Ausgerechnet Lily!

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Pauline Mayfield ist so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Der sympathische Wade Garrett, Gast in ihrer kleinen Pension, erfüllt ihr Leben mit Heiterkeit, Freude - und Liebe. Hat sie endlich ihren Traummann gefunden? Da bringt ausgerechnet er ihre schöne Schwester Lily mit nach Mayfield Manor. Lily, die ihr vor Jahren den Verlobten ausspannte - und die sie nun in Wades Armen überrascht. Pauline ist zutiefst enttäuscht. Hat Wade nur mit ihren Gefühlen gespielt?


  • Erscheinungstag 25.03.2007
  • Bandnummer 1569
  • ISBN / Artikelnummer 9783862958870
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

image

1. KAPITEL

Pauline Mayfield fand keinen Schlaf. Ruhelos warf sie sich in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers hin und her. Der Frühlingssturm heulte und rüttelte an den Fensterläden des alten Hauses, das vor mehr als einem Jahrhundert im viktorianischen Stil erbaut worden war. Keine Sorge, die alte Lady hat schon einige Stürme und Unwetter überstanden, beruhigte sie sich. Und das Haus würde auch diesem Sturm standhalten. Die schweren Regentropfen schlugen prasselnd gegen die Scheiben. Pauline zog die Decke über den Kopf und versuchte einzuschlafen.

Plötzlich krachte es draußen laut, danach folgte ein dumpfer Schlag. Was war das? Pauline fuhr hoch, wagte kaum zu atmen.

Ihr Herz klopfte wild, als sie zum Fenster lief. Ihr warmer Atem ließ die Scheibe beschlagen. Draußen war es stockfinster, unmöglich, etwas zu erkennen. Hatte der Sturm vielleicht einen Baum entwurzelt? Oder, noch schlimmer, war dieser Baum etwa auf ihren Geländewagen gestürzt? Pauline musste wissen, was los war. Rasch zog sie ihren Bademantel an und lief zur Tür. Als sie in die Eingangshalle kam, wurde eine andere Tür geöffnet, und eine weißhaarige alte Dame steckte zögernd ihren Kopf durch den Türspalt.

„Was war das für ein schreckliches Geräusch?“, fragte sie mit einem deutlichen britischen Akzent. „Das klang ja, als ob eine Bombe einschlüge.“

„Keine Sorge, Dolly“, sagte Pauline mit einem beruhigenden Lächeln. „Ich schaue mal draußen nach.“

Bevor Pauline zur Hintertür hinausging, zog sie ein paar Gummistiefel an und schaltete das Außenlicht ein. Sie nahm eine Taschenlampe und ging die wenigen Stufen zum Hof hinab. Der Wind ließ ihren Bademantel flattern. Sie fror in dem dünnen Nachthemd, das sie darunter trug. Der Boden war so schlammig, dass sie aufpassen musste, nicht auszurutschen. Der Wind blies ihr das nasse Haar ins Gesicht. Sie richtete die Taschenlampe auf die Garage, die früher das Kutscherhäuschen gewesen war. Dort stand ihr Geländewagen – unbeschädigt. Sie stieß einen erleichterten Seufzer aus. Aber ihre Erleichterung währte nur kurz, als sie nach oben schaute.

Von der großen Pappel neben der Garage war ein großer Ast direkt auf das Dach gestürzt. Pauline hoffte nur, dass der Schaden, den der herabfallende Ast angerichtet hatte, nicht so schlimm war, wie es auf den ersten Blick aussah. Aber es war müßig, darüber zu spekulieren. Sie musste warten, bis es hell war und sie den Schaden genau inspizieren konnte. Außerdem war sie inzwischen bis auf die Knochen nass. Sie ging zum Haus zurück und unterdrückte ihre Tränen.

