Baccara Collection Band 426

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DU ENTFACHST MEINE LEIDENSCHAFT! von MAUREEN CHILD

Kellan Blackwood ist zurück! Der Mann, der Irina vor sieben Jahren das Herz gebrochen hat, als er ohne ein Wort aus ihrem Leben verschwand. Sofort entfacht er ihre alte Leidenschaft. Doch Irina ist fest entschlossen, sich nicht noch einmal auf ihn einzulassen!

HEISSE KÜSSE FÜR DEN BESTEN FREUND von JULES BENNETT

Eigentlich ist Josie seine beste Freundin. Nur um ihren aufdringlichen Ex-Mann abzuwimmeln, gibt sich Reese Conrad als ihr Verlobter aus. Was als Spiel beginnt, wird rasch zu einer feurigen Affäre. Aber was, wenn Josie erfährt, dass Reese ein Geheimnis vor ihr verbirgt?

SÜSSES VERLANGEN NACH DIR von DEBORAH FLETCHER MELLO

Anwalt Patrick O’Brien ist mehr als fasziniert von der süßen Naomi. Leider stehen sie auf verschiedenen Seiten - denn Patrick arbeitet für Naomis schärfsten Konkurrenten. Als sie einander dennoch näherkommen, muss er sich fragen, wem seine Loyalität wirklich gilt …


  • Erscheinungstag 01.12.2020
  • Bandnummer 426
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726713
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maureen Child, Jules Bennett, Deborah Fletcher Mello

BACCARA COLLECTION BAND 426

MAUREEN CHILD

Du entfachst meine Leidenschaft!

Nie hat er ihre sinnlichen Küsse vergessen! Nach dem Tod seines Vaters kehrt Kellan Blackwood in seine Heimatstadt zurück – und trifft die betörende Irina wieder, mit der er einst eine verhängnisvolle Affäre hatte. Sofort flammen die alten Gefühle von Neuem auf. Doch es gibt ein Geheimnis zwischen ihnen, das alles zerstören könnte …

JULES BENNETT

Heiße Küsse für den besten Freund

Josie weiß, dass sie sich immer auf ihren besten Freund Reese Conrad verlassen kann. Als ihr Ex-Mann nicht einsehen will, dass es aus ist zwischen ihnen, gibt Reese sich kurzerhand als ihr Verlobter aus. An eine echte Beziehung denkt Josie nicht, schließlich ist ihre Ehe kläglich gescheitert. Nur warum fällt ihr jetzt erst auf, wie verdammt sexy Reese ist?

DEBORAH FLETCHER MELLO

Süßes Verlangen nach dir

Naomis kleines Unternehmen wird von einem großen Konzern in Bedrängnis gebracht. Ausgerechnet der attraktive Anwalt Patrick O’Brien ist für ihren Konkurrenten tätig. Naomi gerät in einen Zwiespalt. Kann sie sich gegen ihn behaupten – und gleichzeitig dem süßen Verlangen nachgeben? Aber noch wichtiger: Wie verhindert sie, dass sie ihr Herz an Patrick verliert?

PROLOG

Kellan Blackwood war genervt.

Sein Vater, Buckley Blackwood, war zwar tot, dennoch war es, als zöge der alte Mann noch immer die Fäden. Nur Buck konnte so etwas aus dem Grab heraus bewerkstelligen.

Kel musterte seinen Bruder und seine Schwester und gestand sich ein, dass sie auch nicht glücklicher aussahen, als er selbst sich fühlte. Die tiefgrünen Augen nachdenklich zusammengekniffen, saß Vaughn zurückgelehnt auf dem Sessel. Ihre kleine Schwester Sophie trug Schwarz, das lange, rotbraune Haar aus dem hübschen Gesicht gekämmt. In ihren braunen Augen schimmerten Tränen, aber sie sah trotzdem aus, als wäre sie zwischen Wut und Kummer hin- und hergerissen.

Kel konnte es ihr nicht verübeln. Diese Situation war für keinen von ihnen einfach, aber sie war unumgänglich. Wenigstens hatten sie einander und hielten zusammen. Alle drei hatten eine komplizierte Beziehung zu ihrem Vater gehabt. Buck hatte sich nie richtig um seine Kinder gekümmert oder sich überhaupt für sie interessiert. Dadurch hatten die drei Geschwister schon in der Kindheit ein enges Band geknüpft, das bis heute hielt.

Kace LeBlanc, Bucks Anwalt, kam ins Büro und blieb stehen. „Kel“, sagte er und nickte. „Vaughn. Sophie. Danke, dass ihr gekommen seid.“

„Nicht, dass wir eine Wahl gehabt hätten, Kace.“ Vaughn richtete sich auf und zupfte an seinem Jackett.

„Richtig.“ Kace wirkte angespannt. „Wo ist Miranda?“ Er blickte sich um, als erwartete er, dass sie plötzlich hinter einem Stuhl hervorspringen würde.

„Sie hat es noch nicht geschafft, nach unten zu kommen“, erklärte Kel, und sein Tonfall ließ erkennen, was er von der Frau hielt, die seinen Vater geheiratet und sich dann von ihm hatte scheiden lassen.

Miranda Dupree war sechsunddreißig Jahre alt. So alt wie Kellan. Es war schon ein Hammer, dass ein Vater eine Frau heiratete, die so alt war wie sein ältester Sohn. Sophie hatte Miranda den Spitznamen Stiefhexe gegeben, und Kel musste sagen, dass es zu der geldgierigen …

„Hallo, zusammen.“

Wenn man vom Teufel spricht, dachte Kel. Er stand auf, weil seine Mutter schon früh auf gute Manieren geachtet hatte. Verstohlen klopfte er Vaughn auf die Schulter, damit auch dieser sich erhob. Dennoch schaffte Kel es nicht, dass seine Stimme freundlich klang. „Miranda. Ich bin überrascht, dich wieder in Royal zu sehen.“

Die Frau war eine Schönheit, das musste er ihr zugestehen. Leuchtend rotes Haar, strahlend blaue Augen und eine Figur, die Männer – wie beispielsweise seinen Vater – um den Verstand bringen konnte. Doch wenn Kel sie ansah, sah er nur die Frau, die einen weiteren Keil zwischen Buck und seine Familie getrieben hatte.

„Buck hat mir einen Brief geschickt, in dem er mich bat, hier zu sein – zusammen mit ein paar weiteren Wünschen.“ Miranda bedachte ihn mit einem Lächeln, das sie, darauf würde er wetten, vor dem Spiegel eingeübt hatte. „Wie ich höre, bist du auch nicht oft hier, Kellan. Du lebst jetzt in Nashville, oder?“

Er biss die Zähne zusammen, um nicht das auszusprechen, was er der Frau am liebsten sagen würde. Es hatte viele Gründe gegeben für seinen Umzug nach Nashville vor einigen Jahren. Und keiner ging Miranda etwas an.

„Warum bist du überhaupt hier?“, fragte Vaughn. „Buck lebt nicht mehr, du kannst ihn nicht erneut verführen.“

„Wie gesagt, Buck wollte, dass ich komme“, sagte sie nur und nahm Platz, wobei sie ihren engen schwarzen Rock über die Schenkel zog. Sie sah zu Sophie. „Mein Beileid, Sophie.“

„Danke.“ Sophie drehte sich zu Kace, ohne Miranda weiter zu beachten.

„Könnten sich jetzt bitte alle setzen?“ Kaces Stimme klang kühl, aber klar.

„Ja.“ Sophie nahm Vaughns Hand und zog ihn zurück auf seinen Stuhl. „Kommt schon, Jungs, setzt euch. Lasst uns die Sache hinter uns bringen.“

„Genau“, stimmte Kel zu. Es gab keinen Grund, die Angelegenheit weiter hinauszuzögern. Er wollte Royal so schnell wie möglich wieder verlassen, um nicht … Er schüttelte den Gedanken ab, denn er konnte es sich nicht leisten, an sie zu denken. Nicht jetzt. Und auch sonst nie wieder.

Er strich über sein bärtiges Kinn und sagte sich, dass es niemandem nützen würde, die Vergangenheit aufzuwühlen.

„Buck wollte, dass bei der Testamentseröffnung alle anwesend sind“, sagte Kace. Er saß an Buckleys Schreibtisch. Sofort konzentrierte Kel sich wieder auf die Gegenwart.

„Aber es wird nicht lange dauern.“ Kace sah alle der Reihe nach an, sein Blick blieb dann bei Kel hängen. „Wollt ihr es in der Juristensprache hören oder ganz direkt?“

Kel warf seinen Geschwistern einen schnellen Blick zu und nickte. Sie waren seiner Meinung. Und was Miranda wollte, interessierte ihn nicht. Also sagte er: „Sag es einfach, Kace.“

Mitgefühl lag in seinem Gesichtsausdruck, und noch bevor Kace weitersprach, wusste Kel, dass ihm nicht gefallen würde, was auch immer jetzt kommen mochte. „Im Grunde hat Buck alles Miranda hinterlassen.“

„Was?“ Kellan sprang auf. Vaughn benötigte nur ein oder zwei Sekunden länger. Und Sophie … Nun, sie saß fassungslos da.

„Das kann nicht dein Ernst sein.“ Kel starrte Kace an.

„Doch, ist es.“ Kace schien nicht glücklich darüber zu sein. „Und bevor du fragst, euer Dad war bei klarem Verstand, als er das Testament geschrieben hat, Kellan“, sagte Kace.

„Das nennst du ‚bei klarem Verstand‘?“

„Rechtlich gesehen, ja. Ich weiß, es ist hart für euch …“

Es war unfassbar. Buckley Blackwood war kein guter Vater gewesen, aber verdammt, Kellan konnte nicht verstehen, dass der alte Mann die Ranch seiner Ex-Frau und nicht seinen Kindern vererbt hatte. Langsam drehte Kel den Kopf und starrte sie an. Sie wirkte überhaupt nicht überrascht. Wieso nicht? Hatte Kace ihr gesagt, was sie erwartete? Hatte Buck es ihr gesagt?

„Was zum Teufel soll das, Miranda?“, fragte er sie.

Sie zuckte mit den Schultern und bedachte ihn wieder mit diesem Lächeln. „Ich weiß nicht, warum er es getan hat, Kellan. Aber ich habe nach seinem Tod ein Schreiben von ihm bekommen, in dem stand, dass ich bei der Testamentseröffnung anwesend sein soll.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Dein Vater war ein großzügiger Mann.“

Nicht, dass Kellan sich daran erinnern würde.

