Baccara Exklusiv Band 126

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TRAUMFRAU OHNE NAMEN? von DEPALO, ANNA
Erst küsst er sie, dann stößt er sie wieder von sich - Kelly ist empört, wie Ryan sie behandelt. Er glaubt, sie wäre genauso wie ihre hemmungslose Mutter. Kelly beschließt, ihm zu beweisen, dass sie ganz anders ist: treu und zu aufrichtiger Liebe fähig!

VERFÜHR MICH NOCH EINMAL von WOODS, SHERRYL
Es fällt Michael nicht leicht, Grace um Hilfe zu bitten. Schließlich hat sie ihn vor sechs Jahren verlassen. Und nun steht sie wieder vor ihm - verführerisch wie früher, bezaubernd wie früher. Kann er sie überzeugen, mit ihm einen Neuanfang zu wagen?

HOCHZEIT MIT DEM PLAYBOY von GALITZ, CATHLEEN
Hochzeit in Las Vegas! Stephanie kann es kaum fassen, dass der charmante Alex ausgerechnet sie erwählt hat. Leider nicht für eine Liebesheirat, sondern nur für eine Scheinehe. Doch da sie schon lange für ihn schwärmt, will sie sich diese Chance nicht entgehen lassen …


  • Erscheinungstag 13.03.2015
  • Bandnummer 0126
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721794
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anna DePalo, Sherryl Woods, Cathleen Galitz

BACCARA EXKLUSIV BAND 126

ANNA DEPALO

Traumfrau ohne Namen

Es knistert auf den ersten Blick! Ryan ist von der jungen Frau fasziniert, will sie küssen, ihre Haut unter seinen Händen spüren, ihr seine Welt zu Füßen legen. Zuerst muss er die hinreißende Schönheit allerdings kennenlernen. Erfolgsverwöhnt fragt der Millionär nach ihrem Namen. Und mit zwei kleinen Wörtern – Kelly Hartley – zerstört sie seine kühnen Träume …

SHERRYL WOODS

Verführ mich noch einmal

Grace hatte geglaubt, über Michael hinweg zu sein. Sträflich hat er sie vernachlässigt, immer war ihm die Arbeit wichtiger gewesen. Als er jedoch sechs Jahre nach der Trennung anruft und ihre Hilfe braucht, lässt sie alles stehen und liegen und eilt zu ihm … Schon bald flammt zwischen ihnen die alte Leidenschaft auf. Wird er sie noch einmal enttäuschen?

CATHLEEN GALITZ

Hochzeit mit dem Playboy

Niemals, so hat sich Alex Kent geschworen, würde er eine Frau zu nahe an sich heranlassen. Und nun steht er in Las Vegas vor dem Traualtar! Aber er heiratet die zurückhaltende Stephanie ja nur zum Schein. Das ist zumindest der Plan – bis er herausfindet, was für eine wunderschöne und intelligente Frau hinter der unscheinbaren Fassade steckt …

1. KAPITEL

In einem Provinznest wie Hunter’s Landing zu versauern war nicht gerade das, was sich Ryan unter einem aufregenden Urlaub vorstellte. Andererseits, was war denn schon aufregend heutzutage, von beruflichen Herausforderungen einmal abgesehen?

Er stand vor seinem größten Erfolg, einem auch persönlichen Sieg, der ihm sehr viel bedeutete. Rache war süß, und da Vorfreude bekanntlich die schönste Freude ist, würde er alles langsam angehen lassen, damit er jede Phase auskosten konnte.

Aber er würde seine Beute nicht aus den Fängen lassen, so viel stand fest. Webb Sperling, Vorstandsvorsitzender der Sperling Kaufhauskette und außerdem leider auch Ryans Vater, würde nie herausfinden, wer ihm den vernichtenden Schlag versetzt hatte.

Langsam schlenderte Ryan die Hauptstraße von Hunter’s Landing entlang. Er war auf der Suche nach einem Hochzeitsgeschenk. Einer seiner alten Freunde aus der Collegezeit wollte heiraten. Außerdem konnte es nichts schaden, sich einmal umzusehen, was dieser Ort am Lake Tahoe überhaupt zu bieten hatte. Schließlich war Ryan gezwungen, den ganzen Monat Juni hier zu verbringen.

Eins war sicher, hier gab es kaum etwas, um sich zu zerstreuen. Die Einheimischen hatten wahrscheinlich nur durch ihren Kabelanbieter, der ihnen Internet und Fernsehen ins Haus brachte, Zugang zur Welt.

Kabel, das war etwas, was ihn interessierte. Denn mit Kommunikationskabeln hatte Ryan sein Geld verdient. Seine Firma El Ray Technology gehörte zu den größten Unternehmen in Kaliforniens berühmtem Silicon Valley.

Was war das? Ryan musste grinsen. Wie hieß dieser Laden? Er blieb stehen und betrachtete das Schild, das an einer Metallstange über dem Eingang hing. „Für jeden etwas“, das hörte sich doch vielversprechend an. Offenbar war dies ein Geschäft für Geschenkartikel oder was auch immer man dafür hielt. Der etwas schäbige Tisch im Schaufenster war für vier Personen gedeckt, allerdings mit Geschirr, bei dem noch nicht einmal Tassen und Untertassen zusammenpassten. In dem anderen Schaufenster stand ein abgetragenes Sofa, das verschwenderisch mit allen möglichen Plüschkissen dekoriert war. Es hätte durchaus in das Boudoir einer Puffmutter gepasst. Da Hunter’s Landing dicht an der Grenze zu Nevada lag, wo Prostitution in einigen Gegenden erlaubt war, war der Gedanke nicht einmal von der Hand zu weisen.

Nicht uninteressant … Ryan öffnete die Tür. Die Ladenglocke bimmelte.

„Diese Fotoalben aus Rohseide haben wir gerade letzte Woche bekommen …“, hörte er eine Frauenstimme sagen, die erstaunlich tief und aufregend rau klang. Ob zu ihr auch das leichte sommerliche Parfüm gehörte, das ihn in der Nase kitzelte?

Neugierig ging er um ein Regal herum und stand nun einer jungen Frau gegenüber. Sie blickte hoch, lächelte kurz, und Ryan blieb die Luft weg, als habe ihm jemand einen Faustschlag in den Magen versetzt.

Hallo!

„Guten Tag …“ Die junge Frau stockte und starrte ihr Gegenüber an.

Ryan holte tief Luft, um seiner Erregung Herr zu werden. Typische Reaktion eines Mannes, der lange keine Frau gehabt hat, schoss es ihm durch den Kopf. Schnell warf er einen Blick auf ihre linke Hand. Kein Ring, das war gut.

Vielleicht wurde die Zeit, die er hier in diesem verschlafenen Städtchen verbringen musste, doch noch ganz spannend.

Die junge Frau, vielleicht war es sogar die Besitzerin des Ladens, war groß und schlank und hatte rotes Haar, das ihr in weichen Wellen über die Schultern fiel. Ihr schmales herzförmiges Gesicht erinnert ihn an das Gemälde „Die Geburt der Venus“ von Botticelli. Sie hätte ihm glatt dafür Modell stehen können.

Allerdings war sie nicht nackt, leider, sondern trug ein knappes samtenes Oberteil zu einem schmalen Rock. Die hohen Absätze ließen ihre hinreißenden Beine besonders gut zur Geltung kommen.

Nach einigen Sekunden, die Ryan wie Minuten vorkamen, schien sie sich wieder daran zu erinnern, dass sie eine Kundin hatte. Sie nickte ihm noch einmal zu. „Ich bin gleich bei Ihnen. Vielleicht schauen Sie sich inzwischen schon einmal um. Bitte sagen Sie mir, wenn ich etwas für Sie tun kann.“

Die Zweideutigkeit dieser Formulierung ließ sie leicht erröten, und Ryan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

„Ich meine, ich helfe Ihnen gern, sowie ich hier fertig bin“, sagte sie hastig.

Sein Lächeln vertiefte sich. Oh ja, er konnte sich gut vorstellen, wobei sie ihm helfen konnte … Laut sagte er: „Lassen Sie sich Zeit. Ich habe es nicht eilig.“

Sie wandte sich wieder ihrer Kundin zu, und er schlenderte durch den Laden, wobei er die junge Frau immer wieder verstohlen musterte.

Über die Jahre hatte er feststellen können, dass er offenbar auf Frauen durchaus attraktiv wirkte. Allerdings war sein Charme etwas eingerostet, weil er ihn schon lange nicht mehr eingesetzt hatte. Seine letzte Beziehung, wenn man eine Sache von drei Monaten so nennen wollte, war vor einem Jahr zu Ende gegangen. Seitdem hatte er weder Zeit noch Lust gehabt, sich wieder auf eine Frau einzulassen.

„Diese Seiten sind aus säurefreiem Papier hergestellt“, hörte er die dunkle, raue Stimme vom anderen Ende des Ladens.

Ryan hatte sich so auf diese Stimme konzentriert, dass er beinahe über eine Stehlampe mit einem von Fransen eingefassten und mit bunten Blumen bemalten Schirm gefallen wäre. Gleich daneben stand ein eiserner Leuchter, der mit glitzernden Glasperlen verziert war.

Was für ein verrückter Laden. Aber noch verrückter war, dass diese junge Frau ihn interessierte wie schon lange keine Frau mehr.

„Wir haben natürlich auch in Leder gebundene Alben, die ich Ihnen gern zeigen kann.“

Wieder diese Stimme, weich und dunkel und verführerisch. Ich habe eindeutig zu lange keinen Sex mehr gehabt, stellte Ryan fest, irritiert durch seine prompte Reaktion. Zu viel Arbeit, zu wenig Vergnügen und erst recht keine Zeit …

Und nun hatte er viel zu viel Zeit, um darüber nachzudenken. Verdammt, Hunter, warum musstest du mir das auch antun! Allerdings würde er auch ein halbes Jahr freiwillig in diesem öden Nest verbringen, wenn er dadurch den Freund wieder lebendig machen könnte, der viel zu früh gestorben war.

In Harvard waren er, Hunter und noch fünf andere Studenten eng befreundet gewesen. Sie nannten sich die Sieben Samurai und gingen füreinander durchs Feuer. Am Ende einer feuchtfröhlichen Party hatten sie sich geschworen, sich in zehn Jahren wiederzutreffen. Obgleich sie alle aus sehr begüterten Familien kamen, wollten sie es allein bis ganz nach oben schaffen und nach diesen zehn Jahren gemeinsam ihren Erfolg feiern.

