Baccara Exklusiv Band 216

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MILLIARDÄRE KÜSSEN BESSER von KAREN BOOTH
„In meiner Penthouse-Suite. In fünfzehn Minuten.“ Die SMS, die ihr Jacob Lin geschickt hat, macht Anna atemlos. Durch einen Millionendeal mit dem Tycoon will sie sich endlich in ihrer Firma behaupten. Doch als sie ihn das letzte Mal traf, hat Jacob sie unvergesslich heiß geküsst! Wird in seiner Suite mehr als ein Gespräch stattfinden?

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RASANT – UND UNGLAUBLICH SEXY von DANI WADE
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  • Erscheinungstag 11.02.2022
  • Bandnummer 216
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510219
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Karen Booth, Yvonne Lindsay, Dani Wade

BACCARA EXKLUSIV BAND 216

1. KAPITEL

„Du willst mich erwürgen? Ist das nicht etwas übertrieben?“ Lachend sah Anna Langford ihre Assistentin und Freundin Holly Louis an.

Die beiden standen in der luxuriösen Lobby des Miami Palm Hotels, und Anna war im Begriff, ihren ehrgeizigsten Geschäftsplan in die Tat umzusetzen. Schade nur, dass Holly sie nicht unterstützen wollte.

„Ich habe deinen Bruder bisher nur selten bei geschäftlichen Besprechungen beobachten können“, sagte sie. „Aber ich bin sicher, er wird wütend, wenn er erfährt, dass du Kontakt zu Jacob Lin aufnehmen willst.“

„Das stimmt.“ Anna warf einen Blick durch die Glastür, die zur Hotelbar führte. Am Tresen hatten sich viele der Führungskräfte versammelt, die an der Tagung der großen amerikanischen Telekommunikationsunternehmen teilgenommen hatten. Anna und Holly waren für LangTel dabei gewesen, für die Firma, die Annas verstorbener Vater aufgebaut hatte. Nach seinem Tod war Anna zur Leiterin der Abteilung für neue Technologien aufgestiegen, während ihr Bruder Adam den Posten des Geschäftsführers übernommen hatte.

Leider liefen die Geschäfte nach dem Tod des Gründers von LangTel nicht besonders gut. Deshalb war es höchste Zeit für Neuerungen. Als Anna gerüchteweise von einer bevorstehenden kleinen Revolution auf dem Handymarkt erfahren hatte, war sie wie elektrisiert gewesen. Zum Glück schien bisher keiner der Konkurrenten von LangTel davon zu wissen. Das einzige Problem bestand daher darin, dass die Neuerungen nur über Jacob Lin führten. Über den Mann, den ihr Bruder Adam mehr als jeden anderen auf der Welt hasste.

„Das ist er, nicht wahr?“, meinte Holly, den Blick auf einen attraktiven dunkelhaarigen Mann an der Bar gerichtet. „Wer hätte gedacht, dass er in Wirklichkeit noch besser aussieht als auf den Fotos?“

Anna zuckte die Schultern. Sie kannte Jacob seit vielen Jahren und wusste genau, wie sexy er war. Leider hatte er ihr vor längerer Zeit eine Abfuhr erteilt. Die Zurückweisung hatte sie zutiefst verunsichert und verletzt, auch wenn Jacobs Begründung nachvollziehbar gewesen war.

„Diese Ausstrahlung!“, fuhr Holly fort. „Man hat den Eindruck, dass er jedem Mann im Umkreis von fünfzig Meilen überlegen ist.“

Ohne auch nur zu Jacob hinzuschauen, erklärte Anna: „Ehrlich gesagt: Er ist jedem Mann im Umkreis von mindestens hundert Meilen überlegen.“

„Nun“, Holly lächelte ermutigend, „dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dir viel Glück zu wünschen. Das wirst du nämlich brauchen.“

„Glaubst du, dass er sich weigern wird, mit mir zu reden?“ Anna fühlte sich keineswegs so stark, wie sie gehofft hatte.

„Schon möglich. Du hast mir doch erzählt, dass er die Langfords hasst. Und du bist eine.“

„Ich könnte dir die Anweisung geben, mich zu begleiten. Immerhin arbeitest du für mich.“

Holly schüttelte den Kopf. „Das gehört nicht zu meinen Aufgaben. In meinem Arbeitsvertrag steht nichts von Selbstmordkommandos, an denen ich teilnehmen muss.“

Die Bemerkung verunsicherte Anna noch mehr. Doch da sie in Gedanken immer wieder durchgegangen war, was sie zu tun hatte, bemühte sie sich, die Fassung zu wahren. Sie musste Erfolg haben, wenn sie ihrem Bruder beweisen wollte, dass sie für den Posten der Geschäftsführerin geeignet war. Andernfalls würde er seinen Platz nie für sie räumen.

Vor seinem Tod hatte ihr Vater Adam das Versprechen abgenommen, dass er Anna zur Geschäftsführerin machen würde. Adam fühlte sich an das Versprechen gebunden, hatte aber auch betont, dass Anna zuerst ihr Können unter Beweis stellen müsse. Kluge Entscheidungen waren also die Voraussetzung für ihren Aufstieg im Unternehmen.

Dummerweise war keineswegs sicher, dass es eine kluge Entscheidung war, auf Jacob Lin zuzugehen. Denn niemand konnte voraussagen, wie er reagieren würde. Trotzdem behauptete Anna jetzt: „Ich kenne Jacob ziemlich gut. Nichts ist ihm wichtiger als Geld. Und davon kann ich ihm eine Menge anbieten. Das wird ihn überzeugen. Adam wiederum wird seine Abneigung gegen Jacob zurückstellen, wenn ihm klar wird, welche Vorteile die neue Technologie für LangTel mit sich bringt.“

„Was genau hast du vor?“, erkundigte Holly sich.

„Ich werde den Barkeeper bitten, Jacob eine Nachricht von mir zu geben.“

Holly runzelte die Stirn. „Eine Einladung zu einem heimlichen Rendezvous?“

„Was sonst könnte ich tun?“ Anna zuckte die Schultern. „Ich kenne ja nicht einmal seine Telefonnummer.“ Vor ein paar Stunden hatte sie die Nummer, die er vor sechs Jahren gehabt hatte, gewählt, jedoch vergeblich, denn die Nummer war nicht mehr vergeben.

„Hm … Einfach zu ihm hinzugehen und ihn anzusprechen wäre wohl keine Lösung. Es würde nur die Gerüchteküche anheizen.“

„Wie wahr …“ Jeder, der irgendwie im Telekommunikationsgeschäft tätig war, wusste von der Feindschaft zwischen Jacob Lin und den Langfords.

Plötzlich lächelte Holly. „Wenn jemand das Unmögliche möglich machen kann, dann bist du es, Anna.“

„Danke.“ Sie zupfte ihre Bluse zurecht, öffnete die Glastür und schritt stolz erhobenen Hauptes auf die Bar zu, wo sie sich auf einem Hocker weit von Jacob entfernt niederließ. Dann holte sie ein kleines Blatt Papier und einen Kuli aus ihrer Handtasche und begann zu schreiben.

Jacob,

ich sitze am anderen Ende des Tresens. Ich möchte dich treffen, um etwas Geschäftliches zu besprechen. Wegen der Feindschaft zwischen Adam und dir hielt ich es für das Beste, dich nicht in aller Öffentlichkeit anzusprechen. Schick mir eine SMS, wenn du Interesse an einem Gespräch hast.