„Wisst ihr was? Ich will sein Geld oder seinen Besitz sowieso nicht“, sagte Vaughn. „Ich brauche nichts von ihm. Aber trotzdem finde ich es unglaublich, dass Dad das getan hat.“ Vaughn starrte seine Ex-Stiefmutter misstrauisch an.

„Nun, hat er aber“, sagte Kace nur.

„Er muss uns gehasst haben“, flüsterte Sophie.

„Nein“, versicherte Kellan ihr. „Das hat er nicht.“ Verdammt, Buck hatte sie gar nicht genug wahrgenommen, um echte Gefühle – Liebe oder Hass – für sie zu entwickeln. Außerdem konnte man Sophie gar nicht hassen. „Ich weiß nicht, was hier los ist“, sagte er und sah Kace böse an, bevor er sich zu Miranda drehte. „Aber ich werde es herausfinden. Im Moment sage ich nur, dass es noch nicht vorbei ist.“

1. KAPITEL

Kel kochte noch vor Wut, als er vor dem Ranchhaus vorfuhr. Blackwood Hollow war eine zweihundertfünfzig Hektar große, florierende Ranch, aber das Haupthaus sah aus wie ein Fünf-Sterne-Luxushotel. Lichter leuchteten hinter den Fenstern und ließen das Anwesen in der Dunkelheit fast magisch glitzern.

Finster blickte Kel am Haupthaus vorbei zum Gästehaus. Es war ein ebenso luxuriöser Bau aus Stein und Glas mit vier Suiten, einem großen Aufenthaltsbereich und einer Garage, in der vier Autos Platz fanden.

„Ziemlich unwahrscheinlich, dass Miranda dort übernachtet“, murmelte er.

Die Ex-Frau seines Vaters würde sich nicht mit weniger als dem Haupthaus zufriedengeben. Zumal es ihr jetzt offensichtlich gehörte.

Wieder überkam ihn eine Welle des Zorns und nahm ihm fast den Atem. Kopfschüttelnd stieg er aus seinem schwarzen Range Rover und ging in Richtung Haupthaus. Einige Rancharbeiter nickten oder winkten zum Gruß, versuchten jedoch nicht, ihn in einen Plausch zu verwickeln. Gute Entscheidung.

Er war nur hier, weil er wusste, dass die Stiefhexe es nicht sein würde. Sophie hatte ihm telefonisch mitgeteilt, dass Miranda in der Stadt war. Shoppen. War ja klar. Wenn man mehrere Milliarden Dollar erbte, dann wollte man einen Teil davon ausgeben.

Fluchend betrat er das Haus, durchquerte das Foyer und ging in den Salon. Er sah sich schnell um, um sich zu vergewissern, dass Miranda wirklich nicht da war. Er bemerkte kaum das lodernde Feuer im Kamin oder die dunkelbraunen Ledersofas und Sessel.

Bewusst vermied er es, einen Blick auf den verdammten, reich geschmückten Weihnachtsbaum vor der Fensterfront zu werfen. Kiefernduft hing in der Luft und weckte ungewollte Erinnerungen. Als Kind hatte er das Haus während der Weihnachtszeit geliebt, weil seine Mutter es immer wunderschön dekoriert hatte.

Die traditionell aufwendige Dekoration war das Einzige, was Buck nach der Scheidung von Kels Mutter beibehalten hatte. Dona-Leigh war vor ein paar Jahren gestorben, aber hier auf Blackwood Hollow konnte Kel noch ihren Einfluss spüren.

Er rief sich in Erinnerung, dass die Tinte auf der Scheidungsurkunde noch nicht trocken gewesen war, als Buck schon Miranda Dupree geheiratet und in das Haus gebracht hatte, das Donna-Leighs gewesen war. Dass der alte Mann die Tradition von Kels Mutter beibehielt, hatte also nichts zu bedeuten.

Er eilte die Treppe hinauf und warf einen Blick in das erste Gästezimmer. Leer. Kein Anzeichen dafür, dass hier jemand übernachtete. Nächstes Zimmer. Auch nichts. Es blieben noch zwei. Er wusste nicht, wie lange Miranda sich in der Stadt aufhalten würde. Laut Sophie allerdings wurde die Frau durch ganz Royal verfolgt, und zwar von dem Kamerateam, das an der lächerlichen Fernsehshow arbeitete, in der sie mitwirkte.

„Das geheime Leben der New Yorker Ex-Ehefrauen.“

Er schnaubte. Mit der TV-Show hatte Miranda einen Weg gefunden, um noch mehr Geld aus ihrer Scheidung von einem reichen Mann herauszuholen.

Kellan verdrängte den Gedanken und eilte weiter. Er brauchte Zeit, um ihre Sachen nach dem mysteriösen Brief zu durchwühlen. Er wollte mit eigenen Augen sehen, was Buck ihr geschrieben hatte. Wie er erklärte, dass er seine Kinder vom Erbe ausschloss.

Warum sollte er Miranda alles hinterlassen? Verdammt, sie waren seit Jahren geschieden. Kel musste wissen, was los war, und der einzige Weg, eine Antwort zu bekommen, war über Miranda – auch ohne ihr Wissen.

Er öffnete die nächste Tür und lächelte. Ein weiterer, prachtvoll geschmückter Weihnachtsbaum stand vor den Fenstern, die zum Swimmingpool rausgingen. Frauenkleidung lag auf dem Bett verstreut, auf der Kommode sah er eine Bürste, ein deutlich femininer Duft hing in der Luft.

Eilig verdrängte Kel diesen Eindruck und trat zum Schrank. Er war mit Kleidung vollgestopft, die – wie er abwesend bemerkte – viel konservativer aussah als die Sachen, die Miranda für gewöhnlich trug. Als er nichts fand, durchsuchte er die Nachttische. Nichts. Er nahm sich die Kommode vor und entdeckte Pullover, Shirts und Yogahosen. Auch untypisch für Miranda. Keine Briefe, keine Papiere. Nichts.

„Verdammt“, fluchte er und griff nach der nächsten Schublade. „Wo hat sie ihn hingetan?“

Er öffnete die Schublade und sah eine Sammlung von Dessous aus zarter Spitze. BHs und Höschen in Schwarz, Pink, Rot und Blau. Er biss die Zähne zusammen und suchte zwischen den seidigen Wäschestücken nach einem Umschlag. Nichts. Frustriert hielt er inne, als er Geräusche aus dem angrenzenden Bad hörte. War sie doch da? Hatte Sophie sich geirrt, und Miranda trottete nicht durch die Stadt und gab vor laufender Kamera das Geld seines Vaters aus?

Die Tür wurde geöffnet, Dampf strömte heraus – und in diesem Nebel erschien eine Frau. Es war nicht Miranda.

Es war die Frau, die Kel nie mehr hatte wiedersehen wollen.

Ihr langes blondes Haar war feucht, fiel ihr über die Schultern auf das Handtuch, das sie um ihren – wie er aus Erfahrung wusste – unglaublich schönen Körper gewickelt hatte. Ihre dunkelgrünen Augen waren weit aufgerissen und ihre langen Beine eine einzige Versuchung.

„Irina Romanov.“

„Kellan? Was machst du in meinem Zimmer?“

Gott, diese Stimme! Heiser. Verführerisch. Mit dem Hauch eines russischen Akzents. Sofort wurde Kel sieben Jahre zurückversetzt. Auch damals war Weihnachten gewesen. Eine Woche lange hatten sie fast jeden Moment im Bett verbracht. Dann wurde ihm klar, was er da tat, und er hatte Texas – und Irina – verlassen.

Doch die Erinnerung an den heißen Sex mit ihr war noch präsent. Wenn er es zuließ, dann konnte er noch heute ihre geflüsterten Worte beim Sex hören. Ihre Hände auf seinem Körper spüren. Ihre harten Nippel schmecken. Diese lange, unvergessliche Woche mit ihr hatte seine Seele versengt und sein Herz berührt, das er für tot gehalten hatte.

„Raus hier, Kellan“, schrie sie wütend.

Das ist vermutlich das Beste, sagte er sich, denn in diesem Moment konnte er nur daran denken, das Handtuch wegzureißen und sie aufs Bett zu werfen. Oder auf den Boden. Oder sie gegen die Wand zu drücken. Seinem Körper war es egal, wie er sie nahm – Hauptsache, er bekam sie. Er war erregt, sein Atem stockte, und das Hämmern seines Herzens dröhnte in seinen Ohren.

Kel holte tief Luft. „Gut. Ich gehe. Aber ich verlasse das Haus nicht. Ich erwarte dich unten, sobald du angezogen bist.“

Kaum hatte er ihr Zimmer verlassen, knallte Irina die Tür zu und verschloss sie. Sie drehte sich um und lehnte sich gegen die massive Eichentür. Ihr Herzschlag war außer Kontrolle, ihr Magen in Aufruhr.

Sie zwang sich zu atmen und schluckte die aufsteigende Flut an Tränen hinunter. Doch warum sollte sie weinen? Sie sollte lieber empört sein. Oder wütend. Sieben Jahre waren vergangen, seit er gegangen war.

Das Brennen in ihren Augen verschwand, das Brennen in ihrem Herzen begann. Ihn wiederzusehen war ein Schock, auch wenn sie gewusst hatte, dass er nach Bucks Tod zurück nach Royal kommen würde. Schließlich musste er dem Begräbnis seines Vaters beiwohnen.

Irina hatte gedacht, sie wäre auf ein Wiedersehen vorbereitet gewesen. Jedoch nicht unter solchen Umständen! Nicht mit ihrer Vorgeschichte. Und auch nicht angesichts der Versuchung, die er immer noch für sie darstellte, wenn er sie nur ansah.

Er sah gut aus. Irgendwie sogar noch besser als damals. Er trug seinen elegant geschnittenen Anzug wie ein Ritter seine Rüstung. Er war mächtig, stark, hinreißend. Insgesamt sehr gefährlich für sie. Sein dunkelbraunes Haar war kurz geschnitten – er hielt es für praktisch –, und wie damals trug er einen Dreitagebart. Die Bartstoppeln hatten damals auf ihrer Haut abwechselnd gekratzt und gekitzelt.

Das feurige Blitzen in Kels blauen Augen war entwaffnend gewesen. Sie erinnerte sich an das unbezähmbare Feuer, das in ihnen beiden aufloderte, wann immer sie einander berührten. Sie erinnerte sich an lange Nächte in einem Zimmer, das nur von den Lichtern des Weihnachtsbaumes beleuchtet war. Sie erinnerte sich daran, wie sie in der Morgendämmerung eng umschlungen im Bett gelegen hatten, bevor Irina gezwungenermaßen aufstehen und als Haushälterin in dem großen Haus arbeiten musste.

