Australische Romanze

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Carrie ahnt, dass sie mit dem Feuer spielt, als sie den Job auf der traumhaft schönen Farm annimmt. Ihr neuer Chef, der charmante Royce, weckt ein nie gekanntes Feuer in ihr. Alles sieht nach einem Happy End aus, bis Royces Ex-Frau für Verwirrung sorgt …


  • Erscheinungstag 30.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757748
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Carrie sah den Wagen erst, als er dicht hinter ihr war. Es war ein eleganter platinfarbener Jaguar. Gerade hatte sie vergeblich die von Jakarandabäumen gesäumte Straße überblickt, in der sie normalerweise parkte, wenn sie ihren Onkel besuchte: James Halliday von Halliday, Scholes & Partner, Rechtsanwälte und Steuerberater für die oberen Zehntausend. Jetzt, mitten in der Hauptverkehrszeit, war hier alles überfüllt. Auch in dem belebten Geschäftsviertel, in dem Architekten, Ingenieure, Städteplaner sowie zwei momentan sehr gefragte Innenarchitekten ihre Büros hatten, war die Lage nicht viel besser.

Aber schließlich hatte Carrie Glück. Genau vor ihr fuhr jemand aus einer voll besetzten Parkreihe heraus, und schnell lenkte sie ihren Wagen in die frei gewordene Lücke. Direkt hinter ihr gab es noch ein freies Fleckchen. Ein Baum, der schräg davor stand, machte das Einparken beinah unmöglich, selbst für ein so winziges, schäbiges Fahrzeug wie ihres. Der Fahrer dieses feudalen Jaguars hatte jedenfalls keine Chance, seine Luxuslimousine da hineinzuquetschen.

Sie stieg aus, schloss die Autotür ab und hoffte, der Jaguar würde vorbeirollen, doch stattdessen fuhr er neben sie heran. So dicht, dass plötzlich wieder die vertraute Panik in ihr hochstieg. Sie presste sich eng an ihr Auto und beobachtete mit angehaltenem Atem, wie der Fahrer mit dem pechschwarzen Haar über die Schulter nach hinten blickte und den Rückwärtsgang einlegte.

Als er beim Rangieren noch ein Stück näher auf sie zukam, wich Carrie erschrocken zurück. Mit einem Anflug von Galgenhumor stellte sie fest, dass sie offenbar die Kontrolle über sich verloren hatte. Seit dem Unfall hatte ihr seelisches Gleichgewicht gelitten, und manchmal befürchtete sie schon, dass sie sich langsam, aber sicher in eine ängstliche, misstrauische Frau mit überreizten Nerven verwandelte.

Während sie noch auf den Aufprall wartete, beobachtete sie verblüfft und unfreiwillig beeindruckt, wie der Fahrer seinen Riesenschlitten geschickt in die winzige Lücke manövrierte. Das ist mal wieder typisch Mann, dachte sie. Selbst die größten Idioten unter ihnen schienen das Rückwärtseinparken im Schlaf zu beherrschen. Wäre der Fahrer eine Frau gewesen, hätte Carrie begeistert applaudiert, doch diesen Angeber würde sie einfach links liegen lassen.

Ihr rasendes Herzklopfen hatte sich inzwischen wieder gelegt, und sie wollte sich gerade auf den Weg machen, als die gleißende Frühlingssonne sie blendete und daran erinnerte, dass ihre Sonnenbrille noch im Auto lag. Vereinzelte Strahlen drangen durch die Baumkronen. In einem Monat würde hier alles in lavendelfarbener Blütenpracht stehen – ein Ereignis in den Subtropen, auf das sich alljährlich ganz Brisbane freute. Ausgenommen vielleicht die Studenten, denn Jakarandazeit war Prüfungszeit. All das stand Carrie noch lebhaft vor Augen.

In Gedanken ging sie erneut die Stationen ihrer Laufbahn durch, die so hoffnungsvoll begonnen hatte: Abschluss mit Auszeichnung an der Musikhochschule. Goldmedaille für herausragende Leistungen. Erster Preis beim Nationalen Musikwettbewerb Junger Nachwuchskünstler für ihre Interpretation des Zweiten Klavierkonzerts von Rachmaninow. Schließlich Aufnahme an der berühmten Julliard Academy in New York. Eine junge Frau mit einer großen Zukunft.

