Baccara Exklusiv Band 199

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WAS NACH DEM KÖNIGLICHEN BALL GESCHAH von MICHELLE CELMER

Vier Monate sind seit ihrer heißen Ballnacht vergangen. Jetzt steht Prinzessin Anne plötzlich vor ihm. Schwanger! Weil eine Ehe für Samuel nicht infrage kommt, müssen sie versuchen, Freunde zu sein. Auch wenn er Anne kaum widerstehen kann …

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  • Erscheinungstag 16.10.2020
  • Bandnummer 199
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726836
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Celmer, Elizabeth Bevarly, Kathie DeNosky

BACCARA EXKLUSIV BAND 199

1. KAPITEL

Juni

Eigentlich fand Prinzessin Anne Charlotte Amalia Alexander, dass ihre unterkühlte Art ihre besondere Stärke war – doch manchmal wünschte sie sich, mehr wie ihre Zwillingsschwester zu sein.

Während sie einen Schluck Champagner trank, beobachtete sie ihre Schwester dabei, wie sie sich einem großen, äußerst attraktiven Gentleman näherte, der schon den ganzen Abend zu Louisa herübergeschaut hatte. Annes Zwillingsschwester lächelte, sprach ein paar Worte mit dem Mann und erhielt prompt einen galanten Handkuss von dem Fremden.

Bei Louisa sah es immer so einfach aus. Die Männer wurden wie magisch von ihrer Schönheit und kindlichen Unschuld angezogen.

Bei Anne war das ganz anders. Sie wurde für kaltherzig und kritisch gehalten. Und es war ein offenes Geheimnis, dass man sie hinter vorgehaltener Hand als Xanthippe bezeichnete. Normalerweise machte Anne das nichts aus. Sollten die anderen doch ruhig eingeschüchtert sein von ihrer Stärke und Unabhängigkeit! Allerdings war dieser Gedanke am heutigen Abend wenig tröstlich. Alle um sie herum tanzten, genossen die Drinks und amüsierten sich köstlich. Anne hingegen stand ganz allein da – lediglich in Gesellschaft ihrer Prinzipien. War es denn so schwer zu verstehen, dass ihr einfach nicht nach Feiern zumute war, wenn es ihrem Vater gesundheitlich immer schlechter ging?

Als ein Kellner ein Tablett mit gefüllten Champagnerflöten an ihr vorbeitrug, griff Anne nach einem neuen Glas. Ihr viertes an diesem Abend – damit genau drei mehr, als sie normalerweise trank.

Der Wohltätigkeitsball wurde zu Ehren von Annes Vater gegeben. Doch der König von Thomas Isle war wegen seiner Herz­erkrankung zu geschwächt, um an der Veranstaltung teilzunehmen. Annes Mutter weigerte sich, von seiner Seite zu weichen. Deswegen vertraten Anne, Louisa und ihre Brüder Chris und Aaron den König.

Sicher lag es weder im Interesse ihrer Familie noch in ihrem eigenen, wenn Anne sich heute Abend betrank. Und Anne handelte immer im Interesse der Familie. War sie nicht stets die Vernünftigere und Verantwortungsvolle von den Schwestern gewesen? Na ja, fast immer jedenfalls.

In zwei langen Zügen leerte sie ihr Glas, stellte es auf ein Tablett und griff nach einem neuen. Sie nahm sich vor, sich dieses Mal mehr Zeit zum Trinken zu nehmen, aber sie spürte bereits die wärmende und belebende Wirkung des Alkohols – besonders im Kopf. Es war … sehr nett.

„Sie sehen einfach bezaubernd aus, Eure Hoheit“, sagte plötzlich jemand hinter ihr.

Als sie sich umdrehte, sah sie erstaunt Samuel Baldwin an, den Sohn des Premierministers von Thomas Isle. Sam gehörte zu der Sorte Mann, dessen Charme Frauen augenblicklich erlagen. Er wirkte mit seinen dreißig Jahren außerordentlich attraktiv – beinah niedlich, wie Anne fand. Sein lockiges dunkelblondes Haar schien niemals richtig liegen zu wollen, und wenn Sam lächelte, zeigten sich zwei entzückende Grübchen auf seinen Wangen. Er überragte Anne, die etwas über eins siebzig groß war, um einige Zentimeter und war schlank und muskulös. Anne hatte ein- oder zweimal mit ihm gesprochen, doch es war nie mehr als unverfänglicher Small Talk gewesen. Er wurde als einer der begehrtesten Junggesellen der Insel gehandelt und galt als wahrscheinlicher Nachfolger auf das Amt seines Vaters.

Als er sich zur Begrüßung verbeugte, fiel ihm eine Strähne seines widerspenstigen Haars über die Stirn. Anne widerstand der Versuchung, die Haarlocke zurückzustreichen. Sie fragte sich, wie es sich anfühlen mochte, wenn sie ihm mit den Fingern durchs Haar fuhr.

Normalerweise hätte sie Samuel mit zurückhaltender Höflichkeit begrüßt. Allerdings stellte der Alkohol verrückte Sachen mit ihr an, denn sie spürte, wie ihre Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. „Wie nett, Sie zu sehen, Mr. Baldwin.“

„Bitte“, sagte er, „nennen Sie mich doch Sam.“

Aus dem Augenwinkel nahm Anne wahr, wie Louisa eng umschlungen mit dem fremden Mann tanzte, wobei sie einander unentwegt in die Augen sahen. Plötzlich verspürte Anne Eifersucht. Auch sie wollte, dass ein Mann sie so fest in die Arme schloss und sie so ansah, als ob sie die einzige Frau im Saal wäre. So als könne er es nicht erwarten, endlich mit ihr allein zu sein, um sie von seinen leidenschaftlichen Gefühlen zu überzeugen. Nur ein einziges Mal wollte Anne sich … begehrt fühlen. War das denn wirklich zu viel verlangt?

Sie leerte Glas Nummer fünf in einem einzigen Zug. „Würden Sie gern tanzen, Sam?“

Ihr Gesprächspartner wirkte etwas überrascht. Anne vermochte nicht zu sagen, ob es an ihrem ungewöhnlichen Trinkverhalten oder der Einladung zum Tanz lag. Einen Moment lang befürchtete sie, Sam könnte ihre Aufforderung ablehnen. Wäre das nicht pure Ironie angesichts der unzähligen Tanzaufforderungen, die sie im Laufe der Jahre abgeschmettert hatte? Es waren so viele gewesen, dass die Männer mittlerweile aufgegeben hatten.

Doch dann umspielte ein verführerisches Lächeln Sams Lippen, und auf seinen Wangen sah Anne wieder die süßen Grübchen. „Es wäre mir eine Ehre, Eure Hoheit“, erwiderte er und nahm ihre Hand, um Anne auf die Tanzfläche zu führen.

Es war schon so lange her, dass Anne getanzt hatte, dass sie sich etwas unbeholfen vorkam, während Sam mit spielerischer Leichtigkeit den Walzer beherrschte. Vielleicht lag es ja auch nur am Champagner, dass Anne plötzlich etwas wackelig auf den Beinen war. Oder war ihr der würzige Duft von Sams Aftershave zu Kopf gestiegen? Am liebsten hätte Anne sich dicht an Sam geschmiegt, um seinen Duft einzuatmen. Es war schon sehr lange her, dass sie einen Mann derart anziehend gefunden hatte.

Vielleicht schon zu lange.

„Schwarz steht Ihnen ausgezeichnet“, stellte Sam fest.

Anne brauchte einen Augenblick, ehe sie begriff, dass er von ihrem neuen Kleid sprach. Das edle, paillettenbesetzte Designerteil hatte sie auf einem ihrer Streifzüge durch Paris ergattert. Anne war nicht sicher, ob ihr die Farbe wirklich so gut stand – oder einfach nur der Stimmung entsprach, in der Anne beim Ankleiden gewesen war. Jetzt wünschte sie, sich für etwas Helleres und Fröhlicheres entschieden zu haben. Etwa so fröhlich wie Louisa, die ihr heiß geliebtes Pink trug, was mittlerweile zu ihrem Markenzeichen ­geworden war. Ihre Schwester wirkte in dem fröhlichen Kleid wie eine gute Fee. Anne hingegen kam sich eher wie die böse Hexe vor.

„Ja“, erwiderte sie, „fehlt nur noch der spitze schwarze Hut.“

Mit einer solchen Bemerkung konnte man vermutlich jeden Mann in die Flucht schlagen. Aber Sam lachte. Sein tiefes, angenehmes Lachen ging Anne durch und durch, und plötzlich wurde ihr ganz warm. „Ich hatte eher gemeint, dass Schwarz Ihren zarten Teint sehr vorteilhaft betont.“

„Oh, danke schön.“

Als ein langsames Lied gespielt wurde, sah Anne, wie der geheimnisvolle Fremde ihre Schwester dichter an sich zog. Für Annes Geschmack etwas zu dicht.

„Kennen Sie den Mann, der mit meiner Schwester tanzt?“, erkundigte sie sich und deutete mit dem Kinn auf das Paar.

„Das ist Garrett Sutherland, der reichste Grundbesitzer der Insel. Mich überrascht, dass Sie ihn nicht kennen.“

Der Name kam Anne bekannt vor. „Ich habe von ihm gehört. Ich glaube, meine Brüder haben seinen Namen schon mal erwähnt.“

„Sieht so aus, als wären er und Ihre Schwester ziemlich gut miteinander bekannt.“

„Das ist mir auch aufgefallen.“

Er bemerkte, wie Anne ihre Schwester beobachtete. „Sie haben ein Auge auf sie?“

Sie nickte und sah zu Sam. „Jemand muss das schließlich tun. Sie ist manchmal ziemlich leichtgläubig.“

Daraufhin lächelte Sam. Wieder war Anne von seinen Grübchen wie verzaubert, und am liebsten hätte sie ihn auf der Stelle geküsst. „Und wer hat ein Auge auf Sie?“, fragte er.

„Niemand. Ich bin absolut in der Lage, auf mich selbst aufzupassen.“

Er zog sie enger an sich. Dabei lächelte er erneut, sodass Anne wieder heiß wurde. „Sind Sie sich da sicher, Eure Hoheit?“

Flirtete er etwa mit ihr? Männer flirteten niemals mit ihr – es sei denn, sie waren lebensmüde. Samuel Baldwin war ein tapferer Mann. Anne wurde bewusst, dass ihr das gefiel. Sie mochte das Gefühl, das in ihr aufstieg, wenn seine Hand auf ihrem Rücken lag. Wenn ihre Brüste an seinen muskulösen Brustkorb drückten. Sie war noch nie das gewesen, was man als eine besonders sinnliche Frau bezeichnete – obwohl sie einem heißen, kurzen Abenteuer noch nie abgeneigt gewesen war. Doch als sie Sam jetzt so nah war, erwachten Gefühle in ihr, von deren Existenz Anne bis jetzt keine Ahnung gehabt hatte. Oder lag es vielleicht doch am Champagner?