Dolly erschien mit einem Handtuch und drückte es Pauline in die Hand. „Ein Ast hat das Garagendach erwischt“, berichtete Pauline und klapperte vor Kälte mit den Zähnen. „Ich werde gleich morgen früh Steve Lindstrom anrufen und ihn bitten, vorbeizukommen und sich das anzuschauen.“

„Du bist ja völlig durchnässt“, sagte Dolly besorgt. „Nimm eine heiße Dusche, ich mache dir inzwischen eine Tasse Tee.“

„Danke“, sagte Pauline. Ihr stand der Sinn jetzt zwar eher nach einem doppelten Whiskey, aber für Dolly war Tee das Allheilmittel schlechthin.

Früh am nächsten Morgen ging Pauline auf den Hof hinaus. Sie musste ihre Augen gegen die helle Maisonne schützen, die dem Unwetter, das in der Nacht getobt hatte, Hohn sprach.

Steve Lindstrom, der Inhaber einer Baufirma hier am Ort, stieg gerade die Leiter hinunter, die er an das Dach der Garage gelehnt hatte. Er war sofort vorbeigekommen, als Pauline ihn angerufen hatte.

„Ich hoffe, du sagst mir, dass der Schaden nicht so schlimm ist und mich nicht zu viel Geld kosten wird“, begrüßte sie ihn. Steve klappte sein Notizbuch zu und sah sie an. Er war ein großer, kräftig gebauter Mann. Pauline kannte ihn seit ihrer Schulzeit. Damals waren sie und ihre jüngere Schwester Lily der Schwarm der meisten Jungen an der Schule gewesen.

Pauline hatte in Steve nie mehr als einen netten Bekannten gesehen. Sein sonnengebleichtes Haar – das wie immer dringend hätte geschnitten werden müssen – lugte unter einer roten Baseballkappe hervor. Er verzog die Lippen zu einem Lächeln. „Ich versuche, es so preiswert wie möglich zu machen“, antwortete er. „Hast du schon der Versicherung Bescheid gesagt?“

„Ja, bis zum Mittag kommt jemand vorbei, um den Schaden zu begutachten. Aber mein Versicherungsvertreter hat mich schon vor einiger Zeit gewarnt, ich sei unterversichert“, seufzte Pauline.

„Und damit hat er wohl recht“, vermutete Steve.

Pauline nickte. „Mehr als das, ich habe meinen Eigenanteil für den Schadensfall erhöht, um an den Beiträgen zu sparen.“

„Wie hoch ist dein Eigenanteil?“

Als sie es ihm sagte, pfiff er durch die Zähne. „Hoppla, das ist hart. Da habe ich wohl gar keine andere Wahl, als dir einen guten Preis zu machen.“

„Das ist nett von dir“, sagte Pauline.

Steve ging langsam um die Garage herum und machte sich Notizen. Pauline heftete sich an seine Fersen. Vielleicht war ja alles doch nicht so schlimm.

„Nun, was meinst du?“, fragte sie schließlich.

Er schaute seine Notizen an und dachte einen Moment nach. „Also – den Ast herunterholen und wegschaffen, das Dach reparieren, die Mauern austrocknen lassen und neu streichen …“

„Neu streichen und solche Sachen kann ich selbst machen“, sagte Pauline schnell.

Steve klappte sein Notizbuch zu. „Ich kann dir so aus dem Handgelenk keinen Preis nennen. Ich müsste vorher ein bisschen herumtelefonieren, wo ich was herbekomme. Aber die kaputten Zedernholzschindeln zu ersetzen wird nicht billig sein. Du könntest das Dach stattdessen aber auch mit preiswertem Material vollständig erneuern. Es gibt Schindeln, die sehen aus wie echt.“

„Und das Zedernholz könnte ich in der Heizung verfeuern“, meinte Pauline in dem verzweifelten Versuch, dem Desaster noch etwas Positives abzugewinnen. Heizöl wurde ja auch beinahe täglich teurer.

