Baccara Collection Band 452

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

HEISS WIE FEUER, KALT WIE SCHNEE von MAISEY YATES
Ein Schneesturm zwingt Honey, ihre Weihnachtsreise abzubrechen und die Nacht in einer Schutzhütte zu verbringen – zusammen mit Jericho Smith! Seit der sexy Cowboy sie um ihr Erbe brachte, hasst sie ihn. Aber warum knistert es dann heißer als jedes Feuer zwischen ihnen?

NUR EINE NACHT MIT DEM BOSS? von PAMELA YAYE
Dieser feurige Blick, dieser Körper! Obwohl er als unverbesserlicher Frauenheld gilt, verzehrt Jada sich immer mehr nach ihrem Boss Max. Ein Fehler? Mit einer einzigen Nacht der Lust nach der Weihnachtsfeier riskiert sie mehr als nur ihren Job, viel mehr …

KÜSS MICH, COUNTRYGIRL! von BRIDGET ANDERSON
Ausgerechnet der Großunternehmer Miles Parker weckt Kylas Verlangen. Während ihr Herz für ihre kleine Öko-Farm schlägt, setzt er jedoch auf Gentechnik, um den Hunger in der Welt zu besiegen. Gegen jede Vernunft kann sie Miles‘ Anziehungskraft trotzdem nicht lange widerstehen …


  • Erscheinungstag 29.11.2022
  • Bandnummer 452
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508360
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maisey Yates, Pamela Yaye, Bridget Anderson

BACCARA COLLECTION BAND 452

MAISEY YATES

Heiß wie Feuer, kalt wie Schnee

Jericho begehrt die schöne Honey so heimlich wie hoffnungslos: Seit er das Weingut ihrer Familie gekauft hat, sucht sie ständig Streit mit ihm! Als er sie aus einem Schneesturm rettet und mit ihr Schutz in einer Hütte sucht, brennt jedoch bald mehr als nur das Feuer im Kamin gefährlich heiß. Fühlt Honey sich etwa genauso zu ihm hingezogen wie er zu ihr?

PAMELA YAYE

Nur eine Nacht mit dem Boss?

Was würde Agenturchef Max Moore nur ohne seine treue Assistentin Jada tun? Sie hält nicht nur aufdringliche Verehrerinnen von ihm fern, sondern kümmert sich auch noch rührend um seine kleine Tochter. Aber kaum hat er Jada zu einer Nacht der Leidenschaft verführt, muss er fürchten, sie zu verlieren. Denn sie ersehnt offenbar mehr, als er ihr geben kann …

BRIDGET ANDERSON

Küss mich, Countrygirl!

Unternehmer Miles Parker ist auf den ersten Blick fasziniert von Countrygirl Kyla Coleman. Ehe er sichs versieht, steckt er mitten in einer leidenschaftlichen Affäre mit ihr. Doch als er überzeugt ist, in Kyla die Traumfrau für den Rest seines Lebens gefunden zu haben, zieht sie sich überraschend wieder vor ihm zurück …

1. KAPITEL

Honey Cooper blickte sich in dem geschmackvoll eingerichteten Verkostungsraum um. Abgesehen von den Rebstöcken selbst, war dieser Raum das Kronjuwel des Weinguts Cowboy Wines. Dennoch würde sie das gesamte Gebäude wahrscheinlich bis auf die Grundmauern niederbrennen, wenn sie nur eine Schachtel Streichhölzer und etwas mehr Mumm besäße.

Allerdings hatte noch nie jemand an ihrem Mut gezweifelt. Vielleicht war Honey einfach nur fest entschlossen, einen Aufenthalt im Gefängnis zu vermeiden. Das mochte allerdings nicht der beste Grund sein, um vom Abbrennen des Familienunternehmens abzusehen. Oder besser gesagt, vom Abbrennen des ehemaligen Familienunternehmens.

Das Weingut war im Familienbesitz gewesen, bis Jericho Smith es gekauft hatte. Jericho Smith war der unausstehlichste Kerl, den Honey je getroffen hatte – eine echte Nervensäge. Aber er war auch der attraktivste Mann, den sie je zu Gesicht bekommen hatte. Er machte sie nervös. Und das war schon immer so gewesen.

Jetzt hatte er sich auch noch in den Besitz ihres Erbes gebracht. Nur, weil ihre Brüder nicht länger daran interessiert waren, das Tagesgeschäft des Weinguts zu erledigen und ihr Vater in den Ruhestand gehen wollte, hatte Jericho angeboten, das Gut zu kaufen.

Honeys Vater fand das Angebot mehr als zufriedenstellend und hatte sich auf den Handel eingelassen. Sicher, es befand sich nun eine ansehnliche Summe auf Honeys Bankkonto. Das Geld hatte ihr Vater ihr als finanzielle Absicherung zukommen lassen. Aber das spielte keine Rolle. Darum ging es nicht.

Vielleicht sollte sie sich doch auf die Suche nach einer Streichholzschachtel machen.

Ein Ton, der ihr signalisierte, dass sie eine Textnachricht erhalten hatte, lenkte sie von diesem Gedanken ab. Sie blickte auf das Display ihres Smartphones.

Es handelte sich um eine Nachricht von Donovan. Wie überaus interessant.

Donovan führte im Norden am Stadtrand von Portland einen Reit- und Pferdezuchtbetrieb. Sie hatte ihn durch eine Dating-App kennengelernt. Auch, wenn sie sich immer noch nicht recht mit der Tatsache abgefunden hatte, dass sie, Honey Cooper, eine Dating-App überhaupt nutzte.

Aber sie war die magere Ausbeute hier im Gold Valley wirklich leid. Sie hatte Cowboys gründlich satt. Und sie hatte es satt, dass jeder ihre Brüder kannte und ihren Vater.

In dieser Gegend galt sie als verbotene Frucht. Es kam ihr vor, als würde sie in einem Glaskasten sitzen. Jeder Mann benahm sich, als würde er befürchten, verprügelt zu werden, sobald er sich ihr auch nur auf dreißig Meter näherte. Allerdings bestand tatsächlich die Gefahr, Prügel zu erhalten. Jackson und Creed, ihre Brüder, waren nicht gerade für ein ausgeglichenes Temperament bekannt. Und Jericho … Er war der große Bruder, den sie eigentlich nicht gebraucht hätte.

Er machte sie nervös und erregte ihren Zorn, und zwar seit sie entdeckt hatte, dass zwischen Mädchen und Jungen ein grundlegender Unterschied besteht. Er kannte sie schon so lange, dass er in ihr nur das kleine Mädchen mit dem Pferdeschwanz sah. Er hatte bis jetzt nicht wahrgenommen, dass sie eine Frau geworden war. Und daran würde sich vermutlich auch nichts ändern.

Außerdem kannte sie Jerichos Einstellung zu Beziehungen nur allzu gut. Ihm lag daran, eine schöne Zeit zu haben. Aber keine lange Zeit.

Wenn er doch nur nicht so unglaublich attraktiv wäre.

Allerdings war Donovan das auch. Wenn die Fotos, die er ihr geschickt hatte, tatsächlich ihn selbst zeigten.

Donovan schien ihr einen Weg zu weisen, Gold Valley verlassen zu können. Auch das Weingut, ohne es in Brand zu stecken. Und Jericho. Ein für alle Mal.

Denn die Nähe zu all dem war Teil des Problems. Sie lebte immer noch auf dem Weingut. Sie kam sich umzingelt vor. Von ihren Brüdern, von Jericho und ihrem Vater samt dessen Verrat.

Daher schien es das Beste zu sein, nach Portland zu fliehen. Sich einen anderen Job zu suchen und vielleicht ihre Jungfräulichkeit an Donovan zu verlieren.

Nein, sie würde ihre Jungfräulichkeit auf jeden Fall an Donovan verlieren. Und zwar an Weihnachten.

Sie würde Jericho vergessen. Genau wie den Umstand, dass er sie durch den Kauf des Weinguts zugrunde gerichtet hatte. Soweit sie zurückdenken konnte, war das Gut ihr Traum und einziges Ziel gewesen. Sie hatte für das Gut gelebt und sich die Finger wund gearbeitet – genauso wie der Rest der Familie. Und jetzt war nichts mehr davon übrig.

Trotzdem fühlte sie sich zu Jericho hingezogen. Obwohl sie unglaublich zornig auf ihn war. Obwohl sie wusste, dass er praktisch jede Nacht mit einer anderen Frau verbrachte. Aber das spielte keine Rolle. Es kümmerte sie nicht, denn sie hatte nicht den Wunsch, mit ihm auszugehen.

Sie hatte lediglich den Wunsch, sich in seine Arme zu werfen und die Beine um seine Hüften zu schlingen.

Welche Frau hätte das nicht gewollt? Er sah so unverschämt gut aus. Groß, breitschultrig und muskulös. Die personifizierte Verführung in Cowboystiefeln nebst passendem Hut.

Honey hatte ihre Mutter im Alter von dreizehn Jahren verloren. Diesen Verlust hatte sie nie wirklich überwunden. Ihre Welt war damals komplett aus den Fugen geraten. Trotzdem hatte sie ihr Bestes getan, um sich an dem festzuhalten, was ihr noch geblieben war. Das waren ihr Vater und ihre Brüder. Und sie hatte sich ihnen nach besten Kräften angepasst.

Sie wusste, wie schwer es für ihren Vater gewesen war, mit Honey und ihrer grenzenlosen Trauer umzugehen. Also hatte sie sich Mühe gegeben, sich diese Trauer nicht anmerken zu lassen. Was ihr Verhalten und ihr Äußeres anbelangte, war sie das Cowgirl geworden, das sie sein musste.

Aber das hatte sie in eine Sackgasse geführt. Und jetzt war sie bereit für etwas anderes. Sie war bereit herauszufinden, was sie noch tun und sein konnte.

Donovan war anders. Er wirkte anspruchsvoll und kultiviert. Er führte einen Reit- und Zuchtbetrieb, keine Ranch. Sie würde als Trainerin bei ihm arbeiten, nicht als Landarbeiterin. Sie würde eine anspruchsvolle Tätigkeit ausüben. Und sie würde frei sein.

Und keine Jungfrau mehr.

Wenn ihr Vater glaubte, dass sie das Weingut nicht brauchte, musste sie nicht länger hier bei ihrer Familie sein.