Nachdem sie noch ihre Handynummer notiert und die Nachricht mit ihrem Vornamen unterschrieben hatte, gab sie dem Barkeeper ein Zeichen. Leise, sodass niemand außer ihm es hören konnte, bat sie den Mann: „Würden Sie das bitte dem großen Gentleman im grauen Anzug geben? Dem, mit dem dichten schwarzen Haar.“ Jacobs markantes Gesicht, seine breiten Schultern und seine erotische Ausstrahlung erwähnte sie nicht.

Der Barkeeper starrte auf das gefaltete Blatt und hob die Augenbrauen. Rasch steckte Anna ihm einen Zehndollarschein zu.

„Gern, Miss.“ Wie von Zauberhand verschwand der Geldschein.

„Ich hätte gern einen Martini. Mit drei Oliven.“ Noch nie hatte sie sich Mut angetrunken, doch jetzt – das wusste sie – würde ein wenig Alkohol ihr guttun.

Möglichst unauffällig beobachtete sie Jacob. Als er die Notiz aus der Hand des Barkeepers entgegengenommen hatte, fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. Auf seinen Wangen zeigte sich ein dunkler Schatten, den ein starker Bartwuchs zur Folge hatte.

Anna fiel ein, wie warm seine braunen Augen blicken konnten. Nur dass sie das schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr getan hatten …

Während er las, runzelte Jacob die Stirn.

Hält er mich für verrückt?

Sie wusste, dass er in der Zwischenzeit unglaublich reich geworden war. Angeblich gehörte er zu den wenigen jungen Milliardären im Land. Warum also hätte er Interesse an einer geschäftlichen Verbindung zu ihr haben sollen? Vermutlich war es albern gewesen, ihm eine heimliche Botschaft zu schicken.

Mit einem Mal kam Anna sich naiv vor. Genauso naiv wie damals, als sie geglaubt hatte, sie würden den Himmel auf Erden finden, wenn sie sich nur einmal küssten …

Jacob faltete den Zettel zusammen, holte sein Handy aus der Tasche und begann zu tippen.

Anna erinnerte sich genau an seine schlanken und dabei doch kräftigen Hände. Wie sehr hatte sie sich damals gewünscht, von ihnen liebkost zu werden. Leider war es nie dazu gekommen. „Ich kann nicht, Anna“, hatte Jacob gesagt. „Meine Freundschaft zu Adam verbietet es mir.“

Es war ihr schwergefallen, das zu akzeptieren. Tatsächlich litt sie noch heute ein wenig unter dieser Zurückweisung. Das allerdings war ihr erst klar geworden, als sie sich während der Tagung nach langer Zeit erneut mit ihm im gleichen Raum aufhielt. Verflixt, sie wollte etwas Geschäftliches mit ihm besprechen und nicht alten Zeiten nachhängen! Trotzdem konnte sie an nichts anderes denken als an Jacobs Lächeln, an seine heißen Blicke, daran, wie er mit ihr geflirtet hatte.

Jetzt steckte er sein Handy ein, und beinahe gleichzeitig leuchtete das Display von Annas Handy auf. Ihr Herz begann wild zu klopfen. Was mochte Jacob geschrieben haben?

Sie schluckte. Verflixt, es gab keinen Grund, so nervös zu sein! Trotzdem zitterten ihre Finger ein wenig, als sie die SMS öffnete.

In meiner Penthouse-Suite. In 15 Minuten.

Einen Moment lang stockte ihr der Atem. Die Nachricht war so typisch für Jacob. Kein unnötiges Wort. Er kam immer direkt zum Punkt. Seine unverblümte, befehlsgewohnte Art machte manchen Leuten Angst. Anna aber wollte sich nicht einschüchtern lassen. Sie war daran gewöhnt, mit mächtigen Männern zu tun zu haben. Allerdings hatte keiner dieser Männer ihr jemals so viel bedeutet wie Jacob. Nach jenem Kuss hatte er sich von ihr zurückgezogen – was ihr sehr wehgetan hatte. Wie viele sentimentale Briefe hatte sie ihm damals geschrieben! Nur gut, dass sie keinen davon abgeschickt hatte.

Jacob erhob sich, nickte seinem Nachbarn am Tresen zu und verließ die Bar, ohne auch nur einen Blick in Annas Richtung zu werfen. Er strahlte das Selbstbewusstsein eines enorm erfolgreichen Unternehmers aus und bewegte sich mit der Kraft und Grazie eines Panthers.

Ein heißer Schauer überlief Anna, die ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. Jetzt ging er hinter ihr vorbei. Ein leichter Duft nach Sandelholz und Zitrone stieg ihr in die Nase. Unwillkürlich biss sie sich auf die Unterlippe. Es war einfach unfair, dass Jacob so attraktiv war!

In fünfzehn Minuten werde ich ihm wieder gegenüberstehen, schoss es ihr durch den Kopf.

Verdammt, Anna Langford! dachte Jacob, als er in den Aufzug trat, um zur Penthouse-Suite hinaufzufahren. Er wunderte sich, dass Anna Langford nach so langer Zeit wieder in sein Leben treten würde. Seit beinahe sechs Jahren war er davon überzeugt, dass alle Langfords ihn verabscheuten, genau wie er sie verachtete. Deshalb hatte Annas Nachricht ihn verwirrt. Er hatte keine Ahnung, wie er mit der Situation umgehen sollte. Dabei wusste er doch stets, was zu tun war!

Die Vorstellung, sich mit Anna zu treffen, war erstaunlich verführerisch. Einst waren sie Freunde gewesen – und beinahe wären sie sogar mehr als das geworden. Dennoch wäre es vermutlich klüger gewesen, ihre Bitte um ein Gespräch abzulehnen. Schließlich war sie die Schwester des Mannes, der ihm so übel mitgespielt hatte. Andererseits hatte sie persönlich ihm nie etwas Böses getan. Allerdings nahm sie bei LangTel eine wichtige Position ein. Wenn sie herausgefunden hatte, was er plante …

Unwillkürlich runzelte er die Stirn. Es hatte ihn Zeit und Mühe gekostet, seine „Kriegskasse“ zu füllen. Dazu hatte er eine Gruppe von Investoren zusammenbringen müssen, die gemeinsam mit ihm die feindliche Übernahme von LangTel vorbereiteten. Er nannte diese Gruppe den War Chest. Nach dem Tod des Firmengründers hatte das Unternehmen einige Rückschläge einstecken müssen. Dadurch waren die Langford-Erben verwundbar geworden. Adam, der neue Geschäftsführer, hatte das Vertrauen einiger Vorstandsmitglieder verloren, was Jacob mit großer Genugtuung erfüllte, denn jetzt bot sich ihm die Chance, sich an Adam zu rächen.

Die Idee war bei einem Millionärstreffen in Madrid geboren worden. Man hatte Karten gespielt und Bourbon getrunken. Und irgendwann hatte Jacob gesagt: „Wie wäre es, wenn wir LangTel in unseren Besitz bringen?“ Die anderen waren zunächst skeptisch gewesen. LangTel war schließlich kein kleines Unternehmen. Man würde viel Zeit, viel Ausdauer und eine Menge Geld für eine feindliche Übernahme brauchen. Doch gerade das machte den Plan interessant. Schließlich war man sich einig geworden.

