Baccara Collection Band 424

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NUR EINE VERBOTENE LIEBESNACHT? von JULES BENNETT

Oberste Regel für Milliardär Nick Campbell: keine Affären im Job! Niemals würde er den Bau seines Luxus-Resorts gefährden, nur weil Architektin Silvia Lane die schönste Frau ist, die er je gesehen hat. Wie soll er bloß dem sinnlichen Funkeln in ihren Augen widerstehen?

EIN HEISSER KUSS IN DEINEN ARMEN von DEBORAH FLETCHER MELLO

Nach einem schweren Unfall hadert Football-Star Nicholas Stallion mit seinem Schicksal. Auch die hinreißende Ärztin Tarah kann daran nichts ändern. Für Nicholas steht fest: Ab jetzt kommt er ohne Liebe klar. Doch so schnell lässt sich Tarah nicht abschrecken …

WILD, SEXY UND VERDORBEN von SHERI WHITEFEATHER

Keine sexy Models, keine wilden Nächte mehr - das Partyleben liegt hinter Spencer Riggs. Schließlich braucht der Songwriter für sein Comeback einen kühlen Kopf. Auch Bad Girl Alice wiederzusehen, lässt ihn kalt. Wenn ihre Küsse nur nicht so prickelnd wären …


  • Erscheinungstag 06.10.2020
  • Bandnummer 424
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726690
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jules Bennett, Deborah Fletcher Mello, Sheri WhiteFeather

BACCARA COLLECTION BAND 424

JULES BENNETT

Nur eine verbotene Liebesnacht?

Ein Luxus-Resort für Nick Campbell entwerfen? Der Job ihres Lebens! Doch nach einer Blitzaffäre mit dem umwerfend attraktiven Milliardär gerät nicht nur die Karriere von Architektin Silvia in Gefahr, sondern auch ihr Herz. Sie ist unsterblich verliebt in Nick, seinen Antrag lehnt sie jedoch ab: Denn wie soll sie Nick heiraten, wenn er nicht an die Liebe glaubt?

DEBORAH FLETCHER MELLO

Ein heißer Kuss in deinen Armen

Football-Star Nicholas Stallion ist smart, gut aussehend und der starrköpfigste Patient, den Ärztin Tarah Boudreaux je behandelt hat! Mitleid? Nicht auf ihrer Station! Sie gibt dem erfolgsverwöhnten Womanizer vom ersten Moment an Kontra. Schon bald werden aus heißen Wortgefechten ebenso heiße Küsse. Aber hat ihre Liebe nach seiner Entlassung eine Zukunft?

SHERI WHITEFEATHER

Wild, sexy und verdorben

Sie soll das Image von sexy Songwriter Spencer Riggs aufpolieren? Stylistin Alice ist nervös, auch wenn sie weiß, dass sie kein Party-Girl mehr ist. Ein Blick genügt, und sie ist genauso verrückt nach Spencer wie damals. Alice ist sicher, diesmal ist es mehr als nur eine wilde Affäre. Bis sie entdeckt, was der Bad Boy ihr verschweigt …

1. KAPITEL

Der kühle Frühlingsregen rieselte auf Nick Campbell, während er mit dem ungeöffneten Briefumschlag in der Hand auf die perlweiße Urne seiner Mutter hinabsah, die über und über mit roten Rosen bedeckt war.

Am liebsten hätte er den Umschlag gar nicht erst aufgemacht. Sollte das Geheimnis, das er enthielt, doch einfach bei Lori Campbell bleiben! Dabei hatte sie ihm vor ihrem Tod anvertraut, dass noch zwei weitere Briefe folgen würden, die an ihn adressiert waren.

So viele Geheimnisse, so viele merkwürdige Nachrichten …

Eigentlich war ihm das völlig egal. Der Tod seiner geliebten Mutter überschattete jede andere Regung in ihm und ließ keine weiteren Gedanken zu. Vor ihrem Tod hatte er ihr jedoch versprechen müssen, die Briefe zu lesen. Vor fünf Tagen war sie dann gestorben – aber noch immer hatte er es nicht fertiggebracht, den Brief zu öffnen.

Er hatte schlichtweg keine Zeit dafür gehabt. Es gab so viel zu erledigen, so viel zu besprechen und zu organisieren, dass ihm schließlich die Energie fehlte, sich darum zu kümmern.

Aber jetzt spürte er, dass der Moment gekommen war, an dem er sein Versprechen einlösen musste. Seit fünf Tagen trug er den Umschlag mit sich herum. Obwohl er voller böser Vorahnungen war, musste er einen Moment nutzen, in dem keine Termine und Verabredungen auf ihn warteten und er sich darauf einlassen konnte, die Nachricht zu lesen, die sie ihm hinterlassen hatte.

Nick seufzte. Dann riss er sich vom Anblick der Urne los und öffnete das Siegel auf dem zerknitterten Briefumschlag, zog das Papier heraus und begann zu lesen.

Unfassbar! Schock, Zorn und Verwirrung wechselten sich auf seinem Gesicht ab. Noch einmal las er den Brief, diesmal langsamer. Vielleicht hatte er sich ja getäuscht.

Wie sollte er das alles gleichzeitig verkraften? Ihren Tod und dann das? Das war definitiv zu viel, und er war nicht bereit, es zu akzeptieren.

Als er vor einigen Wochen definitiv gewusst hatte, dass sie bald sterben würde, hatte er sich völlig in sich selbst zurückgezogen und den Gedanken, zukünftig ohne sie zu sein, erfolgreich verdrängt.

Noch dazu, wo es das Resort gab, das sie mit seiner Hilfe angefangen hatte zu renovieren.

Und das ihn zu Silvia Lane geführt hatte.

Eine ganze Nacht lang war Silvia Lane, Architektin und Bauleiterin für das Resort, daraufhin mehr als nur eine flüchtige Bekannte gewesen.

Leidenschaftlich und verdammt sexy hatte er sie in lebendiger Erinnerung. So sexy, dass ihm noch jedes Detail ihrer Begegnung gegenwärtig war. Ihr langes rotes Haar, das über seine Haut streifte, ihr freches Grinsen, bevor sie sich aus ihrem engen Kleid befreite und es nachlässig auf den Boden fallen ließ. Und vor allem würde er nie vergessen, wie sie seinen Namen schrie, als sie den Höhepunkt erreichte.

In den vergangenen vier Wochen hatte sich diese Nacht wieder und wieder wie ein Film in seinen Gedanken abgespult. Am Morgen danach waren sie sich dennoch einig gewesen, dass es keine weiteren Nächte geben würde.

Sie war neu in der Stadt und gerade dabei, sich eine Karriere aufzubauen. Eine Beziehung zu einem Kunden war hierfür jedoch alles andere als eine gute Werbung. Und Nick brauchte wahrhaftig keine weiteren Komplikationen in seinem Leben.

Aber als es ihm schlecht gegangen war, hatte sie ihn getröstet. Und ein Teil von ihm wünschte sich, dass sie ihn auch weiterhin trösten würde.

Nick las sich den Brief seiner Mutter so lange durch, bis die einzelnen Buchstaben vor seinen Augen verschwammen. Am liebsten hätte er ihn in tausend Fetzen gerissen, als ob der Albtraum auf diese Weise ein Ende haben könnte. Aber so leicht würde er nicht davonkommen …

Dummerweise sagte seine Mutter immer die Wahrheit, und deshalb war ihm klar, dass sie ihn nie absichtlich verletzen würde. Nein, was sie ihm hinterlassen hatte, entsprach mit Sicherheit der Wahrheit.

Allerdings verstand er nicht, warum sie diese Wahrheit so lange vor ihm verborgen hatte. Und weshalb er sich jetzt allein damit herumschlagen musste, ohne dass sie ihm die vielen Fragen beantworten konnte, die ihm durch den Kopf gingen. Was hatte es zum Beispiel mit den geheimnisvollen anderen Briefen auf sich, die er noch bekommen sollte?

Nick fuhr herum, als er das Rascheln von Zweigen hinter sich hörte. Da war sie … Silvia, die Frau, die er seit dem One-Night-Stand nicht mehr gesehen hatte.

Silvia hatte Nick schon seit einer Weile beobachtet, während sie sich unter den Zweigen eines dicht belaubten Baumes verbarg. Nick hatte einige Minuten regungslos am Grab seiner Mutter gestanden, bevor er einen Briefumschlag hervorzog, den er eingehend betrachtete.

Silvias Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Energisch fasste sie ihren Schirm fester und beschloss, aus ihrem Versteck hervorzutreten. Schließlich wollte sie nicht wie eine Stalkerin hier stehenbleiben.

In den vergangenen fünf Tagen hatte sie vergeblich versucht, Nick zu erreichen. Als sie dann vom Tod seiner Mutter erfahren hatte, war ihr klar, dass es kaum einen schlechteren Zeitpunkt für ihre Neuigkeiten geben könnte. Nun verstand sie, warum er weder auf ihre Anrufe noch auf ihre Nachrichten reagiert hatte.

Der Grund war seine Trauer gewesen, nicht die Tatsache, dass sie ihr Versprechen gebrochen hatte, die Beziehung zwischen ihnen auf eine einzige Nacht zu beschränken. Nein, er war ganz in seinem Kummer versunken – wie in jener Nacht, die alles verändert hatte.

Silvia wäre gern zu ihm gegangen, um ihn zu trösten, doch jetzt war alles anders.

In den letzten paar Monaten hatten sie eine sehr gute Arbeitsbeziehung gehabt, aber eines Abends war Nick in seinem Büro wegen der Situation mit seiner Mutter zusammengebrochen, und eins hatte zum anderen geführt.

Schon vom ersten Augenblick an hatten sie sich beide zueinander hingezogen gefühlt. Nick hatte Silvia als Architektin für die Renovierung des Resorts seiner Mutter engagiert, und sie war durch und durch ein Profi. Niemals hätte sie sich anmerken lassen, welche erotischen Fantasien ihr durch den Kopf gingen, wenn sie Nick ansah. Bis zu jener Nacht …

Und nun stand sie hier, vor einem riesigen Scherbenhaufen. Wieso hatte sie ihm nicht widerstanden? Er wäre doch nicht der erste Mann gewesen, der von ihr einen Korb bekam. Wahrscheinlich war es seine Verletzlichkeit, die sie verführt hatte, zusammen mit seinem unglaublichen Sexappeal.

Silvia straffte sich, steckte eine Hand in die Manteltasche und tat den ersten Schritt. Der Regen und der graue Himmel entsprachen ziemlich genau ihrer Stimmung, als sie vorsichtig die Zweige beiseiteschob und auf Nick zutrat.