Bis zu dem Unfall.

Mit einem resignierten Schulterzucken schloss Carrie ihr Auto auf und holte die Sonnenbrille heraus. Dann schlug sie die Tür mit einem kräftigen, befreienden Knall wieder zu und hoffte, dabei wenigstens einige der düsteren Gedanken loszuwerden, die sie so quälten.

Als sie sich umdrehte, war der Besitzer des Jaguars gerade im Begriff auszusteigen. Er sah sie direkt an. Zuerst fiel ihr auf, was für ein dunkler Typ er war. Schwarzes Haar. Schwarze Augen. Tief sonnengebräunte Haut. Er war auffallend groß und wirkte sehr selbstsicher, beinah Furcht einflößend. Sie bemerkte die unverkennbare Aura von Reichtum, die ihn umgab, und schloss auf einträgliche Geldquellen. Unter dem eleganten Maßanzug zeichneten sich deutlich seine kräftigen Muskeln ab. Er bewegte sich mit geschmeidiger, kraftvoller Eleganz. Genauso hochklassig wie sein Jaguar, ging es ihr durch den Kopf.

Seine tiefe Sonnenbräune war ganz sicher nicht das Resultat stundenlanger Sonnenbäder am Strand. Nein, er war der Typ, der riskante, beschwerliche Expeditionen ins Landesinnere bevorzugte, wo es nichts gab als verbrannte rote Erde. Carrie konnte ihn förmlich vor sich sehen, wie er den Blick über den endlosen Horizont schweifen ließ. Sie war so tief in ihre Fantasien versunken, dass sie überhaupt nicht merkte, wie sie die ganze Zeit durch ihn hindurchsah. Plötzlich spürte sie eine unerklärliche Streitlust in sich aufsteigen, und ihr wurde klar, dass sie schon den ganzen Tag in der Stimmung gewesen war. Da kam er ihr wie gerufen. Er war genau der Typ Herzensbrecher, der jede Menge Ärger verhieß.

„Gibt es irgendein Problem?“

In seiner tiefen, angenehmen Stimme lag eine Entschlossenheit und Klarheit, die Carrie augenblicklich deutlich machten, dass sie es mit einem erfolgsgewohnten Mann zu tun hatte.

„Nicht dass ich wüsste“, erwiderte sie kühl. „Es ist nur so, dass ich auch ein Fan von engen Parklücken bin. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass Sie es schaffen würden.“

„Warum nicht?“ Seine Stimme klang amüsiert. „Das war doch nun wirklich kein Kunststück.“

Der Mann musterte sie ganz ungeniert mit seinen strahlenden Augen, wobei ihm nicht das kleinste Detail entging. Nicht einmal das winzige, herzförmige Muttermal direkt über dem Ansatz ihrer rechten Brust.

„Sie hatten Angst, ich würde Sie über den Haufen fahren, stimmt’s?“

„Sie sind wohl Hellseher?“, konterte sie spöttisch.

„Im Ernst, Sie sahen aus, als würden Sie jeden Moment zusammenbrechen. Sie hatten doch nicht wirklich Angst, oder?“

„Selbstverständlich nicht.“ Sie bemerkte einen leicht bitteren Geschmack im Mund.

„Na, dann bin ich ja beruhigt. Übrigens steckt Ihr linker Hinterreifen im Rinnstein fest.“

Carrie rührte sich nicht vom Fleck. Das Vergnügen, dass sie jetzt hektisch losstürzte, um nachzusehen, wollte sie ihm nun wirklich nicht gönnen. „Na, wenn schon. Ich bin in solchen Sachen nun mal kein Genie“, meinte sie lässig.

„Ja, das sieht man“, stellte er trocken fest. „Aber das muss Ihnen jetzt nicht peinlich sein.“

„Ist es auch nicht“, fuhr sie ihn gereizt an.

„Was ist dann mit Ihnen los? Ich sehe doch, dass etwas nicht stimmt. Wovor fürchten Sie sich? Es ist helllichter Tag, und normalerweise fühlen sich Frauen nicht von mir bedroht.“

„Na schön, ich will Ihnen sagen, was los ist. Sie sind mir vorhin so dicht auf die Pelle gerückt, dass ich es notgedrungen mit der Angst zu tun bekam.“

„Vielleicht sollten Sie mal mit jemandem darüber reden“, schlug er vor.

