Baccara Exklusiv Band 169

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  • Erscheinungstag 29.06.2018
  • Bandnummer 0169
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725099
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maureen Child, Jennifer Lewis, Day Leclaire

BACCARA EXKLUSIV BAND 169

1. KAPITEL

„Da bin ich doch glatt versetzt worden.“ Jackson King klappte sein Handy zu. Verärgert setzte er sein leeres Glas auf dem blank polierten Tresen ab und gab dem Barkeeper Eddie ein Zeichen zum Nachschenken. Eddie, ein älterer Mann mit wissenden Augen, lächelte.

„Eine Lady lässt Sie sitzen, Mr. King?“, fragte er. „Davon höre ich zum ersten Mal. Sie verlieren doch nicht etwa langsam Ihre magische Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht?“

Jackson lachte verächtlich und lehnte sich in dem dunkelroten Barsessel zurück. Indem er ihn etwas drehte, sah er sich in der nur schwach beleuchteten Bar um. Das Hotel Franklin, das einzige Fünf-Sterne-Hotel zwischen dem kleinen Örtchen Birkfield und Sacramento, besaß eine der besten Bars im gesamten Bundesstaat.

Es lag außerdem angenehm nahe beim Flugplatz der King-Familie, wo Jackson sich die meiste Zeit aufhielt. Hier war permanent eine Suite für ihn reserviert, denn nicht selten kam es vor, dass er abends zu müde war, um noch nach Hause zu fahren. Die elegante Bar war für ihn so etwas wie ein Außenbüro.

„Nichts da“, erklärte Jackson. „Es war keine Lady, die mich versetzt hat. Das werden Sie auch niemals erleben, Eddie. Mein Cousin Nathan kann nicht kommen. Sein Assistent war mit dem Auto unterwegs zu seinem Haus in den Bergen und hatte eine Panne, sodass Nathan ihm helfen musste.“

„Ach so.“ Der Barkeeper nickte befriedigt. „Ein Glück, dass Ihre Anziehungskraft nicht nachlässt. Das hätte ich als Anzeichen für den nahen Weltuntergang gedeutet.“

Jackson lächelte etwas schief. Oh ja, bei Frauen hatte er in der Tat Erfolg. Jedenfalls war es bisher so gewesen. Doch mit seiner wilden Zeit sollte es jetzt bald vorbei sein. Der Gedankte behagte ihm überhaupt nicht.

„Stimmt was nicht?“, erkundigte sich der Barkeeper.

Jackson sah ihn kalt an. „Ich will nicht darüber reden.“

„Schon in Ordnung. Der Drink kommt sofort.“

Während er wartete, ließ Jackson seinen Blick erneut durch die elegant eingerichtete Bar schweifen. Die indirekte Beleuchtung wurde von den hölzernen Wänden und dem Marmorfußboden reflektiert. Der Tresen aus Mahagoni war kunstvoll geschwungen. Die bequemen Barsessel mit ihren ausladenden Rückenlehnen luden zum Verweilen ein. Im Raum waren kleine runde Tische verteilt, jeder mit einem Kerzenleuchter geschmückt, die gemütliche Stimmung verbreiteten. Aus den Lautsprechern drang leise, unaufdringliche Jazzmusik.

In dieser Bar konnten Männer ausspannen und alleinstehende Damen ihren Drink genießen, ohne belästigt zu werden. Zurzeit war die Bar noch fast leer. An den Tischen saßen nur zwei Paare. Und am anderen Ende des Tresens saß eine Frau, allein, genau wie Jackson. Er musterte die blonde Fremde und lächelte unwillkürlich. Nach einem langen, vielsagenden Blick wandte sie sich wieder ihrem Martini zu.

„Sieht nicht übel aus“, murmelte Eddie, während er das Glas mit irischem Whiskey füllte, Jacksons Lieblingsgetränk.

„Was?“

„Na, die Blondine.“ Der Barkeeper riskierte selbst einen Blick. „Ich habe doch bemerkt, dass sie Ihnen aufgefallen ist. Sie sitzt schon eine Stunde vor demselben Drink. Scheint auf jemanden zu warten.“

„Ach ja?“ Jackson schaute noch einmal genauer hin. Selbst auf die Entfernung hatte diese Frau etwas an sich, das sein Blut in Wallung versetzte. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass Nathan nicht kommen konnte …

„Kann mir gar nicht vorstellen, dass jemand so eine Frau warten lässt“, kommentierte Eddie. Dann wurde er zu einem der Tische gerufen.

Das konnte sich Jackson auch nicht vorstellen. Sicher zog die Blondine Männer an wie ein Magnet. Er beobachtete, wie ihre schlanken, eleganten Finger langsam den Stiel des Martiniglases auf und ab fuhren. Unwillkürlich stellte er sich dabei vor, sie strichen über seine Haut …

Als die Frau aufblickte, trafen sich ihre Blicke. Er saß zu weit entfernt, aber er hatte das Gefühl, dass etwas Wissendes in ihren Augen lag. Sie hatte eindeutig bemerkt, dass er sie beobachtete. Dieses sinnliche Streicheln des Glases – das hatte sie garantiert absichtlich gemacht, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Glückwunsch, schöne Lady, das hat bestens funktioniert.

Jackson schnappte sich seinen Drink und ging lässig den Tresen entlang. Dabei ließ er die Frau keinen Moment aus den Augen. Je näher er ihr kam, desto schöner und makelloser erschien sie ihm.

Als sie ihn anlächelte, schien Begehren in ihm hochzukochen. So etwas hatte er nicht mehr empfunden seit … Quatsch, noch nie hatte er so etwas empfunden. Urplötzlich war er entflammt. Er war der Frau immer noch nicht sehr nahe, und dennoch war er bereits von ihr überwältigt. Was sich daraus wohl entwickeln würde? Nur noch ein paar Schritte.

Als er weiter auf sie zukam, drehte sie ihren Barsessel in seine Richtung. Jackson nutzte die Gelegenheit, sie in Gänze zu mustern. Sie war nicht besonders groß, vielleicht einen Meter fünfundsechzig, aber sie trug hochhackige Sandaletten, die ihr ein paar zusätzliche Zentimeter verliehen. Ihr blondes Haar war kurz geschnitten, und sie trug kleine goldene Ohrringe. Der V-Ausschnitt ihres langärmligen saphirblauen Kleids verriet, dass ihre Brüste genau die richtige Größe hatten.

Aus großen blauen Augen musterte sie ihn, bevor sie ihn einladend anlächelte.

„Ist dieser Platz besetzt?“

„Sobald Sie sich hingesetzt haben, ja.“ Ihre Stimme war wie ein Raunen, das lange erotische Nächte verhieß.

Er rückte seine dunkelrote Krawatte zurecht, setzte sich neben sie und sagte: „Ich bin Jackson, und Sie sind wunderschön.“

Sie lachte kopfschüttelnd. „Haben Sie mit diesem Anmachspruch normalerweise Erfolg?“

Er nickte. „Nicht immer, aber immer öfter. Wie sieht’s heute damit aus?“

„Ich verrate es Ihnen, wenn Sie mir einen Drink ausgeben.“

Na, aber gerne! Er würde sich noch bei Nathan bedanken müssen, dass der ihn versetzt hatte. Schnell gab Jackson dem Barkeeper ein Zeichen, dann wandte er sich wieder der Frau zu. Von Nahem betrachtet, wirkten ihre Augen so strahlend blau wie ihr Kleid. Ihre vollen Lippen schienen ihn geradezu einzuladen, sich einfach zu nehmen, wonach es ihn verlangte.

Aber er konnte warten. Das machte die ganze Geschichte nur noch reizvoller.

„Verraten Sie mir auch Ihren Namen?“

„Casey. Sie können mich Casey nennen.“

„Schöner Name.“

„Nicht unbedingt“, gab sie schulterzuckend zurück. „Mein vollständiger Name ist Cassiopeia.“

Jackson musste grinsen. „Na, das ist ja noch schöner.“

Sie lächelte, und Jackson fühlte, wie sein Blut zu kochen begann. Dieses Lächeln konnte einen Mann umhauen, einfach so.

„Ist es nicht. Jedenfalls nicht, wenn man zehn Jahre alt ist und die Freundinnen Tiffany oder Amber heißen.“

„Deshalb haben Sie sich für die Kurzform entschieden.“

Eddie brachte ihr den Cocktail, sie bedankte sich kurz und wandte sich dann wieder Jackson zu. „Genau“, sagte sie. „Den kurzen Namen habe ich übrigens meinem Vater zu verdanken. Meine Mutter hat die alten Griechen und ihre Mythen geliebt, daher der Name Cassiopeia. Mein Vater stand mehr auf Baseball – so kam er auf Casey.“

Jackson begriff sofort und musste lachen. „Casey Stengel, nicht wahr? Der legendäre Casey Stengel …“

Sie war überrascht. „Oh, Sie kennen den Namen? Den meisten in unserem Alter sagt er nichts mehr …“

Die Unterhaltung machte Jackson jetzt richtig Spaß. Es war nicht nur ihre unbestreitbare sexuelle Anziehungskraft – es war einfach angenehm, mit dieser Frau zu plaudern. So etwas hatte er lange nicht mehr erlebt. „Ich bitte Sie! Sie reden mit einem Mann, der einen Schrank voll alter Baseball-Sammelbilder besitzt. Die sind heute schon ganz schön was wert.“

Sie ergriff ihren Drink, umschloss den Strohhalm mit ihren vollen Lippen und sog an dem Getränk. Augenblicklich spürte Jackson, dass ihm die Hose zu eng wurde. Sein Mund war trocken, der Herzschlag pochte ihm in den Ohren. Ihm war nicht klar, ob sie es bewusst darauf anlegte, ihn heiß zu machen, oder nicht. Aber so oder so – das Ergebnis war das gleiche.

Sie legte die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß. Während sie den Drink in der einen Hand hielt, strich sie mit der anderen sinnlich den Stiel des Glases entlang, wie vorhin.

In diesem Moment wusste er, dass sie es absichtlich tat, dass sie darauf aus war, ihn anzumachen. Denn sie fixierte ihn mit ihren dunkelblauen Augen, als ob sie seine Reaktion einschätzen wollte. Nun ja, diese Spielchen kannte er seit Jahren, darin war er Meister. Sie würde nur das zu sehen bekommen, war er sie sehen lassen wollte.

Sie stellte das Glas ab und leckte sich die Lippen, als wolle sie auch den letzten Tropfen des Drinks genießen. Jackson folgte mit den Augen der Bewegung ihrer Zunge und wurde noch erregter. Sie hatte das wirklich verdammt gut drauf!

„Also, Casey“, fragte er beiläufig, „was haben Sie heute Abend noch vor?“

„Bisher noch gar nichts“, gab sie zurück. „Und Sie?“

Sein Blick wanderte von ihrem Gesicht zu ihren Brüsten und dann wieder zurück. „Oh, bis vor ein paar Minuten ebenfalls nichts. Aber inzwischen fällt mir da so einiges ein.“

Sie kaute auf ihrer Unterlippe, als ob sie sich plötzlich nervös fühlte, aber das nahm er ihr nicht eine Sekunde ab. Dafür war sie viel zu selbstsicher, dafür spielte sie das Spielchen zu routiniert. Eindeutig, sie wollte ihn verführen – und sie machte es außerordentlich gut.

