollte – zum Beispiel ihre Hand abwehrend auf seine Brust legen oder um Hilfe rufen –, tat sie nichts dergleichen. Sie wartete einfach auf seinen Kuss.

Sein Mund war warm, fest und erfahren. Und sich sehr sicher, wie sie darauf reagieren würde.

Sie enttäuschte ihn nicht. Ihr Mund öffnete sich – vielleicht vor Schreck, doch er öffnete sich auf jeden Fall –, um seine Zunge einzulassen.

Es war nicht das erste Mal, dass sie geküsst wurde. Immerhin hatte sie sich im vergangenen Jahr zu Hause in der Gesellschaft bewegt. Es hatte eine Menge ländlicher Feste gegeben. Und ebenfalls eine Menge ländlicher Gentlemen.

Aber keiner von ihnen hatte sie so geküsst. Es raubte ihr erst den Atem und dann ihre Standfestigkeit. Sie taumelte gegen den Unbekannten.

Vielleicht verstand er das als Einladung. Jedenfalls schlang er einen Arm um ihre Taille und zog sie gegen seine feste Brust.

Sie konnte nicht widerstehen. Ihre Zunge fuhr fort, ihn zu erkunden. Ihre Hände hoben sich – nicht, um ihn wegzustoßen, sondern um unter seinen warmen Umhang zu schlüpfen und sich auf die breite Brust zu legen, die der Umhang bedeckte.

Nach einer Ewigkeit – jedenfalls schien es ihr so – war er es, der den Kuss abbrach. Er hob den Kopf. Leuchtend blaue Augen im Mondlicht, die Emma ansahen. Vom Lachen, das sie zuvor darin gesehen hatte, gab es keine Spur mehr.

„Verraten Sie mir Ihren Namen“, verlangte er leise. Er hob eine behandschuhte Hand und strich ihr eine Strähne ihres feuchten, windzerzausten Haars aus dem Gesicht.

„Emma. Emma Termaine.“

„Lassen Sie nicht zu, dass sie Sie zerbrechen, Emma. Rebellion ist etwas Gutes. Das Geheimnis ist: Man muss wissen, wann man rebellieren sollte und wann nicht.“

Sie nickte, als sähe sie einen Sinn darin. Ihr Blick war noch immer auf seine faszinierenden Augen geheftet.

„Ein Unterschied, den ich hätte lernen sollen, fürchte ich.“ Er ließ sie los und trat zurück, als hätten sie gerade einen Tanz beendet.

Ohne seine warme Umarmung fühlte sich die Nachtluft viel kälter an als zuvor, bevor er die Arme um sie geschlungen hatte.

„Werden Sie in London sein?“, fragte sie.

Das Durcheinander der Gefühle ließ keinen Platz für falschen Stolz. Sie musste unbedingt wissen, ob sie ihn wiedersehen würde.

Auch wenn er kein „Fang“ war, wie er gesagt hatte, so hatte er sie doch zur Rebellion ermutigt. Wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. Sicher, ganz sicher würde das geschehen.

„Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich, ich wäre da.“

„Aber ...“

„Stellen Sie sicher, dass das Vermögen, das Sie erobern werden, groß genug ist, um Sie glücklich zu machen, süße Emma.“

Er ging noch einen Schritt zurück und vergrößerte so den Abstand zwischen ihnen. Sie konnte nicht anders, sie musste die Hand auf seinen Arm legen. Auf dem feinen schwarzen Wollstoff seiner Jacke wirkte sie sehr blass.

Er legte seine behandschuhte Hand darauf, hob ihre Hand an seine Lippen und sah sie darüber hinweg an.

Und dann lächelte er. Dasselbe langsame Heben der Mundwinkel, das ihr schon aufgefallen war. Wieder verwandelte das Lächeln sein Gesicht in etwas ganz Außergewöhnliches.

Eine Ewigkeit sahen sie einander an. Schließlich ließ er ihre Hand los, drehte sich im selben Moment um, ging die Galerie hinunter und verschmolz wie ein Phantom mit der Dunkelheit an der Treppe.

Sie lehnte sich über das Geländer und versuchte, einen Blick auf ihn zu erhaschen. Es hatte wieder zu schneien begonnen, ein feiner Schneegriesel über dem leeren Hof.

Es war vollkommen still. Nur ein paar verirrte Schneeflocken wurden von einem zufälligen Windstoß vorbeigetrieben. Kein Geschirrgeklingel. Kein Hufgeräusch. Nichts.

Sie schloss die Augen, um nicht zu weinen. Nach einem kurzen Moment öffnete sie sie wieder. Ihr fiel auf, dass sie verfroren und feucht war und sehr allein. Ihr fiel auch auf, dass sie nur einige dieser Unannehmlichkeiten abstellen konnte.

Sie sah nach unten und griff nach dem Saum des Umschlagtuchs ihrer Tante, um es enger um ihren zitternden Körper zu ziehen. Als sie den Stoff um sich schlang, landete eine einzelne Schneeflocke auf der weichen schwarzen Wolle. Für einen kurzen Augenblick war jede Einzelheit ihrer unvergleichlichen Form auf dem dunklen Gewebe klar und deutlich sichtbar. Und dann, bevor Emma ihre Schönheit ganz und gar begreifen konnte, war die Schneeflocke verschwunden.

Autor

Gayle Wilson
<p>Gayle Wilson hat zweimal den RITA® Award gewonnen. 2000 und 2004 in der Kategorie „Romantic Suspense Novel“. Im Angesicht, dass sie zweimal den RITA® - Award gewonnen hatte, wurde sie für 50 andere Preise nominiert oder damit ausgezeichnet. Gayle Wilson hat einen Master – Abschluss in Lehramt. Sie arbeitet als...
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