Dieser Gedanke versetzte ihr einen schmerzhaften Stich. Sie hatte eigentlich nicht vor, sich mit ihrer Familie zu überwerfen. Sie war noch sehr jung gewesen, als ihre Mutter starb. Ihr Vater hatte sich gut um sie gekümmert. Aber er hatte nicht so recht gewusst, wie eine Tochter zu erziehen war. Er liebte sie, das hatte sie immer gespürt. Gleichgültig, wie schwer alles nach dem Tod ihrer Mutter geworden war. Doch es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass sie einen Anteil des Gutes haben wollte. Obwohl sie fast ihr ganzes Leben hier gearbeitet hatte.

Und ihre Brüder … Sie waren wirkliche Nervensägen. Und doch liebten sie ihre kleine Schwester von ganzem Herzen.

Sie brauchte unbedingt Abstand von all dem. Und sie hatte einen Plan, wie sie diesen Abstand bekommen würde.

Sie hatte Donovan eine Nachricht geschickt, dass sie in der Woche vor Weihnachten bei ihm eintreffen würde.

Morgen würde sie aufbrechen. Sie musste hier raus. So schnell wie möglich.

Bisher hatte sie Weihnachten immer mit ihrer Familie gefeiert. Dass es diesmal nicht der Fall sein würde, war eine Trotzreaktion. Sie wollte ihre Pläne auch nicht mit ihnen besprechen. Sie würde einfach gehen und tun, was immer ihr gefiel.

Dazu brauchte sie weder die Erlaubnis ihres Vaters noch die ihrer Brüder. Sie hatte ihnen auch nicht erzählt, wie sie sich fühlte und wie wütend sie war. Das hätte ja keinen Sinn gehabt.

Ihr Vater wollte von ihren Gefühlen ohnehin nichts wissen.

Außerdem war er kaum noch hier. Sie hatte keine Ahnung, was mit ihm los war. Sie registrierte nur, dass er selten zu Hause war. Ihre Brüder waren verheiratet. Beide hatten in die Familie Maxfield eingeheiratet. Das bedeutete, sie würden auf dem schicken Weingut der Maxfields arbeiten. Oder schlimmer. Sie erwarteten, dass sie das Gleiche tat.

Im Grunde hatte sie nichts gegen ihre Schwägerinnen. Aber sie waren ziemlich anstrengend. Cricket war ungefähr in ihrem Alter. Eigentlich hätten sie Freundinnen werden können. Es kam Honey nur komisch vor, sich mit einer Frau anzufreunden, die mit ihrem Bruder schlief.

Donovan hatte ihr geschrieben, dass er ein Zimmer für sie vorbereitet hatte.

Sie hoffte, dass es sich um ein Zimmer handelte, in dem sie beide schlafen konnten. Sie war bereit für eine Veränderung. Für etwas Neues. Für eine Chance, sich zu verändern.

Sie würde ihren Platz in der Welt finden. Und dazu brauchte sie das Weingut ihrer Familie nicht.

Jericho war todmüde. Und er hatte nur noch einen Tag, bis er aufbrechen musste, um das Weihnachtsfest mit der Dalton-Familie zu verbringen.

Am liebsten wäre er gar nicht gefahren. Am liebsten wäre er so unhöflich gewesen und einfach nicht aufgetaucht, obwohl die Daltons ihn eingeladen hatten. Vor zwei Monaten hatte West Caldwell, offenbar sein Halbbruder, Kontakt zu ihm aufgenommen und ihn über seine Verbindung zu der Familie informiert.

Hank war davon ausgegangen, dass Jericho zu wütend sein würde, um mit ihm selbst zu sprechen. Er dachte, seine außerehelichen Kinder vermuteten, dass er von ihnen wüsste und sie ignoriert hätte. Das entsprach jedoch nicht der Wahrheit.

West hatte sich freiwillig als Bote zur Verfügung gestellt. Er und Jericho hatten sich in einer Bar getroffen, und West hatte ihm die Situation erklärt und auch davon berichtet, wie er selbst nach Gold Valley gekommen und Teil der Familie geworden war.

Allerdings hatte Jericho bereits über seine Verwandtschaft mit den Daltons Bescheid gewusst. Seit er alt genug war, um zu verstehen, dass jeder Mensch einen Vater hatte, wusste er, wer sein Vater war. Auch wenn der sich einen Dreck um ihn geschert hatte.

Nun stellte sich heraus, dass das nicht der Wahrheit entsprach.

Hank Dalton hatte nichts von seiner Existenz gewusst. Der berühmt-berüchtigte Rodeoreiter war offenbar Vater einer ganzen Schar von Kindern, von denen er keine Ahnung gehabt hatte. In seinem Leben hatte es eine wilde Phase gegeben, in der er seine Frau mit zahlreichen Frauen betrogen hatte. Da er offensichtlich damals nicht begriffen hatte, wozu Kondome gut waren, gab es nun eine ganze Reihe von Nachkommen, die in den Dreißigern waren. Einige davon mit seiner Ehefrau Tammy, andere nicht.

Jericho war nun der Letzte, der ausfindig gemacht wurde. Das lag daran, dass Hank seinen Vornamen nie erfahren hatte, und der Nachname sehr verbreitet war.

Hank war in der Gegend sehr bekannt, und Jerichos Mutter hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, wer der Vater ihres Sohnes war.

Aber dann starb Jerichos Mutter, als er sechzehn Jahre alt war. Die Familie Cooper hatte sich danach um ihn gekümmert und dafür gesorgt, dass es ihm an nichts fehlte.

Krebs war eine entsetzliche Krankheit, die ihm seine starke, fürsorgliche Mutter viel zu früh entrissen hatte. Dies war ein Schmerz, den er mit der Familie Cooper teilte. Aber sie hatten eigentlich nie darüber geredet. Gefühle standen nicht sehr weit oben auf der Liste der Gesprächsthemen. Aber alle wussten, was er verloren hatte und wie er sich fühlte. Das war genug.

Teil dieser Familie zu sein war genug.

Soweit es seine Mutter betraf, hatte Hank sie zurückgewiesen. Und Jericho hätte nie etwas von seinem ihm völlig fremden Vater angenommen.

Aber die Situation war bei Weitem komplizierter. Wie sich herausstellte, war es Hanks Frau Tammy, die seine ehemaligen Geliebten und deren Kinder ausfindig gemacht hatte. Hank selbst hatte davon keine Ahnung.

Daher würde Jericho dieses Weihnachtsfest mit der Familie seines Vaters verbringen. Er war sich nicht sicher, ob für ihn dabei etwas herausspringen würde. Er hatte sein bisheriges Leben ohne eine richtige Familie verbracht. Nun war er neugierig darauf, diese große Familie kennenzulernen, zu der er in gewisser Hinsicht gehörte.

Glücklicherweise gab es ja noch Honey, die sich in seiner Abwesenheit um das Weingut kümmern würde. Außerdem konnten Jackson und Creed sich gefälligst hierherbemühen und ihr helfen. Immerhin waren sie für ihn wie Brüder.

Aber Honey …

Sie war ihm unter die Haut gegangen, obwohl er das niemals zugegeben hätte. Er hatte sie schon als aufmüpfiges, kratzbürstiges kleines Mädchen gekannt. Sie hatte sich in eine aufmüpfige, kratzbürstige Frau verwandelt, die sein Blut in Wallung brachte und in ihm die Frage aufwarf, ob sie das Risiko wert war.

Denn wenn er es je gewagt hätte, sie zu berühren, hätten Jackson und Creed ihm die Hölle heiß gemacht.

Also hatte er die Finger von ihr gelassen.

Aber ungeachtet der unwillkommenen Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, war sie eine hervorragende Arbeitskraft. Bestimmt war sie bereit, auf dem Weingut in seiner Abwesenheit nach dem Rechten zu schauen. Seit sich das Weingut in seinem Besitz befand, hatte er den Eindruck, dass sie doppelt so hart arbeitete wie vorher.

Das brachte ihn auf einen anderen Gedanken. Vielleicht war es sein Erfolg, der ihn dazu verleitete, Weihnachten bei den Daltons zu verbringen.

Er war bis jetzt auch ohne Hank im Leben sehr weit gekommen.

Er hatte es aus dem Nichts zu etwas gebracht, auch wenn er sich dabei die Finger blutig gearbeitet hatte. Nachdem er jahrelang dort geschuftet hatte, kaufte er seine erste Ranch. Dann erwarb er eine weitere Ranch. Er expandierte und machte erheblichen Profit. Schließlich gelangte er an den Punkt, an dem er das Weingut kaufen konnte. Er besaß mehrere Unternehmen, die mit Pferdezucht und Landwirtschaft zu tun hatten.

Ja, er konnte beachtliche Erfolge verzeichnen.

Er brauchte weder das Mitleid noch das Geld der Daltons. Es hatte Zeiten gegeben, da hätte seine Mutter die finanzielle Unterstützung der Daltons gut gebrauchen können. Sie hatte eine einmalige Zahlung von der Familie erhalten. Aber ihre Krebserkrankung hatte sie in den Ruin geführt.

Jericho war mit leeren Händen zurückgeblieben. Zuerst hatte ihn das verbittert. Bis er sich entschloss, dass die beste Rache darin bestand, es aus eigener Kraft zu Wohlstand zu bringen. Und das hatte er getan.

Er hatte so hart gearbeitet, dass er eine Ehe oder die Gründung einer Familie nie in Betracht gezogen hatte. Das war ohnehin nichts für ihn.

Er betrat den Verkostungsraum des Weinguts und erblickte Honey, die am Empfangstisch lehnte und telefonierte. Sie trug Jeans, die so eng saßen, dass ihr perfekt gerundetes Hinterteil sich deutlich darin abzeichnete.

Nein, Honey war nicht seine Schwester. Sie war jetzt zweiundzwanzig Jahre alt. Zu jung. Zu ernst. Und vermutlich würde sie ihn eher in die Hand beißen, als ihn zu küssen.

Und trotzdem, oder vielleicht auch deshalb, fühlte er sich zu ihr hingezogen.

Er wusste genau, wann der Schalter umgelegt worden war. Er gab sich Mühe, nicht daran zu denken. Es war im letzten November gewesen, als Creed verkündet hatte, er würde seine Rivalin heiraten, weil sie schwanger von ihm war.

Honey war deswegen außer sich vor Zorn gewesen, hatte ihren Bruder heftig attackiert und behauptet, sie selbst würde niemals wegen einem Mann den Kopf verlieren, so wie Creed es offenbar wegen einer Frau passiert war.

