Baccara Collection Band 416

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DER MILLIARDÄR UND DAS COUNTRYGIRL von SILVER JAMES
Auf der Flucht vor ihrem ungeliebten Bräutigam läuft Country-Sängerin Zoe direkt in die Arme von sexy Playboy-Milliardär Tucker. Dabei braucht sie jetzt ein Versteck - keine erotischen Verwicklungen! Doch sie ist machtlos gegen das erregende Prickeln in Tuckers Nähe …

KÜSS MICH HEISS, MRS. RIGHT! von DEBORAH FLETCHER MELLO
Die Funken sprühen, als Detective Noah Stallion beim Klassentreffen die verführerisch schöne Catherine wiedersieht. Aber während er nach einer berauschenden Liebesnacht glaubt, endlich Mrs. Right gefunden zu haben, zieht sie sich plötzlich wieder von ihm zurück …

SINNLICHE RACHE AUF HAWAII von YVONNE LINDSAY
Undercover-Reporterin Peyton will Rache an den Horvaths, die ihren Vater ruiniert haben! Für eine Enthüllungsstory geht sie sogar eine arrangierte Ehe mit Unternehmer Galen Horvath ein. Ein eiskalter Plan, bis Peyton beim Honeymoon auf Hawaii sinnliche Sehnsucht spürt …


  • Erscheinungstag 25.02.2020
  • Bandnummer 416
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726614
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Silver James, Deborah Fletcher Mello, Yvonne Lindsay

BACCARA COLLECTION BAND 416

SILVER JAMES

Der Milliardär und das Countrygirl

Milliardär Tucker Tate liebt sein Junggesellenleben über alles. Bis er am Straßenrand eine junge Frau in Brautkleid und Westernstiefeln aufliest. Die süße Zoe weckt nicht nur heftige Leidenschaft in ihm – ausgerechnet bei ihr erwacht zum ersten Mal sein Beschützerinstinkt. Aber Zoe ist gerade vor ihrer eigenen Hochzeit geflohen und will nur eins: frei sein!

DEBORAH FLETCHER MELLO

Küss mich heiß, Mrs. Right!

Ein erotisches Wochenende, mehr hat Catherine nicht im Sinn, als sie Detective Noah Stallion beim Klassentreffen wiedersieht und es sofort unwiderstehlich heiß zwischen ihnen knistert. Schließlich will sie sich ganz auf ihre Karriere konzentrieren! Doch dann wird sie plötzlich von einem Stalker verfolgt – nur in Noahs Armen ist sie jetzt noch sicher!

YVONNE LINDSAY

Sinnliche Rache auf Hawaii

Eine Zweckehe mit der hübschen Peyton ist genau das Rich-tige für Galen Horvath. Denn der freiheitsliebende Unterneh-mer braucht bloß aus einem Grund eine Ehefrau: damit sein kleiner Schützling Ellie wieder eine Mutter hat! Gegen seinen Willen gerät Galen jedoch immer mehr in Peytons sinnlichen Bann. Allerdings ist sie nicht die, für die er sie hält …

1. KAPITEL

Tucker Tate war einer, der genau wusste, wohin ihn sein Weg führte; er war genau da, wo er sein wollte. Und als Geschäftsführer von Barron Entertainment war sein Leben nie langweilig. Bei strahlendem Sonnenschein war er in seinem Ford Thunderbird mit offenem Verdeck und laut aufgedrehtem Radio unterwegs. Er war Single und frei von familiären Verpflichtungen. Seit sein Bruder Deacon geheiratet und ein Kind adoptiert hatte, behelligten Tuckers Mutter und seine anderen sechs Brüder ihn seltener mit dem Thema Ehe. Gott sei Dank! Sein Cousin und Boss, Chase Barron, hatte ebenfalls geheiratet und Tucker mehr geschäftliche Verantwortung übertragen. Was ihm diese aufregende Fahrt bescherte.

Er kam aus dem Osten Tennessees, wo er sich eine Band angehört hatte, der er eventuell einen Plattenvertrag mit Bent Star, der Plattenfirma von Barron Entertainment, anbieten wollte. Aber jetzt ging es nur darum, den freien Tag zu genießen. Er hatte sich entschieden, eine längere Route nach Hause zu nehmen, und war auf dem Weg nach Gatlinburg, um dort zu essen, bevor er durch die Smokey Mountains weiter nach Nordwesten fuhr.

Er war nicht oft auf dem Land. Er zog seine Suite im Crown Casino in Las Vegas und das luxuriöse Haus der Firma im West End von Nashville vor. Wenn er nach Oklahoma musste, wohnte er auf der Familienranch.

Die Sonne stand immer noch hoch, als Tucker auf Umwegen in Richtung der Interstate 40 fuhr. Er kam an einer kleinen Kirche vorbei, vor der eine Menge Autos und Pick-ups parkten. Manche waren so zerbeult, dass sich Tucker fragte, ob sie überhaupt noch fahrtüchtig waren. Andere dagegen waren richtig aufgemotzt. Da Samstag war und die Wagen mit Papierblumen und Luftschlangen geschmückt waren, nahm er an, dass in der Kirche gerade eine Trauung stattfand.

Es war ein guter Tag für eine Hochzeit, fand er – so lange nicht er es war, der den Strick um den Hals gelegt bekam. Ehe und Kinder waren so ziemlich das Letzte, woran er dachte. Er genoss sein Leben in vollen Zügen.

Er schaltete einen Gang höher und nahm die nächste Kurve schneller, als klug war.

Fluchend riss Tucker das Steuer nach rechts, als er gleich hinter der Kurve überholt wurde. Er schaffte es gerade noch, den Thunderbird in der Spur zu halten. Er kniff die Augen zusammen, als der andere Wagen an ihm vorbeizog. War das ein Pontiac Trans Am? Er lachte laut auf. Ja, es war ein verdammter Trans Am. Mit Papierblumen geschmückt und Dosen hinter sich herziehend. Verdammt! Dann flatterte etwas Weißes aus dem offenen Schiebedach. Fasziniert beobachtete er, wie der Stoff in seine Richtung flog.

Ein entgegenkommender Pick-up hupte, und zum zweiten Mal riss Tucker das Steuer nach rechts. Das weiße Etwas verhedderte sich in seiner Antenne. Er fuhr langsamer und griff danach. Erst als er es in der Hand hielt, wurde ihm klar, dass es ein Brautschleier war, mit einem glitzernden Diadem. Ja, in der Kirche hatte definitiv eine Hochzeit stattgefunden, und die Frischvermählten hatten es offenbar eilig, in die Flitterwochen zu kommen.

Zwanzig Minuten später bemerkte er jenseits einer Hügelkuppe eine Rauchwolke. Mist! Tucker fuhr langsamer, als er die Kuppe erreichte. Ein Stück weiter unten parkte der Trans Am an der Straßenseite. Öliger Rauch stieg aus dem Auspuff hoch. Aber Tucker sah keine Flammen. Als er sich dem Auto näherte, erblickte er eine Frau in einem weißen Kleid. Sie hatte es hochgerafft und trat mit ihren Westernstiefeln gegen den Wagen. Sie sah nur kurz auf.

Tucker lenkte den Wagen an den rechten Rand und parkte vor dem Trans Am. Wie es schien, war die Braut allein. Seltsam. Er stieg aus und näherte sich ihr ein wenig beklommen, als er sie fluchen hörte. Offenbar war die Frau gerade nicht besonders gut auf Männer zu sprechen. Er blieb außerhalb der Reichweite ihrer Füße stehen.

Was hatte sie getan, dass sie dieses schlechte Karma verdiente?

Zoe trat gegen die Tür des Trans Am und freute sich über die Beule. Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung. Sie bekam Angst. Sobald die Smithees merkten, dass sie weggelaufen war, war sie erledigt. Sie rieb sich die Seite.

„Alles wird gut“, murmelte sie. „Mom wird alles in Ordnung bringen.“ Sie musste sich nur überlegen, wie. Der Gedanke, dass diese Familie ihr Kind bekommen könnte, verwandelte ihr Blut in Eis. Bis heute hatten sie Zoe wie eine Gefangene behandelt. Als sie den Trans Am vor der Kirche gesehen hatte, für den sie die Schlüssel hatte, war sie aus dem Fenster gesprungen und weggelaufen.

Zoe atmete schwer aus, als sie den klassischen schwarzen Thunderbird herankommen sah. Sie wollte die Hand heben, ließ es dann aber. Wenn es um Männer ging, durfte sie ihren Instinkten nicht trauen.

Sie trat wieder gegen das Auto. Verdammte Schrottkarre! Schlimm genug, dass sie ihn nach Redmonds Inhaftierung hatte fahren müssen. Aber die Vorstellung, dass sie darin die Flitterwochen mit seinem strohdummen Bruder hätte antreten sollen …

Du liebe Zeit, Norbert war ein Idiot! Und seine Mutter? Die Frau machte ihr Angst. Etta Smithee wäre eine Schwiegermutter aus der Hölle gewesen. Ein Lastwagen sollte die alte Schachtel überfahren! Warum glaubten die Smithees, sie würde Norbert freiwillig heiraten, nur weil er Redmonds Bruder war und Redmond der Vater …

Jemand räusperte sich, und Zoe zuckte zusammen. Sie wirbelte herum, um den Fremden anzuschauen. Oh verdammt, warum stellte Gott sie dermaßen auf die Probe? Der Mann war umwerfend. Er überragte sie um mindestens dreißig Zentimeter. Sein dunkles Haar war militärisch, aber stilvoll kurz geschnitten. Er sah perfekt aus, anders als die Smithee-Brüder und deren Cousins, die sich nur allzu bald auf ihre Spur setzen würden. Sie konzentrierte sich wieder auf den Neuankömmling. Seine Augen hatten die Farbe von Kornblumen und betrachteten sie amüsiert. Und sein Mund! Sie könnte diesen Mund tagelang küssen und würde nie atmen müssen. Mit anderen Worten: Der Mann bedeutete gewaltigen Ärger, wie er da so in seinen engen Jeans stand.

„Probleme mit dem Auto?“

„Wie kommen Sie darauf?“, fuhr sie ihn an und wusste nicht, wie sie reagieren sollte, als er sie breit angrinste. Sie wickelte die Stofflagen enger um sich, als könnte ihr Brautkleid sie vor seiner Sexiness beschützen.

„Ich bin ein Mann. Wir sind Meister der Untertreibung. Brauchen Sie eine Mitfahrgelegenheit?“

„Ich komme zurecht.“

„Soso. Ich glaube, Sie haben den Motor ruiniert. Dieser Vogel wird so bald nirgendwo hinfliegen.“ Er musterte sie, und es fühlte sich an, als berührte er sie. Innerlich erschauderte sie. Sieh dich vor!, ermahnte sie sich. Jetzt fiel ihr auf, dass sie ihren Rock so weit hochgezogen hatte, dass man ihre Beine sehen konnte.