Adam würde endlich bekommen, was er verdiente. Die Vorstellung hatte Jacob mit Genugtuung erfüllt.

Als er Anna auf der Tagung im Miami Palm Hotel entdeckt hatte, waren ihm erste Zweifel gekommen. Sie hatte sich verändert, war aber noch immer bezaubernd. Aus dem unsicheren Mädchen war eine kühle, selbstbewusste und umwerfend schöne Geschäftsfrau geworden.

Wie umwerfend sie war, hatten auch andere bemerkt. Viele Blicke waren ihr gefolgt, als sie sich vorhin mit der Grazie einer Tänzerin in Richtung Theke bewegt hatte.

Aber nur ich, dachte Jacob, weiß, welch stürmisches Temperament sich hinter ihrer kühlen Fassade verbirgt. Nur er wusste, dass ihre Lippen nicht einfach nur süß schmeckten, sondern einem Mann den Verstand rauben konnten.

Nie hatte er vergessen, wie leidenschaftlich ihr Kuss gewesen war und wie hingebungsvoll und verführerisch ihr Körper sich an seinen geschmiegt hatte. Es war unsagbar schwer gewesen, dem Verlangen, sie ganz zu besitzen, zu widerstehen. Doch er hatte geglaubt, es sei unmoralisch, die kleine Schwester seines Freundes Adam zu verführen. Er hatte ja nicht ahnen können, dass genau dieser Freund ihn wenige Monate später verraten würde.

Die altbekannte Bitterkeit überkam ihn. Gemeinsam mit Adam hatte er ein blühendes Unternehmen aufgebaut. Doch als Adam verkauft hatte, war Jacob nicht einmal ein kleiner Anteil des Gewinns zugefallen. „Du hättest eben darauf bestehen müssen, dass wir einen entsprechenden Vertrag abschließen“, hatte Adam herablassend erklärt.

Verflucht, er ärgerte sich noch immer maßlos darüber, dass er Adam so lange vertraut hatte. Ganz gewiss würde er einen solchen Fehler nie wieder begehen.

Er öffnete die Tür der Penthouse-Suite. Es war praktisch, hier im Miami Palm Hotel zu wohnen. Die Tagung fand im selben Gebäude statt, und trotz der zentralen Lage des Hotels war es hier oben ruhig. Aufgrund seiner Erfahrungen mochte Jacob die Einsamkeit. Sie bewahrte ihn davor, von Menschen, die er liebte, enttäuscht zu werden.

Gleich allerdings würde Anna auftauchen. Angeblich, um etwas Geschäftliches mit ihm zu bereden. Ob sie sich bei dieser Gelegenheit auch mit ihm aussöhnen wollte? Das wäre gewiss nicht in Adams Interesse.

„Jacob Lin kann mit Geld umgehen, das ist aber auch schon alles“, hatte Adam damals verkündet und herablassend hinzugefügt: „Ihm fehlt jeder unternehmerische Geist, jedes Gespür für Innovationen. Es ist pure Zeitverschwendung, mit ihm zusammenzuarbeiten.“

Inzwischen hatte sich gezeigt, wie falsch Adam mit seinem Urteil lag. Doch gerade das hatte ihre Feindschaft noch vertieft. Es gefiel Adam gar nicht, dass sein früherer Freund mittlerweile zu den reichsten Männern Amerikas gehörte und geschäftlich wesentlich erfolgreicher war als er selbst.

Jacob seufzte, griff nach dem Haustelefon und bestellte eine Flasche Wein beim Zimmerservice. „Einen Montrachet, Domaine Marquis de Laguiche.“ Die französischen Worte kamen ihm leicht über die Lippen. Er sprach vier Sprachen fließend: Englisch, Französisch, Japanisch und Mandarin.

„Jahrgang 2012?“, erkundigte sich der Hotelangestellte.

„Ja“, bestätigte Jacob, der seit einiger Zeit eine Vorliebe für exzellente Weine hegte.

Seine Gedanken wandten sich wieder Anna zu. Damals, als sie abends stundenlang miteinander diskutierten, hatten sie sich mit preisgünstigen Weinen begnügen müssen – was sie nicht im Geringsten gestört hatte. Wichtig waren nur ihre Gespräche gewesen. Beide hatten sie darunter gelitten, dass ihre Väter ihnen so kühl und emotionslos begegnet waren. Aber es hatte auch hundert andere Themen gegeben. Jacob hatte sich Anna sehr nahe gefühlt. Doch lange hatte er nicht gewagt, sich seine Gefühle einzugestehen. Er war als Gentleman erzogen worden, was auch bedeutete, dass die Schwester seines besten Freunds für ihn tabu war – selbst wenn er sie noch so bezaubernd fand.

So kam es, dass Anna den ersten Schritt machte. Sie hatte Jacob geküsst und ihm eine Erektion beschert, die er sein Leben lang nicht vergessen würde. Es hatte ihn all seine Willenskraft gekostet, Anna zurückzuweisen – zumal ihm klar gewesen war, dass er damit nicht nur auf Sex verzichtete.

Es klopfte. Der bestellte Wein wurde geliefert. Jacob drückte dem Zimmerkellner ein paar Münzen in die Hand und stellte den Wein in den Kühlschrank. Dann entledigte er sich seines Sakkos und seiner Krawatte, weil er dachte, es sei besser, das Gespräch mit Anna in einer weniger formellen Atmosphäre zu führen. Es war zwar äußerst unwahrscheinlich, dass die Langfords einen Verdacht hegten, doch wenn Adam Anna vorgeschickt hatte, um etwas über den War Chest zu erfahren, dann war es klug, sich wie ein ungefährlicher Privatmann zu geben.

Zum zweiten Mal klopfte es. Da Jacob seinem persönlichen Assistenten den Abend freigegeben hatte, ging er selbst zur Tür. Annas Anblick verschlug ihm den Atem. Er starrte sie an. Sie war einfach zu schön. Zu verführerisch. Zu sehr sie selbst. In all den Jahren hatte er ihren Duft nicht vergessen können, hatte nicht gelernt, sich gegen ihre Anziehungskraft zu wappnen.

„Willst du mich nicht hereinbitten?“, fragte sie. „Oder hast du nur aufgemacht, um mich gleich wieder fortzuschicken?“

Er begegnete ihrem Blick und begriff, dass ihre Worte nicht wirklich scherzhaft gemeint waren. Anna rechnete damit, abweisend behandelt zu werden. Schließlich war sie eine Langford.

„Deinem Bruder würde ich die Tür vor der Nase zuschlagen“, sagte er und machte einen Schritt zur Seite, damit Anna eintreten konnte. „Aber dich würde ich niemals so behandeln.“

Anna hatte nicht vergessen, wie sexy er stets auf sie gewirkt hatte. Dennoch überraschte das erotische Timbre seiner Stimme sie so sehr, dass ihr Herzschlag sich beschleunigte. Trotzdem gelang es ihr, ruhig zu sagen: „Ich will dich nicht lange aufhalten. Schließlich bist du ein vielbeschäftigter Mann.“

„Es ist neun Uhr abends. Selbst ich mache irgendwann Feierabend“, gab er mit einem kleinen Lächeln zurück. Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto besser würde er ihre Motive für dieses Gespräch deuten können. „Willst du nicht ablegen?“ Er half ihr aus dem schwarzen Blazer und ließ den Blick kurz über ihre schlanke weibliche Figur gleiten. Sein Puls beschleunigte sich. „Komm, setzen wir uns!“

Sie folgte ihm und nahm auf dem Sofa Platz. Durchs Fenster konnte sie den dunklen Himmel sehen, an dem ein beinahe runder gelber Mond stand. „Ich bin wegen Sunny Side hier.“

Es gelang ihm, sein Erstaunen zu verbergen. Er hatte mit allem Möglichen gerechnet. Aber Sunny Side? Das kam wirklich unerwartet. „Ich dachte, niemand wüsste von der Rolle, die ich bei Sunny Side spiele“, stellte er fest. „Ich habe mich bemüht, mein finanzielles Engagement geheim zu halten.“ Fast so geheim wie die Tatsache, dass er mithilfe des War Chest seit einiger Zeit LangTel-Aktien aufkaufte. Hatte er etwas übersehen? Ließ sein geschäftliches Gespür ihn im Stich? Oder war Anna einfach unglaublich gut?