„Das schlag dir besser aus dem Kopf“, erwiderte Steve. „Zedernholz entwickelt viel zu viel Hitze. Das würde dein Heizkessel nicht überstehen.“

Er lud die Leiter auf seinen Pick-up, öffnete die Fahrertür, drehte sich aber noch einmal um. „Ich weiß noch nicht, wann ich mit der Reparatur anfangen kann“, sagte er. „Ich habe gerade eine Menge Aufträge, die ich vorher noch erledigen muss. Außerdem ist einer meiner besten Mitarbeiter zu einer Konkurrenzfirma gegangen.“ Er seufzte. „Zu viel Arbeit, zu wenig Leute.“

Ängstlich schaute Pauline zum Horizont, ob sich dort wieder Anzeichen für einen neuen Sturm zeigten. Aber am blauen Himmel stand keine einzige Wolke. Pauline wusste jedoch, wie rasch sich hier an der nördlichen Westküste regenschwangere Wolken aus Richtung Kanada heranschieben und verheerende Unwetter auslösen konnten – so wie letzte Nacht.

Steve hatte ihren besorgten Blick bemerkt. „Ich schicke jemand vorbei, der das Dach erst einmal mit einer Plastikplane abdichtet. Und vergiss nicht, alle Fenster weit zu öffnen, damit die Wände im Kutscherhäuschen rasch austrocknen.“

„Mach ich, Steve“, sagte sie und betrachtete ihn nachdenklich. Ob er jetzt, da er geschieden war, manchmal an ihre Schwester Lily dachte? Die beiden waren damals befreundet gewesen. Aber Steve hatte Pauline nicht nach Lily gefragt. Und sie hätte ihm auch nichts über sie sagen können.

„Mach dir keine Gedanken wegen des Geldes“, beruhigte er sie, als er in seinen Pick-up stieg. „Das kriegen wir schon irgendwie hin.“

Sie schaute auf ihre Uhr. „Oh, ich muss mich beeilen. In einer halben Stunde beginnt mein Handarbeitskurs.“

Pauline holte rasch ihre Tasche und eilte zu ihrem Wagen. Was ihr jetzt noch fehlen würde, waren ein halbes Dutzend verärgerte ältere Damen, die sich vor ihrem verschlossenen Laden versammelten und über ihre Unpünktlichkeit murrten.

Wade Garrett war den langen Weg aus dem Süden von San Francisco über den Interstate Highway Nr. 35 nach Crescent Cove fast in einem Rutsch durchgefahren. Jetzt war es früher Abend, und er war völlig übermüdet. Doch wie es aussah, war seine Reise noch nicht zu Ende.

Wade schaute Kenton Wallingford mit einem einschüchternden Blick an. „Was haben Sie da gerade gesagt?“, fragte er.

Wallingford trat einen Schritt zurück und kaute nervös auf einem Zahnstocher. „Äh …, also, ich kann Ihnen den Bungalow wirklich nicht vermieten. Meine Schwester ist vor ein paar Tagen hier aufgetaucht, mit ihren beiden Kindern und einem blauen Auge.“ Er seufzte theatralisch. „Was hätte ich denn tun sollen? Ich konnte sie doch nicht zu diesem miesen Typen zurückschicken, den sie vor zehn Jahren gegen meinen Rat geheiratet hat.“

Wade rieb sich seinen schmerzenden Nacken. „Und wie lange will sie hierbleiben?“

„So lange, bis sie sich von diesem Nichtsnutz doch wieder überreden lässt, zu ihm zurückzukehren. Oder sie bleibt hier und sucht sich einen Job.“ Er zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich geht sie irgendwann zu ihm zurück. Sie ist einfach zu faul, selbst zu arbeiten.“

Sein dummes Kichern hätte Wade fast dazu gebracht, ihn am Kragen zu packen und zu schütteln.

„Wird schwer werden, an diesem Wochenende hier irgendwo eine Unterkunft zu finden. Zu dem Kunstfestival kommen immer eine Menge Besucher“, sagte Wallingford. „Die beste Zeit des Jahres …, und ich verdiene in diesem Jahr keinen Cent“, fügte er düster hinzu.