Der Typ räusperte sich. „Also, Süße, soll ich einen Abschleppwagen anrufen?“

„Nein.“ Genau genommen gehörte ihr das Auto nicht. Red hatte ihr die Schlüssel gegeben und gesagt, sie könne es fahren. Ihr war es absolut egal, ob es hier bis ans Ende aller Tage stehen blieb.

„Schauen Sie, wir sind hier am Arsch der Welt. Lassen Sie mich Sie wenigstens in die nächste Stadt mitnehmen.“

„Ich will nicht in die nächste Stadt. Ich bin unterwegs nach Nashville.“

„Das trifft sich. Ich auch. Also nehme ich Sie mit.“

Und das war eben das Problem. Sie wollte, dass er sie mitnahm. Er musterte sie immer noch von unten bis oben. In seinen unfassbar schönen Augen funkelte Interesse. Und – ja! – auch sie checkte ihn ab. Oh Mann! Was stimmte nicht mit ihr?

„Den ganzen Weg nach Nashville?“ Das würde ihr einen Riesenvorsprung vor den Smithees verschaffen. Red saß in Alabama im Gefängnis. Norbert war ein Muttersöhnchen, und auch die Smithee-Cousins machten, was Etta sagte.

„Den ganzen Weg.“ Er hielt sein Smartphone hoch und zog die Brauen zusammen, was so sexy aussah, dass sie ihn auf die Stirn küssen wollte. Langsam, Zoe, bremste sie sich. Ihrer Schwäche für attraktive Männer hatte sie den ganzen Schlamassel zu verdanken. „Ich rufe einen Abschleppdienst an, sobald wir wieder in der Zivilisation sind.“

Zoe beugte sich in den Wagen und nahm ihre Reisetasche und den Gitarrenkasten heraus. Mehr besaß sie nicht. „Gut! Dann los!“ Sie marschierte an ihm vorbei, die Röcke immer noch gerafft. Er nahm ihr die Tasche ab.

„Ich lege das in den Kofferraum. Der T-Bird hat keinen Rücksitz.“

Während der Mann ihre weltlichen Besitztümer in dem winzigen Kofferraum unterbrachte, stapfte Zoe in Richtung Beifahrersitz und schnaubte, als sie ihren Schleier darauf liegen sah. Schlechtes Karma. Zoe stopfte das hässliche Ding aufs Armaturenbrett und setzte sich.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Sie erschrak und stieß sich das Schienbein an der Autotür. „Nein, alles in Ordnung. Vielen Dank!“

Er trat mit gekreuzten Armen zurück. Sein Oberkörper füllte das Hemd ebenso perfekt aus wie sein Hintern die Jeans. Er rollte die Ärmel auf und präsentierte gebräunte Unterarme mit dunklen Haaren, die im Sonnenschein kupferfarben wirkten.

Schnaufend und keuchend quetschte sie sich in den engen Sitz. In diesem Outfit würde sie einen Gabelstapler brauchen, um wieder aus dem verdammten Auto auszusteigen.

Sie fasste nach dem Griff, aber Tucker war schneller. Er stopfte den Rest ihres Kleides ins Auto und schaffte es, die Tür zu schließen, ohne etwas einzuklemmen. „Ich würde Ihnen ja sagen, dass Sie sich anschnallen sollen. Aber dieses Kleid ist so gut wie ein Airbag.“

„Haha, sehr witzig!“, maulte sie und stopfe den Tüll um ihre Beine fest. An der ersten Tanke würde sie diesen Witz von einem Kleid in den Müll werfen und sich etwas Bequemes anziehen. Mit ein bisschen Anstrengung schaffte sie es, den Sicherheitsgurt anzulegen.

Kurz darauf saß der Fremde hinterm Lenkrad. „Ich bin Tucker“, sagte er und streckte ihr seine Hand hin.

„Zoe.“ Sie betrachtete seine Hand, während sie darüber nachdachte, ob sie ihn anfassen sollte. Ihre Handfläche sehnte sich danach, seine Haut zu spüren. Sie gab der Versuchung nach, und sie schüttelten einander die Hände. Seine fühlte sich warm und trocken an. Aber was da ihren Arm herauflief, war das ein Prickeln? Nein. Definitiv nicht!

„Darf ich Sie fragen, wo der Bräutigam ist?“ Er sah sie von der Seite her an, als er den T-Bird anließ. Klang der Motor nicht, als schnurrte er? Er fuhr auf die Straße.

„Nein. Sagen wir einfach, dass unsere Ehe nicht sein sollte.“ Sie nahm den Schleier und warf ihn hoch in den Fahrtwind. Sie beobachtete ihn im Seitenspiegel und lachte, als er sich im Feuervogel-Logo auf der Motorhaube des Trans Am verfing.

Tucker warf ihr einen kurzen Blick zu. „Kalte Füße?“

„Gut geraten.“

„Okay.“

Sie drückte ihr Kleid noch ein bisschen zusammen und verzog das Gesicht wegen der Massen von Stoff. „Sie haben nicht zufällig eine Schere? Oder ein Messer oder sonst etwas Scharfes?“ Wieder warf ihr Tucker einen kurzen Blick zu. Sie sollte es erklären. „Ich will etwas von dem Zeug hier abschneiden.“

„Nein. Tut mir leid. Nichts, was nützlich wäre.“

Zoe wollte ihm sagen, dass sie sich das Kleid nicht ausgesucht hatte, als würde sich der Typ um ihren Kleidergeschmack scheren. Trotzdem wollte sie, dass er eine gute Meinung von ihr hatte. „Sie kommen nicht aus der Gegend, oder?“

Tucker grinste. „Ursprünglich aus Oklahoma. Und Sie?“

„Die meiste Zeit habe ich in den Smoky Mountains verbracht. Aber jetzt bin ich soweit, hier rauszukommen und nie mehr zurückzublicken.“ Das war die Wahrheit. Sie seufzte und wünschte sich, sie könnte die Sonnenbrille aus ihrer Tasche fischen. „Einer meiner größten Fehler war es, in dieser Bar in Gatlinburg zu singen.“

Sie sah Tucker an, der sie immer noch aus den Augenwinkeln beobachtete. Sie hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Zoe wusste genau, wie sie wirkte, und dieser Typ hatte Geld und Klasse.

„Sie sind also Sängerin?“

Zoe verbarg ihr Unbehagen durch ein Schulterzucken. „Ja, bin ich. Und eines Tages …“, sie warf ihm ihr frechstes Lächeln zu, „… werde ich sogar dafür bezahlt werden.“

Das Schweigen kehrte zurück. Nach einigen Minuten sah sie zu Tucker hinüber. Er warf ihr verstohlene Blicke zu. Offenbar hatte er ihren runden Bauch bemerkt.

Tucker räusperte sich, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und überlegte es sich dann offensichtlich anders. Zoe beschloss, dass Schweigen gar nicht so schlecht war. Es dauerte fünf Minuten.

„Also war es eine Zweckheirat?“

„Könnte man so nennen. Ich habe das nicht geplant.“ Sie zuckte die Achseln. „Ich war einfach jung und dumm.“

„Und jetzt?“

„Bin ich älter und klüger. Und bereit, ein Kind aufzuziehen.“

Tucker betrachtete ihren Bauch. „Echt?“

„Ja.“ Zoe fragte sich, ob sie dem Fremden vertrauen konnte. „Mein Leben ist total verrückt, Tucker. Ich nehme an, es ist das Beste, wenn ich lächle und es ertrage. Sie wissen schon: Lachen ist die beste Medizin und so.“

„Haben Sie keine Familie, die Ihnen hilft?“

Sie biss sich auf die Lippen. Ihre Augen brannten, und sie wandte den Blick ab. Sein mitfühlender Blick machte sie fertig. „Ich habe keine nennenswerte Familie. Es gibt nur mich.“

„Ich … Wow!“ Er wirkte überrascht. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das ist. Ich habe eine Riesenfamilie.“

Eine große Familie? Es hatte nur Zoe und ihren Dad gegeben. „Glück gehabt.“

Sein Lächeln war warm und zärtlich. „Solange sie sich nicht in meine Geschäfte einmischen.“

Zoe spürte einen scharfen Schmerz. Mit verzerrtem Gesicht drückte sie die Hand gegen ihre Seite.

„Alles in Ordnung?“

„Ja, das sind nur diese Briggs&Stratton-Dinger.“

Er sah verwirrt aus, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und presste dann die Lippen einen Moment lang zusammen. Dann fragte er: „Meinen Sie nicht Braxton Hicks?“

Sie legte den Kopf schief und tat so, als dächte sie darüber nach. Sie entschied sich schließlich für einen schlechten Scherz. „Braxton Hicks. Singt er nicht in der Grand Ole Opry?“

2. KAPITEL

Tucker waren weder Zoes feuchte Augen entgangen noch ihr Versuch, humorvoll zu wirken. Von den weißen Cowboy-Stiefeln bis zu den Massen von Tüll und Spitze sah sie aus, als käme sie direkt aus einer Country-Comedy-Show. Aber in der kurzen Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, hatte er Entschlossenheit, Wärme und eine quirlige Persönlichkeit gesehen. Erstere bewunderte er, und als Mann konnte er mit dem Rest gut leben. Außerdem spürte er, dass sie viel einsamer war, als sie zugeben wollte. Unter den gegebenen Umständen war das total nachvollziehbar. Er beschloss mitzuspielen. Fürs Erste. „Ach nein“, sagte er und verbarg ein Lächeln. „Braxton Hicks ist eine Mogelpackung.“

„Wirklich?“, sagte sie trocken und verdrehte übertrieben die Augen. Kurz darauf musterte sie ihn eingehend. „Woher sollte einer wie Sie das wissen? Sind Sie verheiratet?“ Er sah, wie sie seine linke Hand betrachtete.

Tucker unterdrückte ein Lachen und schüttelte den Kopf. Sesshaft zu werden war so ziemlich das Letzte, was er wollte. „Nö. Aber erinnern Sie sich an die große Familie, die ich erwähnt habe? Ich habe Brüder und Cousins. Einige sind verheiratet und haben Kinder.“ Wieder sah er auf Zoes Bauch. Sie hatte die Hände darüber gefaltet. Er fand die Geste süß.