Eigentlich ergriff Jackson lieber selbst die Initiative. Aber warum sollte er heute nicht mal eine Ausnahme machen? Denn es stand ja sowieso schon fest – er wollte sie, er wollte sie unbedingt. „Ich schlage vor, ich lade Sie im Hotelrestaurant zum Abendessen ein. Dann können wir uns näher kennenlernen.“

Sie lächelte – aber nur halbherzig. Dann sah sie sich um, wie um sicherzugehen, dass sie hier am Ende des Tresens wirklich allein waren, blickte ihm wieder in die Augen und sagte: „Ehrlich gesagt, ist mir nicht so nach Abendessen.“

„Nein?“ Interessiert erkundigte er sich: „Wonach ist Ihnen denn?“

„Eigentlich wollte ich Sie küssen, seit ich Sie zum ersten Mal gesehen habe.“

Gut. Sie war sehr offen in diesen Dingen. „Ich war schon immer der Meinung, man sollte immer das tun, wonach einem der Sinn steht“, erklärte er.

„Das kann ich mir vorstellen“, murmelte sie.

Sie klang atemlos. Die Spannung in der Luft war fast mit Händen zu greifen. Jackson hatte nur noch eines im Sinn: sie zu küssen. Abendessen war jetzt völlig unwichtig. Er wollte nur einen Geschmack in seinem Mund – ihren.

Nathan hatte etwas gut bei ihm.

„Die Frage ist nur“, fuhr Jackson langsam fort und ließ sie dabei nicht aus den Augen, „ob Sie der gleichen Meinung sind.“

„Das lässt sich leicht herausfinden.“ Sie beugte sich etwas vor, und er kam ihr entgegen. Er wollte sie fühlen, schmecken. Sie hatte nur ein paar Minuten gebraucht, um ein Begehren in ihm zu entfachen, wie er es noch nie erlebt hatte.

Ihre Lippen trafen sich, und es war, als ob in diesem Augenblick Starkstrom zwischen ihnen flösse. Anders konnte er es nicht beschreiben. Jackson spürte die Hitze, die Hochspannung, und gab sich ganz diesen nie gekannten Gefühlen hin. Im Halbdunkeln presste er den Mund auf ihren, und sein Blut kochte.

Ihr Duft und ihr Parfüm – Lavendel – vernebelten ihm geradezu den Verstand. Wie wunderbar war es, ihre Lippen zu spüren! Er hätte diesen Kuss ewig genießen können, doch sein Instinkt sagte ihm, dass er sich nun wieder zurückziehen musste. Nur nicht zu schnell zu weit gehen! Dies war etwas, das er langsam angehen wollte, das er genießen, ja zelebrieren wollte. Und dafür war ein dunkles Eckchen in einer Luxusbar nicht der richtige Ort. Er musste mit ihr eine privatere Umgebung suchen.

Aber als er seine Lippen von den ihren lösen wollte, nahm sie die Hände, vergrub ihre Finger in seinem Haar und hielt ihn fest. Sie öffnete einladend den Mund – und zog dabei plötzlich kräftig an seinen Haaren.

„Autsch!“ Er wich zurück und lachte.

Sie errötete, biss sich auf die Lippen und ließ seine Haare los. „Tut mir leid“, sagte sie leise. „Irgendwie machen Sie mich ganz schön wild.“

Ihm erging es nicht anders. Das Abendessen, „sich näher kennenlernen“ – alles Quatsch. Er wollte nur noch eines: sie unter sich spüren. Und über sich. Noch nie hatte er eine Frau so sehr begehrt wie diese. Und er war kein Mann der Zurückhaltung – was er begehrte, wollte er auch haben.

„Wild ist gut“, bemerkte er und legte ihr eine Hand aufs Knie. Mit den Fingerspitzen tastete er sich unter den Saum ihres Kleides vor, um ihre bloße Haut zu spüren. „Wie wild darf’s denn sein?“

Sie atmete tief durch, nahm ihre Handtasche vom Tresen und fuhr mit der Hand hinein, als suche sie nach etwas. Dann schloss sie die Tasche wieder, sah ihn an und sagte: „Ich … ich glaube, das war ein Fehler.“

„Das glaube ich kaum“, erwiderte er und triumphierte innerlich, als sie wegen der Berührung seiner vorwitzigen Finger auf ihrem Schenkel zusammenzuckte. „Ich habe das Gefühl, Sie sind heute Abend ganz schön wild drauf. Also, ich bin’s auf jeden Fall.“

„Jackson …“

„Küss mich noch mal.“

„Doch nicht vor allen Leuten“, wich sie aus.

„Das hat dich doch eben auch nicht gestört.“

„Jetzt aber schon“, gab sie zurück.

„Einfach nicht drauf achten“, entgegnete er. Normalerweise war er selbst nicht scharf auf Publikum, aber in diesem Moment waren ihm die paar Leute in der Bar völlig egal. Er wollte ihr keine Gelegenheit geben, wieder zu Verstand zu kommen. Stattdessen wollte er sie wieder küssen, damit das Feuer zwischen ihnen weiterlodern konnte. Außerdem war die Beleuchtung so dezent und die anderen Leute saßen so weit von ihnen entfernt, dass sie ja gewissermaßen allein waren. Für den Augenblick reichte ihm das völlig.

Sie sah ihn an, und als er ihren Blick erwiderte, merkte er, dass sie unentschlossen war, zögerte. Immerhin war das keine völlige Ablehnung. Er beugte sich zu ihr. Seine Hand ruhte immer noch auf ihrem Schenkel. Langsam ließ er die Finger höher wandern und ergriff wieder von ihrem Mund Besitz.

Als seine Lippen ihren Mund berührten, holte sie tief Luft, und schon Sekunden später war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei. Genau wie er es erhofft hatte! Seine Zunge vollführte erregend wilde Tänze mit ihrer. Als er seine Hand höher gleiten ließ, erzitterte sie unter seiner Berührung und seufzte.

Er löste sich von ihr und flüsterte: „Lass uns von hier verschwinden.“

„Ich … ich kann nicht.“

„Doch, wir können“, sagte er und ließ seine Finger höher und höher wandern. An ihren Bewegungen spürte er, dass sie genauso erregt war wie er. „Ich habe eine Suite hier im Hotel.“

„Oh …“ Sie atmete tief durch und schüttelte den Kopf. „Das … das wäre keine gute Idee, glaube ich.“

„Glaub mir, das ist die beste Idee, die ich je hatte.“ Jackson griff nach seiner Brieftasche, warf einen Schein auf den Tresen und ergriff ihre Hand. „Komm einfach mit.“

Sie blickte ihn an, und selbst im Halbdunkeln sah Jackson den Schimmer eines überwältigenden Begehrens in ihren Augen. Nein, sie würde ihn nicht abweisen. Und schon Sekunden später zeigte sich, dass er recht gehabt hatte.

Sie stand auf, ergriff ihre Handtasche und folgte ihm durch die Bar. Mit großen Schritten eilte er in Richtung Lift, bevor sie ihre Meinung doch noch änderte. Sie hielt mit seiner Geschwindigkeit mit, und das Klacken ihrer hohen Absätze auf dem Marmorboden klang wie lautes Herzklopfen.

Jackson verlor keine Zeit. Als die Fahrstuhltüren sich öffneten, zog er Casey hinein. Noch bevor die Türen sich schlossen, drängte er sie gegen die Wand der Kabine und küsste Casey. Seine Zunge drängte sich in ihren Mund und spielte mit ihrer. Als Casey ihn umarmte, wusste er, dass er gewonnen hatte. Ganz fest hielt sie ihn und presste sich leidenschaftlich an ihn.

Während er mit den Liebkosungen seiner Zunge fortfuhr, erforschte er gleichzeitig mit der Hand Caseys Körper, bis er eine ihrer Brüste umfasste. Selbst durch den Kleiderstoff fühlte er, wie fest und erregt die Spitze war. Er berührte sie sanft mit seinen Fingern und hörte, wie Casey aufstöhnte – was wiederum seine Erregung weiter steigerte.

Im obersten Stockwerk öffneten sich die Fahrstuhltüren. Nur widerwillig löste sich Jackson von seiner wunderschönen Eroberung. Ihr Haar war zerwühlt, ihr Mund schon angeschwollen von seinen heftigen Küssen. Oh, wie sehr er sie begehrte!

Schnell gingen sie den Flur entlang. Dann schloss er seine Suite auf, zog Casey hinein und warf die Tür zu. Schon lag Casey wieder in seinen Armen.

Ohne Zögern, ohne jedes Gefühl der Fremdheit fanden sie zueinander. Es gab keine Spielchen, nur Verlangen. Keine Schüchternheit, nur Leidenschaft. Kein Nachdenken, kein Zweifeln, nur wilde, ungezügelte Lust, die die Atmosphäre erfüllte.

Jackson zog ihren Reißverschluss auf, streifte ihr das Kleid von den Schultern und über die Arme hinunter. Er dankte den Göttern, die dafür zuständig sein mochten, dass sie keinen BH trug. Ihre Brüste waren prachtvoll, hatten genau die richtige Größe und sahen so einladend aus, dass er keinen Moment zögerte.

Er nahm sie in die Hände, streichelte spielerisch die Spitzen und lauschte Caseys lustvollem Stöhnen, als sei es die schönste Musik, die je komponiert worden war. Langsam senkte er den Kopf, nahm erst die eine aufgerichtete Brustwarze zärtlich in den Mund, dann die andere. Doch gleichzeitig wusste er schon, dass er mehr brauchte.

Sie hatte seine Schultern gepackt und klammerte sich förmlich an ihn, während sie sich seinen Liebkosungen entgegenbog.

„Mehr“, murmelte er und umkreiste mit der Zunge ihre Knospe. „Ich will mehr … ich will alles.“

Schnell zog er ihr das Kleid ganz vom Leib und ließ es zu Boden fallen. Casey ergriff sein Jackett und streifte es ab, dann lockerte sie seine Krawatte und machte sich an seinen Hemdknöpfen zu schaffen. Währenddessen ließ er die Hände über ihren wunderbaren Körper gleiten, über ihre nackte Haut, wieder und wieder, als wollte er sich jede Kurve, jede Rundung ganz genau einprägen.

Als er endlich Caseys Hände auf seinem nackten Brustkorb spürte, schien sich die Hitze ihrer Leidenschaft endgültig auf ihn zu übertragen. Schnell schlüpfte er aus seiner restlichen Kleidung, hob Casey auf den Arm und trug sie zur Wohnzimmercouch hinüber. Keine Sekunde wollte er mehr warten! Er wollte sie besitzen, wollte in ihr sein. Wollte spüren, wie es sich anfühlte, von ihr feuchtheiß umschlossen zu werden.

„Jetzt“, flüsterte sie, als er sie auf die breite, bequeme Couch legte. Sie spreizte ihre Schenkel für ihn, streckte die Arme nach ihm aus, und in ihren blauen Augen brannte ein loderndes Feuer. „Jetzt, Jackson. Ich will …“

„Ich auch“, sagte er. Er hatte keine Scheu zuzugeben, dass er sie ebenso stark begehrte. Keine Spielchen, keine Geheimnisse. Sie durfte, sie sollte es wissen, dass er sich nach diesem Moment verzehrt hatte, seit sie ihn aus der Ferne angelächelt hatte.