„Und worüber, wenn ich fragen darf?“ Die Röte, die ihr in die Wangen stieg, strafte ihren gelangweilten Tonfall Lügen.

„Ich denke, das Wort Phobie trifft es ganz gut.“ Er sah ihr offen in die Augen.

Es war ein großer Fehler gewesen, überhaupt mit ihm zu reden. „Sie behaupten also, ich leide an einer Phobie?“ Carrie wünschte, sie könnte ihn mit ihrem Blick erdolchen. „Eine ziemliche Frechheit für einen Wildfremden, finden Sie nicht?“

Er schien unbeeindruckt und zuckte nur gleichgültig die Schultern. „Sieht mir aber ganz danach aus.“

Das war der Gipfel! So leicht zu durchschauen war sie nicht. Schon gar nicht von einem Fremden. Carrie wandte sich so stürmisch von ihm ab, dass ihr seidiges bernsteinfarbenes Haar nur so flog. „Einen schönen Tag noch.“

„Danke gleichfalls.“ Er deutete einen Gruß an und sah ihr nach, wie sie entschlossen davoneilte. Keine Frage, diese junge Dame war äußerst verärgert, und sie zeigte es auch ganz offen. Leise schimpfte sie im Davongehen vor sich hin.

Plötzlich hielt sie inne und drehte sich auf dem Absatz um, als könnte sie ihm nicht einfach kampflos das letzte Wort überlassen. Er musste sich das Lachen verbeißen.

„Sie wollen doch hoffentlich nicht lange hier stehen bleiben?“, erkundigte sie sich leicht von oben herab. „Was ist, wenn ich beim Ausparken Ihren Wagen beschädige? Schließlich haben Sie mich ja praktisch eingekeilt.“

„Ich bin da ganz unbesorgt.“ Er winkte gelassen ab. „Und falls doch noch etwas schief geht, können Sie mir ja einfach einen Zettel mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse hinter die Windschutzscheibe klemmen.“

„Ich werde mein Bestes tun, um das zu vermeiden“, erwiderte sie eisig.

Langsam fragte er sich, warum er diese verrückte Situation eigentlich so genoss. Normalerweise hatte er weder Zeit noch Gelegenheit, Damenbekanntschaften zu machen. Aber diese temperamentvolle junge Frau brachte irgendeine Saite in ihm zum Klingen. Er hätte schwören können, dass er sie von irgendwoher kannte.

Feuerschopf. Das passte zu ihrem ungewöhnlichen Typ. Ihr Haar hatte die Farbe von gutem, altem Sherry, in dem goldene Lichtreflexe funkelten. Die goldbraunen Augen leuchteten wie Topase. Seit Jahren hatte er keine Frau von so natürlicher Schönheit gesehen. Und sie besaß noch diesen ganz besonderen frischen Zauber der Jugend.

Sicher war sie mehr als zehn Jahre jünger als er. Demnächst würde er zweiunddreißig werden. Ein zweiunddreißigjähriger, geschiedener Mann mit einer Tochter. Regina. Die traurige Wahrheit war allerdings, dass Regina nicht sein leibliches Kind war, sondern das Resultat einer der zahlreichen Affären Sharons. Wie seltsam, dass diese unbekannte junge Frau für einige Minuten sämtliche Gedanken an Sharon vertrieben hatte.

„Passen Sie gut auf sich auf!“, rief er ihr hinterher. „Ihr Stadtmädchen seid immer so verdammt auf Streit aus.“

Gegen ihre erklärte Absicht blieb Carrie noch einmal stehen. Hatte sie richtig gehört? Stadtmädchen. „Aus welchem Kaff hat es Sie denn hierher verschlagen?“

„Vorsicht“, warnte er sie. „Vielleicht bin ich ja noch hier, wenn Sie zurückkommen.“

Carrie machte nur eine wegwerfende Handbewegung und ließ ihn stehen. Wahrscheinlich habe ich mich wie der letzte Mensch benommen, dachte sie. Aber immerhin war dieses kleine Wortgefecht ein richtiger Lichtblick in ihrem derzeit so trostlosen Leben. Ehrlicherweise musste sie sich eingestehen, dass es sogar mehr als das gewesen war. Die kleine Episode, so kurz sie auch gewesen sein mochte, hatte einen erstaunlich tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen. Dabei war sie sich komischerweise fast sicher, dass es ihm ganz genauso gegangen war. Wer weiß, vielleicht würde er ja wirklich da sein, wenn sie zurückkam. Verwirrt spürte sie, wie ihr Herzschlag sich bei diesem Gedanken beschleunigte.