Erschrocken fuhr er herum. „Was machst du denn hier?“

Er sah sie forschend an, und sofort kam ihr die Erinnerung an den Abend im Büro, als sie ihre Besprechung von den Ledersesseln auf den riesigen Schreibtisch verlagert hatten … Seit damals hatten sie sich nicht gesehen, aber er hatte jeden Moment in ihren Gedanken herumgespukt.

Heute war er ungewohnt formell gekleidet. Normalerweise trug er Jeans und ein Freizeithemd, aber jetzt hatte er einen dunklen Anzug an und dazu ein passendes Hemd mit Krawatte. Sein Haar war wie immer perfekt gestylt, und sogar der Dreitagebart fehlte.

Was sie wirklich faszinierte, war die Brille mit dem dunklen Rand. Silvia lächelte unwillkürlich, als sie daran dachte, wie sie ihm die Brille beim Ausziehen von der Nase gefegt hatte.

Sie versuchte, sich zusammenzureißen. Schließlich war sie nicht gekommen, um mit Nick Versöhnung zu feiern. Keiner von ihnen konnte es sich leisten, tiefer in die Sache einzusteigen, als es schon geschehen war. Damals war er einfach verschwunden, und Silvia hatte entsetzlich unter dem Verlust gelitten.

Nun musste sie ihm im unpassendsten Augenblick ein Geheimnis anvertrauen, das ihn sicher nicht erheitern würde. Aber Silvia hatte in ihrem Leben nie gelogen und würde gewiss nicht jetzt damit anfangen. Auch wenn es für Nick schwer werden würde.

„Ich habe dich gesucht“, sagte Silvia. „Während der Trauerfeier wollte ich nicht in Erscheinung treten. Hier waren so viele Menschen … ich weiß, dass ich eigentlich nicht dazugehöre, aber ich musste kommen.“

„Ich habe dich angerufen und Nachrichten geschickt“, fuhr sie fort. „Und irgendwann war mir klar, dass ich dich nur hier sprechen konnte.“

Er fuhr sich über das Gesicht, das vom Regen nass war. Tropfen perlten von seiner Brille ab. „Was möchtest du besprechen? Ich fürchte, die Arbeit muss warten. Ich weiß schon, dass das Projekt eilig ist, aber …“

„Es geht nicht um das Projekt“, unterbrach ihn Silvia. „Die Sache ist rein privat.“

Er presste die Lippen aufeinander. „Wir können uns im Auto unterhalten.“

Silvia sah schuldbewusst zu Boden. Wenn es nicht so dringend gewesen wäre, hätte sie ihn niemals in diesem Moment gestört. Er war dabei, sich von seiner Mutter zu verabschieden, und sie bat um ein Gespräch. Wie unpassend.

„Ich warte in meinem Wagen“, sagte sie. „Lass dir Zeit.“ Damit drehte sie sich um und ging den Weg zurück, den sie gekommen war.

Nick sah ihr schweigend nach.

Silvia stapfte zu ihrem Auto und ließ sich schwer atmend auf den Fahrersitz fallen. Immerhin hatte sie ihr erstes Ziel erreicht. Sie hatte Nick um ein Gespräch gebeten, und er war damit einverstanden. Jetzt musste sie nur noch warten, ohne die Nerven zu verlieren. Es nützte niemandem, wenn sie emotional oder sogar hysterisch werden würde. Nein, sie würde so professionell wie immer bleiben. Egal, ob es sich um ihr berufliches oder ihr privates Leben handelte. Haltung war das Wichtigste.

Sie hatte gerade erst ein paar Minuten gewartet, als Nick schon die Beifahrertür öffnete.

„Ich bin nass bis auf die Haut“, sagte er. „Fahr hinter mir her, ja? Ich ziehe mich zu Hause um, und dann können wir reden.“

Bevor sie antworten konnte, hatte er die Tür zugeschlagen. Silvia lehnte sich seufzend an die Kopfstütze. Sie hatte gut überlegt, bevor sie Nick zum Friedhof gefolgt war. Zum einen wollte sie nicht in seinem Haus sein, wenn sie ihm die Neuigkeiten überbrachte, zum anderen wollte sie nicht länger warten.

Also tat sie es auch nicht.

Sie stieg aus, zog ihren Gürtel fester um den Trenchcoat und stapfte ihm hinterher. Kurz bevor er seinen schwarzen SUV erreicht hatte, holte sie ihn ein.

„Ich kann nicht länger warten“, sagte sie. „Wir müssen jetzt sofort reden.“

Erstaunt drehte er sich um. Er war es nicht gewohnt, dass man seine Anweisungen nicht befolgte. Aber Silvia hatte keine Lust mehr zu warten und das Geschehene nur mit sich selbst abzumachen. Wenn es etwas zu erledigen gab, dann tat sie es gleich, und nun war sie bereit, sich mit Nick auseinanderzusetzen und die Dinge zu akzeptieren, die unausweichlich auf sie zukommen würden.

Es gab keinen passenden Zeitpunkt für das, was sie sagen musste, also sagte sie es sofort. „Ich bin schwanger.“

Nick drehte sich schweigend zu ihr um. Seine Miene war versteinert.

Silvia hielt die Luft an, aber nichts geschah.

„Nick?“

„Wir treffen uns bei mir.“

Damit drehte er sich um, stieg in seinen Wagen und fuhr davon.

Silvia schüttelte den Kopf. Die erste Lektion, die Nick Campbell zu lernen hatte, begann jetzt. Sie ließ sich von keinem Menschen sagen, was sie zu tun hatte.

2. KAPITEL

Dieser Tag musste wohl der schlimmste seines Lebens sein.

Zuerst hatte er seine Mutter begraben. Dann las er ihren Brief, den sie ihm hinterlassen hatte und dessen Inhalt ihn schockierte und ratlos machte.

Und als drittes Highlight hatte ihm die Architektin, die das Millionenprojekt seiner Mutter betreute, gerade offenbart, dass sie schwanger war. Nach dem einzigen One-Night-Stand seines Lebens! Er konnte es nicht fassen.

Mit erstarrter Miene lenkte Nick den SUV auf die lange, kurvenreiche Auffahrt, die zu seinem privaten Anwesen in den Bergen führte. Vor einigen Jahren erst hatte er sich dieses Haus gebaut. Von hier aus konnte er den ganzen Nationalpark überblicken. Great Smoky Mountains National Park war für ihn immer ein magischer Ort, an den er sich flüchten konnte, wenn ihm sein hektisches Leben als erfolgreicher Geschäftsmann und Investor zu viel wurde.

Aber heute konnte selbst der Anblick des komfortablen Steinhauses, dessen Zufahrt von hohen Tannen gesäumt war, seine aufgewühlte Seele nicht beruhigen. Ein Kind. Wie konnte das passieren? Schuldgefühle machten sich in ihm breit.

Er würde also Vater werden. Dabei wusste er absolut nichts über Kinder. Und er hatte nie eine eigene Familie gewollt. Darüber hinaus kannte er die Frau kaum, mit der er nur ein einziges Mal intim geworden war. Gut, er hatte sie von Anfang an attraktiv gefunden, und sie hatten hervorragend zusammengearbeitet. Sie hatte eine schnelle Auffassungsgabe und war eine begabte Architektin mit wunderbaren Ideen für das Resort, das im Herbst im Nationalpark errichtet werden sollte.

Sogar seine Mutter hatte Silvia angebetet. Die beiden waren ein Herz und eine Seele gewesen, als es darum ging, ein in allen Details luxuriöses, aber dennoch gemütliches Resort zu gestalten, das perfekt in die Bergwelt von Great Smoky Mountains passte.

Nick war froh gewesen, seine Mutter in ihren letzten Tagen so glücklich zu sehen, aber dass Silvia demnächst eine ganz andere Rolle in seinem Leben spielen würde, hatte er sich nicht gewünscht.

Sie betraten ausgesprochen gefährliches Terrain, falls er tatsächlich der Vater des Kindes war – aber Nick war sicher, dass Silvia ihm die Wahrheit sagte. Sie war absolut vertrauenswürdig, sonst hätte er sie für den Job nicht ausgesucht … und er hätte nicht mit ihr geschlafen.

Er parkte den Wagen in der Garage und ließ das Tor für Silvia offen. Was sollte er ihr nur sagen? Selbst an einem guten Tag hätten ihm vermutlich die passenden Worte gefehlt, doch heute war er einfach wie gelähmt.

Seufzend stieg er aus und schlüpfte aus seinem Jackett. Dann nahm er die Krawatte ab, öffnete die obersten Knöpfe seines Hemdes und rollte die Ärmel hoch. So ein Anzug fühlte sich für ihn wie eine Zwangsjacke an, die man schnellstmöglich loswerden musste.

In dem Moment vibrierte sein Mobiltelefon. Es war das Büro von Rusty Lockwood, von dem er seit Wochen einen Termin für ein Treffen erwartete. Nun mussten die Leute ausgerechnet heute anrufen, an dem Tag, an dem Nicks Welt auseinandergebrochen war.

Rusty Lockwood war ein Reizwort für Nick. Rustys Firma „Lockwood Lightning“ beherrschte den Sektor für die Vergabe von Alkohollizenzen und regierte mit eiserner Hand. Jeder, der Lockwood zu ignorieren versuchte, wartete vergeblich auf eine Lizenz. Wie Nick, der von Rusty bisher keine Lizenz für das Resort seiner Mutter erhalten hatte.

Verdammt. Er hasste Rusty.

Aber im Moment ging es um wichtigere Dinge. Silvia war hinter ihm in die Garage gefahren und stand nun neben seinem Wagen.

„Was war das?“, fauchte sie. „Ich erzähle, dass ich schwanger bin, und du fährst einfach weg?“

„Sollten wir das Thema etwa auf dem Friedhof besprechen?“, gab Nick ungehalten zurück. Er fühlte sich unsicher und verwirrt.

Als Silvia ihn nur wortlos ansah, drehte er sich um und ging ins Haus. Die Tür ließ er hinter sich für Silvia offenstehen. Eigentlich wusste er, dass er sich wie ein Idiot benahm, aber seine Gefühle spielten verrückt, und er bekam sie noch nicht unter Kontrolle.

Er holte tief Luft. So eine Behandlung hatte Silvia nicht verdient. Und als sie hinter ihm in die Küche trat, fiel ihm zum ersten Mal auf, dass sie völlig durchnässt war. Genau wie er, aber er hatte es nicht einmal bemerkt.

„Ich hole ein paar Handtücher“, murmelte er und verschwand.

Aus dem Badezimmer nahm er noch einen flauschigen weißen Bademantel vom Haken, bevor er zu Silvia zurückging.

Sie stand im Flur.

„Rennst du vor mir weg?“, fragte sie und versperrte ihm den Weg.