Dann waren keine Worte mehr nötig, nun sprachen nur noch ihre Körper. Mit einer einzigen Bewegung drang er in sie ein. Sie stöhnte auf, bog sich ihm entgegen, verlangte wortlos: Tiefer, fester, schneller!

Und er gehorchte.

Jede ihrer Bewegungen heizte sein Begehren weiter an. Jedes Zucken ließ das Feuer heißer auflodern. Jede Berührung, jedes Gleiten von Haut an Haut, jedes Stöhnen und Seufzen und Keuchen trug Jackson in Höhen hinauf, die er noch nie erlebt hatte. Und dennoch wollte er mehr, immer mehr.

Er blickte ihr in die Augen, als er spürte, dass sie sich dem Höhepunkt näherte. Fasziniert sah er zu, wie sich der Moment höchsten Glücks in ihren Gesichtszügen widerspiegelte. Er hörte ihr Stöhnen und fühlte, wie ein Beben ihren Körper durchlief. Fest umschloss sie mit den Beinen seine Hüften, hielt ihn fest, bog sich ihm entgegen und schrie seinen Namen hinaus.

Jetzt gab es auch für Jackson kein Halten mehr. Wie von Sinnen vor Lust erreichte er den Gipfel und ließ sich ins süße Nichts fallen.

Mitten in der Nacht erwachte Casey. Sie fühlte sich wie gerädert – und trotzdem, das musste sie sich eingestehen, gleichzeitig fabelhaft. Es war schon sehr, sehr lange her, dass sie Sex gehabt hatte. Sie hatte schon fast vergessen, wie gut man sich dabei fühlte.

Aber im nächsten Moment setzten die Schuldgefühle ein.

Sie war doch keine Frau für eine Nacht, für einen One-Night-Stand! So etwas hatte sie noch nie getan, kein einziges Mal. Und jetzt musste sie damit klarkommen, dass es geschehen war.

Der Mond schien ins Hotelzimmer, durch eine Glastür, die – vermutlich – auf einen Balkon hinausführte. Vermutlich, denn sie hatte ja noch keine Gelegenheit gehabt, sich die Suite näher anzusehen. Erst hatte sie die Couch kennengelernt, dann das Bett – und das war alles.

Himmel, Casey, was hast du nur getan?

Sie drehte den Kopf und schaute zu dem Mann, der neben ihr schlief. Er lag auf dem Bauch; die Bettdecke bedeckte ihn gerade bis zu den Hüften. Ein Arm war in ihre Richtung ausgestreckt, und Casey hätte Jackson beinahe das dunkle Haar aus der Stirn gestrichen, aber sie widerstand dem Impuls. Schlafend sah Jackson weniger gefährlich aus – aber immer noch wie unverwundbar.

Eine gewisse Härte und Kraft umgab ihn wie eine Aura, selbst wenn er schlief. Dieser Mann war wie eine Naturgewalt. Sie konnte es bezeugen, nackt und völlig erschöpft, wie sie dalag.

Sie hatte ja gar nicht vorgehabt, Sex mit ihm zu haben.

Na ja, man konnte es auch kaum einfach Sex nennen, was sie miteinander erlebt hatten. Sex, das war ein biologischer Vorgang. So hatte sie es bis zu dieser Nacht jedenfalls immer empfunden. Aber das, was zwischen Jackson und ihr gewesen war – das war weit, weit mehr als alles, was sie jemals zuvor erlebt hatte. Noch jetzt, Stunden nach der letzten Berührung, vibrierte ihr Körper förmlich.

Und das war schlecht.

Denn sie war nicht auf der Suche nach einer Beziehung. In die Bar war sie aus anderen Gründen gegangen. Wie sie dann auf einmal hier in Jacksons Bett gelandet war, war ihr immer noch ein Rätsel.

Nur eines war ihr klar: dass es höchste Zeit war zu verschwinden. Am besten jetzt gleich, bevor er wach wurde und vielleicht versuchte, sie daran zu hindern. Heimlich, still und leise schlüpfte sie aus dem Bett. Die Luft im Zimmer streichelte kühl ihre nackte Haut.

Sanft schien das Mondlicht auf das Bett und verlieh Jacksons breitem, sonnengebräuntem Rücken einen silbrigen Glanz. Als er sich im Schlaf drehte, verrutschte die Bettdecke und gab den Blick auf die weniger gebräunte Haut unterhalb seiner Taille frei. Casey atmete tief durch und zwang sich wegzuschauen. Nur nicht riskieren, dass sie noch zum Bleiben verführt wurde! Sie war ohnehin schon viel zu weit gegangen, hatte es zugelassen, dass ihre Hormone und ihre Lust jegliche Vernunft beiseitegefegt hatten.

Auf Zehenspitzen schlich sie durch das nur vom Mond schwach beschienene Schlafzimmer wie ein nackter Einbrecher, um im Wohnzimmer der luxuriösen Suite nach ihren Kleidern zu suchen. Es war mühselig und dauerte länger als geplant, aber sie wagte nicht, das Licht anzuschalten. Jackson sollte auf keinen Fall aufwachen, sollte nicht die Möglichkeit bekommen, sie wieder in seine Arme zu locken. In sein Bett.

„Casey, du bist so was von dumm“, murmelte sie leise vor sich hin. Sie konnte immer noch nicht fassen, dass sie sich in eine derartige Situation gebracht hatte. Normalerweise war sie viel vorsichtiger, um nicht zu sagen: zugeknöpft.

Da lag ihr Kleid. Sie hob es auf, schlüpfte hinein und zog mit Mühe den Reißverschluss am Rücken zu. Sollten diese Dinger nicht lieber an der Seite angebracht sein? Endlich war sie wieder angezogen – von ihrem Slip abgesehen, der einfach nirgends zu entdecken war. Nur noch die Handtasche. Schließlich fand sie sie – halb unter der Couch versteckt, wo Jackson und sie zuerst zueinandergefunden hatten. Beschämt wandte sie den Blick von dem Möbelstück ab, schnappte sich die Handtasche und ging zur Eingangstür.

Vorsichtig drehte sie den Türknauf und öffnete die Tür ein Stück weit. Das Licht vom Flur drang durch den Spalt herein. Bevor sie hinaustrat, wandte Casey sich noch einmal für einen letzten Blick um. In so einer eleganten Hotelsuite war sie in ihrem Leben noch nicht gewesen. Sie war auch noch nie mit einem Mann wie Jackson zusammen gewesen. Ja, diese Suite, dieser Mann hatten nichts, aber auch gar nichts mit ihrem wirklichen Leben zu tun. Plötzlich fühlte sie sich wie Cinderella, das Aschenputtel, nachdem der prachtvolle Ball vorüber war. Der Zauber war verflogen.

Sie trat auf den Flur hinaus, schloss vorsichtig die Tür hinter sich und ging schnellen Schrittes zum Fahrstuhl.

Es war Zeit, in die Wirklichkeit zurückzukehren.

2. KAPITEL

„Ihr Name ist Casey. Sie ist, na, so um die eins fünfundsechzig groß und hat blonde Haare und blaue Augen.“

„Mit dieser Beschreibung hätten wir es ja gut eingegrenzt“, meinte Jacksons Assistentin Anna Coric trocken. „Blaue Augen. Die Frau müsste doch zu finden sein.“

„Sehr witzig“, gab Jackson zurück, aber er lachte nicht. Er war allein im Hotelzimmer aufgewacht, und wenn da nicht dieser Lavendelduft in der Luft gehangen hätte, wenn er nicht im Wohnzimmer einen weißen, spitzenbesetzten Slip gefunden hätte – dann hätte er glatt meinen können, die Nacht mit der geheimnisvollen Unbekannten wäre nur ein Traum gewesen.

Warum nur war sie einfach so verschwunden?

Anna war eine Frau mittleren Alters und Mutter von vier Kindern. Seit vielen Jahren schon arbeitete sie für Jackson auf dem Flughafen der King-Familie. Sie kümmerte sich um den Papierkram und stellte sicher, dass Jackson und seine Piloten stets ihre Zeitpläne einhielten. Im Stillen hatte Jackson schon oft gedacht, dass das Militär gut beraten wäre, nur Mütter zu Generälen zu machen, denn dann würde alles wie am Schnürchen laufen. Anna jedenfalls sorgte perfekt dafür, dass in seinem Berufsleben alles glatt ging.

Nur schade, dass sie nicht dasselbe für sein Privatleben tun konnte.

Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er schnippte mit den Fingern und sagte: „Da war ja noch was. Sie hat gesagt, ihr voller Name wäre Cassiopeia. Das wird Ihnen doch bestimmt weiterhelfen.“

Anna stand am Aktenschrank und sortierte Papiere ein: Flugpläne, Treibstoffabrechnungen. Sie hielt in ihrer Arbeit inne, wandte sich Jackson zu und bemerkte: „Chef, ich weiß, dass Sie glauben, ich könnte Wunder vollbringen, und das schmeichelt mir durchaus. Aber bei aller Liebe – ein bisschen mehr als ihren Vornamen und ihre Augenfarbe bräuchte ich schon, um sie zu finden.“

„Hm, stimmt schon.“

„Und mal ganz davon abgesehen“, fügte sie hinzu, „brauchen Sie denn wirklich noch eine weitere Frau in Ihrem Leben?“

Er wusste genau, wie sie es meinte, trotzdem witzelte er: „Hast ja recht, Anna, du Liebe meines Lebens. Wer dich hat, braucht keine andere.“

Sie lachte, genau, wie er es vorausgesehen hatte. „Jackson, Sie alter Schmeichler. Sie können mit Frauen umgehen, das muss man Ihnen lassen.“

Außerdem hatte er geschickt das Thema gewechselt. Er hatte nämlich keine Lust, sich von Anna in diesem Moment an einige unangenehme Dinge erinnern zu lassen.

Jackson verließ seine treue Helferin und ging in sein Büro. Neben dem Flugplatz standen der Kontrolltower und das Hauptgebäude, in dem sich ein großer Aufenthaltsraum für die wohlhabenden Fluggäste befand. Der Raum war luxuriös mit bequemen Sofas und Sesseln, einem Plasmafernseher, einer Bar und einigen Tischen ausgestattet. Oberhalb dieses Aufenthaltsraums befanden sich die Büros. Eines für Jackson, eines für Anna und ein weiteres Zimmer, das vorwiegend zu Lagerzwecken genutzt wurde.

Von seinem Büro aus konnte Jackson den gesamten Flugplatz überblicken. Die Wände bestanden aus getöntem Glas, das zwar das Licht hereinließ, aber die Blendung auf ein Minimum beschränkte. Ein weiterer Vorteil der Glaswände war, dass Jackson sich durch den Ausblick weniger eingesperrt fühlte. Er saß nämlich ohnehin nicht gerne in seinem Büro.

Viel lieber flog er durch die Weltgeschichte. Die luxuriöse Jetflotte gehörte ihm, und natürlich hatte er eine Mannschaft von erstklassig ausgebildeten Piloten, sodass er eigentlich nicht selbst fliegen musste – aber das war der Teil des Geschäfts, der ihm am meisten Spaß machte. Die Freiheit. Das hätte er für nichts in der Welt aufgegeben. Der ganze Papierkram war eine lästige Pflicht, aber fliegen, das war das Höchste. Obendrein konnte er sich rühmen, besser als die meisten hauptberuflichen Piloten zu sein.