Wade war weit entfernt davon, ihn zu bedauern. Er wollte nur duschen – und dann zwölf Stunden ohne Unterbrechung schlafen. Plötzlich erinnerte er sich an das Stück Papier in seiner Tasche, und sein Gesicht hellte sich etwas auf. „Tut mir leid für Ihre Schwester“, begann er, „aber das hier ist die Bestätigung, die Sie mir geschickt haben, als ich den Bungalow über das Internet gemietet habe. Außerdem habe ich eine Vorauszahlung geleistet.“

Wallingfords Gesicht verzog sich. „Lesen Sie das Kleingedruckte“, befahl er. „Wie gesagt, es handelt sich um einen Notfall in der Familie.“

Wade fluchte leise, als er den letzten Absatz am Fuß der Seite las. Tatsächlich: Bei Notfällen war der Mietvertrag hinfällig. „Okay, dann eben nicht“, sagte er resigniert. „Haben Sie wenigstens eine Idee, wo ich für heute Nacht unterkommen könnte? Haben Sie vielleicht irgendwo eine Couch, auf der ich schlafen könnte?“

Der kleine Mann vor ihm breitete bedauernd die Arme aus. „Ich würde Sie ja kostenlos hier unterbringen, wenn ich nur ein Eckchen frei hätte, aber es ist nun auch noch meine Tochter hergekommen, Sie wissen schon, das Festival …“ Er räusperte sich. „Was die Vorauszahlung angeht …“

„Ich weiß, ich soll das Kleingedruckte lesen“, meinte Wade verärgert. „Aber ich kann Ihnen nur raten, mein Kleingedrucktes zu lesen und das Geld herauszurücken“, sagte er drohend.

Wallingford langte widerstrebend in die Tasche und zog ein Päckchen Dollars heraus. Er reichte sie Wade, der sie wütend in seine Tasche stopfte und dann zu seinem Wagen ging. So, so, ganz Crescent Cove war also ausgebucht. Sollte er vielleicht ein Zelt kaufen?

Er wollte sich gerade hinters Steuer setzen, als Wallingford ihm etwas zurief. „Mir fällt gerade was ein: ein kleines Apartment in einem Anbau eines alten viktorianischen Hauses, ein Stück weiter die Straße hinauf. Das Haus ist hellblau gestrichen, mit roten Fensterläden. Die großen Bäume vor dem Haus sind nicht zu übersehen. Versuchen Sie’s dort mal!“

Ungefähr zur gleichen Zeit hatte Pauline ihren Handarbeitsladen in der Harbor Street abgeschlossen und fuhr zu ihrem Haus zurück. Oh Gott, war ihre Laune im Keller! Sie musste warten, bis Steve endlich die Zeit fand, sich um die Reparatur des Daches zu kümmern, und konnte nur hoffen, dass in der Zwischenzeit kein neues Unwetter ihr Schmuckstück noch weiter beschädigte.

Mayfield Manor war seit drei Generationen im Besitz ihrer Familie. Sie und ihre Schwester Lily hatten das Haus gemeinsam geerbt. Und obwohl Lily sich entschieden hatte, ihr Elternhaus und ihre einzige noch lebende Verwandte zu verlassen, hatte Pauline sich entschlossen, dort wohnen zu bleiben und Mayfield Manor zu erhalten. Doch das alte Haus verschlang Unsummen an Geld, und deshalb war Pauline gezwungen gewesen, einige Zimmer zu vermieten. Sie nahm nur weibliche Gäste auf. Und sie hoffte, dass sie eines Tages die Untermieterinnen durch eine eigene Familie ersetzen könnte.

Als sie in den Hof einbog, sah sie, dass das Dach des Kutscherhäuschens mit einer blauen Plastikplane abgedeckt worden war. Von dem herabgefallenen Ast war nur noch eine Handvoll Sägespäne zu sehen. Steve hatte ihn also wegschaffen lassen. Wenigstens etwas, dachte sie erleichtert.