Er gab ihr den Bademantel und ein Handtuch. „Unsinn“, sagte er. „Wir sollten trocken werden.“

Silvia riss ihm die Sachen aus der Hand und starrte ihn an. Sogar mit völlig durchnässten Haaren und der Kleidung, die ihr am Körper klebte, war sie eine unglaublich attraktive Erscheinung, die seinen Puls deutlich erhöhte.

Nick hatte oft überlegt, wie ein Zusammentreffen mit Silvia nach jener Nacht verlaufen würde. Jetzt wusste er es. Die Anziehung zwischen ihnen hatte kein bisschen nachgelassen, und er begehrte sie ebenso wie zuvor.

„Es tut mir leid“, sagte er. „Ich will nicht unhöflich sein. Aber irgendwie kann ich gerade keinen klaren Gedanken fassen.“ Hilflos fuhr er sich mit dem Handtuch über den Kopf. „Also … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Ich auch nicht“, meinte Silvia, während sie sich Gesicht und Haar mit dem Handtuch abtrocknete. „Ich hatte versucht, dich zu erreichen, aber du warst natürlich mit deiner Mutter beschäftigt. Und zur Beerdigung wollte ich überhaupt nicht erscheinen, doch ich wusste, dass ich dich dort antreffen würde. Als alle gegangen waren, hoffte ich, dich sprechen zu können.“ Sie schwieg einen Augenblick. „Du sollst wissen, dass ich nichts von dir erwarte“, fuhr sie schließlich fort. „Wenn du lieber kein Teil unseres Lebens sein willst, brauchst du das nur zu sagen. Ich stelle dir keine Fallen oder so etwas …“

„Halt.“

Nick ließ sein Handtuch zu Boden fallen und nahm Silvias in die Hand. Sie hatte sich den Bademantel über den Arm gehängt, aber ihr Haar und das Gesicht waren noch immer pitschnass. Sie wandte keinen Blick von ihm, als er anfing, ihr Haar trocken zu rubbeln.

Nick merkte, wie er auf die Berührung mit Silvia reagierte. So war es immer, wenn sie in der Nähe war. Der Gedanke an das Kind, das sie in sich trug, schreckte ihn komischerweise gar nicht ab, sondern steigerte sein Begehren noch.

Um sich zu beruhigen, trat er einen Schritt zurück.

„Meine Mutter hat mich ganz allein großgezogen“, sagte er rau. „Sie hat immer gekämpft, manchmal hatte sie zwei Jobs gleichzeitig, aber ich kann mich nicht erinnern, dass sie auch nur eins meiner Spiele verpasst hätte. Sie war mein größter Fan und hat mich immer angefeuert. Irgendwie hat mir mein Vater nie gefehlt. Sie war wirklich eine ganz erstaunliche Frau.“

Es fiel ihm schwer, von ihr in der Vergangenheitsform zu sprechen. Eigentlich sollte sie doch hier sein und die letzten Pläne für ihr wunderbares Hotel umsetzen, das sie immer eröffnen wollte. Es war ihr Lebenstraum gewesen, den sie nun nie verwirklichen konnte. Und was hätte sie zu ihrer neuen Rolle als Großmutter gesagt?

Nick schluckte. „Als ich älter wurde, habe ich immer ihre Energie und ihr Durchsetzungsvermögen bewundert. Ich glaube, dass ich unendlich viel von ihr gelernt habe und deshalb heute so erfolgreich bin.“

„Gibst du gerade ein bisschen an?“ Silvia grinste.

„Überhaupt nicht. Ich stelle nur fest, was eine Tatsache ist. Übrigens glaube ich, dass du genauso ehrgeizig und willensstark bist wie sie.“

Silvia sah ihn erstaunt an. „Aha. Tja … vielen Dank. Ich nehme das als Kompliment.“

„Hör zu, Silvia“, sagte Nick und legte seine Hände auf ihre Schultern. „Ich lasse dich nicht im Stich. Du kannst dich auf mich verlassen. Das Kind wird nicht wie ich ohne Vater aufwachsen.“

Er wartete auf eine Antwort, doch Silvia schwieg. Nick schaute sie fragend an. Er bewegte sich hier auf völlig unbekanntem Terrain, aber ganz sicher würde er nicht vor seiner Verantwortung davonlaufen. Und auch, wenn er keinen Vater gehabt hatte, würde er sich bemühen, ein möglichst guter zu sein.

Natürlich würde das alles kein Geheimnis bleiben. Wenn er die Elternschaft mit Silvia teilen wollte, musste er ihr auch in der Öffentlichkeit zur Seite stehen.

„Ich würde dich nie ausschließen“, sagte Silvia, „aber das Wohl des Kindes wird für mich immer an erster Stelle stehen. Wenn du also die Vaterrolle ausfüllen möchtest, dann bitte nicht nur für eine Weile, sondern richtig. Ansonsten würde ich es vorziehen, dass du gar nicht erst im Leben des Kindes auftauchst.“

„Ich verstehe. Aber keine Sorge, ich gehöre nicht zu den Männern, die irgendwann einfach verschwinden.“ Er würde ihr beweisen, dass man sich auf ihn verlassen konnte, denn er hatte vor, immer für sein Kind da zu sein. Zum ersten Mal in seinem Leben würde die Arbeit erst an zweiter Stelle stehen.

Auch wenn seine Welt durch den Verlust seiner Mutter ins Taumeln geraten war, hatte Silvia geduldig auf eine passende Gelegenheit gewartet, um mit ihm zu sprechen. Das rechnete er ihr hoch an.

„Wie fühlst du dich?“, fragte er.

„Insgesamt geht es mir relativ gut“, antwortete sie. „Ich bin zwar etwas müde, aber mir ist nicht übel oder so etwas.“

Auf jeden Fall sah sie umwerfend aus. Keine Ringe unter den Augen, keine blasse Haut. Silvia Lane war in jeder Hinsicht eine besondere Frau, sogar wenn sie völlig durchnässt und noch dazu schwanger war.

Und wäre er nicht einen Moment schwach gewesen, und hätte er außerdem nicht ein paar Gin Tonic zu viel getrunken, dann wäre die sexy Architektin nicht auf seinem Schreibtisch gelandet.

Nick war das Gegenteil von dem, was Silvia verkörperte. Während ihr Leben vermutlich aus eleganten Dinnerpartys und Bällen mit einflussreichen, schönen Menschen bestand, war er ein Junge aus den Bergen, der meist vor dem Fernseher eine Mahlzeit aus der Tiefkühltruhe gegessen hatte. Er hatte zwar so viel Geld, dass er es nie ausgeben konnte, aber seine Wurzeln waren die eines Jungen aus einfachsten Verhältnissen mit einer alleinerziehenden Mutter.

„Was war das für ein Brief, den du vorhin gelesen hast?“, unterbrach Silvia seine Gedanken.

„Was?“

„Auf dem Friedhof. Du hattest einen Brief in der Hand und schienst völlig schockiert zu sein.“

Ja, sie hatte recht. Es hatte ihn umgehauen, dass er erst jetzt erfahren hatte, was in dem Brief stand.

Rusty Lockwood, der größte Mistkerl auf Erden, war sein leiblicher Vater.

Nick verachtete den Mann, mit dem er das ganze letzte Jahr einen Kampf nach dem anderen ausgefochten hatte. Jeder in Tennessee kannte Rusty und seine widerwärtigen Geschäftsmethoden. Seine Whiskydestillerie zog jedes Jahr Tausende von Touristen an, aber er stand immer im Ruf, illegale Geschäfte zu machen.

Nick würde seinen Privatjet darauf verwetten, dass Lockwood nicht einen einzigen richtigen Freund hatte. Er war hinterhältig und gerissen, und seine Millionen stammten aus dem Verkauf von Whisky auf dem Schwarzmarkt, lange bevor Backwoods Moonshine legal verkauft werden durfte. Nur seinen guten Beziehungen hatte er es zu verdanken, dass er noch nicht ernsthaft mit dem Gesetz in Konflikt geraten war.

Und jetzt mischte er in Nicks Angelegenheiten mit. Nick ballte die Fäuste. Dieser Mann musste so schnell wie möglich gestoppt werden.

Wieso hatte sich seine Mutter mit diesem Typen abgegeben? Hatte er sie nur benutzt, oder war es eine echte Beziehung gewesen?

Nick rief sich den letzten Teil des Briefes in Erinnerung:

Ich weiß, das ist ein Schock für dich, aber es ist die Wahrheit. Liebend gerne würde ich dir einen anderen Namen nennen, doch es gibt keinen. Sei vorsichtig. Rusty ist hinterhältig und gemein, aber ich kann meine Vergangenheit nicht bereuen, denn du bist das größte Geschenk, das ich je hatte.

Er hat mir fünfzigtausend Dollar gezahlt, damit sein Name nicht auf deiner Geburtsurkunde erscheint. Ich bin froh, das Geld genommen zu haben, denn nur so konnte ich uns das kleine Haus kaufen, in dem du aufgewachsen bist.

Über die Jahre habe ich herausgefunden, dass er zwei weitere Söhne hat, von denen er vermutlich gar nichts weiß. Vielleicht findet ihr eines Tages zueinander. Ich habe ihnen auch Briefe geschickt, aber natürlich muss man es ihnen überlassen, was sie damit anfangen wollen.

Nick, bleib, wie du bist, und baue für mich das Resort zu Ende. Ich wüsste keinen anderen, dem ich mehr vertrauen würde als dir.

In Liebe, Deine Mutter

Nick schreckte aus seinen Gedanken hoch. Vor ihm stand Silvia, die ihn noch immer schweigend ansah.

„Nein, es war … nichts“, log er.

Das Leben, das er bisher geführt hatte, war vorbei. Jetzt musste er neue Entscheidungen fällen, die sowohl seine Vergangenheit als auch seine Zukunft betrafen.

3. KAPITEL

„Und denken Sie daran, dass ich es bis heute Abend brauche“, sagte Clark augenzwinkernd. „Sicher wollen Sie sich Ihre Probezeit so kurz vor Toresschluss nicht vermasseln.“

Silvia starrte noch auf die Tür, nachdem ihr Boss längst dahinter verschwunden war. Sie hasste dieses Zwinkern, das immer so aussah, als würde er gleich mit dem Luftgewehr auf irgendetwas schießen. Ganz zu schweigen von seinem schrecklichen Lachen. Alles an ihm ging ihr einfach nur auf die Nerven. Andererseits war sie in Green Valley, Tennessee, noch ziemlich neu und brauchte den Job. Sie war aus Charlotte hierhergezogen, um ein bisschen näher an den Bergen zu sein, die sie schon als Kind so sehr geliebt hatte.