Sie schien sich dessen so sicher zu sein, dass etwas in Jericho zerbrochen war. Sie war eine Frau.

Und er fragte sich, was für ein Mann es vielleicht doch schaffen würde, ihr den Kopf zu verdrehen.

Und wie aus dem Nichts kannte er plötzlich die Antwort.

Er selbst.

Am liebsten wäre er damals aus dem Zimmer gerannt, denn er hatte das Gefühl, in Flammen zu stehen. Stattdessen war geblieben und hatte dieses Gefühl ignoriert.

Das tat er immer noch.

„Hallo.“

Honey hob langsam den Kopf und warf ihm mit unbewegter Miene einen kühlen Blick zu. „Jericho.“

„Hast du diesen Gesichtsausdruck im Spiegel geübt?“

„Welchen Gesichtsausdruck?“, fragte sie und runzelte die Stirn.

„Na also, jetzt siehst du wieder aus wie du selbst. Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Kannst du hier nach dem Rechten sehen? Ich möchte über die Feiertage wegfahren.“

„Wie bitte?“

„Du hast mich gehört.“

Sie blinzelte. „Denkst du etwa, du wärst mein Boss?“

„Honey“, begann er. Er war sich bewusst, dass er das Schicksal herausforderte. „Mir gehört das Weingut jetzt. Und du arbeitest für mich.“ Vielleicht war ihr das noch nicht klar geworden, aber er war nun derjenige, der am Monatsende die Gehälter überwies.

„Ich kündige.“

„Du kündigst?“, wiederholte er fassungslos.

„Ich kündige. Und ich verlasse das Weingut. Heute noch.“

„Du verlässt das Weingut?“

„Wenn du immer wiederholst, was Frauen sagen, frage ich mich, wieso du so viel Erfolg bei ihnen hast.“

„Frauen schätzen mich nicht wegen meines Talents für Konversation“, gab er trocken zurück.

Sie errötete. „Es interessiert mich nicht, was Frauen an dir finden. Ich reise ab. Ich habe einen neuen Job gefunden.“

Er schluckte. „Wo?“

„In der Nähe von Portland.“

„Und wie sieht dieser Job aus? Hast du vor, in einem dieser Coffeeshops zu arbeiten?“

„Ich ziehe nicht in die Stadt, sondern in einen Reitbetrieb am Stadtrand. Ich habe dort einen Job als Trainerin bekommen.“

„Ich schätze, du warst noch nicht dort. Also willst du die Katze im Sack kaufen.“

„Ja.“

„Wer führt diesen Betrieb?“

„Das geht dich nichts an.“

„Weiß dein Vater davon?“

„Mein Vater ist viel zu beschäftigt damit … Na ja, er hat sehr enthusiastisch darauf reagiert, dass meine Brüder in die Familie Maxfield eingeheiratet haben.“

„Was soll das heißen?“

Er wusste genau, was das heißen sollte. Cash Cooper hatte vor vielen Jahren eine Affäre mit Lucinda Maxfield gehabt. Sie war seine Jugendliebe. Die Zeit und eine Reihe von Missverständnissen hatten sie auseinandergebracht. Aber da ihre Ehe mit James in die Brüche gegangen war und Cash seine Frau verloren hatte, vermutete Jericho, dass ihre Liebe füreinander neu entflammt war.

Allem Anschein nach vermutete Honey das ebenfalls.

„Offenbar sind die Maxfield-Frauen für die Männer meiner Familie unwiderstehlich.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Lust, das Weihnachtsfest auf dem Weingut der Maxfields zu verbringen. Und es gefällt mir nicht, dass du Cowboy Wines gekauft hast. Mir wäre es lieber, wenn alles wieder so wird, wie es früher war. Aber das wird wohl nicht passieren. Deshalb werde ich gehen. Ich habe einen Platz für mich gefunden. Und ich mag … Donovan wirklich.“

„Wer ist Donovan?“, fragte er und runzelte die Stirn.

„Ihm gehört der Betrieb, in dem ich arbeiten werde“, antwortete sie und zog die Nase kraus. „Ich habe mich schon oft online mit ihm unterhalten.“

Jerichos Magen zog sich schmerzhaft zusammen. „Das musst du mir näher erklären.“

„Wenn du es unbedingt wissen musst … Ich habe ihn über eine Dating-App kennengelernt.“

„Du hast den Kerl, für den du arbeiten willst, über eine Dating-App kennengelernt?“, wiederholte er fassungslos.

„Ja.“

„Dir ist hoffentlich klar, dass du damit ein hohes Risiko eingehst. Ich meine, du kennst den Mann doch gar nicht. Was, wenn er mehr will als deine Arbeitskraft?“

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass genau das der Fall ist“, erwiderte sie kühl.

„Ein Grund mehr, die ganze Sache abzublasen. Das hört sich an, als würdest du dich in eine sehr gefährliche Situation bringen.“

„Ich bin kein Kind mehr, Jericho. Ich fahre mit der festen Absicht nach Portland, mich auf alles einzulassen, was mich dort erwartet.“

„Zur Hölle, nein!“ Er kochte vor Zorn. Honey war nicht für ihn bestimmt. Das war ihm schon längst klar geworden. Aber er würde nicht zulassen, dass sie in den Norden fuhr, um mit irgendeinem Kerl anzubändeln. Allein bei dem Gedanken, sie könnte mit diesem Mann ins Bett gehen, sah er rot. „Nein, das wirst du nicht tun. Du bleibst hier.“

„Die Erkenntnis mag dich schockieren. Aber du hast keine Kontrolle über mich und mein Leben. Du kannst mir nicht vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe. Das geht dich überhaupt nichts an.“

„Es geht mich sehr wohl etwas an, Honey Cooper. Ob es dir nun gefällt oder nicht.“

„Du bist nicht mein Bruder, du Mistkerl“, fauchte sie ihn an. „Und du bist nicht mein Boss. Ich reise ab, und zwar morgen. Ich habe meine Sachen schon gepackt.“

„Das ist ein Problem, weil ich ebenfalls morgen wegfahren will.“

„Mag sein. Aber es ist dein Problem.“

„Honey …“

„Nein“, unterbrach sie ihn. „Ich bin raus. Ich hätte die Erste sein sollen, die mein Vater fragt, als er das Weingut verkaufen wollte. Aber das hat er nicht getan. Du hast es ebenso wenig in Betracht gezogen. Niemand hat je auf meine Gefühle oder Absichten Rücksicht genommen.“

„Ich wusste nicht, dass Cash dich nicht gefragt hat.“ Jericho fühlte sich schuldig wegen dieser Worte, denn Jackson hatte ihm gesagt, dass Honey über die Entscheidung ihres Vaters nicht glücklich sein würde. Er hatte beschlossen, das zu ignorieren und das Weingut zu kaufen.

Er wollte es unbedingt haben, denn es gab nicht viel in dieser Welt, das er als ein Erbe hätte beanspruchen können. Seine Mutter war tot, und sein Vater wollte nichts mit ihm zu tun haben. Jedenfalls dachte er das zu diesem Zeitpunkt. Cowboy Wines und die Coopers bedeuteten für ihn etwas, das einer Familie und einem Erbe am nächsten kam.

Cash hatte die Möglichkeit, das Gut an Honey zu verkaufen, mit keinem Wort erwähnt. Und Honey hatte bisher nie gesagt, dass sie es haben wollte.

Ihr Glück war jedoch wichtig für Jericho. Die ganze Familie war ihm wichtig. Er konnte also nicht zulassen, dass sie in das Bett irgendeines Kerls stieg, nur weil sie wütend war.

„Es spielt keine Rolle, ob du es wusstest oder nicht. Du hättest mit mir reden müssen. Ihr alle hättet mit mir reden müssen.“

„Die Sache ist die, ich wollte das Weingut unbedingt.“ Er nahm an, dass Ehrlichkeit hier die beste Politik war. „Ich hätte alles getan, um es zu bekommen. Ob du nun glücklich darüber bist oder nicht.“

„Nun, ich bin nicht glücklich. Aber das ist nicht mehr wichtig. Denn ich werde nicht hier sein.“ Sie drehte sich um und verließ den Raum.

Jericho widerstand dem Wunsch, ihr nachzulaufen. Honey und ihre Wutausbrüche waren nicht sein Problem. Es gab Wichtigeres, um das er sich kümmern musste. Zum Beispiel jemanden zu finden, der sich während seiner Abwesenheit um das Weingut kümmerte. Wenn er Creed oder Jackson bat, würde er Honeys Pläne durchkreuzen. Das war vermutlich die beste Lösung.

Er zog sein Telefon aus der Hosentasche und wählte Jacksons Nummer. „Hallo, ich bräuchte nächste Woche deine Hilfe auf dem Weingut.“

„Ja, sicher.“

„Ich habe eine kleine Reise vor, um meine Familie kennenzulernen.“

„Deine Familie?“

„Ja. Unter anderem meinen Vater. Hank Dalton.“

„Oh, verdammt. Ich verstehe.“

„Tu nicht so, als wäre es eine große Sache. Das ist es nämlich nicht.“

„Doch, ist es“, widersprach Jackson. „Hat er endlich deine Existenz zur Kenntnis genommen?“

Jericho hatte eigentlich keine Lust, über dieses Thema zu reden. Aber wie es aussah, blieb ihm nichts anderes übrig. „Er wusste nichts von mir.“

„Verdammt.“

„Für mich ist es keine große Sache. Ich wüsste also nicht, warum es für dich eine sein sollte. Ich will nur Weihnachten dort verbringen. Das ist alles.“

„Ich habe kein Problem damit, dir auf dem Weingut auszuhelfen.“

„Danke.“ Jericho hatte zwar vorgehabt, Honeys Pläne zu verraten, aber er tat es nicht. Er würde die Angelegenheit selbst mit ihr klären, anstatt ihr ihren Bruder auf den Hals zu hetzen.

Sie war schon jetzt zornig genug. Er wollte es nicht noch schlimmer machen. Sie würde schon noch zur Vernunft kommen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie tatsächlich nach Norden fuhr und hier alles stehen und liegen ließ.

Sie musste einfach zur Vernunft kommen. An die Alternative wagte er nicht zu denken.