Nein. Der Alkohol war bestimmt nicht verantwortlich für die heiße Begierde, die in ihr emporstieg. Er war auch nicht verantwortlich für das starke Verlangen danach, sich mit Haut und Haaren auszuliefern. Für den Wunsch, Sam einfach die Kleidung vom Leib zu reißen und ihn überall zu berühren. Was er wohl tun würde, wenn sie ihm die Arme um den Nacken schlingen und ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf den Mund geben würde? Seine Lippen sahen so unwiderstehlich sinnlich aus, und Anne hätte liebend gern gewusst, wie sie sich anfühlten – wonach sie schmeckten.

Sie wünschte, sie würde den Mut aufbringen, es zu tun – hier und vor all den Leuten. Wäre sie doch nur ein wenig mehr wie Louisa, die gerade seelenruhig Arm in Arm mit ihrem Tanzpartner in den Garten ging, obwohl alle Gäste ihnen nachsahen.

Vielleicht war es an der Zeit, dass Louisa lernte, auf sich aufzupassen. Zumindest für heute Abend. Denn von diesem Moment an würde sie auf sich allein gestellt sein.

Lächelnd wandte Anne sich an Sam. „Mich freut es, dass Sie an diesem Wohltätigkeitsball teilnehmen. Gefällt es Ihnen hier?“

„Oh ja, sehr. Tut mir leid, dass der König nicht hier sein kann.“

„Ihm stehen einige Eingriffe bevor. Deshalb darf er sich nicht dem Risiko einer Infektion aussetzen. Sein Immunsystem ist immer noch sehr instabil.“

Ihre Geschwister gingen alle davon aus, dass der König sich wieder erholen würde, doch Anne bezweifelte das. In der letzten Zeit hatte ihr Vater so blass und antriebslos gewirkt, dass sie fürchtete, er habe den Lebenswillen verloren.

Obwohl der Rest der Familie voller Hoffnung war, glaubte Anne, dass ihr Vater schon sehr bald sterben würde.

Tiefe Trauer befiel sie bei diesem Gedanken. Verzweifelt versuchte sie, die Tränen und das Schluchzen zurückzuhalten – erfolglos. Eigentlich verlor sie nie die Beherrschung, vor allem nicht in der Gegenwart anderer. Doch der Champagner hatte wohl einen verheerenden Einfluss auf ihre Gefühlswelt. Von einer Sekunde auf die andere stand sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch und konnte nichts dagegen tun.

Nicht hier, flehte sie stumm. Bitte nicht hier vor all den Leuten.

„Anne, geht es Ihnen gut?“ Sam betrachtete sie besorgt. Sein Mitgefühl war fast zu viel für Anne.

Als sie sich auf die Lippe biss und den Kopf schüttelte, reagierte Sam prompt. Behutsam führte er sie von der Tanzfläche, während Anne sich bemühte, die Fassung wiederzuerlangen.

„Wohin?“, fragte Sam leise, als sie aus dem Ballsaal in das überfüllte Foyer gingen. Unzählige Menschen standen dort, nippten an ihren Drinks und unterhielten sich angeregt. Anne sehnte sich nach etwas Abgeschiedenheit, wo niemand Zeuge ihres unvermeidlichen Tränenausbruchs werden würde. Nach einem Ort, an dem sie ihre Kräfte sammeln und ihr Make-up auffrischen konnte, um danach zur Party zurückzukehren, als wäre nichts geschehen.

„In mein Zimmer“, stieß sie hervor.

„Nach oben?“, fragte Sam.

Anne nickte. Mittlerweile biss sie sich so fest auf die Lippe, dass sie Blut schmeckte.

Der Treppenaufgang war mit einem Seil abgesperrt und wurde von zwei Sicherheitsbeamten bewacht. Als Anne und Sam näherkamen, hakte einer von den Männern die Sicherheitsleine aus, um sie durchzulassen.

„Ihre Hoheit war so freundlich, mir einen Schlossrundgang anzubieten“, erklärte Sam Annes Meinung nach überflüssigerweise. Dann bemerkte sie allerdings, dass Sam nicht die Wachen, sondern vielmehr die anwesenden Gäste angesprochen hatte, die ihnen neugierige Blicke zuwarfen.

Sie würde sich später bei Sam bedanken müssen. Doch jetzt war ihr plötzlich noch mehr zum Weinen zumute, weil Sam sich derart um ihren Ruf sorgte und ihr offensichtlich Peinlichkeiten ersparen wollte. Auf halbem Weg in den zweiten Stock liefen ihr die Tränen über die Wangen. Und als sie schließlich ihr Zimmer erreicht hatten und Sam sie hineinführte, weinte Anne richtig.

Sie hatte damit gerechnet, dass Sam sie jetzt allein lassen würde. Aber nachdem er die Tür geschlossen hatte, schlang er die Arme um Anne und zog sie an sich. Das Wissen darum, dass er sich um sie sorgte und deswegen blieb, berührte sie tief. Obwohl sie es versuchte, konnte sie die Tränen immer noch nicht zurückhalten. Sie umklammerte Sam und schluchzte laut – gleichermaßen beschämt und erleichtert über seine Anwesenheit.

„Lass es ruhig heraus, Annie“, flüsterte er und strich ihr über den Rücken und das Haar. Da niemand außer Louisa sie jemals Annie genannt hatte, fühlte Anne sich ihm noch näher. Das ergab keinen Sinn, wenn man bedachte, dass sie ihn ja gar nicht kannte. Trotzdem fühlte es sich an, als ob sie etwas Besonderes miteinander teilten – etwas sehr Persönliches.

So überraschend und überwältigend ihr plötzlicher Ausbruch gewesen war, so schnell war er auch wieder vorbei. Nachdem sie zu schluchzen aufgehört hatte, reichte Sam ihr ein Taschentuch, mit dem sie sich die Augen betupfte.

„Nicht weinen“, sagte er sanft.

„Bitte, erzählen Sie es niemandem!“, bat sie ihn, den Mund dicht an seinem Jackett.

„Man würde mir sowieso nicht glauben.“

Natürlich nicht, schließlich war Anne die Eisprinzessin – die Xanthippe ohne Herz. Doch in Wahrheit fühlte sie genau so wie alle anderen auch, allerdings konnte sie ihre Gefühle wesentlich besser verbergen. Sie wollte nicht länger die Eisprinzessin sein – zumindest nicht mehr an diesem Abend. Heute Abend wollte sie, dass jemand die wahre Anne kennenlernte.

Sam wischte mit dem Daumen Annes letzte Tränen fort. Fasziniert sah sie in seine meerblauen Augen und spürte, dass sich etwas änderte.

Später wusste sie nicht, wer von ihnen den ersten Schritt gemacht hatte – oder ob sie gleichzeitig gehandelt hatten. Aber in dem Moment, in dem sich ihre Lippen berührten, wusste Anne, dass sie keinen Mann so sehr begehrt hatte, wie sie Sam begehrte.

Jeder Mann, der Prinzessin Anne vorwarf, sie würde kalt und gefühllos sein, hatte sie vermutlich niemals geküsst. Sie schmeckte gleichzeitig süß und salzig, nach Champagner und Tränen. Und sie erwiderte Sams Kuss mit einer unglaublichen Leidenschaft.

Sam war nicht sicher, wer hier wen zuerst geküsst hatte, doch es kam ihm so vor, als hätte er ein wildes Tier aus dem Käfig befreit. Anne streifte ihm hastig das Jackett von den Schultern und über die Arme, sie löste den Knoten seiner Fliege. Im nächsten Augenblick zerrte sie an seinem Gürtel, öffnete seine Hose und griff unter seinen Slip, bevor Sam reagieren konnte.

Leise fluchte er, als sie ihn umfasste. Unter normalen Umständen wäre ihm in Anwesenheit eines Mitglieds des Königshauses nie ein derartiges Wort über die Lippen gekommen. Er erkannte die Prinzessin kaum wieder. Sie war eine Frau, deren Leidenschaft entfesselt war. Fest drängte sie ihn rückwärts zum Bett, während sie den Reißverschluss ihres Kleides hinunterzog und es anschließend achtlos auf den Boden warf. Nachdem sie die Hochsteckfrisur gelöst hatte, indem sie den juwelenbesetzten Kamm aus dem Haar gezogen hatte, fiel es ihr in weichen Wellen über die Schulter. Sie lächelte verführerisch, und die Farbe ihrer Augen erinnerte Sam an einen Himmel kurz vor dem Sturm – rauchgrau und aufgewühlt.

Unter normalen Umständen hätte er allerdings auch die Wette kindisch und ungehörig gefunden. Seine Freunde hatten ihn herausgefordert. Sie hatten unterstellt, Sam würde sich nicht trauen, Prinzessin Anne, die Xanthippe, zum Tanz aufzufordern. Sam hatte bereits genug Champagner getrunken, um die Herausforderung anzunehmen. Nie hätte er erwartet, dass die Prinzessin ihm mit ihrer Aufforderung zuvorkommen könnte. Genauso hätte er nicht im Traum daran gedacht, sich in ihrem Schlafzimmer wiederzufinden und Anne nur noch mit einem schwarzen trägerlosen Spitzen-BH und einem passenden Slip bekleidet zu sehen. Jetzt lag sie auf dem Bett und forderte ihn mit einem verführerischen Lächeln auf näherzukommen. Sam bezweifelte, dass sie die Dessous noch lange anhaben würde.

„Zieh dich aus“, befahl sie ihm und griff hinter sich, um den BH-Verschluss zu öffnen. Ihre Brüste waren klein und fest, Sam konnte es kaum erwarten, sie zu berühren, geschweige denn, an ihnen zu saugen. Hastig entledigte er sich seines Hemdes, wobei er einen oder zwei Knöpfe abriss. Genauso schnell hatte er sich den Slip ausgezogen. Dann suchte er seine Brieftasche – und erkannte, dass ihm ein Fehler unterlaufen war. Erneut fluchte er.

„Was ist los?“, wollte Anne wissen.

„Ich habe kein Kondom dabei.“

„Wirklich nicht?“, fragte sie und wirkte niedergeschlagen.

Er schüttelte den Kopf. Es war ja nicht so, dass er heute hierhergekommen war, weil er geglaubt hatte, mit einer Frau im Bett zu landen. Und auch wenn dem so gewesen wäre, hätte er die Dame mit zu sich nach Hause genommen, wo er eine ganze Schachtel Präservative in der Nachttischschublade hatte.

„Ich habe vorgesorgt“, erwiderte Anne.

„Du hast eins?“

„Nein, aber ich habe vorgesorgt.“

Mit anderen Worten, sie nahm die Pille. Warum also nicht? Außerdem sah Anne nicht so aus, als würde sie jetzt noch ein Nein akzeptieren.