„Ich bin im Internet auf Informationen über Sunny Side gestoßen“, berichtete Anna. „Ein überaus spannendes Projekt. Zukunftsweisend. Natürlich ist die Entwicklung einer solchen Technologie teuer. Deshalb habe ich mich gefragt, wer wohl die Investoren sind. Tatsächlich gab es keine zuverlässigen Informationen. Doch je länger ich recherchierte, desto sicherer war ich, dass du einer der Geldgeber sein musst. Schön, dass du es gerade bestätigt hast.“

Wider Willen musste er lachen. Anna hatte ihn also überlistet. Sie hatte nicht mehr als einen Verdacht gehegt, und er hatte sich selbst verraten. Wie klug sie war! Er suchte ihren Blick. Ja, vor ihm saß nicht mehr das wissbegierige, aber noch unerfahrene junge Mädchen, das sie vor sechs Jahren gewesen war. Sie hatte dazugelernt. Und zwar eine ganze Menge.

„Darf ich dir ein Glas Wein anbieten?“, erkundigte er sich höflich.

Sie zögerte. „Wäre es nicht besser, wenn wir diese Unterhaltung auf einer rein geschäftlichen Ebene führen?“

„Das ist meiner Meinung nach ganz unmöglich. Du und ich, wir haben eine gemeinsame Geschichte. Zwischen mir und einem Mitglied der Familie Langford kann es keine rein geschäftliche Unterhaltung geben.“ Dabei dachte er an Adams Verrat und an den War Chest.

„Du hast recht“, pflichtete sie ihm bei und musterte ihn nachdenklich. „Ich trinke ein Glas Wein mit dir, wenn du bereit bist, mir ein wenig über Sunny Side zu erzählen.“

Tat sie nur so unschuldig? Jacob blieb misstrauisch. Dennoch gefiel ihm die Vorstellung, ein wenig Zeit mit ihr zu verbringen.

Er holte den Wein und füllte zwei Gläser.

„Sunny Side“, begann Anna, „wäre eine hervorragende Ergänzung für unser Unternehmen.“

Jacob prostete Anna zu. Es kam ihm so vor, als sei sie nicht nur erwachsener, sondern auch noch schöner geworden. „Sunny Side könnte möglicherweise an einer Zusammenarbeit mit LangTel interessiert sein. Aber Adam würde niemals seine Zustimmung dazu geben. Im Übrigen liegt ein Kuschelkurs mit Adam auch nicht in meinem Interesse.“

Ganz anders sieht es allerdings mit einem Kuschelkurs mit Anna aus. Und jetzt steht mir keine Freundschaft mit Adam mehr im Wege.

„Ich werde mich selbst um Adam kümmern“, versprach Anna. „Vorher brauche ich allerdings die Gelegenheit, mit den Entscheidungsträgern bei Sunny Side zu reden.“

„Dir ist klar, dass es sich um Idealisten handelt? Ihnen geht es nicht ums große Geld.“

Anna nickte. „Die Technologie wird den Handymarkt revolutionieren. Ich selbst war vom ersten Moment an begeistert: Handys, die nicht ans Stromnetz angeschlossen werden müssen, wenn man sie aufladen will. Alles, was man braucht, ist ein wenig Sonnenschein!“ Ihre Augen strahlten.

„Adam wird nur sehen, dass unter anderem mein Geld in der Entwicklung steckt. Er wird Nein sagen.“

„Für neue Technologien bin ich zuständig.“

Sie war nicht nur schön und klug, sondern auch hartnäckig. Jacob schenkte ihr ein bewunderndes Lächeln. „Wird das so bleiben?“

„Vorerst ja.“

„Aber du hast größere Pläne?“

„Allerdings.“

Das war gut. Mit etwas Glück würde sie LangTel verlassen, ehe es zu der Übernahme durch den War Chest kam. Schließlich sollte nicht sie bestraft werden, sondern ihr Bruder.

„Okay. Also zurück zu Sunny Side.“ Tatsächlich war Jacob nur halb bei der Sache. Es gab zu viele schmerzliche Erinnerungen an Adams Verhalten vor sechs Jahren. Adam hatte ihn nicht nur finanziell ausgenutzt, sondern ihn um alles gebracht, was ihm damals etwas bedeutete. All die Leidenschaft, die er in die Entwicklung ihrer gemeinsamen Firma gesteckt hatte, all die vielen Arbeitsstunden und die guten Ideen …

„Was möchtest du wissen?“ Fragend sah er Anna an.

„Eigentlich nur, wie ich mit den Leuten von Sunny Side in Kontakt treten kann.“

„Ich bin bereit, dir zu helfen. Aber nur, wenn Adam sich nicht einmischt.“

„Versprochen!“

„Gut.“ Damals hatte Jacob den Verdacht gehegt, dass Adams Vater das eigentliche Problem darstellte. Wahrscheinlich hatte der alte Herr darauf gedrängt, dass Adam sich von der kleinen Firma, die er gemeinsam mit Jacob aufgebaut hatte, trennte und nur noch für LangTel arbeitete. Doch darüber konnte er nicht mit Anna reden. Bestimmt trauerte sie um ihren Dad, der noch nicht lange tot war.

„Ich werde nicht zulassen, dass Adam sich einmischt“, verkündete sie ernst. „Es war schlimm genug für mich, dass du mich seinetwegen …“ Sie zögerte und trank einen Schluck Wein. „… dass du mich seinetwegen kein zweites Mal küssen wolltest“, beendete sie dann ihren Satz.

2. KAPITEL

Adams Verlobte Melanie zeigte auf mehrere Hochzeitsmagazine, die aufgeschlagen auf dem Tisch lagen. „Was meinst du, Anna?“, fragte sie. „Aubergine oder Schwarz?“

Es fiel Anna schwer, sich auf die anstehenden Hochzeitsvorbereitungen zu konzentrieren. Seit einer Woche versuchte sie, mit Adam über Jacob zu reden – jedoch vergeblich.

„Welche Farbe würdest du nehmen?“ Melanie ließ nicht locker.

Die Kleider der Brautjungfern … Natürlich war dies ein wichtiges Thema für die junge Frau, die im Januar heiraten würde. Anna jedoch hatte andere Sorgen. „Ich weiß nicht“, murmelte sie, legte den Löffel auf den Tisch und lächelte Melanie zu.

