Aus lauter Liebe nach New York

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Eigentlich lebt Rebekah in Sydney: Hier betreibt sie mit ihrer Schwester einen Blumenladen. Aber in letzter Zeit hat sie manchmal das Gefühl, dass ihr Herz am anderen Ende der Welt wohnt - in New York! Dort arbeitet Jace, den sie auf einer Hochzeit kennengelernt hat. Als er geschäftlich nach Australien muss, besucht er Rebekah sofort. Bei einem romantischen Dinner flammen ihre Gefühle füreinander wieder auf. Dennoch bleibt Rebekah vorsichtig: Eine unglückliche Beziehung hat sie bereits hinter sich. Der Schmerz sitzt tief - und deshalb kann sie nicht Ja sagen, als Jace ihr am letzten Tag einen Heiratsantrag macht und sie bittet, mit ihm nach New York zu gehen …


  • Erscheinungstag 30.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757816
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es gibt Tage, an denen man am besten im Bett bleibt, dachte Rebekah und hob den Kopf, um auf die Uhr zu sehen.

Doch die Ziffern blinkten, und das bedeutete, dass es in der Nacht einen Stromausfall gegeben hatte. Kein Wunder, dass der Wecker nicht geklingelt hatte.

Rebekah griff nach ihrer Armbanduhr. Dann fluchte sie leise und sprang aus dem Bett. Als sie auf dem Weg in das angrenzende Badezimmer mit den Zehen an irgendein Hindernis stieß, fluchte sie noch einmal, aber dieses Mal viel lauter.

Das eisig kalte Wasser bewirkte, dass Rebekah in Rekordzeit mit dem Duschen fertig war. Nachdem sie sich angezogen hatte, eilte sie in die Küche. Sie gab der Katze etwas zu fressen, nahm eine Flasche Orangensaft aus dem Kühlschrank und trank einen Schluck. Dann griff sie nach der Umhängetasche und fuhr mit dem Aufzug nach unten in die Tiefgarage.

Wenige Sekunden später setzte sich ans Steuer des Lieferwagens mit der Aufschrift Blooms and Bouquets, dem Namen ihres Blumengeschäfts, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und wollte den Motor anlassen.

Doch es geschah nichts, der Motor sprang nicht an. Bitte, tu mir das nicht an, bat sie insgeheim. Während der nächsten Minuten versuchte sie alles Mögliche, um den Wagen zum Anspringen zu bewegen. Aber es war alles vergeblich.

Aus lauter Frust hätte sie am liebsten gewütet und getobt. So etwas passiert sonst nur an einem Freitag, dem Dreizehnten, und nicht an einem Dienstag, dachte sie. Was würde heute noch alles schief gehen? Am besten dachte sie gar nicht darüber nach, um nicht das nächste Missgeschick auch noch anzuziehen.

Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich in ihren roten MG zu setzen und mit dem Sportwagen durch die Straßen des Vororts von Sydney zu fahren.

Natürlich war es nicht das ideale Auto, um Blumen zu dem Blumengeschäft in Doubly Bay, das sie zusammen mit ihrer Schwester Ana besaß, zu transportieren.

In den frühen Morgenstunden herrschte noch nicht viel Verkehr, die Stadt erwachte erst langsam zu neuem Leben. Nach der langen Nacht waren die Leute der städtischen Straßenreinigung schon unterwegs und beseitigten den Abfall, den die Menschen hinterlassen hatten. Obst- und Gemüseverkäufer holten ihre Ware vom Großmarkt ab, und Geschäftsleute fuhren in Taxis zum Flughafen, um mit den ersten Fliegern rechtzeitig zu ihren Zielen zu gelangen. Auch die großen Tanklastwagen sorgten bei den Tankstellen für Nachschub.

Rebekah liebte diese Tageszeit ganz besonders. Sie stellte das Radio an, und die Musik heiterte sie auf.

Bald würde die Sonne aufgehen, die grauen Schatten der Nacht würden sich auflösen, und alles wäre von Licht und Farben erfüllt.

In der Großmarkthalle stellte Rebekah auf den ersten Blick fest, dass die besten Blumen schon weg waren. Sie gab ihre Bestellung auf und fuhr weiter nach Double Bay.