„Also, erzählen Sie mir was!“ Er sah sie an. „Haben Sie das mit der Zweckehe ernst gemeint?“

Über ihr Gesicht flackerte etwas, das er nicht deuten konnte. Sie setzte sich auf, um aus dem Fenster sehen zu können, und er glaubte schon, sie würde seine Frage unbeantwortet lassen. Dann hörte er sie seufzen.

„Das ist eine sehr lange Geschichte. Sind Sie sicher, dass Sie sie hören wollen?“

Das war eine gute Frage. Aber er hatte angehalten und sie mitgenommen, also war er schon kopfüber in ihre Geschichte eingetaucht. Und um ehrlich zu sein, brachte seine Neugierde ihn beinahe um. „Bis Nashville ist es weit. Wir haben Zeit.“

„Nun, Sir, Sie haben gefragt. Wo soll ich anfangen?“

„Fangen Sie mit dem Anfang an.“

„Also gut. Vor ungefähr neun Monaten sang ich mich durch die Clubs, und eines Abends sprang ich für einen Sänger im Shooter Jake’s ein.“ Sie sah in seine Richtung. „Haben Sie je davon gehört?“

Er nickte. Shooter Jake’s in Dalton, Georgia. Der Besitzer hatte ein Ohr für gute Musik und gab jungen Talenten eine Chance. Tucker würde nicht zugeben, wie vertraut ihm der Club war. Es war Jake, der ihn auf die Band hingewiesen hatte, die er sich gerade angehört hatte.

„Na jedenfalls war es ein einmaliger Auftritt. Der Leadsänger konnte nicht auftreten. Mr. Jake stellte mich der Band vor. Und da war ich dann auf der Bühne.“

Er fragte sich, ob eines der Bandmitglieder für ihren derzeitigen Zustand verantwortlich war.

„An diesem Abend habe ich mir die Seele aus dem Leib gesungen. Und da war dieser Typ, der an einem der Tische saß. Er sah richtig gut aus, wenn Sie wissen, was ich meine.“ Sie sah ihn kurz an. „Nicht so attraktiv wie Sie, aber verdammt nah dran. Jedenfalls hat er mir einen Drink spendiert. Und dann noch einen. Und so weiter, bis … Nun, Sie verstehen, worauf ich hinauswill.“ Sie unterbrach sich und zeigte mit dem Finger in seine Richtung. „Nun, vielleicht bin ich kein braves Mädchen. Aber normalerweise verhalte ich mich nicht dumm, auch wenn ich mehr Whisky getrunken habe, als gut für mich ist. Wir haben Vorkehrungen getroffen, aber …“ Sie seufzte. „Shit happens. Am nächsten Morgen ist er seiner Wege gegangen und ich meiner.“

„Aha.“ Tucker war fasziniert.

Sie tätschelte ihren Bauch. „Nun ja. So was passiert. Ich habe einen Test gemacht, um sicher zu sein.“

Tucker verspürte den unpassenden Impuls, ihren Bauch zu berühren. „Er war offenbar positiv.“

„Yep. Also habe ich den Mann gesucht. Ich dachte mir, er hat das Recht zu erfahren, dass er Vater wird und so.“ Sie schaute zu Tucker hinüber. „Ich meine, würden Sie es nicht wissen wollen?“

Er erwog die Frage. „Doch, würde ich.“

„Hat mich zwei Monate gekostet, Redmond zu finden. Und dann war es zu spät, um an der Situation etwas zu ändern.“ Sie hob das Kinn. „Nicht, dass ich das gemacht hätte, selbst wenn er es gewollt hätte. Das Problem auf diese Weise zu lösen, mag für manche Leute infrage kommen. Aber nicht für mich.“ Sie rieb sich den Bauch. Es war eine Geste, die sowohl schützend als auch beruhigend war und – wie Tucker glaubte – unbewusst. Er fand das liebenswert.

„Also …“ Tucker zog das Wort in die Länge. „Sie wollten, dass er Sie heiratet?“

„Verdammt, nein! Ich meine, wirklich, mit Liebe hatte das alles nichts zu tun.“ Sie atmete tief ein und dann langsam aus. „Und ich war nicht darauf aus, ihm ein Kind anzuhängen. Diese Art Frau bin ich nicht.“

Das stimmte wohl, wenn man bedachte, dass sie von ihrer eigenen Hochzeit weggelaufen war. „Habe ich mir gedacht. Immerhin sind Sie hier und nicht in den Flitterwochen.“

Zoe blinzelte. „Mein Leben hat sich in einen Albtraum verwandelt. Sind Sie wirklich sicher, dass Sie das alles hören wollen?“

Als er nickte, fuhr sie fort: „Dass ich mich besser aus dem Staub gemacht hätte, habe ich erst begriffen, als es zu spät war. Redmond hat behauptet, er sei stolz wie Bolle, Vater zu werden. Aber hat er sich um mich gekümmert oder die Arztrechnungen bezahlt? Nö. Dieser Hundesohn hat mich durch den halben Süden geschleift und mich die ganze Zeit hingehalten.“ Sie senkte die Stimme, als sie ihn nachahmte: „Nur noch ein Job, Kleines, dann gebe ich dir Geld.“ Sie verdrehte die Augen und schnitt eine Grimasse. „Wahrscheinlich waren die Hormone schuld. Wäre ich bei klarem Verstand gewesen, hätte ich den Mann schon viel früher sitzen lassen.“

„Aha.“ Tucker verbarg seinen Zweifel nicht.

„Ich meine das ernst. Jedenfalls waren wir dann in Tuscaloosa, Alabama. Sagen wir mal so: Es ging den Bach runter. Es zeigte sich, dass … nun ja, Redmond mochte Frauen. Sehr. Und das hat ihm eine Menge Ärger eingebracht.“

Ihr Unterton gefiel Tucker nicht. „Was für Ärger?“

„Hinter meinem Rücken fing er etwas mit einer verheirateten Frau an. Und wurde mit heruntergelassenen Hosen erwischt. Um es kurz zu machen: Es gab eine Schießerei. Red überlebte. Der Ehemann nicht.“

Sie seufzte tief und rieb sich die Seite. Tucker wartete schweigend. Er hatte das Bedürfnis, ihre Hand zu nehmen, ihr zu versichern, dass alles gut werden würde.

„Ich wollte weg, sobald er im Gefängnis saß. Aber Etta Smithee, seine Mama, hatte andere Pläne. Sie hat mich dazu gebracht, für die Zeit der Verhandlung zu bleiben und in der ersten Reihe, gleich hinter ihrem Kleinen, zu sitzen. Sie hat mir diese gerüschten Schwangerschaftskleider gekauft, und da saß ich dann also Tag für Tag und fühlte mich wie eine Idiotin. Ich habe den Mann nicht geliebt, und er verdiente es, ins Gefängnis zu kommen.“

„Ich …“ Tucker sprach nicht weiter. Was sollte er sagen?

Sie warf ihm einen verständnisvollen Blick zu, bevor sie fortfuhr. „Als die Jury das Urteil sprach, wollte ich weg. Aber Mrs. Smithee hat mich vollgequatscht und gesagt, die Smithee-Familie habe die Pflicht, sich um mich und das Baby zu kümmern. Alles ging gut, bis sie beschloss, aus mir eine ehrbare Frau zu machen. Dazu musste ich nur Norbert, Reds Bruder, heiraten.“ Sie stieß einen Seufzer aus.

„Warum wollte sie, dass Sie Norbert heiraten?“

„Die Frau ist völlig neben der Spur. Sie fand, dass ihr erstes Enkelkind Smithee heißen sollte und ich vor Freude herumzuspringen hätte, weil ich Norbert heiraten durfte. Ich habe mich bei der ersten Gelegenheit davonzumachen versucht. Ich habe wieder gesungen, und es ging mir gut – trotz des zusätzlichen Gewichts.“ Sie tätschelte ihren Bauch und verzog den Mund. „Ich fand einen Job in Gatlinburg. Ich hatte keine Ahnung, dass die Smithees da abhingen. Ich klimpere also auf meiner Gitarre und singe ein Lied von Miranda Lambert, und wer kommt rein?“

„Norbert.“

„Treffer!“ Sie zwinkerte ihm zu. Doch dann verschwand ihr Lächeln; sie wirkte getrieben. Tucker war sich nicht sicher, ob er auch den Rest hören wollte. „Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass er mich in seinen alten Truck stopft und mit mir wie der Teufel zum Haus seiner Mutter fährt. Die hat mich im Schlafzimmer eingesperrt, bis sie alles vorbereitet hatte.“

„Einschließlich des Kleids?“ Er wollte die Geister bannen, die in ihrem Blick umherspukten. Also versuchte er es mit einem Witz.

„Auf jeden Fall.“ Sie wand sich und seufzte. „Wo wir schon davon reden. Wissen Sie, wie weit es noch bis zur nächsten Tankstelle ist? Ich will mich umziehen. Und der kleine Racker tritt gern gegen meine Blase. Ich könnte eine Pause brauchen.“ Sie atmete hörbar aus. „Früher oder später.“

Tucker wusste nicht, wie viel von Zoes Geschichte wahr war. Er bewunderte sie für das, was seine Mutter Entschlossenheit nennen würde. Sie war ganz allein, und er spürte die Bedrängnis, die sie zu verbergen suchte. Sie war süß und witzig, und er wollte sie beschützen, auch wenn er nicht wusste, woher dieses Bedürfnis kam. Er widerstand der Versuchung, ihre Hand zu nehmen. Wieder.

In seinem Hinterkopf formte sich ein Gedanke. Er konnte seinen Bruder Bridger, der für ihren gemeinsamen Cousin Cash Barron bei Barron Security Services arbeitete, bitten, die Smithees zu überprüfen. Laut sagte er: „Ich glaube, den Wunsch kann ich erfüllen.“

Zoe stopfte das verhasste Hochzeitskleid in den Mülleimer hinter dem LKW-Parkplatz und fühlte sich endlich wieder wie sie selbst. In eine Yogahose und ein großes T-Shirt zu schlüpfen und ihre geschwollenen Füße in Flipflops zu stecken war ein Genuss.

Mit der Reisetasche in der Hand schleppte sich Zoe an der Ladenzeile der Tankstelle vorbei. Sie hatte gerade noch genug Geld, um sich etwas Kaltes zu trinken und vielleicht noch ein Sandwich zu kaufen. Dann würde sie Tucker suchen, und sie konnten weiterfahren. Sie kam zur Tür, zögerte und spähte durchs Glas. Sie erstarrte. Zwei Smithee-Cousins standen in der Warteschlange. Ob Etta Smithee in der Nähe war?