Als Carrie in der Kanzlei erschien, gelang es James Hallidays Sekretärin wie üblich, einen kleinen Staatsakt aus der Anmeldung zu machen. Carrie kannte Mrs. Galbally, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war, und nie hatte sie die noch immer gut aussehende Frau anders als förmlich und korrekt erlebt. Viele fühlten sich von ihrer autoritären Art eingeschüchtert, aber James Halliday hielt große Stücke auf sie.

„Carrie, Liebes, wie schön!“ Ihr Onkel kam ihr entgegengeeilt, um sie auf seine charmante, herzliche Art in Empfang zu nehmen. Dem attraktiven Mann waren seine fünfzig Jahre nicht anzusehen, wohl aber die frappierende Ähnlichkeit mit ihrer verstorbenen Mutter, seiner vier Jahre jüngeren Schwester. Und Carrie war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten.

Er führte sie in sein Büro, das trotz seiner imponierenden Größe überraschend behaglich wirkte. Durch das Fenster hatte man einen atemberaubenden Blick auf den Fluss. Entlang der mahagonigetäfelten Wände reihten sich antike Bücherschränke, die mit ledergebundenen juristischen Fachbüchern gefüllt waren. An den frei gebliebenen Flächen hingen einige beeindruckende goldgerahmte Ölgemälde mit Meeresmotiven. James Halliday war in einschlägigen Kreisen als passionierter Sportsegler bekannt.

Die kostbaren Ming-Vasen, die hinter schlichten Glasvitrinen standen, verrieten dem Besucher, dass James Halliday nicht nur ein erstklassiger Anwalt, sondern auch ein leidenschaftlicher Kunstsammler war. Beherrscht wurde der Raum jedoch von einem riesigen Schreibtisch, hinter dem ein hochlehniger Stuhl stand. Es war nicht zu übersehen, dass James Halliday es zu einigem Wohlstand gebracht hatte, wenn auch nicht in dem Maß wie Carries Vater, der mit der Herstellung von Elektrogeräten ein Vermögen verdiente.

Die beiden Männer verstanden sich nicht besonders gut miteinander. Grundverschieden in Charakter und Veranlagung, gab es nur wenig, was sie verband. Carrie liebte sie beide, fühlte sich allerdings mehr zu der mütterlichen Seite ihrer Familie hingezogen, von der sie auch ihre Liebe zu den Schönen Künsten geerbt hatte. Ihr Vater, ihre Stiefmutter Glenda und ihre drei Jahre jüngere Stiefschwester Melissa hatten ganz andere Interessen.

„Wie wär’s mit einem Kaffee, Liebes?“, erkundigte sich James Halliday.

Carrie ließ sich in einen der bequemen Ledersessel sinken und seufzte leise. „Liebend gern. Zu Hause trinkt ja niemand mehr Kaffee.“ Nachdem James durch die Sprechanlage seine Wünsche mitgeteilt hatte, erzählte sie weiter: „Glenda hält Kaffee für ein großes Übel. Dad hat sie schon bekehrt, und jetzt sind wir anderen an der Reihe. Nein, wirklich, es wird höchste Zeit, dass ich ausziehe. Dad wird zwar alles andere als begeistert sein, aber er bekommt ja auch nicht mit, was zu Hause abläuft. Dafür ist er viel zu selten da.“

„Deine Stiefmutter hat es dir wirklich nie leicht gemacht.“ Er beließ es bei dieser Bemerkung, obwohl er gern noch manches dazu gesagt hätte.

„Sie hat mich nie gewollt, Jamie. Sie wollte ein eigenes Kind und keine Miniaturausgabe ihrer Vorgängerin. Ich könnte schwören, dass sie heute noch eifersüchtig auf meine Mutter ist.“

James nickte zustimmend. Bei mehr als einer Gelegenheit war dies offen zutage getreten. „Sie kann nicht anders, Liebes. So ist sie nun einmal. Schließlich wissen wir beide nur zu gut, dass deine große Begabung ihr immer ein Dorn im Auge war, wie auch all die Aufmerksamkeit und die vielen Preise und Auszeichnungen, die du dafür bekommen hast. Immer bist du der Mittelpunkt gewesen.“

„Und nicht Mel. Na ja, wenigstens darüber braucht sie sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen“, bemerkte Carrie trocken.