Nachdem er seine Hose fallen gelassen hatte, zog Anne ihn zu sich aufs Bett und presste die Lippen in einem wilden, leidenschaftlichen Kuss auf seine. Sie stieß Sam auf den Rücken, um sich mit gespreizten Beinen auf ihn zu setzen. Er hatte das Gefühl, dass er diese Nacht nicht so schnell vergessen würde.

Sie hatten kaum begonnen, und schon war es der beste Sex, den er je gehabt hatte.

2. KAPITEL

Ich habe vorgesorgt, dachte Anne ironisch, als sie sich mit weichen Knien vom Badezimmerfußboden aufrichtete. Sie fühlte sich immer noch schwach und stützte sich am Waschtisch ab. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, als sie das zu Sam gesagt hatte? Sie spülte sich den Mund aus und befeuchtete sich das Gesicht mit kaltem Wasser, bis das Gefühl der Übelkeit allmählich nachließ. Der Familienarzt, den Anne zum Stillschweigen verpflichtet hatte, hatte beteuert, dass sie sich im zweiten Drittel der Schwangerschaft wieder besser fühlen würde.

Aber das ist es wert, sagte sie sich, als sie die Hand auf den Bauch legte. Zunächst hatte sie es nicht fassen können, als sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Sie war noch nicht einmal sicher gewesen, ob sie das Kind behalten wollte. Dann hatte jedoch ihre Schwägerin Melissa Drillinge zur Welt gebracht, und Anne hatte ihre Nichte und die kleinen Neffen im Arm gehalten. In diesem Augenblick hatte sie gewusst, dass sie das Kind bekommen wollte.

Sie würde dieses Baby zur Welt bringen und es großziehen. Natürlich mit der Unterstützung ihrer Familie. Derer sie sich sicher sein konnte, sobald sie ihr davon erzählt haben würde. Bisher wusste nur ihre Zwillingsschwester Louisa davon. Was Sam betraf, wollte er offensichtlich nichts mehr mit ihr zu tun haben.

Ihre gemeinsame Nacht war so fantastisch gewesen wie ein Traum, der endlich Wahrheit wurde. Seit Jahren hatte ihre Schwester von wahrer, schicksalhafter Liebe gesprochen. Und tatsächlich hatten sich Louisas Wünsche auf dem Ball erfüllt. Mittlerweile war sie mit dem geheimnisvollen Garrett Sutherland verheiratet. Doch bevor Sam Anne geküsst hatte und sie sich leidenschaftlich geliebt hatten, bevor sie eng umschlungen eingeschlafen waren, hatte Anne nie wirklich an die Liebe geglaubt. Und jetzt, da sie es tat, schien Sam ihre Gefühle einfach nicht zu erwidern.

Dabei war sie so sicher gewesen, dass es für ihn genauso besonders gewesen war wie für sie – dass sie auf magische Weise miteinander verbunden waren. Als sie allein aufgewacht war und festgestellt hatte, dass er sich mitten in der Nacht ohne Abschied davongestohlen hatte, hatte sie ihre Hoffnung nicht aufgegeben. Immer noch hatte sie auf ein Lebenszeichen von ihm gewartet. Wochenlang hatte sie in der Nähe des Telefons verharrt und da­rauf gehofft, dass es klingelte, und sie Sams Stimme hören würde. Vergebens.

Das hätte aber auch nicht überraschen sollen. Schließlich war Sam Politiker, und es war allgemein bekannt, dass Politik und Adel sich nicht besonders gut vertrugen. Zumal Sam eines Tages Premierminister werden wollte. Dem Gesetz nach war es keinem Mitglied der königlichen Familie gestattet, ein politisches Amt zu bekleiden. Konnte Anne ihm wirklich einen Vorwurf dafür machen, dass er seiner beruflichen Karriere den Vorzug gegeben hatte? Aus diesem Grund hatte Anne beschlossen, ihm nichts von dem Baby zu erzählen.

Sie sah die Schlagzeilen förmlich vor sich: Prinzessin Anne schwanger mit Kind ihrer heimlichen Liebe. Bis zum Ende ihres Lebens würde dieser Makel ihr und – was noch schlimmer war – ihrem Kind anhaften. Trotzdem sah sie keine andere Möglichkeit.

Als sie sich wieder einigermaßen wohlfühlte, beschloss sie, ins Esszimmer zurückzukehren. Gerade als Geoffrey, ihr Butler, den ersten Gang aufgetragen hatte, hatte Anne sich entschuldigt, um ins Bad zu eilen. Sie warf einen letzten verstohlenen Blick in den Spiegel. Ihr Anblick war nicht berauschend, aber es musste eben genügen. Als sie die Tür öffnete, prallte sie beinahe mit ihrem Bruder Chris zusammen, der draußen an der Wand lehnte. Seinem grimmigen Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte er ihr Würgen gehört. Sicher wollte er den Grund dafür wissen.

„Wir müssen reden“, sagte er und deutet mit dem Kopf in Richtung des Arbeitszimmers auf der anderen Seite des Ganges.

„Aber das Essen …“, begann Anne und verstummte, als er ihr einen mahnenden Blick zuwarf.

„Jetzt, Anne.“

Da sie wusste, dass Widerworte keinen Sinn machen würden, folgte sie ihm. Natürlich konnte sie lügen und behaupten, sie leide unter einer Magen-Darm-Grippe. Allerdings würde sie nicht mehr lange ihren wachsenden Bauch vor ihrer Familie verbergen können. Anne war sich nur nicht sicher, ob sie jetzt schon bereit dafür war, mit der Wahrheit herauszurücken. Wusste Chris womöglich bereits Bescheid? Hatte Louisa sich vielleicht verplappert? Falls ja, würde Anne ihr gehörig die Meinung sagen. Anne betrat das Arbeitszimmer und stellte überrascht fest, dass mit Ausnahme von ihren Eltern und den Drillingen die ganze Familie anwesend war.

Aaron und seine Frau Liv saßen mit besorgtem Gesichtsausdruck auf dem Sofa. Louisa und ihr frischgebackener Ehemann Garrett standen am Fenster. Louisa wirkte sehr gequält, und Garrett erweckte den Eindruck, dass er überall lieber gewesen wäre als ausgerechnet hier. Chris’ Frau Melissa stand im Türdurchgang. Noch vor fünf Minuten waren alle beim Dinner im Speisesaal gewesen.

Am liebsten wäre Anne auf der Stelle umgekehrt und geflohen, aber Chris war bereits hinter ihr eingetreten und hatte die Tür geschlossen.

„Vermutlich brauche ich dir nicht zu sagen, warum ich dich hierher gebeten habe“, sagte er.

„Wir machen uns große Sorgen“, meldete Melissa sich zu Wort und stellte sich neben Chris. „Du bist in der letzten Zeit wie ausgewechselt – so blass und abwesend.“

Also wussten sie es nicht – Louisa hatte dichtgehalten.

„Ganz offensichtlich stimmt etwas nicht“, bemerkte Aaron, der sich normalerweise nicht in die Angelegenheiten anderer Leute einmischte. Das konnte nur bedeuten, dass er sich wirklich Sorgen um sie machte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, so lange damit zu warten, die anderen einzuweihen. Sie hatte nicht geglaubt, dass jemandem ihre Veränderung auffallen würde.

„Falls du krank bist …“, begann Melissa.

„Ich bin nicht krank“, versicherte Anne.

„Eine Essstörung ist eine Krankheit“, erklärte Chris.

Belustigt drehte Anne sich zu ihm um. Louisa hatte anfangs denselben Gedanken gehabt. „Chris, wenn ich eine Essstörung hätte, würde ich nach dem Essen auf die Toilette gehen, nicht vorher.“

Er sah nicht aus, als würde er ihr glauben. „Etwas stimmt aber nicht mit dir.“

„Das hängt vom Blickwinkel des Betrachters ab.“

„Wie meinst du das?“, fragte Melissa.

Nun erzähl es ihnen schon, Feigling. „Ich bin schwanger.“

Alle starrten sie fassungslos an – mit Ausnahme von Louisa.

„Falls das ein Witz sein soll, finde ich ihn nicht besonders lustig“, meinte Chris.

„Das ist kein Witz.“

„Natürlich!“, rief Melissa plötzlich aus. „Ich hätte es wissen müssen. Ich habe nur nicht gedacht …“

„… dass ich dumm genug bin, mich in Schwierigkeiten zu bringen?“, beendete Anne ihren Satz.

„Ich habe ja noch nicht einmal gewusst, dass du dich mit jemandem triffst“, sagte Aaron.

„Das tue ich auch nicht. Es war ein One-Night-Stand.“

„Bist du wirklich sicher?“, hakte Chris nach.

Sie hob den Saum ihrer Strickjacke, die sie zum Kaschieren übergezogen hatte, und strich das Kleid über ihrem Bauch glatt. „Und, was meinst du?“

Chris starrte sie überrascht an. „Du meine Güte. Wie weit bist du denn?“

„In der fünfzehnten Woche.“

„Seit vier Monaten bist du schwanger und hast es nicht für nötig erachtet, uns darüber in Kenntnis zu setzen?“

„Das wollte ich zu gegebener Zeit tun.“

„Ach? Wann denn? Wenn die Fruchtwasserblase geplatzt ist, oder was?“, konterte Chris. Melissa legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm.

„Es besteht kein Grund, gleich schnippisch zu werden“, meinte Anne.

„Das sieht dir gar nicht ähnlich“, stellte Chris fest.

„Ich habe es keinesfalls darauf angelegt schwanger zu werden“, verteidigte Anne sich, obwohl Chris recht hatte. Sie hatte sich für ihre Verhältnisse äußerst verantwortungslos gezeigt.

„Wenn das an die Presse kommt, ist die Hölle los“, sagte ­Melissa.

„Und was ist mit dem Lebkuchenmann?“, fragte Louisa. „Sicher nutzt er die Situation aus.“

Bei dem Lebkuchenmann handelte es sich um einen geistig verwirrten Menschen, der seit über einem Jahr die königliche Familie schikanierte. Es hatte damit begonnen, dass er sich in ihr Computersystem eingehackt und Anne und ihren Geschwistern verdrehte und grässliche Versionen von Kinderreimen gemailt hatte. Dann war er trotz aller Sicherheitsvorkehrungen auf das Grundstück des Palastes vorgedrungen und hatte eine seltsame Botschaft hinterlassen. Kurz darauf hatte er sich als Angestellter ausgegeben und Zutritt zum privaten Krankenhauswarteraum der königlichen Familie verschafft. Erst Stunden später hatte der Sicherheitsdienst den Umschlag gefunden, den er dort gelassen hatte. In diesem hatten sich Fotos von Anne und ihren Geschwistern befunden, die an verschiedenen Orten aufgenommen worden waren. Damit hatte der Lebkuchenmann deutlich gemacht, dass er sie stets im Blick hatte.