Clark war wirklich nicht der Chef, den sie sich erträumt hatte, aber diese Firma war die beste in Tennessee, und sie war froh, den Job zu haben. Sie war die einzige Frau im ganzen Büro, und obwohl sie sich gern einbildete, dass es nur an ihrer hervorragenden Qualifikation lag, wusste sie natürlich, dass damit die Frauenquote erfolgreich erfüllt war.

Silvia hatte ihrem Boss noch nicht gesagt, dass sie ein Kind erwartete. Bis jetzt konnte keiner etwas ahnen, und sie würde gern die Probezeit beenden, ohne dass sie Clark etwas sagen musste. Solange es ging, würde sie ihr Privatleben für sich behalten …

Nick hatte sie seit dem Begräbnis seiner Mutter am Vortag weder gesprochen noch gesehen. Zumindest wusste er jetzt von dem Baby. Und sie wusste, dass sie sich trotz ihrer Hormone nicht weniger zu ihm hingezogen fühlte.

Als er mit dem Handtuch ihr Haar getrocknet hatte, war ihr Körper in heller Aufregung gewesen. Dieser Mann hatte ihr die tollste sexuelle Erfahrung geschenkt, die sie in ihrem ganzen Leben bekommen hatte. Und dann diese Brille …

Silvia holte tief Luft. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass sie Menschen wie ihren Boss nicht mehr ertragen konnte.

Nick war so anders. Ihm war es wichtig, was sie für Ideen hatte und wie sie sie umsetzen wollte. Nicht umsonst hatte er sie für das spezielle Projekt seiner Mutter engagiert.

Sie spürte, dass er sie respektierte. Ihre Liebesnacht war nicht geplant gewesen, sondern es war Nicks Verletzlichkeit an jenem Abend gewesen, die zu der Situation geführt hatte. In dem Moment hatte sie sich sicher gefühlt und ihren Gefühlen nachgegeben, sich genommen, was sie wollte.

Und nun war sie schwanger. Einmal in ihrem Leben war sie ein wenig vom Pfad der Tugend abgewichen, und schon war es passiert. Ihr Leben hatte sich ab sofort für immer verändert.

Aber sie bedauerte nichts. Dafür hatte sie gar keine Zeit. Entschlossen stand sie auf und streckte sich. Wie schade, dass ihr winziges Büro nicht wenigstens ein Fenster hatte. Der Blick auf die Berge musste traumhaft sein.

Seufzend nahm sie ihr Handy aus der Tasche, verschloss die Tür, um keine ungebetenen Besucher zu bekommen, und wählte die Nummer der gynäkologischen Praxis. Ihre Hände zitterten, während sie das Telefon fest umklammert hielt. Natürlich machte sie regelmäßig Termine bei Ärzten, aber das hier war etwas anderes.

Man schlief nicht mit einem Kunden, schon gar nicht, wenn man in der Firma gerade erst angefangen hatte … Doch ihre Selbstvorwürfe nützten jetzt nichts. Sie würde auf jeden Fall professionell mit der Sache umgehen.

Silvia war bei Pflegeeltern aufgewachsen, vielleicht kam daher ihr Ehrgeiz, alles immer besonders gut machen zu wollen. Sie hatte ständig das Gefühl, sich beweisen zu müssen, auch wenn von außen überhaupt kein Druck auf sie ausgeübt wurde. So war es schon immer gewesen. Stets musste sie das Beste geben.

Nachdem sie den Termin vereinbart hatte, fühlte sie sich besser. Sie würde ihr Leben in die Hand nehmen, wie sie es gewohnt war, und sich allen Herausforderungen stellen.

Nachdem Silvia die Universität mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, war sie in ihrem Beruf eine der besten, doch in der Rolle einer zukünftigen Mutter fühlte sie sich völlig unsicher. Es war wichtig, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sie hatte in ihrer Kindheit gelernt, wie es war, von einer Familie in die andere abgeschoben zu werden, und würde alles daransetzen, ihrem Kind ein besseres Leben zu geben. Eines, in dem es sich nicht jeden Tag fragen musste, wo es wohl in dieser Nacht schlafen würde und ob es irgendwo jemanden gab, der es liebte.

Gewaltsam schüttelte Silvia die Gedanken an ihre Vergangenheit ab und wandte sich ihrem Computer zu. In ihrem Kalender war für den Nachmittag ein Treffen mit Nick vermerkt. Sie wollten eigentlich die Pläne für das Resort weiter besprechen, aber gestern hatten sie nicht darüber geredet, und vielleicht würde er den Termin lieber verschieben. Schließlich hatte er gerade erst seine Mutter begraben und auch noch erfahren, dass er Vater wurde. Das war ziemlich viel auf einmal.

Andererseits war Nick vermutlich jemand, der sich lieber in die Arbeit stürzte als in Grübeleien zu verfallen. Und dieses Projekt war ganz speziell Lori Campbell gewidmet, die es sich immer gewünscht hatte, ein elegantes, luxuriöses Hotel in den Bergen zu besitzen. Nick würde zusammen mit Silvia dafür sorgen, dass der Traum seiner Mutter wahr wurde.

Lori war eine Frau ganz nach Silvias Geschmack gewesen. Obwohl sie zu dem Zeitpunkt schon unheilbar krank war, ließ sie es sich nicht nehmen, wann immer es möglich war, bei den Besprechungen dabei zu sein. Einige Meetings hatten sie auch per Videokonferenz durchgeführt, sodass Lori ihre Ideen und Wünsche mit einbringen konnte. Sie war kreativ und willensstark, Eigenschaften, die Silvia immer bewundert hatte. Und sie hatte es geschafft, als alleinerziehende Mutter ihrem Sohn die besten Chancen auf ein erfolgreiches und erfülltes Leben mitzugeben.

Nach ihrem One-Night-Stand hatte sich Silvia Sorgen darüber gemacht, ob sie überhaupt mit Nick weiter gemeinsam an dem Projekt arbeiten konnte. Sie hatte ihr Privatleben immer strikt von ihrem Beruf getrennt, und ihr neuer Job war das Sprungbrett in eine Karriere als Architektin. Noch dazu war sie nun an einen Ort gezogen, an dem sie niemanden kannte.

Wie sollte es weitergehen?

Auf jeden Fall wusste sie eins schon jetzt ganz genau: Eine einzige leidenschaftliche Nacht mit Nick würde niemals genug sein.

Nick parkte den Wagen vor dem Gebäude, in dem das Resort entstehen sollte, und stellte den Motor ab. Es hatte ihn unendlich viel Überwindung gekostet, das Treffen mit Silvia einzuhalten, statt Rusty Lockwood auf der Stelle gegenüberzutreten.

Aber es war vermutlich besser, die Sache erst einmal in Ruhe auf sich wirken zu lassen. Er brauchte vor allem einen guten, effektiven Plan, um Lockwood den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Der Streit um die Alkohollizenz war erst der Anfang gewesen. Von Rustys schmutzigen Fingern würde sich Nick das Vermächtnis seiner Mutter nicht kaputt machen lassen.

Er hasste Menschen wie Rusty Lockwood, die glaubten, mit Macht und Geld alles erreichen zu können. Mit Vergnügen würde Nick ihn aus dem Ring stoßen.

Doch er durfte sich nicht zu unüberlegten Handlungen hinreißen lassen. Die Neuigkeiten, die er durch den Brief seiner Mutter erfahren hatte, musste er geschickt einsetzen.

Ohnehin würde er Rusty demnächst beim Pokerspielen treffen. Er hatte davon erfahren, dass jeden Freitag im Hinterzimmer der „Rogue Wingman Bar“ ein Spiel stattfand, an dem die lokalen Größen teilnahmen. Natürlich auch Rusty Lockwood. Aber diesmal wollte auch Nick dabei sein.

Hinter der Windschutzscheibe tauchte jetzt eine Person mit langen roten Haaren auf. Silvia Lane war gerade aus der Tür des alten historischen Gebäudes getreten, in dem sie sich für heute verabredet hatten. Sie trug einen schwarzen Jumpsuit, in dem sie unglaublich sexy aussah.

Nick schluckte. Er liebte die dichte rote Mähne von Silvia und erinnerte sich noch genau an das Gefühl der seidigen Haare auf seiner Haut …

Eine Nacht mit Silvia Lane war einfach nicht genug, wenn er jetzt noch daran dachte, wie es mit ihr gewesen war.

Während sie die Augen mit der Hand gegen das Sonnenlicht abschirmte, sah sie an dem Gebäude hoch. Der warme Frühlingswind ließ die dichten Locken auf ihrem Rücken tanzen.

Nick zog den Schlüssel ab und öffnete die Autotür. Er hatte zwar noch keine Ahnung, wie er mit seinen neuen Rollen umgehen sollte, aber wenigstens das Projekt seiner Mutter hatte er unter Kontrolle, und er würde alles tun, um es perfekt zu Ende zu bringen. Dass Lockwood sein Erzeuger war, er selber bald Vater werden würde, vermutlich zwei Halbbrüder hatte und es eine höchst attraktive Frau gab, die ihm ständig durch den Kopf spukte, musste er erst einmal so hinnehmen. Nach und nach würde sich der Tumult in seinem Leben schon legen.

Seine Mutter hatte ihr Leben lang hart gearbeitet und Nick oft von ihrem Wunsch erzählt, einmal in einem eleganten Hotel zu wohnen und aus dem Fenster ihres Zimmers den Sonnenaufgang in den Bergen zu beobachten. In Tennessee war sie durch ihren Job als Zimmermädchen in einem der örtlichen Hotels gelandet und hatte so das Geld verdient, um Nick die beste Ausbildung zu ermöglichen.

Er hatte so sehr gehofft, dass sie die Erfüllung ihres größten Traums noch erleben würde, aber das Schicksal hatte es anders entschieden.

Silvia war schon wieder im Haus verschwunden, als Nick an die Tür kam. Er war sehr gespannt darauf zu sehen, wie weit fortgeschritten das Projekt inzwischen war. Seit sich der Zustand seiner Mutter immer weiter verschlechtert hatte und er sie schließlich begraben musste, hatte er keinen Fuß mehr in das zukünftige Resort gesetzt.

Als er durch die alten, mächtigen Holztüren trat, stockte ihm der Atem. Er hatte nicht erwartet, eine so große Baustelle vorzufinden. Fast alles – bis auf die große geschwungene Holztreppe, in die Lori sich sofort verliebt hatte und die sie unbedingt in den Originalzustand zurückversetzen wollte – war abgerissen und lag als Bauschutt umher.

Ein leiser Fluch drang hinter der Treppe hervor.

„Silvia?“

Nick taste sich vorsichtig über den Holzboden.

„Ich bin hier hinten“, rief sie zurück.