Heute allerdings war Papierkram angesagt – eigentlich. Er setzte sich an den Schreibtisch und sah absichtlich nicht hinaus. „Casey“, brummelte er vor sich hin. „Casey … und weiter? Warum hast du Idiot sie nicht nach ihrem Nachnamen gefragt?“

Er lehnte sich in seinem Ledersessel zurück und starrte auf das Telefon. Warum beschäftigte ihn die ganze Geschichte eigentlich so? Ein One-Night-Stand war für ihn eigentlich nichts Ungewöhnliches. Eines war allerdings diesmal anders gelaufen als sonst: Normalerweise war er es, der sich nachts heimlich, still und leise fortschlich. Dass sich diesmal die Frau davongemacht hatte, verstörte ihn. Und nun war er es gewesen, der morgens alleine aufwachte und sich fragte, was zum Teufel eigentlich geschehen war.

Das gefiel ihm ganz und gar nicht.

Plötzlich klingelte das Telefon. Er griff zum Hörer; mehr, weil das lästige Geräusch ihn störte, weniger, weil er Lust zum Reden hatte. „Ja, was gibt’s denn?“

„Oha. Da hat aber jemand ganz prachtvolle Laune am frühen Morgen.“

Es war die Stimme seines Bruders. „Ach, Travis. Was ist los?“

„Ich wollte nur nachfragen, ob es bei unserem Termin bleibt. Du weißt schon, das gemeinsame Abendessen am Wochenende. Julie hat ihre Mutter als Babysitter angeheuert.“

Trotz seiner schlechten Laune musste Jackson lächeln. In den vergangenen Jahren war er gleich zweimal Onkel geworden. Erst hatten sein ältester Bruder Adam und seine Frau Gina die kleine Emma bekommen. Das Mädchen war inzwischen schon anderthalb Jahre alt und ein wahrer Wirbelwind. Kurz darauf hatten Travis und seine Frau Julie nachgezogen. Ihre Tochter Katie war erst ein paar Monate alt, aber sie hatte schon das Regiment über den gesamten Haushalt übernommen.

Jackson liebte seine süßen kleinen Nichten, natürlich. Aber immer wenn er Adam oder Travis besucht hatte, kehrte er dennoch stets mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit in sein ruhiges, friedliches Haus zurück. Nachdem er einige Zeit mit stolzen Eltern und deren Babys verbracht hatte, wusste er es wieder so richtig zu schätzen, dass er Single war.

„Ach ja, klar, das Abendessen“, wiederholte er und richtete sich in seinem Sessel auf. Er hatte den Termin mit der Familie schon halb vergessen, so viele Dinge schwirrten in seinem Kopf herum. Die schöne Unbekannte, ein anstehender Flug nach Maine, der Inspektionstermin für einen der Jets: Es gab so vieles, um das er sich kümmern musste. „Nein, nein, natürlich bliebt es dabei. Ich habe im Serenity Plätze reservieren lassen. Um acht, ja. Ich habe mir gedacht, wir könnten uns schon um sieben in der Bar treffen und noch einen Drink nehmen – oder zwei. Geht das für dich in Ordnung?“

„Ja, wunderbar. Bringst du Marian auch mit?“

Jackson runzelte die Stirn. „Nein, warum sollte ich? Sie gehört doch nicht zur Familie.“

„Noch nicht, aber bald.“

„Ich habe ihr noch keinen Antrag gemacht, Travis.“

„Aber du tust es doch demnächst, oder?“

„Ja.“ Er hatte den Entschluss vor über einem Monat gefasst. Marian Cornice war die einzige Tochter von Vincent Cornice, dem Mann, der viele der größten Privatflughäfen des Landes besaß.

Die Heirat – eine Zusammenführung der Familien – war einzig und allein eine Geschäftsentscheidung. Wenn er mit Marian verheiratet war, konnte seine Firma King-Jets weiter wachsen. Er hätte dann unbeschränkten Zugriff auf sehr viele neue Flugplätze und könnte viel schneller expandieren als ursprünglich geplant. Die Familie Cornice war zwar durchaus wohlhabend, aber gemessen an dem Vermögen des King-Clans waren sie Neureiche, Emporkömmlinge. Durch die Heirat würde Marian den angesehenen Namen King bekommen, was vor allem ihren Vater glücklich machen würde.

Er war es letzten Endes auch, der das „Geschäft“ eingefädelt hatte. Jackson hingegen würde die Flugplätze bekommen. Es war, wie sagte man so schön, eine Win-Win-Situation, jeder hatte etwas davon. Davon abgesehen – Jacksons Brüder hatten beide mehr oder weniger Vernunftehen geschlossen, und für beide hatte es sich wunderbar entwickelt. Warum sollte es bei ihm nicht auch klappen?

Natürlich kam ihm in diesem Moment die geheimnisvolle Unbekannte in den Sinn. Aber das ist schon in Ordnung, dachte sich Jackson, schließlich bin ich ja noch nicht mal offiziell verlobt. Also habe ich Marian auch nicht betrogen.

„Aber wenn du es wirklich tust, also, sie heiraten, meine ich, dann wäre das Essen doch die Gelegenheit, Marian in die Familie einzuführen“, schlug Travis vor. „Aber es ist natürlich deine Entscheidung. Ich sage auf jeden Fall Adam wegen des Essens Bescheid. Ich fahre nämlich nachher noch Julie zu seiner Ranch. Sie will den Tag mit Gina verbringen. Und die Kinder können zusammen spielen.“

„Oh Mann.“ Jackson schüttelte den Kopf und lachte. „Hast du dir das früher je vorstellen können, Travis? Ich meine, Familienvater zu sein mit allen Pflichten? Ganz ehrlich, du und Adam als liebevolle Daddys, das kommt mir immer noch völlig schräg vor.“

„Ist es auch“, gab Travis zu, doch Jackson ahnte, dass er dabei lächelte. „Aber es ist auf eine sehr, sehr schöne Weise schräg. Du solltest es auch mal probieren.“

„Darauf kannst du lange warten.“

„Wer weiß. Wenn du erst mit Marian verheiratet bist …“

„Kein Gedanke.“ Jackson lehnte sich wieder im Sessel zurück. „Sie hat nicht so das Mutter-Gen in sich, und mir ist das absolut recht. Da bin ich doch lieber Onkel. Ich kann die Kinder meiner Brüder verzärteln, verwöhnen, verziehen, was auch immer, und wenn sie anfangen zu nerven, schicke ich sie postwendend nach Hause und habe wieder meine Ruhe.“

„Nicht jedes Kind ist geplant“, sagte Travis. „Manchmal kommen sie ganz überraschend …“

Okay, Travis und Julie hatten ihr Baby nicht geplant – aber so ein Fehler würde Jackson nicht unterlaufen. „Was diese Dinge angeht, bin ich Mister Vorsichtig persönlich, mein Alter. Verhütung ist oberstes Gebot. Ich will schließlich nicht …“ In dieser Sekunde durchzuckte ihn ein furchtbarer Gedanke. Er fuhr aus dem Sessel hoch.

„Verstehe, du bist unfehlbar“, witzelte Travis und schien eine schlagfertige Antwort zu erwarten. Stattdessen war nur Stille in der Leitung. „Jackson? Bist du noch dran?“

„J… ja“, stotterte Jackson. „Ich … ich muss jetzt los. Wichtiger Termin. Bis dann.“ Er legte auf.

Mister Vorsichtig persönlich? Du Idiot!

Gestern Nacht war er nicht vorsichtig gewesen. Verdammt, der Gedanke an Verhütung war ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen … bis gerade eben. Zu sehr hatte ihn die Frau mit den blauen Augen und dem sinnlichen Mund verzaubert. Er hatte sich von der bloßen Lust mitreißen lassen und jegliche Vernunft vergessen.

Zum ersten Mal seit Jahren hatte er kein Kondom benutzt.

Jackson fluchte leise und trat voller Wut gegen den Schreibtisch. Verdammt, tat das weh! Geschah ihm nur recht, wenn er sich jetzt etwas gebrochen hatte. Wie hatte er nur so dumm sein können? Kein Kondom – und das noch bei einer völlig Fremden! Einer Frau, von der er rein gar nichts wusste. Einer Frau, die es möglicherweise darauf angelegt hatte, von einem Angehörigen der reichen King-Dynastie schwanger zu werden.

Nervös fuhr er sich mit der Hand durchs dunkelbraune Haar. Er war völlig angespannt. Egal, als wie schwierig es sich erweisen würde, er musste diese Frau finden. Koste es, was es wolle.

Casey.

Sie finden, rauskriegen, wer sie war – und was sie vorhatte.

Wütend und von sich selbst enttäuscht, starrte er aus dem Fenster, das fast die gesamte Wandfläche einnahm. Einige der King-Jets standen auf dem Rollfeld, bereit für den nächsten Einsatz, blau-silbrig glänzend. Auf der Heckflosse der Maschinen prangte das Familienlogo der Kings, eine stilisierte Goldkrone. Familie King – die Könige. Normalerweise war er immer mächtig stolz, wenn er auf die Maschinen hinabblickte. Die Firma war sein Reich. Mit fünfundzwanzig hatte er sie übernommen und zu einem der angesehensten Unternehmen seiner Art gemacht.

Eines der Flugzeuge startete jetzt gerade. Kraftvoll schoss es in den Himmel und würde bald über den Wolken schweben.

Über allen Wolken, wie schön war es da! Während Jackson auf der Erde stand und sich fühlte, als würde sich im nächsten Moment der Boden unter ihm auftun und ihn verschlingen.

Er musste die Frau finden. Unter diesen Umständen erst recht. Er wollte sich den Zusammenschluss mit der Familie Cornice nicht kaputtmachen lassen.

Und Vater werden – das wollte er schon mal gar nicht.

Eine Woche war seit der unvergesslichen Nacht mit Jackson vergangen. Casey hielt den Telefonhörer umkrampft. „Und du bist wirklich sicher? Kein Irrtum möglich?“

„Schätzelchen, ich habe es geprüft, gegengecheckt und dann noch mal geprüft.“ In der Stimme von Caseys bester Freundin Dani Sullivan schwang Mitgefühl mit. „Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“

„Ich hab’s gewusst.“ Casey seufzte, lehnte sich an die Küchenwand und starrte auf die merkwürdige Uhr an der gegenüberliegenden Wand. Auf dem Zifferblatt war ein Hahn abgebildet. Der Stundenzeiger sprang auf die Fünf, und der Hahn krähte. Warum hatte sie sich diese komische Geschmacksverirrung überhaupt gekauft? Wer brauchte eine Uhr mit einem Hahn, der zu jeder vollen Stunde krähte?

Und wen scherte überhaupt dieser blöde Hahn?