Sie duckte sich und presste den Rücken gegen die sonnenwarme Zementwand. Sie konnte nicht reingehen und sich ­Tucker schnappen. Was sollte sie machen? Denk nach! Denk nach! Sie brauchte ihre Gitarre. Die lag in Tuckers verschlossenem Kofferraum. Sie erhob sich so weit, dass sie durch die Glastür sehen konnte. Die Cousins waren immer noch da, aber keine Spur von Tucker.

Zoe drückte sich um die Ecke und musterte den belebten Parkplatz. Tucker hatte abseits geparkt. Das war gut. Vom Laden aus konnte man den T-Bird nicht sehen. Sie bemerkte einen rostigen Pick-up, der vor der Kirche geparkt gewesen war. Der Truck war leer. Wenn die beiden sie sahen, war sie geliefert. Aber wenn Tucker herauskam, konnten sie unbemerkt fliehen. Die Zeit lief ihr davon.

Zoe sah zu den großen Sattelschleppern hinüber. Vielleicht konnte sie trampen. Aber das bedeutete, die Gitarre zurückzulassen. Und Tucker. Ihn hinter sich zu lassen, schien keine gute Lösung. Und das war bescheuert. Denn der Mann schuldete ihr nichts und würde sie wahrscheinlich Etta und Norbert überlassen. Schade, dass er so gut aussah. So männlich war. Und sie auf Gedanken brachte, die eine Frau, die in einem Monat ein Kind zur Welt bringen würde, nicht haben sollte.

Aber Zoe glaubte nicht wirklich, dass Tucker sie den Smithees übergeben würde. Und das hieß, ihr blieb nur eine Möglichkeit: auf Tucker zu warten. Sich unbemerkt zum T-Bird zu stehlen war alles andere als leicht. Sie kauerte sich neben die Fahrertür.

„Nun komm schon“, murmelte sie. Fünf Minuten später trat Tucker mit einer Plastiktüte in der Hand aus dem Laden und blickte zum T-Bird herüber. Zoe sah, dass er die Stirn furchte, als er zurückschaute. Sie hob den Kopf, steckte zwei Finger in den Mund und pfiff. Er wandte den Kopf in ihre Richtung. Sie winkte ihm zu und kletterte schnell ins Auto.

Als er zur Beifahrertür kam, bat sie: „Ich brauche die Schlüssel!“ Sie packte das Steuer so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Tucker sollte nicht sehen, wie stark sie zitterte. Als er nicht sofort antwortete, fügte sie hinzu: „Steigen Sie ein! Bitte! Wir müssen schnell weg!“

Er starrte ihren Babybauch an, der sich gegen das Steuer drückte und runzelte die Stirn.

„Wie können Sie …?“

„Steigen Sie ein, Sie reicher Knabe! Wir müssen jetzt los!“

Die Ladentür öffnete sich, und laute Rufe erschollen über die Motorengeräusche hinweg. Tucker schaute sich um und sah zwei Männer auf sich zukommen. Er warf Zoe die Schlüssel zu und sprang ins Auto. Zoe gab Vollgas, bevor er richtig saß.

Die Männer rannten hinter ihnen her, gaben aber nach einigen Metern auf, drehten sich um und trotteten zu ihrem Truck, während Zoe sie im Rückspiegel beobachtete.

„Fahren Sie an die Seite!“, befahl ihr Tucker.

„Nicht, bevor wir sie abgehängt haben.“

„Wer sind die Typen?“

„Sie wären meine angeheirateten Verwandten, wenn ich nicht abgehauen wäre.“ Sie zog den Wagen durch eine enge Kurve, ohne langsamer zu werden. „Es sind Norberts Cousins. Dauert nicht mehr lange, bis Etta und er hinter mir her sind.“

Tucker legte seine Hand auf ihre. „Ich werde nicht zulassen, dass sie Ihnen etwas tun.“

Tränen traten ihr in die Augen, wofür sie den Wind verantwortlich machte. Und sie ignorierte das Ziehen in ihrer Brust, in der ihr Herz heftig klopfte. Tucker war nur ein freundlicher Mann, der einer Frau in Schwierigkeiten half. Das war alles. Nicht mehr. Aber noch nie hatte ein Mann diese Worte zu ihr gesagt und sie auch ernst gemeint. Die Träne, die ihr die Wange hinunterlief, musste sie nicht wegwischen. Tucker tat es.

„Gute Nachrichten, Süße.“ Er kramte in ihrer Reisetasche und zog ihre Sonnenbrille heraus. Dann griff er in seine Plastiktüte, zwinkerte Zoe zu und lächelte. „Was wäre eine Autofahrt ohne Junkfood?“

3. KAPITEL

Tucker ließ Zoe fahren, weil sie zu wissen schien, wo sie sich befanden. Der Tag war sonnig, nicht zu warm, und Zoes Beinahe-Verwandte waren weit hinter ihnen. Außerdem konnte er, wenn er nicht selbst fuhr, seine flüchtige Braut genauer mustern.

Zoe war hübsch, allerdings nicht im Sinn einer Schönheitskönigin. Ihre Augen, jetzt hinter großen Brillengläsern versteckt, waren von einem tiefen Schokoladenbraun. Ihr Kinn war zu lang, ihr Mund zu breit und nicht voll, und ihre Nase bog sich ein wenig nach oben. Ihr langes, volles Haar fiel ihr in Locken übers Dekolleté. Es war irgendwie nicht richtig, dass er so über sie nachdachte. Doch er konnte es nicht ändern. Sie war nicht die Sorte Frau, die er normalerweise anziehend fand. Und trotzdem war es so. Sie verströmte eine Verwundbarkeit, die etwas in ihm ansprach.

Ihr Dialekt war so breit, dass man mit einem Laster drüberfahren konnte. Er hatte einen MBA in Harvard gemacht und konnte sich noch gut daran erinnern, was er wegen seines Oklahoma-Akzents hatte ausstehen müssen. Er hatte hart an seiner Aussprache gearbeitet. Aber Zoe? Ihre Sprache war farbig und schnodderig. Wenn sie den Mund öffnete, kamen die Verse eines Country-Songs heraus. Vielleicht faszinierte sie ihn deshalb so. Tucker fuhr fort, sie zu mustern.

Sie hatte lange, bewegliche Finger, und die Vorstellung, dass sie ihn umfasste wie das Steuer ließ ihn im Sitz hin und her rutschen. Sie endeten in kurzen Fingernägeln, deren Lack abblätterte. Ihre Arme waren gebräunt, und er fragte sich, wie sie wohl vor der Schwangerschaft ausgesehen hatte. Dann zwang er seine Gedanken in eine andere Richtung.

Ihr Fahrstil war unbekümmert, aber entschlossen. Sie hatte einen freien Geist und war noch nicht so weit, sich irgendwo niederzulassen. Abgesehen davon, dass sie sich entschlossen hatte, das Kind eines Mannes auszutragen, den sie als One-Night-Stand bezeichnete und nicht heiraten wollte. Zoe war voller Widersprüche, und seine Neugier war schlimmer als die einer Katze.

„Sie starren.“

„Yep.“

„Ich muss schon wieder pinkeln.“

„Okay.“

Sie warf einen Blick in seine Richtung. „Ich halte so bald wie möglich. Danach können Sie fahren.“

„Sehr freundlich“, sagte er trocken. „Dafür, dass es mein Auto ist. Ich muss allerdings zugeben, dass Sie keine schlechte Fahrerin sind.“

Sie machte Pfff, bevor sie lachte. Und Mann, dieses Lachen fuhr ihm wie ein Pfeil ins Herz. „Süßer, ich habe fahren gelernt, als ich zehn war, damit ich den Wagen der Nachbarn leihen konnte. Mein Vater konnte nicht fahren, also musste ich uns zu dem Bumslokal fahren, wo ich für mein Essen und seine Drinks gespielt habe.“

Die Frau faszinierte Tucker. Und das bereitete ihm ein bisschen Sorgen. Sie war roh und – real. Sie nannte die Dinge beim Namen, und er genoss ihre Gesellschaft. In seinem Hinterkopf blieben jedoch Zweifel. Erzählte sie ihm Geschichten, oder war das alles wirklich passiert? Er wusste, dass nicht jeder so aufgewachsen war wie er, mit einer starken Mutter, einem in seine Kinder vernarrten Vater, harter Arbeit, aber jeder Menge Liebe und Eltern, die ihren Söhne alle Freiheiten ließen, als sie das Nest verließen. Allen, außer seinem jüngeren Bruder Dillon. Aber das war in Ordnung. Sie sorgten dafür, dass er nicht aus der Reihe tanzte.

Er lenkte seine Gedanken zurück zu der Frau, die seinen Wagen fuhr, und bemerkte, dass sich Zoe auf ihrem Sitz wand. Heimlich sah er auf seiner Karten-App nach. „Halten Sie es noch fünf Meilen aus?“

Zoe sah auf den Geschwindigkeitsanzeiger, als sie an einem Tempolimit-Schild vorbeikamen. Der kleine Wagen beschleunigte. Reichlich. Tucker unterdrückte ein Lachen. Weniger als fünf Minuten später bremste sie und hielt vor einem Geschäft abseits der Interstate. Sie hievte sich aus dem Sitz und stieg aus. Sie sah so entschlossen aus, dass die Leute ihr auswichen. Tucker wartete, bis sie außer Sichtweite war, und brach dann in Lachen aus. Einige Menschen, die an seinem T-Bird vorbeikamen, starrten ihn an. Es war ihm egal. Seine Anhalterin verzauberte ihn einfach.

Als Zoe zurückkam, saß Tucker auf dem Fahrersitz. Er wollte aufstehen, um ihr die Tür zu öffnen. Doch sie winkte ab.

„Ich sehe vielleicht wie eine Seekuh aus, hilflos bin ich deswegen noch lange nicht. An dem Tag, an dem ich keine Tür öffnen kann, liege ich rücklings in einem Sarg.“

„Wie Sie meinen, Ma’am!“

„Machen Sie sich über mich lustig?“

„Nein, Ma’am. Ich doch nicht.“

Sie sah ihn stirnrunzelnd an. Er schaffte es gerade so, ernst zu bleiben. Sogar hochschwanger, mit geschwollenen Knöcheln und einer gereizten Blase, war sie noch süß. „Ich nehme die Interstate. Wir sind noch zwei oder zweieinhalb Stunden von Nashville entfernt. Brauchen Sie noch einen Zwischenstopp?“

„Das weiß ich ebenso wenig wie Sie. Hängt vom kleinen Racker ab.“ Plötzlich setzte sie sich gerader hin und atmete langsam aus. „Schätze, dieses Kind wird mal für den Nachwuchs der University of Tennessee kicken.“

Tucker fuhr auf die Autobahn. „Wissen Sie, was es ist?“

„Etta Smithee ist davon überzeugt, dass es ein Junge ist.“

„Haben Sie keine Ultraschalluntersuchung machen lassen?“

„Drei. Aber der kleine Scheißer dreht der Kamera den Arsch zu. Auf keinem einzigen Scan sind die Genitalien des Kindes zu sehen. Hätte ich ein Kinderzimmer, müsste ich es in Lavendel streichen.“

„Lavendel?“

„Yep. Mischen Sie Rosa und Blau. Ergibt Lavendel.“

„Was ist mit Grün? Das ist eine neutrale Farbe.“

„Nix da. Racker-Baby hat mir den letzten Nerv geraubt. Werde alles Lavendel streichen. Wenn es ein Junge ist, kann er es seinen Freunden erklären.“

„Warum nennen Sie ihn nicht Sue?“, murmelte Tucker.