Nick folgte dem Klang einiger weiterer Flüche, bis er Silvia erspähte, die sich bemühte, einen großen Riss in ihrem Jumpsuit mit der Hand zusammenzuhalten. Das gelang ihr nur teilweise, sodass Nick der schmale rote Streifen ihres Tangas sofort ins Auge fiel. Wenn er sich recht erinnerte, hatte er diesen Tanga schon einmal aus der Nähe gesehen …

Aber dann entdeckte er eine hässliche Schramme an Silvias Hüfte. Er stieg über einige übereinandergestapelte Bretter und nahm die Wunde in Augenschein.

„So ein Mist“, schimpfte Silvia.

Nick nahm ihre Hand weg. „Wie ist denn das passiert?“, fragte er, während er den tiefen Schnitt untersuchte.

„Der Stapel dort drüben“, erklärte sie gereizt. „Ich habe nicht gesehen, dass ein Brett hervorstand.“

„Und einen Helm trägst du auch nicht“, sagte Nick vorwurfsvoll, während er sich aufrichtete.

„Du auch nicht“, konterte sie.

„Ich bin seit Wochen nicht hier gewesen und hatte keine Ahnung, wie es mittlerweile aussieht. Du schon.“ Er hatte weder Lust noch die Energie, sich mit ihr zu streiten.

Silvia schüttelte den Kopf. „Mein Helm liegt bei meinen Sachen“, verteidigte sie sich. „Du kannst dich entspannen. Die anderen kommen erst später, es wird also keiner mitbekommen. Ich weiß, wie ich meinen Job zu machen habe.“

„Dann setz den verdammten Helm auf.“

„Meinst du, dann hätte ich mich nicht verletzt?“, fauchte Silvia genervt. „Hör zu, heute ist vielleicht kein guter Tag für ein Treffen. Wir können einen neuen Termin finden und …“

„Nein.“

Er wollte keinen neuen Termin, und er wollte sich nicht von ihr sagen lassen, was er zu tun hatte. Der einzige Weg, um wieder in eine Art von Normalität zurückzufinden, war Arbeit. Also würde er arbeiten.

Nachdem er viele Jahre lang mit seiner Mutter in Armut gelebt hatte, war er heute ein sehr erfolgreicher Investor und Restaurator. Er hatte sich einen Namen gemacht und war stolz auf das, was er leistete.

Sein Privatleben war eine Sache, an der er noch arbeiten musste, aber nun würde er sich um die Frau kümmern, die sein Baby erwartete.

„Alle hätten Verständnis, wenn du dir eine Weile frei nehmen würdest“, meinte Silvia leise.

Er hasste Mitleid. In seiner Kindheit bemitleidete man ihn, weil er arm war, schlechte Kleidung trug und keinen Vater hatte. Irgendwann hatte er sich durch das Netz von Mitleid hindurchgekämpft, das ihn so lange niedergedrückt hatte, und war seinen Weg gegangen. Er bekam ein Stipendium für die Universität, machte in der Hälfte der üblichen Zeit seinen Abschluss, investierte sein Geld und wurde reich. Irgendwann konnte er damit anderen helfen, die nicht so viele Möglichkeiten hatten.

„Ich denke nicht daran“, erwiderte er. „Meine Mutter hat sich nie ausgeruht, und das habe ich auch nicht vor. Wir machen weiter.“

Bevor Silvia etwas erwidern konnte, fuhr er fort. „Hol deinen Helm. Oder warte, du solltest besser deine Wunde versorgen lassen. Wenn du ins Büro zurückwillst, kann ich hier auf den Vorarbeiter warten.“

Silvia funkelte ihn böse an. Sie straffte sich und hob das Kinn.

Nick war verwirrt. Was hatte er falsch gemacht?

4. KAPITEL

Wenn Nick Campbell sich einbildete, dass er über sie bestimmen konnte, nur weil sie sein Kind bekommen würde, dann irrte er sich gewaltig. So ließ sie nicht mit sich umspringen. Aber Silvia war ein großzügiger Mensch, außerdem wusste sie, dass er gerade harte Zeiten durchmachte, also würde sie es ihm nachsehen.

„Mein Büro ist dort, wo ich arbeite und meine Entwürfe mache“, sagte sie ruhig. „Wo ich Kunden das erste Mal empfange oder E-Mails beantworte. Aber wenn ich mich vor Ort mit dem Kunden verabrede, dann muss ich zwangsläufig auch dort sein. Bis jetzt warst du doch mit meiner Arbeit zufrieden, oder?“

„Natürlich, aber da warst du ja auch noch nicht schwanger … mit meinem Baby, meine ich.“

Obwohl seine Besorgnis irgendwie rührend war, versuchte Silvia das Thema zu beenden. Jeden Moment konnte jemand hereinkommen und irgendwelche Satzfetzen aufschnappen. Zurzeit musste sie aber ihre Schwangerschaft unbedingt noch geheim halten.

Sie hatte zu hart für ihre Position gearbeitet, um sie jetzt aufs Spiel zu setzen. Es war schon schlimm genug, dass sie mit einem Kunden ins Bett gegangen war. Noch unprofessioneller ging es ja kaum noch.

Allerdings musste sie zugeben, dass die Nacht mit Nick ihr den besten Sex ihres Lebens beschert hatte. Leidenschaftlich und hemmungslos hatten sie sich geliebt, und sie hatte jede Vorsicht beiseitegelassen. Als Konsequenz hatte sich alles in ihrem Leben geändert. Sie musste sich nicht nur in ihrem Job beweisen, sondern auch noch einen Weg finden, eine gute Mutter zu werden.

„Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen“, sagte Silvia. „Wenn du dir um meine Gesundheit Gedanken machst, solltest du lieber dafür sorgen, dass mein Blutdruck nicht unnötig steigt. Das tut er nämlich, wenn du mich nicht in Ruhe lässt.“

Nick konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während er sich wortlos umdrehte und zu ein paar aufgeschichteten Brettern ging, auf denen sie ihre Sachen abgelegt hatte. Er griff sich den Helm und drückte ihn Silvia auf den Kopf.

„Und jetzt gib mir bitte einen Bericht über die letzten Wochen.“

Verdammt. Wieso brach er den Streit jetzt einfach ab? So konnte sie ihm doch unmöglich böse sein!

Kein Wunder, dass sie ihn nicht aus dem Kopf bekam. Er war immer fair und benahm sich nie unhöflich. Und die Blicke, die er ihr zuwarf, seit das Projekt begonnen hatte, waren eindeutig, aber nicht aufdringlich. Zwischen ihnen war es stets professionell zugegangen … bis auf das eine Mal.

So ganz verstand sie selber nicht, wieso eine einzige Nacht ihr derart den Kopf verdrehen konnte. Wieso begehrte sie Nick immer noch so sehr? Sie hatten sich doch darauf geeinigt, dass es bei einer Nacht bleiben würde. Jetzt allerdings gab es das Baby.

Aber für romantische Gesten war kein Platz in ihrem Leben, weder in ihrem noch in Nicks. Beide waren mit ihren Berufen verheiratet und hatten kein Interesse an einer festen Beziehung. Das eigene Leben war schon schwierig genug, da brauchte man sich keine weiteren Probleme aufzuladen.

„Wie du siehst, ist der ganze Müll aus der Lobby entfernt worden. Alles, was restauriert und hinterher wiederverwendet werden soll, haben wir im Keller verstaut. Die alten Holzdielen schleifen wir ab und versiegeln sie neu.“

Während Silvia erläuterte, was in den vergangenen Wochen im Haus gemacht worden war und wie die nächsten Schritte aussehen würden, ließ Nick keinen Blick von ihr.

Sie fühlte, wie er sie mit seinen dunkelblauen Augen ansah, und ein Schauer lief über ihren Körper. Damals hatte er sie genauso angesehen und …

„Silvia?“

Jetzt erst merkte sie, dass sie aufgehört hatte zu sprechen.

Toll. Sie benahm sich unmöglich. Ihr Job war wichtig, aber sie verlor sich in Tagträumereien über ihre Liebesnacht mit Nick. Dabei war nur das Projekt wirklich wichtig, denn er hatte es ihr anvertraut, weil er glaubte, dass sie umsetzen konnte, was seine Mutter sich gewünscht hatte. Sie durfte nicht versagen, das war sie auch Lori Campbell schuldig. Ganz abgesehen davon, dass einige Mitarbeiter in ihrer Firma nur darauf warteten, dass sie einen gravierenden Fehler machte und ihre Stelle bei dem berühmten Nick Campbell frei wurde.

Silvia hatte sich schon früh geschworen, niemals von irgendjemandem abhängig zu sein, weder finanziell noch emotional. Sie würde sich immer nur auf sich selbst verlassen und alle Hindernisse als Herausforderungen sehen.

Es hatte überhaupt nichts zu bedeuten, dass sie immer wieder von der Nacht mit Nick träumte. Die würde sich sowieso nicht wiederholen.

„Wie ich bereits sagte“, fuhr sie fort, doch Nick unterbrach sie.

„Ja, ich erinnere mich auch an unsere Nacht“, sagte er sanft.

Silvia erstarrte. Ihr Herz schlug wie wild, während ihre Hand den Stoff des zerrissenen Jumpsuits umklammerte. Nicks Stimme war so leise und rau wie in jener Nacht, als er ihr leidenschaftliche Worte zugeflüstert hatte.

„Ich merke es, wenn jemand träumt“, sagte er und trat einen Schritt auf sie zu. Unverwandt blickte er sie an.

Silvia wich nicht aus. Sie wollte weder schwach noch furchtsam wirken, denn mit ihrem Helm und dem kaputten Anzug wirkte sie schon lächerlich genug.

„Wieso glaubst du, dass ich geträumt habe?“, fragte sie mit brüchiger Stimme.

Nick legte eine Hand auf ihre Hüfte und sah ihr in die Augen. Sofort fühlte sie sich beschützt und gut aufgehoben. Nein, das durfte sie nicht zulassen. Niemand hatte sie jemals beschützt, und dabei sollte es auch bleiben. Bald würde sie selbst Mutter sein und ihr Kind allein gut versorgen.

Was nützte es, sich mit jemandem einzulassen?

„Sag nichts“, murmelte Nick an ihrem Ohr. „Dein Gesicht spiegelt wider, was du denkst … und glaub mir, auch ich kann mich an jeden Moment unserer gemeinsamen Nacht erinnern.“

Silvia merkte, dass ihr heiß wurde. Seine Berührung, seine Nähe waren einfach zu viel für sie. Sie presste eine Hand gegen Nicks Brustkorb und schaute ihm in die Augen.

„Ich erwarte ein Kind“, sagte sie. „Alles ist anders geworden. Außerdem können wir das sowieso nicht wiederholen.“

„Warum nicht?“, fragte er. „Ich finde dich genauso begehrenswert wie vorher.“

Er trat noch näher an sie heran. Jetzt waren seine Lippen nur noch Zentimeter von ihrem Mund entfernt. Wie sehr sie sich danach sehnte, von ihm berührt zu werden. Erst dann würde sie wissen, dass alles, woran sie sich erinnerte, richtig war.