Manchmal hörten sie mehrere Monate nichts von ihm, und wenn sie dachten, ihn endlich losgeworden zu sein, machte er sich wie aus heiterem Himmel wieder bemerkbar. So hatte er ihnen zu Weihnachten einen Präsentkorb mit verdorbenen Früchten geschickt. Melissa und Chris wiederum gratulierte er in einer Mail zu ihren Drillingen, bevor die Nachricht von Melissas Schwangerschaft überhaupt an die Presse gegeben worden war. Anne war sicher, dass er sich etwas einfallen lassen würde, sobald er von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Doch sie war fest entschlossen, sich nicht von ihm provozieren zu lassen – diese Befriedigung gönnte sie ihm nicht. „Ist mir egal, was der Lebkuchenmann macht“, erwiderte sie und reckte trotzig das Kinn. „Ich bin ja dafür, ihm eine Falle zu stellen, damit er einen Fehler macht und endlich gefasst wird.“

„Was wir nicht tun, wie wir abgestimmt haben“, erklärte Chris streng.

„Was ist mit dem Vater des Kindes? Steht er zu seiner Vaterschaft?“, erkundigte sich Aaron.

„Wie ich schon gesagt habe, es ist ein One-Night-Stand gewesen.“

„Er hat also nicht um deine Hand angehalten?“, fragte Chris missmutig.

Jetzt wurde es ein wenig kniffelig, „Nein, er ist auch nicht adlig.“

„Das interessiert mich nicht. Er muss die Verantwortung für sein Handeln übernehmen.“

„Er ist aus dem Rennen“, betonte Anne.

„Auf seinen Wunsch hin?“, wollte Aaron wissen.

Anne biss sich auf die Lippe.

„Anne?“, bohrte Chris nach. Als sie weiterhin schwieg, stieß ihr Bruder einen verhaltenen Fluch aus. „Er weiß es nicht, stimmt’s?“

„Das ist auch besser so.“

„Es liegt nicht an dir, das zu entscheiden“, sagte Chris. „Mir ist egal, wer er ist. Aber er hat ein Recht zu erfahren, dass er Vater wird. Es ist gewissenlos, wenn du es ihm verheimlichst.“

Anne wusste ja, dass das stimmte. Aber ihre Verbitterung machte sie trotzig. Wenn Sam sie nicht wollte, hatte er auch keinen Anspruch auf das Kind.

„Sam ist zwar ein Politiker, aber trotzdem ein guter Mensch“, fügte Chris hinzu.

Verblüfft sah Anne ihn an. Sie hatte niemandem erzählt, wer der Vater war. Noch nicht einmal Louisa wusste es. „Woher weißt du …“

„Pure Mathematik. Es muss in dem Zeitraum geschehen sein, als der Ball stattgefunden hat. Und hast du geglaubt, niemandem wäre aufgefallen, dass Sam mitten in der Nacht aus dem Palast geschlichen ist?“

Nein, natürlich nicht. „Und warum hast du nie was gesagt?“

„Du bist erwachsen. Was hätte ich sagen sollen? Solange du diskret vorgehst, ist es einzig und allein deine Sache, mit wem du schläfst.“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern. „Aber jetzt musst du ihn anrufen und ein Treffen mit ihm vereinbaren.“

„Warum? Damit du mit ihm sprechen kannst?“

„Nein. Damit du mit ihm sprichst. Nicht nur Sam, sondern auch dem Baby gegenüber wäre das unfair. Es verdient eine Chance, seinen oder ihren Vater kennenzulernen. Wenn Sam das will.“

„Stimmt“, sagte Louisa. „Versetz dich doch mal in Sams Lage.“

„Du solltest ihm die Wahrheit erzählen“, bekräftigte Aaron.

Anne nestelte an dem Saum ihrer Jacke herum und traute sich nicht, Chris in die Augen zu sehen. Er hatte ja recht. „Ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll.“

„Also“, meinte Melissa. „Das Beste ist wohl, wenn du mit der Wahrheit beginnst.“

Sam hatte gerade ein wichtiges Telefonat beendet, als seine Assistentin Grace ihn anrief. „Sie haben Besuch, Sir.“

Er konnte sich nicht daran erinnern, an diesem Nachmittag jemanden zu erwarten.

„Hat er einen Termin?“, fragte Sam nach.

„Nein, Sir, aber …“

„Dann habe ich auch keine Zeit. Ich stehe gern zur Verfügung, sobald er einen Termin mit Ihnen ausgemacht hat.“

Es klopfte an der Tür, und Sam stöhnte innerlich auf. „Was ist denn noch?“, meinte er gereizt.

Als die Tür sich öffnete, kam nicht Grace herein, sondern Anne. Prinzessin Anne, verbesserte Sam sich. Nur weil er eine Nacht mit ihr im Bett verbracht hatte, durfte er die Formalitäten nicht vergessen.

„Eure Hoheit“, sagte er und stand auf, um sich zu verbeugen. Trotzdem wurde er die Erinnerung an die nackte Anne nicht los, wie sie auf ihm gesessen und in leidenschaftlicher Ekstase den Gipfel der Lust erklommen hatte. Das war nicht nur einfach Sex gewesen – hemmungslos hatten sie einander hingegeben und ihre wildesten Fantasien ausgelebt. Was für eine Schande, dass sie das nicht wiederholen würden.

Bestimmt ein Dutzend Mal hatte er nach ihrer gemeinsamen Nacht das Telefon in die Hand genommen, doch bevor er wählen konnte, hatte ihn die ernüchternde Wahrheit eingeholt. Gleichgültig, wie tief er sich Anne verbunden fühlte und wie sehr er sie begehrte – er konnte sie nicht haben, wenn er Premierminister werden wollte. Er hatte gewusst, dass er Opfer würde bringen müssen, um Karriere zu machen. Doch nie war es ihm so schwergefallen wie jetzt.

„Ist es gerade ungünstig?“, fragte Anne.

„Nein, natürlich nicht. Kommen Sie doch bitte herein.“

Sie betrat das Büro und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Obwohl sie meistens cool und beherrscht wirkte, kam sie ihm heute ein bisschen nervös vor. Ihm fiel auf, dass sie überallhin sah, nur nicht zu ihm.

„Tut mir leid, dass ich dich so überfalle, aber ich hatte Angst, dass du dich vielleicht weigern würdest, mich zu empfangen.“

„Sie sind jederzeit willkommen, Eure Hoheit.“ Er trat auf sie zu und deutete auf die Sitzgruppe. „Bitte, nehmen Sie doch Platz. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

„Nein, vielen Dank.“ Zögerlich setzte sie sich auf die Kante des Sofas und umklammerte die Handtasche auf ihrem Schoß. Sam setzte sich in einen Sessel und betrachtete Anne. Sie wirkte dünner als das letzte Mal. Plötzlich wurde sie ganz blass. Mit panikerfüllter Stimme fragte sie: „Wo ist die Toilette?“

Er wies in die Richtung. „Durch die …“

Bevor er den Satz zu Ende bringen konnte, war Anne bereits aufgesprungen, presste eine Hand vor den Mund und eilte zur Toilette. Beinahe hätte es komisch gewirkt, doch Sam machte sich Sorgen, weswegen er ihr folgte und vor der Tür wartete. Den Geräuschen nach zu urteilen war es Anne furchtbar schlecht. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Aber weswegen kam sie zu ihm? Sie kannten einander kaum.

Endlich hörte er die Wasserspülung. „Soll ich Hilfe rufen?“, fragte er, als Anne blass und zittrig wieder herauskam.

„Nein, mir geht es gut. Ist mir nur so wahnsinnig peinlich. Ich hätte vorher wirklich nichts essen sollen.“

„Warum setzten Sie sich nicht einfach?“ Er streckte den Arm aus, um ihr zu helfen, aber sie winkte ab.

„Ich kann das allein.“ Etwas wackelig auf den Beinen kehrte sie in sein Büro zurück und setzte sich wieder.

Sam blieb vor ihr stehen. „Verzeihen Sie mir meine Unverschämtheit, Eure Hoheit, aber sind Sie krank?“

„Sam, wir sind so intim miteinander gewesen, wie man es nur sein kann, also nenn mich bitte Anne. Und nein, ich bin nicht krank – zumindest nicht so, wie du vielleicht denken magst.“

„Wie denn sonst?“

Sie holte tief Luft. „Ich bin schwanger.“

„Schwanger?“, wiederholte er, und sie nickte. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Er hatte keine andere Frau ansehen können, ohne an Anne zu denken, aber sie schien kein Problem gehabt zu haben, sich einen neuen Lover zu suchen. Warum sollte sie auch? Vielleicht war diese Nacht ja gar nicht so fantastisch für sie gewesen, wie sie ihm vorgekommen war. Das wäre eine Erklärung dafür, dass sie keinen Versuch unternommen hatte, ihn hinterher zu kontaktieren. „Das habe ich nicht gewusst. Herzlichen Glückwunsch.“

Sie bedachte ihn mit einem seltsamen Blick. „Ich bin im vierten Monat.“

Im vierten Monat? Ihre gemeinsame Nacht war genau vor …

Plötzlich wurde ihm flau im Magen.

„Ja, es ist dein Kind“, sagte Anne.

Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. „Bist du sicher?“

Sie nickte. „Es hat niemand anderen gegeben. Nicht danach und auch lange Zeit davor nicht.“

„Hast du nicht gesagt, dass du verhütest?“

„Vermutlich gibt es für nichts eine hundertprozentige Sicherheit.“

Offensichtlich nicht.

„Wenn du einen DNA-Test wünschst …“

„Nein“, erwiderte er. „Ich vertraue dir.“ Warum sollte sie ihn anlügen? Er würde Vater werden. Er hatte immer vorgehabt, eines Tages eine Familie zu gründen, aber erst, wenn er mit seiner Karriere ein Stück weitergekommen wäre. Und nur mit der richtigen Frau.

„Wahrscheinlich fragst du dich, warum ich es dir jetzt erst erzähle“, sagte Anne.