Als sie gerade ihre Tasche und ihren Laptop nahm und aus ihrem Honda ausstieg, bog hinter ihr ein dunkler, völlig verstaubter großer Wagen in die Einfahrt ein. Dem Nummernschild nach zu urteilen kein Anwohner von Crescent Cove. Neben dem Fahrer, der eine Sonnenbrille trug, saß ihre Mieterin Dolly Langley.

Der Mann stieg aus dem Wagen und bewegte sich, wie Pauline fand, für einen Typ mit einer so athletischen Figur sehr steif. Hatte er eine lange Fahrt hinter sich? Er ging um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür. Wie ein kleiner Vogel hüpfte Dolly aus dem Wagen und griff nach der Hand des Mannes, der ihr beim Aussteigen behilflich war.

„Pauline, du wirst nicht glauben, was passiert ist“, zwitscherte sie mit ihrem britischen Akzent, dem auch ein langjähriger Aufenthalt in den Vereinigten Staaten nichts hatte anhaben können. „Ich habe auf dem Rückweg vom Markt diesen jungen Mann getroffen.“

Ihr selbstzufriedenes Lächeln verdüsterte Paulines Miene. Dolly war seit zehn Jahren Witwe, aber ihre ständige Rede war, dass eine Frau nur mit einem Mann an ihrer Seite ein richtiges Leben führen könnte. Hatte Dolly den Mann mitgebracht, um ihn Pauline feilzubieten – so, wie man einer Katze eine Maus schmackhaft macht?

„Ich bin Ihnen für die Hilfe sehr dankbar“, sagte der Fremde mit einer leicht heiseren Stimme, als er sich über Dollys Hand beugte. „Besonders wenn sie von solch einer bezaubernden Lady kommt.“

Dollys runzelige Wangen färbten sich leicht rötlich. Mit ihrer freien Hand versuchte sie verlegen, ihre Frisur etwas in Ordnung zu bringen.

Pauline musterte den Fremden unauffällig. Sein schwarzes Haar war kurz geschnitten, sein Gesicht hager. Er war lässig gekleidet mit einem kurzärmeligen blauen Sporthemd und Jeans. Auf seinen Wangen zeigten sich deutlich Bartstoppeln. Keine Frage, mit seinen breiten Schultern und schmalen Hüften ließ er sicher das Herz so mancher Frau höher schlagen.

Dolly hielt seine Hand fest und zog ihn mit sich. „Kommen Sie, ich stelle Sie meiner Vermieterin vor.“

Als der Fremde seine Sonnenbrille absetzte, schaute Pauline in das ungewöhnlichste Paar Augen, das sie je gesehen hatte. Sie waren hellgrau, irgendwie silberfarben. Dazu die dunklen Wimpern …, wow! Als der Mann sie anschaute, löste sein Blick ein Gefühl in Pauline aus, das sie sehr beunruhigte.

„Das ist Wade Garrett, er kommt direkt aus San Francisco“, sagte Dolly und ließ endlich seine Hand los. „Wade, das ist Pauline Mayfield.“

Wade Garrett lächelte höflich, was sein hartes Gesicht etwas entspannte. Dennoch zögerte Pauline zunächst, ihm die Hand zu geben.

Sie rief sich innerlich zur Ordnung. Als Mitglied der örtlichen Handelskammer und Kandidatin für den Stadtrat von Crescent Cove hatte sie gelernt, ihre Schüchternheit zu beherrschen. Trotzdem …, der feste Griff von Garretts Hand fühlte sich an, als ob tausend kleine Schauer durch ihren Körper jagten. Eine Sekunde später ließ er ihre Hand wieder los.

„Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte er nüchtern. Offensichtlich hatte er keinerlei Schauer gespürt. Besser so, dachte Pauline.

„Es war sehr nett von Ihnen, Dolly herzubringen“, sagte sie und bemerkte erleichtert, dass sie nicht vor Aufregung stotterte.