Es war, als hätte sich die Woche mit ihm in ihr Gedächtnis gebrannt.

Damals war sie überzeugt gewesen, ein Märchen zu leben. Der älteste Sohn einer Dynastie verliebte sich in die Haushälterin im Haus seines Vaters. Aber das Märchen endete, als Kellan Texas verließ. Es gab keine Briefe, keine Anrufe und offensichtlich auch kein Bedauern. Irina war allein mit ihren geplatzten Träumen und ihrem gebrochenen Herzen.

Sie hatte lange vermutet, dass Buck wusste, was zwischen ihr und seinem ältesten Sohn vorgefallen war. Der alte Herr war besonders nett zu ihr gewesen, als Kellan die Stadt verließ. Und diese Freundlichkeit – wie alles andere auch, was Buck für sie getan hatte – war etwas, was sie nie zurückgeben konnte. Es hatte lange gedauert, bis sie ihren Weg wiedergefunden hatte, und sie würde nicht zulassen, dass sie erneut in die Dunkelheit abglitt. Kellan war hier, aber er würde nicht lange bleiben. Und ihr Leben und ihre Zukunft lagen in Royal.

„Ich brauche Kellan nicht“, sagte sie laut, um sich selbst Mut zu machen. „Ich habe mein eigenes Leben aufgebaut. Ohne ihn.“

Irina war nicht mehr die Frau, die sie gewesen war, als sie und Kellan diese Woche zusammen verbracht hatten. Sie hatte das College besucht. Sie studierte jetzt Jura, und sie war eine angehende Autorin. Sie war erwachsen geworden und würde sich nicht wieder auf eine Affäre mit einem Mann einlassen, der sie nicht zu schätzen wusste.

Es spielte keine Rolle, dass ein Blick auf ihn sieben Jahre Selbstdisziplin beinahe zunichte gemacht hatte. Sie konnte stark sein. Sie musste nur auf Distanz bleiben. Ein paar Meilen würden vermutlich reichen.

„Okay“, sagte sie, hob das Kinn und straffte die Schultern. „Ich schaffe das. Ich ziehe mich an, spreche mit Kellan. Und dieses Mal bin ich diejenige, die sich verabschiedet.“

2. KAPITEL

Lulu Shepard betrachtete ausgiebig die Main Street. Sie mochte Royal, Texas. Ihr Hotel, das Bellamy, war luxuriös und die Stadt eine nette Abwechslung zu Manhattan. Die Menschen waren außerdem so freundlich hier. Nicht wie in Manhattan, wo man auf der Straße verbluten konnte, ohne dass jemand etwas merkte.

Sie war unsicher gewesen, ob sie mit Miranda und dem Rest der Besetzung ihrer Reality-Show nach Royal kommen sollte. Aber Lulu hatte wirklich Spaß. Und sie liebte die ganze Weihnachtsdekoration. Jeder Laternenmast war mit einer Girlande umwickelt; Banner mit der Aufschrift „Royal wünscht frohe Weihnachten“ hingen über den Straßen, und jeder Baum und jede Ladenfront glitzerte mit winzigen weißen Lichtern.

„Hallo“, grüßte ein großer Cowboy mit einem schelmischen Lächeln im Vorbeigehen.

„Hallöchen.“ Lulu drehte sich um und bewunderte den Mann von hinten. Sie musste zugeben, dass der Anblick ziemlich gut war.

Oh, es gab so viele wunderbare Gelegenheiten, Royal ein wenig aufzumischen. Wenn sie und Serafina das nicht schafften, dann wusste Lulu nicht, wer es könnte.

Sie trug einen schwarzen Pulli zu schwarzen Leggings und schwarzen Stiefeletten mit acht Zentimeter hohen Absätzen. Ihr knallroter Mantel schwang bei jedem Schritt um ihre Knie, und sie grinste ohne besonderen Grund.

„So eine Kleinstadt hat einfach was, findest du nicht auch, Fee?“

Ihre beste Freundin Seraphina Martinez wirbelte herum und ließ dabei ihren langen grünen Mantel im Wind schwingen. Auch sie war bis auf den Mantel ganz in Schwarz gekleidet. Ihr braunes Haar war perfekt gestylt und wehte im Wind. Ihre braunen Augen funkelten, wenn sie lächelte.

„Weißt du, ich hätte nicht gedacht, dass es mir hier gefällt, aber das tut es. Es ist wie ein Filmset – nur real.“ Sie warf einen Blick auf das Kamerateam, das ihnen folgte. „Kommt schon, Jungs, wir müssen einkaufen. Lasst uns Amerika zeigen, wie es sich in einer texanischen Kleinstadt lebt.“

Lulu lachte und folgte ihrer Freundin und den anderen Mitgliedern der Besetzung von „Das geheime Leben der New Yorker Ex-Ehefrauen“. Zooey Kostas, süß und verletzlich, war immer auf der Suche nach dem nächsten Ex. Und Rafaela Marchesi zögerte nicht, über Leichen zu gehen, wenn es ihr ein paar Minuten mehr Zeit auf dem Bildschirm einbrachte. Dann war da noch Seraphina, die Frau in ihrer kleinen Gruppe, die die Dinge in die Hand nahm. Fee hatte ein wunderbares Lachen und ein großes Herz. Die Letzte im Bunde war Miranda – ein eher mütterlicher Typ –, was ihr nicht viel Raum in der Show einbrachte, denn wie die Produzenten sagten: „Skandal verkauft sich.“

Doch als Miranda Dupree ankündigte, dass sie zu einem Begräbnis nach Royal reisen würde, hatten die Verantwortlichen beim Sender entschieden, dass es eine großartige Idee wäre, wenn die gesamte Besetzung dabei wäre.

Obwohl sie Miranda sehr mochte, hatte Lulu von der Idee anfangs nicht viel gehalten. Jetzt fragte sie sich, warum eigentlich. Es gab so viele neue und interessante Geschäfte zu entdecken.

Kellan stand am Kamin und starrte ins Feuer, als er sie ins Zimmer kommen hörte. Zum Teufel, sie bewegte sich so leise, dass er sie fast nur gespürt hatte.

Er drehte sich zu ihr um, und ihm stockte der Atem. Sieben Jahre waren vergangen, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, und jede Faser seines Körpers reagierte auf sie. Die Zeit, so schien es, hatte an seinen Gefühlen für sie nichts geändert. Verdammt.

„Was machst du hier, Kellan?“

Irinas Stimme wühlte ihn innerlich auf und weckte weitere Erinnerungen, die bis zu diesem Moment geschlummert hatten. Nicht gut. Er war von ihr weggegangen, weil er das Gefühl gehabt hatte, es tun zu müssen. Er hatte ihr damals nichts zu bieten gehabt, und daran hatte sich seitdem nichts geändert. Er musste ruhig bleiben, Abstand halten.

Aber sie sah ihn mit einer Wut an, die er nie zuvor gesehen hatte. Und das ließ ihn aus irgendeinem Grund in die Defensive gehen.

„Das hier ist immer noch Blackwood Hollow“, sagte er mit Nachdruck. „Ich bin ein Blackwood. Ich muss nicht erklären, warum ich in dem Haus bin, in dem ich aufgewachsen bin.“

„Du wohnst hier nicht mehr“, erinnerte sie ihn.

„Ach was.“ Er neigte den Kopf und sah sie an. „Ich wusste gar nicht, dass du noch hier wohnst.“

„Woher solltest du auch“, erwiderte sie. „Du warst seit sieben Jahren nicht mehr hier.“

Ein Seitenhieb, gut platziert. Kellan hatte dieses Haus gemieden, als würde es hier spuken. Vielleicht tut es das auch, dachte er jetzt. Gespenster seiner Kindheit, Erinnerungen an seine Mutter. Am meisten aber plagte ihn die Erinnerung an die Woche mit Irina.

Er ließ seinen Blick auf ihr ruhen, nahm alles in sich auf, nichts entging ihm. Ihr langes, welliges Haar war noch feucht, aber sie trug jetzt ein locker sitzendes gelbes Shirt mit einem Ausschnitt, der weit genug war, dass er ihre Schultern entblößte. Sie hatte lange, schöne Beine, die im Moment in einer grauen Yogahose steckten. An den Füßen trug sie schwarze Ballerinas.

Kellans Körper spannte sich an.

Selbst so lässig gekleidet war Irina schöner als jede Frau, die sich richtig herausgeputzt hatte. Ihm wurde heiß. Das Funkeln in ihren Augen faszinierte ihn. Sie strahlte jetzt Stolz und Selbstbewusstsein aus, was ihm gefiel. Irina hatte ihm mal erzählt, dass sie in Russland ein Model gewesen war, doch als er sie kennenlernte, war sie schüchtern und unsicher gewesen. Als hätte sie sich verlaufen und würde den Weg nicht finden.

Diese Irina, die stark genug war, seinem Blick zu begegnen und trotzig das Kinn zu heben, war irgendwie neu, und verdammt, sie war noch attraktiver.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust, was ihre Brüste noch besser zur Geltung brachte. Er bekam eine trockene Kehle. „Was hast du in meinem Zimmer gemacht? Meine Sachen durchwühlt?“

„Ich wusste nicht, dass es dein Zimmer ist“, erwiderte er knapp. „Ich dachte, es wäre Mirandas.“

Sie zog ihre perfekt gezupften Augenbrauen hoch, und er wusste, was sie gerade dachte.

„Um Gottes willen, nein.“ Er erschauerte bei der Vorstellung von Sex mit der Ex-Frau seines verstorbenen Vaters.

„Okay.“ Sie ließ die Arme sinken. „Warum hast du dann nach ihrem Zimmer gesucht?“

Er holte tief Luft und biss die Zähne zusammen. Kellan war es nicht gewöhnt, sich zu erklären. Meistens tat er, was er wollte, wann er es wollte. Egal, was andere davon hielten. Das machte das Leben einfacher. Damals wäre Irina ihm nicht so entgegengetreten. Vielleicht war er deshalb bereit, ihr eine Antwort zu geben. Verdammt, er bewunderte das Feuer in ihren Augen. „Um eine Erklärung dafür zu finden, warum Buck getan hat, was er getan hat. Heute ist das Testament eröffnet worden, und der liebe, alte Dad hat ihr alles vererbt.“

„Ich weiß. Kace hat es mir heute Morgen erzählt. Er war bei mir, um mir zu sagen, was Buckley mir hinterlassen hat.“

Vor Überraschung war Kellan einen Moment sprachlos. Er hätte sich nie vorstellen können, dass Buckley Blackwood eine Haushälterin in seinem Haus überhaupt bemerkt hatte, geschweige denn, dass er sie in seinem Testament bedachte. Buck war nicht gerade bekannt dafür gewesen, ein netter Mensch zu sein.