„Danke, dass du das so schnell dazwischengeschoben hast, Dani.“ Dani arbeitete in einem medizinischen Labor und hatte den Test selbst durchgeführt. Einerseits, damit es schneller ging, und andererseits, damit das Ergebnis hundertprozentig sicher war. „Ich weiß das wirklich zu schätzen.“

„Ist doch kein Thema, Mäuschen“, sagte Dani. „Aber was willst du jetzt machen?“

„Mir bleibt nur eins“, sagte Casey. Sie ging zur Anrichte hinüber und goss sich aus der Kanne Eistee ein. „Ich muss ihn finden und mit ihm reden.“

„Hmm“, machte Dani nachdenklich. „Vielleicht solltest du ihn lieber anrufen, statt ihn persönlich aufzusuchen. Denk dran, was letztes Mal passiert ist, als ihr euch Auge in Auge gegenübergestanden habt.“

„Autsch. Musstest du mich jetzt daran erinnern?“ Natürlich hatte Casey ihr alles haarklein erzählt. Dafür hatte man doch schließlich eine beste Freundin! Damit jemand da war, dem man auch seine verborgensten, dunkelsten Geheimnisse anvertrauen konnte. Das Dumme war nur, dass Dani zu jener Art von besten Freundinnen gehörte, die mit ihrer Meinung nicht hinter den Berg hielten.

„Ich brauche dich nicht daran zu erinnern. Du denkst doch selbst ständig dran, oder?“

„Du hast ja recht.“ Nicht nur, dass sie ständig daran dachte, sie träumte auch fast jede Nacht von Jackson. Und was für Träume das waren! Ganz erhitzt und erregt fuhr sie daraus hoch und meinte, seine Hände noch auf ihrer nackten Haut spüren zu können. Die Erinnerung verblasste auch nicht, im Gegenteil, sie schien ständig stärker zu werden. Und es kostete Casey kaum Mühe, sich den Geschmack seiner Küsse ins Gedächtnis zurückzurufen.

Wovon sie übrigens regen Gebrauch machte. Auch wenn es ihr peinlich war.

Sie nahm einen Schluck Eistee. Vielleicht würde der sie etwas abkühlen. „Aber das heißt doch nicht, dass ich den gleichen Fehler noch mal mache“, sagte sie in den Hörer. „Gebranntes Kind scheut das Feuer.“

„Weiß man’s?“

„Oh, vielen Dank! Du bist mir ja eine große Hilfe!“

„Nein, ich meine es ernst“, gab Dani zurück. Sie sprach leise, flüsterte fast, damit ihre Arbeitskolleginnen im Labor nichts von dem Gespräch mitbekamen. „Ich glaube, es wäre wirklich besser, wenn du ihm nicht gleich wieder persönlich gegenübertrittst. Denk dran, was du ihm beichten musst. Es ist in jeder Hinsicht sicherer, wenn du ihm das am Telefon mitteilst.“

Wahrscheinlich hatte Dani recht. Aber Casey sah sich in einer äußerst dummen Lage, auch wenn sich das jetzt nicht mehr rückgängig machen ließ. Sie stand mit dem Rücken zur Wand. Sie hatte keine Wahl. Sie musste das Richtige tun.

„Das haut nicht hin“, erklärte sie. „Ich muss ihm in die Augen sehen, wenn ich es ihm sage.“

„Wenn du mal einen Entschluss gefasst hast, redet man nur noch gegen die Wand“, murmelte Dani.

„Wo du recht hast, hast du recht.“

„Na schön, aber sei wenigstens vorsichtig“, bemerkte die Freundin. „Du weißt, er ist einer aus dem King-Clan. Denen gehört halb Kalifornien, und deshalb könnte er dir das Leben richtig schwer machen, wenn er’s drauf anlegt.“

Caseys Magen krampfte sich zusammen. Daran hatte sie auch schon gedacht. Aber sie war ja nicht von gestern, sie hatte Nachforschungen angestellt. Er war zwar ein überaus erfolgreicher Geschäftsmann, aber gleichzeitig – im Privatleben – eine Art Playboy. Das Leben genießen, bloß keine Verpflichtungen – das schien sein Motto zu sein.

Daher ging sie davon aus, dass er ihr keine Probleme machen würde, trotz der unangenehmen Nachricht. Wahrscheinlich würde er ihr für die Information danken und ihr dann einen dicken Scheck ausschreiben – den sie selbstverständlich ablehnen würde. Und dann würde er sich wieder seiner Welt der großen Geldes und der willigen Frauen zuwenden.

„Nein, der macht mir keinen Ärger“, sagte sie mit fester Stimme. Wen wollte sie eigentlich überzeugen – Dani oder sich selbst?

„Ich kann nur hoffen, dass du recht hast“, sagte Dani. „Denn es hängt schließlich eine Menge davon ab.“

Das wusste Casey nur zu gut.

3. KAPITEL

Jackson saß am Tisch der Frau gegenüber, die er zu heiraten gedachte, und fand sie durchaus reizvoll. Allerdings kein Vergleich zu den Gefühlen, die die geheimnisvolle Unbekannte in ihm ausgelöst hatte. In Stromstärken ausgedrückt: Die eine war eine schlichte Batterie, eine Mignonzelle vielleicht. Die andere besaß die ungebändigte Energie eines Atomkraftwerks.

Er war davon ausgegangen, dass es eine gewisse Anziehung zwischen ihm und seiner Künftigen gab und dass sie langsam, aber beständig wachsen würde. Darauf wartete er allerdings immer noch. Zwischen ihm und der mysteriösen Casey Unbekannt hingegen hatte es in ihrer ersten und einzigen gemeinsamen Nacht so richtig geknallt. Was sollte er daraus jetzt schließen? Mit einer völlig Fremden hatte er weitaus mehr Vergnügen und Ekstase erlebt als mit der Frau, der er einen Heiratsantrag machen sollte. Vor seinem inneren Auge tauchte immer wieder Casey auf. Casey, wie sie lächelte, Casey nackt, wie sie die Arme nach ihm ausstreckte. Sein Körper brannte vor Begehren, sein Brustkorb schnürte sich zusammen.

Schöne geheimnisvolle Unbekannte.

Was hatte sie nur vorgehabt?

Sie hatte ihn verführt. Hatte alles daran gesetzt, ihn ins Bett zu bekommen, und sich hinterher einfach aus dem Staub gemacht, ohne einen Blick zurück. Wer tat so etwas? Und warum?

Er musste diese Rätsel lösen, sonst trieb es ihn noch in den Wahnsinn.

„Mein Vater sagt, du hast großen Interesse an dem Flugplatz im nördlichen Teil von New York?“, fragte Marian. Ach ja, sie war ja auch noch da. Er musste sich jetzt auf sie konzentrieren.

Das gehörte sich ja wohl so. Schließlich hatte er doch diesen verdammten Verlobungsring in der Tasche und wollte ihr heute einen Antrag machen. Er plante sein weiteres Leben, und in dieser Planung hatte die schöne Unbekannte keinen Platz. Also los, Jackson, bring’s hinter dich.

„Ja, der ist groß genug für mehrere Flüge pro Tag“, sagte er. „Ich habe mit meinen Piloten auch schon einen vorläufigen Flugplan ausgearbeitet.“ Er nahm einen Schluck Kaffee. Das Abendessen war vorüber, nur noch das Dessert stand auf dem Tisch. Marian hatte Mousse au Chocolat bestellt, aber natürlich würde sie keinen einzigen Bissen davon essen. Eher würde sie nackt auf dem Tisch tanzen.

Das immerhin hatte Jackson in den vergangenen Monaten über sie herausgefunden: Sie war mehr am Aussehen der Dinge interessiert als an den Dingen selbst. Sie war entsetzlich dürr und aß fast nichts, wenn sie zusammen ausgingen. Oh ja, sie bestellte üppig, aber dann schob sie das Essen nur lustlos mit der Gabel hin und her.

Seine schöne Unbekannte dagegen, die hatte Kurven gehabt. Kurven! Einen üppigen Körper, an den ein Mann sich kuscheln konnte, in dessen wohliger Wärme er versinken konnte.

Verdammt.

Marian sah ihn aus ihren ruhigen braunen Augen an. Ihr dunkelbraunes Haar hatte sie hochgesteckt, und ihr langärmeliges, hochgeschlossenes schwarzes Kleid ließ sie noch magerer und unnahbarer wirken als sonst. Warum sah er Marian plötzlich mit anderen Augen?

Die kleine Schatulle in seiner Anzugtasche schien plötzlich zu glühen. Jedenfalls erinnerte sie ihn ständig daran, warum er eigentlich hier war. Doch er brachte es irgendwie nicht über sich, Marian die Frage zu stellen. Die Frage aller Fragen, auf die sie mit Sicherheit schon sehnlich wartete.

Das Handy in seiner Hosentasche vibrierte, und Jackson war dankbar dafür. „Tut mir leid“, bemerkte er, „Geschäfte.“

Marian nickte, und Jackson sah auf das Display. Die Nummer war ihm unbekannt, aber er nahm das Gespräch trotzdem an. „Jackson King.“

„Hallo … hier ist Casey.“

Sein Herz machte einen Sprung. Selbst wenn sie ihren Namen nicht genannt hätte, die Stimme hätte er unter Tausenden wiedererkannt. Jede Nacht hörte er sie im Schlaf, in seinen Träumen. Wie hatte sie nur seine Nummer herausbekommen? Aber das war jetzt unwichtig. Er warf einen verstohlenen Blick auf Marian, die ihn misstrauisch beäugte. Dann sagte er leise: „Ich wollte unbedingt mit dir reden.“

„Jetzt hast du Gelegenheit dazu.“ Er hörte das Zögern in ihrer Stimme. „Ich bin in Drake’s Coffee Shop am Pacific Coast Highway.“

„Ja, ja, den kenne ich.“

„Wir haben etwas zu besprechen. Wie schnell kannst du hier sein?“

Jackson sah zu Marian. Irgendwie war er erleichtert, dass er dem Rest des Abendessens entkommen konnte und ihr nicht wie geplant die entscheidende Frage stellen musste. „In einer halben Stunde, wenn ich mich beeile.“

„Gut.“ Sie legte auf.

Jackson klappte sein Handy zu, steckte es in die Hosentasche und sah sein Gegenüber an.

„Gibt’s Ärger?“, fragte sie.

„Ein bisschen.“ Er war heilfroh, dass sie keine Erklärungen verlangte. Wahrscheinlich war sie es von ihrem Vater gewöhnt, dass er mitten im Essen aufsprang, um sich um wichtige Geschäfte zu kümmern. Er nahm seine Brieftasche und zog ein paar Scheine heraus, genug für das Essen samt üppigem Trinkgeld. Dann stand er auf und sagte: „Ich bringe dich selbstverständlich erst nach Hause.“

„Ist nicht nötig“, erwiderte sie und nahm einen Schluck Kaffee. „Ich trinke noch in Ruhe aus und rufe mir dann ein Taxi.“

Schlimm genug, dass er sie hier sitzen ließ, um sich mit einer anderen Frau zu treffen! Da war es ja wohl das Mindeste, sie noch eben nach Hause zu bringen. Aber Marian hatte ihren eigenen Kopf.

