Baccara Collection Band 422

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VERLIEBT IN DEN SEXY RIVALEN von ROBYN GRADY

Er kann sie einfach nicht vergessen! Eine einzige Nacht der Leidenschaft hat Ajax Rawson mit der betörenden Veda verbracht, doch er weiß, dass es nicht mehr für sie geben kann. Denn Veda ist eine Darnel - und ihr Vater hat Ajax’ Familie ewige Feindschaft geschworen …

ZÄRTLICHE STUNDEN MIT DEM BOSS von JESSICA LEMMON

Brannon Knox ist ihr Boss! Trotzdem weckt er heißes Verlangen in Addison. Denn er ist charmant, gut aussehend und höllisch sexy. Gegen jede Vernunft lässt Addison sich auf eine prickelnde Affäre mit ihm ein. Aber bedeuten ihm die zärtlichen Stunden ebenso viel wie ihr?

NUR DU WECKST MEIN BEGEHREN von FIONA BRAND

Was zieht ihn an dieser Frau so an? Nach einer gemeinsamen Nacht kann Business-Tycoon Ben Sabin sein Begehren nach der sinnlichen Sophie kaum bezähmen. Doch soll er ihr wirklich trauen? Oder ist sie nur an seinen Millionen interessiert?


  • Erscheinungstag 11.08.2020
  • Bandnummer 422
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726676
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Robyn Grady, Jessica Lemmon, Fiona Brand

BACCARA COLLECTION BAND 422

ROBYN GRADY

Verliebt in den sexy Rivalen

Wie soll sie ihm nur widerstehen? Ajax Rawson ist der attraktivste Mann, dem Veda jemals begegnet ist. In den Armen des charmanten Unternehmers erlebt sie heiße Stunden der Lust. Doch Ajax hat einen Ruf als Womanizer. Er ist genau der Typ Mann, dem Veda lieber aus dem Weg gehen sollte. Denn zu oft wurde ihr Herz schon gebrochen …

JESSICA LEMMON

Zärtliche Stunden mit dem Boss

Brannon Knox kennt nur seine Arbeit – und Dates ohne Verpflichtungen. Deshalb versucht er das Verhältnis zu seiner süßen Assistentin Addison rein beruflich zu halten. Bei einem gemeinsamen Trip kommen sie einander allerdings näher und verbringen eine leidenschaftliche Nacht zusammen. Doch Brannon hat sich schon einmal bei einer Frau die Finger verbrannt …

FIONA BRAND

Nur du weckst mein Begehren

Sie kann ihre Gefühle für Ben Sabin nicht unterdrücken! Noch nie zuvor hat Sophie ein solches Verlangen nach einem Mann verspürt wie nach dem sexy Multimillionär. In Bens starken Armen erlebt sie prickelnde Stunden der Lust. Doch dann verschwindet er ohne ein Wort aus ihrem Leben – zum zweiten Mal. Ist es diesmal für immer?

1. KAPITEL

Letzte Nacht hatte sie die beste und zugleich schlechteste Entscheidung ihres Lebens getroffen. Ekstase auf der einen Seite, auf der anderen eine absolute Katastrophe.

Veda Darnel konnte es immer noch nicht begreifen. Sie hatte praktisch ihre Seele verkauft für eine Nacht mit einem Mann, der für sie das Wort Befriedigung neu definiert hatte. Ein unerhört charmanter und attraktiver Mann, der sie veranlasst hatte, ihren gesunden Menschenverstand gegen ein beispiellos lustvolles Erlebnis einzutauschen.

Nun lag sie da, an seinen nackten Körper geschmiegt, und studierte sein Gesicht, während er sich seinem wohlverdienten Schlaf hingab. Er wirkte gelöst und entspannt. Von dem übermütigen und bisweilen arroganten Cowboy war kaum noch etwas zu entdecken. Sie kämpfte gegen den Wunsch an, die Hüften an seinen zu reiben. Bei jedem seiner Atemzüge berührte sein Oberkörper ihre empfindlichen Brustwarzen. Wann immer sich auf seinem Mund ein traumverlorenes Lächeln abzeichnete, verlangte es sie nach einem Kuss.

Nur noch einen einzigen Kuss.

Aber dazu würde sie es nicht kommen lassen. Denn sie wusste es besser. Und in Zukunft würde sie es auch besser machen.

Im Schlaf zog Ajax Rawson scharf den Atem ein. Sie spürte, wie seine Hände, die auf ihrem Hinterteil lagen, sich reflexartig bewegten und sie damit noch näher an sich zogen. Sie biss sich auf die Lippen, um ein Stöhnen zu unterdrücken. Ihr verräterischer Körper sehnte sich nach diesen Händen. Wenn er jetzt aufwachte, würden sie vermutlich da weitermachen, wo sie aufgehört hatten, und miteinander schlafen, als gäbe es kein Morgen.

Als ob der Preis, den sie zu zahlen hatten, nicht jetzt schon hoch genug wäre.

Behutsam ergriff sie eine seiner großen Hände auf ihrem Po und versuchte, sie beiseitezuschieben. Vergeblich. Es kam ihr vor, als wäre sein Arm aus Blei. Sie versuchte es erneut. Als es ihr schließlich gelang, sich von ihm zu lösen, setzte sie sich auf und hielt den Atem an. Aber er rührte sich nicht. Nicht einen Zentimeter.

Also, jetzt sollte sie schnell aufstehen, in ihre Sachen schlüpfen, das Hotelzimmer verlassen und keinen Blick zurückwerfen. Aber ein bittersüßes Verlangen hielt sie davon ab. Ajax war der beste Liebhaber, den sie jemals gehabt hatte.

Allerdings warf das die Frage auf, wie viele Frauen genau dasselbe über ihn denken mochten.

Er holte tief Luft, drehte sich auf den Rücken und legte eine Hand auf seinen Waschbrettbauch. Dann öffneten sich seine Augen, und er blinzelte sie verschlafen an. Vedas Magen zog sich zusammen.

Jetzt war es zu spät für eine unbemerkte Flucht.

Ajax runzelte die Stirn. Sein Blick glitt zur Zimmerdecke und dann wieder zu ihr, während er versuchte, sich zu orientieren. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Oh, ja, jetzt weiß ich wieder, wer du bist.“

Vedas Vorsatz, es in Zukunft besser zu machen, war vergessen. Sie hatte das Gefühl, in seinen tiefblauen Augen zu ertrinken.

„Komm wieder zu mir“, bat er.

Beim Klang seiner tiefen, sonoren Stimme erschauerte Veda. Doch als er sich zur Seite drehte und eine Hand nach ihr ausstreckte, gab sie der Versuchung nicht nach. Sie rückte ein Stück von ihm ab. „Eigentlich muss ich gehen.“

Ajax stützte sich auf den Ellenbogen. „Aber doch wohl hoffentlich nur ins Bad?“

„Nein, das nicht.“

„Ah, du brauchst etwas zu essen. Genau wie ich. Ich bestelle etwas. Vielleicht Rühreier mit Schinken? Und ein paar Pfannkuchen mit Sirup? Wir können im Bett frühstücken.“ Er richtete sich auf und rieb seine Wange an ihrer. „Und auch zu Mittag und zu Abend essen, wenn du möchtest.“

Ajax schien nie um Worte verlegen. Besonders, wenn es darum ging, das Richtige zu sagen. Er besaß eine Ausstrahlung, als ob alles Gute, was das Schicksal zu bieten hatte, von ganz allein zu ihm kam und er sich nie um etwas bemühen musste.

Wenn sie doch dasselbe auch von sich sagen könnte.

Vor Jahren und mehr als einmal hatte eine viel jüngere Veda Ajax aus der Ferne betrachtet und sich in Tagträumen vorgestellt, in genau der Situation zu sein, in der sie sich gerade befand. Doch schon damals, ebenso wie jetzt, hatte der Gedanke, was ihr Vater dazu sagen würde, sie mit Angst erfüllt. Drake Darnel hatte ein oder zwei Hühnchen mit den Rawsons zu rupfen. Eines davon rührte noch aus einer Zeit, als Ajax’ Vater, Huxley Rawson, begann, sich einen Ruf als Schürzenjäger zu machen. Das lag Jahrzehnte zurück.

Und wie hieß es doch so schön?

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

Als er näher rückte, sein männlicher Duft sie umhüllte und er Anstalten machte, sie zu küssen, fühlte Veda ihre Widerstandskraft schwinden. Doch sie schaffte es, aufzustehen und ein paar Schritte zurückzutreten.

Ajax lehnte sich zurück und musterte sie, als ob er nicht verstehen könnte, wo das Problem lag. Nachdem sie sich ihm in den vergangenen Stunden so rückhaltlos hingegeben hatte, konnte sie ihm daraus keinen Vorwurf machen.

„Habe ich etwas falsch gemacht, Veda? Habe ich dir wehgetan?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, überhaupt nicht.“ Er war der perfekte Kavalier gewesen. Und ein unglaublicher Liebhaber.

„Dann hast du einen Termin?“

„Nein, habe ich nicht.“

Er verzog das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse. „Dann geht es um die Familie? Darum, dass unsere Väter nicht miteinander auskommen?“

Sie ließ die Schultern sinken. „Das ist schwer zu ignorieren.“

„Das haben wir letzte Nacht aber ganz gut hinbekommen.“

Sie hatten sich auf einer glamourösen Wohltätigkeitsveranstaltung in Saratoga Springs getroffen. Nach einer Stunde inmitten des Rummels brauchte Veda eine Pause und ging auf einen Balkon, um frische Luft zu atmen. Ajax hatte am Geländer gestanden und gerade ein Telefonat beendet. Er sah unverschämt gut aus in seinem maßgeschneiderten Smoking, der seinen perfekten Körper wie angegossen umhüllte. Veda hatte die Luft angehalten und auf dem Absatz kehrt gemacht. Doch er hatte das Handy weggesteckt und sie mit einer Frage veranlasst, stehen zu bleiben.

„Sind wir uns nicht schon einmal begegnet?“

Kein besonders origineller Spruch, um die Aufmerksamkeit einer Frau zu wecken. Doch es war ihm durchaus ernst damit. Wenn sie auch noch nie miteinander gesprochen hatten, so musste ihr Anblick ihm doch vertraut vorkommen. Schon seit Jahren, immer wenn sie ihren Vater auf ein Pferderennen begleitete, war sie unfähig gewesen, den Blick von Ajax zu wenden.