Unter anderem. „Und warum hast du so lange gewartet?“

„Ich habe dich nicht damit belasten wollen. Ich wollte nicht, dass du dich verpflichtet fühlst. Jetzt weiß ich, dass das unfair von mir gewesen ist. Und ich entschuldige mich dafür. Du sollst wissen, dass ich nichts von dir erwarte. Ich bin durchaus in der Lage, allein ein Kind großzuziehen. Ob du ein Teil seines Lebens werden möchtest, liegt ganz allein bei dir.“

Was dachte sie von ihm? „Lass uns eine Sache mal klarstellen“, erwiderte er. „Das ist auch mein Kind, und ich werde ein Teil seines Lebens sein.“

„Selbstverständlich“, beschwichtigte sie ihn. „Ich bin mir nur nicht sicher gewesen. Einige Männer …“

„Ich bin nicht wie einige Männer“, unterbrach er sie. „Und ich hoffe, das ist kein Problem für dich und deine Familie.“

„Nein, natürlich nicht. Ich finde es wundervoll. Ein Kind sollte Vater und Mutter haben.“

Er lehnte sich im Sessel zurück und schüttelte den Kopf. „Ich bin … Wow … Das ist eine ziemliche Überraschung.“

„Ich weiß nur zu gut, was du meinst. Ich hatte auch nicht vorgehabt, auf diese Weise eine Familie zu gründen.“

„Ich schätze, wir werden es bekannt geben müssen.“ Er konnte sich schon vorstellen, was seine Freunde dazu sagen würden. Noch wochenlang nach dem Ball hatten sie versucht, aus ihm herauszulocken, was zwischen ihm und der Prinzessin an jenem Abend gewesen war, aber Sam hatte geschwiegen. Jetzt würde es jeder erfahren. Allerdings schämte er sich keineswegs dessen, was er getan hatte. „Du weißt, dass die Presse gemein sein kann.“

„Ja. Sobald sie erfahren, dass du der Vater bist und wir kein Paar sind, wird man uns nicht mehr in Ruhe lassen.“

Falls sie auf diese Weise eine mögliche gemeinsame Zukunft mit ihm andeuten wollte, würde er sie leider enttäuschen müssen. Keineswegs würde er all seine Träume, für die er so lange gearbeitet hatte, für einen One-Night-Stand aufgeben.

Anne bedeutete ihm etwas, und er fühlte Verlangen nach ihr, aber eine Ehe war völlig ausgeschlossen.

3. KAPITEL

„Die Presse wird sich eben an den Gedanken gewöhnen müssen, dass wir nur Freunde sind“, sagte Sam.

„Ich hoffe, dass wir das sind – um des Babys willen“, erwiderte Anne.

„Und deine Familie? Was hält die davon?“

„Bisher wissen es nur meine Geschwister. Sie waren überrascht, aber hilfsbereit. Mit der Gesundheit meines Vaters steht es im Augenblick nicht zum Besten, deswegen wollen wir es ihm und meiner Mutter erst später erzählen. Ich muss zugeben, dass du die Nachricht besser aufnimmst, als ich befürchtet habe. Ich habe gedacht, du würdest vielleicht sauer sein.“

„Es ist ein Unfall gewesen. Warum sollte ich sauer sein? Du hast mich schließlich nicht gezwungen.“

„Ach nein?“

Er konnte nicht leugnen, dass sie angefangen hatte und dabei ziemlich selbstbewusst vorgegangen war. Doch er hatte willig mitgemacht. „Anne, wir sind beide dafür verantwortlich.“

„Nicht alle Männer würden so denken.“

„Wie gesagt, ich bin nicht wie andere Männer.“

Eine Weile stellte sich peinliches Schweigen zwischen ihnen ein. Um es zu unterbrechen, fragte Sam: „Ist alles in Ordnung? Mit der Schwangerschaft, meine ich. Geht es dir und dem Baby gut?“

„Oh ja“, beteuerte sie und berührte instinktiv ihren Bauch. „Alles ist bestens und verläuft ganz nach Plan.“

„Weißt du, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?“

„Nicht vor meiner nächsten Ultraschalluntersuchung im kommenden Monat.“ Sie hielt kurz inne. „Du kannst mitkommen, wenn du willst.“

„Sehr gern. Kann man schon etwas sehen?“

„Einen kleinen Bauch. Willst du ihn sehen?“ Sie überraschte Sam, indem sie ihr Top hochzog und ihren bloßen Bauch zeigte.

Warum sollte sie auch schüchtern sein? Sam hatte schließlich mehr von ihr gesehen. Bevor er wusste, wie ihm geschah, fragte er: „Darf ich mal anfassen?“

„Na klar.“ Sie machte eine aufmunternde Handbewegung.

Er setzte sich neben sie auf das Sofa, und sie nahm seine Hand, um sie auf ihren Bauch zu legen. Sie fühlte sich warm und weich an, und der vertraute Geruch ihrer Haut raubte ihm fast den Verstand. Möglicherweise war das keine gute Idee gewesen, denn obwohl er wusste, dass sie nicht zusammen sein konnten, begehrte er sie nichtsdestotrotz. Außerdem verspürte er das Verlangen, Anne zu beschützen, da sie ihr gemeinsames Baby in sich trug. Genau dasselbe hatte er in der Nacht empfunden, in der sie sich geliebt hatten.

„Merkst du, wie es sich bewegt?“, erkundigte er sich.

„Nur ganz schwach. Aber wenn du hier mal drückst …“, sagte sie und presste seine Finger an ihren Bauch, sodass er etwas Festes spürte. Lächelnd sah Anne zu ihm auf. Ihre Lippen waren nur wenige Zentimeter von seinen entfernt. „Spürst du das?“

Das tat er, und nur mühsam widerstand er der Versuchung, sich vorzubeugen und sie zu küssen. Er atmete den Duft ihres Haars und ihrer Haut ein und verzehrte sich danach, sie wieder zu berühren und mit ihr zu schlafen. Aber eine sexuelle Beziehung würde während der Schwangerschaft sicher zu einem emotionalen Desaster werden.

Anne schien zu ahnen, was er gerade dachte, denn plötzlich errötete sie, und Sam sah an ihrem Hals, wie heftig ihr Puls schlug. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, beugte er sich vor, und sie hob ihr Kinn. Es schien, als bestünde eine magische Anziehungskraft zwischen ihnen.

Glücklicherweise kam er im letzten Moment wieder zur Besinnung und drehte rasch den Kopf weg. Er nahm die Hände von ihrem Bauch und stand auf. Mit wild schlagendem Herzen beo­bachtete er, dass Anne nicht länger blass und zittrig, sondern vielmehr fiebrig vor Verlangen wirkte.

„Das ist keine gute Idee“, stellte er fest.

„Das stimmt.“ Sie nickte heftig. „Ich habe nicht nachgedacht.“

„Das Beste für uns beide ist, wenn wir diese Beziehung platonisch halten. Ansonsten könnte es verwirrend werden.“

„Sehr verwirrend, ja.“

„Was eine Herausforderung darstellen könnte“, fügte er hinzu. Es war nur fair, wenn er völlig ehrlich in diesem Punkt mit ihr war. Immerhin war sie bisher auch sehr entgegenkommend gewesen. „Zweifellos fühle ich mich immer noch sehr zu dir hingezogen.“

„Es scheint so eine Art Verbindung zu bestehen.“

Das war milde ausgedrückt. Sam kostete es unglaubliche Willenskraft, jetzt nicht gleich im Büro über Anne herzufallen und mit ihr Sex zu haben. Schwanger oder nicht schwanger, er wollte sie ausziehen, in ihr sein und sie auf den Gipfel der Lust katapultieren. Sie lieben, bis sie vor Verlangen aufschrie. So wie sie es in der Nacht in ihrem Schlafzimmer getan hatte. Noch nie war ihm eine Frau begegnet, die so stark auf seine Berührungen reagierte und sich derart bereitwillig dem Rausch der Sinne hingab. Er fragte sich, ob ihre Schwangerschaft das wohl geändert haben mochte. Ihm war zu Ohren gekommen, dass einige Frauen in dieser Zeit sogar noch sensibler reagierten. Das stimmte möglicherweise, denn er sah, dass ihre Brustwarzen unter der Bluse hart geworden waren. Ihre Brüste sahen größer aus, runder und voller. Was sie wohl tun würde, wenn er eine ihrer Brüste mit dem Mund …? Er schluckte hart und drehte sich zu seinem Schreibtisch um, damit Anne nicht mitbekam, wie erregt er war. „Du hast von einer Ul­traschalluntersuchung gesprochen. Weißt du, wann genau das sein soll? Dann kann ich gleich den Termin eintragen.“

Sie nannte ihm die Daten, und Sam setzte sich hinter den Schreibtisch, wo er sich in Sicherheit wähnte, um alles zu notieren.

„Vielleicht könnten wir am Freitag ja gemeinsam zu Abend essen“, schlug sie vor und fügte hastig hinzu: „Rein platonisch, versteht sich. Dann können wir darüber reden, wie wir die Dinge in Zukunft angehen wollen – etwa den Umgang mit der Presse und das Sorgerecht.“

Damit würde er drei Tage lang Zeit haben, sich über alles in Ruhe Gedanken zu machen. Er zog es stets vor, einen gut durchdachten Plan zu ersinnen, bevor er sich auf Verhandlungen jedweder Art einließ. „Wie wäre es, wenn wir bei mir essen? Um neunzehn Uhr?“

„Wenn es dir nichts ausmacht, dass dein Anwesen von Sicherheitsleuten überschwemmt wird. Wir haben zurzeit höchste Alarmstufe.“

Er runzelte die Stirn. „Werdet ihr denn immer noch belästigt?“

„Unglücklicherweise ja.“

Was er wusste, hatte er in den Zeitungen gelesen. „Es ist also ernst“, sagte er.

„Ernster als die meisten denken, schätze ich. Es hat Drohungen gegeben. Ich muss dich warnen: Es ist möglich, dass auch du ein Ziel wirst, sobald offiziell eine Verbindung zwischen uns besteht.“

„Ich habe keine Angst. Was das Baby betrifft, nehme ich an, dass du der Presse erst Bescheid gibst, nachdem du mit deinem Vater gesprochen hast.“

„Genau.“

„Ich würde es gern meiner Familie erzählen – natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit.“

„Ja, klar. Glaubst du, dass deine Eltern verärgert sein werden?“

Der Ausdruck von Verletzlichkeit in ihrem Blick überraschte Sam. Er hätte nicht gedacht, dass Anne sich vor irgendetwas fürchtete. Oder darum scherte, was man von ihr hielt. Allerdings hatte er in der Nacht nach dem Ball erlebt, dass Anne längst nicht so tough war, wie sie vorgab zu sein. „Natürlich kommt es überraschend für sie, aber sie freuen sich bestimmt“, versicherte er. Er hoffte nur, dass das auch stimmte.

Am selben Abend besuchte Sam seine Eltern, um ihnen die Neuigkeiten zu überbringen. Als er ankam, waren sie gerade mit dem Abendbrot fertig und saßen mit Cognacschwenkern auf der Veranda, um den Sonnenuntergang zu genießen. Trotz der politischen Ämter seines Vaters und der Karriere seiner Mutter, die Opernsängerin war, nahmen die beiden sich stets Zeit füreinander. Nach vierzig Jahren waren sie immer noch glücklich verheiratet und gut in Form. So eine Ehe hatte Sam sich auch für sich vorgestellt. Bisher war ihm allerdings noch keine Frau begegnet, mit der er den Rest seines Lebens verbringen wollte. Außer Anne, dachte er widerwillig. Was für eine Ironie des Schicksals: Endlich hatte er diese eine Frau gefunden und durfte sie nicht haben. Er war nicht sicher, wie seine Eltern auf die Nachricht reagieren würden, Großeltern eines zukünftigen Thronerben von Thomas Isle zu werden, aber sie hielten sich recht wacker. Vermutlich, weil sie sich schon so lange nach Enkeln sehnten, doch Adam, Sams älterer Bruder, hatte ihnen bisher noch keine beschert.