„Ich kam gerade vom Markt zurück, als der Griff meiner Einkaufstasche riss“, erzählte Dolly, als Garrett die beschädigte Tasche aus dem Wagen nahm und sie Pauline reichte. Sie schaffte es, zu vermeiden, dass sie sich dabei wieder berührten.

Dolly hingegen konnte von dem Mann nicht lassen. Sie tätschelte vertraulich seinen braungebrannten Unterarm. „Wo wohnen Sie?“, wollte sie wissen. „Ich werde Ihnen als Dank fürs Mitnehmen einen Kuchen backen, einen Nusskuchen. Sie mögen doch hoffentlich Nüsse?“

Er lächelte sie an. „Das ist doch nicht nötig. Ehrlich gesagt, war ich sowieso gerade auf dem Weg hierher.“

„Hierher? Zu diesem Haus?“ Dolly schaute ihn fragend an.

Ah, dann ist er der Handwerker gewesen, der den Ast entfernt und die Plastikplane auf dem Dach befestigt hat, vermutete Pauline. Aber wie? Sie sah kein Werkzeug und keine Leiter in seinem Wagen. Vielleicht war er ja zuerst mit einem von Steves Lieferwagen da gewesen. Das würde auch erklären, warum sein Wagen ein fremdes Nummernschild hatte.

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Apartment über der Garage“, sagte sie und suchte in ihrer Tasche nach den Schlüsseln. Wenn dieser Mr. Garrett schon einmal da war, konnte er sich auch den Schaden genauer ansehen.

Wades Augenbrauen schossen überrascht in die Höhe. „Dann hat Wallingford Sie also schon angerufen?“, fragte er. „Das ging aber schnell.“

Pauline blieb stehen und schaute ihn überrascht an. „Kenton Wallingford?“ Wenn Mr. Garrett mit diesem undurchsichtigen Typ bekannt war, wollte sie garantiert nichts mit ihm zu tun haben. Langsam dämmerte ihr, was hier gespielt wurde. „Hören Sie, ich weiß nicht, wie Wallingford und Sie davon erfahren haben, was hier zu tun ist, aber wenn Sie beide meinen, Sie können Steve Lindstrom den Auftrag so einfach wegschnappen, dann irren Sie sich.“

Wade hob abwehrend die Hände. „Langsam, langsam“, sagte er. „Ich habe keine Ahnung von einem Auftrag. Und ein Mann namens Steve Lindstrom ist mir völlig unbekannt. Will er etwa auch ein Apartment bei Ihnen mieten?“

„Mieten?“ Pauline sah ihn fassungslos an. „Warum sollte Steve sich bei mir einmieten, wenn er ein eigenes Haus hat?“ Sie machte eine kleine Pause, bevor sie fortfuhr: „Dann sind Sie also nicht hier, um die Sturmschäden am Kutscherhäuschen zu reparieren?“

Dollys Blick wanderte zwischen den beiden hin und her, als ob sie bei einem Tennismatch zuschaute.

Wade schaute Pauline an. „Meine einzige Verbindung zu diesem schleimigen, fuchsgesichtigen Typ Wallingford ist der Umstand, dass er eine Vorauszahlung von mir annahm, aber den Mietvertrag zwischen uns nicht einhielt. Er gab mir den Rat, bei Ihnen nachzufragen, ob Sie eine Unterkunft für mich hätten.“

„Was für eine wundervolle Idee“, rief Dolly. „Das Apartment über der Garage ist erst kürzlich frei geworden.“

„Ich nehme es“, sagte Wade. Er fuhr sich mit der Hand über das Haar. „Es war ein langer harter Tag für mich. Ich bin so verd…, äh, schrecklich müde, dass ich noch im Stehen einschlafe.“

„Sie armer Mann“, sagte Dolly. Sie schaute Pauline an. „Du musst ihn einfach hier unterbringen.“

Seine Müdigkeit und Erschöpfung waren nicht zu übersehen, aber Pauline war trotzdem entschlossen, ihn nicht aufzunehmen.