Also, waren sie sich schon einmal begegnet?

Sie kam sich vor wie ein unbeholfener Teenager. „Nein, jedenfalls nicht direkt“, murmelte sie.

Seine unglaublich blauen Augen funkelten amüsiert, als er leise lachte. „Nun, dann bin ich erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ganz direkt.“

Nachdem sie sich ihre Namen genannt hatten, war der Groschen gefallen. Sie war eine Darnel, er war ein Rawson. Veda hatte natürlich auch erwähnt, dass sie seit Kurzem mit Lanie Rawson befreundet war, seiner Schwester. Wie klein die Welt doch war.

Während Ajax den Großteil der Unterhaltung bestritt, hatten sie sich besser kennengelernt. Und dann kam das Tanzen, das Küssen – und nach Mitternacht waren sie irgendwie in diesem Hotelzimmer in Saratoga Springs gelandet. Und im Bett. Keiner von ihnen hatte während dieser verzauberten Stunden die Fehde zwischen ihren Familien mit nur einem Wort erwähnt. Veda wollte die faszinierende Stimmung zwischen ihnen nicht zerstören, und Ajax maß dieser Angelegenheit offenbar nicht allzu viel Bedeutung bei.

„Drake und Hux sind über die Jahre immer wieder aneinandergeraten“, bemerkte er jetzt leichthin. „Aber ich kann mich nicht erinnern, wann Dad das letzte Mal seinen Namen erwähnt hat.“

Sollte das etwa ein Scherz sein? „Ich höre meinen Vater ständig über Hux Rawson reden.“

„Warte mal. Sagtest du nicht, dass du in New Jersey wohnst?“

Das entsprach der Wahrheit. Sie lebte schon seit Jahren nicht mehr hier in Saratoga Springs im Staat New York bei ihrem Vater. „Wir stehen in ständigem Kontakt. Telefonate, Textnachrichten. Und ich besuche ihn, wann immer ich kann.“

So wie an diesem Wochenende. Eigentlich war sie als seine Begleitung zu dieser Veranstaltung vorgesehen. Aber es ging ihm nicht gut, und er hatte in letzter Minute abgesagt.

Gut gemacht, Schicksal.

„Oh.“ Ajax stieß den Atem aus und strich sich durch das zerzauste blonde Haar. „Tut mir leid, das zu hören.“

„Es tut dir leid, dass ich Kontakt zu meinem Vater pflege?“

„Nein. Es tut mir leid, dass dein Vater immer noch diesen alten Groll hegt. Das muss anstrengend sein.“

Veda spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Man konnte Drake Darnel so einiges nachsagen, aber das hier war nicht fair. „Es ist wohl kaum möglich, einfach weiterzumachen, als ob nichts geschehen wäre, wenn jemand einem die Liebe seines Lebens gestohlen hat. Immerhin ging es um die Frau, die er heiraten wollte.“

Ajax hob das Kinn. „Sagtest du gestohlen?“

„Mein Vater hatte ihr schon einen Verlobungsring geschenkt. Dann kam Hux, spannte sie ihm aus, und das war es.“

„Oh, nein. Drake wollte ihr einen Ring schenken. Aber meine Mutter hat ihn nicht angenommen. Das weiß ich übrigens aus erster Hand, nämlich von ihr. Mein Vater hat sie weder manipuliert noch verhext. Es braucht zwei, um einen Tango zu tanzen.“

Damit gab Veda sich jedoch nicht zufrieden. Wenn sie schon über dieses Thema sprachen, wollte sie die Verbindung zwischen damals und heute knüpfen. Zwischen dem Vater und dem Sohn, der ganz offenbar in dessen Fußstapfen getreten war. Noch ein Grund mehr, warum die letzte Nacht eine schlechte Idee gewesen war. „Hux hatte damals einen ziemlich schlechten Ruf.“

Ajax runzelte die Stirn. „Er war ein junger Kerl, der nichts anbrennen ließ, bevor er die richtige Frau fand und sesshaft wurde.“

Drake fand für die Junggesellenzeit seines ärgsten Konkurrenten für gewöhnlich andere Worte. Schürzenjäger, Casanova und Betrüger, wobei letzteres sich eher auf das fragwürdige Geschäftsgebaren der Rawsons bezog. Denn außer dem Umstand, dass Hux ihm seine Braut weggeschnappt hatte, besaßen die Rawsons und die Darnels auch noch rivalisierende Vollblutgestüte. Es kam bei Pferderennen immer wieder vor, dass Drakes Pferde um eine Nasenlänge von einem Tier aus dem Gestüt der Rawsons geschlagen wurde.

Besseres Training? Glück? Oder ging in den Ställen der Rawsons etwas vor, das ethischen Grundsätzen widersprach?

Soweit es Veda betraf, war das gesamte Geschäft mit Pferderennen unethisch. Und grausam. Ganz abgesehen von den sozialen Fallen des Glücksspiels, in die man tappen konnte. Ganze Monatsgehälter wurden aus dem Fenster geworfen und Familien ins Elend gestürzt. Schon vor langer Zeit hatte sie sich selbst einen Schwur geleistet. An dem Tag, an dem ihr Vater starb, würde sie ein Verkaufsschild vor dem Eingangstor zum Gestüt aufstellen und dafür sorgen, dass jedes Pferd eine neue Heimat fand. Einen Ort, an dem es weder Peitschenhiebe noch Verletzungen gab und die Tiere das Gnadenbrot bekamen anstatt in eine Tierverwertungsanlage gebracht zu werden, wenn sie nicht mehr nützlich waren.

Veda unterdrückte ein Schaudern und wandte sich wieder Ajax zu, der immer noch über ihre Familien sprach.

„Meine Mutter und mein Vater waren sehr ineinander verliebt. Sie hatten das Gefühl, füreinander bestimmt zu sein. Wie sich herausstellte, war das wohl auch so. Meine Mutter hat damals eine Entscheidung getroffen, zu der sie auch heute noch hundertprozentig stehen würde, wäre sie noch am Leben.“

Veda verspürte bei dem Gedanken, dass Ajax als kleiner Junge seine Mutter verloren hatte, großes Mitgefühl. Ein Elternteil in jungen Jahren zu verlieren, verändert die Entwicklung eines Kindes. Veda wünschte sich noch immer Tag für Tag, dass ihre Mutter noch bei ihr wäre. Sie wünschte sich, sie hätte eine normale Kindheit gehabt anstatt des Schlamassels, durch den sie sich quälen musste.

Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um diese Büchse zu öffnen. „Vermutlich bleibt uns nur, darüber einig zu sein, dass wir uns nicht einig sind.“

„Da hast du wohl recht.“ Sein Blick ruhte auf ihrem Mund. „Und wenn du gehen möchtest, kann ich das verstehen. Du solltest nur wissen, dass ich nichts gegen deinen Vater habe.“

Doch so schnell wollte sie sich nicht zufriedengeben. Dafür war sie viel zu wütend. Allerdings wirkte sein Friedensangebot ebenso aufrichtig wie das Bedauern in seinen Augen. Es konnte nicht schaden, wenigstens ein klein wenig nachzugeben.

„Ich habe auch nichts gegen deinen Vater. Ich habe ihn noch nicht einmal kennengelernt.“

„Dazu wirst du bald Gelegenheit bekommen. Ich nehme an, Lanie hat dich zu ihrer großen Geburtstagparty nächsten Monat eingeladen.“

Veda nickte. „Das wird bestimmt toll.“

Aber sie freute sich nicht gerade auf die Reaktion ihres Vaters, wenn er diese Neuigkeit erfuhr. Er wusste zwar, dass Lanie und sie befreundet waren. Doch er war nicht gerade glücklich darüber. Bestimmt würde er es missbilligen, wenn sie zu dieser Party ging.

Ajax würde natürlich auch da sein, fiel ihr ein. Und bestimmt würde er genauso gut aussehen wie jetzt gerade.

Sein Lächeln war ebenso freundlich wie einladend.

„Die Darnels und die Rawsons finden endlich zueinander. Wer hätte das für möglich gehalten“, sagte er.

Veda erwiderte sein Lächeln.

Da er immer genau zu wissen schien, was er tun sollte, wählte er genau diesen Moment, um sich zu ihr zu beugen. Als sie seine großen warmen Hände auf dem Rücken spürte, wich sie nicht zurück. Sie schloss einfach die Augen und unterdrückte ein Seufzen, während er die Hände durch ihr Haar gleiten ließ und sie küsste, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Genau das war es, was sie sich trotz allem gewünscht hatte. Seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte.

2. KAPITEL

„Hör auf, sie so anzustarren. Und lass die Finger von ihr, Partner.“

Er erkannte die Stimme in seinem Rücken und wandte sich um. Das Geburtstagskind Lanie Rawson stand in einem eleganten Abendkleid vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt und die Augenbrauen vorwurfsvoll erhoben.

Ajax stellte sich dumm. „Von wem soll ich die Finger lassen?“

„Falls du es noch nicht wissen solltest, die Sexbombe, von der du die Augen nicht abwenden kannst, ist Veda Darnel“, erwiderte seine Schwester. „Drake Darnels Tochter und außerdem eine gute Freundin von mir.“

Als sie sich vor vier Wochen in Saratoga kennengelernt hatten, erwähnte Veda ihre Freundschaft zu Lanie. Doch in den ersten Augenblicken hatte er sich kaum auf etwas anderes konzentrieren können als auf ihr wundervolles rotes Haar und das weinrote Abendkleid, das ihr passte wie angegossen und keine Fragen offen ließ. Heute Abend, mit der roten Mähne über eine cremeweiße Schulter gekämmt und dem weinroten Abendkleid, sah sie womöglich noch atemberaubender aus.

Er sollte sie nicht anschauen?

Das war unmöglich.

Er sollte die Finger von ihr lassen?