Zoe lachte und gab einige Zeilen aus Johnny Cashs „A Boy Named Sue“ zum Besten. Sie sang eine heisere Version des Songs. Dem Teil von ihm, der immer auf der Suche nach jungen Talenten war, fiel etwas in ihrer Stimme auf. Aber bevor er genau wusste, was er da hörte, hatte sie aufgehört zu singen. Ihre Stimme ließ ihn an Mondlicht und zerknautschte Laken denken, an einen Mann und eine Frau, die sich in der Dunkelheit umschlangen. Ihm gefiel die Vorstellung – vielleicht ein bisschen zu sehr.

Sie redeten nicht mehr. Das Schweigen war nicht unangenehm, was ihn überraschte. Er erwischte sich dabei, dass er sie ebenso oft betrachtete wie die Straße vor ihm. Ihre Stimme und ihr Lachen hatten sich so tief in ihm eingegraben wie die Unsicherheit und Traurigkeit, die er hinter ihrem Humor spürte. Die Art, wie ihre Wangen ein Gegengewicht zu ihrem Kinn schufen, die Linie ihres Halses, wenn sie den Kopf zurücklegte … Sie war attraktiver, als gut für ihn war. Er verlor sich in der Betrachtung ihres Gesichts. Bis er auf ihren runden Bauch sah. Das war jedes Mal, als würde ihm ein Eimer voll Eiswasser über den Kopf gegossen.

Zwei Stunden später erreichten sie die Außenbezirke von Nashville. Er musste wissen, wo er sie rauslassen sollte. Also fragte er. Sie ließ sich mit der Antwort Zeit. Endlich fragte sie ihn, ob sie sein Smartphone benutzen dürfe. Ihre Daumen flogen über das Display, als sie eine Nachricht schrieb. Dann wartete sie.

Als sie ihm keine Adresse nannte, nahm er die nächste Ausfahrt ins Zentrum von Nashville und steuerte das restaurierte Feuerwehrgebäude an, in dem jetzt Bent Star saß. Seine Beifahrerin sah auf, als der Wagen in der Second Avenue hielt.

„Wo sind wir?“ Stirnrunzelnd sah sich Zoe um.

„Wenn Sie nirgendwo anders hinwollen, fahre ich zu meinem Büro.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe einem Freund geschrieben, aber er hat bisher nicht geantwortet. Ich wollte auf seiner Couch schlafen.“

Tucker gefiel der Gedanke nicht, dass sie einen männlichen Freund hatte. Das war albern! Allerdings mochte er Zoe und machte sich Sorgen, dass sie allein in Nashville bleiben könnte. Er sagte nichts, bis er bei Bent Star auf den Parkplatz fuhr und den Motor abstellte. „Wissen Sie, wo Sie bleiben können, Zoe?“ Mit gesenktem Kopf hob sie die Schultern. „Ich kann Sie zu einem Hotel fahren.“

„Machen Sie sich keine Umstände“, gab sie zurück. „Ich gehe zu meinem Freund.“ Er sah, wie sie die Schultern hilflos sinken ließ. „Kann ich meine Sachen aus dem Kofferraum haben?“

„Klar.“ Er schlüpfte aus dem Wagen und holte ihren Gitarrenkasten und die Reisetasche. Er trug beides auf die Beifahrerseite, sah Zoe einen Moment dabei zu, wie sie sich aus dem Sitz mühte, und streckte dann die Hand aus. Als sie draußen war, hängte sie sich die Tasche über die Schulter, gab ihm sein Handy zurück und nahm ihren Gitarrenkasten.

„Vielen Dank für Ihre Hilfe und alles. Tut mir leid, dass Sie mein Drama mitmachen mussten.“ Sie lächelte matt, drehte sich um und ging los.

Tucker sah auf sein Handy und bemerkte eine Textnachricht. „Oh, Mist!“, murmelte er. Seine Mutter würde ihn enterben, wenn sie herausfand, dass er eine schwangere Frau im Stich gelassen hatte. „Zoe!“

Sie ging weiter. Vielleicht fand sie einen Club im Zentrum, in dem sie heute Abend auftreten konnte. Mit dem Geld konnte sie ein Zimmer mieten.

Hinter sich hörte sie laute Schritte; dann legte sich eine warme Hand auf ihre Schulter und hielt sie auf.

„Ihr Freund hat geantwortet.“ Tucker hielt ihr das Handy hin, damit sie den Text lesen konnte. „Er ist mit seiner Band unterwegs.“ Sie schloss die Augen. Wäre auch zu schön gewesen, wenn sich die Dinge nur ein einziges Mal so entwickeln würden, wie sie es wollte. Sie war müde.

„Sie haben keine Alternative, oder?“ Tuckers Stimme war voller Mitgefühl. Sie hasste den Gedanken, er könne Mitleid für sie empfinden. Bevor sie etwas sagen konnte, fuhr er fort: „Und ich möchte wetten, Sie haben auch kaum Geld.“ Er nahm ihr die Tasche von der Schulter und hängte sie sich selbst um. Dann griff er sich auch den Gitarrenkasten. „Kommen Sie. Ich muss mich im Büro um einiges kümmern. Danach gehen wir essen und überlegen uns was.“

„Hören Sie zu, Sie müssen nicht …“

„Oh doch! Ich werde Sie nicht einfach durch die Straßen laufen lassen. So bin ich nicht erzogen worden.“

Sie gingen zu dem Backsteingebäude zurück. Nichts deutete darauf hin, welche Art Firma darin residierte. Tucker hatte nicht erwähnt, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Den teuren Stiefeln und seinem Auto nach zu urteilen, hatte er Geld.

Er öffnete Zoe die Tür. Er konnte fast alles sein: Anwalt, Immobilienmakler… Verdammt, das hier war Nashville. Er konnte auch in der Musikindustrie arbeiten. Der Empfangsbereich verbreitete mit seinen lederbezogenen Möbeln und rohem Holz eine Wildwest-Atmosphäre. Das Firmenlogo sah aus wie der Stern eines Texas Rangers.

Tucker ging mit ihr durch einen langen Flur, der in einen weiteren Wartebereich führte, an dessen Wänden Plattencover und Preise hingen. Agent, entschied sie. Entweder tat er nur so oder er hatte – dem Zeug an den Wänden nach zu urteilen – einige bedeutende Kunden.

„Nehmen Sie Platz. Ich bin eine Weile beschäftigt“, sagte er und verschwand dann hinter einer Tür – mit ihrer Gitarre und ihrer Tasche. Sie war zu müde, um etwas einzuwenden.

Sie lief ein bisschen umher und entdeckte eine abgenutzte Akustikgitarre auf einem Ständer. Sie nahm sie, setzte sich in einen großen Sessel und schlug ein paar Akkorde an. Die alte Gibson klang großartig. Sie begann zu summen, stimmte dann ein Lied der Striking Matches an, verlor sich in der Musik und bemerkte nicht, dass sie Zuhörer hatte. Beinahe hätte sie die Gitarre fallen lassen, als eine männliche Stimme mitzusingen begann.

Sie hob den Kopf und sah fünf Männer dort stehen. Einer davon – der, der eingestimmt hatte – begann den Song auf seiner Gitarre zu spielen und bedeutete Zoe, weiterzusingen – was sie tat. Der Mann war niemand anderer als Deacan Tate mit seiner Band Sons of Nashville.

Als sie fertig waren, applaudierte die Band. Doch Zoe war so beeindruckt, dass sie nicht reden konnte.

Deacon kam mit einem breiten Lächeln auf sie zu. Sie hatte ihn schon im Fernsehen für sexy gehalten, doch live war er jenseits von Gut und Böse. Er streckte ihr die Hand entgegen.

„Deacon Tate.“

Natürlich bist du das, dachte sie. Dann stellte sie sich vor und nahm seine Hand. „Zoe Parker.“

„Schön, mit Ihnen zu singen, Miss Zoe Parker.“

„Sie können mir glauben, mir ging’s ebenso.“

„Bist du nicht verheiratet?“, bellte eine ruppige Stimme von hinten. „Und soweit ich weiß, kann deine Frau mit einer Pistole umgehen.“

Deacon lachte. „Ja und ja, Tucker! Du hast uns nichts davon erzählt, dass eine so talentierte Dame auf dich wartet. Wir wären früher gekommen.“

Zoe vergaß zu atmen, als sich Tucker durch die Gruppe schob und neben Deacon aufbaute. Erst jetzt fiel ihr die Ähnlichkeit auf. „Sind Sie …? Ich …“

„Zoe Parker, ich möchte Ihnen Tucker Tate vorstellen, den geschäftsführenden Direktor von Barron Entertainment“, unterbrach Deacon sie. Dann stieß er Tucker lachend mit dem Ellbogen an. „Und es gibt keinen Grund zur Eifersucht, kleiner Bruder.“

Ihr Blick ging zwischen den beiden hin und her. Tucker Tate? Der hatte Geld wie Heu. Und war wichtig. Aber plötzlich zwickte etwas heftig, und an ihren Beinen lief etwas Nasses hinunter.

Zoe sah peinlich berührt auf. Die Männer starrten sie an. Zoe presste die Hand gegen den Mund, als alle herumzurennen begannen.

„Wähl den Notruf!“

„Dafür reicht die Zeit nicht!“

„Ich hol den Wagen!“

„Wir brauchen einen Krankenwagen!“

Und dann waren Tucker und Deacon neben ihr und halfen ihr auf. „Ruhig, Zoe. Alles okay“, beruhigte sie Tucker.

Sie sah Tucker an. „Wenn Sie es sagen.“

„Tue ich. Halten Sie einfach durch!“

Und dann waren die Sanitäter da, legten sie auf eine Trage und luden sie in den Krankenwagen. Draußen stand Tucker und sah ebenso verlassen aus, wie sie sich fühlte.