Leider hatten sie sich nach dem Studium aus den Augen verloren. Ryan hatte noch gehört, dass Hunter gestorben war, und war umso überraschter, als er vor wenigen Monaten einen Brief von Hunters Nachlassverwalter erhielt. Hunter hatte ein großes Landhaus am Lake Tahoe bauen lassen, das zusammen mit zwanzig Millionen dem Städtchen Hunter’s Landing als Erholungsklinik für Krebskranke zur Verfügung gestellt werden sollte. Bedingung war allerdings, dass jeder der sechs verbliebenen Freunde dort einen Monat zubrachte und sich dann später mit den anderen Freunden traf, um seine Lebenserfahrungen auszutauschen. Eigentlich genau so, wie sie es sich damals geschworen hatten, bis auf die Tatsache, dass Hunter, der Initiator dieser ganzen Geschichte, nicht mehr unter ihnen war.

Selbst Ryan, der keine Neigung zur Sentimentalität hatte, hatte dem Wunsch des verstorbenen Freundes nicht widersprechen können. Auch wenn dieser Monat genau in die Zeit fiel, in der er sein Ziel erreichen würde, worauf er lange Jahre hingearbeitet hatte, nämlich sich an Webb Sperling zu rächen.

Drei der früheren Freunde hatten bereits ihren Monat in der Lodge „abgeleistet“, und seltsamerweise waren sie alle nach diesem Monat entweder verlobt oder verheiratet. Devlin, dessen Trauzeuge Ryan morgen sein sollte, hatte vor ihm das Landhaus bewohnt.

Devlin hatte das Haus sogar als „Liebeslaube“ bezeichnet, weil er während seines Aufenthalts dort die Frau seines Lebens kennengelernt hatte. Warum nicht? Das bedeutete ja nicht, dass man auch gleich heiraten musste. Ryan grinste und warf wieder einen Blick auf „Venus“, wie er sie in Gedanken nannte. Es musste doch möglich sein, sie ins Bett zu kriegen. Das wäre schon ein gewaltiger Fortschritt, wenn man an sein nicht vorhandenes Liebesleben des vergangenen Jahres dachte.

„Viel Spaß mit Ihrem Einkauf.“

Wieder riss ihn die leicht raue und doch weiche Stimme aus den Gedanken. Aha, sie brachte die Kundin zur Tür. Die Ladenglocke bimmelte, und Ryan sah, wie die junge Frau noch ein paar Bücher ordnete. Sie waren allein.

Schließlich blickte sie hoch und lächelte ihn an. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie und kam auf ihn zu.

„Ich suche ein Hochzeitsgeschenk“, sagte Ryan. „Und als ich Ihr Ladenschild sah, hoffte ich, dass ich hier vielleicht etwas Passendes finden könnte.“

Sie lächelte freundlich. „Das geht glücklicherweise vielen Menschen so.“ Jetzt stand sie vor ihm, und er sah, dass sie unter fein gezeichneten Brauen haselnussbraune Augen hatte, dass ihre Lippen voll und rosig waren und die Haut hell und makellos schimmerte. Kein Wunder, dass er so auf sie reagierte.

„Sie haben sich vielleicht gewundert“, fuhr sie fort, „dass manches in meinem Laden etwas, nun, wie soll ich sagen, gebraucht wirkt. Aber das ist momentan sehr trendy. Natürlich ist alles neu, und nur das Finish lässt die Sachen alt aussehen.“ Sie lachte, als sie Ryans verblüfftes Gesicht sah.

„Und die Kunden bezahlen dafür, dass es schäbig und gebraucht aussieht?“, fragte er ungläubig.

Wieder lachte sie. „Allerdings. Hier in Tahoe erwartet man etwas Besonderes.“

„Und die Leute kaufen wirklich Geschirr, bei dem Tasse und Untertasse nicht zusammenpassen?“

„Ja, und manchmal bezahlen sie sogar ziemlich viel Geld dafür.“ Als er fassungslos den Kopf schüttelte, fügte sie lächelnd hinzu: „Es ist gar nicht so leicht, die passenden Stücke zu finden. Es lässt sich nicht jedes Stück mit einem anderen kombinieren. Sondern es muss sich ein harmonischer Mix ergeben.“

Ryan hatte den Verdacht, dass viele auch deshalb hier kauften, weil sie von der Besitzerin verzaubert waren. So wie er. „Haben Sie irgendetwas für ein Paar, das schon alles hat?“

„Ist das Paar jung oder alt?“

„Jung. Er ist Millionär, und sie steht kurz davor, die Frau eines Millionärs zu werden.“

„Beneidenswert.“ Sie blickte sich nachdenklich in dem Laden um.

Auch Ryan musterte die ausgestellten Stücke. Aber alles schien auf den Geschmack von Frauen abgestimmt zu sein. Er würde hier nie etwas finden.

Doch dann wandte die junge Frau sich zu ihm um und wies auf zwei Kerzenleuchter aus Kristall. „Wie wäre es denn damit?“

Warum nicht? Er wollte den beiden sowieso noch ein echtes teures Geschenk schicken. Aber er wollte morgen auch nicht mit leeren Händen dastehen, an diesem Tag, der so viel für Devlin und Nicole bedeutete.

„Kristall passt immer“, meinte die Venus, „ist von zeitloser Schönheit und …“

„Ich nehme sie.“

Sie sah ihn überrascht und erfreut an.

Ryan hob einen Leuchter hoch und drehte ihn um. Er hatte einen stolzen Preis, aber er war es wert, vor allem, wenn Ryan dadurch bei Venus Punkte sammeln konnte.

Sie nahm den zweiten Leuchter aus dem Regal, und Ryan reichte ihr den, den er in der Hand hielt. Dabei berührten sich ihre Hände für den Bruchteil einer Sekunde, und Ryan hatte das Gefühl, dass ihn so etwas wie ein leichter Stromstoß durchfuhr. Aber auch Venus schien etwas bemerkt zu haben, denn ihre Hände zitterten. Schnell drehte sie sich um und ging zur Kasse. Ryan folgte ihr.

„Kann ich Ihnen sonst noch etwas zeigen?“, fragte sie über die Schulter hinweg.

Oh ja, dich. Nackt. Auch von hinten sah sie hinreißend aus. Schnell verdrängte er diesen Gedanken und sagte stattdessen: „Danke, das ist alles für heute.“ Wer weiß, was sich später noch ergab. Er hatte ja schließlich einen ganzen Monat Zeit.

Sie begann, die beiden Leuchter vorsichtig in Seidenpapier einzuschlagen. Beim Anblick ihrer schlanken, gepflegten Hände stellte sich Ryan unwillkürlich vor, wie sie ihn mit diesen Händen berührte. Fieberhaft überlegte er, wie er es anstellen sollte, sie ins Bett zu kriegen.

„Wohnen Sie hier in der Gegend, oder sind Sie nur auf der Durchreise?“, unterbrach sie ihn in seinen sexuellen Fantasien.

„Ich wohne ein paar Wochen in Hunter’s Landing“, sagte er schnell. Ein paar Wochen, das hörte sich nicht so schlimm an wie ein Monat. Und mit Venus …

„Tatsächlich?“ Sie sah auf. „Ich wohne da in der Nähe.“

„Hunter’s Landing ist ja ein wirklich ruhiger kleiner Ort“, sagte er mit ein wenig Verzweiflung in der Stimme. Ob sie ihn für einen Urlauber hielt? Wahrscheinlich. Denn ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen „Uniform“, dreiteiliger Anzug und Krawatte, trug er Kakihose und Polohemd.

„Mir gefallen ruhige kleine Orte“, sagte sie leise.

Das hört sich nicht gerade nach einem Partygirl an, dachte Ryan. Vielleicht hat sie einen festen Freund und keine Lust, viel auszugehen. Sie trug zwar keinen Ring, aber das bedeutete nicht, dass sie keinen Freund hatte, vielleicht sogar mehrere, so wie sie aussah …

„Da ich mich hier in der Gegend nicht auskenne, können Sie mir vielleicht einen Tipp geben, wo man gut essen kann?“, fragte er.

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn er war sogar in der Nähe von Tahoe aufgewachsen, auf dem Familiensitz in Clayburn. Und er war daher schon häufig in Tahoe gewesen.

Allerdings nicht in den letzten Jahren. Da hatte er seine Rachepläne vorangetrieben und hatte die Gegend gemieden, da er nicht die geringste Lust verspürt hatte, Webb Sperling und seinen Leuten zu begegnen.

Im Grunde konnte er auch in der Lodge essen, denn der Kühlschrank war randvoll mit delikaten, bereits vorgekochten Gerichten. Aber das brauchte Venus nicht zu wissen.

Sie sah ihn nachdenklich an, als überlege sie, ob sich hinter seiner Frage noch etwas anderes verbarg. Sofort wurde ihm siedend heiß.

Sie trug ein ganz normales unauffälliges Oberteil, aber sie würde in allem sexy aussehen. Und ihre Augen waren bei näherer Betrachtung eher bernsteinfarben und hatten kleine grüngoldene Punkte. Faszinierend.

„In Hunter’s Landing ist in dem Punkt nicht viel los“, sagte sie schließlich.

Die Untertreibung des Jahrhunderts.

„Es gibt den Lakeside Diner und dann natürlich Clearwater’s. Das ist ein Restaurant mit einer großen Terrasse, von der aus man auf den See blicken kann.“

Nicht schlecht. Ryan stellte sich sofort ein romantisches Dinner zu zweit vor. Die Bäume rauschten leise, und der Mondschein glitzerte auf dem Wasser … Danach würden sie sich in das Landhaus zurückziehen, vielleicht Rotwein trinken und später noch bei sanfter Jazzmusik in den Whirlpool steigen. Danach würde es sich ganz von selbst ergeben, dass sie sich auf dem riesigen Bett lieben würden …

Als sie eine gelbe Tüte vor ihn hinstellte, sah er die junge Frau verwirrt an. Dann erst wurde ihm klar, dass seine Fantasie schon wieder mit ihm durchgegangen war. Er räusperte sich. „Clearwater’s hört sich gut an“, sagte er langsam. „Und wie war noch gleich Ihr Name?“

„Kelly.“

Er streckte die Hand aus. „Angenehm, Kelly. Und ich bin Ryan.“

Sie schüttelte ihm die Hand. Was für lange, schlanke Finger sie hatte. Und dieses zierliche Handgelenk. Erst als sie ihm die Hand entzog, merkte er, dass er sie viel zu lang festgehalten hatte.

„Wie möchten Sie zahlen?“

„Mit Kreditkarte. Geht das?“

„Selbstverständlich.“ Sie lächelte freundlich.

An diese Stimme würde er sich sein Leben lang erinnern. Und an das Lächeln auch. Er gab ihr die Kreditkarte. „Ich würde mich freuen, wenn ich nicht allein zum Essen gehen müsste. Hätten Sie vielleicht morgen Abend Zeit, Ms … entschuldigen Sie, wie war noch Ihr Nachname?“

Morgen war Samstag, da würde sie am nächsten Tag ausschlafen können … sehr praktisch.