Ob ihm das gelang, würde sich noch herausstellen.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und warf einen Blick auf seine staubigen Stiefel. Er hatte einen ganzen Tag in den Ställen hinter sich und es gerade noch geschafft, rechtzeitig zum Start auf die Bahn zu gelangen. Nach einem grandiosen Sieg hatte er sich durch die Menge gedrängt zu der Gruppe, die dem Jockey, dem Trainer und natürlich auch ihrem derzeitigen Champion, Prince Charming, gratulierte. Dieses Pferd war sein erklärter Liebling. Danach war er kurz in sein Büro bei den Stallungen zurückgekehrt, um sein Mailkonto zu überprüfen und zu duschen, bevor er sich auf den Weg zur Party seiner Schwester machte. Er beschloss, erst einen Blick auf die Party zu werfen, die in einem großen Pavillon im hinteren Teil des Anwesens stattfand, bevor er sich einen Smoking anzog.

Doch bevor er ins Haus ging, um sich umzuziehen, hatte er noch ein paar Fragen an seine kleine Schwester.

„Wie kommt es eigentlich, dass ihr befreundet seid?“

„Wir haben uns letztes Jahr bei einem Mittagessen anlässlich eines Netzwerktreffens für Geschäftsfrauen kennengelernt“, antwortete Lanie. „Veda arbeitet als Life Coach. Sie hielt einen Vortrag darüber, wie sehr Taten statt Worte die Persönlichkeit ändern können. Er war kurz, aber beeindruckend. Ehrlich gesagt, hat dieser Vortrag mich ziemlich umgehauen. Später erzählte sie mir, dass sie sich daran erinnert, uns gesehen zu haben, wenn sie ihren Vater zu Pferderennen begleitete. Und da habe ich mich auch an sie erinnert. Oder zumindest an ihr Haar.“

Wie die Farbe von Blättern im Herbst, dachte Ajax und gab sich gleichfalls Erinnerungen hin. Besonders daran, wie Veda sich in der Nacht vor einem Monat unter ihm im Bett bewegt hatte.

„Damals kam sie mir immer vor wie eine verschüchterte Maus“, fuhr Lanie fort. „Aber jetzt weiß sie genau, was sie will. Und ich bin mir ziemlich sicher, das Spielzeug des Monats für irgendeinen Kerl zu sein, gehört nicht dazu.“

Ajax lachte, um sein inneres Zusammenzucken zu überspielen. „So schlimm bin ich nun auch wieder nicht.“

Lanie warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Wie auch immer, ich bin jedenfalls froh, dass Veda den Mist, den ihr Vater verbreitet, nicht für bare Münze nimmt. Dass alle Rawsons Abschaum sind. Sie hat mir erzählt, dass Drake immer noch sauer ist, weil Mom ihn vor all diesen Jahren abgewiesen hat. Ich finde das sehr traurig.“

Das war gelinde ausgedrückt. Allerdings war Ajax nicht ihrer Meinung. Veda glaubte an die Version ihres Vaters über die Ereignisse.

Während ihrer gemeinsamen Nacht war sie für ihren Vater in den Ring gestiegen. Ihr geliebter Dad behauptete, Hux wäre ein widerlicher Schuft, der ihm die Braut ausgespannt hätte. Ajax hatte sich alle Mühe gegeben, die Sache richtigzustellen. Seine Mutter hatte ihre eigene Entscheidung getroffen, zu der sie jedes Recht hatte, und den besseren Mann geheiratet.

Veda hatte danach einen versöhnlichen Ton angestimmt, und bevor sie das Hotelzimmer verließen, hatten sie ihre Telefonnummern ausgetauscht. Bereits am nächsten Tag hatte er einen Blumenstrauß zu ihrer Büroadresse in Jersey geschickt. Nachdem er daraufhin eine Woche lang nichts von ihr hörte, rief er vergeblich bei ihr an und hinterließ Textnachrichten. Einige Tage später schickte er einen größeren Blumenstrauß und versuchte erneut, sie telefonisch zu erreichen.

Doch er wartete vergeblich auf irgendeine Reaktion.

„Sie ist klug, knallhart und zielstrebig“, sagte Lanie und warf einen Blick in Vedas Richtung. „Und ganz bestimmt ist sie nicht erpicht auf eine flüchtige Affäre.“

Angesichts der missbilligenden Miene seiner Schwester musste Ajax lachen. „Bist du neuerdings bei der Sex-Polizei?“

Lanie warf das lange schwarze Haar zurück, wie sie es immer tat, wenn sie aufgeregt war oder ärgerlich oder einem Pferd die Sporen gab. „Ich wollte das nur klarstellen, bevor ich dich auf die Weide lasse.“

Grinsend salutierte er vor ihr. „Was immer Sie sagen, Officer.“

Lanie stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. „Zieh dich endlich um. Sonst fangen die Damen noch an, den Cowboy in dir anzuschmachten.“ Sie winkte ihm zu und mischte sich unter ihre Gäste.

Nachdem sie auf der ausgewiesenen Fläche auf dem Anwesen der Rawsons geparkt hatte, folgte Veda einem beleuchteten Fußweg, der um das majestätische viktorianische Gebäude zum hinteren Teil der parkähnlichen Anlage führte. Dort erblickte sie einen riesigen Pavillon, aus dem Gelächter und Musik erklang. Drinnen warf sie einen kurzen Blick auf die mit Lichternetzen geschmückten Decken und Wände und hielt nach jemandem Ausschau, den sie kannte, als Ajax am Eingang erschien.

Er trug ein weißes Hemd, dessen Ärmel aufgerollt waren, sodass seine muskulösen gebräunten Unterarme zu sehen waren. Der Bartschatten auf seinen Wangen und dem markanten Kinn wirkte äußerst sexy. Sogar aus dieser Entfernung waren seine tiefblauen Augen unverkennbar.

Nach ihrer gemeinsamen Nacht in Saratoga hatte er zwei gigantische Blumensträuße geschickt. Und immer, wenn sie seine Nummer auf dem Display erkannte, war sie versucht gewesen, das Gespräch entgegenzunehmen. Doch heute Abend war es wohl unvermeidlich, dass sie einander über den Weg liefen. Sie fragte sich, ob er wohl wieder versuchen würde, mit ihr anzubandeln. Oder gehörte sie für ihn bereits der Vergangenheit an, nachdem sie ihn mit Ignoranz gestraft hatte?

Bevor er sie entdeckten konnte, tauchte Veda in einer Gruppe von Gästen in ihrer Nähe unter. Vorsichtig warf sie einen Blick in seine Richtung.

Lanie hatte sich zu ihm gesellt. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war ihre Diskussion recht hitzig. Als Lanie wegging, verließ Ajax den Pavillon, und Veda atmete erleichtert auf. Sie war in Sicherheit. Jedenfalls fürs Erste. Sie beobachtete, wie Lanie sich auf den Weg in ihre Richtung machte.

Das warf eine andere Frage auf. Lanie und sie hatten seit einigen Wochen nicht miteinander gesprochen. Hatte Ajax die Nacht in Saratoga ihr gegenüber erwähnt? Lanie wusste genau, dass sie nicht zu den Frauen gehörte, die leichtfertig mit einem Kerl ins Bett stiegen. Aber nach all den Jahren musste sie einfach ihrer Sehnsucht nach diesem Mann nachgeben. Sosehr sie es auch versuchte, sie war nicht in der Lage, auch nur einen Moment dieser unglaublichen Nacht zu bereuen.

Lanie war nicht mehr weit von ihr entfernt, als ein Mann zu ihr trat. Veda erkannte ihn sofort. Hux Rawson war genauso groß und breitschultrig wie sein Sohn. Sein stahlgraues Haar war kurz geschnitten. Er versetzte seiner Tochter einen Kuss auf die Wange, hakte sich bei ihr unter, um sie zu eskortieren.

Sie kamen genau auf Veda zu.

In ihrem Kopf drehte es sich plötzlich. Wie Lanie ihren Vater beschrieben hatte, würde er freundlich und zuvorkommend sein. Sogar bei der Begrüßung von Drake Darnels Tochter. Ihr eigener Vater wäre unter vergleichbaren Umständen alles andere als höflich, auch wenn ihm bewusst war, dass Lanie und sie eine enge Freundschaft verband. Er hielt nichts von den Rawsons. Das war schon immer so gewesen.

Daran würde sich auch in Zukunft nichts ändern.

Lanie, die mit ihrem sensationellen Stufenkleid aus gelbem Tüll einen roten Teppich verdient hätte und nach Rosen duftete, umarmte sie überschwänglich. „Du siehst hinreißend aus.“

Veda, die nicht besonders gut darin war, Komplimente zu machen, begnügte sich damit, ihrer Freundin herzlich zum Geburtstag zu gratulieren. „Ich habe dir etwas auf deinen Gabentisch gelegt“, fügte sie hinzu.

Es handelte sich dabei um einen aufwändigen Bildband über die Geschichte der Frau im Reitsport. Veda hätte das Buch nie für sich selbst gekauft, aber als sie es im Buchladen erblickte, wusste sie genau, dass es für die preisgekrönte Dressurreiterin Lanie genau das Richtige war.

Nonchalant übernahm Lanie die Vorstellung. „Veda Darnel, darf ich dich mit dem wichtigsten Mann in meinem Leben bekannt machen?“

Ein freundliches Lächeln erhellte das Gesicht ihres Vaters. „Schön, dass du kommen konntest, Veda. Ich bin Hux.“

Für einen Mann Mitte sechzig machte Hux Rawson in seinem tadellosen Smoking eine gute Figur. Das gebräunte Gesicht und die zahlreichen Lachfalten zeugten von einem Leben in Gesundheit und privatem Glück. Vedas eigener Vater wirkte eigentlich immer ärgerlich, nur dann nicht, wenn er sich in seinen Ställen aufhielt. Gegen Pferde war im Prinzip nichts einzuwenden, aber das Leben bestand nicht nur aus Arbeit und dem Grübeln über die Vergangenheit.

Veda erwiderte sein Lächeln. „Ich freue mich auch, hier zu sein.“

„Kaum zu glauben, dass mein kleines Mädchen heute siebenundzwanzig Jahre alt geworden ist.“ Hux drückte den Arm seiner Tochter. „So wunderschön und dabei, die Welt zu erobern.“

Lanie gab vor, sich vor Verlegenheit zu winden. „Nur kein Druck.“

„Du weißt doch, wie stolz ich auf dich bin“, erwiderte ihr Vater, und seine Miene ließ darauf schließen, dass er sich nicht nur auf ihre Erfolge im Dressurreiten bezog. „Und ich bin sicher, deine Mutter wäre ebenso stolz auf dich.“

Lanies Gesicht wurde weich. Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, als etwas am Zelteingang ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und winkte einem Neuankömmling zu.