„Mein Vater hat dir etwas hinterlassen?“

„Ist das wirklich so schockierend? Dein Vater war sehr gut zu mir.“

„Das hast du oft gesagt.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber Buck war nie als großzügig bekannt.“

„Gut. Denk das, wenn es dich tröstet.“

„Mich tröstet?“ Kellan starrte sie an. „Was zum Teufel soll das schon wieder bedeuten?“

„Egal.“ Irina schwang ihr langes Haar zurück über ihre Schulter, und ihr Shirt rutschte ein wenig tiefer an ihrer Schulter hinunter. „Ich weiß, wie du über deinen Vater denkst. Ich kann deine Meinung nicht ändern. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Was wolltest du in Mirandas Zimmer?“

Es fiel ihm schwer, beim Thema zu bleiben, während er sich vorstellte, ihr das Shirt auszuziehen und dann … „Ich habe gehört, dass Buck ihr einen Brief geschickt hat. Ich will ihn sehen. Ich will wissen, was darin steht.“

„Das geht dich nichts an.“

„Oh doch, das geht mich etwas an.“ Er rieb sich den Nacken. „Ich muss wissen, was sie weiß. Ich muss verstehen, warum Buck ihr alles hinterlassen hat.“

Irina musterte ihn lange, und unter diesem intensiven Blick wurde ihm unbehaglich zumute. Aus gutem Grund, wie sich herausstellte.

„Nein. Ich kann dir nicht helfen, Kellan. Und ich lasse nicht zu, dass du Miranda ausspionierst.“

Wut kochte in ihm hoch. „Du kannst mich nicht aufhalten.“

„Ich kann ihr sagen, was du getan hast.“

„Seit wann bist du Mirandas Freundin?“, fragte er. „Stellst du dich wirklich für sie gegen mich?“

„Womit hättest du meine Loyalität verdient? Du hast mich sitzen gelassen, Kellan.“

„Ich musste gehen.“

„Ja, natürlich.“ Sie trat in den Raum, machte aber einen großen Bogen um ihn. Sie ließ sich auf die Ledercouch fallen, zog die Beine unter sich und sah zu ihm auf. „Sie ist Bucks Gast.“

„Buck ist tot.“

„Ich weiß. Aber das hier ist sein Zuhause …“

„Und meins.“

„Seit Jahren nicht mehr“, erinnerte sie ihn. „Du bist weggegangen, Kellan. Du hast dein Zuhause verlassen. Deine Familie. Buck. Mich.

Da war sie wieder. Die Vergangenheit zeigte ihre Krallen, ohne sich darum zu kümmern, wen sie verletzte, Hauptsache, der Schmerz war da.

„Ich musste gehen.“ Er steckte seine Hände in die Hosentaschen.

Irina sah den Mann an, um den herum sie einst lächerliche Träume gesponnen hatte. Den ältesten Sohn des Mannes, für den sie gearbeitet hatte und dem sie so viel verdankte. Buck hatte sie gerettet. Hatte ihr eine Chance gegeben, die sie sonst vielleicht nie bekommen hätte. Sie war gebrochen in sein Haus gekommen, um als Haushälterin zu arbeiten, zur Schule zu gehen, ihr Leben wiederaufzubauen, das zerstört worden war.

Kellan war der Mann, der sie auf so vielfältige Art berührt hatte. Sie hatte ihm vertraut, trotz allem, was sie vorher durchgemacht hatte. Hatte an ihn geglaubt, als sie es nicht hätte tun sollen. Und dann hatte er sie einfach verlassen.

Eine Woche verbrachten sie miteinander. Sie hatten beide eine schwere Zeit hinter sich. Und in dieser Woche fanden sie etwas, das sie für magisch hielten. Gestohlene Zeit, gestohlene Leidenschaft und lächerliche Träume von einer gemeinsamen Zukunft. Dann war es vorbei, und Irina litt erneut.

Das würde sie dieses Mal nicht zulassen. Sie würde nicht wieder ihr Herz, sondern nur noch ihren Verstand sprechen lassen. Doch selbst als sie das dachte, wusste sie, dass sie sich nur aufs Sofa hatte fallen lassen, weil sie bei Kellans Anblick immer noch weiche Knie bekam. Ihr Herz raste, und sie verspürte innerlich ein Kribbeln vor Erwartung und Vorfreude. Offensichtlich war ihrem Körper egal, was ihr Verstand sagte.

Sie schaute zu Kellan auf und verbarg bewusst alles, was sie gerade fühlte.

„Ja, du musstest gehen. Das hast du zu mir gesagt. Vor sieben Jahren. Du hast damals viel gesagt. Ich erinnere mich.“

Kellan nickte. „Ja, ich mich auch. Ich wollte dir nicht wehtun, Irina.“

Irina atmete tief ein. Sie wollte nicht darüber sprechen. Wollte sich nicht an den Klang seiner Stimme erinnern, als er sagte, ich kann dir nicht geben, was du haben willst. Oder, dies ist nicht real, Irina. Kann es nicht sein. Ich werde es nicht zulassen. Sie schluckte. „Du hast es vielleicht nicht gewollt, aber du hast es getan. Dennoch, deshalb bist du nicht hier, oder?“

„Nein.“ Er neigte leicht den Kopf. „Sag mir eins. Wie lange bleibt Miranda in Royal?“

Sie zuckte mit den Achseln, als wäre es ihr gleichgültig. „Ich kann es dir nicht sagen. Soweit ich weiß, hat sie nicht vor zu gehen.“

„Natürlich nicht“, murmelte er und fuhr sich durch das kurz geschnittene Haar. „Warum sollte sie auch? Sie hat das Haus, das Geld, das Buck ihr hinterlassen hat, und viel Zeit, um noch mehr Ärger zu machen.“

Irina hatte Miranda immer für eine nette Frau gehalten. Sie hatten sich sogar angefreundet. Und die Art, wie Bucks erwachsene Kinder Miranda behandelt hatten, war der Garant dafür, dass Irina sich für sie einsetzen würde. Da sie selbst einmal eine Außenseiterin gewesen war, würde sie sich immer für Menschen einsetzen, von denen sie glaubte, dass sie schikaniert wurden.

„Was genau, abgesehen davon, dass sie deinen Vater geheiratet und sich dann von ihm hat scheiden lassen, hast du gegen sie?“, fragte Irina.

„Reicht das nicht?“

„Nein.“ Liebe starb. Ehen endeten. Sie hatte es selbst erlebt, und normalerweise war nicht nur eine Person daran schuld.

„Für mich schon“, konterte er. „Was mich betrifft, hat sie hier keine Rechte.“

„Dann ist es gut, dass es nicht nach dir geht.“

„Zum Teufel, Irina. Ich verstehe das nicht“, sagte er aufgebracht. „Du warst Buck gegenüber immer loyaler, als er verdient hat. Warum überträgst du deine Loyalität jetzt auf Miranda?“

„Und du warst immer viel ablehnender gegenüber Buck, als er verdient hatte. Dein Vater war anders, als du denkst.“

„Das glaube ich nicht“, sagte er wütend. „Und es beantwortet nicht meine Frage. Warum nimmst du ausgerechnet Miranda so in Schutz?“

Weil ich Bucks Ex-Frau verstehe, dachte Irina. Sie wusste, was es hieß, geldgierig genannt zu werden. Wusste, wie es war zu lieben und zu verlieren. Wusste, wie schwer es war, von vorn zu beginnen. Ein neues Leben aufzubauen. Buck hatte ihr beigestanden. Wie könnte sie also nicht zu Miranda stehen?

„Es war das Vermögen deines Vaters, und damit kann er machen, was er will. Wie kommst du dazu zu sagen, dass er Miranda nicht alles hinterlassen kann?“ Irina zwang sich, trotz ihrer weichen Knie aufzustehen. Als sie in seine blauen Augen blickte, jagte ein heißer Schauer durch ihren Körper, doch Irina ignorierte es. „Ich bin Buck gegenüber loyal. Seinen Wünschen.“

Er schüttelte langsam den Kopf und betrachtete sie neugierig. „Was zum Teufel, hat er je für dich getan?“

Sehr viel, dachte sie, sagte es aber nicht. Buckley Blackwood hatte für viele Menschen den Schutzengel gespielt, und er hatte darauf bestanden, anonym zu bleiben. So wusste niemand – nicht einmal seine Kinder –, was für ein guter Mensch er in Wirklichkeit gewesen war. Aber Irina würde es nie vergessen.

„Das geht dich nichts an, Kellan. Du bist weggegangen. Du kannst nicht sieben Jahre später auftauchen und Antworten für alles verlangen.“

Er schnaubte und trat einen Schritt näher. Irina wappnete sich gegen seine Nähe. Sie konnte schon sein Eau de Cologne riechen. Derselbe wilde, würzige Duft, der sie in ihren schlaflosen Nächten verfolgte. Sein Kiefer war angespannt, seine Augen funkelten frustriert, sein ganzer Körper strahlte eine innere Anspannung aus.

Sie verspürte dieselbe Anspannung, und sie hasste das Gefühl. Er hatte einst so viel Macht über sie gehabt. Ein Blick von ihm, und heißes Verlangen flammte in ihrem Körper auf. Eine Berührung, und sie brannte. Die Höhepunkte, die sie mit Kellan erlebt hatte, waren erfüllender, als sie es je für möglich gehalten hätte.

Aber seltsamerweise hatte sie am meisten vermisst, in seinen Armen zu liegen, Dunkelheit um sie herum, während sie miteinander sprachen und lachten. Diese Nähe hatte ihr alles bedeutet, und sie zu verlieren hatte am meisten geschmerzt.

„Ich habe mal deinen Dickkopf bewundert“, sagte er, die Stimme tiefer, intimer.

Jetzt hatte sie nicht nur weiche Knie. Alles in ihr sehnte sich nach ihm. Langsam breitete sich ein Feuer in ihr aus. Das war gefährlich. Eine Versuchung, zurück, statt nach vorn zu gehen. Sie hatte hart dafür gekämpft, ihr Leben zurückzugewinnen, ihr Herz, ihren Verstand, nachdem Kellan gegangen war. Irina konnte sich nicht wieder auf eine kurze Liaison einlassen. Und mit Kellan, das wusste sie, würde es nichts anderes als eine kurze Affäre sein.