„Ich heiße Kelly Hartley.“ Sie nahm seine Kreditkarte und wandte sich zur Kasse um.

Kelly Hartley? Ryan überkam ein unbehagliches Gefühl. Wieso kam ihm der Name so bekannt vor? Plötzlich fiel es ihm wieder ein: Eine der vielen Geliebten seines Vaters hieß Hartley mit Nachnamen. Und sie hatte eine Tochter, die Kelly hieß.

Sein Lächeln verschwand, und er blickte auf, geradewegs in Kellys weit aufgerissene Augen, die ihm aus ihrem plötzlich kalkweißen Gesicht entgegenstarrten.

Verdammt. Er fluchte lautlos. Ihm wurde ganz elend bei dem Gedanken, dass er fast auf eine dieser Miezen hereingefallen wäre, genau wie sein Vater. Nur fast, Gott sei Dank. Glücklicherweise hatte er nicht den Hang zu billigen Frauen wie Webb Sperling.

Sein ganzes Leben hatte er sich darum bemüht, nicht mit seinem Vater verglichen zu werden. Ein Vorteil war, dass er äußerlich sehr seiner Mutter glich, einer dunkelhaarigen Schönheit aus reicher Familie, die viel zu früh an Krebs gestorben war, genau wie sein Freund Hunter.

Hübsch mussten allerdings auch die Frauen sein, mit denen Webb Sperling ein Verhältnis hatte. Ryan starrte Kelly finster an.

Hübsch und geldgierig. Kein Wunder, dass sie Devlins Braut um ihren reichen Bräutigam beneidete. Es war sehr geschickt von ihr, ausgerechnet hier in Tahoe einen solchen Laden zu eröffnen. Denn der Lake Tahoe zog Menschen an, die viel Geld auszugeben hatten. Genau wie ihre Mutter schien sie ein gutes Gespür dafür zu haben, wie sie schnell zu Geld kommen konnte. Wenn er die Möglichkeit hätte, würde er dafür sorgen, dass Venus möglichst bald Pleite machte.

„Du bist Webb Sperlings Sohn“, sagte sie tonlos.

„Und du Brenda Hartleys Tochter.“

Wieso hatte sie Ryan nicht erkannt?

Ganz einfach, beantwortete Kelly sich die Frage gleich selbst. Sie hatte ihn seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen, seit er nämlich Clayburn verlassen hatte. Danach hatte sie hin und wieder in der Presse etwas über ihn gelesen, wobei es im Allgemeinen um geschäftliche Transaktionen ging, aus denen er meist als Sieger hervorging.

In den vergangenen zehn Jahren hatte er sich außerdem sehr verändert. Die Schlaksigkeit der Teenagerjahre war vorbei. Vor ihr stand ein großer, schlanker Mann, der aussah wie ein Filmstar. Obwohl sie selbst auch nicht gerade klein war und dazu noch Schuhe mit hohen Absätzen trug, war er ein ganzes Stück größer als sie. Und anders als sein Vater, der blaue Augen und helles Haar hatte, das jetzt allerdings weiß war, hatte Ryan dunkles Haar und dunkelbraune Augen, ganz wie seine verstorbene Mutter.

Schon als er ihren Laden betrat, hatte es ihr den Atem verschlagen, obgleich sie ihn noch nicht erkannt hatte. Auch als Teenager hatte sie für ihn geschwärmt, allerdings hatte sich ihr Kontakt zu ihm darauf beschränkt, ihm verstohlene Blicke zuzuwerfen, die er natürlich nicht bemerkt hatte. Wenn er sie angesprochen hätte, hätte sie vor lauter Aufregung kein einziges Wort herausgebracht. Er war nur zwei Jahre älter als sie, aber da er aus reichem Elternhaus kam und eine vollkommen andere Erziehung genossen hatte, hatte er immer so viel weltläufiger als sie gewirkt, so erwachsen und selbstbewusst.

Trotzdem war sie nie richtig in ihn verknallt gewesen, dafür war sie viel zu vernünftig. Aber natürlich war ihr nicht verborgen geblieben, dass er verdammt sexy war.

In der Stadt erzählte man sich, dass Ryan seinen Vater wegen dessen Affären hasste. Seine Mutter war krank geworden und starb etwa zu der Zeit, als Webb Sperling eine Liebschaft mit Brenda Hartley hatte. Kurz nach dem Tod seiner Mutter hatte Ryan sein Elternhaus verlassen und war aufs College gegangen. Danach hatte man ihn nie wieder in Clayburn gesehen.

Kelly sah, wie Ryan verächtlich die Lippen verzog. „Na, wenn das kein seltsamer Zufall ist“, sagte sie betont freundlich. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich noch mehr, ein sicheres Zeichen dafür, dass er noch immer an die Affäre seines Vaters mit ihrer Mutter dachte.

Er hob kurz die Augenbrauen. „So? Vielleicht ist das gar nicht so seltsam.“

„Wieso?“

„Na ja, ich kann mir nicht vorstellen, dass du mich nicht gleich erkannt hast, als ich durch die Tür kam.“

Sie runzelte verärgert die Stirn. „Und warum sollte ich so tun, als kenne ich dich nicht?“

Er hob nachlässig die Schultern. „Vielleicht wolltest du mich beeindrucken, damit ich umgehend zu meinem Vater renne und ihm erzähle, was für eine tüchtige Geschäftsfrau du bist. Vielleicht geht er dann eher auf deine Vorschläge ein.“

Sie biss kurz die Zähne zusammen. Dann wusste er also, dass sie mit Webb Sperling in Verhandlungen stand. Es ging darum, dass er Geschenkartikel, die nach ihren Entwürfen angefertigt wurden, unter dem Label „Für jeden etwas“ in das Angebot seiner Kaufhäuser aufnahm. Sie wurde rot, und einmal mehr war ihr unbehaglich bei dem Gedanken, dass sie den früheren Geliebten ihrer Mutter um einen Gefallen gebeten hatte, einen Mann, den sie aus tiefster Seele verabscheute.

„So wie ein Koch“, fuhr er gehässig fort, „der so tut, als wisse er nicht, dass ein berühmter Restaurantkritiker gerade bei ihm Platz genommen hat.“ Er blickte sich in dem Laden um. „Aber leider hast du dich verrechnet. Mit Webb Sperling habe ich nichts mehr zu tun.“

Dann hatte sich sein Verhältnis zu seinem Vater offensichtlich nicht gebessert. Wie schon der rebellische Teenager wollte auch der erwachsene Sohn nichts mehr von dem alten Sperling wissen. „Wenn du keinen Kontakt mehr zu deinem Vater hast, woher willst du denn von meinen Verhandlungen mit Sperling Inc. wissen, falls es die überhaupt gegeben haben sollte?“ Ihre Gespräche befanden sich noch in einem sehr frühen Stadium. Sie hatte noch nicht einmal einen Vertragsentwurf gesehen.

„Ich habe meine Quellen.“

„Einen Spion?“ Sie hob überrascht die Augenbrauen.

„Wenn man sich über die Familiengeschäfte auf dem Laufenden hält, kann man das wohl kaum als Spionieren bezeichnen.“

„Aber nein! Vor allem nicht, da ihr alle so wunderbar miteinander auskommt!“ Kelly wusste, dass Sperling Inc. ein reines Familienunternehmen war. Die Aktien wurden ausschließlich von Familienmitgliedern gehalten.

„Ich bin anders als mein widerlicher Erziehungsberechtigter.“ Er musterte sie verächtlich von oben bis unten. „Was ich von dir eigentlich nicht sagen kann.“

Sie kochte vor Wut und wollte heftig etwas erwidern, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen. „Wirklich erstaunlich, dass ich dich nicht gleich erkannt habe. Du siehst genau wie deine Mutter aus.“

Das war zu viel! Sie ballte die Hände zu Fäusten, um ihm nicht das Gesicht zu zerkratzen. Jahrelang hatte sie sich darum bemüht, eben nicht so wie ihre Mutter zu werden. Sie hatte hart dafür kämpfen müssen, sich selbstständig zu machen und ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen zu können, anders als manche Leute, die mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurden.

Dass sie ihre kurvenreiche Figur und das kastanienrote Haar von ihrer Mutter geerbt hatte, dafür konnte sie nichts. Ansonsten hatte sie nichts gemein mit der oberflächlichen Brenda Hartley, die nur auf ihr Vergnügen aus war. Die Leute hier kannten und respektierten Kelly als tüchtige Geschäftsfrau und verantwortungsvolles Mitglied der Gemeinde. Und genau das wollte sie auch.

„Ich würde sagen, du gehst jetzt lieber“, brachte sie mühsam heraus.

Er warf ein paar Geldscheine auf den Tresen, mehr als die Leuchter wert waren. „Hier! Geld ist doch das Einzige, worauf es dir ankommt, oder?“

2. KAPITEL

„Himmel, wer war das denn?“ Erica sah Ryan hinterher, der gerade den Laden verließ, als sie eintreten wollte. „Sieht ja attraktiv aus, der Mann, groß, dunkel und gefährlich.“

„Groß, dunkel und unverschämt trifft es wohl eher“, meinte Kelly und rümpfte die Nase. Sie war immer noch wütend über Ryans Auftritt. „Gut, dass du kommst.“ Erica half ihr bisweilen im Laden. Sie war verheiratet und hatte zwei Kinder, war hübsch und blond und meist gut gelaunt.

Jetzt wies sie auf die Geldscheine, die auf dem Tresen lagen. „Offenbar gefiel ihm, was er sah.“

„Ja, kann sein“, stieß Kelly wütend hervor. „Allerdings nur, solange er nicht wusste, wen er vor sich hatte. Das war Ryan Sperling.“

Erica riss die Augen auf.

„Du hast ganz richtig gehört. Webb Sperlings Sohn.“ Jetzt erst sah sie auf die Geldscheine. Das war doppelt so viel, wie die beiden Leuchter wert waren. Dieser verdammte Ryan Sperling! Sie fühlte sich irgendwie beschmutzt, wenn sie dieses Geld annahm. Genau das Gleiche hatte sie empfunden, als sie sich in Geschäftsverhandlungen mit Webb Sperling eingelassen hatte.

„Zu schade, dass er so geworden ist“, sagte Erica. „Ich meine, zu einem Typen, mit dem du nichts zu tun haben willst. Schon lange habe ich hier keinen so gut aussehenden Mann mehr gesehen.“

„Tatsächlich? Ist mir gar nicht aufgefallen.“ Das war glatt gelogen, und Kelly wusste es.

„Was macht er denn hier in Tahoe?“ Erica schob die Geldscheine zusammen.

„Keine Ahnung. Vielleicht Urlaub. Hoffentlich muss ich ihm nie wieder begegnen.“ Schnell schilderte sie Erica, wie die unerfreuliche Begegnung abgelaufen war.