„Würdet ihr zwei mich einen Moment entschuldigen?“ Sie schnappte sich zwei Champagnerkelche vom Tablett einer vorbeigehenden Servicekraft. „Mich ruft die Pflicht der Gastgeberin.“

Lächelnd blickte Hux seiner Tochter hinterher und wandte dann seine Aufmerksamkeit wieder Veda zu. Sie war einen Moment unsicher, worüber sie sich mit diesem Mann unterhalten sollte. Das war nicht ungewöhnlich bei Menschen, die einander gerade erst vorgestellt worden waren. Allerdings war Hux eigentlich kein Fremder für sie. Seine Entscheidung lange vor ihrer Geburt hatte ihr Leben in einer Weise beeinflusst, die er vermutlich gar nicht ermessen konnte. Das hatte dazu geführt, dass sie sich manchmal etwas verloren vorkam.

So wie jetzt.

Er sah ihr direkt in die Augen, und sie spürte den Druck der Vergangenheit in sich aufwallen.

Sie war nicht überrascht, als ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief und ihre Kehle eng wurde.

Dieses Gefühl war nichts Neues. Es stammte aus ihrer Zeit in der Grundschule, als sie versucht hatte, die Buchstaben zu lernen, die für sie wie wimmelnde Kaulquappen aussahen, gleichgültig, was der Lehrer ihr erklärte. Später, in höheren Klassen, begannen ihre Ohren zu klingeln und die Kehle eng zu werden, wenn sie etwas vorlesen sollte. Sie spürte, wie alle Augen auf sie gerichtet waren und konnte nicht sprechen. Geflüster und Schimpfwörter verfolgten sie überall, sogar in ihren Träumen.

Faulpelz.

Dummkopf.

Idiotin.

Als bei ihr Legasthenie diagnostiziert wurde, war sie bereits ein Teenager. Danach hatte Veda hart an sich gearbeitet. Sie war fest entschlossen, gegen alles anzukämpfen, was mit dieser höllischen Schwäche einherging. Unsicherheit, mangelndes Selbstvertrauen, kaum Freunde und Hoffnungslosigkeit. Sie wollte all das überwinden und hatte Wege gefunden, ihr Selbstbewusstsein zurückzugewinnen. Sich auf die positiven Dinge zu konzentrieren und sich den eigenen Wert vor Augen zu führen, hatte den Grundstein gelegt für ihre Karriere als Life Coach. Für sie war das der lohnendste Beruf der Welt. Auch wenn es sie immer noch nervös machte, Veda konnte jetzt frei vor einer Ansammlung von Menschen sprechen. Seit Jahren schon war sie frei von den Panikattacken ihrer Kindheit und Jugend.

Bis heute.

Klingeln in den Ohren, enge Kehle, eisige Schauer.

„Es hat Wochen gedauert, den Pavillon herzurichten“, sagte Hux und ließ den Blick durch das Partyzelt schweifen. „Lanies und Susans Verdienst natürlich, nicht meiner. Hast du Susan schon kennengelernt? Sie ist sehr früh gekommen, um sich zu vergewissern, dass alles bereit ist.“

Während Hux geduldig auf eine Antwort wartete, blieb Vedas Kehle hartnäckig geschlossen. Sie spürte, wie ihre Wangen sich röteten, zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte den Kopf.

„Susan ist ein wahres Gottesgeschenk“, fuhr Hux fort. „Sie ist schon sehr lange bei uns und gehört zur Familie. Sie hält das Haus tadellos in Ordnung und sorgt dafür, dass wir gut und ausgewogen essen.“

Veda konzentrierte sich darauf, sich zu entspannen. „Ich verstehe“, brachte sie mühsam hervor.

Hux runzelte irritiert die Stirn, unternahm aber einen weiteren Versuch, mit ihr ins Gespräch zu kommen. „Obwohl sie schon so lange hier lebt, hat sie immer noch gehörigen Respekt vor Pferden. Wie ist es mit dir, Veda? Ich nehme an, du magst Pferde. Immerhin gehören sie schon seit deiner Geburt zu deinem Leben.“

„Ich … ja, Pferde sind wunderbare Geschöpfe.“

Er nickte, als ob er nicht schlau aus ihr würde und es auch gar nicht wollte. „Wie geht es deinem Vater?“

„Gut. Viel Arbeit.“ Atme, Veda. Einfach nur atmen. „Ich besuche ihn … dieses Wochenende.“

„Klar. Das Gestüt deines Vaters ist ja nicht sehr weit von hier entfernt.“

Als sie erneut nickte und an ihrem Champagnerglas nippte, blickte er ihr noch einmal in die Augen. „Also, dann überlasse ich dich der Party. Es war schön, dich kennengelernt zu haben, Veda. Amüsiere dich gut.“

Nachdem er gegangen war, ließ Veda die Schultern sinken. Dass sie hier praktisch niemanden kannte, hatte sie nicht gestört. Ebenso wenig wie der Umstand, dass sie Ajax begegnen würde. Aber sich dem Mann gegenüberzusehen, dessen Entscheidung einen Sturm der Verzweiflung auf ihre Familie losgelassen und sie praktisch auseinandergerissen hatte, damit kam sie ganz offensichtlich nicht zurecht.

Sie dachte nicht gern an die Ströme von Tränen zurück, die sie vergossen hatte, als ihre Eltern sich trennten. Doch jetzt konnte sie diese Gedanken nicht verdrängen. Bilder der Erinnerung zogen an ihr vorbei. Es waren keine guten Erinnerungen und endeten mit dem Tod ihrer Mutter.

Die Musik im Pavillon wurde lauter, und die Gäste feierten immer ausgelassener.

Sie brauchte Platz, Ruhe und vor allem frische Luft, und zwar sofort.

Sie stellte ihr Glas auf den nächsten Tisch und verließ das Zelt durch einen Seitenausgang. Sie hielt nicht an, bis sie sich im Schatten hochgewachsener Bäume befand und sicher sein konnte, dass sie allein war. Die Nachtluft war frisch und kühl. Befreit atmete sie durch. Das Hämmern der Musik und die dunklen Erinnerungen schienen hier draußen angenehm weit entfernt zu sein.

Sie war gerade dabei, die schlechten Erinnerungen durch gute zu ersetzen, als sie bemerkte, wie eine Gestalt näher kam. Jetzt im Smoking ging Ajax mit langen Schritten auf sie zu. Je näher er kam, desto deutlicher wurde die Botschaft, die in seinen tiefblauen Augen stand.

Du kannst weglaufen, Süße, lautete sie. Aber du kannst dich nicht vor mir verstecken.

„Falls du schon gehen willst, hast du die falsche Richtung genommen“, sagte Ajax und deutete auf das Haus. „Die Autos stehen da hinten.“

Veda blinzelte nervös. „Ich will nicht gehen. Ich brauchte nur frische Luft.“

Er lächelte. „Wie damals vor einem Monat, als du auf den Balkon gekommen bist.“

Sie straffte die Schultern. „Ist das wirklich schon so lange her?“

„Ja. So lange.“

Nachdem er sich umgezogen hatte, war er gerade rechtzeitig in den Pavillon zurückgekehrt, um einen Blick auf ein weinrotes Kleid zu erhaschen, als Veda eilig nach draußen gelaufen war. Natürlich hatte er die Verfolgung aufgenommen. Er wollte sich vergewissern, dass es ihr gut ging. Und, ja, er hatte auch auf eine Gelegenheit gehofft, ein sensibles Thema zur Sprache zu bringen. Nämlich ihr Schweigen nach der Nacht in Saratoga. Warum hatte sie seine Anrufe nicht angenommen?

„Und was tust du hier draußen im Dunkeln?“, fragte sie.

Er schob die Hände in die Hosentaschen. „Meditieren, um in Partystimmung zu kommen.“

„Jedenfalls bist du jetzt für eine Party perfekt angezogen.“

Er lächelte. „Du hast mich vorhin also gesehen.“

Ihre schönen grünen Augen weiteten sich, bevor sie Gelassenheit vortäuschte und zu einer kühlen Erwiderung ansetzte. „Du hast dich in Rekordzeit umgezogen.“

„Ich habe schon im Büro geduscht.“ Lächelnd lehnte er sich an eine Eiche und kreuzte die Füße übereinander. „Ich habe gar nichts gegen den Geruch von Pferden und Heu. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die Gäste dem etwas abgewinnen können.“

Als sie ihn ansah, erinnerte er sich an ihre gemeinsame Nacht und die Worte, die sie geflüstert hatte, während sie sich mit den Lippen den Weg über seine Brust und dann weiter abwärts gebahnt hatte.

Du riechst so gut. Und schmeckst noch viel besser.

Als ob sie sich ebenfalls daran erinnern würde, warf sie einen unschlüssigen Blick zu dem Festzelt. „Ich sollte zurückgehen.“

„Ich begleite dich. Falls du nichts dagegen hast.“

Nach kurzem Zögern setzte sie eine gleichgültige Miene auf. „Warum sollte ich?“

Auf dem Weg zum Pavillon überlegte er, ob sie nach seinen Anrufen und Nachrichten und nachdem sie in jener leidenschaftlichen Nacht so oft in seinen Armen gekommen war, nicht zumindest in Erwägung gezogen hatte, ihm ein paar Zeilen zu schreiben.

Er studierte ihr Profil, die zierliche gerade Nase, die vollen Lippen. Und dann ihr umwerfendes Kleid. Er konnte nicht anders, als sich vorzustellen, wie er ihr den seidigen Stoff von den Schultern streifte und ihre Brüste mit Händen und Lippen erforschte.

Konzentrier dich, verdammt.

„Hast du meine Nachrichten erhalten? Ich habe dir ein paar hinterlassen.“

„Ja, habe ich. Und auch die Blumen. Sie waren sehr schön, vielen Dank.“

„Ich wollte dich damit wissen lassen, wie sehr ich unsere gemeinsame Zeit genossen habe.“

Sie blickte stur geradeaus und nickte.

Er rieb sich das Ohr. „Wir sind doch im Guten auseinandergegangen, oder?“

„Wir sollten wirklich zur Party zurückkehren,“ entgegnete sie und beschleunigte ihre Schritte.