Das Geschäft lag in einer exklusiven und momentan sehr beliebten Gegend. Dank des Erbes, das ihre Mutter ihr hinterlassen hatte, hatte Rebekah keine Hypothek und keinen Kredit aufnehmen müssen und war schuldenfrei.

Um halb sieben schloss sie die Ladentür auf, machte das Licht an und stellte die Kaffeemaschine an. Dann stellte sie den Computer an, prüfte die Bestellungen, die per E-Mail hereingekommen waren, und las die eingegangenen Faxe durch.

Es würde ein arbeitsreicher Tag werden. Sie brauchte mehr Blumen, als sie bestellt hatte, und gab sogleich telefonisch eine Nachbestellung auf. Danach rief sie die Autowerkstatt an, die sich um den Lieferwagen kümmern sollte.

Der heiße schwarze Kaffee mit viel Zucker weckte ihre Lebensgeister. Sie trank gerade die dritte und letzte Tasse, als Ana hereinkam.

Wenn sie ihre Schwester ansah, hatte sie beinah das Gefühl, sich selbst im Spiegel zu betrachten. Sie waren beide zierlich und schlank mit üppigen Rundungen und hatten naturblondes Haar. Ana war siebenundzwanzig und zwei Jahre älter als Rebekah. Auch im Charakter waren sie sich sehr ähnlich, aber Rebekah hatte das Gefühl, dass sie mehr Entschlusskraft besaß.

Sie hatte eine schlimme Beziehung hinter sich, in der sie sich hatte behaupten müssen. Und das hatte ihre Willenskraft gestärkt. Außerdem hatte ihre kurze Ehe bewirkt, dass sie Männern grundsätzlich misstraute.

Ein Jahr war sie mit Brad Somerville verlobt gewesen, ehe sie geheiratet hatten. Nach einer traumhaft schönen Hochzeit waren sie in die Flitterwochen gefahren. Rein gar nichts hatte Rebekah darauf vorbereitet, dass der Mann, dem sie Liebe und Treue versprochen hatte, innerhalb von zehn Stunden nach der Trauung ein ganz anderes und endlich sein wahres Gesicht zeigte.

Zuerst hatte sie geglaubt, etwas Falsches gesagt oder gemacht zu haben. Es war schon schlimm genug gewesen, mit Worten beleidigt zu werden. Doch körperliche Gewalt zu erfahren war noch viel schlimmer. Brad war über alle Maßen eifersüchtig und so besitzergreifend, dass es schon an Besessenheit grenzte. Innerhalb kurzer Zeit hatte er alle Gefühle, die sie für ihn gehabt hatte, getötet. Nach drei Monaten Ehe, die ihr wie die Hölle vorgekommen waren, hatte sie ihre Sache gepackt und ihn verlassen.

Nach der Scheidung hatte sie ihren Mädchennamen wieder angenommen, sich ein Apartment gekauft und sich ein Burmilla-Kätzchen zugelegt, das sie Millie nannte. Sie hatte sich entschlossen, nur noch für ihre Arbeit zu leben.

„Hallo“, begrüßte Rebekah ihre Schwester und lächelte voller Mitgefühl, als sie bemerkte, wie müde Ana wirkte. „Bist du spät ins Bett gegangen? Oder war dir heute Morgen wieder übel?“

„Oh, sehe ich so schlecht aus?“, fragte Ana, während sie sich an den Computer setzte und die Aufträge prüfte, die an diesem Tag zu erledigen waren.

„Vielleicht solltest du auf Luc hören und weniger arbeiten.“

Ana warf Rebekah einen vorwurfsvollen Blick zu. „Eigentlich hätte ich von dir erwartet, dass du zu mir statt zu Luc hältst.“

Rebekah rümpfte belustigt die Nase. „Das tue ich, glaub es mir.“

„Was sollte ich denn in dem großen Haus den ganzen Tag machen? Petros ist der perfekte Hausangestellte, er erledigt alles ganz allein.“

In dem Moment läutete das Telefon. Ana meldete sich. Nachdem sie kurz zugehört hatte, reichte sie ihrer Schwester das schnurlose Telefon. „Für dich.“

Es war der Automechaniker. Er erklärte, der Lieferwagen brauche nur eine neue Batterie. Er versprach, sie sogleich einzubauen.

„Hattest du Probleme?“, fragte Ana.