Das Geräusch einer Autotür, die zugeschlagen wurde, holte Silvia zurück in die Wirklichkeit. Instinktiv trat sie einige Schritte zurück.

„Weil wir zusammen arbeiten“, erklärte sie ihm. „Das ist mein erstes Projekt an meinem neuen Arbeitsplatz. Ich kann es mir nicht leisten, mit einem Kunden eine private Beziehung zu haben.“

Sein Gesichtsausdruck wurde hart. „Zu spät“, murmelte er.

Im gleichen Augenblick betrat der Vorarbeiter das Gebäude. Er trug seinen Helm, Stiefel und einen Arbeitsanzug. Rasch hielt Silvia den Riss in ihrem Jumpsuit zusammen und wandte sich ab. Sie war entschlossen, die Kontrolle über die Situation und ihre Gefühle zu behalten, sonst würde sie genau da enden, wo sie vor einem Monat gewesen war.

In den Armen von Nick Campbell.

Nick schaute nachdenklich auf den Schmuck seiner Mutter, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Er hatte darum gebeten, ihn nach der Beerdigung zu bekommen, und gerade hatte man ihn gebracht.

Was sollte er damit machen? Seine Mutter hatte immer die Diamanthalskette getragen, die Nick ihr von seinem ersten Gehalt gekauft hatte. Es waren ganz kleine Steine in einer schlichten Fassung, aber sie hatte nie eine andere gewollt. Als er vermögender wurde, drängte er Lori, sich etwas Neues, Schöneres auszusuchen, doch sie wollte nicht. Sie sagte immer, dass ihr diese Kette mehr bedeutete als jedes noch so prachtvolle neue Schmuckstück.

Die goldenen Kreolen waren vermutlich auch nichts wert, aber auch die hatte sie immer getragen.

Regungslos starrte er auf das, was seine Mutter ihm hinterlassen hatte. Abgesehen von dem Brief natürlich, den er sicher im Safe verwahrt hatte.

Nach dem Treffen mit Silvia war er zunächst ziellos durch die Gegend gefahren, um seine Gedanken zu ordnen. Aber es war ihm nicht gelungen, das Chaos in seinem Kopf und in seinen Gefühlen in irgendeine Art von Ordnung zu bekommen.

Schließlich war er nach Hause gefahren. Eigentlich sollte er ins Büro gehen, aber er konnte ebenso gut vieles von zu Hause aus erledigen. Am meisten fürchtete er sich vor den unvermeidlichen Beileidsbezeugungen und tröstenden Umarmungen, so nett sie auch gemeint waren. Seine Angestellten hatten ihn mit Karten und Blumen förmlich überschüttet, und er war über die Anteilnahme sehr gerührt. Dennoch wollte er jetzt niemanden sehen.

Als seine Assistentin den Schmuck gebracht hatte, hatte sie Nick auch darüber informiert, dass der Antrag auf Lizenzerteilung für den Alkoholausschank im Resort seiner Mutter wieder abgelehnt worden war. Das überraschte ihn nicht, denn warum sollte es ihm besser ergehen als all den anderen in der Umgebung, aber es nervte zusätzlich zu allem Übrigen.

So schnell würde Rusty Lockwood ihn nicht kleinkriegen. Der Mann dachte vermutlich, dass er die Stadt regierte und allmächtig war, aber da irrte er sich gewaltig. Er konnte ja nicht wissen, was für ein Brief sich in Nicks Safe verbarg.

Ob es Rusty überhaupt interessierte, dass er einen Sohn hatte … oder sogar mehrere?

Nick würde all seine Informationen zu einem geeigneten Zeitpunkt preisgeben, aber bis dahin würde er sie gut hüten. Wenn er zuschlug, dann richtig und im richtigen Moment. Rusty sollte mit allen Konsequenzen von seinem verdammten Thron gestürzt werden. Es war absurd, dass er das Monopol auf Alkohol in der gesamten Gegend besaß.

Green Valley und Umgebung war voll von den Geschichten rund um Moonshine, die davon erzählten, wie das einst illegale Geschäft schließlich vom Staat legalisiert wurde. Was für eine Investition! Von überallher kamen Touristen zum Verkosten und um gleichzeitig die Schönheit der Great Smoky Mountains zu erleben.

Nick konnte verstehen, dass jemand Geschäfte machen wollte, aber Rusty hatte nicht das Recht, andere mit eiserner Faust zu knebeln und über eine ganze Industrie zu herrschen.

Es war völlig sinnlos, ein Resort zu eröffnen, in dem man keinen Alkohol ausschenken durfte. Ein Glas Bourbon oder Moonshine wurde hier einfach erwartet. Nick hatte vor, ein großartiges, einmaliges Resort zu schaffen, das höchsten Ansprüchen genügen würde. Diesen Plan ließ er sich ganz gewiss nicht von einem Mann wie Rusty zerstören. Er hatte seiner Mutter ein Versprechen gegeben, das er auf jeden Fall halten würde.

Nick verstaute die Schmuckstücke wieder in dem kleinen Etui aus Samt und trug es zu seinem Safe, der zwischen einigen Büchern verborgen war. Als er den Safe öffnete, fiel ihm der Brief in die Augen, der Umschlag sah schon ziemlich zerknittert aus.

Seine ursprüngliche Wut und die Verwirrung waren einer gewissen Neugier, aber auch Sorge gewichen. Seine Mutter hatte dieses große Geheimnis jahrzehntelang mit sich herumgetragen. Nicht nur, dass Lockwood sein leiblicher Vater war, sondern auch, dass es zwei Halbbrüder gab, von deren Existenz Nick nichts geahnt hatte. Vielleicht kannte er sie sogar! Vielleicht wohnten sie wie er in Green Valley, Tennessee! Nick hatte unendlich viele Fragen, aber er musste Geduld haben. Mit der Zeit würden sich die Antworten von selbst ergeben.

Erst jetzt erkannte Nick, wie stark seine Mutter tatsächlich gewesen war. Sie hatte das Geheimnis bewahrt, um ihren Sohn zu schützen, und gleichzeitig alles getan, um sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten.

Dass sie Rusty verachtete und ihn für einen durch und durch schlechten Menschen hielt, war in dem Brief deutlich zu lesen. Bestimmt hatte sie auch gefürchtet, Rusty könnte die Vaterschaft irgendwie zu seinem Vorteil nutzen, wenn er etwas davon erfahren würde.

Auch Silvia war eine starke Frau, die zweifellos alles für ihr Kind tun würde. Einerseits hatte sie Nick von ihrer Schwangerschaft erzählt, andererseits aber auch klargestellt, dass sie es war, die die Verantwortung tragen würde. Sie wollte beweisen, dass sie es auch allein schaffen konnte, doch das wollte Nick nicht. Silvia sollte niemals mit der Elternschaft allein sein. Irgendwann brauchte jeder eine Schulter zum Anlehnen.

Natürlich wusste er, dass sie ihn nie um Hilfe bitten oder zugeben würde, dass sie Nick brauchte. Damit konnte er gut umgehen, denn schließlich waren es auch ihr Stolz und ihre Unabhängigkeit gewesen, die ihn angezogen hatten.

Nick straffte sich, schloss den Safe ab und rückte die Bücher wieder an ihren Platz. Es war Zeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

In dem Moment vibrierte sein Handy, das auf dem Schreibtisch lag. Als er Silvias Namen las, nahm er es schnell zur Hand.

„Hallo, Silvia.“

„Ich stehe vor deinem Tor“, sagte sie knapp. „Lass mich rein.“

Obwohl Nick sich höchst ungern von einer Frau vorschreiben ließ, was er zu tun hatte, beeilte er sich, das schmiedeeiserne Tor am Fuß des Berges mit seiner App zu öffnen. Er hatte keine Ahnung, weshalb Silvia gekommen war, aber er freute sich auf ihren Anblick. Langsam schlenderte er auf die überdachte Terrasse vor seinem Haus und wartete. Schwarze Wolken waren am Himmel aufgezogen, und es sah nach einem mächtigen Frühlingsgewitter aus. Die ersten dicken Tropfen fielen bereits.

Silvia parkte ihren Wagen so nah wie möglich bei den Stufen zur Terrasse und angelte nach ihrem Schirm. Wie immer, wenn sie ihn brauchte, war er nicht dort, wo er sein sollte. Sie fluchte leise.

Inzwischen regnete es so heftig, dass ihr wohl nur ein schneller Spurt helfen konnte. Aber selbst dann würde sie vermutlich völlig durchnässt in Nicks Haus ankommen … wie letztes Mal, als sie hier war.

Schulterzuckend öffnete sie die Fahrertür und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Neben dem Auto stand Nick mit einem großen Schirm in der Hand, wie ein vollendeter Gentleman.

Vor Schreck vergaß Silvia die Rede, die sie sich zurechtgelegt hatte. Warum musste er immer so perfekt sein? Das machte alles nur noch schwieriger. Wenigstens trug er nicht die Brille, die ihn noch anziehender machte. Eine weitere Liebesnacht mit ihm hätte ihr gerade noch gefehlt.

Nick hielt den Schirm so, dass sie aussteigen konnte, ohne nass zu werden.

„Fast wie letztes Mal“, bemerkte er grinsend.

„Ich bleibe nicht lange.“

Es war ihr wichtig, das festzustellen, aber Nick lächelte nur und führte sie am Arm zur Terrasse hoch. Unwillkürlich schmiegte sich Silvia an seine Seite, um dem Regen zu entgehen. Sofort merkte sie, dass es ein Fehler gewesen war, hierherzukommen. Sie hatte sich vorgenommen, mit Nick ein paar Regeln festzulegen, was ihren Umgang am Arbeitsplatz betraf. Privatleben und Job mussten absolut streng getrennt werden, wobei sie mit Privatleben natürlich nur das Baby im Sinn hatte. Rein theoretisch.

Tatsächlich konnte sie schon jetzt kaum dagegen ankämpfen, wie attraktiv sie Nick fand.

Oben auf der Terrasse schüttelte Nick den Schirm aus und lehnte ihn an eine der steinernen Säulen. Irgendwie war sein Haus wie er selbst: sehr männlich und einzigartig. Mitten in den Bergen gelegen, bot es einen atemberaubenden Blick in die Natur. Obwohl sie nur zehn Minuten entfernt wohnte, konnte sie längst nicht so weit in die grandiose Berglandschaft schauen wie Nick von seiner Villa aus.