„Ich dachte, wir könnten reden. Über Saratoga.“

„Vielleicht besser später.“

Er blieb stehen. Vielleicht besser jetzt.

„Geht es immer noch um deinen Vater, Veda? Ich dachte eigentlich, wir hätten das geklärt.“

Der Rock ihres Kleides wirbelte um ihre schlanken Beine, als sie sich zu ihm umdrehte. „Wir waren uns darüber einig, dass wir uns nicht einig sind.“

Tatsächlich? „Dieses Gespräch fand statt, bevor wir wieder miteinander geschlafen haben. Bevor du sagtest, wie sehr du dir wünschen würdest, wir müssten nicht gehen.“

Ihre Nasenflügel bebten, und sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Falls du darauf aus bist, mich in Verlegenheit zu bringen – das funktioniert nicht.“

Er hob beschwichtigend die Hände. „Ich versuche nur herauszufinden, warum du meine Anrufe ignoriert hast.“

Zögernd trat sie zwei Schritte näher. „Ich schätze, du hast Lanie nichts von dieser Nacht erzählt.“

„Natürlich nicht. Das geht nur uns beide etwas an.“

Sie warf einen Blick zum Festzelt. „Dann sprich bitte etwas leiser. Oder soll ich dir ein Megafon holen?“

„Ich bin verwirrt“, sagte er mit gesenkter Stimme. „Wir brauchen das Einverständnis unserer Eltern nicht. Wir sind keine Kinder mehr.“

„Genau. Wir sind erwachsen und vernünftig.“

Er gab ein Stöhnen von sich. „Ich bin immer noch verwirrt.“

„Ich bereue unsere gemeinsame Nacht nicht. Nichts davon. Ich werde mich daran erinnern, solange ich lebe.“

Also hatte er es sich nicht eingebildet. Es hatte ihr gefallen. Aber als er einen Schritt auf sie zu machte, hob sie abwehrend die Hände. „Ajax, du bist ein wunderbarer Mann. In jeder Hinsicht. Ich verbringe gern Zeit mit dir. Das Problem ist nur, dass ich nicht die Einzige bin. Du hast immerzu Affären. Mit Models, Schauspielerinnen, Designerinnen, weiblichen Angestellten, Trainerinnen … Es gibt über die Jahre eine endlose Reihe von Frauen. Du bist ein Schürzenjäger, um Himmels willen.“

Er holte tief Luft. Erst hatte Lanie ihm damit in den Ohren gelegen. Und nun das.

Zugegeben, seine Brüder zogen ihn mit seinem Ruf als Frauenheld auf, weil ein Klatschspaltenreporter ihn vor einiger Zeit so betitelt hatte. Aber Griff und Jacob wussten genau, wie er wirklich war.

„Ich bin ein normaler, unverheirateter Mann. Genau wie du eine normale ledige Frau bist. Es ist kein Verbrechen, sich zu verabreden und Sex zu haben. Und es ist auch kein Verbrechen, wenn man sich hinterher wiedersehen möchte.“

„Etwas zu wollen heißt nicht zwangsläufig, dass es auch gut für dich ist.“

„Manchmal schon.“

Sie versuchte es auf anderem Weg. „Ich halte nichts von der Art und Weise, wie du deinen Lebensunterhalt verdienst.“

„Du meinst das Gestüt? Wir züchten Rennpferde. Dein Vater macht genau das Gleiche.“

„Das heißt noch lange nicht, dass es mir gefällt. Hast du eine Ahnung, wie viele Menschen auf der Rennbahn ihr letztes Hemd verwetten?“

„Daran kann ich nichts ändern.“

„Genau wie ein Dealer nichts an der Drogensucht seiner Kunden ändern kann?“

„Das kann man wohl kaum vergleichen.“

„Eines Tages werde ich dir die Definition von Sucht erklären“, erwiderte sie ungehalten. „Aber das Schlimmste an diesem Geschäft ist die große Anzahl von Pferden, die gequält und verletzt werden. Gerade letzte Woche wurde eins von euren Tieren nach einem Sturz eingeschläfert.“

Er erstarrte. „Niemand war trauriger deswegen als ich.“

„Abgesehen von dem Pferd.“

„Du willst mich also nicht wiedersehen, weil ich Pferde züchte?“

„Du benutzt Pferde.“

„Eines würde ich gern klären. Du hältst nichts davon, wie wir unsere Pferde halten und einsetzen. Aber ich habe dich kein schlechtes Wort über deine Freundin, die erfolgreiche Dressurreiterin, sagen hören.“

„Lanie? Aber das ist …“

„Jetzt sage nicht, dass das etwas anderes sei.“

„Ajax, ich schlafe nicht mit deiner Schwester.“

„Ganz genau.“ Er trat näher und beugte sich über sie. „Du schläfst mit mir.“

Sie erwiderte seinen Blick. In ihren Augen glaubte er erkennen zu können, dass sie ihre Gründe dafür hatte, ihm fernzubleiben. Aber dass ein Teil von ihr sich ebenso nach ihm sehnte wie er sich nach ihr.

Sie trat zurück und atmete tief ein. „Wir sind wegen Lanie hier. Dieser Abend gehört allein ihr.“

Er warf einen Blick hinüber zum Festzelt. „Du hast recht.“

„Also müssen wir dieses Thema auf sich beruhen lassen.“

„Das wird nicht funktionieren.“

„Wenigstens fürs Erste. Um ihretwillen.“

Er lachte in sich hinein. „Du bist eine durchtriebene Verhandlungsführerin, Darnel.“

„Und du ein sturer Mistkerl.“

„Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig.“

„Wenn du meinst.“

„Wir sollten zur Party zurückkehren und ein Glas zusammen trinken.“

Sie legte den Kopf schief. „Ein Glas?“

„Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich komme mir völlig ausgetrocknet vor.“

Sie setzten ihren Weg fort, bis Ajax kurz vor dem Zelteingang erneut stehen blieb. „Eine Sache noch, bevor wir hineingehen.“

Sie seufzte. „Es wird mir nicht gefallen, oder?“

„Ich möchte dir nur sagen, wie umwerfend du heute Abend aussiehst. Dein Kleid. Dein Haar.“ Er legte eine Hand auf sein Herz. „Und mehr werde ich darüber nicht sagen. Keine weiteren Komplimente.“

Das war ihm durchaus ernst. Er hatte vor, den Fuß auf der Bremse zu lassen.

Aber ein Glas konnte zu einem zweiten führen. Und vielleicht sogar zu mehr.

3. KAPITEL

Die Frau, die neben Veda am Büfett stand, hielt offenbar nichts davon, um den heißen Brei herumzureden.

„Er ist etwas Besonderes, nicht wahr?“

Als die Frau einen vielsagenden Blick zu Ajax warf, der neben der Geburtstagstorte stand und sich mit einigen Gästen unterhielt, errötete Veda. Während sie die Auswahl an Desserts studierte, hatte sie immer wieder in seine Richtung geschaut. Offenbar nicht so diskret, wie sie gehofft hatte.

Wer mochte diese Frau sein?

Sie war in den Fünfzigern und trug ein elegantes pfirsichfarbenes Abendkleid. Ihr rotbraunes Haar war am Hinterkopf aufgesteckt, und an ihren Ohren funkelten Diamantstecker. Angesichts des mütterlichen Lächelns, mit dem sie Ajax betrachtete, wagte Veda es, eine Vermutung zu äußern.

„Sie sind Susan, oder? Hux Rawsons … Haushälterin.“

Es war in ihren Kreisen allgemein bekannt, dass Susan und Hux mehr verband als ein Angestelltenverhältnis. Sie lebten zusammen wie ein Ehepaar, ohne sich um die Formalitäten zu scheren.

Susans Lächeln vertiefte sich. „Als ich in dieses Haus kam, war Ajax zehn Jahre alt. Inzwischen ist er für mich wie ein eigenes Kind. Genau wie seine Geschwister.“

Nachdem Veda sich vorgestellt hatte, wobei sie ihren Familiennamen wohlweislich ausließ, um Komplikationen zu vermeiden, blickte Susan wieder in Ajax’ Richtung.

„Dieser Junge ist der Grund dafür, warum ich hier bin“, vertraute sie Veda leise an.

„Tatsächlich? Wie kam das?“, fragte Veda neugierig. Diese Unterhaltung versprach, recht interessant zu werden.

„Nach dem Tod seiner Mutter war die Familie verzweifelt, wie Sie sich vorstellen können. Sein Vater war vor Trauer wie gelähmt, also beschloss Ajax, die Initiative zu ergreifen. Er schaltete eine Anzeige in der Lokalzeitung: Wir brauchen eine Haushälterin. Eine Dame, die gern eine Familie hätte, um die sie sich kümmern kann. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass wir uns auch um Sie kümmern.“

Veda wurde warm ums Herz. „Oh, wie süß.“

„Ich hatte damals selbst einige Probleme. Nicht den Verlust eines mir nahestehenden Menschen zum Glück. Aber schlimm genug, um meine Welt auf den Kopf zu stellen. Und ich wusste nicht, wie ich aus dieser Lage wieder herauskommen sollte. Das Schicksal meint es manchmal nicht besonders gut mit einem.“ Sie richtete sich auf und lächelte sanft. „Ich bekam den Job und habe seitdem nicht zurückgeblickt. Nie zuvor war mein Leben so ausgefüllt. Ich wollte immer eigene Kinder haben. Daher waren die Kinder im Haus das Sahnehäubchen auf meinem Kuchen. Griff, Ajax, Lanie und natürlich Jacob.“

Lanie hatte ihr natürlich von Griff, der an der Wallstreet arbeitete, ebenso erzählt wie von ihren anderen Geschwistern, die sie alle gleichermaßen vergötterte. Daher wusste Veda, dass Jacob ein Adoptivkind war.