„Das klingt jetzt gewiss furchtbar altmodisch“, sagte seine Mutter. „Aber wir würden dich natürlich gern verheiratet sehen.“

„Mom …“

„Wie auch immer“, fuhr sie fort. „Wir verstehen, wenn du tust, was du für das Richtige hältst.“

„Würde ich Anne heiraten, dann würde ich zum Königshaus gehören und könnte niemals Premierminister werden. Zu so einem Opfer bin ich nicht bereit.“ Daran hätte er ja eigentlich auch schon denken können, als er mit ihr geschlafen hatte, oder? Vermutlich dachte seine Mutter das auch.

„Das Kind würde dann aber deinen Namen tragen“, wandte sein Vater ein.

„Dafür brauche ich nicht verheiratet zu sein. Es trägt seit dem Moment seiner Zeugung meinen Namen.“

„Vielleicht kann ich die Prinzessin zum Tee einladen“, überlegte seine Mutter und fügte hinzu, als sie Sams misstrauischen Blick bemerkte: „Ich werde ja wohl das Recht haben, mehr über die Mutter meines zukünftigen Enkels zu erfahren.“

Das stimmte. Anne würde ihrem Wunsch sicher gern nachkommen. Liebten schwangere Frauen es nicht, mit anderen Frauen über ihre Schwangerschaft zu sprechen? „Ich schlage es ihr vor.“

„Du weißt schon, dass es kompliziert ist“, sagte sein Vater. „Sie denken anders als wir.“

„Sie?“

„Die Royals.“

„Sie sind gar nicht so anders als wir“, erwiderte Sam. „Zumindest Anne nicht. Sie ist sogar ziemlich bodenständig.“

„Sie soll ja ganz reizend sein“, meinte seine Mutter.

Obwohl sie es nicht aussprach, wusste Sam, was sie dachte. Was seine Eltern dachten. Sam konnte nicht leugnen, vor seiner Nacht mit Anne derselben Meinung gewesen zu sein. „Vermutlich hast du schon das ein oder andere Gerücht über sie gehört. Nicht sehr schmeichelhafte Dinge. Aber sie ist anders, als man erwarten könnte. Sie ist intelligent und bezaubernd.“ Und darüber hinaus fantastisch im Bett …

„Das klingt ja so, als wärst du sehr angetan von ihr“, bemerkte seine Mutter wenig taktvoll.

Das stimmte. Vermutlich mehr, als gut für ihn war. Er hoffte nur, dass man Anne ihre Schwangerschaft bald stärker ansehen würde. Wenn das Baby erst einmal auf der Welt war, würde es bestimmt leichter für Sam, in Anne lediglich die Mutter seines Kindes und nicht mehr die aufregende Sexpartnerin zu sehen.

„Ich bin guter Dinge, dass Anne und ich um des Kindes willen gute Freunde sein werden – mehr jedoch nicht.“

Er wusste, dass er seine Eltern damit enttäuschte. So hatten sie sich seine Zukunft bestimmt nicht vorgestellt – und Sam erging es nicht anders. Vielmehr hatte er sich gewünscht, dass es ihm so erging wie seinen Eltern. Er hatte eine Frau kennenlernen und über eine gewisse Zeit treffen, sie heiraten und eine Familie gründen wollen. Später würde er Premierminister werden, was seiner Frau ermöglichen würde, neben ihrer verantwortungsvollen Aufgabe als Gattin des Ministers auch noch die Familie in den Mittelpunkt zu stellen.

So viel also zu diesem Plan.

„Solange du glücklich bist, sind wir es auch“, sagte seine Mutter.

Sam hoffte, dass sie es wirklich auch so meinte. Obwohl seine Eltern sich nichts anmerken ließen, wurde er das Gefühl nicht los, sie enttäuscht zu haben – dass er sogar von sich selbst enttäuscht war.

Und was noch schlimmer war: Wäre er eine Enttäuschung für sein Kind?

Es war ein Unfall gewesen, doch allein das Baby würde da­runter zu leiden haben. Die Presse würde sich erbarmungslos auf das Kind stürzen. Als Angehöriger des Königshauses würde ihm seine uneheliche Herkunft ein Leben lang anhängen. War es wirklich fair, das Schicksal des Kindes Sams eigensüchtigen Zielen zu opfern?

Darüber würde er noch nachdenken müssen.

Als er am Abend wieder bei sich zu Hause war, rief ihn die persönliche Assistentin von Prinz Christian auf seinem Handy an, um ihm eine Nachricht des Prinzen zu übermitteln. „Seine Hoheit Prinz Christian wünscht Ihre Anwesenheit morgen um dreizehn Uhr dreißig in den Privaträumen der königlichen Familie im Thomas-Bay-Jachtclub“, erklärte die Assistentin.

Ach, wünschte er das? Für ein Geschäftstreffen war das ein ungewöhnlicher Treffpunkt. Es sei denn, es handelte sich nicht um etwas Geschäftliches. „Worum geht es denn?“, fragte er nach.

„Um eine private Angelegenheit.“

So viel also zu der Hoffnung, dass es eine Angelegenheit zwischen Anne und Sam bleiben würde. Das hätte er sich denken können. Prinz Christian betrachtete es vermutlich als seine Pflicht, auf seine Schwester aufzupassen. Allerdings würde Sam sich nicht von ihm einschüchtern oder herumstoßen lassen.

„Richten Sie dem Prinzen bitte aus, dass ich mich gern mit ihm um fünfzehn Uhr treffe.“

Eine kurze Pause entstand. Offensichtlich war der Assistentin nicht in den Sinn gekommen, dass jemand die Einladung eines Prinzen abschlagen könnte. Schließlich sagte sie: „Könnten Sie bitte einen Moment warten?“

„Selbstverständlich.“

Nach einigen Minuten meldete sie sich wieder. „Fünfzehn Uhr geht in Ordnung. Der Prinz bittet Sie, dieses Treffen vertraulich zu behandeln, da es sich um eine sensible Angelegenheit handelt.“

Das bedeutete vermutlich, dass Anne keine Ahnung von diesem Treffen hatte – und dass der Prinz es auch dabei belassen wollte. Sam bezweifelte nicht, dass Christian versuchen würde, ihn zu einer Ehe mit Anne zu überreden. Hätte Sam eine Schwester in einer vergleichbaren Situation, hätte er genau dasselbe getan.

Doch sie lebten mittlerweile im einundzwanzigsten Jahrhundert, und ständig kamen uneheliche Kinder auf die Welt – gelegentlich sogar bei den Royals. Prinzessin Melissa von der Nachbarinsel Morgan Isle war die Ehefrau von Prinz Christian – und unehelicher Abstammung. Wäre ein Skandal wirklich so furchtbar für die Königsfamilie? Doch lag es andererseits nicht in der Verantwortung eines Vaters, sein Kind zu schützen? Es stellte sich nur die Frage, um welchen Preis.

In dieser Nacht schlief Sam nicht besonders gut, und am nächsten Tag hatte er Schwierigkeiten, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er war beinahe erleichtert, als er das Büro frühzeitig verließ, obwohl er bezweifelte, dass das Treffen eine angenehme Abwechslung werden würde.

Er kam fünf Minuten zu früh an. Der Prinz saß bereits in einem großen Ledersessel neben einem Fenster, von dem aus man den Jachthafen überblicken konnte. Als Sam eintrat, stand der Prinz auf, um ihn zu begrüßen.

„Eure Hoheit.“ Sam verbeugte sich und schüttelte danach kurz die Hand, die Prinz Christian ihm anbot.

„Freut mich, dass Sie meine Einladung annehmen konnten“, sagte der Prinz.

„Mir war nicht klar, dass mir eine Wahl geblieben wäre.“

„Tut mir leid, wenn Sie diesen Eindruck gehabt haben. Ich habe nur gedacht, dass ein freundliches Gespräch angesichts der Situation angemessen wäre.“

Freundlich? Das bezweifelte Sam.

Der Prinz deutete auf einen Sessel. „Bitte, setzen Sie sich. Möchten Sie einen Drink?“

„Nein, danke. Ich möchte nicht respektlos erscheinen, Eure Hoheit, falls es aber in diesem Gespräch darum gehen soll, dass ich der Vater des Kindes Ihrer Schwester bin, gibt es nichts, worüber wir reden könnten.“

Seine unverhohlene Aussage schien den Prinzen zu überraschen. „Wirklich?“

„Ja.“

„Leider kann ich Ihnen da nicht zustimmen.“

„Das ist eine Sache zwischen mir und Anne.“

„Ich wünschte wirklich, dass es so wäre. Doch leider hat Annes Handeln Auswirkungen auf die ganze Familie. Ich hatte gehofft, dass Sie das Richtige tun würden, aber es sieht wohl nicht danach aus.“

„Natürlich tue ich das Richtige – was ich für das Richtige halte.“

„Und darf ich erfahren, was das für Sie ist?“

„Wie ich bereits sagte: Es ist eine Angelegenheit zwischen mir und der Mutter meines Kindes.“

Prinz Christians Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Offensichtlich missfiel ihm Sams Widerstand. Doch Sam weigerte sich, sich von dem Prinzen oder einem anderen Mitglied des Königshauses etwas vorschreiben zu lassen.