„Mach dich doch nicht lächerlich, Jackson. Ich bin alt genug, mir selbst ein Taxi zu nehmen. Nun geh schon und kümmere dich um deine Geschäfte.“

Er hätte sich nicht erleichtert fühlen dürfen, aber er tat es. Die Erleichterung durchströmte ihn geradezu. „Gut, schön, wunderbar. Ich … ich rufe dich dann morgen an.“

Marian nickte zustimmend, aber er war bereits auf dem Weg nach draußen, ohne auf seine Umgebung zu achten. In Gedanken war er schon längst bei dem Treffen. Endlich würde er seine schöne Unbekannte wiedersehen! Endlich erfahren, was sie eigentlich bezweckt hatte, als sie ihn angemacht hatte. Und er würde erfahren, ob sie wenigstens die Pille nahm.

Und vielleicht würden sie beide noch eine Nacht mit wunderbarem Sex erleben.

Eine knappe Dreiviertelstunde später kam Jackson auf dem Parkplatz von Drake’s an. In diesem Teil Kaliforniens war Drake’s Coffee Shop eine Art Institution. Er existierte seit über 50 Jahren, bot gutes Essen zu günstigen Preisen und war rund um die Uhr geöffnet.

Es war natürlich etwas völlig anderes als das Restaurant, in dem er eben noch gesessen hatte, mit seiner ruhigen, gediegenen Atmosphäre. Als Jackson die Tür öffnete, schlug ihm ein Stimmengewirr entgegen. Gespräche, Gelächter, ein Baby weinte, Geschirr klapperte. Die Beleuchtung war fast schmerzhaft grell. Sofort kam eine Kellnerin auf ihn zu, um ihm einen Tisch zuzuweisen.

Er nahm kaum Notiz von ihr. Stattdessen sah er sich im gesamten Raum um, bis er an einem Tisch die Person entdeckte, nach der er suchte. Blondes Haar, blasse Wangen, blaue Augen. Sie hatte ihn schon gesehen.

„Danke“, sagte er zu der Bedienung, „ich habe meinen Tisch schon gefunden.“

Er schlängelte sich durch die Tischreihen und wandte dabei den Blick nicht von Casey. Vergeblich versuchte er, aus ihrem Gesichtsausdruck schlau zu werden.

Alles in ihm krampfte sich zusammen. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas war gewaltig faul.

Heute war sie nicht so verführerisch gekleidet. Sie trug eine hellgrüne langärmelige Bluse, und ihre Frisur war zerzaust, als wäre sie sich mit den Fingern durch Haar gefahren. Unruhig nagte sie an ihrer Unterlippe.

Oh ja, sie schien verflixt nervös zu sein.

Sie hat ja auch allen Grund dazu, sagte er sich. Er wollte ihr so einiges mitteilen, und vieles davon würde ihr nicht gefallen. Aber, verdammt, es erregte ihn schon wieder, sie nur zu sehen! Sie hatte eine Wirkung auf ihn wie keine Frau zuvor. Eigentlich wollte er es sich selbst nicht eingestehen, und es schon gar nicht ihr beichten: Aber sie löste in ihm ein nagendes, bohrendes Verlangen aus, das sich nicht unterdrücken ließ.

Endlich war er bei ihr angekommen. Er baute sich vor Caseys Tisch auf, öffnete den Mund, um etwas zu sagen – und machte den Mund wieder zu.

Neben Casey stand ein Babysitz. Mit Baby. Ein kleines Mädchen offenbar. Jackson verzog das Gesicht, als die Kleine – die sicher noch nicht mal ein Jahr alt war – ihn angrinste und zwei winzigkleine Zähne blitzen ließ.

Sie hatte seine Augen.

So kam es ihm wenigsten vor. Aber das war ja unmöglich.

Er wandte den Blick von dem Baby ab, starrte Casey an und fragte: „Was zum Teufel ist hier eigentlich los?“

In diesem Augenblick fragte sich Casey, ob Dani nicht doch recht gehabt hatte. Vielleicht hätte sie ihm doch lieber alles am Telefon erzählen sollen. Da hatte sie die Bescherung: Ein großes, wütendes Prachtstück von Mann starrte sie an, als käme sie vom Mond.

Casey hatte ihn beobachtet, seit er das Restaurant betreten hatte. In seinem Tausend-Dollar-Anzug wirkte er wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung. Er passte hier ungefähr so gut rein wie ein Picknickkorb in ein Fünf-Sterne-Restaurant. So fein, wie er angezogen war, war er sicher gerade mit jemandem essen gewesen. Unbewusst fragte sie sich, mit wem wohl.

Jetzt blickte sie ihm in die Augen – die gleichen Augen, die sie jeden Morgen sah, wenn ihre kleine Tochter aufwachte und sie anlächelte. Jackson war wütend, aber das hatte sie sich von vornherein denken können. Ihr flaues Gefühl im Magen verstärkte sich.

Dennoch war sie sich jetzt sicher, dass sie richtig gehandelt hatte. Sie war eben, wie sie war, und musste entsprechend handeln. Was nicht hieß, dass sie sich dabei wohl fühlte. Das Gegenteil war der Fall.

Sie beobachtete ihn, wie sein Blick von ihr zu dem Baby und wieder zurück wanderte. Seine Anspannung nahm zu, das sah sie an seinen verkrampften Schultern und daran, wie er die Zähne zusammenbiss. Aber dieser äußeren Anzeichen hätte es gar nicht bedurft. Sie spürte es sogar körperlich.

Und es konnte ab jetzt nur noch schlimmer werden.

„Warum setzt du dich nicht, Jackson?“, fragte sie und wies auf den Stuhl ihr gegenüber. Bleib ganz ruhig, Casey. Schließlich seid ihr beide erwachsen. Das könnt ihr ganz ruhig und friedlich miteinander regeln.

Widerstrebend setzte er sich, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und starrte sie böse an.

Ruhig und friedlich miteinander regeln? Das würde sich erst noch zeigen. Aber auf jeden Fall würde er unter all den Menschen hier nicht anfangen, laut zu schimpfen und zu pöbeln. Das war ja auch der Grund gewesen, weshalb sie ihn für ihr Geständnis hierher ins Drake’s eingeladen hatte. „Danke, dass du so schnell gekommen bist.“

„Oh, wie höflich und zuvorkommend wir sein können“, murmelte er. Kopfschüttelnd blickte er auf das Baby, das mit seinen Zähnchen seelenruhig und genüsslich auf einem Beißring herumkaute.

Casey wusste, was er sah: ein wunderhübsches kleines Mädchen mit dunkelbraunen Löckchen, rosigen Bäckchen und großen braunen Augen. Auf der Fahrt hierher hatte die Kleine wunderbar ruhig geschlafen. Jetzt war sie putzmunter und blickte neugierig und fröhlich in die große, bunte, aufregende Welt.

Jackson hingegen wirkte keineswegs fröhlich, eher wie vor den Kopf geschlagen. Aber das konnte ihm Casey angesichts dieser Überraschung nicht verdenken. Für sie war die Kleine das Beste, was ihr je passiert war, aber sie hatte auch genug Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, Mutter zu sein. Für ihn jedoch kam das Baby völlig unerwartet.

Das musste man erst mal verdauen.

Vor allem ein Mann wie er.

Sie hatte gründlich über ihn nachgeforscht, das Internet gab ja heutzutage eine Menge her. Er war ein Frauenheld, wie er im Buche stand. Deshalb war sie ja auch so verführerisch angezogen in die Bar gegangen. Sie konnte sich denken, dass er sofort auf sie anspringen würde, wenn sie auch nur einen Funken Interesse an ihm zeigte. So tickte er nun mal, und der Plan war aufgegangen. Er war ein Mann, der sich gerne mal mit einer Frau einließ, aber an einer längeren Beziehung nicht interessiert war. Ein Mann, der seine Freiheit und das kurzfristige Vergnügen liebte. Für den Verantwortung ein Fremdwort war.

Nicht gerade der ideale Vater.

Vorwurfsvoll blickte er sie an. Casey rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.

„Wo wir hier schon so schön zusammensitzen, wirst du mir ja sicher gleich erklären, was zum Teufel eigentlich los ist, oder?“

„Ja. Deswegen habe ich dich ja angerufen und hergebeten.“

„Dann erklär mir doch erst mal, woher du überhaupt meine Handynummer hast“, forderte er sie auf und nickte zustimmend, als die Kellnerin mit einer Kaffeekanne an den Tisch kam. Sie schenkte ihm einen Kaffee ein und verschwand schnell wieder, als sie seinen unfreundlichen Blick bemerkte.

„Ich habe dein Büro auf dem King-Flugplatz angerufen“, sagte Casey, als sie wieder allein waren. „Es war nur der Anrufbeantworter dran, aber die Ansage hat für dringende Notfälle deine Handynummer angegeben. Und ich dachte mir, das hier ist so was wie ein Notfall.“

Er nahm seine Kaffeetasse und trank einen Schluck. Ganz vorsichtig setzte er sie wieder auf die Untertasse. Eigentlich wirkte er, als hätte er sie lieber gegen die Wand geschleudert. „Gut, das wäre geklärt. Jetzt aber zu den wichtigeren Dingen. Fang am besten erst mal mit deinem vollen Namen an.“

„Casey Davis.“

„Und woher kommst du?“

„Aus der Nähe von Sacramento. Aus einer Kleinstadt namens Darby, falls dir das was sagt.“

Er nickte. „Gut. Jetzt zu …“ Er blickte auf das Baby.

Casey holte tief Luft. Himmel, war sie nervös! Sie hatte ja gewusst, dass es nicht leicht sein würde. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie kaum ein Wort herausbringen würde.

Unsicher räusperte sie sich. Sag es ihm einfach, Casey! Zärtlich strich sie ihrer kleinen Tochter über das Köpfchen. „Das ist Mia. Sie ist jetzt fast neun Monate alt …“, sie hielt inne und und sah ihm tief in die Augen, „… und sie ist deine Tochter.“

„Quatsch“, sagte er barsch. „Ich habe keine Kinder.“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Die Stille wurde fast unerträglich. Schließlich sagte er: „Ich weiß nicht, was du hier abziehen willst, Mädel, aber es wird nicht funktionieren. Ich habe dich ja erst vor einer Woche zum ersten Mal gesehen.“

„Das weiß ich …“

Er lachte kurz auf, aber von Humor war dabei nichts zu spüren. Die grelle Beleuchtung warf dunkle Schatten auf sein Gesicht. „Ich bin eigentlich hergekommen, um rauszufinden, wer du bist. Warum du mitten in der Nacht abgehauen bist. Und ob du vielleicht von mir schwanger werden wolltest, um mich abzuzocken. Aber das mit der Schwangerschaft hast du ja offensichtlich schon vorher erledigt.“

Gekränkt straffte Casey die Schultern. Sie wollte doch nur das Richtige tun, und jetzt unterstellte er ihr … „Dich abzocken? Das ist überhaupt nicht meine Absicht.“

„Jetzt komm schon. Du hast es an dem Abend doch ganz offensichtlich drauf angelegt, mich zu verführen.“

„Das war ja nun wirklich nicht allzu schwer.“ Stimmt doch, dachte sie – sie hatte ihn ja nun nicht gerade gekidnappt, ihn ans Bett gefesselt und war dann über ihn hergefallen. Erinnerungen an ihre Liebesnacht stiegen wieder in ihr hoch, schöne Erinnerungen …

„Darum geht es nicht.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du hattest etwas Bestimmtes vor, und das hast du eiskalt durchgezogen. Und jetzt will ich wissen warum.“