„Jacob ist Rechtsanwalt, nicht wahr?“

„Ja, und er genießt einen außerordentlich guten Ruf. Er kam zu uns durch das Programm einer Jugendstrafanstalt. Vor Jahren hat Hux hier eine Maßnahme für gefährdete Jungen durchgeführt, weil er glaubte, dass sie von einem Tapetenwechsel und ein wenig Zuwendung und Anleitung profitieren würden. Während sie Arbeiten im Gestüt erledigten, lernten sie Verantwortungsbewusstsein und bekamen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Der Aufenthalt hier eröffnete ihnen Perspektiven und eine Vorstellung davon, was sie vom Leben erwarten durften. Jacob hatte eine entsetzliche Kindheit, aber Hux sah in ihm etwas ganz Besonderes. Schließlich beschloss er, die Adoptionspapiere zu unterzeichnen und ihm ein wirkliches Zuhause zu geben.“

Veda wurde das Herz weit. Es war nicht schwer zu erkennen, dass Susan ein großzügiger und warmherziger Mensch war. Genau wie Vedas Mom, die immer bereit gewesen war, an das Gute in den Menschen zu glauben.

Die Musik wechselte zu einer getragenen Ballade, und Susan warf einen Blick auf einen der Lautsprecher, die hinter den Lichterketten verborgen waren.

„Oh, ich mag dieses Lied.“

Veda lächelte. „Ich auch.“

„Ich war sehr jung, als ich es zum ersten Mal hörte. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, einmal graue Haare oder Falten zu bekommen. Zeit ist kostbar. Sie ist der kostbarste Besitz, den wir haben.“ Sie sah Veda in die Augen. „Verlorene Zeit kann man nicht nachholen.“

Genau in diesem Moment spürte Veda Ajax’ Blick auf sich ruhen. Als ihre Blicke sich begegneten, richtete Susan sich auf.

„Ich werde mich auf die Suche machen nach jemandem, der zu diesem Lied mit mir tanzt.“ Sie lächelte Veda verschwörerisch an, bevor sie ging. „Vielleicht sollten Sie das auch tun.“

Als ob er diese Worte gehört hätte, hob Ajax fragend die Augenbrauen und deutete auf die Tanzfläche. Veda verspürte einen seltenen Anflug von Leichtsinn.

Als sie vorhin ein Glas Champagner zusammen getrunken hatten, war die Stimmung zwischen ihnen sehr angespannt gewesen. Doch jetzt, als er die Arme nach ihr ausstreckte und so tat, als würde er schon mit ihr tanzen, verflog diese Anspannung. Veda war zumute, als hätte jemand ihr zu eng geschnürtes Korsett gelockert. Endlich konnte sie wieder atmen.

Zeit war kostbar, da hatte Susan zweifellos recht. Dieser Abend mit all seinen Herausforderungen war fast vorüber. Vielleicht war ein Tanz genau die richtige Art, sich zu verabschieden.

Sie ging auf Ajax zu. Er kam ihr auf halbem Weg entgegen. Er nahm ihre Hand und geleitete sie zur Tanzfläche. Dort legte er die Hand, die noch immer ihre hielt, auf seine Brust. Seine andere Hand spürte sie auf ihrem Rücken. Als er sie anlächelte, lief ihr ein angenehmer Schauer über den Rücken. Und als sie begannen zu tanzen und er sie geschickt durch das Gedränge der anderen Paare führte, hatte sie gegen seine Kraft und seine Berührung nicht das Geringste einzuwenden. Ebenso wenig gegen die Reaktionen ihres Körpers auf seine Nähe, seinen Duft und seine Wärme.

„Du hast Susan kennengelernt“, sagte er unverhohlen.

„Sie ist ein großer Fan von dir.“

„Ach, sie mag einfach jeden. Ihr Herz besteht aus purem Gold.“

„Sie hat mir erzählt, wie es kam, dass sie sich als Haushälterin beworben hat.“

Er lächelte. „Ich wusste vom ersten Augenblick an, dass sie zu uns passt. Wie sich herausstellte, sogar noch besser, als ich zu hoffen wagte. Sie und Dad sind schnell Freunde geworden. Und heute sind sie weit mehr als das.“

„Aber sie haben nie geheiratet.“

„Ich habe nie gefragt, warum. Es geht mich auch nichts an. Sie sind glücklich miteinander. Das ist das Einzige, was für mich zählt.“

Sie spürte seinen Blick auf ihrem Gesicht wie eine Berührung. Alles an ihm wirkte auf betörende Weise sanft und beruhigend, ein reizvoller Gegensatz zu seiner erotischen Ausstrahlung. Sollte er sich jemals ein Beispiel an seinem Vater nehmen und sesshaft werden, wäre seine Frau bestimmt zu beneiden.

Lanie tanzte ebenfalls ganz in der Nähe von ihnen, aber sie schien ihren Bruder und ihre Freundin nicht zu bemerken. Und auch sonst niemanden. Sie hatte nur Augen für ihren Tanzpartner, einen großen dunkelhaarigen und unverschämt gut aussehenden Mann. Das war interessant. Lanie sollte sich weit mehr für ihre Karriere engagieren als für das andere Geschlecht. Das gehörte zu den Dingen, die die beiden jungen Frauen sich geschworen hatten.

„Mit wem tanzt Lanie da?“, fragte sie Ajax.

Ajax blickte sich nicht nach seiner Schwester um. Stattdessen setzte er seine Schritte so, dass sie sich weiter von ihr entfernten. „Lanie hat viele Freunde.“

Veda deutete mit dem Kinn auf das Gedränge um sie herum. „Wie es scheint, sind es Hunderte.“

„Du wirst es nicht glauben, aber sie war einmal ein schüchternes kleines Ding. Doch wie wir alle ist auch sie aus ihren Kinderschuhen herausgewachsen.“

Das Lied endete, und der Diskjockey wählte als Nächstes ein schnelleres, lauteres Stück. Ajax nahm ihre Hand und führte sie in eine ruhige Ecke mit schummriger Beleuchtung, in der nur sehr neugierige Augen sie entdecken würden. Sie hielten sich noch immer an den Händen, und als sie einander ansahen, wurde die sexuelle Anziehung zwischen ihnen fast spürbar. Veda machte sich darauf gefasst, was als Nächstes kommen würde.

Würde er ihr Kinn heben und sie das erste Mal an diesem Abend küssen?

Wenn er das täte, wäre sie verloren.

„Ich glaube, ich mache für heute Schluss“, teilte sie ihm daher mit.

„Du meinst jetzt?“, fragte er erstaunt.

„Es ist schon spät. Und ich kenne hier fast niemanden.“

„Du kennst mich.“

Ja, und zwar auf sehr intime Weise. Aber diese Tatsache würde sie jetzt ganz bestimmt nicht erwähnen.

„Lanie ist offensichtlich schwer beschäftigt. Ich will sie nicht stören. Sag ihr bitte, dass ich sie morgen anrufe.“

„Bleibst du nicht über Nacht? Ich dachte, Lanie hätte dir ein Gästezimmer angeboten.“

„Ich fahre zu meinem Vater.“

Vor der Party hatte sie ihre kleine Reisetasche zum Haus ihres Vaters gebracht und sich dort umgezogen. Er hatte auf seinem Lieblingssessel ein Buch gelesen. Bevor sie aufgebrochen war, hatte er ihr ein Kompliment über ihr Kleid gemacht und die Vermutung geäußert, dass es sich um eine tolle Party handeln müsse. Als sie ihm gesagt hatte, dass sie Lanies Geburtstag auf dem Anwesen der Rawsons feierte, hatten sich seine Hände um sein Buch verkrampft. Er hatte von dem Versuch abgesehen, sie zu überreden, sich nicht auf Feindesland zu begeben, und in schroffem Tonfall angekündigt, er würde trotzdem aufbleiben und auf sie warten.

Ajax zuckte mit den Schultern und löste seine Fliege. „Vielleicht sollte ich auch schlafen gehen. Morgen ist ein großer Tag. Ich bringe dich zu deinem Wagen.“

Es hatte kurz geregnet, und der Fußweg war schlüpfrig. Veda schürzte ihr Abendkleid, damit es nicht nass werden konnte. Doch nach ein paar Schritten entglitt ihr der seidige Stoff und drohte, in einer Pfütze zu landen. Sie beugte sich vor, um zu retten, was zu retten war, doch Ajax war schneller.

Als ob sie nicht mehr wiegen würde als eine Tüte Blütenblätter hob er sie hoch, um sie zu tragen. Veda legte den Stoff des Kleides über ihren Schoß und sah ihn an.

„Alles in Ordnung?“, fragte er.

„Ja, es ist noch mal gut gegangen. Danke“, gab sie zurück.

Auf ihrem weiteren Weg versuchte Veda so gut sie konnte, die Tatsache zu ignorieren, wie nah ihr all diese Muskeln und seine Körperwärme waren.

„Wann wurde dieses Haus gebaut?“, fragte sie, während sie die große viktorianische Villa der Rawsons passierten.

„Der ursprüngliche Familiensitz wurde vor hundertvierzig Jahren gebaut. Er steht immer noch und befindet sich nördlich von hier. Dieses Haus hier stammt aus einer Zeit etwa zehn Jahre später. Es wurde erweitert und modernisiert. Aber im Grunde ist es immer noch dasselbe. Solide und erdverbunden.“

Durch eines der Wohnzimmerfenster entdeckte sie eine Wand, an der gerahmte Familienfotos hingen. Einige waren erst kürzlich aufgenommen, andere schon viele Jahre alt. Im Haus ihres Vaters gab es nicht ein einziges Foto.

Veda stieß einen Seufzer aus. „Viele glückliche Erinnerungen.“

„Das kannst du laut sagen. Ich hatte eine wunderbare Kindheit. Das Anwesen ist ein großartiger Ort für Kinder, und ich hatte die besten Eltern, die man sich denken kann.“ Er hielt kurz inne, und seine Miene wurde traurig. „Das alles änderte sich natürlich nach Moms Tod. Aber wir haben es irgendwie geschafft. In gewisser Weise hat es uns stärker gemacht.“

Veda freute sich für sie. Aber sie war auch ein wenig neidisch. Was hätte sie darum gegeben, Teil einer großen, glücklichen Familie zu sein. Wie anders wäre ihr Leben dann verlaufen.

„Leider hatte ich heute Abend keine Gelegenheit, Griff oder Jacob näher kennenzulernen“, sagte sie. „Aber sie sahen so stolz aus, als sie bei Lanie standen, während die Torte angeschnitten wurde.“

Mit wohlgesetzten Worten hatte Lanie sich bei ihren Gästen für ihr Erscheinen und die Geschenke bedankt. Einige der Anwesenden kamen aus Ländern, die sehr weit entfernt waren, wie Argentinien, Australien oder die Niederlande. Durch die Turniere kam sie viel in der Welt herum.