2. KAPITEL

Honey warf einen Koffer auf die Ladefläche ihres Trucks und klatschte in die Hände. Alle Umzugskartons in ihrem Schlafzimmer waren vollgepackt. Für ihren Vater hatte sie eine Nachricht hinterlassen. Sie war bereit für den Aufbruch.

Die Kartons würden von einer Umzugsfirma abgeholt und separat zu ihrem Zielort gebracht werden. Sie selbst reiste mit leichtem Gepäck.

Besonders nach ihrer gestrigen Diskussion mit Jericho hielt sie nichts mehr hier. Wenn man das überhaupt als Diskussion bezeichnen konnte. Er war so ein arroganter Mistkerl. Sie hatte es gründlich satt. Männer, die glaubten, sie wüssten genau, was das Beste für sie war. Schlimmer noch, Männer, die Entscheidungen trafen, die ihr Leben beeinflussten, und sich dann wunderten, wenn sie zornig wurde. Mehr als zornig. Die ganze Geschichte mit dem Weingut hatte sie tief verletzt.

Sie wusste nicht, wie sie je darüber hinwegkommen sollte.

Sie wünschte sich, sie könnte wegen ihrer bevorstehenden Abreise triumphieren. Aber statt des erhofften Triumphs empfand sie nichts als Traurigkeit. Dieser Ort barg eine Reihe von Erinnerungen an ihre Mutter und viele glückliche Erinnerungen an ihren Vater und ihre Brüder. Ja, sogar an Jericho.

Sie waren eine Familie, die sich immer sehr nahegestanden hatte. Doch die Entscheidung ihres Vaters hatte einen Keil zwischen sie getrieben.

Es war ein Keil, von dem sie niemandem erzählt hatte. Sie wusste nicht, wie sie das tun sollte, ohne aus der Haut zu fahren. Außerdem erschreckte sie die Vorstellung, alles herauszulassen, nachdem sie so viele Jahre ihre Gedanken und Gefühle für sich behalten hatte.

Ihre Brüder hatten geheiratet und den Familienbetrieb verlassen. Alles hatte sich geändert. Bestimmt würde es nie wieder so werden wie früher.

Es gab keinen Grund, ihre Abreise noch länger hinauszuzögern. Sie ging zur Fahrertür ihres Trucks und hielt inne, als sie Jericho erblickte. Er lehnte an einem Baum, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und den schwarzen Hut tief ins Gesicht gezogen.

„Wohin fährst du eigentlich genau?“

„Nach Lake Oswego“, antwortete sie.

„Du wirst dort eingehen vor Langeweile.“

„Das glaube ich nicht. Und selbst wenn, ist es nicht dein Problem.“

„Du willst also tatsächlich abreisen?“

Honey runzelte die Stirn. „Meine Sachen sind gepackt. Was soll die Frage?“

„Bleib hier“, bat er eindringlich.

Seine raue, tiefe Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Das gefiel ihr überhaupt nicht. Sie musste weg von hier. Weg von ihm. Sie würde keine neuen Wege finden, wenn sie die Veränderung scheute.

„Du solltest nichts überstürzen“, fügte er hinzu.

Für diese Bemerkung hätte sie ihn am liebsten geohrfeigt. Er hatte ja keine Ahnung. Sie überstürzte nichts. Ihre Entscheidung war nach reiflicher Überlegung gefallen. Sie hatte die Konsequenzen aus zahlreichen Umständen gezogen, die sie unglücklich machten. Wenn sie hier verweilte, würde sie für den Rest ihres Lebens auf der Stelle treten.

„Das tue ich nicht. Und ich werde gehen.“

„Ich habe Jackson gebeten, hier in meiner Abwesenheit nach dem Rechten zu sehen. Ich habe ihm nichts von deinem Vorhaben verraten. Und jetzt möchte ich, dass du zur Vernunft kommst.“

„Zur Vernunft kommen heißt für dich, dass ich das tue, was du willst.“

Er hob die Augenbrauen. „Genau.“

Sie schnaubte abfällig. „Jericho, ich schulde dir nichts. Meine Wünsche haben dich auch nicht interessiert, als du das Gut gekauft hast.“

„So war es nicht.“

„Doch. Du hast es nicht für nötig gehalten, mit mir darüber zu sprechen. Und dabei war es, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen.“

„Aber wo ist der Unterschied? Du hattest auch keine Anteile an dem Unternehmen, solange dein Vater es geführt hat. Warum ist es so abwegig für dich, für mich zu arbeiten?“

Sie zögerte. Es fiel ihr nicht leicht, ihm ihre Gründe zu gestehen. Aber irgendwann musste sie es ihrem Vater sagen, ohne die Fassung zu verlieren. Da konnte sie jetzt schon mal mit dem Üben anfangen. „Weil ich gehofft habe, dass mein Vater mir eines Tages das Weingut hinterlassen würde. Uns. Ich hätte kein Problem damit, wenn er dir einen Teil davon vererben würde. Du gehörst zu dieser Familie. Aber ich kann nicht verstehen, warum er mich so gänzlich ausgeschlossen hat.“

„Du hast doch bestimmt Geld bekommen.“

„Das schon. Aber es ist nicht das Gleiche wie einen Teil des Landes zu besitzen. Geld kann man überall verdienen. Und genau das werde ich tun.“

„Hast du vor, mit diesem Kerl zu schlafen?“

Honey kochte vor Wut. Er besaß ihr Weingut. Er besaß ihr Herz. Da konnte er auch ihre Ehrlichkeit haben. „Ja. So oft es geht.“

Ihre Augen trafen sich, und sie senkte den Blick. Auch, wenn sie davon sprach, mit Donovan zu schlafen, so konnte sie sich das nicht wirklich vorstellen. Ja, sie hatte Fotos von ihm gesehen. Aber das ließ sich nicht mit Jericho vergleichen, der vor Zorn bebend vor ihr stand. Groß, muskulös und unverschämt attraktiv.

„Was ist?“, fragte sie schnippisch.

„Das ist keine gute Idee.“

„Na und? Sind deine Ideen immer gut?“

Er räusperte sich. „Nein, natürlich nicht.“

„Warum muss ich dann immer richtige Entscheidungen treffen? Ich möchte auch mal Fehler machen. Etwas ausprobieren. Und es ist nicht deine Aufgabe, darüber zu befinden. Ich fahre jetzt los.“

„Verdammt, Honey.“

„Verdammt, Jericho.“ Sie wollte zu ihrem Wagen gehen, aber er packte sie beim Arm und drehte sie zu sich um. Ihr Atem stockte, als sie in sein zorniges Gesicht blickte.

Sie nahm alles an ihm in sich auf. Seine markanten Gesichtszüge, seine dunkelbraunen Augen, die bronzefarbene Haut und die Bartstoppeln auf seine Wangen. Er hatte ihr das Weingut gestohlen, und nun beraubte er sie auch noch der Fähigkeit, klar zu denken.

„Lass mich los“, zischte sie wütend.

Sie würde nicht zulassen, dass er ihr noch mehr wegnahm. Er war zu lange Objekt ihrer geheimen, beschämenden Fantasien gewesen. Damit musste jetzt endlich Schluss sein. Sie riss sich los, ging trotzig zu ihrem Truck und stieg ein. Nachdem sie die schwere Tür zugeschlagen hatte, ließ sie das Fenster auf der Fahrerseite herunter.

„Ich fahre jetzt los.“

„Honey …“

„Ich fahre dich über den Haufen, wenn du dich mir in den Weg stellst.“ Sie holte tief Luft. „Frohe Weihnachten und so weiter. Und viel Glück bei deiner Familie. Ich hasse dich nicht. Ich kann nur einfach nicht mehr hier sein.“

Sie startete den Motor, trat aufs Gaspedal und fuhr an, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Fort von dem kleinen Haus, das sie jahrelang als ihr Heim betrachtet hatte. Fort von dem Weingut, das ebenfalls ihr Zuhause gewesen war. Fort von dem Mann, der für Schmetterlinge in ihrem Bauch gesorgt hatte, noch bevor sie wusste, was das zu bedeuten hatte.

Neben allen anderen Gründen konnte sie auch deswegen nicht bleiben, weil sie nicht den Rest ihres Lebens mitansehen wollte, wie Jericho endlos viele Frauen auf das Weingut einlud, um mit ihnen zu schlafen.

Also beschleunigte sie das Tempo und zwang sich, nicht zurückzublicken.

Nach einer Weile war ihr die von Bäumen gesäumte Straße nicht mehr vertraut. Als sie durch enge Kurven bis auf eine Anhöhe fuhr, bemerkte sie, dass der Straßenrand nicht mehr von einer dünnen Schneedecke, sondern von hohen Anhäufungen bedeckt war, die vermutlich ein Schneepflug hinterlassen hatte. Zum Glück war es nicht so kalt, dass die Straße vereist war.

Sie war auf dem Weg. Endlich.

Sie wollte nicht über ihre Gefühle nachdenken. Und auch nicht darüber, warum sie ihr Zuhause verlassen musste. Sie wollte einfach nur weg. Denn, dass Jericho das Weingut gekauft hatte, war der eindeutige Beweis für sein Desinteresse ihr gegenüber. Sie jedoch dachte sehr oft an ihn. Viel öfter, als eine Frau an einen Mann denken sollte, der nie das geringste Interessen an ihr gezeigt hatte.

Die Straße verlief nun parallel zu einem Fluss, und Honey wurde durch die Schönheit der Landschaft von ihrem Kummer abgelenkt. Schnelle Stromschnellen brachen sich an gewaltigen Felsen, das Ufer war von gewaltigen Pinien gesäumt, und ein Seeadler bot eine atemberaubende Vorstellung, als er auf den Fluss hinabstieß, um im Wasser zu fischen.

Plötzlich begann der Motor zu stottern, und der schwere Wagen machte einen Satz. Honey erschrak und blickte sich ratlos um, als könnte sie in der Natur die Antwort darauf finden, was mit ihrem Truck los war.

Als der Motor erneut stotterte, lenkte sie den Wagen an den Straßenrand, ließ ihn im Leerlauf weiterlaufen und atmete tief durch.

Es war bestimmt nichts Schlimmes. Alles war in Ordnung.

Sie legte den Gang ein und wollte zurück auf die Straße fahren, aber der Motor gab ein grauenvoll knirschendes Geräusch von sich und erstarb.

Verdammt! So ein Mist.

Sie griff nach ihrem Handy, um ihre Brüder anzurufen. Aber sie bekam keinen Empfang.