„Der Wagen wollte nicht anspringen.“ Rebekah stellte das schnurlose Telefon auf die Ladeschale. Wenige Sekunden später läutete es schon wieder.

Und so ging es den ganzen Vormittag weiter. Ein schwieriger Kunde stellte ihre Geduld auf eine harte Probe, ein anderer beschwerte sich über die hohen Gebühren, die die Floristen für den Lieferservice berechneten.

Um die Mittagszeit herum merkte Rebekah, dass sie hungrig war. Ihr Energievorrat war erschöpft. Außer einem Müsliriegel, einem Schluck Orangensaft und drei Tassen Kaffee hatte sie nichts gegessen und getrunken.

„Ich hole mir rasch ein Thunfischsandwich. Anschließend kannst du Mittag machen.“

Ana blickte vom Computer auf. „Ich brauche nicht essen zu gehen. Du kannst mir ein Thunfischsandwich mitbringen.“

„Nein, das werde ich nicht tun“, entgegnete Rebekah energisch. „Du kaufst dir irgendein Hochglanzmagazin, setzt dich in eins der schönen Cafés hier in der Nähe, trinkst einen Kaffee und bestellst dir etwas Vernünftiges zu essen.“

Ana verdrehte die Augen. „Ich trinke nur noch Tee und keinen Kaffee mehr“, wandte sie ein und verzog das Gesicht. „Wenn du jetzt auch noch anfängst, mich wie eine schwangere Prinzessin zu behandeln, wirst du geohrfeigt.“

Rebekah musste lachen, und es klang tief und etwas heiser. Dabei blitzte es in ihren Augen belustigt auf. „Behandelt Petros dich so?“ Der Mann mittleren Alters arbeitete schon viele Jahre für Luc als Mädchen für alles. „Redet er dich eigentlich immer noch mit Mrs. Dimitriades an?“

„Ja. Alles andere hält er für unpassend. Aber ich bin sicher, dass er mich eines Tages mit meinem Vornamen anredet“, erwiderte Ana und lachte auch. Sie liebte ihre Schwester sehr, sie waren seit ihrer Kindheit die besten Freundinnen. Sie standen sich sehr nahe, halfen sich gegenseitig und vertrauten sich alles an. Anas Hochzeit mit Luc Dimitriades vor ungefähr einem Jahr war einer der glücklichsten Tage in ihrem Leben gewesen. „Vergiss nicht, dass du heute zum Abendessen eingeladen bist.“

Als Ana erwähnte, in welchem Restaurant Luc einen Tisch reserviert hatte, zog Rebekah die Augenbrauen hoch. Es war eins der besten weit und breit. Sie erbebte, und ihr Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken, Jace, Lucs Cousin, wieder zu sehen. Er war am Abend zuvor aus New York eingetroffen.

Sein Bild stieg vor ihr auf. Er war groß, breitschultrig, hatte scharf geschnittene Gesichtszüge, dunkelgraue Augen und sinnliche Lippen.

Rebekah wusste, wie seine Lippen sich auf ihren anfühlten. Auch jetzt noch, nach einem Jahr, erinnerte sie sich lebhaft an Lucs und Anas Hochzeit. Sie war die Brautjungfer ihrer Schwester gewesen, Jace der Trauzeuge seines Cousins. Mehrere Stunden lang war sie sich Jace’ Nähe allzu sehr bewusst gewesen. Immer wieder hatte er die Hand auf ihre Taille gelegt, und er hatte sie mit seinem Körper berührt, als sie für das Hochzeitsfoto nebeneinander hatten stehen müssen.

Mit ihm zu tanzen war ihr geradezu wie ein Albtraum vorgekommen. Hitze hatte sich in ihr ausgebreitet, und es hatte heftig zwischen ihnen geknistert.

War das nicht der wahre Grund dafür gewesen, dass sie auf die Terrasse geflüchtet war, nachdem Luc und Ana sich verabschiedet hatten?

Doch als sie sich umdrehte, um ins Haus zurückzugehen, stand Jace so dicht hinter ihr, dass sie sich wie in einer Falle fühlte. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, ließ er die Lippen federleicht über ihre Wangen gleiten. Und dann presste er die Lippen auf ihre. Einen herrlichen, verrückten Augenblick lang schmiegte sie sich an ihn.

Jace’ spontane Zärtlichkeiten hatten eine verheerende Wirkung.