„Heute Nacht ist ein großer Ast auf das Dach gestürzt. Es hat in die Wohnung hereingeregnet, na ja, es ist alles ziemlich nass, besonders das Badezimmer.“

„Wie lange wird die Reparatur dauern?“, fragte Wade.

Pauline zuckte die Schultern. „Steve hat mir noch keinen Termin genannt, wann er mit den Arbeiten anfangen kann.“ Hoffentlich reichte das, damit Wade wieder gehen und dann ihr Atem sich beruhigen würde. Seit der Mann aus seinem Wagen gestiegen war, versuchte sie mühsam zu verdrängen, wie sehr sie von ihm beeindruckt war.

Wade lächelte Pauline an. „Wallingford hat mich gewarnt, dass es im Umkreis von fünfzig Meilen kein freies Hotelzimmer gibt, wegen des Festivals. Könnten Sie mir einen Rat geben, wo ich für diese Nacht ein Bett finden kann?“

„Warum vermietest du ihm nicht das Zimmer im ersten Stock?“, wollte Dolly wissen. „Die große Suite ist doch zurzeit leer.“

„Ich nehme, was immer Sie mir anbieten“, sagte Wade schnell. „Keine Angst, ich bin kein Verbrecher auf der Flucht. Und ich zahle die Miete im Voraus, wenn Sie wollen.“

„Oh, das wird nicht nötig sein“, warf Dolly ein. „Wir wissen, dass wir Ihnen vertrauen können.“

Und woher wissen wir das, bitte schön?, fragte sich Pauline.

„Und du solltest ihm einen günstigen Preis machen wegen dieses schrecklichen Tapetenmusters“, fügte Dolly hinzu. „Davon kann man ja Albträume bekommen.“

Schreckliches Tapetenmuster? Pauline liebte das alte großflächige Blumenmuster, und Wade Garrett sah nicht so aus, als ob er sich vor irgendwas fürchten würde. Schon gar nicht vor einer Tapete.

„Die Suite hat ein Badezimmer mit einer großen Badewanne“, erklärte Dolly. „Und eine gemütliche Sitzecke, in die morgens die Sonne scheint. In der Suite steht sogar ein Schreibtisch, wenn Sie ein bisschen arbeiten wollen.“

„Klingt großartig“, sagte Wade. „Ich gehe das Risiko mit der Tapete ein. Wie viel wollen Sie als Anzahlung?“

Pauline machte ein ernstes Gesicht. „Ich kann Ihnen das Zimmer nicht vermieten. Tut mir leid, aber ich vermiete nur an Frauen.“

„Soll das ein Scherz sein?“, fragte er, aber sein Lächeln verschwand wie weggewischt.

„Oh, Pauline, wird sind ihm etwas schuldig“, sagte Dolly anklagend. „Du könntest deine Regeln doch für eine Nacht vergessen.“

„Ja, machen Sie eine Ausnahme“, befahl er und zog seine Brieftasche heraus. „Wie viel soll die Suite kosten?“

„Tut mir leid, aber das geht wirklich nicht“, beharrte Pauline. „Ich muss an meine Mieterinnen denken. Es würde ihnen nicht gefallen, auf einen halb nackten Mann zu treffen, wenn sie morgen zum Frühstück herunterkommen.“

„Welche Mieterinnen genau meinst du?“, fragte Dolly spitz. „Doch nicht etwa die aufgetakelte frisch Geschiedene, die das Rosenzimmer gemietet hatte, aber gerade ausgezogen ist? Oder denkst du etwa an mich? Mich stört es nicht, wenn Mr. Garrett hier wohnt.“ Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. „Also, was ist nun?“

Trotz seiner Müdigkeit amüsierte sich Wade köstlich.

„Wie wäre es, wenn ich mich verpflichte, nur vollständig angezogen aus meinem Zimmer zu kommen?“, schlug er halb scherzhaft, halb ernst vor.

Autor