„Dann mal los!“, sagte der Sanitäter und winkte Tucker an Bord. „Ich glaube nicht, dass das Baby auf eine Einladung wartet. Sie sollten in der Nähe bleiben.“

Tucker kletterte hinein und krabbelte auf die Bank neben Zoes Kopf. Und dann ging es mit Sirene und Blaulicht los.

„Ich heiße Ted“, sagte der Sanitäter.

„Zoe.“

„Ich muss mal nachsehen, Zoe, wie weit das Ganze ist. Okay?“

Tucker sah weg, als der Sanitärer Zoes Hosen aufschnitt und nachsah. Er schluckte, als der Mann sagte: „Ach, Liebes. Sie sollten nicht pressen!“

„Nicht pressen?“, schrie Zoe. „Wie bitte? Das Baby will raus!“ Sie wedelte in Tuckers Richtung.

Er nahm ihre Hand. Sie drückte sie fest und keuchte. Währenddessen zog der Sanitäter ein dünnes Laken über Zoe und schloss sie an Überwachungsmonitore an.

„Ich will das nicht“, wimmerte Zoe.

„Dafür ist es ein bisschen zu spät, Engel!“ Tucker schob ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie sah ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht an. Er versuchte, ihr zuzulächeln, war aber innerlich nicht einmal annähernd so ruhig, wie er sich gab.

Ein leises Seufzen entfuhr ihr; sie hob die Schultern. „Ich muss pressen“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Immer langsam, wir sind fast da.“ Ted hob das Laken, um noch einmal nachzusehen, und checkte den Monitor.

„Schneller!“, schrie Ted in Richtung Fahrerkabine. Der Krankenwagen gewann an Tempo. „Sieht ganz so aus, als müssten wir das machen“, sagte Ted, schob das Laken hoch und stellte sich zwischen Zoes Beine. „Zeit zu pressen, Zoe!“

Die nächste Wehe kam. Tucker schob den Arm um ihre Schultern und hielt sie, während sie presste. Und dann hatte der Sanitäter etwas Rosiges in den Händen, das sofort losschrie. Tucker blieb kaum Zeit zum Atemholen, bevor Ted ein nacktes Bündel in Zoes Arme legte.

Tucker betrachtete das winzige, verzogene Gesicht und spürte, wie ihm das Herz stehen blieb. Er strich mit dem Finger über das Gesicht des Babys, und das Kind hörte auf zu schreien. Er bestaunte das kleine Ding, das reichlich dunkle Haare und blaue Augen hatte. Ein Teil von ihm war fassungslos, der andere voller Ehrfurcht. Und dann war da noch ein Gefühl, das er nicht einordnen konnte. Und dann wurde ­Tucker klar, dass er geliefert war. Sein Herz und seine Seele gehörten diesem Kind.

„Gratulation, Mom und Dad. Es ist ein Junge.“

4. KAPITEL

Tucker war nicht in der Verfassung, den Sanitäter zu korrigieren. Zoe barg das Kind in den Armen und betrachtete es verwundert. Hier mit Zoe im Krankenwagen zu sitzen, hätte Tucker völlig ausflippen lassen sollen. Aber so war es nicht. Im Gegenteil, er spürte einen tiefen inneren Frieden.

Er konzentrierte sich auf Zoe. Sie hatte keinen Ort zum Wohnen, keine Freunde, keine Familie. Er sollte sich um sie kümmern, aber gleichzeitig war er ein Fremder und noch dazu einer mit verborgenen Motiven, seit er Zoe singen gehört hatte.

Der Krankenwagen fuhr nun langsamer und hielt schließlich vor dem Vanderbilt University Medical Center. Die Türen wurden geöffnet, und Krankenhauspersonal erschien.

Verwirrt sah Tucker zu, wie Zoe und ihr Kind ausgeladen wurden.

„Und Sie, Dad? Kommen Sie auch?“, rief der Rettungsarzt.

Tucker kletterte aus dem Auto und folgte der kleinen Gruppe in die Notaufnahme. Keiner hielt ihn auf, selbst als er der Transportliege in eine Kabine folgte. Als Zoe ihn nicht hinauswarf, setzte er sich auf einen Hocker mit Rädern. Eine Frau im OP-Kittel sprach mit Zoe und gab die Informationen in ein Tablet ein. Als sie fertig war, kamen ein Mann und eine Frau herein.

„Frauenärztin und Kinderarzt“, erklärte die Krankenschwester, während sie beiseitetrat. Tucker rollte in die Ecke und stand auf. Wurde Zeit zu gehen. Bevor ihm die Flucht gelang, stellten die Ärzte jede Menge Fragen.

„Errechneter Geburtstermin?“

„Blutdruck?“

„Erstes Kind?“

Die Befragung endete damit, dass Zoe mit hochgelegten gespreizten Beinen vom vor sich hin murmelnden Frauenarzt untersucht wurde. Der Kinderarzt wickelte das Baby in ein Tuch. Tucker schaffte zwei Schritte, bevor Zoe seine Hand packte.

„Bitte!“ Sie sah verängstigt und total allein aus. Tuckers Beschützerinstinkte siegten, und er drückte behutsam ihre Hand. „Ich gehe nirgendwo hin, Zoe.“ Ihr Lächeln war strahlend und erleichtert.

Der Kinderarzt bemerkte ihn. „Gratuliere! Sie haben einen gesunden, aber ungeduldigen Sohn.“ Er hielt ihm das Bündel hin, und Tucker ließ Zoes Hand los, als ihm der Arzt das Kind in die Arme legte.

Tucker atmete nicht, als er auf das runzelige Gesicht des kleinen Jungen hinuntersah. Das Kind gähnte und schob sich die kleine Faust in den Mund. Eine feste Hand legte sich auf Tuckers Schulter.

„Ans Atmen denken, Dad!“

Ja, das auch. Er musste die Situation erklären, weil Zoe es nicht getan hatte. Tucker hatte den Blick ununterbrochen auf das Baby gerichtet und bemerkte jetzt, dass er sich auf Zoes Bettkante gesetzt hatte und ihre Hand auf seinem Arm lag. Die Worte wollten nicht heraus.

Der Kinderarzt griff nach dem Baby, und Tucker entdeckte, dass er es nicht loslassen wollte. „Der kleine Kerl muss zu essen versuchen. Sie wollten stillen, Zoe, richtig?“

Eine Krankenschwester kam hereingeeilt. „Ihr Zimmer ist fertig. Wir bringen sie rüber, wenn sie das Baby gestillt hat.“

Tucker dachte noch immer über Stillen nach, als ihm der Arzt das Baby wegnahm. Bevor er wieder zur Besinnung gekommen war, waren Zoe und er allein in der Kabine und der Kleine machte unter dem Laken, das Zoes Brüste bedeckte, glückliche Geräusche. Tucker wandte sich zum Gehen.

„Nein!“, sagte Zoe mit rauer Stimme. „Ich kann hier nicht bleiben. Ich habe kein Geld fürs Krankenhaus. Verdammt, ich kann das alles nicht bezahlen.“ Sie biss auf ihre zitternde Unterlippe.

Instinktiv legte er die Hand um ihre Wange. Er konnte nicht einfach gehen und Zoe in diesem Schlamassel zurücklassen. Sie fuhr fort: „Ich habe Geld für die Geburt und eine Hebamme gespart. Aber der junge Mann hier hatte es ja eilig.“ Sie sah nach unten, bevor sie wieder Tucker ansah. „Ich hab nicht gern Schulden; ich habe immer für alles gezahlt.“ Eine Träne rollte ihr übers Gesicht. „Ich weiß nicht, was ich machen soll.“

„Aber ich.“ Er strich ihre eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich zahle die Rechnung.“ Sie wollte protestieren; doch er legte ihr einen Finger auf die Lippen. „Pst. Wir denken später darüber nach, wie Sie es zurückzahlen können.“

„Ich werde es zurückzahlen.“

Die Ärztin kam zurück. „Ich weiß, dass Sie bei Ihrer Familie bleiben wollen, Dad. Aber es wird Zeit, das hier zu erledigen.“ Sie schob ihn aus der Kabine, während das medizinische Personal Zoe und das Baby auf eine Station verlegten. Nachdem Tucker die Situation und die Zahlung geklärt hatte, explodierte sein Handy fast vor Nachrichten. Die gesamte Gang von Bent Star saß im Wartebereich der Notaufnahme und hatte Luftballons, Blumen und Teddys mitgebracht. Er schlenderte hinein.

„Es ist ein Junge“, gab er bekannt. „Kind und Mutter geht es gut. Sie wollen sie über Nacht hierbehalten.“

Die ganze Truppe marschierte in den Geburtsflügel. Deacon und die Sons of Nashville auf der Station zu haben machte das Personal nervös und bescherte den Besuchern neugierige Blicke aus den Patientenzimmern.

Zoe döste. Unter Tuckers wachsamen Blicken gingen die Bandmitglieder auf Zehenspitzen einzeln ins Zimmer, bewunderten den kleinen Jungen und ließen ihre Geschenke da. Vor dem Zimmer lehnte Deacon an der Wand.

„Was?“ Tucker wusste, dass er abwehrend klang. Es war ihm egal.

„Willst du mir erzählen, was das mit der Frau ist?“

„Da gibt’s nichts zu erzählen.“

„Soso.“

„Wirklich, Deke. Hör zu, ich habe sie am Straßenrand aufgelesen. Sie hatte Probleme mit ihrem Auto und brauchte eine Mitfahrgelegenheit nach Nashville. Das war’s. Ende der Geschichte.“

„Soso.“ Deacons Lippen zuckten. „Bring mich nicht dazu, Mom anzurufen!“

Tucker senkte den Kopf. „Sie hatte ein Hochzeitskleid an. Ich wusste nicht, dass sie schwanger war.“

„Ein Hochzeitskleid? Wow! Scheint eine Geschichte zu sein, bei der man ein Bier in der Hand halten sollte, während man ihr lauscht.“

„Ist ’ne lange Geschichte, Deacon. Die Frau ist allein, und sie hat mir leidgetan.“

„Und was jetzt?“

„Weiß ich nicht.“

„Vielleicht sollte ich doch Mom anrufen.“

„Bitte nicht!“

„Also, was willst du machen?“

„Im Stadthaus ist ein Zimmer frei.“

„Du solltest Bridger anrufen. Er und Cash können sie überprüfen.“

„Ja, sollte ich.“ Tucker nickte. „Sie tut mir leid, Deke.“

„Und was empfindest du noch für sie, Tucker?“

Tja, was empfand er? Mitleid, Bewunderung, sexuelle Anziehung. Aber auch Respekt. Er sah Deacon an. „Ich will ihr helfen. Das will ich machen.“

„Wäre Quin hier, würde ich sie bitten, mit dir einkaufen zu gehen“, sagte Deke endlich. „Du musst eine der Barron-Frauen anrufen und fragen, was Zoe für das Baby braucht.“

Das war fast so schlimm, wie seine Mutter zu informieren.