Noch nie zuvor hatte jemand sie so geküsst. Sie hatte das Gefühl, er würde in die Tiefe ihrer Seele vordringen. Er schien sie erobern zu wollen. Es kam Rebekah so vor, als wäre sie von einer Klippe gesprungen und befände sich im freien Fall in einen gähnenden Abgrund. Aber instinktiv wusste sie, dass Jace sie auffangen würde, ehe sie auf dem Boden aufprallte.

Wer hatte sich als Erster zurückgezogen? Rebekah konnte es nicht sagen. Sie erinnerte sich nur daran, dass es in seinen dunkelgrauen Augen rätselhaft aufgeleuchtet hatte. Ruhig und reglos stand er da und beobachtete sie, während sie ein Wechselbad der Gefühle durchlebte. Innerhalb weniger Sekunden breiteten sich zuerst Schock und dann Bestürzung in ihr aus.

Schließlich gewann Ärger die Oberhand, und sie ohrfeigte ihn, ehe sie die Terrasse verließ. Jace nicht versuchte, sie zurückzuhalten, worüber sie sich seltsamerweise genauso ärgerte wie über seinen Kuss oder ihre Reaktion darauf. Sie hatte sich wieder zu den anderen Gästen gesellt und gelächelt, bis ihr die Gesichtsmuskeln wehtaten.

Lange Zeit war sie zornig auf sich selbst gewesen, weil sie sich auf diese Dummheit eingelassen hatte.

Und jetzt war Jace Dimitriades wieder da, er war wieder in Sydney. Ana und Luc erwarteten von Rebekah, dass sie mit ihnen zum Abendessen ausging.

„Ehrlich gesagt, ich habe keine Lust, Jace wieder zu sehen, obwohl ich dir versprochen habe, mitzukommen“, erklärte sie.

„Warum willst du mir eigentlich nicht verraten, was passiert ist?“, fragte Ana. „Es sieht dir gar nicht ähnlich, dich feige vor etwas zu drücken.“

Bin ich feige? überlegte Rebekah. „Entschuldige, aber ich möchte wirklich nicht darüber reden“, erwiderte sie.

„Stell dir doch vor, wie viel Spaß es dir machen würde, ihn etwas zu reizen und zu provozieren.“

Rebekah sah, wie herausfordernd es in Anas blauen Augen aufblitzte, und lächelte. „Das wäre unfair, finde ich.“

Ana lächelte auch. „Das schwarze Versace-Outfit ist perfekt für die Gelegenheit.“

Ein rückenfreies Kleid, unter dem sie keinen BH tragen konnte, hielt ihre Schwester für passend? „Darüber muss ich erst nachdenken“, sagte Rebekah.

„Wir holen dich auf jeden Fall ab und fahren dich auch wieder nach Hause.“

Rebekah konnte sich gut vorstellen, dass Jace darauf bestehen würde, sie im Taxi nach Hause zu bringen. „Nein, vielen Dank. Ich fahre mit meinem eigenen Wagen“, entgegnete sie deshalb.

„Okay.“ Ana sah sie belustigt an.

Es war beinah sieben, als Rebekah aus ihrem MG ausstieg und dem uniformierten Mitarbeiter des Restaurants den Autoschlüssel gab, damit er den Wagen parkte.

Zum x-ten Mal fragte sie sich, ob sie den Verstand verloren hätte. Doch in letzter Minute die Flucht zu ergreifen, war nicht ihr Stil.

Hatte sich Jace Dimitriades verändert in dem einen Jahr? Hatte er eine Geliebte? Oder hatte er momentan keine feste Beziehung?

Was für dumme Gedanken, schalt sie sich, während sie das Restaurant betrat. Männer wie Jace Dimitriades waren nie längere Zeit allein. Rebekah erinnerte sich daran, dass Ana erzählt hatte, Jace würde regelmäßig nach London, Paris und Athen fliegen. Wahrscheinlich hatte er in jeder dieser Städte eine Geliebte.

Der Oberkellner begrüßte sie höflich. Sie nannte ihren Namen, und er führte sie in die Bar, wo einige Gäste bei ihren Drinks saßen.

Das Ambiente war ungemein luxuriös, die Blumen, mit denen die Tische dekoriert waren, waren echt und keine Imitationen aus Seide. Die Möbel waren teuer, und dicke, wertvolle Teppiche dämpften die Schritte.