Die Verlobten hatten Anna zum Dinner eingeladen, und als Nachtisch hatte Melanie ein köstliches selbst gemachtes Mousse au Chocolat auf den Tisch gebracht. Überhaupt schien alles, was Melanie in Angriff nahm, perfekt zu gelingen. Wohingegen Annas Pläne in Bezug auf Sunny Side keinen Schritt vorankamen.

„Entschuldige, was hast du gesagt?“

„Schwarz wäre die klassische Variante. Aber mir würde auch Purpurrot gefallen.“

„Purpur?“ Anna wünschte ihrem Bruder und Melanie alles Glück der Welt. Trotzdem wäre sie froh gewesen, wenn deren Hochzeit nicht seit Tagen das einzige Gesprächsthema gewesen wäre. Insbesondere Evelyn, Adams und Annas Mutter, wollte über nichts anderes reden. Zu allem Überfluss erwähnte sie bei jeder Gelegenheit, wie schön es wäre, wenn auch Anna endlich dem richtigen Mann begegnete.

Wenn doch die Hochzeit erst vorbei wäre und alle sich wieder mit anderen Dingen beschäftigen würden!

Annas Liebesleben hatte sich von jeher ziemlich kompliziert gestaltet. Viele Männer ließen sich vom Reichtum und dem Ruf der Langfords abschrecken. Andere schätzten es nicht, wenn ihre zukünftige Gattin eine Führungsposition in der Wirtschaft innehatte.

„Mein Favorit wäre Schwarz“, erklärte Anna. „Aber es ist dein großer Tag, Melanie. Also solltest du die Entscheidung treffen.“

„Deine Meinung ist mir wichtig.“ Melanies Lächeln war so herzlich, dass Anna ganz warm ums Herz wurde. Sie mochte die Braut ihres Bruders sehr. Tatsächlich war es allein Melanies Verdienst, dass Adam überhaupt noch zu ertragen war – was wirklich schade war, denn früher hatten Anna und Adam sich sehr nahegestanden. Jetzt ließ er keine Gelegenheit aus, sie daran zu erinnern, dass er bei LangTel der Boss war.

Zunächst hatte Anna angenommen, der Tod ihres Vaters würde sie und ihren Bruder fester zusammenschweißen. Doch das hatte sich als Irrtum erwiesen. Adam hatte das Büro des Verstorbenen mit Beschlag belegt und sich von seinen Verwandten ebenso zurückgezogen wie von den Mitarbeitern bei LangTel. Er trug schwer an der neuen Verantwortung, war jedoch nicht bereit, sich etwas von der Last abnehmen zu lassen.

Melanie war die Einzige, die er überhaupt an sich heranließ.

Lächelnd streckte sie die Hand nach ihm aus. Ihr Harry-Winston-Verlobungsring funkelte im Licht der Deckenbeleuchtung. „Manchmal kann ich es noch immer kaum glauben, dass wir heiraten. Dann muss ich mich erst einmal kneifen.“

Adam ergriff ihre Hand und drückte sie. „Warte nur, bis du ein Kind erwartest. Unser Kind! Dann wird dir alles noch viel unwirklicher vorkommen.“

„Wollt ihr denn jetzt schon Kinder haben?“, fragte Anna, bemüht, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen.

„So bald wie möglich“, bestätigte Melanie. „Für zwei meiner Schwestern war es schwierig, schwanger zu werden. Deshalb möchte ich nicht unnötig viel Zeit verstreichen lassen, ehe ich es versuche.“

Anna nickte. Sie war jetzt achtundzwanzig und fragte sich häufig, wie lange sie noch würde warten müssen, ehe sie Mutter wurde. Einige ihrer Freundinnen vom College hatten bereits ein oder sogar zwei Kinder. Natürlich war es durchaus möglich, auch mit vierzig noch schwanger zu werden. Doch seit ihr Vater gestorben war, hatte Anna das Gefühl, sich nicht zu viel Zeit lassen zu dürfen. Bedauerlicherweise war sie bisher keinem Mann begegnet, den sie sich als Vater ihrer Kinder vorstellen konnte.

Einen Moment lang fühlte sie sich sehr einsam. Für Adam und Melanie schien alles so einfach zu sein. Sie hingegen sehnte sich schon lange nach Liebe und fand sie doch nicht. Trotz des fehlenden Mannes hatte sie vor Kurzem sogar eine Fruchtbarkeitsklinik aufgesucht. Immerhin war es denkbar, dass sie ihr Heil in künstlicher Befruchtung würde suchen müssen. Leider hatte der behandelnde Arzt keine guten Nachrichten für sie gehabt. Infolge einer Unterleibsoperation hatte sich Narbengewebe gebildet, das einer Empfängnis im Wege stand. Ja, eventuell würde Anna sich einer weiteren Operation unterziehen müssen, damit ein Baby überhaupt die Chance hatte, in ihrem Leib heranzuwachsen.

Bisher hatte sie nichts unternommen. Aber eines Tages würde sie einen OP-Termin vereinbaren müssen, denn auf Kinder wollte sie keinesfalls verzichten.

Adam hatte sich bequem in seinem Sessel zurückgelehnt und betrachtete Melanie liebevoll. „Wir werden nicht viele Versuche brauchen, bis du schwanger bist“, verkündete er. „Ich möchte wetten, dass du am Ende unserer Flitterwochen bereits ein Kind in dir trägst.“

Melanie lächelte. „Hat Adam dir gegenüber erwähnt, dass wir auf eine der Fidschi-Inseln fliegen? Er hat dort eine Villa mit Putzhilfe und Koch für uns gemietet. Und wir können jederzeit einen Masseur ins Haus bestellen.“

„Während wir in New York frieren müssen …“ Anna seufzte. Sie hasste es, Neid zu empfinden. Aber manchmal war es nicht möglich, sich gegen das unangenehme Gefühl zu wehren.

„Wir werden zwei Wochen lang fort sein“, meinte Adam. „Traust du dir zu, LangTel in dieser Zeit zu führen?“

„Natürlich! Du solltest wissen, dass du mir vertrauen kannst.“

Adam stand auf, um sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank zu holen. „Was ist mit den Problemen in Australien? Wir bemühen uns noch immer um Schadensbegrenzung.“

Ich bemühe mich um Schadensbegrenzung, obwohl du derjenige warst, der die Anweisungen gegeben hat, die zur Katastrophe geführt haben.“

„Wenn du wirklich Geschäftsführerin werden willst, musst du dich daran gewöhnen, eigene Entscheidungen zu treffen.“

Anna kochte vor Wut. Adam hatte kein Recht, so herablassend mit ihr zu sprechen! Sie war kein Dummkopf und kannte sowohl die Stärken als auch die Schwächen von LangTel sehr gut. „Glaub mir“, sagte sie und ballte unter dem Tisch die Hände zu Fäusten, „ich werde gern meine eigenen Entscheidungen treffen, wenn ich erst Geschäftsführerin bin. Und es werden gute Entscheidungen sein.“

Melanie hatte sich hinter einer Hochzeitszeitschrift versteckt. Vermutlich verabscheute sie diese Auseinandersetzungen zwischen den Geschwistern ebenso sehr, wie Anna es tat.