Sie stieg aus und sah sich um. Es war kälter geworden, und der Wind hatte merklich aufgefrischt. Am Himmel dräuten schwere graue Wolken.

Sie kam sich vor, als wäre sie der einzige Mensch auf der Welt.

Sie konnte unmöglich zu Fuß nach Gold Valley zurückkehren. Bis hierher war sie bereits mehr als eine Stunde unterwegs gewesen. Zurück würde sie den ganzen Tag brauchen. Auf der gesamten Route, die sie gewählt hatte, gab es nirgendwo eine menschliche Ansiedlung.

Es war schrecklich.

Niemand wusste, dass sie weggefahren war oder wann sie ankommen wollte. Außer Jericho, und der rechnete in der nächsten Zeit nicht mit ihrer Rückkehr. Donovan hatte keine Ahnung, dass sie sich heute schon auf den Weg gemacht hatte.

Sie konnte nur darauf hoffen, dass irgendjemand die Straße entlangfuhr und auf ihre missliche Lage aufmerksam wurde.

Auf keinen Fall wollte sie in Panik geraten. Es gab keinen Grund dafür. Sie musste nur in Ruhe überlegen, was zu tun war. Im Handschuhfach bewahrte sie ein paar Energieriegel auf. Sie stieg wieder ein, öffnete das Fach und holte einen davon heraus. Sie riss die Verpackung auf und biss hinein. Aus unerklärlichen Gründen verspürte sie plötzlichen Heißhunger. Die Aussicht, hier festzusitzen, war alles andere als erfreulich.

Irgendjemand würde schon hier vorbeikommen. Sie befand sich schließlich nicht am Ende der Welt.

Alles würde in Ordnung kommen. Ihr ging es gut.

Fünfundvierzig Minuten später ging es ihr nicht mehr gut. Besonders, als die ersten Schneeflocken vom Himmel fielen.

Großartig. Sie würde hier am Straßenrand erfrieren. Eine erbärmliche erfrorene Jungfrau, deren letzter Gedanke nicht dem Mann galt, mit dem sie Sex haben wollte, sondern dem besten Freund ihrer Brüder, den sie gerade verlassen hatte.

Sie lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne und gab ein Stöhnen von sich.

Unvermittelt musste sie an den vergangenen Sommer denken. Und an Jericho, halb nackt im Ozean. Nur mit Badeshorts bekleidet, die ihm tief auf den schmalen Hüften saßen. Sein Waschbrettbauch, seine muskulöse Brust. Sein Anblick hatte ihren Intelligenzquotienten um einige Punkte gesenkt.

Und seine Haut … Wie gern hätte sie seine Haut berührt. Mit den Händen, den Lippen, der Zunge.

Und weil er diese Wünsche in ihr auslöste, hätte sie ihn auch gern verprügelt.

Sie schlug den Kopf gegen die Rückenlehne. Hier saß sie nun und hatte gerade begonnen, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und eigene Entscheidung zu treffen. Zur Belohnung würde sie in ihrem Truck erfrieren.

Sie hörte das Motorengeräusch eines sich nähernden Fahrzeugs, noch bevor sie es sah. Sofort öffnete sie die Wagentür und sprang heraus. Sie hatte es so eilig, dass sie sich nicht damit aufhielt, ihre Handschuhe anzuziehen.

Sie hob die Arme und winkte hektisch, um sicherzustellen, dass die Person in dem anderen Wagen auf sie aufmerksam wurde. Aufgeregt hüpfte sie auf und ab und kam sich ziemlich albern dabei vor. Aber ihre Verzweiflung wog viel schwerer als die Verlegenheit.

Es handelte sich um einen rostroten Truck. Und es dauerte nicht lange, bis ihr klar wurde, dass sie diesen Truck kannte.

Nein.

Der Fluch ihrer Existenz. Das Objekt ihrer Begierde.

Dieser verdammte Blödmann.

Er betätigte den Blinker, sie trat einen Schritt zurück, und er brachte seinen Truck hinter ihrem Wagen zum Stehen.

„Was zur Hölle ist hier los?“

Sie blickte in Jerichos zorniges Gesicht.

„Nun ja“, begann sie. „Ich habe eine Panne. Und keinen Empfang auf dem Handy.“

„Mist.“

„Was tust du denn hier?“

„Ich habe dir doch erzählt, dass ich über Weihnachten wegfahre. Zu diesem großen Familienfest der Daltons. Sie haben oben in den Bergen eine ganze Ferienanlage gemietet.“

„Oh, wirklich?“

„In Washington.“

„In Washington?“

„Genau.“

„Kannst du mich nicht absetzen?“

„Dich absetzen?“

„Du wiederholst schon wieder meine Worte. Und ja. In Lake Oswego. Das wäre großartig. Ich könnte einen Abschleppdienst beauftragen, meinen Truck dorthin zu bringen. Und ich müsste meine Ankunft dort nicht verschieben.“

Sie wollte unbedingt an ihrem Ziel ankommen und Donovan endlich persönlich kennenlernen.

„Ich soll dich zu einem Kerl fahren, mit dem du ins Bett gehen willst?“

„Wie oft habe ich dir schon dabei zugesehen, wie du kreischende und kichernde Brautjungfern von einer Junggesellinnenabschiedsparty abgeschleppt hast?“

Das war eine berechtigte Frage. Denn das kam öfter vor, als Honey lieb war.

Und jedes Mal fiel es ihr schwer, das mitanzusehen. Sie hasste die Vorstellung, dass eine andere Frau ihn berührte und ihre Hände über seine glatte, bronzefarbene Haut gleiten ließ. Über seine Muskeln.

Dabei dürfte sie gar nichts bei diesem Gedanken empfinden. Jericho war der beste Freund ihrer Brüder und wie ein Sohn für ihren Vater. Aber sosehr sie es auch versuchte, es gelang ihr nicht, Jericho als Bruder zu betrachten.

Und er würde nicht … Er würde sie niemals heiraten.

Allerdings wollte sie ihn auch gar nicht heiraten. Sie wusste ja noch nicht einmal, ob sie überhaupt heiraten wollte.

Sie wusste einfach nicht, was sie im Leben wollte. Sie war sich nur über eine einzige Sache im Klaren gewesen, nämlich über das Weingut. Und da sie es nun nicht bekommen würde, musste sie alles neu überdenken.

Aus Jericho und ihr könnte niemals ein Paar werden. Sie standen einander viel zu nah und waren seit ihrer Jugend viel zu sehr miteinander verbunden.

Aber das hieß noch lange nicht, dass es ihr gefallen musste, wenn er mit anderen Frauen schlief.

Er zuckte die Schultern. „Na ja, das ist schon vorgekommen.“

„Und wie oft hast du beobachtet, wie ich einen Mann abschleppe?“

Sie konnte förmlich hören, wie es knirschte, als er die Zähne zusammenbiss. „Noch nie.“

Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden, aber sie war fest entschlossen, sich dieser Sache tapfer zu stellen. Ihre Brüder hielten schließlich hinsichtlich ihres Sexlebens auch nicht viel von Diskretion. Von Jericho ganz zu schweigen. „Also, fahr mich bitte zu meiner Verabredung.“

Es lag eine gewisse Ironie in dieser Situation.

Sie würde Jericho als Chauffeur benutzen, um ihre Jungfräulichkeit an einen anderen Mann zu verlieren.

„Deine Brüder …“

„Können kaum verlangen, dass ich kein Sexleben habe“, unterbrach sie ihn. Das war eine Lüge, da sie bisher kein Sexleben gehabt hatte. Aber sie hoffte, dass Jericho das nicht wusste.

„Vermutlich wären sie nicht sehr erbaut davon, dass du Sex mit jemandem haben willst, der dir am Monatsende dein Gehalt überweist.“

„Ja, genau“, gab sie sarkastisch zurück. „Als ob du noch nie eine unvernünftige Liebesaffäre gehabt hättest.“

Er lachte spöttisch. „Ich würde nichts, was ich jemals in dieser Hinsicht hatte, eine Liebesaffäre nennen.“

„Wir können hier herumstehen und über die Bedeutung deiner Beziehungen diskutieren, oder wir können uns in deinen Wagen setzen, um aus der Kälte herauszukommen. Ich persönlich würde Letzteres vorziehen. Fährst du mich nun nach Lake Oswego oder nicht?“

„Ja, ich fahre dich dahin.“

„Großartig, danke“, antwortete sie.

Sie machte mit dem Handy eine Aufnahme von ihrem Wagen und dem Meilenpfosten ganz in der Nähe am Straßenrand. Dann holte sie ihren Koffer von der Ladefläche und brachte ihn zu Jerichos Wagen.

Als sie eingestiegen war, atmete sie erleichtert auf, denn im Innenraum des Trucks war es einigermaßen warm. Sie schnallte sich an und machte es sich auf dem Sitz bequem, der um einiges komfortabler war als die Sitze in ihrem Wagen.

„Du fährst da einen super Wagen.“

Er grinste. „Ich bin ja auch superreich.“

Sie hob die Augenbrauen. „Das muss schön sein.“

„Hast du aus dem Verkauf des Weinguts kein Geld bekommen?“

„Doch“, antwortete sie und fummelte am Heizungsschalter des Wagens herum.

„Warum kaufst du dir dann kein neues Auto?“

„Das ist eigentlich nicht nötig. Ich weiß noch gar nicht, was ich eigentlich will. Darüber muss ich noch nachdenken.“

„Genau. Deshalb der neue Job bei dem Kerl, den du …“

„Ich mag ihn“, unterbrach sie ihn.

„Na toll. Wie schön für dich.“

„Ich habe nicht den Eindruck, als würdest du dich für mich freuen.“

„Soll ich vielleicht eine Party für dich schmeißen? Dafür, dass du flachgelegt wirst?“

„Du kannst auch nur an das Eine denken. Vielleicht mag ich ihn ja wirklich.“

„Tut mir leid, aber so sieht es für mich nicht aus.“

„Ich glaube nicht, dass du das beurteilen kannst“, fauchte sie.

Während Jericho den Wagen zurück auf die Straße lenkte, fielen großen Schneeflocken auf die Windschutzscheibe.

„Hat der Wagen Allradantrieb?“, erkundigte sich Honey.