Der Thronerbe beugte sich vor. „Ich lasse nicht zu, dass der Ruf meiner Schwester oder ihres Kindes darunter leidet, nur weil Sie Ihre Finger nicht bei sich behalten konnten.“

„Wenn Sie sich besser fühlen, indem Sie mich verantwortlich machen, dann kann ich damit leben.“

„Sie benehmen sich unvernünftig.“

„Ganz im Gegenteil. Ich bin sehr vernünftig. Ich nehme Rücksicht auf die Privatsphäre Ihrer Schwester.“

„Das hier betrifft mehr Leute als Sie und Anne. Wie Sie wissen, geht es unserem Vater nicht besonders gut. Ein Skandal wie dieser könnte mehr sein, als sein Herz aushält.“

Sam schmälerte jetzt nicht nur den guten Ruf des Königshauses, sondern sollte auch für das mögliche Ableben des Königs verantwortlich sein? „Das tut mir wirklich leid, aber ich rede trotzdem nicht mit Ihnen darüber.“

„Ich könnte dafür sorgen, dass Ihr Leben unangenehm wird“, erklärte der Prinz in unheilvollem Tonfall. „Wenn ich den Eindruck habe, dass Sie den Ruf meiner Schwester gefährden, nutze ich jede Gelegenheit, um Ihnen eins auszuwischen.“

Was für ein freundliches Gespräch. Sam war allerdings nicht überrascht und zuckte mit den Schultern. „Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Eure Hoheit. Ich werde trotzdem meine privaten Angelegenheiten nicht mit Ihnen diskutieren.“

Einen langen Augenblick starrte Christian ihn schweigend an, und Sam bereitete sich innerlich auf einen Wutausbruch vor. Stattdessen schüttelte der Prinz dann aber den Kopf und lachte. „Du meine Güte, Baldwin, Sie haben vielleicht Nerven.“

„Ich komme nicht besonders gut klar mit Drohungen.“

„Und ich möchte Ihnen auch gar nicht drohen. Aber es ist meine Pflicht, mich um meine Familie zu kümmern. Um ehrlich zu sein, würden wir dieses Gespräch gar nicht führen, wenn es um die Gesundheit meines Vaters nicht so schlecht bestellt wäre. Er ist sehr schwach und würde sich sicher wahnsinnig darüber freuen, wenn seine älteste Tochter vor der Geburt ihres Kindes heiraten würde.“

Obwohl Sam Prinz Christians Verhalten nicht billigte, empfand er Mitleid für ihn. „Mir tut es wirklich leid, dass es Ihrem Vater so schlecht geht. Ich habe die größte Hochachtung vor ihm.“

„Und ich kann mich in Ihre Situation hineinversetzen, Sam, wirklich. Es ist allgemein bekannt, dass Sie vorhaben, in die Fußstapfen Ihres Vaters zu treten. Ich bin überzeugt, dass Ihnen das gelingen wird. Doch wenn Sie meine Schwester heiraten würden, ginge das nicht mehr. Sie haben einen außerordentlich guten Ruf als außenpolitischer Berater. Im Falle einer Ehe mit meiner Schwester würde man Ihnen eine einflussreiche Position in der Monarchie anbieten.“

Dieser Gedanke war nicht sehr verlockend, strebte Sam doch nach Höherem.

„Haben Sie mal daran gedacht, wie schwierig es für Ihr Kind sein wird, unehelich aufzuwachsen?“

„Daran denke ich ständig.“ Und je mehr er das tat, umso eher kam er zu dem Schluss, dass es die weiseste Entscheidung wäre, Anne zu heiraten. Sie hatten die Schwangerschaft nicht geplant, aber es war nun mal passiert. Ab jetzt stand das Wohl des Kindes über allem – auch über seinen politischen Zielen.

„Wie ist es denn so?“, fragte Sam. „Wenn man Vater ist?“

Das Lächeln des Prinzen brachte die Zuneigung für seine Kinder deutlich zum Ausdruck. „Beglückend und erschreckend zugleich – und das Beste, was mir je in meinem Leben widerfahren ist. Schöner als ich es mir jemals hätte vorstellen können. Einfach überwältigend.“

„Und wenn Sie vor der Wahl stünden, Ihren Thron abzugeben, da Ihre Kinder ansonsten ein Leben in Schande führen müssten?“

„Keine Frage. Meine Kinder kommen an erster Stelle.“

Wie es sein sollte.

„Sie wissen ja sicherlich, dass meine Frau unehelich geboren wurde“, sagte der Prinz.

Sam nickte.

„Sie ist über dreißig gewesen, als sie von ihrer königlichen Abstammung erfahren hat. Trotzdem ist es äußerst schwierig für sie gewesen. Sollte man so etwas einem Kind aufbürden – das Leben als Adliger ist schon so schwer genug. Kinder brauchen Stabilität und Beständigkeit.“

Daran würde es einem Kind mangeln, das zwischen seinen Eltern hin und her geschoben werden würde. Zwei Elternteile, zwei Haushalte und über allem die allgegenwärtige Presse. Sam war behütet aufgewachsen und hatte sich vorgestellt, seinen Kindern dasselbe zu ermöglichen. Mittlerweile dachte er ernsthaft über eine Eheschließung nach. Nach dem Gespräch mit Prinz Christian war er beinahe restlos von der Richtigkeit seiner Entscheidung überzeugt. Tief in seinem Inneren wusste er, dass ihm keine Wahl blieb.

Er würde die Prinzessin heiraten.

4. KAPITEL

Sams Zuhause war ganz anders, als Anne erwartet hatte. Sie hatte sich eine moderne Villa oder eine Eigentumswohnung an der Küste mit allen möglichen Annehmlichkeiten vorgestellt, die ein Junggeselle sich wünschte. Doch als ihr Fahrer auf der kiesbedeckten Einfahrt hielt, sah Anne sich eher eine Szene aus Hänsel und Gretel gegenüber. Sam lebte im Wald in einem idyllischen Cottage, das unter mächtigen Pinien und Eichen stand. Nur vereinzelte Sonnenstrahlen waren auf dem Dach zu sehen, so dicht war das Blätterwerk darüber. Es war ruhig und abgeschieden und überaus reizend. Darüber hinaus war es der reinste Albtraum für die Sicherheitsleute.

„Vielleicht hätten wir das Dinner doch im Schloss einnehmen sollen“, sagte Anne zu ihrem Bodyguard Gunter, der auf dem Beifahrersitz neben dem Fahrer saß.

„Kein Problem“, erwiderte er mit russischem Akzent. Er wirkte wie eine junge Ausgabe von Arnold Schwarzenegger, und Frauen waren in seiner Gegenwart hin und weg. Sie konnten ja nicht ahnen, dass der ehemalige russische Agent mit dem durchtrainierten Körper mit Kater Toodles und einem Lebensgefährten namens David zusammenlebte.

Gunter stieg aus, um Anne die Wagentür aufzuhalten.

„Ich muss das Haus durchsuchen“, erklärte er.

„Er ist der Vater meines Kindes. Ist das denn wirklich notwendig?“

Gunters Blick verriet Anne, dass sie sich besser fügte.

Als sie auf das Cottage zugingen, öffnete Sam die Haustür. Er sah umwerfend aus in der dunkelblauen Hose und dem hellblauen Hemd, dessen Ärmel bis über die Ellenbogen hochgekrempelt waren. Als er lächelte, wurden seine Grübchen sichtbar, und Anne ertappte sich bei dem Wunsch, das Baby möge so aussehen wie sein Vater. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie Gunters bewundernden Blick, mit dem er Sam bedachte. Bisher war sie lediglich ein wenig nervös vor ihrem Treffen mit Sam gewesen, doch jetzt begann ihr Herz wie wild zu schlagen, und ihre Hände zitterten.

„Hi“, sagte sie, als sie die kleine überdachte Veranda betrat, auf der ein wackeliger Schaukelstuhl und ein Topf mit gelben und lilafarbenen Petunien standen.

Sam lehnte lässig am Türrahmen und lächelte unvermindert weiter, während er Annes taupefarbenen Baumwollrock und die ärmellose gelbe Seidenbluse betrachtete. Das war das farbenfrohste Outfit, das ihr Kleiderschrank hergegeben hatte. Dabei war ihr aufgefallen, wie dunkel und trist ihre Kleidung im Laufe der letzten Jahre geworden war. Anne hatte sich vorgenommen, bei der Auswahl ihrer Umstandsmode auf frische und fröhliche Farben zu achten. Immerhin schlug sie ein neues Kapitel in ihrem Leben auf.

Sams Blick wirkte alles andere als platonisch, als er sie von Kopf bis Fuß musterte. Offensichtlich gefiel ihm, was er sah. „Du siehst bezaubernd aus.“

„Danke. Du siehst auch gut aus.“ Zum Niederknien schön. Sams Nähe bewirkte seltsame Dinge in ihrem Kopf. Sie hatte das Gefühl, dass dort ein heilloses Durcheinander herrschte. Du bist nur hier, um über das Baby zu reden, ermahnte sie sich, und nicht, um deinem Verlangen nach Sam nachzugeben.

Gunter, der hinter ihr stand, räusperte sich. Ach ja, der Sicherheitscheck.

„Würde es dich sehr stören, wenn Gunter rasch das Haus überprüft?“, fragte Anne Sam.

Manche Leute wären angesichts einer solchen Frage wohl beleidigt gewesen, aber Sam zuckte lediglich mit den Schultern und deutete ins Haus. „Bitte, Gunter.“

„Ihm würde ich nicht gern im Dunkeln begegnen“, meinte Sam, nachdem der Sicherheitsmann im Haus verschwunden war. „Gunter. Das ist Deutsch, richtig?“

„Seine Mutter ist Deutsche gewesen, aber er ist in Moskau aufgewachsen.“ Anne spähte an Sam vorbei ins Cottage. Es wirkte von innen genauso anheimelnd wie von außen. Die Einrichtung war alt, aber gemütlich. Außerdem stand mehr Nippes herum, als selbst Gunter für einen Mann angemessen gefunden hätte.

„Dein Haus ist wunderbar“, sagte sie. „Überhaupt nicht so, wie ich es erwartet hätte.“

„Unnötig zu erwähnen, dass ich ein sehr selbstbewusster Mann bin.“

„Vermutlich.“

Er lachte. „Entschuldige, aber so selbstbewusst kann kein Mann sein. Das hier ist das Haus meiner Großmutter.“

„Wohnst du mit ihr zusammen hier?“

„Sie ist vor drei Jahren gestorben.“

„Oh, das tut mir leid.“

„Ich wohne hier nur vorübergehend, während bei mir gebaut wird.“

„Du renovierst?“

„Kann man so sagen, allerdings nicht freiwillig. Ich hatte für eine Weile ein undichtes Dach. Als die Decke in meinem Schlafzimmer und meiner Küche heruntergekommen ist, fand ich es an der Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. Und dann kam mir in den Sinn, dass ich bei der Gelegenheit die Küche neu machen lassen könnte. Also sind aus drei Tagen drei Wochen geworden.“ Er zeigte ins Haus. „Darf ich dich herumführen?“

„Ich kann erst hinein, wenn alles gesichert ist.“

„Klar“, erwiderte er. „Für den Fall, dass ich einen Killer unter dem Sofa versteckt habe.“

„Ich weiß, es klingt lächerlich.“

Er sah plötzlich ernst aus. „Keineswegs“, entgegnete er und streckte die Hand aus, um Annes Bauch zu berühren. Diese Geste kam so überraschend, dass Anne sich plötzlich ganz schwach auf den Beinen fühlte. Sam sah ihr in die Augen, und seine Lippen waren ihren nah. Zu nah. „Nicht, wenn es bedeutet, dass du und das Baby in Sicherheit sind.“ Er sah sie so durchdringend an, dass Anne das Gefühl hatte, Sam könne durch sie hindurchblicken.

Sie wusste, dass er sie begehrte, und wäre Gunter nicht in diesem Augenblick zurückgekehrt, dann wäre Anne vermutlich Sams Charme hoffnungslos erlegen gewesen.