„Das Ganze war eine Tragödie, Liebling, aber du darfst dich deswegen jetzt nicht aufgeben“, redete James ihr eindringlich zu. „Nimm dir die Zeit, die du brauchst, um dich zu erholen, und dann mach einen neuen Anfang. Denk immer daran: Es hätte dich weit mehr kosten können als ein paar gebrochene Rippen und einen gequetschten kleinen Finger.“

„Der mich immerhin meine Karriere gekostet hat. Ach, was soll’s, Jamie, du hast ja recht. Der Witz dabei ist, dass Dad, so leid es ihm auch für mich tut, im Grunde erleichtert ist. Er war immer dagegen, dass ich in die Staaten gehe. Wenn es nach ihm ginge, würde ich schön zu Hause bleiben und zum gegebenen Zeitpunkt irgendeinen passenden Mann heiraten. Er will natürlich Enkelkinder.“

Er will, dachte James bitter. Er wollte auch meine schöne Schwester, und dann konnte er sie nicht glücklich machen. Mit seinem nüchternen, beherrschenden Charakter hatte er ihr jede Möglichkeit genommen, ihre beachtlichen künstlerischen Talente zu entfalten, und mit der Zeit hatte sie sich immer mehr in sich selbst zurückgezogen. Glücklicherweise besaß Carrie genügend Willensstärke, um nicht in die gleiche Falle zu tappen.

„Dein Vater hat viele Vorzüge, nur leider ist er kein musischer Mensch.“

„Was für eine nette Untertreibung.“ Carrie lachte spröde. „Weißt du eigentlich, dass ich den Flügel seit dem Unfall nicht einmal angerührt habe? Das ist jetzt fast ein Jahr her.“

„Ach Kind, du bist doch noch so jung. Was sind denn schon zweiundzwanzig Jahre?“

„Genug, um ein eigenes Leben zu beginnen“, konterte Carrie. „Und wenn Dad nicht wäre, hätte ich das auch schon längst getan.“

„Vielleicht ist ein kleiner Tapetenwechsel ja wirklich die beste Lösung. Weißt du denn schon, wohin? Liz und ich würden dich natürlich jederzeit mit offenen Armen empfangen, das muss ich dir ja nicht erst sagen.“

„Ja, ich weiß. Ihr wart immer so lieb zu mir. Und Liz ist mir mehr Mutter gewesen, als Glenda es je sein wird, doch es wird Zeit, dass ich auf eigenen Beinen stehe. Vielleicht sollte ich meinen Doktor machen. An einen Abschluss als Konzertpianistin ist ja nun nicht mehr zu denken. Und als Klavierlehrerin kann ich nicht weiterkommen, also brauche ich jede Qualifikation, die ich erwerben kann.“

„Okay, einverstanden. Nur wie willst du weiterkommen, wenn du dir nicht helfen lässt?“, gab er zu bedenken. „Von einem Halbtagsjob kannst du nicht leben und auch nicht von ein paar Unterrichtsstunden hier und da.“

„Ich habe ja noch Grandmas Geld.“ Ihre Großmutter mütterlicherseits war sehr bald nach dem Tod ihrer einzigen Tochter ebenfalls gestorben und hatte Carrie ein kleines Erbe hinterlassen. „Damit komme ich erst mal über die Runden. Was ich jetzt brauche, ist irgendein Schlupfloch, wo ich unterkriechen kann, bis ich wieder etwas Abstand zu den Dingen habe.“

„Ich verstehe dich ja, Liebes.“ James’ Stimme verriet die tiefe Zuneigung, die er seiner Nichte entgegenbrachte. „Und wie es der Zufall so will, kommt heute ein Klient vorbei – unser größter Klient, sollte ich richtigerweise sagen –, der für seine kleine Tochter eine Gouvernante sucht. Nicht, dass du dazu geboren wärest, Gouvernante zu sein“, fügte er lächelnd hinzu.