Nick wusste nicht, wo sie wohnte, und das war ihr vorerst auch lieber so. Irgendwie mussten sie es hinbekommen, Privates von Beruflichem zu trennen, bis sie eine stabile Basis für die Zukunft gefunden hatten. Schließlich würden sie durch das Baby für immer verbunden sein. Also musste sie alles andere zwischen ihnen ignorieren, bis sie sicher sein konnte, dass ihr Kind gut behütet war.

„Hast du schon gegessen?“, erkundigte er sich.

Silvia schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich möchte auch nur kurz bleiben.“

„Also ich bin hungrig wie ein Wolf“, sagte Nick, als er die Haustür aus massivem Holz aufmachte. „Du kannst mit mir reden, während ich koche, ja? Wenn ich eher fertig bin als du, können wir zusammen essen. Einverstanden?“

Silvia war sprachlos. Was sollte das werden? Ein Versuch, sie zu verführen? Seufzend trat sie an ihm vorbei ins Haus. Auf gar keinen Fall würde sie zum Essen bleiben.

Wortlos nahm Nick ihr den Mantel ab und ging voraus in die Küche. Silvia legte ihre Tasche auf dem Garderobentisch ab und folgte ihm.

Er machte einfach, was er wollte. Wie immer.

Als Silvia die Küche betrat, stockte ihr der Atem. Die gesamte hintere Wand bestand aus riesigen Glastüren, die sich zu einem Innenhof hin öffneten und den Blick auf die gesamte Berglandschaft ringsum freigaben. Sogar jetzt, unter dem dunklen Himmel und im Regen, erkannte sie einen Pool und einen wunderschönen Essbereich.

Dieses Design hätte jeden Architekten umgehauen. Das musste sie sich genauer ansehen.

„Mach ruhig auf“, sagte Nick, während er begann, in den Schuladen zu hantieren. „Ich liebe es, den Regen zu hören. Gewitter haben mich schon immer fasziniert.“

Silvia trat an die Glastüren und schob sie beiseite. Sofort drang der würzige Duft von feuchter Erde in den Raum, und sie atmete tief ein. Diese klare Luft gab es nur hier in den Bergen. Es lag etwas Beruhigendes darin, dem man sich nicht entziehen konnte. Unmöglich, da noch schlecht gelaunt zu sein oder Kummer zu haben.

Sie war genau aus diesem Grund in die Smoky Mountains gezogen. Es reichte einfach irgendwann nicht mehr, ein paarmal im Jahr hier Urlaub zu machen. Sie wollte für immer hierbleiben, und nun würde sie an diesem wunderbaren Ort ihr Kind aufziehen. Perfekt.

„Ich mache meine berühmte Grillhühnchenpizza“, sagte Nick. „Den Teig habe ich schon heute Morgen angesetzt.“

Silvia fuhr herum. Sie war sicher, dass er sich über sie lustig machte, aber er schaute nicht einmal in ihre Richtung, während er den Teig knetete, und Sekunden später warf er ihn mehrere Male in die Luft und fing ihn geschickt wie ein Profi auf.

Staunend beobachtete Silvia, wie der Teig dadurch immer länger und elastischer wurde.

„Du bereitest den Pizzateig tatsächlich selber zu“, stellte sie andächtig fest. In welcher Welt befand sie sich gerade? Niemals hätte sie Nick zugetraut, dass er so häuslich war.

„Klar“, erwiderte er. „Erstens ist er gesünder, und zweitens schmeckt er viel besser als der fertige aus dem Laden. Ganz ohne Zusatzstoffe.“

„Und was machst du sonst noch selbst?“ Silvia war jetzt neugierig geworden. „Vielleicht Seifen oder deine Anzüge?“

Lachend legte Nick den fertigen Hefeteig auf den Stein, der gleich in den Ofen wandern würde.

„Mach dich ruhig über mich lustig“, antwortete er grinsend. „Das stört mich überhaupt nicht. Nicht viele Leute wissen, dass ich gut kochen kann.“

„Also, ich fasse mal zusammen“, sagte Silvia. „Du bist ein hervorragender Geschäftsmann, entwirfst luxuriöse Resorts und kochst sehr gut.“ Sie ging auf die andere Seite der Kochinsel und setzte sich auf einen Hocker, der mit Leder bezogen war. „Welche Geheimnisse hast du sonst noch?“

Er warf ihr einen schnellen Blick zu. Seine Augen waren so dunkel, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Dann blickte er wieder auf den Stein, der vor ihm auf der Arbeitsplatte lag.

„Das erzähle ich dir ein anderes Mal.“

Silvia beobachte, wie er geschickt und mit starken Fingern das Essen zubereitete, und dachte sofort wieder daran, wie sich diese Hände auf ihrer Haut angefühlt hatten. Genau genommen dachte sie ständig daran. Sie waren ein perfektes Paar im Bett gewesen.

Zugegeben, sie hatten beide Alkohol getrunken, aber das war nicht der Grund gewesen, warum sie zusammengekommen waren. Sie hatte genau gewusst, was sie tat und mit wem, ebenso wie er. Und auch wenn Nick an jenem Abend besonders verletzlich gewesen war, hatte er freiwillig entschieden, wie weit er gehen wollte.

Es hatte vom ersten Tag an, als er mit Lori ihr Büro betreten hatte, zwischen ihnen gefunkt. Dann folgten einige Treffen, die nicht unbedingt nötig waren, um mit dem Projekt voranzukommen, und viele verstohlene Blicke.

Damals hatte Silvia gedacht, sie könnte mit Nick arbeiten und die Funken ignorieren. Sie hatte sich getäuscht.

Noch einmal konnte und wollte sie sich das nicht leisten.

„Du denkst schon wieder an unsere gemeinsame Nacht“, stellte er fest.

Silvia gab sich keine Mühe, es zu verbergen. Warum auch? Beide fühlten sich stark zueinander hingezogen und merkten, dass es eher immer mehr wurde.

„Stimmt“, gab sie knapp zurück. „Wir hatten eine tolle Nacht zusammen. Genau deshalb bin ich übrigens heute auch hierhergekommen.“

Er hob fragend die Brauen. „Wie meinst du das?“

„Hör zu, Nick. Wir arbeiten zusammen, richtig? Darauf sollten wir uns auch in Zukunft konzentrieren. Auf nichts anderes. Keine Beziehung.“

Nick stützte sich mit beiden Händen auf die Arbeitsplatte und sah Silvia in die Augen. „Wie lange hast du den Text geübt?“

„Den ganzen Weg bis hierher“, gab sie zu und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Aber ich meine es ernst. Eine Beziehung mit einem Kunden kann ich mir nicht leisten.“

„Trotzdem erwartest du ein Kind von mir und begehrst mich immer noch“, stellte er fest.

„Bevor das Projekt nicht beendet ist, muss kein Mensch wissen, dass ich von dir schwanger bin. So würde ich es jedenfalls gerne handhaben.“

Er warf ihr einen wütenden Blick zu. Sie konnte sehen, dass sie ihn mit ihren Worten verletzt hatte. Aber sie musste in diesem Punkt ganz ehrlich sein. Anders ging es nicht.

„Ich werde aber nicht abstreiten, dass ich der Vater deines Kindes bin“, sagte Nick lauter als nötig. „Und ich will auch nicht, dass du das alles allein machst.“

Silvia konnte seinen Standpunkt gut verstehen. Er wollte seinen Platz im Leben des Kindes, und den sollte er auch haben.

„So habe ich es nicht gemeint“, antwortete sie besänftigend. „Ich will dich doch nicht von unserem Kind fernhalten, aber momentan kann ich in meiner Firma nicht sagen, dass ich schwanger bin. Und schon gar nicht, dass ein Kunde der Vater ist.“

Nick schwieg ein paar Minuten, bis er sich hochstemmte und den Pizzateig mit Soße und Hühnchen belegte.

„Kriegen die Frauen an deinem Arbeitsplatz keine Kinder?“, frage er.

„Ich bin dort die einzige Frau“, erwiderte Silvia.

Er sah überrascht auf. „Im Ernst? Wieso?“

Silvia zuckte mit den Schultern. „Es gab einige Kolleginnen vor meiner Zeit, aber anscheinend haben sie es nie lange ausgehalten. Ich habe mich nicht einschüchtern lassen. Erstens weiß ich, dass ich verdammt gute Arbeit leiste, zweitens liebe ich Green Valley, und drittens brauche ich den großen Firmennamen, um meine Karriere zu befördern.“

„Du brauchst überhaupt niemanden“, widersprach Nick. „Deine bisherigen Projekte sprechen für sich. Du bist ausgesprochen talentiert.“

Silvia freute sich über sein Kompliment, aber sie wusste, dass sie als Frau in einer Männerdomäne doppelt so viel arbeiten musste, um dieselbe Anerkennung wie ihre Kollegen zu bekommen. Das war die Realität.

„Vergiss nicht, dass ich gerade erst angefangen habe und noch in der Probezeit bin“, sagte sie. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Chef nicht begeistert wäre, wenn er wüsste, dass ich mit meinem ersten Kunden geschlafen habe. Das ist nicht gerade professionell.“

Wortlos schob Nick den Stein in den Pizzaofen. In seiner Küche gab es wirklich alles, was ein Hobbykoch brauchte. Ein Gasherd mit acht Flammen war ebenso vorhanden wie zwei Kühlschränke und ein eindrucksvolles großes Weinregal.

Nick kam um die Insel herum und stellte sich neben Silvia. „Du machst dir Gedanken darüber, was die anderen denken, dabei hast du damals den ersten Schritt gemacht.“

Silvia sah ihn an. „Manchmal will ich etwas unbedingt haben. Dann strenge ich mich an, es zu bekommen. Das ist doch menschlich, oder?“

Er hatte diese irre Brille aufgehabt, und zusammen mit dem Dreitagebart war er unwiderstehlich gewesen. Aber eigentlich war all das nur passiert, weil er an dem Abend so verletzlich gewirkt hatte.

Nick rückte näher und legte eine Hand auf ihren Oberschenkel. „Klar. So geht es mir auch immer. Ich versuche zu bekommen, was mir gefällt.“

Und dann küsste er sie.

5. KAPITEL

Warum sollte er sich quälen?

Nick wusste ganz genau, dass Silvia versuchte, Regeln für die Zukunft aufzustellen, aber momentan interessierte ihn das überhaupt nicht. Das einzig Wichtige war, sie ganz nah bei sich zu fühlen.

Niemand konnte sie stören oder überraschen, und er fühlte sich so entspannt wie lange nicht mehr. Das gleichmäßige Rauschen des Regens und der Duft von Essen wirkten auf seine Sinne und gaben ihm eine tiefe Ruhe.