Aber dann klopfte ihm Deke auf die Schulter und sagte: „Na gut, ich rufe Jolie an und bitte sie, dir eine Liste der wichtigsten Sachen zu mailen.“

Als Zoe am nächsten Morgen aufwachte, entdeckte sie eine hübsche Wickeltasche und Kleidung für sie und den Racker. Sie hatte sich noch nicht für einen Namen entschieden. Das Zimmer war voller Blumen und Luftballons, und ihr Augen füllten sich mit Tränen. Fühlte es sich so an, eine Familie zu haben? Freunde zu haben? Sie war lange auf sich allein gestellt gewesen. Tucker musste hinter all dem stecken oder vielleicht die Band.

Eine Ärztin kam – gefolgt von einer Krankenschwester – hereingefegt. „Guten Morgen, Zoe! Ich bin Dr. Sawaga. Ich wollte mal nachsehen, ob immer noch alles in Ordnung ist.“ Nach der Untersuchung fuhr sie fort: „Ich würde Sie heute entlassen. Aber Dr. Lucci möchte Ihr Baby noch mindestens vierundzwanzig Stunden hierbehalten. Er macht sich wegen der Gelbsucht Sorgen.“

„Ist alles mit ihm in Ordnung?“ Zoe beugte sich vor.

„Ja. Dr. Lucci will nur auf Nummer sicher gehen.“

Nachdem Dr. Sawaga gegangen und Racker gestillt war, dachte Zoe über ihre Möglichkeiten nach. Sie musste einen Job finden und eine Wohnung. Und einen Babysitter, damit sie arbeiten konnte. Sie wischte sich ärgerlich die Tränen weg. Sie hatte schon öfter in der Klemme gesessen. Sie würde sich auch aus dieser Situation herauskämpfen.

Zoe betrachtete das schlafende Baby in ihren Armen und fühlte, dass sie lächelte. Ihr Kind. Es war vollkommen. Und sie liebte es mehr als ihr Leben.

Jemand räusperte sich. Überrascht sah sie zur Tür, in der Deacon Tate stand.

„Darf ich reinkommen?“

Sie nickte.

Er kam näher und beugte sich über das Baby. „Gut aussehender Junge“, sagte er mit einem breiten Lächeln.

Wieder nickte Zoe.

Deacon kicherte, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. „Tucker wollte kommen, musste aber nach Las Vegas.“

„Las Vegas?“

„Ja, er ist für das Crown Casino und das dazu gehörige Resort zuständig. Verdammt, Tucker hat die Finger überall im Geschäft von Barron Entertainment. Unser Cousin Chase Barron braucht ihn, damit alles rund läuft. Aber wenn Tucker nicht nach Las Vegas hätte fliegen müssen, hätte er sicher hier campiert.“

„Warum sollte er?“

Deke lachte. „Er ist ein Tate, Zoe. Wir sind halt so.“

Was sollte sie dazu sagen? Sie gab es nicht gern zu, aber sie fühlte sich in Tuckers Nähe sicher und hatte gehofft, dass er vorbeischaute.

„Inzwischen müssen wir miteinander reden.“

„Ach so?“

„Ja. Wissen Sie, wo Sie hinkönnen? Haben Sie Arbeit?“

„Nein“, murmelte sie. Dann meldete sich ihr Stolz. „Ich werde mir etwas überlegen. Ich habe keine Angst vor harter Arbeit und habe mich immer allein durchgebracht.“

„Zwei Dinge. Erstens besitzt die Firma eine Wohnung. Dort können Sie bleiben, bis Sie wieder auf die Beine gekommen sind.“ Sie wollte protestieren. Doch das ließ er nicht zu. „Keine Widerrede. Solange Tucker in Vegas ist, steht die Wohnung leer. Okay?“ Er wartete, bis sie nickte.

„Gut. Und zweitens gibt es da jemanden, von dem ich möchte, dass Sie ihn kennenlernen.“ Sie runzelte die Stirn. „Er ist ein alter Freund von mir. Er hat mir den ersten Auftritt hier in Nashville verschafft. Ich habe ihm Ihr Video vorgespielt.“

„Mein Video?“ Sie war total verwirrt. „Was für ein Video?“

„Das, das Kenji gestern auf seinem Handy aufgenommen hat. Als Sie und ich gesungen haben.“

Sie wurde rot und hätte sich beinahe Luft zufächelt. „Oh!“

„Don möchte Sie kennenlernen.“ Zoe hielt die Luft an. „Wenn Sie Interesse am Musikgeschäft haben, kann ich das klarmachen.“

„Oh ja“, rief sie. „Nur deshalb bin ich nach Nashville gekommen!“

5. KAPITEL

Tucker rieb sich den Nacken, um die leichten Kopfschmerzen zu mildern. Er hatte einen späten Linienflug von Nashville nach Las Vegas erwischt und wusste jetzt wieder, warum er lieber den Firmenjet nahm. Um acht Uhr betrat er geduscht, aber unausgeschlafen das Büro.

Janet, die Sekretärin, die für ihn und Chase arbeitete, stand auf und goss ihm einen Becher Kaffee ein. „Bart ist auf dem Weg hierher.“

Wenn der Sicherheitschef des Casinos jetzt schon auf den Beinen war, bedeutete das, er hatte noch weniger Schlaf bekommen als Tucker. Er überlegte, ob er Zoe im Krankenhaus anrufen sollte. Albern. Warum sollte er nachfragen, wie es ihnen ging? Er war nicht für sie verantwortlich. Jedenfalls nicht richtig.

Allerdings hatte er das Gefühl, er sei es. Deke hatte versprochen, nach den beiden zu sehen, während Tucker weg war.

Zoe besaß Talent. Er hatte es gehört und gesehen, wie Deke und seine Band auf das spontane Konzert bei Bent Star reagiert hatten. Deke war auch nicht ausgerastet, weil Zoe die wertvolle Gibson-Gitarre gespielt hatte. Das hieß eine Menge. Er könnte Deke anrufen und mit ihm über Zoe reden …

„Tut mir leid, dass du hierherfliegen musstest, Tucker.“

Tucker schaute den Mann an, der vor dem Schreibtisch stand. Bart Stevens trug einen maßgefertigten Anzug, der aussah, als hätte er ihn beim Discounter gekauft. Er war groß, und wenn man ihn ansah, glaubte man einen Polizisten, einen Soldaten oder einen Mafia-Killer vor sich zu haben. Die ersten beiden Jobs hatte er schon mal gemacht, beim dritten war sich Tucker nicht sicher. Bart nahm von Janet auch einen Becher Kaffee, wartete, bis sie sich gesetzt hatte, und ließ sich dann auch nieder.

„Also“, begann Tucker. „Was ist das Problem?“

Seine Kopfschmerzen hatten sich in eine veritable Migräne verwandelt. Die Besprechung hatte nicht lange gedauert. Das eine Problem hatte mit der Gewerkschaft zu tun, das andere mit einem Gast, der eine der Kellnerinnen belästigt hatte. Das zweite Problem war rasch gelöst, das erste hielt ihn länger als geplant in Las Vegas. Und jedes Mal, wenn er die Augen schloss, sah er ein braunes Augenpaar, eine kecke Nase und einen Mund, den er dringend küssen wollte. Im Aufzug, den er mit einem Paar mit einem kleinen Kind teilte, hätte er fast gefragt, ob er das Kind halten durfte. Was war mit ihm los?

In seiner Suite zog er das Handy hervor und wählte.

Deke verließ das Krankenzimmer, während eine Krankenschwester Zoe bei ihrer Morgentoilette half, und ging in den Flur. Zoe hörte sein Telefon klingeln und fragte sich, ob es Tucker war, der anrief. Sie musste unbedingt aufhören, an ihn zu denken.

Zoe schaffte es bis in das kleine Badezimmer. Die Krankenschwester half ihr aus dem Krankenhausnachthemd. „Shampoo ist in meiner Reisetasche“, sagte Zoe.

„Ich hole es und auch eins der schönen Nachthemden, die gekommen sind.“

Zwanzig Minuten später war Zoe gewaschen. Sie trug ein kurzes Nachthemd in Pink mit einem passenden Mantel. Die Krankenschwester half ihr ins Bett zurück und öffnete dann die Tür. Deacon wirkte amüsiert. Mit dem Handy in der Hand ging er zu Zoe, tippte ein paar Ziffern, gab Zoe das Gerät und ging hinaus.

„Zoe?“

Ihr Herz hämmerte, als sie die Stimme hörte. Es war Tucker. „Wie geht’s, Cowboy?“

„Wie geht es Ihnen?“

„Mir geht’s gut.“

„Das ist gut.“ Er klang seltsam. So als wisse er nicht, was er sagen sollte, und sie fragte sich, ob er sich ebenso seltsam fühlte wie sie. Dann fügte er hinzu: „Haben Sie mit Deke geredet?“

„Deke?“

„Ja, über die Wohnung. Ich sitze eine Weile in Vegas fest.“

Zoe wusste nicht genau, warum sie das traurig machte. Irgendwie hatte sie damit gerechnet, ihn bald wiederzusehen. „Oh.“

Als spürte er, wie sie sich fühlte, sprach Tucker leiser. „Ich komme so früh wie möglich zurück. Bleiben Sie bis dahin in der Wohnung? Bitte! Deke und seine Frau wohnen gleich nebenan.“

Die Vorstellung, allein in einer fremden Wohnung zu leben, gefiel ihr nicht. Aber seine letzte Bemerkung beruhigte sie. Es war jemand in der Nähe, der ihr helfen konnte. Sie musste nur Ja sagen. „Okay.“

„Okay?“ Tucker klang überrascht – und erleichtert.

„Ja, Cowboy. Okay.“

Am nächsten Morgen erwachte Zoe, als eine Krankenschwester ins Zimmer kam. „Ist es schon wieder Zeit zum Stillen?“, murmelte sie.

Die Krankenschwester kicherte. „Guten Morgen! Und nein, noch nicht. Scheint so, als würden Sie und das Baby heute entlassen.“

An der Tür klopfte es. „Ja“, rief Zoe.