Sie griff nach einer Serviette, beugte sich zu Mia hinüber und wischte ihrem Töchterchen den Mund sauber, obwohl die Kleine sich heftig dagegen sträubte. „Ich … ich wollte mir eine DNA-Probe von dir besorgen.“

Er lachte wieder. Lauter. Härter. „Oh. Um die zu kriegen, hast du dir ja richtig Mühe gegeben.“

Sie lief puterrot an, und es war ihr bewusst; sie konnte fühlen, wie ihre Wangen heiß wurden. Das ging ihr immer so, wenn sie in Verlegenheit gebracht wurde, und sie verabscheute es. Nervös blickte sie sich im Restaurant um, um sicherzugehen, dass niemand ihrem Gespräch Beachtung schenkte. Dann flüsterte sie zornig: „Nicht, was du denkst. Ich habe dir ein paar Haare ausgerissen. Erinnere dich doch – als du mich geküsst hast …“

„Umgekehrt wird ein Schuh draus“, unterbrach er sie. „Du hast mich geküsst, wenn ich mich recht erinnere.“

Ja, na schön. Er hatte recht – sie hatte ihn geküsst. Ihr ganzer sorgfältig ausgearbeiteter Plan war ja mächtig schief gelaufen, nachdem ihr Mund den seinen berührt hatte. Und schon wieder verspürte sie Erregung. „Gut, ich gebe es zu. Ich habe dich geküsst, nicht umgekehrt. Kannst du dich erinnern, wie ich an deinem Haar gezogen habe?“

„Oh ja“, antwortete er, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast behauptet, ich würde dich wild machen.“

„Ja, stimmt.“ Casey rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und ein paar Schritte gegangen. Ihr Gehirn funktionierte besser, wenn sie in Bewegung war. Aber sie konnte jetzt schlecht einfach aufstehen und hin und her laufen, während Mia in ihrem Kindersitz saß. „Ich brauchte ein Haar von dir, um es testen zu lassen.“

„Warum hast du mich nicht einfach darum gebeten?“

Jetzt war sie es, die lachte. „Na klar, aber sicher doch. Ich gehe einfach auf einen fremden Mann zu und bitte ihn um eine DNA-Probe.“

„Stattdessen bist du lieber auf einen fremden Mann zugegangen und hast ihn geküsst. Das ist ja viel normaler.“

„Das … das schien mir damals noch die vernünftigste Idee zu sein“, stammelte sie.

„Und das, was dann kam?“, fragte er. „War das auch Teil deines genialen Plans? Du hattest doch deine Haarprobe. Warum hast du danach noch die Nacht mit mir verbracht? Wolltest du mich reinlegen? Wolltest du mich so heiß machen, dass ich nicht mehr an Verhütung dachte?“

Alles in ihr zog sich zusammen. Auch sie hatte in jener Nacht überhaupt nicht mehr an Verhütung gedacht. Sie war so erregt gewesen, so verrückt vor Verlangen, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Der Gedanke an Kondome war ihr überhaupt nicht mehr in den Sinn gekommen. Verdammt dumm.

„Das war nicht geplant“, erklärte sie mit fester Stimme. „Die ganze übrige Nacht ist … einfach passiert.“ Sie sah ihm in die Augen. „Und wo wir gerade beim Thema sind: Ich kann dir versichern, dass ich völlig gesund bin, du weißt, was ich meine. Ich hoffe, du kannst das Gleiche von dir sagen.“

„Keine Sorge, ich bin auch völlig gesund.“

Eine Sorge weniger, sagte sie sich.

„Das ist gut.“

„Also keine Ansteckung gleich welcher Art. Aber was ist … mit der anderen Sache?“ Er musterte sie ganz genau und wartete auf ihre Reaktion.

„Du meinst … Schwangerschaft?“

„Du bist ja ganz eindeutig fruchtbar“, sagte er mit einem Seitenblick auf die kleine Mia. „Also ist das eine berechtigte Frage.“

„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, beruhigte sie ihn. „Mein Arzt sagt, dass ich auf normalem Wege kaum schwanger werden kann.“

Er zog eine Augenbraue hoch, und Casey fühlte sich entsetzlich unwohl. Hier ging es um ihr Privatleben, um intimste Bereiche. Darüber redete sie nicht mit jedem.

„Aber trotzdem …“

Er wies mit dem Kopf auf Mia, die ihren Beißring aus dem Mund genommen hatte und damit auf dem Tische herumtatschte.

„Ich würde sagen, wir besprechen erst mal die wesentlichen Dinge“, schlug er vor. Wieder sah er Mia an, und Casey hätte ihr Kind am liebsten vor seinen abschätzenden Blicken geschützt. „Du wolltest also unbedingt meine DNA. Aber warum? Bis vor einer Woche hatten wir uns doch nie im Leben gesehen. Wie kommst du da auf die irrwitzige Idee, ich könnte der Vater deines Kindes sein?“

Das ging jetzt sehr ins Private, und eigentlich wollte sie wirklich nicht darüber sprechen. Aber schließlich war sie heute Abend hierhergekommen, weil sie das Gefühl hatte, reinen Tisch machen zu müssen.

Sie senkte die Stimme, damit niemand an den Nebentischen etwas von dem Gespräch mitbekam. „Vor etwa zwei Jahren bin ich in die Mandeville-Klinik gegangen …“

Ihm schien urplötzlich etwas klar zu werden. Wieder schaute er zu Mia, aber diesmal sah er das Baby nicht verärgert oder misstrauisch an. Vielmehr lag etwas wie Fassungslosigkeit in seinem Blick.

„Die Samenbank“, murmelte er.

„Ja.“ Casey fühlte sich immer noch höchst unbehaglich. Das waren Dinge, über die sie normalerweise mit niemandem sprach. Und sie nun mit dem Menschen zu besprechen, der die Geburt ihrer Tochter erst ermöglicht hatte …

Jackson schüttelte ungläubig den Kopf, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und murmelte: „Das ist doch nicht möglich.“

„Offenbar doch“, gab sie zurück.

„Nein, du verstehst nicht ganz.“ Er sah sie unsicher an. „Ich muss zugeben, als ich noch auf dem College war, bin ich mit einem Freund in diese Klinik gegangen. Wir hatten eine Wette verloren und …“

„Eine Wette?“, fragte sie ungläubig.

„Wie auch immer“, sagte er verärgert. „Ich war damals eben noch jung und unreif. Also, auf jeden Fall bin ich hingegangen und habe eine Samenspende abgegeben. Ich hatte die Sache schon halb vergessen, bis mir vor fünf Jahren plötzlich dämmerte, worauf ich mich eigentlich eingelassen hatte. Mir wurde klar, dass ich das nicht wollte – ein Kind, das irgendwo an einem mir unbekannten Ort aufwächst, ohne dass ich von ihm etwas weiß. Deswegen habe ich denen mitgeteilt, sie sollten die Samenspende vernichten.“

Es durchrieselte sie kalt. Voller Liebe sah sie ihre kleine Tochter an und versuchte sich ein Leben ohne sie vorzustellen. Es gelang ihr nicht. Durch irgendein Versehen der Verwaltung war Jacksons Forderung offenbar nicht erfüllt worden; vielleicht hatte jemand vergessen, die Anweisung weiterzugeben. Casey war dankbar dafür. Ohne dieses Missgeschick hätte es die kleine Mia nicht gegeben. Vielleicht hätte sie dennoch ein Kind bekommen, aber es wäre ein Kind mit anderen Genen, anderen Erbanlagen gewesen, ein anderes Kind, nicht die kleine Mia, die sie so vergötterte. Sie war so froh, dass sie sie hatte.

Casey lächelte. „Also, ich bin auf jeden Fall froh darüber, dass sie deiner Aufforderung nicht Folge geleistet haben, aus welchen Gründen auch immer.“

„Das sieht man dir an.“

Seine Gefühle in diesem Moment waren nicht schwer zu durchschauen. Er war sichtlich bemüht, nicht einmal in Mias Richtung zu blicken. Casey war das nur recht so. Sie wollte gar nicht, dass er Interesse an seiner Tochter zeigte. Mia gehörte ihr, ihr allein, war ihre kleine Familie. Sie selbst war nur aus einem schwer zu beschreibenden Pflichtgefühl hier. Ihrer Ansicht nach hatte Jackson das Recht zu erfahren, dass er ein Kind hatte.

„Ich dachte immer, Samenbanken arbeiten völlig anonym“, bemerkte er nach einigem Nachdenken. „Die Mütter erfahren den Namen des Spenders nie.“

„So ist es eigentlich Vorschrift.“ Als sie in die Mandeville-Klinik gegangen war, hatte sie deshalb extra noch einmal nachgefragt. Sie wollte auf keinen Fall wissen, wer der Vater war. Schließlich suchte sie keine Beziehung. Sie brauchte keinen Partner, um ihr Kind großzuziehen. Sie wollte nur ein Baby, das sie lieben konnte. Ihre kleine Familie.

Zu ihrer Erleichterung hatte man ihr in der Klinik versichert, dass die Identität des Samenspenders für immer geheim bleiben würde. Das hatte sie beruhigt – bis vor einem Monat.

„Vor etwa vier Wochen bekam ich eine E-Mail von der Mandeville-Klinik“, erzählte sie leise. „Dort stand mein Name, die Spendernummer, die ich ausgewählt hatte – und das Schreiben gab dich als den Mann an, von dem die Probe stammte.“

Er zuckte zusammen.

„Ich war natürlich fuchsteufelswild“, fuhr sie fort. „Es sollte doch alles streng vertraulich und anonym sein! Also habe ich sofort bei der Klinik angerufen, um mich zu beschweren. Und die Leute waren genauso aus dem Häuschen wie ich. Offenbar hatte irgendein Hacker sich in ihr Computersystem eingeschlichen und dann Dutzende von E-Mails an Mütter geschickt, jeweils mit den Daten und Namen der betreffenden Samenspender. So etwas hätte natürlich nie passieren dürfen, aber man konnte es ja nicht rückgängig machen.“

„Ich verstehe.“

Es waren nur zwei Worte, aber er hatte sichtlich Mühe, sie hervorzubringen. So weit, so gut. Casey war klar, dass diese Nachricht völlig überraschend für ihn kam. Aber er sollte auch wissen, dass sie von der Situation ebenfalls nicht begeistert war.

„Ich wollte den Namen des Vaters wirklich nicht wissen“, erklärte sie mit fester Stimme. „Der Mann interessierte mich damals nicht – und tut es heute auch nicht. Schließlich habe ich mich nicht an eine Samenbank gewandt, weil ich eine feste Beziehung suchte. Ich wollte nur ein Baby.“

Sein Gesichtsausdruck war wie versteinert. Keine Gefühlsregung war daran abzulesen. „Und das hast du alles vor einem Monat erfahren.“

„Ja.“

Er wischte mit den Fingern über den Tisch. „Und warum erzählst du es mir erst jetzt?“

Er fragte es ganz ruhig und sachlich, aber Casey spürte seine Wut.

Sie nahm einen Schluck von Kaffee, der inzwischen kalt geworden war. „Um ehrlich zu sein – zuerst habe ich mit dem Gedanken gespielt, dir überhaupt nichts zu sagen.“

Er zog eine Augenbraue hoch.