Erica arbeitete schon seit drei Jahren für Kelly, und in der Zeit waren sie enge Freundinnen geworden. Obwohl Kelly vorsichtig war in dem, was sie anderen über ihre Vergangenheit erzählte, hatte sie sich Erica anvertraut. Die Freundin wusste, dass Kelly in Clayburn aufgewachsen war und dass ihre Mutter ein Verhältnis mit Webb Sperling gehabt hatte. Und Kelly hatte ihr auch erzählt, dass sie versuchte, mit Sperling Inc. ins Geschäft zu kommen.

„Sieht so aus“, meinte Erica schließlich, „als sei Ryan nicht sehr glücklich darüber, dass du mit seinem Vater Geschäfte machen willst.“

„Kann sein, aber er kann nichts dagegen tun.“ Dennoch, ganz wohl war ihr nicht bei dem Gedanken.

„Vielleicht ist es deshalb das Beste, den Vertrag mit Webb Sperling möglichst bald unter Dach und Fach zu bringen“, riet Erica.

„Genau das habe ich vor.“

„Okay, Kelly, ich gehe dann ins Lager und packe die Sachen aus, die gestern gekommen sind“, beendete Erica das Gespräch.

„Danke, Erica.“

Kelly blieb bei der Kasse stehen und starrte nachdenklich vor sich hin. Die Begegnung mit Ryan Sperling hatte sie stärker aufgewühlt, als sie der Freundin gegenüber zugeben mochte. Ryan umgab eine Aura von Macht, sogar von einer gewissen Skrupellosigkeit, und das verunsicherte sie und machte sie in vielerlei Hinsicht nervös.

Hatte er nicht selbst zugegeben, dass er mit seinem Vater nichts mehr zu tun hatte und auch nicht zu tun haben wollte? Sie brauchte also nicht zu befürchten, dass er sich in ihre Verhandlungen mit Webb Sperling einmischte, oder?

Sie wusste aus Presseberichten, dass Ryan sein Vermögen damit gemacht hatte, dass er Kabelfirmen aufkaufte und zu einem großen Konsortium vereinte. Außerdem hatte er von seinem Großvater väterlicherseits einige Aktien des Familienunternehmens geerbt. Doch abgesehen davon hatte er mit Sperling Inc. nichts zu tun.

Andererseits hatte Ryan ganz den Eindruck gemacht, als wolle er die Pläne seines Vaters torpedieren, besonders wenn sie im weitesten Sinn die frühere Geliebte des Vaters betrafen. Irgendwoher hatte Ryan erfahren, dass Kelly versuchte, ihre Artikel in den Sperling-Kaufhäusern unterzubringen. Und das schien ihm ganz und gar nicht zu gefallen.

Sie biss sich auf die Lippen. Hätte sie ihrer Mutter bloß niemals anvertraut, dass sie gern eine Handelskette finden würde, die ihre selbst entworfenen Geschenkartikel vertrieb. Immer noch bereute sie ihre Offenheit aus vollem Herzen.

Brenda war gerade mal wieder „zufällig“ vorbeigekommen und hatte wieder „zufällig“ kein Geld. Auch diesmal hatte Kelly ihr Geld geliehen, obgleich sie wusste, dass sie es nie wiedersehen würde.

„Danke, danke!“, hatte Brenda gezwitschert und sich im Laden umgesehen. „Diese Schmuckkästen sind wirklich hinreißend, Herzchen.“ Sie hob einen mit Seide bespannten und mit Halbedelsteinen geschmückten Kasten hoch.

„Danke. Ich habe sie nach meinen Entwürfen anfertigen lassen. Im Grunde als Muster, denn ich hoffe immer noch, dass ich sie in größerem Umfang über eine Ladenkette vertreiben kann.“ Sie hatte selbst so viele Ideen, dass ihr Traumziel immer noch war, eines Tages unter dem Namen „Für jeden etwas“ ihre eigenen Entwürfe landesweit verkaufen zu können.

Brenda hob den Kopf. „Du suchst jemanden, der deine Sachen vertreibt?“ Sie drehte den Kasten in ihren sorgfältig gepflegten Händen mit den feuerroten Nägeln hin und her. Dabei wiegte sie den Kopf und schob die knallrot geschminkten Lippen vor.

Nicht zum ersten Mal wünschte sich Kelly, ihre Mutter würde sich zurückhaltender zurechtmachen. Immer noch gab sie das Las-Vegas-Showgirl, das sie einst gewesen war. Nur wirkte das im hellen Tageslicht alles andere als ansprechend.

Ihrer Mutter war es allerdings egal, was andere von ihr dachten, sie blieb ihrem eigenen Wesen treu.

Kelly seufzte. Als Teenager hatte sie unter dem lockeren Lebenswandel der Mutter gelitten. Brenda hatte geraucht und getrunken und war auf jeder Party im Umkreis zu finden. Und offenbar hatte sich daran nichts geändert, obgleich sie jetzt bereits Mitte fünfzig war.

„Ich suche nach einer Handelskette, die ein landesweites Vertriebssystem hat“, sagte sie zögernd. Sie wusste, ihre Mutter würde nicht lockerlassen. „Aber ich weiß, die Konkurrenz ist einfach zu groß. Es versuchen einfach zu viele, ihre Produkte unterzubringen.“

Brenda kniff die Augen leicht zusammen. „Wie ist es denn mit Sperling? Ich könnte mich doch mit Webb in Verbindung setzen und …“

„Nein, auf keinen Fall“, sagte Kelly hastig. Weder sie noch ihre Mutter sollten jemals wieder etwas mit Webb Sperling zu tun haben.

„Keine Widerrede!“ Brenda stellte den Schmuckkasten zurück. „Ich rufe Webb an und …“

„Nein.“

Doch Brenda hörte gar nicht zu. „Er ist zwar mit dieser miesen Schlampe Roxanne verheiratet“, sie lächelte böse, „aber Webb und ich haben immer noch … Kontakt.“

Kelly rollte nur mit den Augen. Sie war immer davon ausgegangen, dass ihre Mutter und Webb schon seit Jahren kein Verhältnis mehr hatten. Aber bei den beiden konnte man nie sicher sein. Denn Webb war dafür bekannt, dass er neben der Ehe immer so einiges laufen hatte. Und Brenda war kein Kostverächter, vor allem, wenn für sie finanziell etwas dabei abfiel.

Kelly wurde ganz elend bei dem Gedanken, dass ihre Mutter mit Webb wieder etwas anfing, nur damit er der Tochter einen Gefallen tat. Aber wer weiß, und bei dem Gedanken wurde sie kalkweiß, vielleicht hatte Brenda Webb sowieso von Zeit zu Zeit kleine „Gefälligkeiten“ erwiesen, wenn sie wieder knapp bei Kasse war.

Es hatte noch einige Überredungskunst gebraucht, um ihre Mutter davon zu überzeugen, in diesem Fall nichts zu unternehmen. Damit war die Angelegenheit für Kelly erledigt, zumindest hatte sie das gedacht.

Doch zwei Wochen später klingelte das Telefon. Es war Webb Sperling, der sich in einem öligen, übertrieben herzlichen Ton nach ihren Vorstellungen einer Zusammenarbeit erkundigte.

Sie hatte nicht die Willensstärke besessen, sein Angebot vor vornherein zurückzuweisen. Denn wer weiß, ob sich eine ähnliche Gelegenheit noch mal ergab. Und jetzt hatte sie ausgerechnet seinem Sohn begegnen müssen, der seinen Vater hasste und damit jeden, der mit ihm in Verbindung stand.

Dennoch, die Art und Weise, wie Ryan sie behandelt hatte, war unverzeihlich gewesen. Ausgerechnet er meinte, sich als Richter über ihre Entscheidungen aufspielen zu können.

Als sie beide Teenager in Clayburn waren, gehörte er zu der reichsten Familie der Stadt, während sie die Tochter einer stadtbekannten Partymieze war und in einem heruntergekommenen Haus im schäbigsten Viertel der Stadt wohnte. Sicher, ihre Mutter hatte ein Verhältnis mit Ryans Vater, aber Webb war in der ganzen Gegend als notorischer Schürzenjäger bekannt.

Ihre und Ryans Welt hatten keinerlei Berührungspunkte. Sie sah ihn selten, höchstens mal hin und wieder in der Stadt. Er ging natürlich auf ein Internat, während sie auf der Highschool von Clayburn war. Danach wurde er in Harvard angenommen, während sie aufs College in Reno ging.

Allerdings hatte sie immer den festen Willen gehabt, es zu etwas zu bringen. Und genau aus diesem Grund griff sie jetzt zum Telefonhörer. Sie musste einfach wissen, woran sie war.

„Ich möchte Mr Sperling sprechen“, sagte sie, als seine Sekretärin sich meldete.

„Und wen darf ich bitte melden?“

„Kelly Hartley von ‚Für jeden etwas‘.“

„Bitte warten Sie. Ich will sehen, ob Mr Sperling zu sprechen ist.“

Nach einer nervtötenden Wartezeit von einigen Minuten kam Webb ans Telefon. „Kelly, Sugar, was kann ich für Sie tun?“

Kelly hasste es, Sugar genannt zu werden, aber das schien Webbs Lieblingskosename zu sein. „Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich haben“, begann sie stockend.

„Aber, Sugar, warum so förmlich? Wir sind doch alte Freunde! Das nächste Mal brauchen Sie nur meiner Sekretärin zu sagen, Kelly sei dran.“

Sie ging darauf nicht ein, sondern kam gleich zur Sache. „Ich wollte mich erkundigen, wie weit die Pläne gediehen sind, meine Produkte über Sperling Inc. zu vertreiben.“

Webb seufzte theatralisch. „Sie müssen Geduld haben, Sugar. Ich habe Ihren Wunsch an die entsprechenden Leute weitergeleitet. Sie werden von uns hören, aber so etwas dauert leider seine Zeit.“

„Ja, aber …“

„Wenn wir einen neuen Anbieter aufnehmen, müssen verschiedene Gremien ihr Okay geben. Das bedeutet, es sind einige Hürden zu überwinden, mein Kind.“

Das hatte er ihr schon damals erzählt, aber inzwischen waren viele Wochen vergangen, ohne dass sich irgendjemand von der Firma gemeldet hatte. „Ich weiß, aber es ist doch schon eine ganze Zeit her …“

„Tut mir leid, Sugar, aber ich muss aufhören. In zwei Minuten fängt eine wichtige Sitzung an. Grüßen Sie Ihre Mutter!“ Er legte auf, bevor sie noch etwas sagen konnte.