„Wer sagt, dass ich es nicht bin?“

„Liebes“, er musste schallend lachen, „glaub mir, du bist es nicht. Sieh dich doch an. Eine so begabte, schöne junge Frau wie du sollte unter Menschen gehen und das Leben genießen, anstatt sich in der Wildnis zu verkriechen.“

„In der Wildnis?“ Jetzt war ihr Interesse geweckt. „Erzähl mir mehr darüber.“

„Wie dumm von mir, dass ich überhaupt damit angefangen habe …“ James wurde von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Eine junge Büroangestellte kam herein und brachte Kaffee. „Hier herüber, Ann. Vielen Dank.“ Charmant lächelte er dem Mädchen zu.

„Dieses Wochenende fahre ich wieder zum Segeln, Carrie. Willst du nicht mitkommen?“

„Oh ja, liebend gern.“ Ihre goldbraunen Augen leuchteten auf. Sie liebte alles, was mit Booten und Wasser zu tun hatte. Schon als kleines Mädchen war sie mit ihrem Onkel zum legendären Great Barrier Reef hinausgesegelt.

„Also, wenn ich das richtig verstanden habe, geht es um einen Job als Gouvernante auf einer Farm in den Outbacks“, nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf.

„Das Wort Farm trifft es nicht ganz, Liebes. Die Familie kontrolliert ein gewaltiges Gebiet von mehr als vier Millionen Hektar Grundbesitz, der sich auf insgesamt zehn riesige Güter verteilt. Damit ist mein Klient einer der einflussreichsten privaten Großgrundbesitzer des Landes. Und Queensland ist nach wie vor die Heimat der großen Rinderbarone, wie du ja weißt.“

„Du lieber Himmel! Ganz dahinten im Südwesten?“ Carrie musste schlucken. Bis dahin waren es mehr als tausend Meilen.

„Nein, ganz so ist es auch nicht“, stellte James richtig. „Die Ländereien erstrecken sich zwar bis dahin, aber der Hauptsitz der Familie liegt in Nordqueensland.“

„Wie heißt der Besitz denn?“

„Maramba.“

„Maramba … Kommt mir irgendwie bekannt vor.“

„Gut möglich“, meinte James. „Royce ist häufig in den Nachrichten zu sehen.“

„Royce … und weiter?“, hakte sie ungeduldig nach. „Nun komm schon, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.“

„Carrie, Liebes, glaub mir, dieser Job ist nichts für dich.“ Er seufzte und fragte sich nun schon zum zweiten Mal, warum er dieses Thema überhaupt angeschnitten hatte. „Nach allem, was ich gehört habe, ist dieses Mädchen sehr … schwierig. Jedenfalls hat keine der bisherigen Gouvernanten lange durchgehalten.“

„Was stellt der kleine Satansbraten denn so alles an?“

James musste lachen. „Ich weiß genau, was du jetzt denkst, so oft, wie du die gute Glenda zur Verzweiflung getrieben hast. Jedenfalls sieht Royce das alles ganz anders. In seinen Augen waren die Gouvernanten einfach unfähig.“

„Aha. Und hat der Gouvernantenschreck auch einen Nachnamen?“

„Royce McQuillan. Ein großartiger Bursche. Einer der feinsten jungen Menschen, die ich je kennengelernt habe. Auch er hat es alles andere als leicht gehabt. Vor ein paar Jahren hat er seine Eltern bei einem Flugzeugabsturz verloren. Sie wollten in den USA Urlaub machen. Kurz darauf ging auch seine Ehe in die Brüche.“

„Das ist ja entsetzlich.“ Bestürzt ließ Carrie sich in ihren Sessel zurücksinken. „Und was ist mit der Mutter? Warum ist das Kind nicht bei ihr geblieben?“

„Anscheinend wollte sie die Kleine nicht bei sich behalten. Viel mehr weiß ich auch nicht. Royce ist in dieser Beziehung sehr verschlossen. Aber du hast bestimmt schon einmal von ihr gehört. Sharon Rowlands. Sie dürfte ein paar Jahre älter sein als du, so um die dreißig, einunddreißig. Eine sehr schöne, mondäne Frau, wenn auch für meinen Geschmack ein wenig zu sehr auf Wirkung aus. Ihrem Vater, Hugh Rowlands, gehört die Standford Pastoral Company.“

„Für die Kleine muss eine Welt eingestürzt sein, als ihre Eltern sich trennten. Wie alt ist sie jetzt?“

„Sie ist eine altkluge Göre von sechs Jahren. Demnächst wird sie sieben.“

„Dann müssen ihre Eltern ziemlich jung geheiratet haben“, rechnete Carrie schnell nach.