„Aber erst, wenn du dazu bereit bist, und keinen Tag früher“, bellte Adam. „Du hast keine Ahnung, welche Anforderungen der Posten an dich stellen wird. Ich jedenfalls habe täglich mit Hunderten von Komplikationen zu tun. Da ist die hohe Fluktuation bei LangTels Angestellten. Es gibt technische Probleme. Und zudem habe ich Gerüchte über eine geplante feindliche Übernahme gehört.“

Die Gerüchte waren auch Anna zugetragen worden, doch sie hatte sie nicht ernst genommen. „Adam“, sagte sie, „Veränderungen bedeuten immer auch eine vorübergehende Instabilität. Aber das sollte nicht dazu führen, dass du mir plötzlich kein Vertrauen mehr entgegenbringst.“

„Es geht nicht um mich! Die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder gehört zur alten Garde. Diese Leute wollen nicht, dass eine Frau zur Geschäftsführerin ernannt wird. Wir müssen auf den richtigen Zeitpunkt warten.“

Die Worte hätten von ihrem Vater stammen können! Anna unterdrückte einen Fluch. „Und du entscheidest, wann der richtige Zeitpunkt ist?“

„Machst du dir eigentlich eine Vorstellung davon, welchem Druck ich ausgesetzt bin?“, lenkte ihr Bruder ab. „Man erwartet große Dinge von mir und LangTel.“

Anna biss sich auf die Unterlippe. Dass Adam sich an den Posten des Geschäftsführers klammerte, hing wahrscheinlich damit zusammen, dass er glaubte, auf diese Art das Andenken ihres verstorbenen Vaters ehren zu können. Verflixt, auch sie trauerte um ihren Papa! Aber … Nein, ich werde nicht weinen! „Wir wissen beide, dass ich den Aufgaben einer Geschäftsführerin gewachsen bin.“

„Hm …“

„Ich würde es dir so gern beweisen. Übrigens habe ich einen Vorschlag bezüglich einer großartigen technischen Neuerung. Es geht um …“

„Schick mir eine Mail mit den Einzelheiten. Ich habe jetzt andere Dinge im Kopf.“

„Du hattest schon seit Tagen keine Zeit für ein geschäftliches Gespräch mit mir. Adam, wir soll…“

„Anna, bitte!“

„Hör mir doch ein einziges Mal zu! Ich möchte, dass wir mit einer Firma namens Sunny Side zusammenarbeiten. Mithilfe verschiedener Investoren – einer von ihnen ist Jacob Lin – entwickelt man bei Sunny Side Handys, die …“

„Wir machen keine Geschäfte mit Lin. Und damit basta!“

Waren alle Männer so dickköpfig? Ihr Vater jedenfalls hätte eine Diskussion, die ihm nicht behagte, auf die gleiche Art beendet. Anna wurde immer wütender. Und entschlossener. „Sunny Side entwickelt Handys, deren Akkus mit Solarenergie aufgeladen werden. Das heißt, die Benutzer sind vollkommen unabhängig von anderen Stromquellen.“

„Faszinierend!“, rief Melanie und hob kurz den Blick von ihrem Hochzeitsmagazin.

„Unsinn“, widersprach Adam.

„Es funktioniert!“, beharrte Anna. „Diese Technik wird den Handymarkt revolutionieren. Stell dir nur die Möglichkeiten vor. Niemand braucht dann noch ein Ladekabel oder eine Steckdose und …“

„Wahnsinn“, murmelte Melanie, „so ein Handy hätte ich gern. Ich würde mich viel sicherer fühlen, wenn ich mir keine Gedanken darum machen müsste, wo ich meinen Akku aufladen kann. Ich könnte praktisch überall und jederzeit telefonieren.“

„Ruhe!“, brüllte Adam. „Ich will kein Handy, an dessen Entwicklung Jacob beteiligt ist, selbst wenn es uns Frühstück machen oder unsere Steuern zahlen würde!“

Die Frauen wechselten einen Blick.

„Jacob ist unfähig, mit anderen zusammenzuarbeiten“, beharrte Adam.

„Das“, stellte Anna fest, „denkt er offenbar auch von dir.“

„Hast du etwa mit ihm gesprochen?“ Adams Gesicht nahm eine ungesunde Farbe an.

„Ja. Ich habe ihm gesagt, dass LangTel an Sunny Side interessiert ist.“

„Was?“

„Sei doch vernünftig, Adam. Sunny Side wäre eine großartige Investition in die Zukunft. Wir sollten diese Chance nicht ausschlagen, nur weil ihr beide verfeindet seid.“

Adam baute sich vor ihr auf. „Ich will nichts mehr davon hören. Außerdem habe ich noch ein paar Dinge zu erledigen.“ Er wandte sich Melanie zu. „Bis später, Liebes.“ Er gab ihr einen Kuss auf den Scheitel.

„Der allmächtige Adam hat seine Entscheidung also getroffen?“, schrie Anna, die mit den Nerven am Ende war. „Es geht um Millionen für LangTel, und du hast nichts Besseres zu tun, als dich über Jacob aufzuregen?“

„Solange ich Geschäftsführer bin, habe ich jedes Recht, Entscheidungen zu treffen.“

„Ja, daran erinnerst du mich täglich. Aber hier geht es nicht um dich, sondern um die Zukunft von LangTel.“

„Über die niemand anders als ich entscheidet.“ Adams Augen funkelten zornig. „Ich verbiete dir, mir gegenüber je wieder den Namen Jacob zu erwähnen.“

„Wie bitte? Du verbietest mir …“

„Ja“, unterbrach er sie, „du hast mich schon richtig verstanden. Außerdem wirst du nie wieder mit ihm sprechen!“

3. KAPITEL

Abscheu erfüllte Jacob, als er nach sechs langen Jahren des Schweigens das erste Gespräch mit Adam beendete. Er hatte in seinem Fitnessraum trainiert, doch sein Herz schlug nicht infolge körperlicher Anstrengung so schnell, sondern weil er furchtbar wütend war. Glaubte Adam wirklich, er könne ihm Befehle erteilen? Befehle wie „Lass meine Schwester in Ruhe“ oder „Lass dich doch gleich mit Sunny Side begraben“.

Am liebsten wäre Jacob auf der Stelle zu Adam gefahren, um ihn zu einem Faustkampf herauszufordern. Das war es, was richtige Männer taten – oder nicht?

Stattdessen begann er auf dem Laufband, das er schneller gestellt hatte, zu rennen.

Das regnerische Septemberwetter lud nicht dazu ein, draußen zu joggen. Unter solchen Umständen war Jacob im Allgemeinen damit zufrieden, sein Training im Studio zu absolvieren. Heute jedoch fand er trotz aller Anstrengung keine Ruhe. Sein Puls beschleunigte sich, sein Atem ging schneller, er spürte seine Muskeln. Und noch immer hatte er das Gefühl, vor Wut explodieren zu müssen.

Dabei waren es weniger Adams Worte gewesen, die ihn so erzürnt hatten, als die Art, wie Adam sie vorgebracht hatte. Hielt der Mann sich für allmächtig? Vermutlich hatte er schon immer unter einem gewissen Größenwahn gelitten. Aber das ging nun eindeutig zu weit. Wie konnte Adam sich anmaßen, Menschen, die nicht bei ihm angestellt waren, Befehle zu erteilen?

Allein die Vorstellung, dass er mir Vorschriften macht, ist absurd. Das wird er bald einsehen müssen. Ich werde Anna, sofern sie damit einverstanden ist, menschlich so nah wie nur möglich kommen. Sollte sie nur an geschäftlichen Dingen interessiert sein, werden wir uns darauf beschränken. Aber ganz sicher werde ich von Adam keine Befehle entgegennehmen!