„Ja. Das war eine tolle Party. Und morgen früh werden bei einem enormen Frühstück die besten Momente diskutiert und die saftigsten Klatschgeschichten ausgetauscht. Bis wir wieder Hunger auf das Mittagessen haben.“

Er lachte, und Veda bemerkte plötzlich, dass ihre Hand auf seiner Brust lag. Sie spürte die Vibration durch das Lachen ebenso wie seinen Herzschlag. Dann blickte er ihr in die Augen, und die Welt um sie herum schien zu verblassen.

Wenn ich die Finger unter den Aufschlag seines Jacketts schiebe, und wenn ich den Kopf ein wenig hebe und er seinen ein bisschen senkt …

Zum Glück erreichten sie in diesem Moment ihren Wagen. Ajax stellte sie auf die Füße. Während sie sich in sein Profil versenkte – die hohen Wangenknochen, das markante Kinn und die leicht gekrümmte Nase –, hob er anerkennend den Daumen und deutete auf das Logo ihrer Firma auf der Fahrertür.

„Best Life Now“, las er laut. „Das gefällt mir. Kurz, treffend und eingängig.“ Er nickte, als ob er wirklich interessiert wäre. „Und wie kann man das erreichen? Sofort das beste Leben? Ist es eine Art von Gesprächstherapie? Oder gibst du Kurse?“

„Beides“, antwortete sie. „Vielleicht kommst du ja mal zu einem meiner Seminare.“

Natürlich konnte sie ihm nichts mehr beibringen. Ajax hatte sein Leben fest im Griff. Er war genau der, der er sein wollte, tat das, was er tun wollte, und war dort, wo er sein wollte. Kein Kunde für sie.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie erwartungsvoll an. „Gib mir eine Kurzfassung.“

„Du kannst das beste Leben erreichen, indem du deinen Weg zu Glück und Erfolg keinen Moment aus den Augen verlierst. Fang an mit gesunden und positiven Gewohnheiten und umgib dich immer mit dem Besten. Den besten Freunden, den besten Informationen, den besten Ratschlägen. Und sei klug genug, sie auch anzunehmen. Du solltest auch die meiste Zeit auf Dinge verwenden, die dir wirklich wichtig sind. Du solltest immer hinter dir stehen und dich selbst anspornen.“

„Klar“, sagte er und zuckte mit den Schultern. „Morgens aufstehen und die Arbeit erledigen.“

Da sprach jemand, der seine Mitte gefunden hatte. Wirklich kein Kunde für sie.

„Ist dir bekannt, dass es Menschen gibt, die schon damit Schwierigkeiten haben, morgens aufzustehen, die sich aus dem Bett quälen? Und du musst hinter die Fassade schauen, anstatt davon auszugehen, dass sie einfach nur faul sind.“

„Und was sehe ich hinter der Fassade?“

„Zum Beispiel ein Kindheitstrauma, eine dysfunktionale Familie oder erlernte Hilflosigkeit.“

Er runzelte die Stirn. „Wie kann man Hilflosigkeit erlernen?“

„Erlernte Hilflosigkeit ist die aufgrund negativer Erfahrungen entwickelte Überzeugung, die Fähigkeit zur Veränderung der eigenen Situation verloren zu haben, für diesen Zustand selbst verantwortlich zu sein und jegliche Anstrengungen aufzugeben“, dozierte sie. „Das ist beispielsweise bei Depressionen der Fall.“

Veda hatte sich nach dem Tod ihrer Mutter so gefühlt. Verzweifelt, resigniert und bereit aufzugeben. Sie war nicht in der Lage gewesen, den Menschen zu retten, der ihr am meisten bedeutete. Schlimmer noch, sie hatte sich verantwortlich gefühlt für den Unfall. Permanente Sprachlosigkeit gepaart mit einem nagenden Schuldgefühl hatte sich zu einer alles überschattenden Gleichgültigkeit entwickelt.

Ajax musterte sie aufmerksam. „Du hast eine Menge durchgemacht, nicht wahr?“

„Nicht mehr als die meisten Menschen“, antwortete sie lapidar. „Ich mache mich jetzt auf den Weg, Ajax. Es war schön, dich wiederzusehen.“

„Danke gleichfalls. Pass auf dich auf. Und fahr den Hügel nicht zu schnell hinunter. Da unten ist eine Kurve.“

Sie öffnete die Fahrertür und setzte sich in den Wagen. „Eine Kurve?“

„Ja, ziemlich scharf. Und die Fahrbahn ist rutschig nach dem Regen.“

Bevor ihm noch weitere Gründe einfallen konnten, sie aufzuhalten, schloss sie die Tür, startete den Motor und fuhr an. Ein letztes Winken, und Ajax wurde von der Dunkelheit verschluckt.

In etwa dreißig Minuten würde sie die Einfahrt zum Haus ihres Vaters entlangfahren. Sie würde ihn schlafend in seinem Sessel vor einem heruntergebrannten Kaminfeuer vorfinden. Nachdem er sie nach den Erlebnissen des Abends befragt hatte, würde er lautstark darüber sinnieren, wie ihm dabei zumute war, wenn seine Tochter mit dem Feind paktierte. Die Rawsons wären allesamt Betrüger, die ihre gerechte Strafe schon noch ereilen würde. Drake wurde es nie müde zu betonen, wie sehr er diesen Tag herbeisehnte.

Regentropfen begannen auf die Windschutzscheibe zu prasseln. Immer größer und immer heftiger. Während sie die Scheibenwischer einschaltete, versuchte sie sich vorzustellen, wie ihr Vater reagieren würde, wenn er die Wahrheit erführe. Nicht genug damit, dass seine Tochter mit einer Rawson befreundet war, sie hatte auch noch mit einem geschlafen. Was für eine entsetzliche Freveltat. Auf seine eiskalte Art würde Drake das Urteil über sie fällen. Sie war nicht besser als die Frau, die er geliebt oder die Frau, die er geheiratet hatte. So, wie sich ihm die Sache darstellte, hatten ihn beide mit einem Cowboy betrogen. Dann würde Drake seine Tochter verstoßen, wie er es schon zuvor mit seiner Frau getan hatte. Und es gab nichts, was Veda dagegen tun konnte.

Für mich bist du tot.

Tot. Tot. Tot.

Plötzlich kam die tückische Kurve in Sicht. Veda riss das Lenkrad herum und trat auf die Bremse. Als die Reifen ins Rutschen kamen, lenkte sie gegen und übersteuerte den Wagen damit. Einen surrealen Moment später kam der Wagen ruckartig zum Halten, rutschte herum und blieb auf dem Fahrbandrand rechtwinklig zu einem hohen Zaun stehen.

Die Scheibenwischer bewegten sich immer noch hin und her. Veda umklammerte das Lenkrad so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden. Sie verfluchte sich selbst für ihre Erstarrung und Tatenlosigkeit. Aber zum Glück hatte sie keinen Unfall verursacht. Es war nichts geschehen, das nicht wieder gut zu machen wäre.

Also reiß dich zusammen und fahr weiter.

Das würde sie auch. Sobald sie des Ansturms an Erinnerungen Herr geworden war.

Mom auf dem Beifahrersitz eines Pickups, daneben ihr Cowboy-Freund mit Blick über die Schulter zu Veda auf der Rückbank. Ein furchtbares knirschendes Geräusch. Ein krachender Stoß, gleißendes Licht …

Als ihre Ohren zu klingeln begannen, stieß Veda die Tür auf und stolperte nach draußen.

Es gab viele Motels in dieser Gegend. Oder vielleicht konnte sie einfach nach New Jersey fahren, nach Hause. Niemand zwang sie, die Nacht bei ihrem Vater zu verbringen.

Gerade als der Himmel seine Schleusen endgültig öffnete, spürte sie große Hände auf den Schultern und wurde herumgedreht. Die nassen Haare hingen ihr vor den Augen, und sie brauchte einen Moment, bis sie das Gesicht erkannte, das sie durch den strömenden Regen besorgt anblickte.

„Was zur Hölle tust du hier draußen?“, fragte Ajax mit erhobener Stimme, um den Wolkenbruch zu übertönen.

Veda dachte einen Moment darüber nach und zuckte dann mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“

Er schüttelte den Kopf, öffnete die Beifahrertür von Vedas Wagen und winkte sie hinein.

Sekunden später saß er hinterm Steuer, legte den Rückwärtsgang ein und lenkte das Fahrzeug zurück auf die Fahrbahn. Doch er fuhr nicht in Richtung Hauptstraße und auch nicht zurück zur Villa, sondern bog in eine schmale Nebenstraße ein. Kurz darauf hielt er vor einem Gebäude. Nachdem er Veda beim Aussteigen geholfen hatte, reichte er ihr ihre Handtasche, die er zuvor auf die Rückbank geworfen hatte. Er nahm sie beim Arm und führte sie zum Eingang des Gebäudes.

„Wo sind wir?“, fragte Veda und blickte sich um. Sie war inzwischen völlig durchnässt und rutschte mit glitschigen Sohlen in ihren hohen Schuhen hin und her.

„An einem sicheren Ort.“

Als Ajax eine Nummer in ein Kontrollpad neben der Eingangstür tippte, fiel ihr Blick auf das Schild daneben. Es kam ihr vor wie eine ironische Warnung.

Rawson Hengste.

Zufriedenheit garantiert.

4. KAPITEL

Während Ajax das Licht im Empfangsbereich einschaltete, war er zwischen Erleichterung und Zorn hin und her gerissen.

Es hatte nichts genützt, dass er Veda vorhin durch die Pfützen getragen hatte. Jetzt war ihr Kleid ebenso wie ihr Haar völlig durchnässt. Schlimmer und allzu verständlich war, dass sie offenbar unter Schock stand. Er konnte hören, wie sie mit den Zähnen klapperte, und ihre Hände zitterten. Hatte sie an ihrem Handy herumgefummelt oder war sie in Gedanken gewesen, als sie in der Kurve ins Schleudern geriet? Dabei hatte er sie vor dieser Kurve ausdrücklich gewarnt.

Veda folgte ihm, als er den Korridor entlangging vorbei an einigen Büroräumen bis zu seinen privaten Räumen. Sein zweites Zuhause. Er fuhr sich mit einer Hand durch das nasse Haar und schaltete einen Gang zurück. Und noch einen. Das Letzte, was Veda jetzt brauchen konnte, war eine Gardinenpredigt.