„Kellan …“ Warnung? Einladung? Selbst Irina wusste es nicht genau.

„Du bist immer noch so verdammt schön“, murmelte er.

Und er war immer noch verführerisch.

„Ich möchte dich küssen“, sagte er. „Hast du ein Problem damit?“

Sag ja. Sag ja. Sag ja.

„Nein“, flüsterte sie.

Also tat er es, und die erste Berührung seiner Lippen mit ihren verwandelte die Hitze in ihrem Körper in ein unkontrollierbares Feuer. Sie erinnerte sich nur zu gut an dieses Feuer. Sie hieß die Flammen willkommen, auch wenn sie wusste, dass es falsch war. Irina war machtlos dagegen. Kellan hatte immer diese Wirkung auf sie gehabt, und sieben Jahre der Trennung hatten nichts daran geändert.

Er legte die Hände auf ihre Schultern und zog Irina an sich. Sie schlang die Arme um seine Taille. Der Körperkontakt weckte heißes Verlangen in ihr. Ein Verlangen nach sehr viel mehr als einem Kuss.

Er schob die Zunge in ihren Mund und begann, ihre zu necken. Irina klammerte sich an ihn und erwiderte seinen Kuss voller Leidenschaft. Der Kuss weckte sie aus einem jahrelangen Schlaf, und dieses Erwachen war fast schmerzhaft. Ihr Körper war erfüllt von Vorfreude. Ihr Verstand von zu vielen Empfindungen getrübt. Ihr stockte der Atem, als sie sich dem Wunder der Leidenschaft hingab, obwohl ihre innere Stimme sie aufforderte, vorsichtig zu sein. Zurückzutreten. Daran zu denken, dass seine Berührung zwar magisch war, er aber auch diesmal nicht bei ihr bleiben würde.

Und dieser Gedanke durchdrang schließlich den Nebel in ihrem Gehirn. Sie vergaß für einen Moment die Sinnlichkeit, die er in ihr weckte, und erinnerte sich, dass nur Schmerz auf sie wartete, wenn sie jetzt weitermachte.

Irina wich zurück und schüttelte den Kopf, um sich selbst, aber auch ihn zu überzeugen. Sie holte tief Luft und begegnete seinem Blick, egal, wie schwer es war, wieder in diese blauen Augen zu sehen. „Das sollten wir nicht tun.“

Er rieb sich übers Gesicht, dann über den Nacken. Sein Atem ging schnell, sodass sie wusste, dass er ebenso erregt war wie sie. Kleiner Trost, dachte sie.

Er nickte. „Stimmt. Das ist ein Fehler.“ Den Blick auf sie gerichtet, fügte er hinzu: „Ein schöner.“

Ihr Magen machte einen kleinen Satz. „Nein.“

„Lügnerin.“

Ihr Herz flatterte. „Schön. Es fühlte sich gut an. Andererseits war die Chemie zwischen uns auch nie ein Problem“, erinnerte sie sich. Oh, wie gut sie sich erinnerte, was passierte, wenn sie zusammen waren.

„Nein, war sie nicht.“ Er trat zurück, als fürchtete er, sonst wieder nach ihr zu greifen.

Und Irina wusste nicht, ob sie traurig oder dankbar war.

„Ich konnte damals nicht bleiben, Irina“, sagte er gerade. „Es gab zu viele Erinnerungen in Royal. Zu viel Schmerz.“

Das wusste sie. Ein Jahr vor ihrer kurzen Liaison hatte er seine Frau verloren. Er war als Witwer mit gebrochenem Herzen und verletzter Seele zu ihr gekommen.

„Also bist du gegangen. Das hat wehgetan.“

„Ich wollte dir nicht wehtun.“

„Und doch hast du es getan.“

Sichtlich gereizt fuhr er sich durchs Haar. „Ich bin nicht hierhergekommen, um mit dir zu streiten.“

„Nein, du bist gekommen, um Miranda auszuspionieren.“

„Ich will Antworten“, konterte er.

„Besorg sie dir auf andere Weise.“

Ein Muskel in seinem Kinn zuckte. „Ich hoffe, Miranda weiß zu schätzen, wie du sie verteidigst.“

„Ich tue es nicht für sie“, sagte Irina. „Oder nicht nur für sie. Ich tue es hauptsächlich für deinen Vater. Buck hat das Testament geschrieben. Es ist sein letzter Wille. Den musst du respektieren, Kellan, auch wenn er dir nicht gefällt.“

„Mann, ich hoffe, Buck wusste die Frau zu schätzen, die ihn jetzt verteidigt.“

Kurz umspielte ein Lächeln ihre Lippen. „Keine Sorge, das wusste er.“

Kellan nickte und betrachtete sie einen langen Moment. „Ich werde nicht aufgeben.“

„Das habe ich auch nicht erwartet“, sagte sie. „Aber du solltest es tun. Und, Kellan, du solltest wissen, dass Buck dich geliebt hat. Euch alle.“

„Bitte.“ Er schnaubte verächtlich.

„Doch, das hat er.“

„Und das hat er damit bewiesen, dass er den Familienbesitz einer Frau hinterlässt, mit der er nicht verheiratet bleiben wollte?“

„Ich weiß nicht, warum er das getan hat“, räumte Irina ein. „Aber ich habe Buck immer vertraut.“

„Das ist der Unterschied zwischen uns. Ich habe meinem Vater nie vertraut. Und ich werde jetzt nicht damit anfangen.“

„Du gehst also nicht zurück nach Nashville?“ Sie hatte gehofft, dass er Royal nach dem Begräbnis und der Verlesung des Testaments wieder verlassen würde.

„Keine Chance. Ich bleibe, bis die Situation geklärt ist.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und ging auf die Haustür zu. Kurz schaute er noch einmal zu Irina zurück. Als sich ihre Blicke trafen, sagte er: „Du hast mich nicht zum letzten Mal gesehen, Irina.“

Das klang wie ein Versprechen, und es gefiel ihr überhaupt nicht, dass sie sich darüber freute.

„Wie ist die große Schnüffelaktion gelaufen?“

Kellan blickte über die Schulter zu seinem jüngeren Bruder Vaughn, als dieser ins Wohnzimmer kam und sich aufs Sofa fallen ließ. Vaughn lebte jetzt in Dallas und wohnte während seines Aufenthalts in Royal auf Magnolia Acres, der Farm von Dixie, einer Freundin ihrer Mutter. Doch er kam immer wieder bei Kellan vorbei, der eine eigene Ranch in Royal besaß, auf der er aber nur selten Zeit verbrachte.

„So gut, wie du prophezeit hast“, erwiderte er mit finsterer Miene.

Vaughn lachte kurz. „Es war ein blöder Plan, Kel. Sieh es ein. In Dads Haus stürmen, Mirandas Sachen durchwühlen.“

Kellan ging an die Bar in der Ecke des großen Raumes. Er öffnete den Kühlschrank und nahm sich ein Bier. „Möchtest du auch eins?“

„Klar.“

Kellan durchquerte wieder den Raum, reichte seinem Bruder ein Bier und nahm dann ihm gegenüber Platz. „Ich bin gar nicht dazu gekommen, ihre Sachen zu durchwühlen. Irina war da und hat mich aufgehalten.“

Vaughn zog die Augenbrauen hoch. „Interessant“, sinnierte er. „Ich wusste nicht, dass dich irgendjemand aufhalten kann, wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast.“

Kellan trank einen Schluck und vermied es, Vaughn anzusehen. Sein Bruder war zu scharfsinnig.

„Wie geht es Irina?“

„Es geht ihr gut.“

„Sie sieht immer noch heiß aus.“

„Heiß?“

„Ich bin nicht blind, Kel. Auch wenn du es bist.“

„Ich bin ebenfalls nicht blind“, konterte er gereizt und nahm noch einen großen Schluck von seinem Bier.

Vaughn stützte die Ellenbogen auf die Knie. „Ich weiß, dass vor ein paar Jahren etwas zwischen euch gelaufen ist.“

„Woher weißt du das?“

„Jeder wusste es.“

So viel zu einer geheimen Affäre. „Es ist lange her.“

„Stimmt. Aber laut unserer kleinen Schwester ist sie noch Single. Und du auch.“

„Ich bin nicht auf der Suche.“

„Wegen Shea?“ Vaughns Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Kellan sprang auf. Acht Jahre waren vergangen, seit seine Frau bei einem Autounfall gestorben war. Acht Jahre, und er wollte immer noch nicht an diesen Tag denken. Als er nur ein Jahr danach mit Irina ins Bett gegangen war, hatte es sich angefühlt, als würde er seine Frau betrügen. „Sprich nicht über sie.“

„Viele Regeln“, sagte sein Bruder leise. „Ich soll nicht über Irina sprechen. Und nicht über Shea. Was darf ich denn sagen?“

„Wie wäre es mit ‚Gute Nacht‘?“, fuhr Kellan ihn an. „Oder noch besser, ich fahre zurück zur Magnolia Acres. Am besten, zurück nach Dallas.“

Vaughn lachte. „So schnell wirst du mich nicht los. Ich bin noch ein paar Tage hier. Ich will ein paar Freunde besuchen, während ich in Royal bin.“

„Warum bist du nicht sauer, dass Dad Miranda alles hinterlassen hat?“, fragte Kellan plötzlich. „Warum regt dich das nicht auf?“

„Weil ich Bucks Geld nicht haben will. Ich bin meinen Weg ohne die Hilfe unseres Vaters gegangen. Es ist verdammt noch mal zu spät für ihn, etwas für mich zu tun. Also soll Miranda es doch haben. Ich hoffe, sie erstickt daran.“

„Das ist doch Quatsch. Vielleicht willst du das Geld nicht, aber es muss an dir nagen, Blackwood Hollow an diese Frau zu verlieren. Das ist das Land der Familie, Vaughn. Es ist unser Land. Unsere Ranch. Unser verdammtes Erbe.“

Vaughn starrte auf sein Bier und schwieg ein oder zwei Minuten. Schließlich sagte er: „Sauer zu sein, ändert nichts, Kel. Also akzeptiere, dass unser Vater ein Mistkerl war und gib endlich Ruhe.“

„Nein.“

Vaughn lachte wieder kurz auf und prostete ihm mit seinem Bier zu. „Schön. Dann mach weiter. Stürm in die Höhle des Löwen und versuch, Antworten zu finden. Aber erwarte nicht, dass ich dir dabei helfe.“

„Komm mir einfach nicht in die Quere.“

„Deal.“ Vaughn wandte sich zur Tür. „Und jetzt gehe ich zu Dixie. Ich bin zu müde, um weiter mit dir zu streiten. Viel Glück, 007.“

Das Leben wäre viel einfacher, wenn ich ein Einzelkind wäre, dachte Kellan.