Es dauerte nicht lange, bis Jacob auf dem Laufband fünf Meilen zurückgelegt hatte. Bei jedem Schritt hatte er sich geschworen, Adam für sein Verhalten zu bestrafen. Schon vor dem Treffen mit Anna hatte er immer wieder das Bedürfnis verspürt, seinen ehemaligen Freund zu demütigen. Nun hatten die Ereignisse dazu geführt, dass dieses Bedürfnis ins Unermessliche gewachsen war. Adam sollte am eigenen Leib erfahren, wie es war, wenn einem alles genommen wurde!

Es gab so viele unbeglichene Schulden – und die wenigsten davon waren materieller Art. Adam hatte Jacob verraten, ihn belogen und betrogen. Dabei hatte Jacob in ihm seinen besten Freund gesehen. Ihre Freundschaft hatte ihn glücklich gemacht, hatte ihm das Gefühl gegeben, endlich irgendwo zu Hause zu sein, nachdem er als Kind und Jugendlicher von einem Internat ins nächste abgeschoben worden war und sich überall fremd gefühlt hatte.

Jacob hatte nur wenig arbeiten müssen, um stets Klassenbester zu sein. Das hatte seinen Mitschülern nicht gefallen. Sie hatte ihm auch zu verstehen gegeben, dass er aus einer zwar reichen, aber nicht alten Familie kam. Stets hatten sie ihn spüren lassen, dass er nicht zu ihnen gehörte. Vergeblich hatte er versucht, den Abgrund, der sich zwischen ihm und den anderen Schülern auftat, zu überwinden. Doch sosehr er sich auch bemühte, er blieb der Außenseiter, auf den alle hinabschauten.

Er war einsam gewesen, bis er Adam kennenlernte. Auch deshalb hatte diese Freundschaft ihm so viel bedeutet. Umso schlimmer, dass sie zerbrach. Aber besonders hatte er darunter gelitten, dass auch seine freundschaftliche Beziehung zu Anna deshalb ein Ende fand. Die Zeit, die er mit Anna verbracht hatte, war unglaublich harmonisch gewesen. Vom ersten Moment an hatten Anna und er sich wie Seelenverwandte gefühlt. Mit ihr konnte er über alles reden. Sie verstand ihn, auch wenn ihre eigenen Erfahrungen andere waren als seine. Sie brachte ihn zum Lachen und bewies ihm, dass das Leben hell und schön sein konnte.

In der Nacht, als sie ihn geküsst hatte, war Jacob gleichermaßen schockiert und glücklich gewesen. Seit er Anna zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er davon geträumt, ihre Lippen zu kosten. Aber ihm war klar, dass er Anna nicht berühren durfte. Schließlich war sie die Schwester seines Freundes. Um nichts in der Welt hätte er die Freundschaft zu Adam aufs Spiel setzten wollen. Also musste er Annas Annäherungsversuch zurückweisen. Gewiss würde das das freundschaftliche Band zu Adam festigen.

Okay, er hatte sich geirrt. Adam hatte sich von ihm abgewandt und ihm die schlimmste Kränkung seines Lebens zugefügt.

Das Wiedersehen mit Anna war ihm wie ein Wink des Schicksals erschienen. Es gab keinen Grund, sich weiterhin von ihr fernzuhalten. All die Jahre über hatte er nicht aufgehört, von ihr zu träumen. Von ihren Lippen. Von ihrem weichen weiblichen Körper. Von einer gemeinsamen Nacht.

Warum sollten Anna und er nicht da weitermachen, wo sie vor sechs Jahren so abrupt aufgehört hatten? Bestimmt würde das Zusammensein für sie beide zu einer mehr als nur körperlichen Befriedigung führen.

Die Andeutung eines Lächelns erschien auf Jacobs Gesicht. Eine Liaison zwischen ihm und Anna würde Adam unmissverständlich in seine Schranken verweisen.

Jacob richtete den Blick auf die flackernden Bildschirme an der Wand des Fitnessraums. Dort konnte er die aktuellen Aktienkurse verfolgen. Aber momentan interessierten sie ihn nicht besonders. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer des Firmengründers von Sunny Side.

Mark nahm beinahe sofort ab. Und nachdem Jacob kurz mit ihm gesprochen hatte, erklärte er sich gern bereit, Jacob und Anna bei nächster Gelegenheit zu treffen. Sein Haus lag nur eine halbe Autostunde von Jacobs Landsitz entfernt. Dort würden sie sich unterhalten können, ohne von Adam gestört zu werden.

Zufrieden beendete Jacob das Telefonat. Nun musste er nur noch mit Anna reden. Er suchte und fand ihre Handynummer, zögerte dann aber kurz. Ihm war bewusst, dass er eine Grenze überschritt, wenn er seinen Plan in die Tat umsetzte. Eine Grenze, auf deren anderer Seite womöglich Kummer und Schmerz auf Anna warteten. Dabei wollte er ihr auf keinen Fall wehtun. Nun, er würde sie bestimmen lassen, wohin der Weg sie führte. Geschäft oder Vergnügen, Sunny Side oder Sex – er würde sich ganz nach Annas Wünschen richten.

Jacob holte tief Luft und wählte Annas Nummer.

„Hallo, Jacob!“ Sie sprach leise, schien sich aber über seinen Anruf zu freuen.

Ihre Stimme klang warm, und einen Moment lang stellte Jacob sich vor, dass Anna eben erst aufgewacht war, dass sie noch ihr Negligé trug und das Haar ihr offen auf die Schultern fiel.

„Wie geht es dir?“, erkundigte er sich.

„Gut. Und dir?“

Wenn es ihr wirklich gut geht, hat sie sich innerlich von Adam entfernt. Bestimmt hat er meinetwegen mit ihr geschimpft. Aber es scheint ihr gleichgültig zu sein, dass er wütend ist. Wie schön wäre es, wenn sie sich nicht von ihm unter Druck setzen lassen würde! Ich jedenfalls werde nicht zulassen, dass Adam sich uns in den Weg stellt.

Laut sagte er: „Alles bestens! Ich wollte mit dir über Sunny Side sprechen. Mark, der Firmengründer, ist bereit, sich am Wochenende mit uns zu treffen.“

„Das ist ja wundervoll!“

Jacob wunderte sich, dass sie nicht einen Moment lang zögerte. Seit Adams Anruf wusste er, dass sie mit ihrem Bruder über Sunny Side gesprochen hatte und dass Adam absolut gegen ihren Plan war. Gut, dass sie sich von ihrem Bruder nicht einschüchtern ließ!

„Ob Mark deine Idee gefällt, kann ich natürlich nicht sagen. Allerdings glaube ich kaum, dass er immun gegen deinen Charme ist. Also könnte wirklich etwas Gutes bei dem Gespräch rauskommen.“

„Das will ich hoffen.“ Sie lachte. „Und zusätzlich zu meinem Charme …“ Sie freute sich über das Kompliment. „… kann ich ihm ja auch noch eine Menge Geld anbieten.“

„So, wie du das sagst, hört sich eine Menge Geld sehr sexy an.“ Jacob stellte sich vor, wie Anna mit einem verführerischen Lächeln ein Bündel Geldscheine aus dem Ausschnitt ihres Kleides zog und damit vor Marks Gesicht herumwedelte. Oh ja, das wäre sexy!