„Verfluchter Kerl!“ Kelly schlug wütend mit der flachen Hand auf den Tisch. Sitzung, von wegen! Sicher hatte er nur eine Verabredung auf dem Golfplatz. Was war heute, Freitag? Da war er doch schon früher immer zum Golfspielen gegangen.

Erica kam aus dem Lagerraum gestürzt. „Was ist denn los?“

„Ich habe Webb Sperling angerufen, ohne Erfolg. Er hat mir nur wieder geraten, geduldig zu sein, alles brauche seine Zeit, blablabla …“

„Darüber darfst du dich doch nicht so aufregen. Aber wahrscheinlich denkst du noch an deine Begegnung mit Ryan, was?“

„Das auch.“

Erica legte ihr einen Arm um die Schultern. „Lass dich bloß nicht von einem Mann aus der Ruhe bringen.“ Sie grinste. „Vor allem nicht, wenn du noch nicht einmal mit ihm ins Bett gehst.“

Bei der Vorstellung, sie würde mit Ryan schlafen, durchlief Kelly kurz ein heißer Schauer der Erregung. Sie und Ryan, nackt und zusammen im Bett … Verärgert schob sie das Bild zur Seite. Wut stieg in ihr auf, wenn sie daran dachte, wie er sie behandelt hatte. Als sei sie eine Schlampe, die sich mithilfe ihres Ladens einen reichen Mann angeln wollte.

Der Mann schleppte offenbar viel Ungeklärtes aus seiner Vergangenheit mit sich herum. Wahrscheinlich hatte er unter dem Lebenswandel des Vaters auch immer gelitten. Aber damit konnte sie sich jetzt nicht belasten. Sie hatte ihre eigenen Probleme.

Erica wedelte ihr mit der Hand vor den Augen herum. „Hallo, Kelly! Wo bist du?“

Kelly konzentrierte sich wieder auf die Freundin. „Entschuldige, Erica. Ich war eben mit meinen Gedanken ganz woanders.“

„Hatte das etwa etwas mit dem zu tun, was ich gerade gesagt habe?“ Erica drückte die Freundin kurz an sich. „Ich meine, Ryan mag zwar ein unmöglicher Kerl sein, aber er ist reich und sieht ausgesprochen sexy aus.“

„So? Das ist mir bisher nicht aufgefallen.“ Kelly wusste, dass das nicht sehr überzeugend klang.

„Allerdings …“

„He, Erica, du bist verheiratet und hast zwei Kinder, vergiss das nicht.“

„Deshalb bin ich doch trotzdem aus Fleisch und Blut.“

„Aber was würde Greg dazu sagen?“ Greg war Ericas Mann, ein Hüne von einem Kerl. „Wenn ich es mir allerdings überlege“, fügte Kelly hinzu, „dann hat die Vorstellung, wie Greg Ryan zusammenschlägt, durchaus etwas für sich.“

„Vielleicht wäre das gar nicht so einfach, wie du denkst“, meinte Erica und grinste. „Ryan Sperling sieht auch nicht gerade wie ein Weichei aus.“

Stimmt, der Mann war groß und muskulös … aber Kelly wollte jetzt nicht länger über Ryan Sperling nachdenken. „Übrigens, habe ich dir eigentlich schon das Neueste erzählt, Erica? Ich habe den Job gekriegt! Ich soll das Landhaus einrichten. Ist das nicht toll?“

„Fantastisch!“

„Ich habe mich gestern mit Meri dort getroffen. Du weißt schon, die Verwalterin, die neulich mal zufällig in den Laden gekommen ist. Wir haben uns kurz die Räume angesehen, und dann habe ich den Vertrag unterschrieben.“

„Das ist ja super. Hat sie dir noch etwas mehr darüber erzählt? Ich meine, wem es gehört? Und was damit geschehen soll?“

„Ich weiß nur, dass daraus irgendwann ein Erholungsheim für Krebspatienten gemacht werden soll.“

Erica schüttelte nachdenklich den Kopf. „Die Sache wird ja immer mysteriöser.“

„Finde ich auch. Ich bin von der Hunter-Palmer-Stiftung engagiert worden, die das Landhaus hat bauen lassen. Bisher sind nur einige Räume eingerichtet, aber da das Erholungsheim bald eröffnet werden soll, wird es jetzt langsam dringend.“

„Aber warum nehmen sie nicht den Innenarchitekten, der für den bisherigen Teil verantwortlich ist?“

„Der hat wohl momentan zu viel zu tun. Und das ist mein Glück. Meri möchte übrigens, dass ich möglichst bald anfange.“

„Ich freue mich für dich“, sagte Erica herzlich. „Aber da kommt eine Menge Arbeit auf dich zu. Wann willst du denn anfangen?“

„Ich gehe am Sonntag noch mal hin, um mir alles in Ruhe anzusehen. Meri hat mir schon den Schlüssel für die Vordertür gegeben, denn sie selbst wohnt in Los Angeles und hat immer eine ziemlich lange Anfahrt. Zwar ist das Haus im nächsten Monat bewohnt, allerdings nur von einem einzelnen Mann, den sie schon informiert hat.“

Meri hatte ihr nicht verraten wollen, wer dieser geheimnisvolle Besucher war. Im März hatte schon einmal ein einzelner Mann dort gewohnt, auch im April und im Mai. Kelly vermutete, dass das Urlauber waren, die das Landhaus jeweils für einen Monat gemietet hatten.

„Brauchst du meine Hilfe?“, fragte Erica. „Wenn du willst, komme ich mit.“

„Nein, das wird nicht nötig sein. Außerdem ist der Sonntag für deine Familie da. Ich habe schon eine ziemlich gute Vorstellung, was man mit der Lodge machen kann.“

Hoffentlich war bald Sonntag. Kelly brannte darauf, das neue Projekt anzufangen und ihre Fähigkeiten zu beweisen. Sie würde ihre Träume verwirklichen, daran konnte auch ein Ryan Sperling sie nicht hindern.

Am Sonntagmorgen stand Kelly früh auf und fuhr nach einem kurzen Frühstück zum Haus. Obwohl diese neue Aufgabe viel Zeit kosten würde, war sie begeistert über die Aussicht, ihre eigenen Ideen umsetzen zu können und damit ihrem ganz persönlichen Stil zum Durchbruch zu verhelfen. Sie wusste, wie viel Konkurrenz es in diesem Bereich gab, und war froh über jede Gelegenheit, ihr Talent unter Beweis zu stellen.

Sie hielt vor dem Landhaus und stieg aus. Das war wirklich ein beeindruckender Bau. Mit seinen circa neunhundert Quadratmetern Wohnfläche und dem schweren Holzdach, das auf dicken Holzpfeilern ruhte, würde diese Lodge sicher auch den verwöhntesten Millionär zufriedenstellen. Das Haus hatte mehrere Stockwerke, und von den überdachten Terrassen hatte man einen wunderbaren Blick auf den Lake Tahoe.

Der Kies knirschte unter ihren Füßen, als Kelly jetzt auf den Haupteingang zuging. Obwohl das Haus unbewohnt wirkte, drückte sie ein paarmal auf die Klingel. Als keiner öffnete, zog sie den Schlüssel aus der Tasche, den Meri ihr gegeben hatte, und schloss auf.

Zögernd ging sie durch die Eingangshalle und betrat den riesigen Wohnraum. Wieder blieb sie beeindruckt stehen. Ein massiger Kamin war auf der einen Seite eingebaut, flankiert von zwei großen ledernen Ohrensesseln. Ein prächtiger Kronleuchter hing von der hohen Decke herab. Die Schiebetüren und die großen Fenster gingen auf den See hinaus, der in der frühen Morgensonne glänzte, ein unglaublich schöner Anblick.

Kelly drehte sich um und betrachtete die geschwungene breite Holztreppe, die in das nächste Stockwerk führte. Dort befanden sich die Schlafräume, von denen bisher nur zwei eingerichtet waren.

Plötzlich verriet ihr ein Geräusch hinter ihr, dass sie nicht allein im Haus war. Hastig wandte sie sich um.

Ryan Sperling hatte die Schiebetüren von außen geöffnet und stand jetzt auf der Schwelle zum Wohnzimmer. Er war nackt bis auf ein graues Handtuch, das er sich lässig um die Hüften geschlungen hatte. Wassertropfen glitzerten auf seiner gebräunten Haut, die dunklen Augenbrauen hatte er wütend zusammengezogen.

Kelly stockte der Atem. Er sah viel zu gut aus mit diesem muskulösen Oberkörper, dem flachen Bauch, den langen, kräftigen Beinen … sie konnte den Blick einfach nicht von ihm lösen. Von ihrem ersten Besuch her wusste sie, dass sich auf der Terrasse ein Whirlpool befand. Wahrscheinlich hatte er gerade ein Bad genommen.

„Verdammt noch mal, was willst du denn hier?“, fuhr er sie an.

„Ich …“ Sie brachte einfach keinen vernünftigen Satz zustande.

„Falls du mich mit irgendwelchen Tricks dazu bringen willst, mich für dich bei Sperling Inc. einzusetzen, hast du dich geschnitten. Ich denke nicht daran, im Gegenteil!“

Wie kam er nur auf diese Idee? Er hatte ihr doch schon sehr eindeutig klargemacht, dass er mit Webb Sperling nichts zu tun hatte und nichts zu tun haben wollte. Glaubte er wirklich, dass sie ihn mit allen, aber auch allen Mitteln überreden wollte, sich dennoch für sie starkzumachen?

„Wenn du meinst, dass du hier eine Stripshow abziehen und mir damit eine Falle stellen kannst, um mich später zu erpressen, dann muss ich dir leider sagen, dass mir die besten Anwälte zur Verfügung stehen.“

Jetzt endlich hatte sie sich aus ihrer Erstarrung gelöst. „Keine Sorge! Das wäre doch wirklich das Allerletzte, was ich tun würde.“

Er musterte sie finster. „Wie, um alles in der Welt, hast du mich denn gefunden?“

„Das war kein Problem.“ Sie grinste ihn triumphierend an. „Ich brauchte nur der Spur der Frauen zu folgen, die hier rausgefahren sind, um dich zu treffen.“

Er hob kurz die Mundwinkel an. „So? Dann lass dir eins gesagt sein. Frauen verfolgen mich nicht auf derartig billige Weise, sie verhalten sich viel diskreter und drücken mir einfach eine Karte mit ihrer Telefonnummer in die Hand. Allerdings war bisher noch keine so dreist, mir bis ins Haus zu folgen, ohne dass ich davon wusste.“

„Tut mir leid, umso mehr, weil du keine Chance hast, mich wieder loszuwerden.“ Kelly konnte sich ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen.

„Wieso das denn?“

„Ich bin die neue Innenarchitektin.“

3. KAPITEL

Die Frau blieb nicht ohne Wirkung auf ihn. Vielleicht sollte ich lieber weiter mit ihr reden, dachte Ryan. Dann war die Gefahr nicht so groß, dass er sich auf etwas einließ, was er später bereuen würde. Denn am liebsten hätte er sie in die Arme gerissen und bis zur Besinnungslosigkeit geküsst.