„Aber schließlich wurde mir klar, dass du ein Recht darauf hast, zu wissen, dass du tatsächlich Mias Vater bist.“

„Du hast erst daran gezweifelt?“

„Allerdings“, gab sie zurück. „Fakt war ja nur, dass sich ein Hacker im Computersystem der Klinik zu schaffen gemacht hatte. Aber damit war ja noch lange nicht klar, ob er auch die richtigen Daten zusammengefügt hatte.“ Sie sah ihm direkt in die Augen. „Du bist nämlich auch nicht gerade die Art von Vater, die ich eigentlich für mein Baby wollte. Als ich in die Mandeville-Klinik ging, habe ich ausdrücklich das Sperma eines Wissenschaftlers verlangt.“

Einen Augenblick lang schaute er beleidigt drein. Dann lachte er auf und schüttelte ungläubig den Kopf, als könnte er kaum glauben, dass diese Unterhaltung wirklich stattfand. „Aha, ein Wissenschaftler also.“

„Ich wollte ein kluges Kind.“

Er starrte sie an. „Ich habe meinen Abschluss magna cum laude bestanden, mit Auszeichnung. Besser geht’s kaum.“

„Und in welchem Fach? Auf Partys gehen? Oder Frauen aufreißen?“

„Nicht, dass es dich etwas anginge. Aber ich bin studierter Betriebswirt.“

Das wusste sie dank ihrer Nachforschungen schon. Aber sie wusste auch, wo Jackson King in seinem Leben die Schwerpunkte setzte. Und das waren nicht gerade intellektuelle Beschäftigungen.

„Das ist ja jetzt auch unwichtig“, bemerkte sie seufzend. „Es lässt nicht ja nicht mehr rückgängig machen. Ich liebe meine Tochter, und es ist mir egal, wer ihr Vater ist.“

„Ach, es ist dir egal?“, fragte er bissig. „Aber als du herausgefunden hattest, dass ihr Vater der reiche Jackson King ist, bist du schnurstracks zu ihm geeilt. Also – worum geht es jetzt wirklich bei diesem netten kleinen Beisammensein?“

„Wie bitte?“

„Du hast mich ganz genau verstanden, Casey Davis. Du kommst hierher, präsentierst mir meine kleine Tochter …“

Meine kleine Tochter“, korrigierte sie. Es kam ihr vor, als wäre diese Unterhaltung plötzlich mehr als nur ein Wortgefecht.

„Da fragt man sich doch, was du eigentlich wirklich von mir willst. Geld?“ Er griff in sein Jackett und zog seine schwarze Lederbrieftasche hervor. „Ein bisschen Unterhalt für das Kind? Wie viel darf’s denn sein? Darum geht es doch, oder?“

„Das ist mal wieder typisch“, gab sie verärgert zurück. „Natürlich denkst du, es geht um Geld. So sieht der große Jackson King die Welt. Aber ich habe es schon gesagt, und ich wiederhole es gerne auch noch mal: Ich will überhaupt nichts von dir.“

„Das glaube ich dir nicht.“

Sie bereute es mittlerweile zutiefst, dass sie diesen Mann überhaupt mit Mia konfrontiert hatte. „Du kannst glauben, was du willst. Das kann ich dir nicht verbieten. Aber ich kann gehen. Unsere Unterhaltung ist hiermit beendet.“

Sie stand auf, nahm Mia aus dem Kindersitz und hielt sie ganz fest. Es beruhigte sie, die Wärme des geliebten kleinen Wesens zu spüren, und ihr Ärger ebbte ab. Was Jackson King dachte oder sagte, war doch völlig egal. Sie hatte das getan, wozu sie sich moralisch verpflichtet fühlte, und nun konnte sie ihn abhaken. Und sich wieder ganz auf ihre Tochter konzentrieren.

Jackson war sitzen geblieben, und Casey sah mitleidig zu ihm hinunter. Ja, in diesem Moment empfand sie Mitleid. Weil er nicht einmal begriff, was er alles versäumte, wenn er dieses wunderbare Kind, dessen Vater er war, nicht richtig kennenlernte.

Geradezu angewidert sagte sie: „Dieses wunderhübsche kleine Geschöpf ist durch dich ins Leben getreten, wenn du auch nicht bewusst dazu beigetragen hast. Und ich war der Meinung, du solltest es wissen. Aber ich sehe jetzt ein, dass das ein Fehler war. Mach dir keine Gedanken, Jackson. Mia wird nie erfahren, dass sie ihrem Vater völlig gleichgültig war.“

„Ach ja?“ Er grinste ihr herausfordernd ins Gesicht. Offenbar glaubte er immer noch, ihre Entrüstung sei nur gespielt. „Was wirst du ihr denn über mich erzählen?“

„Ich werde ihr sagen, dass du tot bist“, erwiderte Casey ruhig. „Denn in meinen Augen … bist du tatsächlich tot.“

4. KAPITEL

Sie konnte verdammt schnell laufen, das musste er ihr lassen.

Allerdings saß ihm auch der Schock noch in den Gliedern und bremste ihn aus.

Jackson war ein paar Schritte hinter ihr. Sein Herz schlug bis zum Hals. Er konnte das alles immer noch nicht glauben. Einunddreißig Jahre war er jetzt alt und hatte völlig überraschend erfahren, dass er Vater war. Und seine kleine Tochter war schon fast ein Jahr alt, ohne dass er von ihrer Existenz gewusst hatte! Wie zum Teufel sollte ein Mann denn auf solche Neuigkeiten reagieren?

Casey lief über den Parkplatz. So wütend er auch war, der Anblick ihrer Rückseite gefiel ihm außerordentlich. Ihr strammer Po und ihre Beine waren von ihrer Jeans wie von einer zweiten Haut umschlossen. Knackig, dachte er. Es war nun wirklich der ungünstigste Zeitpunkt, aber trotz seiner Verärgerung bekam er Lust auf sie.

Casey hatte inzwischen ihr Auto erreicht und setzte die kleine Mia auf den Babysitz. Er holte sie ein, und ein kühler Wind, der vom Ozean herüberwehte, fuhr ihm heftig ins Gesicht. Fast, als ob irgendetwas ihn davon abhalten wollte, ihr zu nahe zu kommen.

Blödsinn. Das bildete er sich bestimmt nur ein.

„He! Du kannst mich doch nicht einfach mit so einer Nachricht überfallen und dann abhauen!“

Sie wandte sich zu ihm um, warf ihm einen eisigen Blick zu und murmelte: „Und ob ich das kann. Das siehst du doch.“

Er schaute zum Baby, das sie beide aus seinen großen braunen Augen musterte. Er kannte diesen Gesichtsausdruck, schließlich hatte er ja durch seine zwei kleinen Nichten etwas Erfahrung mit Babys. Die Kleine war verstört und den Tränen nahe. Das tat ihm unendlich leid. Er zwang sich zu einem Lächeln und sagte leise: „Das Ganze kam für mich einfach zu überraschend. Du hast mich kalt erwischt, und ich glaube, das ist dir auch bewusst.“

Casey beachtete ihn überhaupt nicht. Sie kämpfte mit den Gurten des Kindersitzes. „Dieses blöde Ding treibt mich regelmäßig in den Wahnsinn.“

Er hatte keine Lust, jetzt über Kindersitze zu diskutieren. Noch immer fummelte Casey an den Schnallen herum, und er wurde von Sekunde zu Sekunde ungeduldiger. Schließlich sagte er: „Lass mich das machen.“ Er packte sie am Arm, und im selben Moment durchrieselte ihn ein wohliger Schauer, aber er versuchte, das Gefühl zu ignorieren.

Sie lachte auf. „Was verstehst du schon von Kindersitzen?“

„Ich habe zwei Nichten“, murmelte er, ohne sie anzusehen.

Im vergangenen Jahr hatte er genug Erfahrungen gesammelt, was Babyzubehör anging. Die kleine Emma besaß schon mehr Sachen als ihre Eltern. Und Katies Spielsachen drohten mittlerweile das große Weingut ihres Vaters unter sich zu begraben.

In Sekundenschnelle hatte er die Gurte einrasten lassen. Er sah Mia an. Seine Tochter. Zwar versuchte er, sich mit diesem Gedanken anzufreunden, aber es gelang ihm nicht. Dennoch fuhr er ihr sanft mit dem Finger über das rosige Bäckchen und erntete dafür ein fröhliches Glucksen. Als er der Kleinen in die Augen sah – Augen, die seinen so ähnelten –, verspürte er in seinem Herzen ein Gefühl, wie er es noch nie erlebt hatte.

Als er sich wieder aufrichtete, lächelte er immer noch. Doch dann sah er Caseys wütenden Blick.

„Danke“, sagte sie knapp. Sie schlug die Beifahrertür zu und ging um das Auto herum zur Fahrerseite.

Jackson folgte ihr. Bevor sie einsteigen und ihm entwischen konnte, ergriff er wieder ihren Arm. „Jetzt warte doch noch mal kurz, verdammt.“

Doch sie entwand sich seinem Griff. Nervös fuhr er sich durchs Haar, atmete tief ein, ließ den Blick über den Parkplatz wandern und sah dann wieder Casey an. „Ich weiß einfach nicht, was du von mir willst.“

„Nichts“, erwiderte sie und klang auf einmal unendlich müde. „Das habe ich dir doch schon gesagt. Ich muss jetzt los.“

Mit der Hand hielt er die Autotür zu. Dann sah er ihr direkt in die Augen und sagte: „Du weißt von der Sache mit dem Baby …“

„Mia.“

„Mia“, korrigierte er sich. „Du weißt von ihr, Schwangerschaft und alles eingerechnet, seit über anderthalb Jahren. Ich weiß von der ganzen Sache …“ – er blickte auf seine Armbanduhr – „… seit zehn Minuten. Vielleicht bist du so gut und lässt mich das alles erst mal verarbeiten? Passiert mir schließlich nicht jeden Tag, dass ich in einem billigen Schnellimbiss sitze, wo es nach Pommes frites stinkt, und erfahre, dass ich Vater bin.“

Ganz kurz blitzte ein Lächeln in ihrem Gesicht auf, aber es war sofort wieder verschwunden.

Jacksons Gehirn arbeitete fieberhaft. Er hatte gerade eben erst die vielleicht wichtigste Nachricht seines Lebens erhalten. Wie zum Teufel sollte er denn darauf reagieren?

„Gut“, sagte sie. Ihr war anzumerken, dass sie sich nur mühsam beherrschte. „Du brauchst Zeit. Nimm dir so viel Zeit wie nötig. Meinetwegen eine Ewigkeit, wenn es sein muss.“ Sie blickte ihn fest an. „Aber während du grübelst und dich an den Gedanken gewöhnst, nehmen Mia und ich unser altes Leben wieder auf.“

„Einfach so?“

Autor

Day Leclaire
<p>Day Leclaire lebt auf der Insel Hatteras Island vor der Küste North Carolinas. Zwar toben alljährlich heftige Stürme über die Insel, sodass für Stunden die Stromzufuhr unterbrochen ist, aber das ansonsten sehr milde Klima, der Fischreichtum und der wundervolle Seeblick entschädigen sie dafür mehr als genug. Day interessiert sich seit...
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