Er warf ihr einen Seitenblick zu und nickte. „Was sonst?“

„Ich mag Donovan sogar sehr.“

„Scharf auf jemanden zu sein heißt noch lange nicht, dass Zuneigung im Spiel ist.“

„Entschuldige mal“, sagte sie empört. „Ich bin nicht scharf auf ihn. Schließlich bin kein vierzehnjähriger Junge.“

„Wenn du nicht scharf auf ihn bist, was soll dann das Ganze?“

„Ich habe etwas gegen deine Ausdrucksweise.“

„Oh, tut mir leid. Willst du jetzt Haarspalterei betreiben, während wir über Sex reden?“

„Ich würde am liebsten überhaupt nicht mit dir über Sex reden. Wie wäre es damit?“

„Wie du meinst.“

Sie räusperte sich. „Du hast also kein Problem damit, so etwas zu mir zu sagen?“

„Nein, warum auch? Ich sage so etwas zu allen möglichen Leuten. Auch zu deinen Brüdern.“

„Also bin ich für dich wie meine Brüder.“

„Ja.“

„Das ist doch Unsinn“, fauchte sie.

Allmählich verlor sie die Geduld mit ihm. Er war nicht ihr Bruder. Er war ein besitzergreifender arroganter Idiot, aber nicht ihr Bruder. Schlimmer noch, sie wünschte sich manchmal sogar, er wäre ihr gegenüber besitzergreifend. Aber aus den falschen Gründen. Das war furchtbar. Denn es war nicht, was sie wollte. Das hatte sie noch nie gewollt.

„Dann sollte es dir auch nicht recht sein, wenn Jackson oder Creed Sex mit einer Frau hätten, mit der sie zusammenarbeiten. Verdammt, Jackson hat mit Cricket zusammengearbeitet, als er anfing, mit ihr zu schlafen. Sie ist ungefähr in meinem Alter. Und Creed mochte Wren noch nicht mal, als er ungeschützten Sex mit ihr im Weinkeller hatte. Und natürlich wurde sie schwanger. Das ist einfach lächerlich. Sie gehen so unverantwortlich mit Sex um, dass sogar ich alles über ihr Sexleben weiß. Doch ich bin ihre Schwester und habe etwas dagegen, so viel darüber zu wissen. Aber weil sie solche Idioten sind, weiß es die ganze Stadt. Die Tatsache, dass du mich davor warnst, mit jemandem zu schlafen, weil ich auf seiner Ranch arbeite, ist der eindeutige Beweis dafür, dass du mich anders betrachtest als meine Brüder.“

Er warf ihr einen Seitenblick zu und hob die Augenbrauen. „Woher willst du wissen, dass ich ihnen nicht gesagt habe, wie dumm und verantwortungslos sie sich benommen haben?“

„Hast du das etwa getan?“

„Nicht mit so vielen Worten wie du, aber ich hatte keine Lust, verprügelt zu werden.“

Sie ballte die Faust und boxte ihn auf den Oberarm. Seine Muskeln waren so hart, dass sie nicht nachgaben. Es war, als würde sie gegen eine Granitwand schlagen. „Du elender Bastard“, sagte sie und rieb sich die Hand.

Er grinste breit. „Ehrlich, Honey, du musst auf deine Sprache achten. Sonst sage ich es deinem Vater.“

Sie lachte. „Das möchte ich sehen.“

„In Ordnung, du hast recht. Ich sehe dich nicht so wie deine Brüder.“ Er schaltete die Scheibenwischer auf eine höhere Intervallstufe, weil der Schneefall immer stärker wurde. „Das würdest du ja auch nicht wollen.“

„Du weißt doch gar nicht, was ich will.“

„Und du bist furchtbar schnell eingeschnappt.“

„Ich habe das Recht, eingeschnappt zu sein“, gab sie zurück. „Du versuchst, mich zu bevormunden.“

„Das ist nicht meine Absicht. Aber du bist noch so jung. Ich mache mir manchmal Sorgen um dich.“

Seine Bemerkung gab ihr das Gefühl, sich auf dünnem Eis zu bewegen. Aber ihr Zorn hielt an, obwohl ihr wegen seiner Sorge um sie warm ums Herz wurde. „Du machst dir so viele Sorgen um mich, dass du mir die Lebensgrundlage unter den Füßen wegziehst, ohne darüber nachzudenken.“

„Verdammt noch mal, ich wusste nicht, dass du am Weingut interessiert bist, Honey. Ich habe es nicht deshalb gekauft, damit du es nicht bekommst. Wir hätten darüber reden sollen, bevor du zu diesem Kerl in Lake Oswego aufgebrochen bist.“

Sie zuckte die Schultern und beschloss, das Thema zu wechseln. „Das Wetter verschlechtert sich“, sagte sie und deutete auf den dichten Schneefall draußen.

„Ja“, antwortete er einsilbig. Offenbar fand er das Thema nicht sehr interessant.

Sie schwiegen für eine Weile. Honey drückte auf den Sendersuchlauf des Radios, gab nach ein paar Minuten auf und schloss ihr Handy an das Radio an. Sie startete ihre Playlist mit Countrymusik. Jericho zeigte keine Reaktion, aber er beklagte sich auch nicht.

Sie versuchte, sich auf die Liedtexte zu konzentrieren, um den Umstand zu verdrängen, dass ihr der Innenraum des Trucks auf einmal viel zu eng vorkam.

Nach weiteren fünfzehn Minuten angespannten Schweigens hielt sie es nicht länger aus. „Das sieht wirklich nicht gut aus“, sagte sie und spähte besorgt auf die Straße, die allmählich vom Schnee zugedeckt wurde.

„Schon in Ordnung, kein Problem“, versuchte er sie zu beruhigen.

„Schön, dass du so viel Vertrauen in deinen Wagen hast. Typisch Mann.“

„Das sagt die Frau, deren Wagen nach ein paar Meilen bei gutem Wetter verreckt ist. Ich habe ein zuverlässiges Fahrzeug. Es wird keine Probleme geben.“

Doch der Schnee verdichtete sich immer mehr, bis sie die Straße vor sich nicht mehr erkennen konnten. Jericho drosselte das Gas, bis der Wagen im Schritttempo über die schneebedeckte Straße kroch.

„Mist. Ich muss anhalten. Ich kann überhaupt nichts mehr sehen.“

In diesem Moment kam ihnen ein gewaltiger Lastwagen entgegen, der Baumstämme geladen hatte. Sie sahen ihn erst, als er auf ihrer Höhe war. Er fuhr so dicht an ihnen vorbei, dass der Wagen durch den Luftzug vibrierte.

Honey zuckte zusammen und legten eine Hand auf Jerichos Unterarm. „Oh, Himmel“, keuchte sie.

„Das war knapp“, sagte er. „Wir müssen anhalten, bis der Schneefall nachlässt. Sobald ich eine geeignete Stelle finde. Dazu müsste ich allerdings etwas sehen können.“

„Wo sind wir eigentlich?“

„Irgendwo zwischen Gold Valley und Lake Oswego“, antwortete er lakonisch.

Eigentlich könnte sie über diese Bemerkung lachen. Aber ihr Herz hämmerte dafür immer noch zu heftig in ihrer Brust.

Er nahm sein Telefon zur Hand. Ein Blick genügte, um ihr zu zeigen, dass es keinen Empfang hatte. Behutsam steuerte er den Truck zur Seite. Honey spürte, wie der Wagen schlingerte und dann mit den Rädern im Schnee versank.

„Oh“, machte sie. „Wir sind festgefahren.“

„Nein, sind wir nicht. Ich kann zurücksetzen.“

Aber nicht heute.

Er sagte es nicht, doch sie wusste es auch, ohne es zu hören. Der Schneefall ließ nicht nach.

Der Motor lief im Leerlauf, und die Heizung gab ihr Bestes, um sie warmzuhalten.

„Ich dachte, ich würde ganz allein in meinem Truck sterben. Aber wie sich herausstellt, sterbe ich neben dir in deinem Truck. Ich muss dir gestehen, dass diese Aussicht nicht sehr erfreulich ist.“

„Wir werden nicht sterben.“

„Das kannst du nicht wissen.“

„Stimmt. An jedem anderen Tag. Aber gerade jetzt habe ich nicht das Gefühl, dass wir sterben werden.“

„Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen. Das kannst du nicht wissen.“

„Himmel, Honey, hör schon auf damit.“

Nach dieser Bemerkung verfiel er in Schweigen. Sie hörte ihn nur schwer atmen.

In dem Moment wurde sie sich ihrer eigenen Atemzüge sehr bewusst. Und ihres Herzschlags.

Sie blickte ihn von der Seite her an. „Was sollen wir denn jetzt tun?“

„Nicht in Panik geraten.“

„Auf solche Art sterben Menschen.“

„Ja“, gab er zurück. „Aber ich lasse nicht zu, dass dir etwas geschieht. Verstehst du?“

Er sah ihr in die Augen. Die Ernsthaftigkeit in seinem Blick veranlasste sie dazu, Vertrauen zu ihm zu fassen. Und das weckte ihr Verlangen nach ihm.

Plötzlich wurde ihr klar, wie nah sie einander waren. Sie konnte die Wärme spüren, die sein Körper ausstrahlte.

„Ich lasse nicht zu, dass dir etwas geschieht“, wiederholte er und legte eine Hand auf ihre. „Ich schwöre es.“

Sie erschauerte und senkte den Blick. „Okay.“

„Es wird alles gut werden.“

„Ich glaube dir.“ Sie entzog ihm ihre Hand, weil sie sich auf einmal durch seine Berührung bedrängt fühlte.

Es bedeutete ihm nichts. Er versuchte nur, sie zu trösten, wie er ein Kind trösten würde. Trotzdem löste seine Berührung Wärme in ihr aus. Selbst in dieser Kälte. Sie wussten beide, dass niemand hier vorbeikommen würde, nicht bei diesem Wetter. Sie konnten nicht mit Hilfe rechnen.

„Ich werde mich draußen mal umsehen.“

„Nein“, widersprach sie heftig und griff nach seiner Hand. „Leute, die so etwas tun, kommen nie zurück.“

„Ich komme zurück.“

„Das denken alle.“

„Ich bleibe in Sichtweite des Trucks. Das verspreche ich dir. Ich will nur nachsehen, ob hier noch irgendjemand ist. Oder vielleicht ein Haus.“

„Wir sind hier mitten im Nirgendwo.“

„Wir wissen nicht genau, wo wir sind. Also muss ich mich umsehen.“

Jericho öffnete die Fahrertür und trat hinaus in den Schnee.