An einem Flügel saß ein Pianist und sorgte für dezente Hintergrundmusik, während die Getränkekellner leise und unauffällig zwischen den Tischen umherliefen.

Es geht hier sehr gepflegt und vornehm zu, dachte Rebekah, als der Oberkellner schließlich zurückkam, um sie an den Tisch zu führen.

Sie folgte ihm lächelnd und wollte sich bei ihm bedanken. Doch das Lächeln verging ihr, denn nicht Luc stand auf, um sie zu begrüßen, sondern Jace. Er war allein.

„Rebekah.“ Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung kam er näher, senkte den Kopf und küsste sie auf die Wange. Obwohl es nur eine flüchtige Berührung war, verschlug es ihr sekundenlang die Sprache. Schließlich stieg Ärger in ihr auf.

„Wie kannst du es wagen?“, stieß sie empört, aber leise hervor.

Er zog eine Augenbraue hoch und sah Rebekah aufmerksam an. „Hast du eine formellere Begrüßung erwartet?“

Sie antwortete nicht und kam sich vor wie in einer Falle. Er stand so dicht vor ihr, dass sie kaum zu atmen wagte.

Er trug einen eleganten Designeranzug. Er war Mitte dreißig, und seine scharf geschnittenen Gesichtszüge verrieten seine griechische Abstammung. Mit seinen dunkelgrauen, beinah schwarzen Augen blickte er sie so durchdringend an, dass er sie aus dem seelischen Gleichgewicht brachte.

Kein Mann dürfte eine solche Ausstrahlung haben, dachte sie. Jace war von einer Aura der Macht umgeben, er war ungemein attraktiv und selbstbewusst. Außerdem wirkte er so sinnlich, so erotisch, dass Rebekah Mühe hatte, ihre Emotionen, die außer Kontrolle zu geraten drohten, zu beherrschen.

Ein Blick hatte genügt, um sich wieder daran zu erinnern, wie es sich angefühlt hatte, von ihm umarmt und geküsst zu werden. Sie glaubte, seine Lippen auf ihren zu spüren, verführerisch, erregend und besitzergreifend.

Plötzlich wurde ihr bewusst, wie heftig ihr Herz klopfte. Es war verrückt, ja geradezu wahnsinnig, so heftig auf diesen Mann zu reagieren. Ich muss mich zusammennehmen, mahnte sie sich. Er durfte nicht merken, wie sehr er sie aus dem seelischen Gleichgewicht brachte.

Warum habe ich auf einmal den Eindruck, mich in Gefahr zu befinden, und warum beherrscht Jace die Situation und nicht ich? fragte sie sich.

Verdammt, sie hatte Anas Einladung angenommen, und jetzt war sie es ihrer Schwester und Luc schuldig, Jace höflich und freundlich zu behandeln. Hatte sie sich nicht absichtlich verführerisch gekleidet, um ihn zu beeindrucken?

2. KAPITEL

Rebekah strengte sich sehr, so zu tun, als würde sie den Abend genießen, und es bestand die Gefahr, dass sie dabei über das Ziel hinausschoss.

Ein Glas Wein würde sicher helfen, ihre Stimmung aufzuheitern. Aber sie hatte seit dem Sandwich zum Mittagessen nichts mehr gegessen. Deshalb hielt sie es für besser, nur Wasser zu trinken. Außerdem musste sie einen klaren Kopf bewahren, um Lucs einzigartigem Cousin Paroli bieten zu können.

Der Koch dieses Restaurants hatte in der Stadt einen ausgezeichneten Ruf, er war angeblich der beste weit und breit. Entsprechend verlockend klang auch das Angebot auf der Speisekarte.

Rebekah bestellte sich eine Suppe als Vorspeise, ein leichtes Gericht als Hauptgericht und verschob die Auswahl des Desserts auf später.

Dann lehnte sie sich auf dem Stuhl zurück und blickte Jace an. „Wo sind Ana und Luc?“

„Sie haben sich offenbar verspätet.“ Er erwiderte ihren Blick und überlegte, ob sie ahnte, wie leicht sie zu durchschauen war.