Diese rothaarige, schlagfertige Hexe hatte er nun ganz sicher nicht erwartet, auch wenn er in der letzten Nacht einen äußerst erotischen Traum gehabt hatte, in dem sie die Hauptrolle spielte. Deshalb war er im ersten Augenblick, als er sie da stehen sah, auch nicht sicher gewesen, ob er nicht immer noch träumte.

Nach dem Aufwachen war er über sich selbst verärgert gewesen. Deshalb hatte er jetzt auch so unwirsch reagiert. Denn mit der Tochter von Brenda Hartley wollte er auf keinen Fall etwas anfangen.

„Meri hat mir gesagt, dass heute Morgen jemand kommen würde, der für die Inneneinrichtung zuständig sei. Aber natürlich bin ich davon ausgegangen, dass der- oder diejenige klingeln würde.“ Sein Ton war immer noch anklagend.

„Ich habe geklingelt“, sagte Kelly sofort. „Aber du hast ja nicht aufgemacht.“

„Ich war im Whirlpool. Da hab ich dich nicht gleich gehört. Und dann musste ich ja auch erst mal was anziehen.“

„Klar.“

Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte Ryan. Da versuche ich zum ersten Mal seit Monaten, mich ein wenig zu entspannen, und dann muss ausgerechnet sie mich dabei stören.

Hinzu kam, dass sie leider zum Anbeißen aussah in der engen schwarzen Jeans und dem anliegenden weichen Pullover, der ihre Brüste auch noch zu betonen schien.

„Ich habe immerhin dreimal geklingelt“, fing sie wieder an.

„Ich habe aber nur zweimal gehört.“

„Willst du damit sagen, dass ich lüge?“

Wieder verzog er nur kurz die Mundwinkel. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“

„Das gebe ich gern zurück.“ Sie blickte auf die Treppe, die nach oben führte. „Bist du allein?“

„Ja.“

„Tatsächlich? Das ist aber eine Überraschung.“

Sie ist wirklich unmöglich, dachte er. Was bildet sie sich ein? Und so etwas sollte er jetzt über einen längeren Zeitraum ertragen? Wenn sie für die Einrichtung der anderen Zimmer zuständig war, dann konnte das dauern. Entsetzlich.

„Hast du kein Auto?“, fragte sie.

„Doch. Es steht in der Garage.“

„Ach so.“

Er musterte sie kalt. „Wie lange wirst du denn hier mit diesem verdammten Job zu tun haben?“

„Mindestens einige Wochen. Und ich wäre dir dankbar, wenn du das nicht als verdammten Job bezeichnen würdest. Es gibt eben Menschen, die arbeiten müssen, wenn sie überleben wollen.“

„Oder sie müssen sich auf die Großzügigkeit ihrer Freunde verlassen können“, sagte er bissig.

So wie Kelly aussah, würde es ihr sicher nicht schwerfallen, sich wie ihre Mutter von wechselnden Liebhabern aushalten zu lassen. Die beiden sahen sich sehr ähnlich, und sie hatten auch die gleiche dunkle, verführerische Stimme.

„Vielleicht sollten wir unsere Familien lieber außen vor lassen“, meinte sie kühl.

„Das wird wohl kaum möglich sein. Du nutzt die alten Verbindungen doch gerade wieder schamlos aus.“

„Was? Das ist eine rein geschäftliche Abmachung.“

„Nichts, was Webb Sperling anfängt, ist rein geschäftlich, vor allem nicht, wenn eine hübsche Frau damit zu tun hat.“

Sie starrte ihn empört an. „Willst du damit sagen, dass ich unlautere Mittel anwende?“

Er hob nur geringschätzig die Augenbrauen.

Sie holte tief Luft. „Dann will ich dir mal eins sagen, Ryan“, fuhr sie ihn an. „ich spiele immer fair. Du bist doch nur sauer, dass du nichts gegen meinen Vertrag mit Sperling Inc. tun kannst, weil deine Aktienanteile einfach nicht ausreichen, um irgendetwas zu entscheiden.“

„Noch gibt es keinen Vertrag, Sugar.“ Trotz ihres energischen Auftretens hatte sie Angst, dass er doch etwas gegen den Deal mit seinem Vater tun könnte, das spürte Ryan genau. Dazu war er zu erfahren im Umgang mit Geschäftspartnern.

„Ryan“, versuchte sie es jetzt in einem sanfteren Ton, „diese ganze Sache gefällt mir genauso wenig wie dir. Meinst du, es macht mir Spaß, in dieser feindseligen Atmosphäre zu arbeiten? Am besten, wir gehen uns so weit wie möglich aus dem Weg, während ich hier zu tun habe. Ich werde das nächste Mal auch nicht einfach ungebeten reinkommen.“

„Gute Idee, aber es wird kein nächstes Mal geben.“ Er nahm das schnurlose Telefon, das auf einem kleinen Tischchen lag. „Ich werde jetzt die Verwalterin anrufen und ihr sagen, dass das Projekt verschoben, besser noch, storniert ist.“

Je länger er so halb nackt vor ihr stand, desto schwerer fiel es ihr, den Blick von seinem Körper abzuwenden. Verdammt, warum musste er auch so sexy sein.

„Das will ich dir nicht geraten haben!“ Sie versuchte, ihm das Telefon aus der Hand zu nehmen, aber es war zu spät, er hatte bereits Meris Nummer gewählt.

Nachdem Meri sich gemeldet hatte, erklärte ihr Ryan, weshalb er angerufen habe. Dabei ließ er Kelly nicht aus den Augen, die mit geballten Fäusten dicht vor ihm stand.

„Aber ich verstehe Sie nicht, Ryan“, sagte Meri. „Ich hatte Ihnen doch sehr genau erklärt, was getan werden sollte. Und Sie waren vollkommen mit allem einverstanden und meinten, Sie würden sich nicht belästigt fühlen.“

„Das war, bevor ich wusste, wer die Arbeit übernehmen sollte. Ms Hartley und ich …“ Wie sollte er ihre Beziehung beschreiben? „Also, wir kennen uns von früher, besser gesagt, Mitglieder unserer Familien kennen sich von früher und haben gewisse Schwierigkeiten miteinander. Tja, und das gilt auch für uns. Es ist etwa wie bei Freunden eines Paares, die nach der Scheidung jeweils Partei ergreifen müssen. Und sich plötzlich auf verschiedenen Seiten des Zaunes wiederfinden.“ Während Ryan sprach, gewann er langsam seine Selbstsicherheit zurück.

Meri seufzte. „Leider kann ich da gar nichts machen. Ms Hartley wurde von der Hunter-Palmer-Stiftung angestellt, und man erwartet von ihr, dass sie die nötigen Arbeiten in den nächsten Wochen ausführt. Tut mir leid, wenn Sie dadurch Unannehmlichkeiten haben.“

„Okay, ich habe verstanden.“

Als er das Telefon wieder auf den Tisch legte, sah Kelly ihn gespannt an. „Also, was ist?“

„Du hast den Job. Ich kann nichts dagegen tun. Ich kann dich nur bitten, mir möglichst nicht unter die Augen zu kommen. Sag Bescheid, wenn und wann du kommst, und vergiss nicht, die verdammte Klingel zu benutzen!“ Damit stürmte er aus dem Zimmer und die Treppe hinauf. Er musste sich endlich etwas anziehen.

Sein Aufenthalt in Tahoe stand unter keinem guten Stern. Erst stieß er überraschend auf Kelly Hartley, und dann stellte sich heraus, dass er sie auch noch einen ganzen Monat lang in der Lodge ertragen musste.

Und die Hochzeit gestern hatte seine Laune auch nicht gerade gebessert.

Da er die verheerende Ehe seiner Eltern immer vor Augen hatte, war Ryan alles andere als ein Freund von Hochzeiten. Aber er hatte Devlin die Bitte nicht abschlagen können, sein Trauzeuge zu sein. Zumal er sowieso nach Tahoe musste, um seinen Monat in der Lodge „abzuleisten“.

Obgleich selbst ein alter Zyniker wie er zugeben musste, dass Devlin und Nicole sehr gut zusammenpassten, war ihm wieder bewusst geworden, dass er nie diesen Schritt tun wollte. Eine Ehe kam für ihn nicht infrage, nicht nach all dem, was er mit seinen Eltern und in ihrem Bekanntenkreis erlebt hatte.

Auf dem Weg zu seinem Schlafzimmer kam er an einem Foto von Hunter vorbei, das gerahmt an der Wand hing. Verdammt, Hunter, warum konntest du nicht einfach so den Haufen Geld irgendeiner gemeinnützigen Organisation spenden? Warum musstest du erst deine alten Freunde verpflichten, sich hier einen Monat zu langweilen? Was für eine alberne Idee.

Was sollte das für einen Sinn haben?

Dennoch hatte er sich einverstanden erklärt, den Monat in der Lodge zu verbringen, denn er ging davon aus, dass Hunter sich schon etwas dabei gedacht hatte. Der Freund hatte eigentlich selten etwas ohne Grund getan.

Die Tatsache, dass die Lodge Krebspatienten zur Verfügung gestellt werden sollte, wenn die sechs Freunde die Forderungen des Testaments erfüllten, war für Ryan noch ein zusätzliches Motiv gewesen, seine Pflicht zu tun. Seit er erwachsen war, hatte er für die Krebsforschung gespendet, denn schließlich war seine eigene Mutter an Brustkrebs gestorben, als er gerade siebzehn Jahre alt war.

Kelly blickte Ryan hinterher.

Idiot.

Dann erst wurde ihr bewusst, was auf sie zukam. Sie musste das Haus einrichten, während er hier wohnte! Wie sehr hatte sie sich auf diese Aufgabe gefreut. Und nun war ihr die ganze Lust an dem Projekt vergangen.

Und dennoch musste sie immer an ihre erste Reaktion denken, als er da durch die Glastür kam, mit nichts als einem Handtuch bekleidet. Bevor er den Mund aufmachte und sie beschimpfte, hatte sie eine unwiderstehliche sexuelle Anziehungskraft gespürt. Dieser breite Brustkorb, der kräftige Bizeps und die langen, muskulösen Beine – ganz sicher war er ein paarmal in der Woche im Fitness-Studio.

Noch nie hatte ein Mann eine solche Wirkung auf sie gehabt. Aber leider war und blieb er unverschämt und egoistisch, daran sollte sie immer denken. Deshalb musste sie ganz schnell vergessen, welche körperliche Wirkung er auf sie hatte. Bei dem Gedanken daran wurde sie knallrot.