Am nächsten Morgen stand Kellan müde auf der breiten Veranda seiner Ranch. Der Streit mit Vaughn ließ ihm keine Ruhe, doch es war der Kuss mit Irina, der ihn fast die ganze Nacht wachgehalten hatte. Immer wieder hatte er sich in seinem Kopf abgespielt wie ein Film, der ständig zurückgespult und wiederholt wurde. Und er konnte nicht ignorieren, was das Wiedersehen, die Berührung mit seinem Körper gemacht hatte.

Er ließ seinen Blick über das Anwesen schweifen, das er vor fünf Jahren gekauft hatte. Er sollte es vermieten, doch es gefiel ihm, einen Ort für sich zu haben, wenn er in Royal war. Er hatte einen großartigen Vorarbeiter, der sich um das Anwesen kümmerte, wenn Kellan in Nashville war, und als Kapitalanlage könnte die Ranch nicht besser sein. Das Land selbst war fast doppelt so viel wert wie zu dem Zeitpunkt, als er es gekauft hatte. Und das war ohne die palastartige Ranch mit ihren Nebengebäuden. Ganz zu schweigen von dem Vieh. Tausende von Rindern und Pferden.

Aber er hatte die Ranch nicht wegen des Vermögenswerts gekauft. Sie sollte ihn daran erinnern, dass diese Ecke von Texas immer noch sein Zuhause war, auch wenn er vor sieben Jahren Royal verlassen hatte. Seine Wurzeln waren hier. Die Blackwoods lebten seit Generationen in dieser Gegend.

Was ein Grund mehr war, dass er das Familienerbe nicht dieser geldgierigen Frau überlassen wollte. Schon bei dem Gedanken an Miranda Dupree stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Er hatte geglaubt, Miranda wäre aus ihrem Leben verschwunden, als sie und Buck sich scheiden ließen. Doch jetzt war sie zurück, und es war schlimmer denn je. „Was zum Teufel hat Buck sich dabei nur gedacht?“

Als ein knallroter Jeep die Einfahrt hochgefahren kam und fast direkt vor ihm mit quietschenden Reifen zum Stehen kam, musste Kellan trotz seiner trüben Gedanken lächeln. Seine kleine Schwester sprang aus dem Wagen.

„Hi, Kel“, rief Sophie und zog ihre schwarze Jacke enger um sich.

„Was machst du schon so früh hier?“

Sie winkte mit einer Hand, lächelte, und Kellan realisierte, was für eine Schönheit seine Schwester geworden war. Sophie war nur wenig kleiner als Irina, hatte langes, rotbraunes Haar, braune Augen und eine gute Figur.

„Ich habe um zehn Uhr einen Termin im Courtyard. Mein Kunde will sich die Antiquitäten bei Priceless ansehen.“

Sophie war erst siebenundzwanzig, aber beruflich schon sehr erfolgreich. Sie betrieb einen beliebten YouTube-Kanal, war Innenarchitektin und besaß ihr eigenes Geschäft in Royal. Und als Designerin liebte sie natürlich das Shoppen im Courtyard. Der Ort hatte sich von einer einzigen renovierten Scheune, die Antiquitäten beherbergte, zu einer Reihe von bunt gemischten Geschäften entwickelt, einschließlich einiger Ateliers und Cafés.

„Ich habe Vaughn im Diner Kaffee trinken sehen, und er sagte mir, dass du sicherlich schon aufgestanden bist, da du gestern, als er ging, zu aufgewühlt gewesen wärst, um gut schlafen zu können.“

„Unser Bruder ist ein Schwätzer“, murmelte Kellan. „Was gibt es, Sophie?“

Sie seufzte. „Ich konnte letzte Nacht auch nicht schlafen. Ich muss immer wieder an das Testament und an Miranda und uns denken. Ich wollte einfach mit dir darüber reden. Hören, was du von der Sache hältst.“

„Ich denke, dass ich nachher in die Stadt fahren werde, um mit Kace zu sprechen. Mal sehen, ob es einen Weg gibt, das Testament anzufechten.“

„Okay. Und wenn er sagt, dass es keinen gibt?“

„Dann werden wir trotzdem kämpfen. Wir werden unser Zuhause nicht einfach Miranda überlassen.“

Sie nickte und lächelte. „Okay. Gut. Ich dachte nämlich, ich könnte vielleicht ein wenig herumschnüffeln. Mit Menschen reden und hören, ob irgendjemand etwas über Miranda weiß. Du weißt, wie gern in Royal getratscht wird. Außerdem ist Miranda seit der Scheidung häufig in die Stadt zurückgekommen. Ich meine, du und Vaughn und ich, wir haben seit Jahren nicht mehr wirklich Zeit in dem Haus verbracht.“

Richtig. Kellan lebte jetzt in Nashville, Sophie besaß ein Haus in Pine Valley, und Vaughn wohnte in Dallas.

„Vielleicht“, fuhr sie fort, „gibt es einen Grund, warum Dad uns das antut. Und vielleicht kann ich helfen, es herauszufinden.“

3. KAPITEL

Kellan blickte in Sophies Augen und sah die Sorge und den Schmerz dort. Wenn er könnte, würde er seinen Vater aus dem Grab zerren und ihn dafür verfluchen, dass er Sophie so zusetzte. Er wusste, dass sie ihm helfen wollte, Antworten zu finden, und, zum Teufel, vielleicht konnte sie das sogar. Frauen öffneten sich leichter anderen Frauen gegenüber.

„Klingt nach einem guten Plan“, sagte er und sah Freude in ihren Augen aufblitzen. „Wo willst du anfangen?“

„Ich dachte, ich fahre nach meinem Termin zur Ranch, um mit Irina zu sprechen.“

„Nein.“ Das eine Wort schoss aus ihm heraus, bevor er es zurückhalten konnte.

„Warum nicht?“

Gute Frage. Eine Antwort darauf wollte er jedoch nicht geben. Kellan wollte nicht riskieren, dass seine Schwester und seine frühere Geliebte ein privates Gespräch miteinander führten. Wer weiß, was Irina über ihn sagen würde. Er hatte ihr sicher keinen Grund gegeben, gut über ihn zu sprechen.

„Ich spreche mit Irina.“ Das war nicht geplant gewesen, doch Pläne änderten sich. „Sprich du in der Stadt mit den Freunden von Miranda. Vielleicht mit den Frauen, die sie aus New York mitgebracht hat.“

Sophie runzelte nachdenklich die Stirn. „Das ist wahrscheinlich eine gute Idee. Ich meine, sie ist nach der Trennung von Dad nach New York gegangen. Und frisch geschieden hatte sie vermutlich viel über ihn zu sagen.“

Es war tatsächlich eine gute Idee. Dann hatte er noch eine. Wenn seine kleine Schwester mit Vaughn über all das sprach, dann änderte dieser vielleicht seine Meinung. „Okay. Warum rufst du Vaughn nicht mal an? Erzähl ihm, was wir vorhaben.“

„Das bringt nichts.“ Sophie zuckte mit den Schultern. „Er wird schon bald wieder nach Dallas zurückfahren und sich um seine Firma kümmern. Er hat gesagt, dass es ihm egal ist, was Miranda mit dem Erbe macht.“

So viel dazu. In gewisser Weise verstand Kellan diese Einstellung. Sein Bruder hatte mit seinem eigenen Unternehmen, Blackwood Energy Corp., ein Vermögen gemacht, deshalb brauchte er Bucks Geld nicht. Aber verdammt, Kel brauchte es auch nicht. Es ging ihm nur ums Prinzip. Und er wünschte, Vaughn würde bleiben, um seinen Geschwistern zur Seite zu stehen.

„Okay, dann bleibt es bei uns beiden, Schwesterherz.“ Er nahm sie in seine Arme. Sie schmiegte sich kurz an ihn, dann wich sie zurück.

„Ich melde mich, wenn ich etwas herausgefunden habe, und du sagst Bescheid, wenn Irina etwas zu erzählen hat, okay?“

„Klar.“ Er nickte und beobachtete, wie sie wieder in ihren Wagen stieg. „Und fahr langsamer, ja?“

„Nein!“ Sie grinste, schlug die Tür zu und ließ den Motor an. Sie wendete den roten Wagen und raste davon, eine Staubfahne hinter sich herziehend.

Kellan machte sich auf den Weg zu den Ställen. Was er jetzt brauchte, war harte Arbeit. Arbeit, die seine Hände beschäftigt hielt und seinen Kopf frei machte, damit er über den nächsten Schritt nachdenken konnte.

Obwohl er die Antwort bereits kannte.

Er musste Irina noch einmal sehen.

„Ich treffe mich mit meinen Freunden in Royal zum Lunch“, sagte Miranda. „Ich habe ihnen jahrelang vom Royal Diner erzählt, jetzt wollen sie es selbst ausprobieren. Möchtest du mit uns kommen?“

Miranda war schon einige Tage vor der Testamentseröffnung in Royal gewesen, und in dieser Zeit waren sie und Irina Freundinnen geworden. Als Miranda noch mit Buck verheiratet gewesen war, hatten sich die beiden Frauen nicht wirklich angefreundet. Irina war damals schüchterner gewesen. Weniger selbstbewusst.

Doch sie hatten tatsächlich mehr gemeinsam, als Miranda bewusst gewesen war. Sie waren beide geschieden – auch wenn ihre Situationen sehr unterschiedlich waren. Sie bauten sich beide ein neues Leben auf. Und beide kannten verborgene Wahrheiten über Buckley Blackwood. Jede von ihnen schuldete Buck auf ihre Weise eine Menge.

Es tat gut, mit jemandem über den älteren Mann zu sprechen, der ihn wirklich kannte. Fast niemand in Royal tat es.

Im Geschäftsleben war Buck skrupellos, entschlossen und nicht aufzuhalten gewesen. Aber privat hatte er eine völlig andere Seite gehabt und half vielen Menschen. Es ärgerte Irina, dass seine eigenen Kinder diese Seite ihres Vaters nicht kannten. Doch sie hatte ihm einmal versprochen, sein Geheimnis für sich zu behalten. Dass er tot war, gab ihr nicht die Berechtigung zu reden, oder?