Die Tür ging auf, und eine hübsche Afroamerikanerin lugte herein. „Zoe?“

„Das bin ich.“

„Hi. Ich bin Keisha Selmon. Ich arbeite als Nanny für Deacon und Quin Tate. Deke hat mich gebeten vorbeizuschauen.“ Sie hatte allerhand Taschen und eine Babytrage dabei. „Ich bringe Sie in die Wohnung und helfe Ihnen, sich einzurichten. Aber vorher zeige ich Ihnen, wie alles funktioniert.“

Zoe nickte und versuchte auszurechnen, wie viel sie Deacon und Tate schuldete. Als könnte Keisha Gedanken lesen, sagte sie: „Alles gut, Zoe. Entspannen Sie sich! Lassen Sie die netten Leute einfach nett zu Ihnen sein!“ Sie legte Kleidung auf einen Stuhl. „Wir haben Ihre Größe einfach geschätzt. Falls die Jeans zu groß ist, ist ein Gürtel da. Ich hoffe, Sie haben Schuhe.“

Erstaunlicherweise passte alles. Zoes restliche Sachen, sagte Keisha, würden „die Jungs“ abholen.

„Die Jungs?“, fragte Zoe.

„Die Jungs der Band. Sie haben ununterbrochen über Sie und ihr Baby geredet. Und als Tucker Deacon um Hilfe gebeten hat, haben sie sich darum gerissen, Ihnen zu helfen. Tucker macht Deacon verrückt. Er kann nicht aus Las Vegas weg und ruft ständig an, um zu hören, ob es etwas Neues gibt.“

Nachdem Zoe den Papierkram im Krankenhaus erledigt hatte, wartete schon ein Wagen auf sie. Dillon Tate drehte sich auf dem Fahrersitz um. „Fertig, Süße?“

Zoe lächelte Tuckers jüngsten Bruder an. „Fertig und bereit.“

Während der Fahrt kamen sie auch am Parthenon vorbei. Zoe hatte darüber gelesen, wie überhaupt alles, was sie über Nashville in die Finger bekommen konnte.

Dillon bog in die Parthenon Avenue ein und fuhr einen Block weiter. „Da sind wir. Ich fahre um den Block, damit Sie das Ganze von vorn sehen können.“

Kurz darauf zeigte er auf eine Gruppe Häuser. An der Ecke stand ein riesiges Gebäude aus weißem Granit, rechts davon ein kleineres Backsteingebäude.

„Sie wohnen in dem Backsteinhaus.“ Dillon hielt vor einem eisernen Tor und drückte einen Knopf. Das Tor schwang auf.

Nachdem Dillon den Wagen in der Garage geparkt hatte, brachte ein Aufzug ihn, Keisha und Zoe nach oben. Als sich die Türen öffneten, traten sie in den Flur. Dillon zeigte in Richtung Hausfront. „Dort liegt das größte Zimmer.“ Dann zeigte er in die entgegengesetzte Richtung. „Und dort das größte Gästezimmer. Es hat ein eigenes Bad. Kommen Sie!“

Als er die Tür öffnete, konnte Zoe nur staunen. Auf dem großen Bett lag eine Daunendecke in der Farbe ausgewaschener Jeans. Die geputzten, polierten Wände waren pergamentfarben. Wo vorher wohl eine Sitzecke gewesen war, standen jetzt eine Wiege, ein Schaukelstuhl und Babyutensilien.

Dillon setzte die Babytrage aufs Bett und kratzte sich am Kopf. „Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was das alles ist. Ich hoffe, das Geschäft hat Gebrauchsanweisungen mitgeschickt.“

Zoe kämpfte mit den Tränen. „Wer hat das gemacht?“

Er lächelte sie an. „Tucker natürlich. Na ja, so ähnlich jedenfalls. Er hat eine Liste von den Barron-Frauen bekommen, hat den Laden angerufen und sie gebeten, alles zu liefern und aufzubauen.“

„Tucker hat das gemacht?“ Zoe starrte Dillon und Keisha an.

Dillon blickte zu ihr zurück. „Nun … Ja.“

6. KAPITEL

Tucker hätte den Computer am liebsten gegen die Wand geworfen. Irgendwer hetzte die Gewerkschaft gegen die Barrons auf. Und jemand anderes – oder vielleicht auch derselbe – hatte Baugenehmigungen für zwei Barron-Projekte auf Eis gelegt. Er hatte die Information weitergeleitet.

Tucker nahm einen Schluck Kaffee. Fast hätte er ihn auf die Tastatur gespuckt. Als er Janets Gesicht sah, sagte er: „Ich hasse kalten Kaffee!“

Wortlos schnappte sich seine Assistentin den Becher, leerte ihn in der Spüle aus, goss frischen Kaffee ein und stellte den Becher auf Tuckers Schreibtisch.

„Willst du mir erzählen, warum du so schlechte Laune hast?“

„Nein.“ Er wollte nicht in Las Vegas sein, sondern in Nashville. Er sah Janets Blick.

„Muss wohl ’ne Frau sein.“

„Und wie bist du zu dieser Schlussfolgerung gelangt?“

„Komm schon! Du weißt, das hier ist eine Gerüchteküche. Außerdem hat ENC schon Fotos von dir im Krankenhaus verbreitet.“

Tucker senkte den Kopf und schloss die Augen. Der Sender konnte einem echt auf die Eier gehen. „Wie schlimm ist es?“

Janet zuckte mit den Achseln. „Auf den Bildern ist nicht viel zu sehen. Eine Frau auf einer Trage, die etwas im Arm hält. Du, wie du aus dem Krankenwagen kletterst. Bilder aus dem Warteraum, auf denen Deacon und die Band mit Blumen und Luftballons zu sehen sind. War’s übrigens ein Junge oder ein Mädchen?“

„Ein Junge.“

„Willst du erzählen, wer die Frau ist?“

Er wollte „niemand“ sagen. Aber das stimmte nicht. Zoe Parker war jemand. Und ihr Baby ebenfalls. Etwas in seiner Brust zog sich zusammen, wenn er daran dachte, wie er dem Baby zum ersten Mal in die Augen gesehen hatte. Tucker wollte nicht darüber nachdenken, was er fühlte. „Sie ist eine Sängerin und hat Wehen bekommen.“

„Aha. Und warum warst du bei ihr?“

„Ich, ich wollte nicht, dass sie allein war. Keiner hat damit gerechnet, dass das Kind so schnell kommen würde.“

Janet lachte und sagte: „Ich sehe es vor mir. Du sitzt da, ringst die Hände und sagst immer und immer wieder, dass du nichts von Babys verstehst.“

Das hatte er tatsächlich gedacht. „Hör auf, Janet! Hast du nichts zu tun?“

Sie ging zur Tür und sandte einen dramatischen Blick zurück.

„Mach die Tür hinter dir zu“, grummelte Tucker. Er musste nach Nashville zurück.

Er drehte den Bürostuhl so, dass er aus dem Fenster sehen konnte. Was hatte Zoe Parker, was ihn so anzog? Sie war nicht schön. Sie war süß und verschroben. Sie hatte ein Gefühl für Stil wie Dolly Parton. Und sie war eine alleinerziehende Mutter. Als ihr Sohn ihn mit diesen großen, leuchtend blauen Augen angesehen hatte, war es um Tucker geschehen gewesen. Er verstand Deacon jetzt. Als er in seinem Tourbus ein Baby mit einem Zettel gefunden hatte, auf dem stand, er sei der Vater, hatte sich Deke sofort in das Baby, das Noelle hieß, verliebt – obwohl er nicht der Vater war. Nachdem Deke Quin geheiratet hatte, adoptierten die beiden die Kleine.

Geschäfte. Tucker musste sich aufs Geschäft konzentrieren. Er konnte nicht nach Nashville zurück, bis er hier alles erledigt hatte. Verdammt!

Tucker drehte sich zurück zum Schreibtisch und schnappte sich das Telefon. Nach dem ersten Anruf wusste er, dass ihn der Firmenjet unverzüglich nach Nashville bringen konnte.

Zoe hielt den Atem an. Geschlafen. Sie hatte geschlafen. Etwas hatte sie geweckt. Wo war sie? Sie setzte sich auf und sah sich um. Sie hörte jemanden weinen, und ihre Brüste waren geschwollen. Das Baby war wach und hungrig. Sie waren in Nashville. Im Gästezimmer von Tuckers Wohnung. In Sicherheit.

Sie nahm das Baby aus der Wiege, setzte sich in den Schaukelstuhl und legte das Kind so, dass es trinken konnte. Sie summte leise, während sie die Lichter der Stadt betrachtete.

Plötzlich öffnete sich die Tür, und jemand schaute herein. Zoe schrie auf, sprang auf die Füße und sah sich nach einer Waffe um.

„Wow!“, sagte eine bekannte Stimme. „Immer langsam. Ich bin’s nur, Zoe.“

Mit trockenem Mund und rasendem Herzschlag ließ sie sich zurück in den Schaukelstuhl fallen. „Wie können Sie mich nur so erschrecken, Tucker?“

„Tut mir leid! Es ist spät. Ich dachte, Sie schlafen. Ich wollte nur mal nach Ihnen sehen.“

„Ich hatte Sie nicht erwartet.“ Hatte sie wirklich nicht, aber nun war er da. Ihr Herz klopfte noch immer wie rasend. Aber jetzt aus einem anderen Grund. „Aber ich muss sagen, ich bin froh. Hier in diesem großen, alten Haus allein herumzulungern, ist …“ Sie wusste nicht mehr weiter, als er hereinkam und sie von oben her ansah. Sie strich sich übers Haar. „Ich muss wie eine Vogelscheuche aussehen.“

„Nein“, erwiderte er mit rauer Stimme. „Sie sehen …“ Er schluckte und lächelte. „Sie sehen gut aus, Zoe.“

Sie sahen einander lange an. Dann räusperte er sich. „Ich schätze, ich sollte sie beide weiterschlafen lassen.“

„Ja, ist spät und so.“

Tucker ging zur Tür zurück und blieb stehen. „Sind Sie hungrig?“, stieß er hervor und fügte dann rasch hinzu, „ich habe auf dem Weg vom Flugplatz ein paar Sachen für Sandwiches gekauft. Ich kann auch etwas liefern lassen. Sie wissen schon, wenn Sie kein Sandwich mögen.“

Ihr Magen grummelte, und sie kicherte. „Könnte schon sein. Sandwich klingt gut.“

„Brauchen Sie Hilfe?“ Er trat näher heran.

Autor

Deborah Fletcher Mello
Deborah Fletcher Mello schreibt, seit sie denken kann, und sie kann sich nicht vorstellen, jemals etwas anderes zu tun. Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt sie 2009 den RT Reviewers’ Choice Award. Immer wieder erfindet sie originelle Geschichten und beeindruckende Heldinnen und Helden. Deborah ist in Connecticut geboren und aufgewachsen, fühlt...
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