„Ich nehme einen Scotch“, verkündete er auf dem Weg zur Bar und schenkte dort zwei Gläser großzügig voll.

Aber als er eines davon Veda reichen wollte, wich sie mit bebenden Nasenflügeln zurück, als hätte er ihr Schwefelsäure angeboten.

„Ich trinke keinen hochprozentigen Alkohol“, sagte sie.

„Auch gut.“ Er hob das Glas und nahm einen kräftigen Schluck. „Zum Wohl.“

Mit brennender Kehle ging er zurück zur Bar. „Ich schenke dir ein Glas Wein ein.“

„Nur Wasser, bitte.“

Als sie das Glas mit Wasser entgegennahm, bemerkte er, dass ihre Hände aufgehört hatten zu zittern. Sie trank einen großen Schluck und stieß den angehaltenen Atem aus.

„Es tut mir leid, Ajax.“ Sie wirkte verletzlich und derangiert und war ihm nie schöner vorgekommen als in diesem Moment.

Er schwenkte den Scotch in seinem Glas hin und her. „Dir ist nichts passiert. Nur das zählt.“

„Du bist mich los, sobald es aufhört zu regnen. Ich will dich nicht weiter stören. Macht es dir etwas aus, wenn ich die Schuhe ausziehe?“

„Fühl dich ganz wie zu Hause.“

Während sie sich auf der Couch niederließ und die feuchten Pumps von den Füßen streifte, zog Ajax das Jackett aus und zerrte an seinem nassen Hemd.

„Ich muss mich umziehen.“ Er warf einen Blick auf ihr nasses Abendkleid. „Ich kann dir ein Handtuch und ein trockenes Hemd anbieten.“

Sie stand mit bloßen Füßen auf und hielt den triefenden Saum ihres Kleides hoch. „Ich nehme beides.“

Ajax ging in das kleine Schlafzimmer, in dem er die meisten Nächte verbrachte, und nahm ein frisch gebügeltes Hemd aus dem Schrank neben dem Bett. Er ging zurück, um es Veda zu geben. „Wie ist das?“

„Es ist trocken. Also perfekt.“

Er führte sie zu einem Gästebad, das mit reichlich sauberen Handtüchern ausgestattet war. Sobald sie hinter der Tür verschwunden war, kehrte er zurück ins Schlafzimmer und riss sich beim Gehen das nasse Hemd vom Leib. Nachdem er Hemd, Hose, Socken, Schuhe und Unterwäsche im angrenzenden Bad in eine Ecke geworfen hatte, rieb er sich die Haare mit einem Handtuch halbwegs trocken und schlüpfte in eine Jogginghose. Im Wohnzimmer klingelte sein Handy. Es war Griff, wie er am Klingelton erkannte. Er ging ins Wohnzimmer, nahm das Telefon, das noch in der Brusttasche seines Jacketts steckte, und meldete sich.

„Bei dir ist noch Licht an“, sagte Griff. „Ich hätte etwas mit dir zu besprechen.“

„Was ist los?“, fragte Ajax mit gedämpfter Stimme.

„Das weiß ich nicht genau. Aber es könnte möglicherweise Ärger geben.“

„Hat es mit der Familie zu tun? Oder ist es etwas Geschäftliches?“

„Beides. Soll ich vorbeikommen? Dann können wir in Ruhe darüber reden.“

„Es regnet“, antwortete Ajax ausweichend.

Griff gab ein Grunzen von sich. „Ich verstehe. Du hast bereits Gesellschaft. Vermutlich wesentlich hübschere als mich.“

„Es ist nicht so, wie du denkst.“

„Mir gegenüber musst du nicht den tugendhaften Pfadfinder spielen, Brüderchen.“

„Sie hatte einen kleinen Unfall in der Kurve unten an der Zufahrt. Ihr Wagen ist ins Schleudern geraten.“

„Oh“, machte Griff. „Geht es ihr gut?“

„Ja, es wahr nur ein ziemlicher Schock.“

„Ich würde ja fragen, ob ich etwas tun kann, wenn ich nicht wüsste, dass sie bei dir in den besten Händen ist.“ Griff gab ein anzügliches Lachen von sich.

Abwesend zog sich Ajax mit einer Hand die Hose höher. „Wie ich schon sagte, es ist nicht so, wie du denkst.“

„Also werdet ihr auf keinen Fall zusammen in einem Bett landen“, erwiderte Griff sarkastisch. „Wir können beim Frühstück miteinander reden. Du kannst sie ja mitbringen.“

„Warum sollte ich das tun?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht, um gute Manieren zu zeigen? Oder weil sie möglicherweise Hunger hat?“

„Veda wird morgen früh nicht mehr hier sein.“

Falls sie die Nacht hier verbringen würde, möglicherweise auf der Couch, weil sie zu müde war, um weiterzufahren, wären sie beide alles andere als erpicht auf die prüfenden Blicke seiner Familie am Morgen danach. Ja, sie waren beide erwachsen und in der Lage, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Aber Prinzessin Lanie würde Gift und Galle spucken, wenn er mit ihrer besten Freundin beim Frühstück erschien.

„Warte mal“, sagte Griff. „Sagtest du Veda? Drake Darnels Tochter?“

Ajax stieß einen Seufzer aus. „Jetzt fang nicht du auch noch an, dass du ein Problem damit hast.“

„Ich … äh …“ Griff holte tief Luft. „Lass uns morgen reden, ja?“

Ajax beendete das Gespräch, als die Tür des Gästebads sich öffnete. Veda kam heraus, und bei ihrem Anblick befand sich sein gesamter Körper sofort in Alarmbereitschaft. Das Hemd, das sie trug, war ihr einige Nummern zu groß, bot aber eine atemberaubende Aussicht auf ihre langen, schlanken Beine. Ihr nunmehr nur noch feuchtes Haar war eine flammende Mähne. Die Selbstvergessenheit, mit der sie beide Hände zu Hilfe nahm, um sich die Haare zurückzustreichen, verriet ihm, dass sie den Schreck einigermaßen überwunden und sich entspannt hatte. Ihr Blick glitt zu seiner nackten Brust.

„Ich habe gerade einen Anruf bekommen“, sagte er verlegen und deutete auf das Telefon. „Es war Griff. Er hat das Licht hier gesehen, also habe ich ihm alles erklärt.“

„Auch, dass ich gefahren bin wie eine Idiotin?“

„Nein. Ich schätze, wir bringen demnächst Reflektoren in dieser Kurve an.“ Er räusperte sich. „Nur falls es dich interessiert, es hat aufgehört zu regnen.“

Sie ging zum Fenster. „Tatsächlich. Ich hätte schwören können, es schüttet immer noch.“

„Nein“, gab er zurück. „Das heißt aber nicht, dass es nicht gleich wieder anfangen könnte.“

Sie lächelte. „Ja, das könnte es.“

Er erwiderte ihr Lächeln. „Du sagtest, du wolltest gehen, wenn der Regen aufhört.“

„Willst du mich loswerden? Das kann ich kaum glauben.“

„Warte mal. Du hast gesagt, du willst gehen. Ich respektiere nur deine Wünsche und halte dich auf dem Laufenden. So wie ich das sehe, ist die Möglichkeit, dass wir beide die Nacht zusammen verbringen, absolut kein Thema für dich.“ Er zuckte mit den Schultern. „Oder liege ich da etwa falsch?“

Veda blickte ihn nachdenklich an. Was war die richtige Antwort? Sie war sich da keineswegs mehr sicher. Ihr Unfall hatte eine Flut von schlimmen Erinnerungen geweckt. Jetzt war sie bei dem Mann, der den Hügel hinabgelaufen war, um sie zu retten. Er hatte dafür gesorgt, dass sie sich nicht mehr so schlecht fühlte, sondern geborgen und sicher.

Andererseits war er der König der Verführung. Außerdem arbeitete er mit Begeisterung in einem Geschäft, dass sie abstieß.

Und nicht zuletzt war er ein Rawson.

„Ich sehe dir an, wie frustriert du bist“, sagte er in ihre Gedanken hinein.

„Ein bisschen“, gab sie zu und trat von einem Fuß auf den anderen.

„Möchtest du, dass ich das für dich in Ordnung bringe?“

Wie denn? Indem er sie besinnungslos küsste?

Er studierte ihr Gesicht, als wäre es ein Kunstwerk. „Veda? Geht es dir gut?“

Sie drückte eine Hand auf ihren schmerzenden Magen. „Ich weiß es nicht genau.“

„Weißt du, ich wollte es eigentlich nicht erzwingen, aber wir müssen mal ernsthaft miteinander reden.“

„Ja, schon gut. Ich weiß.“

Er nickte. „Also findest du auch, dass wir offen über unsere Gefühle sprechen sollten?“

„Und was dann?“

„Dann sollten wir deswegen etwas unternehmen.“

„Das Gleiche wie damals in Saratoga?“

Er machte ein paar Schritte auf sie zu, bis er so nah vor ihr stand, dass sie seinen Atem und seine Körperwärme spüren konnte.

„Ich werde dich jetzt küssen.“ Seine Stimme war leise und unerhört sexy.

Sie spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. „Warum sagst du mir das?“

„Ich möchte, dass du damit einverstanden bist.“

„Du hast mich nicht gefragt, als du mich das erste Mal geküsst hast.“

„Wolltest du denn gefragt werden.“

„Nein.“

Autor

Fiona Brand
<p>Fiona Brand ist eine Autorin aus Neuseeland. Derzeit lebt Sie an der wunderschönen „Bay of Islands“, einem subtropischen Paradies zum Angeln und Tauchen. Dort genießt Sie die traumhafte Natur zusammen mit ihren beiden Söhnen, zwei Wellensittichen und einem Goldfisch. Sie liebt Bücher seit sie alt genug ist Seiten umzublättern Mit...
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Es ist schon lange her, doch Robyn Grady erinnert sich noch ganz genau an jenes Weihnachten, an dem sie ein Buch von ihrer großen Schwester geschenkt bekam. Sofort verliebte sie sich in die Geschichte von Aschenputtel, die von märchenhaftem Zauber und Erfüllung tiefster Wünsche erzählte. Je älter sie wurde, desto...
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