„Danke, Miranda“, sagte sie. „Das ist sehr nett von dir. Aber ich denke, ich werde an meinem Buch arbeiten. Ich möchte zumindest das Kapitel beenden.“

Sie war so nah dran, das Buch zu beenden, das sie unbedingt hatte schreiben wollen. Sicher würden sich viele Frauen mit ihrer Geschichte identifizieren können. Vielleicht nicht mit den einzelnen Erfahrungen, aber mit der Stimmung und Aussage der Geschichte. Es war eine Art Aufruf für Leute, die wenig Hoffnung hatten, sich aufzuraffen und einen Neuanfang zu wagen.

Ein Agent und ein Verleger hatten auch an sie geglaubt. Sie hatte das Buchprojekt vor sechs Monaten verkauft, und es war immer noch aufregend für sie. Bald würde sie eine richtige Autorin und auch noch Anwältin für Einwanderungsrecht sein, und ihre eigene Geschichte vom amerikanischen Traum wäre komplett.

Oder so komplett wie er sein konnte ohne den Mann, von dem sie einst geglaubt hatte, die Liebe ihres Lebens zu sein.

Miranda lächelte und nickte. „Verstehe. Und ich weiß, dass Buck stolz auf dich war. Auf alles, was du erreicht hast.“

„Danke. Das bedeutet mir viel.“

„Und“, fügte Miranda hinzu, als sie ihre Tasche nahm, „wenn du nichts dagegen hast, dann würde ich gern ein paar Seiten lesen.“

Irina hätte sich fast verschluckt. Jemand wollte tatsächlich lesen, was sie geschrieben hatte?

Miranda lachte. „Okay, egal. Ich sehe, wie nervös dich der Gedanke macht.“

„Nein.“ Irina seufzte. „Ja, doch, es macht mich nervös. Aber ich würde mich wirklich freuen, wenn du das erste Kapitel lesen und mir sagen würdest, was du davon hältst.“

„Sehr gern.“ Miranda umarmte sie flüchtig. „Ich bin sicher, es ist wundervoll, also schau nicht so besorgt.“

„Ich weiß ja, dass ich mir immer zu viele Gedanken über alles mache.“

Miranda lächelte. „Wir sehen uns heute Abend. Und denk daran, du bist hier keine Haushälterin mehr, Irina. Du bist ein Gast.“

Theoretisch schon. Doch das schöne Haus gehörte jetzt Miranda, und Irina war damals Bucks Gast gewesen, nicht Mirandas. Also würde Irina mithelfen, so gut sie konnte. „Danke. Das weiß ich zu schätzen.“

Sie sah sich in dem großen Raum mit seiner vornehmen, aber heimeligen Atmosphäre um und blickte auf den Weihnachtsbaum, den sie jedes Jahr persönlich schmückte. „Aber ich habe hier jetzt mehr als sieben Jahre gearbeitet. Während ich hier bin, werde ich weiter der Haushälterin helfen.“

Miranda betrachtete sie einen Moment lang. „Ich verstehe das. Du willst niemandem verpflichtet sein.“

„Das stimmt.“

„Weißt du, ich glaube, wir beide sind uns sehr ähnlich.“

Irina lächelte. Sie hatte denselben Gedanken gehabt. „Amüsiere dich.“

„Das mache ich.“ Miranda ging auf die Haustür zu. „Wir sehen uns später.“

Als sie wieder allein war, dachte Irina über die Unterhaltung nach. Über die gut gehüteten Geheimnisse. Über gegebene Versprechen und über Kellan, der immer noch so wütend auf seinen verstorbenen Vater war. Und sie traf eine Entscheidung.

Die Arbeit an ihrem Buch musste warten. Zuerst musste sie Kellan treffen und ihm Dinge erzählen, die er wissen sollte.

Das Royal Diner war eingerichtet wie in den Fünfzigerjahren: schwarz-weiß gefliester Boden, rotes Kunstleder, und mit einer Jukebox. Lulu war entzückt. Die Kellnerinnen schienen hier jeden zu kennen, und das Kamerateam, das Lulu und ihren Freundinnen folgte, schüchterte niemanden ein. Stattdessen waren die Einheimischen interessiert, sogar aufgeregt.

Abgesehen von einem Mann. Einem hinreißenden Mann.

Seine braunen Augen blitzten vor Verärgerung, und sein zerzaustes dunkelbraunes Haar war etwas zu lang. Der Kragen seines Oberhemdes war geöffnet und die dunkelrote Krawatte gelockert. Er hatte einen Stapel Papier vor sich auf dem Tisch ausgebreitet, am Rand stand eine Tasse Kaffee. Der feindselige Blick, den er allen Beteiligten der Reality Show zuwarf, ließ keinen Zweifel daran, was er von ihnen hielt.

Nun, wenn er Ruhe braucht, um zu arbeiten, sagte Lulu sich, dann hätte er nicht ins Diner kommen sollen. Der finstere Blick schien zu ihm zu gehören, und sie fragte sich, warum sie das so anziehend fand. Ein Mann, der von Natur aus launisch war, sollte nicht so attraktiv sein. Aber er war es. Er trank seinen Kaffee, machte eine Notiz auf einem der Blätter und sah dann ihre Gruppe und das Kamerateam wieder finster an.

Fee und die anderen bemerkten es gar nicht. Sie planten einen weiteren Shoppingtag oder vielleicht einem Wellness-Tag im Bellamy, wo sie übernachteten. Aber Lulu konnte den Blick nicht von ihm wenden. Deshalb sah sie, dass Miranda an seinem Tisch stehen blieb, als diese ins Diner kam. Für kurze Zeit verschwand sein finsterer Blick, und Lulu fragte sich, wie Miranda dieses Wunder vollbracht hatte.

Lulu gesellte sich zu den beiden und hörte gerade noch, wie ihre Freundin etwas über Bucks Testament sagte. Ihr entging aber der Zusammenhang, weil beide verstummten, als sie sich näherte.

„Hi, Miranda.“ Lulu lächelte ihre Freundin an, dann zwinkerte sie dem mürrischen Mann zu.

„Lulu!“ Miranda umarmte sie und grinste. „Hattet ihr einen erfolgreichen Shoppingtag?“

„Ja. Es war toll. Wir waren noch einmal in den Läden im Courtyard.“

„Und Ihr Kamerateam hat es auch genossen?“, fragte der Mann abfällig. „Hat es jeden kleinen Einkauf gefilmt, um sicherzugehen, dass Amerika sieht, wie die Damen das Geld ihrer Ex-Männer ausgeben?“

„Wie bitte?“, Lulu begegnete seinem unfreundlichen Blick.

„Ähm“, unterbrach Miranda. Die Verwirrung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. „Lulu, das ist der Anwalt meines Ex-Mannes. Kace LeBlanc. Lulu Shepard.“

„Ein Anwalt. Das erklärt alles.“

Seine Augen funkelten. „Was soll das nun wieder heißen?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe selten einen Anwalt mit Sinn für Humor kennengelernt oder dem Talent, das Leben zu genießen.“

„Ist das so? Nun, meine Lebensfreude hängt nicht von der Anwesenheit eine Kamera ab.“

Ihre Kameramänner Henry und Sam brachten sich in Position, damit sie die Szene aufnehmen konnten. Die Jungs waren Experten darin, und es gab nichts, was sich besser verkaufen ließ als eine Auseinandersetzung. Lulu war es egal. Sie fing an, sich zu amüsieren.

Sie warf das Haar über die Schulter. „Was gefällt Ihnen dann an Ihrem Job? Witwen und Waisen auf die Straße zu setzen?“

Henry unterdrückte ein Lachen.

Miranda sagte: „Es reicht, Lulu.“

Miranda war die Selbstloseste von ihnen. Diejenige, die sich um alle kümmerte. Sie hasste Streit. Deshalb war sie in der Show die Friedensstifterin. Lulu dagegen lief bei einem Streit zu Höchstform auf. Vor allem, wenn sie sich ein Wortgefecht mit einem Mann liefern konnte, der die schönsten braunen Augen hatte, die sie je gesehen hatte.

„Ernsthaft?“, fragte Kace. „Etwas Besseres fällt Ihnen nicht ein?“ Er stand auf, und trotz ihrer High Heels war er viel größer.

„Oh doch“, versicherte Lulu ihm. Ein Lächeln umspielte ihren Mund. „Ich fange ja gerade erst an.“

„Aha.“ Er nickte und wies mit einer Hand auf Henry und Sam. „Sie haben gewartet, bis die Kameras bereit sind. Haben sie Ihre ‚gute Seite‘ eingefangen?“

„Jede Seite ist meine gute Seite“, scherzte sie und sah zu ihm hoch.

Er begegnete ihrem Blick, und sie sah Interesse in diesen unglaublichen Augen aufblitzen, bevor er sagte: „Gibt es einen Grund, warum Kameras im Diner sein müssen? Esst ihr mit den Füßen? Muss dokumentiert werden, wie ihr kaut?“

„Es ist eine Reality-Show“, erinnerte Lulu ihn. „Das Kamerateam folgt uns überallhin. Und es soll wahrscheinlich etwas Lokalkolorit in Royal eingefangen werden – was Sie gerade anbieten. Niemand außer Ihnen scheint ein Problem damit zu haben.“

„Alle anderen sind zu höflich, um etwas zu sagen.“

„Aber Höflichkeit ist nicht Ihr Fall, oder?“

„Ich bin zu beschäftigt für gesellschaftliche Nettigkeiten.“

„So beschäftigt, dass Sie in einem Imbiss arbeiten müssen?“, konterte Lulu. Die Sache machte ihr langsam Spaß. Er war verärgert, und das ließ seine Augen funkeln, was sowohl anziehend als auch irritierend war. „Wo ist Ihr Büro?“

Er kniff die Lippen zusammen. „Mein Büro wird gerade gestrichen. Ich bin hierhergekommen, um einige Arbeiten zu erledigen, was einfacher wäre, wenn Sie und Ihre ‚Schauspielerkolleginnen‘ nicht so viel Lärm machen würden.“

„Ähm vielleicht …“ Mirandas Stimme fand jedoch keine Beachtung.

„Keine Schauspieler“, sagte Lulu. „Einfach Menschen. Reality-Show, Sie erinnern sich? Oder haben Sie Gedächtnisprobleme?“

„Oh“, sagte er und starrte auf sie hinab. „Es gibt hier ein Problem, aber nicht mit meinem Gedächtnis.“

„Man sollte meinen, ein Anwalt wüsste, dass er in einem Diner keine Ruhe hat. Warum gehen Sie nicht in eine Bibliothek?“

„Es war hier alles in Ordnung, bis Ihre Leute auftauchten.“

„Okay, lasst es jetzt gut sein, okay?“ Miranda nahm Lulus Arm und wollte sie wegziehen.