Unsinn! Sie war nicht wie ihre Mutter. Sie suchte nicht nach einer schnellen Affäre mit einem reichen Mann, der sie mit ein paar Schmuckstücken köderte und sie danach fallen ließ wie eine heiße Kartoffel. Sie hatte sich ein verantwortungsvolles Leben aufgebaut und sich geschworen, nie so dumm und so leichtsinnig wie ihre Mutter zu sein und vor allen Dingen nie andauernd wechselnde Liebschaften zu haben.

Und selbst wenn, mit Ryan Sperling würde sie sich ganz sicher nicht einlassen, denn er war der Sohn eines früheren Liebhabers ihrer Mutter, und er verachtete sie. Oh, wie sie ihn hasste wegen seiner herablassenden Art und Weise, mit ihr umzugehen.

Was hatte er gesagt? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Frechheit. Er kannte sie doch gar nicht. Er wusste nicht, wie schwer sie gearbeitet hatte, um das zu erreichen, was sie jetzt hatte.

Außerdem war sein Vater keinen Deut besser als ihre Mutter. Ryan war der Sohn eines gewissenlosen Ehebrechers. Ob er so gar nichts von seinem Vater geerbt hatte? Immerhin hatte sie genau bemerkt, mit welchem Interesse er sie von oben bis unten gemustert hatte. Obwohl er wusste, wer sie war, hatte er sie in dem Augenblick begehrt, das hatte sie genau gespürt.

Auch wenn es ihm nicht passte, er war von ihr angezogen. Während Kelly die Treppe zu den uneingerichteten Schlafzimmern emporstieg, konnte sie ein leicht triumphierendes Lächeln nicht unterdrücken. Man würde ja sehen …

In der nächsten Stunde maß sie alle Schlafzimmer und die angrenzenden Badezimmer genau aus. Nach der kurzen Besichtigung mit Meri hatte sie bereits gewisse Vorstellungen gehabt, wie die Zimmer eingerichtet werden könnten. Aber nun musste sie sich vergewissern, dass das auch hineinpasste, was sie in Gedanken ausgewählt hatte. Und dazu brauchte sie genaue Maße.

Nachdem das erledigt war, stand sie noch eine ganze Weile nachdenklich in dem letzten Raum. Für das Landhaus mit den holzvertäfelten Wänden und den großen Kaminen kamen nur warme Erdfarben infrage. Auch die Gästezimmer waren großzügig geschnitten und vertrugen durchaus große, bequeme Möbel. Das entsprach zwar nicht dem femininen Stil, den sie in ihrem Laden pflegte, aber sie lebte lange genug in dieser Gegend, sodass sie wusste, dass in ein solches Haus nur eine rustikale Einrichtung passte.

Ihr Handy klingelte. „Hallo?“

„Hier ist Erica. Ich wollte nur wissen, wie alles läuft. Kommst du gut zurecht?“

„Ja, danke. Aber …“ Kelly senkte die Stimme, „du ahnst nicht, wer hier wohnt!“

„Wer denn? Ich sterbe vor Neugier.“ Erica lachte. „Und das kann ich mir nicht leisten. Ich habe zwei Kinder zu Hause und einen Mann, der nicht kochen kann.“

„Ryan Sperling.“

„Was?“

„Ja, du hast richtig gehört. Und unter dieser Bedingung werde ich wohl vor dir sterben“, meinte Kelly trocken. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie arrogant er ist! Es bringt mich um, hier arbeiten zu müssen, wenn er in der Nähe ist.“

Ryan hatte Hunter Palmer wie einen Bruder geliebt, aber das hielt ihn nicht davon ab, den verstorbenen Freund in den nächsten Tagen immer mal wieder zu verfluchen. Denn er war gezwungen, von seinem Schlafzimmer aus zu arbeiten. Wenn Kelly nicht da gewesen wäre, hätte er mit seinem Anwalt Dan Etherington in dem großen Wohnzimmer einen Stock tiefer telefonieren können. Oder auf der Terrasse. Oder in dem vollständig eingerichteten Büro, das direkt unter dem Dach lag und einen herrlichen Ausblick auf den See bot.

Stattdessen musste er seine geheimen Operationen vom Schlafzimmer aus vornehmen. „Wird er denn verkaufen?“, sagte er halblaut ins Telefon.

Oliver, der Cousin seines Vaters, war der Letzte, dem er die familieneigenen Anteile an Sperling Inc. noch abkaufen musste, für eine zugegebenermaßen horrende Summe. Von allen anderen Aktionären hatte er eine eindeutige Zusage. Sie wussten, dass der alte Sperling niemals zulassen würde, dass das Unternehmen an jemanden außerhalb der Familie fällt. Wollten die Teilhaber ihre Anteile verkaufen, dann nur an ein anderes Familienmitglied, sogar an das schwarze Schaf der Familie Ryan. Die hohe Summe, die Ryan bot, hatte bisher alle Familienmitglieder überzeugt.

„Ich glaube, wir haben ihn allmählich überredet“, antwortete Dan.

„Das muss wohl an meinem Charme liegen“, meinte Ryan trocken.

Oliver liebte schnelle Wagen, hübsche Frauen und leicht verdientes Geld. Das Einzige, was ihn mit seinen neunundfünfzig Jahren von Webb unterschied, war die Tatsache, dass er in dem Familienunternehmen nie eine führende Position eingenommen hatte.

„Es war wohl mehr der Charme deines Scheckbuchs“, gab Dan zurück.

Mit Olivers Anteilen hätte Ryan endlich das erreicht, was er schon lange wollte. Eine Aktienmehrheit, die es ihm ermöglichte, seinen Vater auszubooten. Wie lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet.

Er unterdrückte ein Triumphgefühl. Noch war es zu früh. Wie hieß es doch? Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Obwohl die anderen Familienmitglieder fest zugesagt hatten, an ihn zu verkaufen, wollte er die Transaktion erst starten, wenn er auch mit Olivers Aktien rechnen konnte. Denn erst dann hatte er die erforderliche Mehrheit und konnte als der neue Besitzer von Sperling Inc. auftreten.

Da die ganze Familie mit Webb zerstritten war, bestand auch nicht die Gefahr, dass der Vater inzwischen etwas von den Machenschaften des Sohnes erfuhr. Das war Ryan sehr wichtig, denn er wollte Webb vor vollendete Tatsachen stellen.

„Alle wollen verkaufen, solange sie noch können“, fuhr Dan fort. „Du hast Glück, die meisten finden, dass Webb sich auf seinen Lorbeeren ausruht und zu wenig für die Firma tut.“

„Und damit haben sie vollkommen recht. Obwohl er die Lorbeeren noch nicht einmal selbst erworben hat, sondern von dem zehrt, was sein Bruder erwirtschaftet hat.“ Ryan durfte gar nicht daran denken, sonst stieg wieder die Wut in ihm hoch. „Seit er vor zehn Jahren die Führung des Unternehmens übernahm, lässt er die Dinge schleifen. Er ist viel zu nachlässig und hat wenig Disziplin.“

Als sein älterer Bruder plötzlich an einem Herzinfarkt starb, war Webb das Unternehmen sozusagen in den Schoß gefallen. Und es war ein offenes Geheimnis in der Branche, dass der Chef sich im Wesentlichen mit Frauen und auf dem Golfplatz vergnügte, während seine Angestellten die eigentliche Arbeit taten.

„Nun, dein letztes Angebot scheint Oliver jedenfalls endlich überzeugt zu haben.“

„Jeder ist käuflich“, meinte Ryan sarkastisch. „Der Kauf sollte jetzt so schnell wie möglich über die Bühne gehen. Ich möchte nicht, dass er die Gelegenheit hat, noch einmal seine Meinung zu ändern.“

„Sowie ich den Hörer aufgelegt habe, schicke ich die Unterlagen an seinen Anwalt“, versicherte Dan.

„Gut. Bis später.“ Ryan legte auf.

Von unten kam ein Geräusch und erinnerte ihn daran, dass er nicht allein im Haus war.

Mist.

Er fühlte sich wie in einer Falle gefangen. So etwas war er nicht gewohnt, und er hasste dieses Gefühl.

Plötzlich hörte er ein lautes Poltern und einen Schrei.

Was war denn das schon wieder?

Schimpfend ging Ryan zur Tür.

4. KAPITEL

An der Tür zu einem der Gästezimmer blieb Ryan stehen. Was für ein Anblick.

Kelly saß auf dem Fußboden, umgeben von Pappkartons, Gardinenstangen, Stoffballen und einer alten hölzernen Leiter.

Sie blickte zu ihm hoch, und er wusste nicht, ob er verärgert oder amüsiert sein sollte. Doch er ließ sich nichts anmerken. Frauen hatten ihn nie durchschauen können. Kelly wurde rot, was ihr ganz ausgezeichnet stand, wie er fand, vor allem, da sie nicht geschminkt war. Sie hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und trug Jeans und ein rosa T-Shirt, das so eng wie eine zweite Haut saß.

Er musste zugeben, dass sie sich in den letzten Jahren nicht sehr verändert hatte. Sie wirkte immer noch sehr jung und begeisterungsfähig und schien fest entschlossen zu sein, in ihrem Leben etwas zu erreichen. Als sie ihn jetzt aus ihren großen grünbraunen Augen ansah, musste er sich schnell daran erinnern, dass sie außerdem sehr genau wusste, wie sie Männer manipulieren konnte, genau wie ihre Mutter.

„Ich habe etwas krachen gehört“, sagte er. Das klang schroffer, als er beabsichtigt hatte. Aber sie brauchte nicht zu wissen, dass er Angst hatte, sie könne sich verletzt haben.

„Ich bin versehentlich gegen einen Karton gestoßen, der auf der Leiter stand. Tut mir leid, es wird nicht wieder vorkommen.“

„Du solltest aufpassen, dass nicht noch etwas Schlimmeres passiert.“ Ohne dass er es beabsichtigt hatte, klang sein Tonfall zweideutig. Aber das war auch kein Wunder. Sie war jetzt schon seit drei Tagen hier, und ihre Gegenwart war eine ständige Herausforderung an seine Disziplin. Denn immer, wenn er sie sah, hatte sie irgendetwas an, was erregend auf ihn wirkte. Und das rosa T-Shirt heute ließ ihre üppigen Brüste leider besonders deutlich hervortreten.

Um auf andere Gedanken zu kommen, blickte er sich in dem Raum um. „Hast du das alles selbst hierhergeschleppt?“ Das musste passiert sein, während er mit seinem Anwalt telefoniert hatte.

„Ja.“

„Willst du denn alles allein machen?“

„Warum nicht? Bisher sieht es wenigstens so aus, als könnte ich auch ohne Hilfe den Zeitplan einhalten. Aber das bedeutet, dass ich hierherkommen muss, wann immer ich den Laden verlassen kann.“

„Wer hält denn die Stellung, wenn du nicht da bist?“, fragte er.