„Ah ja. Du bist geschäftlich in Sydney, oder?“

„Ich muss auch noch nach Melbourne, Cairns, Brisbane und an die Goldküste.“

„Wie interessant. Ich nehme an, diese Geschäfte erfordern deine persönliche Anwesenheit.“

Was würde sie sagen, wenn ich ihr verriet, dass ich hauptsächlich ihretwegen hier bin? fragte er sich. Er nickte. „Ja, es hätte keinen Sinn, mich in diesem Stadium von einem Mitarbeiter vertreten zu lassen.“

Wollte er Häuser besichtigen? Im Hightech-Zeitalter war es leicht, sich innerhalb weniger Sekunden Immobilien im Internet anzuschauen. Und da auch Luc sich für den Immobilienmarkt interessierte, hätte Jace ihn bitten können, für ihn tätig zu werden. Vielleicht gab es noch andere Gründe, warum Jace hier war.

In dem Moment wurde ihnen die Vorspeise serviert. Rebekah aß die Suppe beinah automatisch, ohne ihr die Beachtung zu schenken, die sie verdient hatte.

„Erzähl mir doch etwas über deinen Beruf“, forderte Jace sie auf. Sein New Yorker Akzent war nicht zu überhören.

„Ist das eine rhetorische Frage, oder interessiert es dich wirklich?“

In seinen Augen blitzte es belustigt auf. „Letzteres.“

„Was willst du denn wissen? Etwas über die Kunst des Blumenbindens? Oder wie der Arbeitstag einer Floristin aussieht?“

„Am liebsten beides.“

„Okay. Als Floristin muss man ein gutes Auge für Farben haben. Man muss spüren, was den Kunden gefällt. Man muss auf ihre Wünsche eingehen und sie beraten, wenn sie etwas für eine bestimmte Gelegenheit brauchen.“ Wenn er Tatsachen haben will, soll er sie haben, dachte sie. „Man muss die Zimmertemperatur berücksichtigen und wissen, welche Wirkung der Kunde erzielen will.“

Sie zuckte die Schultern. „Außerdem muss man wissen, wo man exotische Blumen bekommt, wie lange es dauert, bis sie per Luftfracht geliefert werden, und wie viel es kostet. Leider gibt es immer wieder Menschen, die das Beste ausgesprochen billig haben wollen.“

„Ich bin sicher, es gelingt dir, deine Kunden zu überzeugen, dass gute Qualität ihren Preis hat.“

„Jace, lass dich nicht täuschen von Anas und Rebekahs zierlicher Gestalt“, ertönte in dem Moment Lucs Stimme. Er lächelte freundlich. „Glaub mir, die beiden sind sehr wortgewandt.“ Er drehte sich zu Ana um und streichelte ihr die Wange. „Das trifft ganz besonders auf meine Frau zu.“

„Das ist reiner Selbsterhaltungstrieb“, erwiderte sie zuckersüß, während der Kellner den Tisch abräumte.

Rebekah musterte Jace abschätzend. Der perfekt sitzende Designeranzug unterstrich seine breiten Schultern, und das hellblaue Seidenhemd mit der Seidenkrawatte betonte seine gebräunte Haut. Rebekah brauchte ihn nur anzusehen, und sogleich breitete sich Wärme in ihr aus. Bei dem Gedanken daran, wie er seine Lippen auf ihre gepresst hatte, gerieten ihre Gefühle in Aufruhr. Es genügte eine Kleinigkeit, und ihre Emotionen würden völlig außer Kontrolle geraten. Sie brauchte sich nur auszumalen, was für ein herrlicher Körper sich unter der eleganten Kleidung verbarg.

Sie war sich seiner Gegenwart allzu sehr bewusst, sie war nervös und angespannt. Spürte Jace, was in ihr vorging? Du liebe Zeit, hoffentlich nicht, dachte sie. Sie aß nur mit ihm zu Abend, das war alles. Es musste ihr doch gelingen, das Gefühl der Verletzlichkeit und die Nervosität zu überwinden. Zumindest konnte sie sie verbergen oder überspielen. Jace Dimitriades war ein Mann wie jeder andere. War nicht auch Brad zu Anfang überaus charmant gewesen? Erst später hatte er sich als Wolf im Schafspelz entpuppt. Doch sie durfte Jace Dimitriades nicht mit ihrem Exmann vergleichen. Das hatte Jace nicht verdient.

Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte das Restaurant verlassen. In ihrem Auto und in ihrem Apartment würde sie sich sicher fühlen, dort wäre ihre Welt wieder in Ordnung.

Aber es wäre feige, einfach davonzulaufen. Und wie sollte sie begründen, dass sie gehen wollte? Ich muss mich zusammennehmen, forderte sie sich insgeheim auf. Tagtäglich musste sie im Geschäft mit schwierigen Kunden umgehen, was ihr immer gut gelang. Wieso war es dann plötzlich ein Problem, einige Stunden mit Jace Dimitriades zu verbringen? Außerdem war sie nicht mit Jace allein, Ana und Luc waren auch da, sodass es ihr leicht fallen müsste, mit der Situation fertig zu werden.

Daran war jedoch nicht zu denken. Rebekah saß da wie auf glühenden Kohlen.

Warum hatte sie nicht auf ihre innere Stimme gehört und sich überhaupt auf die Sache eingelassen? Weil meine Schwester mich darum gebeten hat, gab sie sich sogleich selbst die Antwort. Stimmte das wirklich? Machte sie sich nicht selbst etwas vor? Darüber wollte sie momentan lieber nicht nachdenken.

Vielleicht würde es helfen, noch ein Glas Wein zu trinken. Es müsste ihr doch gelingen, sich zu entspannen. Sie forderte den Getränkekellner mit einer Handbewegung auf, ihr Wein nachzuschenken. Dann trank sie einen großen Schluck.

Zu ihrer Erleichterung wurde schließlich der zweite Gang serviert. Doch Rebekah war der Appetit vergangen. Ihre Geschmacksnerven schienen zu streiken, obwohl die Gerichte mit Sorgfalt und Fantasie zubereitet waren.

Ich muss mich auf das Essen konzentrieren, mahnte sie sich. Irgendwann wäre der Abend zu Ende, und sie würde sich nie wieder in so eine Situation begeben.

Aber sie hätte sich genauso gut vornehmen können, über den Mond zu springen, denn immer noch war sie sich Jace’ Gegenwart und jeder seiner Bewegungen allzu sehr bewusst. Sie betrachtete seine Hände. Sie waren kräftig, gebräunt und mit feinen Härchen bedeckt. Seine Finger waren lang und schlank und die Fingernägel gepflegt.

Sie malte sich aus, wie seine Hände sich auf ihrer Haut anfühlen würden, wenn er sie zärtlich über ihren Körper gleiten ließ.

Plötzlich hielt sie inne. Was war mit ihr los? Das lag bestimmt nicht an dem Wein, denn sie hatte keineswegs zu viel getrunken.

„Du musst morgen früh aufstehen, oder?“, fragte Luc mitfühlend.

Soll ich das als Ausrede benutzen, um mich bald zu verabschieden? überlegte sie. „Ja, ich muss um halb fünf in der Markthalle sein.“

Jace kniff die Augen zusammen. „Jeden Tag?“

„An sechs Tagen in der Woche“, erwiderte sie. Es hatte ihr noch nie etwas ausgemacht, so früh aufzustehen. Aber wenn sie vierzehn Stunden am Tag auf den Beinen gewesen war und dann weniger als sechs Stunden Schlaf bekam, konnte man mit ihr nichts mehr anfangen.

„Ich bestelle uns Kaffee“, verkündete Luc und winkte den Kellner herbei.

Rebekah schloss sich Ana an und nahm lieber einen Tee, denn wenn sie jetzt Kaffee trank, würde sie nicht einschlafen können. Wie lange saßen sie hier schon zusammen? Zwei oder drei Stunden? In ungefähr einer halben Stunde wäre der Abend zu Ende, und sie könnte in ihrem Auto nach Hause fahren.

Und dann atmete sie erleichtert auf, als Luc die Rechnung verlangte und bezahlte. Rebekah stand auf, nahm ihre Abendtasche in die Hand und folgte Ana nach draußen.

Für ihren Geschmack ging Jace viel zu dicht neben ihr her. Ihr prickelte die Haut, und sie musste sich sehr anstrengen, ruhig und gelassen den Eingangsbereich zu durchqueren. Sie glaubte, die Wärme seines Körpers zu spüren, und versteifte sich, als Jace ihr auf der Straße die Hand auf die Taille legte.