Aber Lulu war noch nicht bereit. Ehrlich gesagt hatte sie diesen tollen, übellaunigen Mann kennenlernen wollen, aber mit einer so explosiven Chemie zwischen ihnen hatte sie nicht gerechnet. Jeder in dem Restaurant beobachtete sie, und sie zweifelte nicht daran, dass die Kameras den gesamten Austausch zwischen ihr und Kace LeBlanc eingefangen hatten. Kace. Was für ein toller Name.

„Wir lassen Sie jetzt mal arbeiten“, sagte Lulu, als er sich wieder setzte. „Sagen Sie uns aber unbedingt, wenn wir zu laut sind. Nicht, dass wir dann leiser würden, aber ich will nicht verpassen, wenn Sie sauer sind.“

Seine Lippen zuckten. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie jemals still sind.“

Sie schenkte ihm ein kurzes, verschmitztes Lächeln. „Nein. Und in bestimmten Situationen schreie ich sogar.“

Später am Nachmittag fuhr Irina zu Kellans Ranch und parkte vor dem Haupthaus.

Bei ausgeschaltetem Motor saß sie einfach nur da und betrachtete das Haus. Es hatte zwei Stockwerke, war strahlend weiß mit schwarzen Fensterläden und schwarzen Geländerpfosten auf der breiten Veranda. Schattenspendende Eichen umrahmten das Gebäude.

„Na los“, murmelte sie und warf einen Blick auf die feuerrote Eingangstür des Hauses. „Worauf wartest du noch?“

Wer konnte es ihr verübeln, dass sie den Moment hinauszögerte? Kellans Nähe war gefährlich für die innere Stabilität, die sie in den letzten sieben Jahren aufgebaut hatte.

Doch die Entscheidung war bereits getroffen, und sie jetzt aufzuschieben, würde nichts ändern. Also griff sie nach der braunen Aktentasche auf dem Beifahrersitz, holte tief Luft und stieg aus. Einen Herzschlag später jedoch ging die Haustür auf und eine atemberaubend schöne Frau mit kurzem, schwarzem Haar kam heraus. Sie trug einen schwarzen Mantel, ein himmelblaues Kleid und High Heels.

Sie lachte Kellan an, der hinter ihr aus dem Haus kam. An der Treppe, die von der Veranda führte, blieben die beiden stehen, umarmten sich, und dann ging die immer noch lächelnde Frau zu ihrem Wagen, stieg ein und fuhr davon.

Irina hatte das Gefühl, als bliebe ihr das Herz stehen. Sie war so dumm. Natürlich gab es andere Frauen in Kellans Leben. Er war kein Mönch. Das hieß jedoch nicht, dass sie ihn gern mit einer anderen Frau sah. Im Gegenteil, es tat weh.

Kellan drehte den Kopf, erblickte ihren Wagen und stieg die Stufen hinunter. Irina konnte es nicht länger hinauszögern, also ging sie auf ihn zu. Jetzt, nachdem sie die wunderschöne Frau bei ihm gesehen hatte, war sie froh, dass sie sich so viel Mühe mit ihrer äußeren Erscheinung gegeben hatte. Ihr langes blondes Haar fiel in weichen Wellen über ihre Schultern. Sie trug eine schwarze Hose, eine dunkelrote, langärmelige Bluse und einen warmen schwarzen Mantel. Der Wind peitschte, als wollte er sie drängen, wieder ins Auto zu steigen und wegzufahren, solange sie es noch konnte. Sie hörte Cowboys rufen und Pferde wiehern.

Doch sie nahm nur Kellan wahr. Er sah aus wie ein erfolgreicher Rancher. Den Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen, was irgendwie das stechende Blau seiner Augen betonte. Den Kragen seiner schweren Lederjacke hatte er hochgestellt. Er trug ein kariertes Flanellhemd und Jeans, die seine muskulösen Schenkel umspannten, dazu zerkratzte Cowboystiefel.

Ironisch, dass er der Inbegriff des amerikanischen Cowboys war, von dem sie als junge Frau in Russland geträumt hatte. Aber in diesen kindischen Träumen hatte es Liebe und ein Happy End gegeben. Kein gebrochenes Herz.

Irina atmete tief durch. Jeder Nerv in ihrem Körper war wach und in Alarmbereitschaft. Ihr war flau im Magen, und ihr Herz schlug heftig.

„Irina. Ich wollte später zu dir kommen.“

„Habe ich bei etwas gestört?“ Sie deutete mit dem Kopf auf den schwarzen Sportwagen.

Er schüttelte den Kopf. „Das war Ellie Rae Simmons. Meine Assistentin. Sie ist gestern Abend von Nashville gekommen, um sich um ein paar Dinge zu kümmern.“

„Ach so.“ Seine Assistentin. Jetzt sollte sie sich besser fühlen, doch diese Umarmung hatte ziemlich vertraut für Chef und Assistentin gewirkt. „Es sah … anders aus.“

„Eifersüchtig?“

„Natürlich nicht“, log sie. „Ich habe keinen Grund dazu, oder?“

„Nein, hast du nicht.“

Nun, das war jedenfalls ehrlich.

Er verschränkte die Arme vor der breiten Brust. „Warum bist du hier, Irina?“

„Ich möchte mit dir über Buck sprechen.“

„Du musst mir nichts über meinen Vater erzählen.“

„Ich glaube doch.“ Natürlich konnte sie ihm nicht alles sagen. Sie hatte Buck ein Versprechen gegeben, und sie würde es nicht brechen. Aber es gab Dinge, die Kellan einfach wissen musste.

„Irina, lass es. Buck ist tot, und es gibt nichts, was daran etwas ändern könnte.“

„Nein. Aber ich kann dir etwas erzählen, was deine Meinung über ihn ändern könnte.“

Er schnaubte.

„Können wir reingehen?“

Es schien fast, als wollte er ablehnen, doch dann sagte er: „Natürlich. Komm rein.“

Er trat zurück, um ihr den Vortritt zu lassen, und Irina spürte seinen Blick auf sich. Ein kalter Schauer überlief sie, der sich schnell in Hitze verwandelte. Anscheinend hatte sie keine Kontrolle über die Reaktion ihres Körpers auf diesen Mann. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Verstand den Kampf gewann.

„Lass uns ins Wohnzimmer gehen.“ Er durchquerte das Foyer.

Sie folgte ihm und konnte nicht verhindern, dass ihr Blick auf seinen ansehnlichen Hintern in den engen Jeans fiel. Er legte seinen Hut auf den Tisch, zog die Jacke aus und warf sie auf den nächsten Stuhl.

Irina nahm sich einen Moment Zeit, um sich umzusehen, da sie das erste Mal im Haus war. Es gab keine Weihnachtsdekoration, anders als auf Blackwood Hollow. Aber die deckenhohen Fenster boten einen wunderbaren Blick auf das Land und den Hof mit den Nebengebäuden. Das Sonnenlicht durchflutete den Raum und setzte die in Blau- und Grüntönen gehaltene Sitzgruppe in Szene. Der Holzboden glänzte, und die große Fläche wurde mit dunkelroten Teppichen aufgelockert. Alles in allem ein sehr gemütlicher Raum mit einer ausgesprochen männlichen Note.

Und ausgesprochen männlich beschrieb auch Kellan Blackwood perfekt.

Irina zog ihren Mantel aus und warf ihn neben Kellans Jacke. Die mitgebrachte Aktentasche hielt sie fest. „Warum wolltest du zu mir kommen, Kellan?“

Er zuckte mit den Achseln. „Ich suche immer noch nach Informationen, Irina. Das ist kein Geheimnis.“

„Nun, vielleicht kann ich dir dabei helfen.“

Überraschung blitzte kurz in seinen Augen auf. „Damit hatte ich nicht gerechnet. Gestern hast du mir deutlich zu verstehen gegeben, dass du mir mit Miranda nicht helfen willst.“

„Hier geht es nicht um deine frühere Stiefmutter“, sagte Irina. „Es geht um Buck.“

„Kein Interesse.“

Gott, er war stur wie eh und je. Seine Augen blickten kalt, desinteressiert.

„Kellan, er war nicht der Mann, für den du ihn hältst.“

Er lachte kurz auf. Humorlos. „Tatsächlich?“ Kopfschüttelnd fügte er hinzu: „Viel Glück dabei, mich davon zu überzeugen. Ich kannte den Mann mein ganzes Leben, Irina. Und du glaubst, du kennst ihn besser als ich?“

„Ja. Denn ich weiß, was für ein guter Mensch Buck war. Er hat vielen Menschen geholfen. Mich eingeschlossen.“

„Wovon redest du?“

Nun, sie war gekommen, um ihm die Wahrheit zu sagen, und das bedeutete, dass sie ihm ihre eigene Geschichte anvertrauen musste. „Du weißt, dass ich schon einmal verheiratet gewesen bin.“

„Ja …“

„Was du nicht weißt, ist, dass ich eine Braut aus dem Katalog war.“

„Ist das dein Ernst?“

Er sah sehr überrascht aus. Verständlich. Den meisten Menschen war nicht bewusst, dass es so etwas noch gab. Aber es gab Dinge wie die Braut aus dem Katalog, und Irina hoffte inständig, dass es in den meisten Fällen für die „Braut“ besser ausging als für sie.

„Meine jüngere Schwester und ich wurden sehr früh Waisen, und wir träumten davon, nach Amerika zu kommen.“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich daran erinnerte, wie sie in dem lauten Waisenhaus im Dunkeln gelegen und mit ihrer Schwester geflüstert hatte. Sie hatten von Liebe und Ehemännern geträumt und davon, essen zu können, was und wann sie wollten.

„Als wir älter waren, gab Olga diese Träume auf und heiratete einen Regierungsbeamten. Ich aber trat einem Online-Dating-Service bei, der junge russische Frauen mit erfolgreichen amerikanischen Geschäftsleuten zusammenbrachte.“

Autor

Deborah Fletcher Mello
Deborah Fletcher Mello schreibt, seit sie denken kann, und sie kann sich nicht vorstellen, jemals etwas anderes zu tun. Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt sie 2009 den RT Reviewers’ Choice Award. Immer wieder erfindet sie originelle Geschichten und beeindruckende Heldinnen und Helden. Deborah ist in Connecticut geboren und aufgewachsen, fühlt...
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