Seine Hand glitt über Silvias Bein bis hoch zu ihrer Taille, und als sie sich auf ihrem Stuhl bewegte und aufreizend langsam die Beine öffnete, ließ er seine Finger tiefer gleiten und drang in sie ein. Erregt stöhnte sie auf.

Er konnte nicht genug von ihr bekommen. Was war es, das ihn so faszinierte? Darüber durfte er nicht nachdenken, das wusste er.

Er griff mit einer Hand in Silvias Haar und zog ihren Kopf ein wenig zurück, um sie zu küssen. Am liebsten hätte er sie ausgezogen und sie hier auf der Arbeitsplatte genommen … oder draußen im Regen …

Niemals hatte er eine Frau so begehrt wie sie. Die eine Nacht mit ihr war nicht genug gewesen – und hatte nichts damit zu tun, dass sie beide mehrere Gin Tonics getrunken hatten. Auch nicht damit, dass es ihm an jenem Abend nicht gut gegangen war.

Silvias Leidenschaft faszinierte ihn. Nie zuvor hatte er etwas Ähnliches erlebt, und er war entschlossen, jede Facette davon noch lange auszukosten.

Sie schob ihn mit einer Hand von sich. „Hör auf, Nick. Das können wir nicht machen.“

Natürlich konnten sie, und sie waren ja auch gerade dabei, aber er respektierte Silvias Wunsch und ließ sie los. Offensichtlich ging es ihr nicht gut, und er wollte ihr Leben nicht noch komplizierter machen, als es schon war.

„Warum nicht? Willst du es nicht auch?“

„Meine Wünsche spielen gerade überhaupt keine Rolle“, entgegnete sie. „Ich habe einen Job zu erledigen und ein Baby, um das ich mich kümmern muss.“

Wenigstens gab sie zu, dass sie auch Wünsche hatte, das war ja schon ein Schritt in die richtige Richtung. Er würde noch ein bisschen nachhelfen und dann … irgendwann konnte sie bestimmt nicht mehr widerstehen.

„Ich weiß, was Verpflichtungen bedeuten“, sagte Nick. „Wenn ich meinen Verantwortlichkeiten nicht immer zuverlässig nachgekommen wäre, wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Aber man darf auch manchmal an sich denken.“

Silvia schaute an ihm vorbei. „Ich habe mein ganzes Leben nur an mich gedacht“, sagte sie leise.

„Das glaube ich nicht.“

Er konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass Silvia eine egoistische Person war. Sie arbeitete so hart und zielstrebig, wie es oft auf Menschen zutraf, die sich vor allem für andere stark machten.

„Du kennst mich doch gar nicht, Nick“, widersprach Silvia. „Meine Kindheit war alles andere als schön. Nicht so wie deine.“

Nick stand auf und zog sich einen Barhocker heran. Es stimmte, dass er nicht viel über sie wusste, genau das würde er gerne ändern.

Er legte eine Hand über ihre kalten Finger. Ja, er wollte alles über sie wissen. Über den Grund dafür wollte er lieber nicht zu intensiv nachdenken, solange seine Gefühle in so einem Durcheinander waren.

„Wir waren arm“, begann er, als Silvia nichts sagte. „Ich habe erst später gemerkt, wie wenig wir wirklich hatten, denn meine Mutter hat mir nie das Gefühl gegeben, dass ich unwillkommen war oder dass unsere Existenz bedroht sein könnte.“

„Ich habe meine Eltern nie kennengelernt“, sagte Silvia so traurig, dass Nick sich zwingen musste, sie nicht in seine Arme zu ziehen.

Schweigend wartete er darauf, dass sie fortfuhr. Ihm war schon jetzt klar, dass sie vollkommen anders aufgewachsen war, als er gedacht hatte. Vielleicht ähnlich wie er.

„Zwei Tage nach meiner Geburt wurde ich in meine erste Pflegefamilie gebracht.“ Ihre Stimme hatte sich nicht verändert, doch Nick wusste, dass sie sich wie er einen Schutzwall gebaut hatte und nur deshalb so scheinbar gelassen über ihre Vergangenheit sprechen konnte.

Je mehr er über sie erfuhr, desto mehr bewunderte er sie. Jetzt war ihm auch klar, was sie so stark und zäh gemacht hatte.

„Als ich eingeschult wurde, hatte ich schon drei Pflegefamilien hinter mir“, fuhr sie fort. „Ich wurde mit der Zeit immer schwieriger und wilder. Einmal hat ein Mitarbeiter vom Amt meinen Pflegeltern geraten, mir mehr Aufmerksamkeit zu schenken.“ Sie lachte bitter. „Das war das Letzte, was ich wollte. Man sollte mich in Ruhe lassen, mehr wünschte ich mir nicht. Die Schule liebte ich und habe meine ganze Kraft ins Lernen investiert. Vor allem Bücher hatten es mir angetan, und ich las, was ich in die Finger bekam.“

„Mir hat meine Mutter jeden Abend vorgelesen“, warf Nick ein, der normalerweise nicht gern über seine Kindheit sprach. Aber mit Silvia war alles anders. „Sogar als Teenager fand ich das noch toll und konnte nie genug davon bekommen. Natürlich habe ich nie jemandem davon erzählt.“

Silvia lächelte. „Wir sollten beizeiten an Kinderbücher denken. Es ist nie zu früh, damit anzufangen.“

Nick sah sie liebevoll an. Silvia brauchte jemanden in ihrem Leben, auf den sie sich verlassen konnte und der immer für sie da war. So stark sie auch nach außen wirkte, so verletzlich war sie im Innern.

Doch dafür war er nicht der richtige Mann. Bisher hatte er sich noch nie nach einer Familie gesehnt. Seine Mutter hatte ihm beigebracht, dass die Arbeit an erster Stelle stehen musste, wenn man es im Leben zu etwas bringen wollte. Auf Beziehungen konnte man sich nicht verlassen, sie brachten kein Essen auf den Tisch.

Außerdem trug er vielleicht mehr von Rusty Lockwood in sich, als er sich vorstellen konnte, und das war kein gutes Erbe. Ob seine erste Ehe daran gescheitert war, dass er Rusty ähnlich war? Hing es mit seinem Vater zusammen, dass er sich nicht vorstellen konnte, selber ein guter Vater zu sein? Vielleicht verdiente er einen Menschen wie Silvia gar nicht.

Dennoch würde er immer für sie und das Kind sorgen.

Nick mochte den Tumult nicht, den seine Gefühle in ihm entfachten. Jetzt war der schlechteste Zeitpunkt, sich eng mit jemandem einzulassen oder womöglich irgendwelche wichtigen Entscheidungen für ein ganzes Leben zu treffen. Er sollte möglichst nicht zu viel in seine Beziehung zu Silvia hineindeuten.

Was er ihr bieten konnte, war seine Anwesenheit, jede Menge körperliche Zuwendung und finanzielle Sicherheit.

Plötzlich ertönte der Timer, der ihn an sein Essen erinnerte. Er stand auf, und Silvia erhob sich ebenfalls.

„Ich sollte jetzt gehen“, sagte sie.

Nick legte ihr die Hände auf die Schultern. „Die Pizza ist fertig, und draußen ist es ungemütlich. Bleib hier.“

Sie sah ihn einige Sekunden wortlos an. Dann nickte sie.

„Gerne.“

„Unsere Aufgaben entsprechen genau unserem Budget, und wir liegen gut im Zeitplan“, sagte Silvia, während sie sich in ihrem Sessel auf dem überdachten Innenhof bequem zurücklehnte. „Am Ende des Sommers können wir wie geplant eröffnen.“

Das Essen war fantastisch gewesen, danach hatte Nick sie überredet, mit nach draußen zu kommen und dem Gewitter zuzusehen. Je länger sie hier saß, desto entspannter wurde sie. Jetzt war eine gute Gelegenheit, über ihr Projekt zu sprechen.

„Hervorragend“, sagte Nick. „Bestimmt müssen wir noch mit Extraausgaben rechnen, das ist bei jedem Projekt mit alten Häusern fast unvermeidlich, aber ich möchte, dass es so wird, wie meine Mutter es wollte. Die Kosten spielen keine Rolle.“

Natürlich nicht. Nick hatte nicht nur die Mittel, alles zu realisieren, was er wollte, er würde auch alles daransetzen, seiner geliebten Mutter das Denkmal zu setzen, das er sich wünschte.

Für Silvia sagte das eine Menge über ihn aus. Er war liebevoll und loyal, aber dennoch wusste sie natürlich nicht, wie es zwischen ihnen funktionieren würde, wenn das Baby da war.

Immerhin hatte sie noch ein paar Monate Zeit, um herauszufinden, wie er sich seine Rolle als Vater vorstellte. Und wenn er dann doch einen Rückzieher machen sollte, würde sie eben allein für ihr Kind sorgen.

„Wie sieht es denn mit der Lizenz für die Bar aus?“, fragte Silvia. „Warst du erfolgreich?“ Es war angenehm, über geschäftliche Dinge zu reden, denn damit waren sie beide auf sicherem Terrain.

Nick schnaubte verächtlich. „Noch nicht. Rusty Lockwood ist so ein Miststück, aber der wird mich noch kennenlernen. Der Kampf ist erst vorbei, wenn ich gewonnen habe.“

„Ich habe ihn noch nie gesehen, aber viel von ihm gehört. Man sagt, dass er entschieden mehr Feinde als Freunde hat. Allerdings ist sein Betrieb bei den Touristen äußerst beliebt. Es ist immer voll dort.“

„Die Touristen kommen zur Verkostung und wollen das Zeug flaschenweise mit nach Hause nehmen“, erklärte Nick. „Denen ist es egal, was für ein Typ Rusty ist. Und seine sogenannten Freunde werden für ihre Loyalität bezahlt.“

Ja, Silvia hatte schon viel davon gehört, dass Rusty ein geldgieriges Monster war, dem es nur auf den Profit ankam. Seine Destillerie brachte ihm Monat für Monat Tausende von Besuchern ein und kurbelte die lokale Wirtschaft an. Der Mann selbst war allerdings von zweifelhaftem Ruf. Erst im vergangenen Jahr hatte man ihm wegen Steuerhinterziehung eine saftige Geldstrafe aufgebrummt. Silvia war wirklich froh, dass sie nichts mit ihm zu tun hatte.

„Bestimmt kriegst du ihn klein“, sagte sie. „Du hast eine viel bessere Motivation als er.“

Autor

Deborah Fletcher Mello
Deborah Fletcher Mello schreibt, seit sie denken kann, und sie kann sich nicht vorstellen, jemals etwas anderes zu tun. Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt sie 2009 den RT Reviewers’ Choice Award. Immer wieder erfindet sie originelle Geschichten und beeindruckende Heldinnen und Helden. Deborah ist in Connecticut geboren und aufgewachsen, fühlt...
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