„Ich bringe dich zum Auto.“

„Ein Angestellter des Restaurants hat es für mich irgendwo geparkt.“

„Luc und ich können dich mitnehmen zum Hotel, Jace“, erklärte Ana.

„Ach, Rebekah hat bestimmt nichts dagegen, dass ich mit ihr fahre“, antwortete Jace. „Ich rufe dich morgen an, Luc.“

Rebekah hoffte, Luc würde darauf bestehen, seinen Cousin mitzunehmen. Aber das tat er leider nicht. Ana küsste Rebekah zum Abschied auf die Wange, ehe sie sich von Jace verabschiedete. „Gute Nacht“, sagte sie und ging mit Luc in Richtung ihres Autos davon.

Das alles geschah wie selbstverständlich. Erst jetzt wurde Rebekah bewusst, wie geschickt man sie manipuliert hatte. Jace’ Hotel lag auf dem Weg zu ihrer Wohnung. Deshalb gab es keinen vernünftigen Grund, ihn nicht mitzunehmen.

Während sie darauf warteten, dass der Restaurantmitarbeiter ihren Wagen holte, wehrte sich alles in ihr dagegen, mit Jace allein zu sein. Der Gedanke, neben ihm in ihrem engen Sportwagen zu sitzen, war unerträglich.

Weshalb hatte er den Vorschlag überhaupt gemacht? Sie war den ganzen Abend sehr zurückhaltend gewesen. Sie hatte nicht mit ihm geflirtet und ihm auch sonst keinen Grund gegeben zu glauben, sie lege Wert darauf, seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Ach, was soll’s, ich nehme ihn mit und setze ihn vor dem Hotel ab, dann ist die Sache erledigt, sagte sie sich schließlich. In zehn oder fünfzehn Minuten hätte sie es hinter sich.

In ihrem MG war nicht viel Platz für Jace’ lange Beine. Mit einer gewissen Genugtuung beobachtete sie, wie er sich verrenken musste, um überhaupt seine Beine unterzubringen.

Rebekah fuhr sogleich los und bog auf die Straße in Richtung Double Bay ein. Sie hatte keine Lust, sich höflich mit ihm zu unterhalten, und schwieg die ganze Zeit.

Es war ein wunderschöner Spätfrühlingsabend. Der Himmel war mit Sternen übersät, und die kühle, klare Luft schien einen weiteren schönen Tag anzukündigen. Rebekah versuchte sich abzulenken, indem sie überlegte, welche und wie viele Blumen sie am nächsten Morgen in der Markthalle kaufen und bestellen musste.

Aber es gelang ihr nicht, an etwas anderes als an den Mann neben ihr zu denken. Sie war sich Jace’ Nähe allzu sehr bewusst. Sie nahm den dezenten Duft seines After Shaves wahr und spürte jede seiner Bewegungen. Auf einmal bekam sie Herzklopfen, ihr prickelte die Haut, und Hitze breitete sich in ihr aus.

Jace hatte die Hand auf sein Knie gelegt, das sich so dicht an dem Schaltknüppel befand, dass Rebekah es nicht verhindern konnte, ihn zu berühren, wenn sie schalten musste. Unauffällig den Körperkontakt mit ihm zu vermeiden, erforderte Achtsamkeit und Aufmerksamkeit. Rebekah fragte sich, ob Jace ihr Unbehagen spürte.

Wenn ja, machte er sich dann insgeheim darüber lustig? Ach verdammt, ich muss mich aufs Fahren konzentrieren, mahnte sie sich. In fünf Minuten würde sie vor dem Hotel anhalten und wäre ihn los.

Nach der nächsten Ampel hatten sie die Außenbezirke von Double Bay erreicht. Rebekah war ungemein erleichtert, als sie über die Einfahrt des Hotels auf den Eingang zufuhr. Schließlich hielt sie auf dem großen Vorplatz an.

Autor

Helen Bianchin
Helen Bianchin wurde in Neuseeland geboren und wuchs dort als Einzelkind auf. Sie hatte eine äußerst lebhafte Fantasie und liebte schon damals Bücher über alles. Als Teenager begann sie zu schreiben, doch sie vernachlässigte ihr Hobby, als sie als Sekretärin in einer kleinen Kanzlei arbeitete. Als sie 21 war, setzten...
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