3. KAPITEL

Jericho biss die Zähne zusammen. Es war bitterkalt. Und er war nicht für einen Schneesturm gerüstet. Der Wetterdienst hatte nichts dergleichen vorhergesagt. Das hier war völlig unerwartet gekommen.

Er hielt das Versprechen, das er Honey gegeben hatte, und behielt den Truck im Auge, während er am Straßenrand entlangging. Jedenfalls nahm er noch die schemenhaften Umrisse des Trucks wahr. Dann wagte er in der Hoffnung, ein Haus zu finden, ein paar Schritte in den Wald hinein. Im Schutz der Bäume war der Schneefall nicht so stark und die Sicht besser. Das war gut.

Er spürte Honeys Berührung noch auf der Haut. Es war nicht besonders klug gewesen, sie anzufassen. Aber sie hatte Angst. Er wäre sich wie ein Schuft vorgekommen, wenn er nicht zumindest versucht hätte, sie zu trösten.

Es war etwas anderes, mit ihr in seinem Truck zu sitzen, anstatt sie nur auf dem Weingut zu sehen. Er fühlte sich merkwürdig an. Er konnte nicht behaupten, dass er dieses Gefühl sonderlich mochte.

Na schön, musst du ausgerechnet jetzt darüber nachdenken? Hier geht es ums Überleben. Such gefälligst irgendeinen Unterschlupf, du Idiot.

Er nahm den Schal von seinem Hals und knotete ihn an einen Baum, der parallel zu seinem Wagen stand. Solange er den Schal im Auge behielt, konnte nichts schiefgehen. Die Sicht war hier viel besser als auf der Straße.

Er schritt voran, ohne den roten Schal aus den Augen zu lassen.

Er war auf der Suche nach einer menschlichen Behausung. Ein Ort, von dem aus man vielleicht telefonieren konnte. Wo es vielleicht eine Heizung gab, die verhinderte, dass sie erfrieren würden.

Und dann sah er sie. Hinter Bäumen verborgen und kaum zu erkennen. Eine Hütte. Eine ziemlich große sogar. Aber es drang kein Licht aus den Fenstern. Es sah nicht so aus, als wäre diese Hütte bewohnt.

Er würde auf keinen Fall mit Honey am Straßenrand im Truck sitzen bleiben. Wenn es nötig wäre, in die Hütte einzubrechen, um Schutz oder vielleicht sogar einen Festnetzanschluss zu finden, würde er das tun.

Er ging durch die hohen Bäume auf die hintere Seite des Hauses zu. Für den Fall, dass doch jemand da war, klopfte er an die Hintertür. Aber es erfolgte keine Reaktion.

An der Tür war ein Schlüsseltresor angebracht, als ob das Haus zum Verkauf stünde. Er spähte durch jedes Fenster und fand hinter dem Haus eines, das einen Spaltbreit offenstand. Er entfernte das Fliegengitter, öffnete das Fenster und kletterte hindurch.

Er hoffte inständig, dass er keinen Einbruchsalarm ausgelöst hatte, weil er keinen Wert darauflegte, vom Eigentümer oder einem Polizisten erschossen zu werden. Aber dies hier war ein Notfall. Er musste über sich selbst lachen. Niemand würde bei dem Wetter hier auftauchen, selbst wenn der Alarm ausgelöst worden war.

Er ging zur Vordertür und erblickte daneben einen großen Korb. Darin befanden sich mehrere Weinflaschen und ein Papier in einer Kunststoffhülle.

Er nahm das Papier zur Hand. Der Text hieß ihn in Pineview willkommen und enthielt Instruktionen für die Handhabung des Hauses nebst einer Liste der Ausstattung.

Ein Ferienhaus. Er war in ein Ferienhaus gestolpert.

Er sah sich nach Lichtschaltern um, entdeckte aber keine. Dafür standen mehrere Öllampen herum.

Erneut widmete er seine Aufmerksamkeit dem Papier. Dort stand zu lesen, dass das Haus nicht an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen war. Also kein Strom, keine Fernwärme und Wasser aus einem Brunnen oder einer Zisterne. Verdammt.

Allerdings gab es eine Möglichkeit zu heizen, und Beleuchtung war ebenfalls vorhanden. Außerdem war das Haus mit Generatoren ausgestatten, um warmes Wasser zu erzeugen. Alles in allem hätte er es schlechter antreffen können.

Auf dem Papier war auch der Code für die Schlüsselbox verzeichnet. Also holte Jericho die Schlüssel für das Haus, schloss das Fenster und setzte das Fliegengitter wieder ein.

Dann machte er sich auf den Weg zurück zu dem Baum, an den er seinen Schal geknotet hatte. Von dort aus war es nicht schwer, den Truck zu finden, obwohl die Sicht nach wie vor schlecht war und er ihn kaum ausmachen konnte.

Als er die Beifahrertür ein Stück öffnete, zuckte Honey zusammen. „Oh, ich habe dich gar nicht kommen sehen.“

Der Schnee lag inzwischen so hoch, dass er Mühe hatte, die Tür ganz zu öffnen. „Komm, steig aus.“

Das tat sie, obwohl es gar nicht so leicht war, durch den Spalt zu schlüpfen, um dann bis zu den Knien im Schnee zu versinken.

„Verdammt“, keuchte sie.

„Ich weiß.“

Ihre Koffer auf der Ladefläche waren mit Schnee bedeckt.

„Was genau tun wir jetzt?“, wollte sie wissen.

„Ich habe ein Haus gefunden.“

„Und die Leute dort lassen uns rein?“

„So etwas in der Art.“

Er hob die Koffer vom Truck, reichte Honey den ihren, nahm ihre freie Hand und führte sie in den Wald. Sie trug Handschuhe, die eine gewisse Barriere zu ihrer Haut darstellten. Dennoch war er sich der Tatsache bewusst, dass er Honey Coopers Hand hielt.

Sie ließ ihn los, als sie bei den ersten Bäumen ankamen. Er hielt an und knotete den Schal vom Baum.

„Was hat es damit auf sich?“, fragte sie.

„Meine Wegmarkierung. Ich hatte keinen Sichtkontakt zum Wagen mehr. Deshalb habe ich den Schal an einen Baum gebunden, der parallel zu ihm steht.“

„Das war ja klar. Du hast dich nicht an dein Versprechen gehalten.“

„Hör mal, ich habe immerhin ein Haus gefunden. Du solltest mir dankbar sein.“

Sie schüttelte missbilligend den Kopf. „Typisch Mann.“

„Na ja, ich bin ja auch einer.“

„Kaum zu leugnen.“

Er deutete in die Richtung, in der sich das Haus befinden musste. „Es ist nicht weit.“

Sie bahnten sich ihren Weg durch die Bäume.

Beim Anblick der verlassen wirkenden Hütte blieb Honey stehen. „Sagtest du nicht …“

„Ich sagte gar nichts. Es ist ein Ferienhaus.“

„Oh.“

„Es ist ganz gut ausgestattet.“

Er öffnete die Tür, und sie folgte ihm hinein.

„Verdammt, hier ist es genauso kalt wie draußen“, sagte sie.

„Aber trocken. Es ist nicht an das Versorgungssystem angeschlossen.“

„Das ist nicht dein Ernst.“

Ihr entsetzter Gesichtsausdruck hätte komisch wirken können, wenn an dieser Situation etwas Komisches gewesen wäre.

„Doch. Aber wir können trotzdem heizen. Und Licht haben wir auch.“ Er wies auf eine Öllampe.

Schweigend beobachtete er, wie Honey durch den Raum ging, ihren Koffer abstellte und sich umsah.

Er warf einen Blick auf das Blatt mit den Instruktionen. „Wenn wir die Generatoren in Gang bekommen, haben wir warmes Wasser und können die Toilette benutzen.“

„Dem Himmel sei Dank. Ich habe schon befürchtet, ich müsste zu diesem Zweck nach draußen in Kälte gehen.“

Er grinste breit.

„Was gibt es noch?“

„Einen ziemlich großen Vorrat an Lebensmitteln. Einen Keller mit Verdunstungskühlanlagen. Die fehlende Stromversorgung hat die Eigentümer auf altbewährte Vorratsmethoden zurückgreifen lassen. Es gibt zum Beispiel Pökelfleisch.“

Sie sah sich um, als wäre jeder Gegenstand im Raum eine mögliche Bedrohung. Das fand er süß, rief sich aber sofort zur Ordnung. Hier war kein Platz für solche Gefühle.

Sie schnaubte. „Ich komme mir vor wie ein Pionier im Wilden Westen.“

„Das scheint dir nicht besonders zu gefallen.“

Sie zuckte die Schultern. „Im Moment friere ich mehr, als dass ich Hunger hätte. Ich habe einen Energieriegel verschlungen, bevor du mich gefunden hast.“

„Warum?“

„Ich hatte Angst. Und deshalb bekam ich Hunger.“

„Verstehe.“

Sie ging ins Wohnzimmer, und er folgte ihr. Ihm entging nicht, dass sie einen Kaminanzünder aus dem Korb neben dem Herd mitgenommen hatte.

„Das sieht gut aus“, sagte sie beim Anblick des großen offenen Kamins mit den Holzscheiten darin.

Der Raum war zusätzlich mit einem Holzofen ausgestattet. Den Herd in der Küche würden sie vermutlich auch mit Holz befeuern müssen.

„Kommst du damit zurecht?“, fragte er und deutete auf den Kamin.

„Aber natürlich. Ich bin ein Mädchen vom Lande.“

Er lachte in sich hinein. Es wurde allmählich dunkel, und er nahm einen Kaminanzünder und eine Öllampe, um die obere Etage zu erkunden.

Die Hütte war ebenso stabil wie massiv gebaut und augenscheinlich gegen die Kälte von außen gut isoliert. Rustikal, aber komfortabel.

Die geschmackvollen Möbel wirkten kostspielig. Es gab ein großes Schlafzimmer mit einem überbreiten Bett darin. Auf der dicken Matratze lagen Decken und Kissen.

Aus dem Nichts erschien plötzlich vor Jerichos geistigem Auge das Bild, wie er Honey auf dieses Bett legte.

Das Bild war so klar und deutlich, dass er zusammenzuckte. Verdammt, er durfte solche Gedanken einfach nicht haben. Und er durfte es auf keinen Fall soweit kommen lassen.