„Erica, meine Angestellte. Am Freitag kam sie gerade in den Laden, als du gingst.“ Sie erhob sich langsam. „Nicht, dass dich das etwas anginge.“

„Nein, du hast recht. Es geht mich nichts an.“

Er sollte gehen, jetzt sofort. Hatte er sich bisher in seinem Leben nicht immer aus solchen verfänglichen Situationen herausgehalten?

„Ich will hier noch die Vorhänge aufhängen.“

Das war mehr als deutlich. Sie wollte, dass er endlich den Raum verließ.

„Du wirst dich wirklich sehr anstrengen müssen, wenn du das hier allein durchziehen willst und gleichzeitig deinen Laden geöffnet hast“, hörte er sich plötzlich sagen. Dabei sollte er es besser wissen. Er selbst hatte doch auf seinem Weg nach oben selten weniger als achtzehn Stunden am Tag gearbeitet.

„Ich schaffe das schon“, sagte sie, und wieder hörte es sich an, als wolle sie damit jede weitere Diskussion beenden.

„Ich könnte auch etwas machen.“

Sie sah ihn genauso schockiert an, wie er sich nach diesem auch für ihn vollkommen untypischen Angebot fühlte. Dann musterte sie ihn nachdenklich und fragte: „Willst du damit sagen, dass du bereit bist, mir zu helfen?“

Da er nicht wusste, weshalb er das eigentlich gesagt hatte, zuckte er nur mit den Schultern. „Warum nicht? Ich habe ja nichts weiter zu tun.“

„Aber ich dachte, du machst hier Urlaub?“

„Nicht nur. Ein bisschen was muss ich schon tun. Aber ich muss lediglich in der Nähe von Computer und Telefon bleiben.“ Bis ich Sperling Inc. ganz übernommen habe, fügte er in Gedanken hinzu. Für Dan musste er immer erreichbar sein. Außerdem ging es auch um seine eigene Firma, El Ray Technology. Er hatte zwar sehr fähige Mitarbeiter, aber in wichtigen Entscheidungen hatte er doch immer noch das letzte Wort.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn lächelnd an. „Also gut. Hast du schon einmal Vorhänge aufgehängt?“

„Ja, im Rahmen eines Sozialpraktikums während der Schulzeit habe ich mal geholfen, ein Zimmer einzurichten von Leuten, die sehr wenig Geld hatten. Die Schule damals legte sehr großen Wert auf diese Aktivitäten. Das sei charakterbildend, meinten sie.“

Ein bisschen mehr Charakterbildung hätte den Sperlings nicht geschadet, dachte Kelly nur. Aber immerhin hatte Ryan es ja bis nach Harvard geschafft. Die nahmen schließlich nicht gerade jeden. Sie ließ die Arme wieder sinken. „Warum willst du mir eigentlich helfen? Dadurch hilfst du indirekt meinem Unternehmen, und du hast ja bereits mehr als deutlich gemacht, was du davon hältst.“

Er lächelte leicht verkrampft. „Vielleicht hoffe ich, dich abzulenken und so davon abzubringen, mit Sperling Inc. Verträge zu machen. Ich kenne schließlich meinen Vater.“

„Ich finde es ziemlich unmöglich, dass du dich in diese Sache einmischst“, sagte sie verärgert. „Du bist doch auf Urlaub. Hast du da nichts Besseres zu tun?“

„Ich habe dir doch gesagt, es ist eher eine Art Arbeitsurlaub.“

„Aber warum ausgerechnet hier?“, fragte sie.

„Das ist eine lange Geschichte, die bis in meine Collegezeit zurückreicht. Was weißt du über die Lodge?“

„Ich weiß leider fast nichts darüber. Aber als die Lodge gebaut wurde, gab es viel Gerede hier unter den Einheimischen. Und seit März hat hier jeden Monat ein anderer Mann gewohnt.“

„Ja, ich weiß. Das waren Nathan Barrister, Luke Barton und Devlin Campbell. Wir waren alle zusammen in Harvard und waren eng befreundet. Und Hunter Palmer gehörte auch dazu.“

„Hunter Palmer, dessen Stiftung das Landhaus bauen ließ?“, fragte Kelly überrascht.

„Ja. Er ist tot.“ Ganz plötzlich überfiel Ryan ein Gefühl der Trauer und eine Sehnsucht nach der Zeit, in der das ganze Leben noch vor ihnen lag. Sie waren damals so jung gewesen, so voller Hoffnung und Neugier auf die Welt und auf das, was die Zukunft bringen würde. Und noch längst nicht so zynisch und abgebrüht wie heute.

„Wie schrecklich.“

Er blickte sie ausdruckslos an. „Er starb an einem Melanom. Auf seine Veranlassung wurde später dieses Landhaus gebaut. Denn wir hatten uns noch auf der Universität geschworen, uns in zehn Jahren wiederzutreffen. Jeder von uns sollte einen Monat hier verbringen, und danach wollten wir uns gemeinsam über unser Leben unterhalten und darüber, was vielleicht daran zu ändern wäre. Anschließend wird die Lodge zu einem Erholungsheim für Krebspatienten umgestaltet. So hat es Hunter vorgesehen.“

„Und ich wurde von der Hunter-Palmer-Stiftung engagiert, um die Zimmer einzurichten. So also schließt sich der Kreis.“ Sie nickte nachdenklich.

„Ja. Nur eins wurde dabei nicht bedacht. Dass das gerade in dem Monat geschieht, in dem ich hier sein muss.“ Er grinste leicht. Zum ersten Mal konnte er eine gewisse Komik in der ganzen Situation entdecken.

Kelly starrte verzückt auf Ryans Hintern, während er die Gardinenstange hochhielt. „So ungefähr?“

„Ja, ich glaube schon.“ Sie blickte schnell hoch. Ja, die Stange traf die Markierung an der Wand. Es wurde Zeit, dass sie sich weniger auf Ryans Jeans, die seine schmalen Hüften eng umschloss, und mehr auf das konzentrierte, weshalb sie da war. Und das hatte definitiv nichts mit dem Mann, der hier vor ihr stand, zu tun. Wieder blieb ihr Blick auf seinem muskulösen Rücken hängen, über den sich das grüne Hemd spannte.

Seine Gegenwart lenkte sie ab, und deshalb hatte sie nur zögernd zugestimmt, als er ihr angeboten hatte, ihr zu helfen. Außerdem verstand sie immer noch nicht, warum er dieses Angebot überhaupt gemacht hatte. Denn er hatte auch nicht zu erkennen gegeben, dass er über ihre Verhandlungen mit seinem Vater jetzt anders dachte. Sie konnte nur hoffen, dass man bei Sperling Inc. bald zu einer Entscheidung kam.

Ryan drehte sich um und sah sie an.

Schuldbewusst richtete sie den Blick wieder auf die Gardinenstange. „Hm … ja …“

Er hob fragend die Augenbrauen. „Wie soll ich das denn interpretieren?“

„Ja, sieht gut aus.“ Alles sieht gut aus, zu gut.

„Wunderbar.“ Mit der Gardinenstange in den Händen stieg er wieder die Trittleiter herunter. Er legte die Stange vorsichtig auf den Boden, richtete sich dann wieder auf und blickte sich um. „Da wir nun die Höhe festgelegt haben, brauche ich eine Bohrmaschine, um die Stange anzubringen.“

„Das kann ich auch allein.“

„Ich weiß, aber sei nett, und überlass das mir. Sonst langweile ich mich zu Tode.“

„Aber würdest du dich nicht langweilen, wenn ich immer nur nett zu dir wäre?“

Er blickte sie überrascht an. Seine Augen glitzerten übermütig. „Bei Frauen hängt das sehr davon ab, wo man sich gerade mit ihnen befindet. Aber da wir uns in einem Schlafzimmer befinden, nein, ich habe nichts dagegen, wenn Frauen nett zu mir sind.“

„Sexist!“

Er lachte. „Ich wusste, darauf musstest du reagieren.“

Kelly kribbelte die Haut, und die Knie wurden ihr weich. Vielleicht war es besser, sie gingen wieder zu einem unverfänglichen Thema über. Sie wies auf einen rosa Kasten, der auf dem Boden stand. „Da drin ist sie.“

Er ließ sich auf die Knie nieder und öffnete den Kasten. Dann sah er Kelly ungläubig an. „Das ist eine Bohrmaschine?“

„Selbstverständlich. Sie ist extra für Frauenhände gemacht. Ich verkaufe sie in meinem Laden.“

„Hm, dann will ich mal sehen, ob auch Männerhände etwas damit anfangen können.“ Aber er blieb skeptisch, das war ihm anzusehen.

„Warum sollte eine Frau immer ihren Mann oder Freund bitten müssen, wenn ein Loch gebohrt werden muss?“, schob sie nach, wurde aber knallrot, als ihr auffiel, wie er ihre Worte interpretierte.

Ryan konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, verzichtete aber großzügig auf einen Kommentar. „Ich bin sehr dafür, dass Frauen Selbstständigkeit und Macht erlangen“, meinte er stattdessen und griff nach der rosa Bohrmaschine.

„Dann wundert es mich aber, dass du meinem Laden und vor allem meinen Kreationen nicht den Erfolg gönnst, den sie haben könnten. Ich meine, wenn sie über Sperling Inc. vertrieben würden.“

Sein Lächeln verschwand. „Das sind private Gründe.“

„Warum machst du immer einen Unterschied zwischen dem, was ich tue, und dem, was du tust?“, bohrte sie nach. „Du bist Unternehmer, und ich bin es auch. Wir beide wollen Erfolg haben bei dem, was wir tun.“

„Ich versuche nicht, andere mit weiblichen Tricks für mich zu gewinnen.“

„Nein, du setzt sie lediglich ziemlich unter Druck mit Geld und Macht“, gab sie scharf zurück. „Findest du das anständiger?“

Autor

Sherryl Woods
Über 110 Romane wurden seit 1982 von Sherryl Woods veröffentlicht. Ihre ersten Liebesromane kamen unter den Pseudonymen Alexandra Kirk und Suzanne Sherrill auf den Markt, erst seit 1985 schreibt sie unter ihrem richtigen Namen Sherryl Woods. Neben Liebesromanen gibt es auch zwei Krimiserien über die fiktiven Personen Molly DeWitt sowie...
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Cathleen Galitz
<p>Cathleen Galitz hat als Autorin schon viele Preise gewonnen und unterrichtet an einer kleinen Schule im ländlichen Wyoming Englisch. Ihr Ehemann und sie haben zwei Söhne, die ihre Eltern mit ihren vielen unterschiedlichen Aktivitäten ganz schön auf Trab und damit auch jung halten. Cathleen liest sehr gerne, geht oft Golf...
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