„Alles sicher“, sagte Gunter, als er auf die Veranda trat. Nachdem Sam und Anne eingetreten waren und die Tür geschlossen hatten, würde Gunter bewegungslos auf der Veranda bis zu Annes Abreise verharren.

„Bereit für die Führung?“, fragte Sam, und Anne nickte. Allerdings gab es nicht wirklich viel zu sehen. Im vorderen Raum war gerade einmal genügend Platz für eine Couch, einen Entspannungssessel und einen klapprigen TV-Tisch mit einem Fernseher darauf, der vermutlich älter war als Anne. Die Küche war klein, aber zweckmäßig eingerichtet, obwohl einige Einrichtungsgegenstände auch schon beinahe Antiquitäten waren. Doch die Flamme unter dem Topf auf dem Herd und das Summen des Kühlschranks deuteten darauf hin, dass alles noch funktionsfähig war. Das Badezimmer war ebenfalls sehr klein und mit einem antiken Waschbecken sowie einer frei stehenden Badewanne ausgestattet.

Danach führte Sam Anne durch die Schlafzimmer. Das kleinere davon diente offensichtlich als Büro, und in dem größeren schlief Sam. Als sie im Türdurchgang standen, musste Anne daran denken, als sie zusammen im Bett gewesen waren – verrückt vor Lust und wie von Sinnen vor Leidenschaft. Es schien so lange her zu sein, trotzdem erinnerte sie sich an jedes noch so kleine Detail ihrer Liebesnacht.

„Entschuldige die Unordnung“, sagte Sam.

Das Bett war nicht gemacht, und über einem Stuhl in der Ecke des Raumes lagen Anziehsachen. Das ganze Haus strahlte eine Atmosphäre behaglicher Unordnung aus. Obwohl es von der Grundfläche vermutlich kleiner war als ihr Schlafzimmer im Palast, fühlte Anne sich augenblicklich wie zu Hause.

„Ich habe gedacht, dass deine Familie wohlhabend ist“, bemerkte sie und bereute ihre Worte gleich darauf – sie klang ja wie ein Snob! „Ich habe das nicht so gemeint, wie es sich vielleicht angehört hat“, entschuldigte sie sich.

„Ist schon in Ordnung“, erwiderte Sam mit einem gutmütigen Lächeln. „Das Geld kam von der Familie meines Großvaters. Meine Großmutter ist hier aufgewachsen. Nach dem Tod ihrer Eltern haben sie und mein Großvater hier die Wochenenden verbracht. Als mein Großvater starb, ist sie endgültig hier eingezogen und hat bis zu ihrem Tod hier gewohnt.“

„Ich kann verstehen, warum sie hierher zurückgekommen ist“, meinte Anne, als sie in die Küche zurückgingen. „Es ist reizend hier.“

„Nicht ganz so wie das Schloss.“

„Nein. Dafür gibt es hier jede Menge Charme.“

„Und keinen Platz.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist aber gemütlich.“

„Und es muss unbedingt renoviert werden. Hast du die Badewanne gesehen?“

„Ich würde nichts hier ändern“, erklärte Anne, während sie sich umschaute.

Sam warf ihr einen seltsamen Blick zu. „Du meinst es wirklich ernst.“

Lächelnd nickte sie. Sie mochte das Cottage wirklich. „Es ist so … friedlich hier. Ich habe mich sofort heimisch gefühlt.“ Sie konnte sich sogar vorstellen, hier Zeit zu verbringen. Vielleicht auf der Couch liegend ein Buch lesen. Oder mit ausgedehnten Spaziergängen im Wald. Allerdings wäre das erst möglich, wenn der Lebkuchenmann gefasst worden war.

„Ich bin froh“, sagte Sam und lächelte so unwiderstehlich, dass Anne ganz heiß wurde. „Möchtest du vielleicht etwas trinken? Ich habe Mineralwasser und Saft.“

„Ein Wasser, bitte.“

Als er ihr ein Glas Wasser mit einer Limonenscheibe reichte, berührten ihre Fingerspitzen sich.

„Etwas hier duftet ganz köstlich“, stellte Anne fest.

„Hühnersuppe, nach einem Rezept meiner Großmutter.“

Nicht das typische Essen für einen Sommerabend, aber durchaus in Ordnung. „Ich habe gar nicht gewusst, dass du kochen kannst.“

Er lächelte und hob scherzhaft die Augenbrauen. „Ich bin ein Mann mit vielen Talenten, Eure Hoheit.“

Oh, das wusste sie bereits. Unter den gegebenen Umständen dachte sie über die meisten dieser Talente am besten gar nicht nach. „Was kannst du denn noch kochen?“

„Also“, begann er und zählte an den Fingern ab. „Kaffee. Und Toast. Ich kann Pizza aufwärmen. Oh, und ich kann einen Kübel mit Eiswürfeln befüllen. Ach, und hatte ich den Toast schon erwähnt?“

Anne lächelte. „Mit anderen Worten: Du gehst oft essen.“

„Andauernd. Aber ich wollte dich beeindrucken und habe mir gedacht, dass die Suppe dir guttun würde, nachdem dir so schlecht gewesen ist.“

Er war so umsichtig und reizend. Inständig wünschte sie sich, dass die Dinge anders zwischen ihnen wären. Seit ihrem Gespräch im Büro hatte sie an nichts anderes mehr denken können. Sam war der Mann ihrer Träume.

„Vielleicht hat es auch am Stress gelegen, dass mir so schlecht gewesen ist“, vermutete sie. „Seitdem ich dir von dem Baby erzählt habe, fühle ich mich viel besser. Hin und wieder wird mir noch ein bisschen schlecht, aber nicht mehr so schlimm. Ich habe sogar wieder ein paar Pfund zugenommen, worüber mein Arzt sich bestimmt freut.“

„Das ist toll.“ Sam hob den Deckel vom Topf und rührte die Suppe mit einem Holzlöffel um. „Essen ist fertig. Aber vielleicht willst du ja erst reden, damit wir die Sache erledigt haben und hinterher entspannt unser Dinner genießen können.“

„Das klingt nach einer guten Idee.“

Sam deutete auf das Wohnzimmer. „Wollen wir uns auf das Sofa setzen?“

Zustimmend nickte Anne und nahm Platz. Sam setzte sich so dicht neben sie, dass sein Oberschenkel ihren berührte. War das etwa seine Vorstellung von platonisch? Er wirkte außerordentlich entspannt. Konnte diesen Mann denn gar nichts aus der Ruhe bringen? Von Sam konnte sie noch eine Menge lernen. Allerdings würde er vielleicht nicht mehr so verständnisvoll reagieren, wenn er wüsste, dass diese Schwangerschaft ganz einfach hätte verhindert werden können. Sie musste sicherstellen, dass er es nie he­rausfand.

„Bevor wir beginnen“, sagte sie, „möchte ich dir nur sagen, wie sehr ich dich für deine gelassene Einstellung bewundere. Du sollst wissen, dass ich stets versuchen will, fair zu sein. Mir eilt nicht unbedingt der Ruf voraus, eine überaus umgängliche Frau zu sein, aber ich tue mein Bestes.“

Sam sah sie ernst an. „Ich habe an eine Möglichkeit gedacht, es für uns beide einfacher zu machen. Um genau zu sein, für uns drei.“

Da sie sich nicht vorstellen konnte, wie er das anstellen wollte, zuckte sie mit den Schultern. „Das soll mir nur recht sein.“

„Ich finde, wir sollten heiraten.“ Das sagte er so ruhig und sachlich, dass Anne ein paar Sekunden brauchte, bevor sie die Bedeutung seiner Worte erfasst hatte. Da hatte sie sich doch sicherlich verhört – oder er spielte ein grausames Spiel auf ihre Kosten. „Ich weiß, dass es ziemlich überstürzt ist“, fügte er hinzu. „Ich meine, wir kennen uns ja kaum. Aber für das Baby wäre es sicher das Vernünftigste.“

Du liebe Güte, er meinte es ernst. Er wollte sie heiraten. Doch wie konnte das möglich sein, wenn es noch vor ein paar Tagen völlig ausgeschlossen schien?

„Aber … du willst doch Premierminister werden?“

„Ja, aber das wäre nicht das Beste für das Baby. Die Interessen meines Kindes stehen über meinen.“

Plötzlich kam ihr ein unangenehmer Gedanke. „Meine Familie hat dich doch nicht unter Druck gesetzt, oder? Hat man dir gedroht?“

„Das hat nichts mit deiner Familie zu tun. Ich möchte es so, Annie, denn ich glaube, dass es für uns alle die beste Lösung ist. Zumindest müssen wir es versuchen.“

Sie war zutiefst gerührt von seinen Worten – und gleichzeitig außerordentlich beschämt. Wenn sie verantwortungsvoll gehandelt und Sam nicht belogen hätte, als es um die Verhütung gegangen war, dann wären sie jetzt gar nicht in dieser Lage. Dann müsste er nicht aufgeben, wofür er so lange und schwer gearbeitet hatte. Was, wenn er eines Tages seine Entscheidung bereute und ihr und dem Kind Vorwürfe machte? Doch was, wenn er es nicht tat? Wenn sie sich verliebten und ein langes und glückliches Leben miteinander verbrachten?

„Sam, bist du wirklich sicher? Wenn wir erst mal verheiratet sind, ist es das gewesen. Diese Ehe kann nur mit Einverständnis des Königs wieder geschieden werden.“

„Lass es mich anders versuchen“, entgegnete er und kniete vor ihr nieder, wobei er einen Diamantring aus der Hosentasche zog.

Anne konnte nicht glauben, dass sie das erlebte. Er machte ihr tatsächlich einen echten Heiratsantrag.

Er nahm ihre Hand und sah Anne tief in die Augen. „Willst du mich heiraten, Anne?“

Es gab nur eine mögliche Antwort. „Natürlich will ich dich heiraten, Sam.“

Lächelnd streifte er ihr den Ring über den Finger. Das Schmuckstück war aus Weißgold gefertigt, in das ein runder Diamant eingefasst war, der von kleineren Steinen umkränzt wurde. Obwohl er wie neu glänzte, erkannte Anne, dass es sich um ein wunderschönes antikes Stück handelte.

„Oh, Sam, er ist so wunderschön.“

„Er hat meiner Urgroßmutter gehört.“

„Dann habe ich dieselbe Ringgröße wie sie“, meinte Anne und bewunderte den Ring an ihrem Finger. „Er sitzt perfekt.“

Autor

Kathie De Nosky
<p>Kathie DeNosky stellt ihren Wecker oft auf 2 Uhr morgens, um wenigstens einige Stunden in Ruhe arbeiten zu können, bevor der Rest der Familie erwacht. Während dann in ihrem Büro leise Countrymusik erklingt, schreibt sie an ihren Romances, denen eine ganz besondere Mischung aus Sinnlichkeit und Humor zeigen ist. Sie...
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