Auch in diesem Raum befand sich ein großer, offener Kamin. Die anderen beiden Schlafzimmer konnten nicht beheizt werden.

Er nahm an, dass diese Hütte wohl eher im Sommer vermietet wurde. Er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand hier freiwillig Zeit im Winter verbringen wollte. Er stieg die Treppe hinab ins Wohnzimmer, wo ihn ein flackerndes Feuer im Kamin empfing.

„Gut gemacht“, sagte er.

„Es scheint, als wäre ich nicht vollkommen nutzlos“, gab Honey zurück.

„Du bist in keiner Weise nutzlos. Und das weißt du genau.“ Er sah ihr in die Augen und hielt den Blick für einen langen Moment.

Ihm wurde bewusst, wie isoliert sie beide hier waren. Und wie schön sie war.

Er wandte den Blick ab.

„Ich weiß nicht. Manchmal komme ich mir irgendwie nutzlos vor.“

„Geht es jetzt wieder um das Weingut?“, fragte er misstrauisch.

„Es ist hart, nicht mehr dort zu sein.“

„Ich verstehe das. Wirklich. Aber ich glaube nicht, dass es gegen dich gerichtet war. Dein Vater wollte das Gut einfach nur loswerden. Er war dort schon lange nicht mehr glücklich. Du wirst es mir vermutlich nicht glauben, aber er war es, der den Verkauf zur Sprache gebracht hat. Ich schätze, er hat einfach nicht weiter darüber gedacht. Für ihn ist das Weingut eine Last gewesen. Und er konnte sich nicht vorstellen, dass es für jemand anderen ein Lebenstraum sein könnte.“

„Das mag ja sein, aber …“

„Er hat mich sogar vor dem Kauf gewarnt, und zwar öfter als einmal. Ich habe mich dennoch entschlossen, es zu kaufen. Es wirft Profit ab, und die Angestellten arbeiten hervorragend. Es wäre eigentlich nicht nötig gewesen, Jackson zu bitten, in meiner Abwesenheit nach dem Rechten zu sehen. Dein Vater hat einen jüngeren Mann gesehen, der die Verantwortung übernehmen wollte, und das hat ihn an sich selbst in meinem Alter erinnert.“

Honey brach in Gelächter aus.

„Was ist so lustig daran?“, erkundigte er sich irritiert.

„Ein jüngerer Mann.“

„Ich bin jung“, sagte er gekränkt.

Das kam einer Beleidigung gleich. Er war Mitte dreißig. Und dieses Kind, das schon längst kein Kind mehr war, sondern eine attraktive und begehrenswerte Frau, lachte ihn aus.

„Nicht wirklich.“

„Was soll das heißen?“

„Na ja, jedenfalls nicht so jung wie ich.“

Verdammt, als ob er das nicht wüsste.

„Nein, das bin ich nicht.“

„Ich wollte nur sicherstellen, dass du es nicht vergisst.“

Ihre Bemerkung versetzte ihm einen schmerzhaften Stich. Er hatte keine Lust, weiter über dieses Thema zu reden. „Wie dem auch sei, lass uns mit dem Gequatsche aufhören. Wir sollten uns auf die Suche nach etwas Essbarem machen.“

„Ich hoffe nur, dass niemand hier auftaucht und die Hütte für sich beansprucht.“

„Das glaube ich kaum. Selbst wenn jemand die Hütte gemietet hätte, würde er nicht hierherkommen. Wenn wir nicht herauskommen, kommt auch niemand hinein.“

„Stimmt.“

Sie stand auf und ging zum Fenster, um nach draußen zu schauen. Selbst hier unter den Bäumen türmte der Schnee sich immer höher auf.

„Es gibt kein Internet und keinen Telefonempfang. Wir können mit niemandem Kontakt aufnehmen und müssen hierbleiben, bis wir es allein schaffen weiterzufahren.“

„Na, toll. Also bleibt mein Truck genau da, wo ich ihn stehen gelassen habe. Was werden die Daltons eigentlich denken, wenn du nicht bei ihnen erscheinst?“

Er lachte freudlos. „Vermutlich, dass ich es mir anders überlegt habe.“

„Du wirkst immer so gelassen. Ich glaube, ich kann gar nicht richtig einschätzen, wie seltsam es dir vorgekommen sein muss, als du von deiner großen Familie erfahren hast.“

„Das wusste ich schon lange.“

„Oh. Aber dann war es doch bestimmt seltsam, eine Einladung zu Weihnachten zu bekommen, oder?“

Er zuckte die Schultern. „Alles an dieser Sache ist seltsam. Aber angesichts der Dinge, die mir in meinen Leben widerfahren sind, fällt das nicht weiter auf. Als ich die Einladung erhielt, dachte ich nur, warum nicht.“

Er hörte selbst, wie hohl seine Worte klangen. Wenn er nur Gleichgültigkeit empfinden würde, hätte er sich nicht entschlossen, zu den Daltons zu fahren. Aber er wusste selbst nicht genau, warum er diesen Entschluss gefasst hatte. Er versuchte, sich einzureden, dass Hank Dalton im völlig egal war. Dass er überhaupt kein Bedürfnis verspürte, seine Halbgeschwister kennenzulernen.

Von denen gab es eine ganze Reihe. Und es gab auch Nichten und Neffen. Und ja, warum sollte er es leugnen. Er wollte herausfinden, wie sie waren. Er wollte herausfinden, ob er ihnen ähnelte.

Eigensinnig, stur und energisch. So sah er sich.

Er wusste, dass Hank und Tammy Dalton zur weißen Unterschicht gehört hatten. Dann hatte Hank großes Talent im Rodeo bewiesen und damit viel Geld verdient. Und dieses Geld hatte ihnen zu ihrem sozialen Aufstieg verholfen.

Jericho selbst besaß viel Temperament und war immer überzeugt gewesen, zu Höherem bestimmt zu sein, als das, in das er hineingeboren worden war. Er hatte alles getan, was er konnte, um seinen Aufstieg möglich zu machen. Er hatte mit den Händen gearbeitet, jedoch nie, ohne seinen Verstand einzusetzen. Er fragte sich immer wieder, ob Hank ihm diese Eigenschaften vererbt hatte.

Natürlich hatte er auch große Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Sie war eine schöne Frau gewesen und eine Kämpferin. Bis zum bitteren Ende.

„Es tut mir leid“, sagte Honey in dem Moment.

„Du musst dich nicht entschuldigen. Es ist nun einmal eine merkwürdige Situation.“

Sie zuckte die Schultern. „Familien sind kompliziert. Sieh dir nur meine an.“

„Ja, ich weiß. Obwohl ich nie wirklich eine Familie hatte.“

Sie senkte den Blick. „Du hast von Anfang an zu meiner Familie gehört.“

Er hob die Brauen. „Stimmt. Und du hast mich ganz besonders ins Herz geschlossen.“

„Nur, wenn du mich nicht geärgert hast.“

„Warum machst du dich nicht ein bisschen nützlich und schaust nach, was es an Lebensmitteln gibt? Ich mache derweil ein Feuer im Holzofen.“

Honey ging aus dem Raum und ließ ihn dort grübelnd sitzen. Grübelnd über die seltsame Wendung, die sein Leben genommen hatte. Er hatte sich auf den Weg gemacht, um seine Familie kennenzulernen, und nun war er hier gestrandet.

Mit Honey.

Mit einer Versuchung, der er widerstehen musste.

Er hatte keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte.

Aber nicht alles im Leben hat etwas zu bedeuten. Manchmal gerät man einfach auf Umwege. Oder auf Abwege.

Ja, gut. Er hoffte nur, dass es sich hier um einen Umweg handelte und dass es etwas Ordentliches zu essen gab.

4. KAPITEL

Honey hatte den Keller und die darin befindlichen Verdunstungskühler gefunden. Sie waren gefüllt mit Obst und Gemüse, das sich in einem bemerkenswert frischen Zustand befand. Das unterstützte ihre Theorie, dass das Haus eigentlich vermietet war, die Bewohner den Weg jedoch nicht gefunden hatten.

Sie summte vor sich hin, während sie die Vorräte durchforstete. Das lenkte sie von dem Gespräch mit Jericho im Wohnzimmer ab.

Sie hatte wirklich noch nicht viel über seine Situation nachgedacht. Allerdings herrschte zwischen ihnen auch kein Vertrauensverhältnis. Meisten stritten sie miteinander.

Sie fand Speck, Eier und Kartoffeln und beschloss, daraus ein Abendessen zu zaubern. Neben der Kellertür stand ein Korb, in den sie ihre Ausbeute legte. Dann ging sie die Kellertreppe hinauf und sah sich auf dem Weg zur Küche neugierig um.

Das Haus war wirklich sehr hübsch und geschmackvoll eingerichtet. Die Innenverkleidung bestand aus polierten Holzlatten, die Möbel wirkten gediegen und wertvoll, und alle Räume strahlten eine einladende Behaglichkeit aus. Sie konnte nur nicht verstehen, warum jemand ausgerechnet hier ein so schönes Haus gebaut hatte.

Sie betrat die Küche, wo Jericho damit beschäftigt war, das Feuer im Herd zu schüren. Es war bereits ziemlich warm, und er trug nur ein T-Shirt am Oberkörper. Seine Haut schien im Feuerschein zu glühen, und seine Muskeln zeichneten sich bei jeder Bewegung deutlich ab.

Er bot einen atemberaubenden Anblick.

„Speck, Eier und Kartoffeln“, sagte sie und hielt ihm ihren Korb entgegen.

Autor

Maisey Yates
<p>Schon von klein auf wusste Maisey Yates ganz genau, was sie einmal werden wollte: Autorin. <br/>Sobald sie mit einem Stift umgehen und ihre erste Worte zu Papier bringen konnte, wurde sie von der Leidenschaft fürs Schreiben gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen. <br/><br/>Von da an konnte nichts und niemand...
Mehr erfahren
Pamela Yaye
<p>Ihre Liebe zu Büchern entdeckte Pamela Yaye schon als kleines Kind. Ihre Eltern, selbst passionierte Leser, ermunterten sie, so viel wie möglich zu lesen. Der wöchentliche Ausflug in die Stadtbibliothek war für Pamela Yaye immer ein großes Highlight. Dass sie selbst auch schriftstellerisches Talent hat, merkte sie schon früh. Nach...
Mehr erfahren
Bridget Anderson
Mehr erfahren