„Liz meint, die Heirat sei schon beschlossene Sache gewesen, als die beiden noch in den Windeln lagen.“

„So etwas soll es ja tatsächlich noch geben. Dafür haben sie aber nicht lange gebraucht, um sich auseinander zu leben.“

„Nein.“ James dachte mit aufrichtigem Mitgefühl an seinen Klienten. „Royce trägt große Verantwortung, und er hat sehr viele Verpflichtungen, denen er nachkommen muss. Sharon soll schon bald nach der Heirat angefangen haben, sich zu langweilen.“

„Sich zu langweilen?“ Carrie war sprachlos. Auf was für ein Leben wartete diese Sharon eigentlich? „Die Frau muss wirklich ein Herz aus Stein haben. Wie könnte sie es sonst fertigbringen, so einfach ihr Kind im Stich zu lassen?“

James blickte nachdenklich in seine Kaffeetasse. „Ich sage es nicht gern, aber man behauptet, dass Sharon ihren freizügigen Lebensstil nicht aufgeben wollte und die Kleine ihr dabei im Weg war. Es würde mich nicht besonders überraschen, wenn sie sich demnächst wieder in eine neue Ehe stürzte, allerdings ist Liz fest davon überzeugt, dass sie nie über Royce hinwegkommt, es sei denn, sie findet noch einmal einen Mann wie ihn.“

„Wenn sie sich immer noch etwas aus ihm macht, könnten sie es ja vielleicht noch einmal miteinander versuchen“, überlegte sie. „Und sei es auch nur um des Kindes willen. Zum Glück haben die Probleme der beiden wenigstens nichts mit Geld zu tun.“

„Leider hilft das oft auch nichts mehr, Liebes.“ Er dachte daran, wie viele seiner wohlhabenden Klienten er im Laufe der Jahre schon zum Scheidungsrichter begleitet hatte. „Zum Glück habe ich mit meiner Liz das große Los gezogen.“

Carrie lächelte ihn liebevoll an. „Ihr seid wunderbare Menschen, Jamie. Du und Liz. Wunderbare, großherzige, fürsorgliche Menschen.“ Energisch schob sie jeden Gedanken an ihre gehässige Stiefmutter beiseite.

Für eine Weile saßen sie in schweigender Eintracht beieinander und genossen das Gefühl tiefer Verbundenheit.

„Auf dich wartet noch etwas Wunderbares, Kätzchen“, unterbrach James schließlich die Stille. Unwillkürlich benutzte er ihren alten Kosenamen. „Etwas ganz Wundervolles. Glaub mir, eines Tages steht es vor deiner Tür, auch wenn es im Moment nicht danach aussieht.“

„Nein, das tut es wirklich nicht.“ Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. „Ich brauche einen Job. Bitte Jamie, kannst du nicht ein gutes Wort für mich einlegen?“

James beugte sich vor. „Dein Vater wird fuchsteufelswild werden, wenn er davon erfährt.“

„Aber Glenda wird begeistert sein.“

„Und was ist, wenn deine Rechnung nicht aufgeht, Carrie? Was, wenn das ganze Vorhaben in einem Fiasko endet? Nein, Liebes, ich will mir auf keinen Fall die Schuld daran geben müssen, dass ich dich in eine solche Situation gebracht habe.“

„Schlimmer, als es schon ist, kann es wohl nicht mehr werden. Ich kann mich um ein kleines Mädchen kümmern, Jamie. Überleg doch mal, wie verletzlich sie gerade jetzt sein muss. Genauso wie ich. Vielleicht kann ich sie ja ein bisschen aufmuntern.“

Er biss sich auf die Lippe. „In einer halben Stunde kommt Royce hierher. Wir müssen über Geschäfte reden. Wegen des Anstiegs der Rindfleischpreise wollen jetzt viele ihr Land verkaufen. Royce spielt mit dem Gedanken zu expandieren.“

„Er will anscheinend ganz Australien aufkaufen.“

„Liebes, wir brauchen Männer wie Royce McQuillan.“

„Ist ja schon gut“, lenkte sie schnell ein. „Was ist also? Kann ich warten?“

James lehnte sich zurück und blickte ihr prüfend in die Augen. „Dir ist es also wirklich ernst?“

„Natürlich kann ich erst sagen, wie ernst, nachdem ich die große Stütze der Gesellschaft mit eigenen Augen gesehen habe. Aber du hältst ja offenbar große Stücke auf ihn. Da wird er sicher ein sympathischer Mensch sein.“

„Das ist er ohne Frage, womit ich nicht sagen will, dass er einfach ist“, stellte James klar. „Mit seinen zweiunddreißig Jahren ist er bereits eine Persönlichkeit von erstaunlichem Format. Und was Geschäftssinn und Weitblick betrifft, stellt er viele in den Schatten, die ihm an Alter und Erfahrung um Längen voraus sind. Ein wirklich beeindruckender Mann.“

„Muss wohl am Geld liegen“, bemerkte Carrie trocken.

Er nickte. „Das mag sicher dazu beitragen. Allerdings hat auch das Scheitern seiner Ehe ihn in mancher Hinsicht verändert. Ich meine, er ist nicht unfreundlich. Wenn er will, kann er sogar sehr charmant sein. Aber leider scheint ihn diese Scheidung seine frühere Unbeschwertheit gekostet zu haben. Ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich ihn das letzte Mal so richtig habe lachen hören.“

„Wahrscheinlich ist er Frauen gegenüber jetzt sehr auf der Hut.“

„Vor allem schönen Frauen gegenüber.“ James betrachtete seine Nichte, die mit ihren klassischen Gesichtszügen und dem strahlenden Teint das perfekte Ebenbild seiner geliebten Schwester Caroline war.

„Soll das heißen, er sucht eine graue Maus?“

„Ich würde sagen, er sucht eine nette Person, die sich gut um seine kleine Tochter kümmert“, antwortete er diplomatisch.

„Dann werde ich nett sein“, beschloss sie. Plötzlich war sie fest davon überzeugt, dass ein Leben auf einer abgelegenen Rinderfarm all ihre Probleme lösen würde.

Carrie saß gerade an der Rezeption, als er zur Tür hereinkam. Debra, die Empfangsdame, hatte kurz das Büro verlassen, und Carrie hielt für sie die Stellung. Als sie aufsah und ihn erkannte, dachte sie einen Moment lang, sie würde gleich ohnmächtig werden.

„Sie?“, fragte er mit seiner warmen, ruhigen Stimme. „Na, das nenne ich eine Überraschung!“

Irgendwie gelang es ihr, diesen kritischen Augenblick zu überstehen. „Ja, wirklich, ein … erstaunlicher Zufall“, bestätigte sie, wobei ihr der Ausdruck von Spott und Belustigung in seinen schwarzen Augen nicht entging. „Was kann ich für Sie tun?“, erkundigte sie sich in geschäftsmäßigem Ton und stellte erleichtert fest, dass ihre Stimme nichts von ihrem inneren Aufruhr verriet.

„Ich möchte zu Ihrem Chef, James Halliday.“

„Haben Sie einen Termin?“ Das konnte doch nicht wahr sein!

„Sicher habe ich einen Termin“, erwiderte er kurz angebunden. „Sie sind wohl noch nicht lange hier? Mein Name ist Royce McQuillan.“

Carrie war entsetzt. Das war’s dann wohl. Ade Job, ade Schlupfloch. „Selbstverständlich, Mr. McQuillan.“ Sie sah ihn an, während ihre Gedanken sich überschlugen. „Soll ich für Sie durchrufen?“

„Nicht nötig.“ Er machte eine ungeduldige Handbewegung. „Mr. Halliday erwartet mich.“ Und schon wandte er sich zum Gehen.

„Ich begleite Sie“, sagte Carrie schnell und kam gerade hinter dem Empfangstresen hervor, als Debra zurückkehrte. Als sie den Besucher erkannte, eilte sie strahlend lächelnd auf ihn zu.

„Guten Morgen, Mr. McQuillan“, flötete sie und legte dabei viel Gefühl in ihre Stimme. „Oder sollte ich besser ‚Guten Tag‘ sagen?“

„Noch nicht ganz“, erwiderte er lächelnd, nachdem er einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr geworfen hatte. „Wie geht’s Ihnen, Debra?“

„Danke, sehr gut, Mr. McQuillan, und Ihnen?“

Autor

Margaret Way
<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
Mehr erfahren