„Ich werde der Bank vor unserem Treffen einen Besuch abstatten.“

Jacobs Mund war plötzlich so trocken, dass er kein Wort über die Lippen brachte. Er schluckte. „Du bist also bereit zu verhandeln“, sagte er schließlich.

„Absolut!“ Die Aussicht auf das Treffen schien sie zu begeistern.

Nun, sie war schon immer begeisterungsfähig und leidenschaftlich gewesen. Jacob bedauerte jetzt mehr als jemals zuvor, dass er ihr damals gesagt hatte, er könne wegen seiner Freundschaft zu ihrem Bruder keine Liebesbeziehung mit ihr eingehen.

„Mark“, erklärte er, „besitzt ein hübsches Haus, das wir von meinem Landsitz aus leicht erreichen können. Was hältst du davon, wenn wir für ein paar Stunden der Stadt und der Arbeit entfliehen?“

„Du meinst, wir sollten einfach ausreißen?“

„Ja, für eine Nacht. Von New York aus ist es ziemlich weit bis zu Mark. Eine anstrengende Fahrt … Wir sollten das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.“

„Hm …“

Ob sie ihn falsch verstanden hatte? Dachte sie womöglich, er wolle sie zu irgendetwas drängen? Dann hatte er sich ungeschickt ausgedrückt. „Wir könnten reden, vielleicht ein paar Runden Karten spielen und ganz entspannt den Abend genießen.“

„Mir geht es um Sunny Side“, gab sie zurück. „Ich denke, ich werde hart verhandeln müssen.“

Wenn sie nur ans Geschäft dachte, sollte ihm das recht sein. Wahrscheinlich würde es ihm nicht leichtfallen, sich im selben Haus mit ihr aufzuhalten und dennoch Abstand zu wahren. Aber vermutlich wäre es noch schwerer, eine leidenschaftliche Nacht mit ihr zu verbringen und dann einen Schlussstrich zu ziehen.

„Wie komme ich am besten zu dir?“, fragte sie. „Soll ich einen Leihwagen nehmen? Oder gibt es einen Flughafen in der Nähe?“

„Ich könnte dich mitnehmen. Schick mir eine SMS mit deiner Adresse. Dann hole ich dich am Samstagmorgen ab.“

„Okay, prima! Soll ich irgendwas Besonderes mitbringen?“

„Vielleicht deinen Bikini?“ Noch während er sprach, wurde ihm bewusst, wie idiotisch sich das anhörte.

„Nicht gerade meine bevorzugte Geschäftskleidung“, gab Anna da auch schon zurück. Ihr Ton war merklich kühler geworden.

Verzweifelt suchte er nach einer witzigen Antwort. „Schade, ich finde, dass nach anstrengenden Verhandlungen nichts entspannender ist als ein Bad im Whirlpool.“

Anna lachte und legte auf.

Als Anna am Samstagmorgen im Aufzug von ihrer Wohnung nach unten fuhr, kreisten ihre Gedanken wie so oft in den letzten Stunden um das vor ihr liegende Wochenende mit Jacob. Sie kam sich wirklich wie eine Ausreißerin vor. Ein heimliches Treffen! Das war abenteuerlich. Die Vorstellung, Zeit mit Jacob allein zu verbringen, beschleunigte Annas Puls und jagte ihr einen heißen Schauer über den Rücken. Sie wusste natürlich, dass sie sich womöglich in echte Schwierigkeiten bringen würde. Adam würde ihr den Kopf abreißen, wenn er erfuhr, dass sie sich ausgerechnet mit dem Mann traf, den er mehr als jeden anderen verachtete.

Meistens nahm Anna Rücksicht auf die Gefühle ihres Bruders. Aber es gab für alles eine Grenze. Und dass sie sich seit einer halben Ewigkeit nett und verständnisvoll gegenüber Adam benahm, hatte ihr bisher absolut nichts genützt. Es war an der Zeit, eigene Entscheidungen zu treffen. Sunny Side war wichtig für LangTel. Das allein rechtfertigte schon ein Treffen mit Jacob.

Allerdings war es verwirrend, dass Jacob sie aufgefordert hatte, ausgerechnet einen Bikini mitzubringen.

Nachdem sie den Anruf beendet hatte, war sie ins Bad gestürzt, um alle möglichen Vorbereitungen zu treffen. Zunächst hatte sie nach der Enthaarungscreme gesucht. Dann, als das erledigt war, hatte sie sich die Finger- und Zehennägel frisch lackiert. Und schließlich hatte sie ihre Frisur einer kritischen Prüfung unterzogen. Zum Glück war ein Besuch beim Frisör offensichtlich überflüssig.

Sie kam sich ein wenig albern und auf jeden Fall ungewohnt eitel vor. Trotzdem wollte sie sich Jacob von ihrer verführerischsten Seite zeigen. Dabei hatte sie durchaus nicht vor, ihm eine zweite Chance zu geben, sie abzuweisen.

Anna verließ den Aufzug, durchquerte die Eingangshalle und trat aus dem Haus. Sofort fiel ihr Blick auf einen schwarzen SUV, der in der Parkbucht wartete. Irgendetwas an dem Fahrzeug zog die Aufmerksamkeit aller Vorbeigehenden auf sich. Anna zuckte unwillkürlich die Schultern. Sie jedenfalls kannte das Modell nicht.

Allerdings kannte sie den Mann, der jetzt ausstieg und ihr entgegenkam. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie Jacobs vor Kraft und Lebenslust strotzende Gestalt betrachtete. Er trug ein schwarzes Sweatshirt und enge schwarze Jeans und sah einfach umwerfend aus.

„Bist du bereit?“, fragte er und nahm ihr den kleinen Koffer ab.

Als seine Finger ihre berührten, hätte Anna beinahe aufgeschrien. Es war, als habe sie einen elektrischen Schlag erhalten. Dabei war gerade dieser Vergleich ihr immer besonders kitschig erschienen. Verflixt, was machte dieser Mann mir ihr? Sie musste wirklich auf der Hut sein!

Jacob stellte den Koffer hinten ins Auto und hielt Anna die Beifahrertür auf, ehe er selbst auf dem Fahrersitz Platz nahm.

„Du fährst selbst?“, fragte Anna verwundert.

„Ja, so haben wir mehr Zeit für uns. Keine neugierigen Blicke, keine gespitzten Ohren, keine dummen Gerüchte. Je weniger Leute von unserem Ausflug wissen, umso besser.“

Anna schluckte. Hauptsache, Adam erfuhr nichts davon! „Danke“, murmelte sie.

„Es wäre mir nicht recht, wenn du meinetwegen Probleme mit deinem Bruder bekämst. Aber das Treffen mit Mark ist wichtig. Denn über Sunny Side kannst du erst dann ernsthaft mit Adam reden, wenn du mehr Informationen über die Firma hast.“

„Das stimmt.“ Plötzlich kam sie sich sehr wagemutig und gleichzeitig sehr geschäftstüchtig vor. Schließlich ging es um die Zukunft von LangTel. Zudem würde sie mit einem erfolgreichen Geschäftsabschluss allen beweisen können, dass sie durchaus in der Lage war, den Posten der Geschäftsführerin zu übernehmen. Ja, ein paar Geheimnisse waren durchaus zu rechtfertigen.

Bisher hatte Jacob sich wie ein perfekter Gentleman benommen. Das war einerseits beruhigend, andererseits aber auch ein wenig enttäuschend. Seit er ihr damals nach jenem Kuss klargemacht hatte, dass sie als Schwester seines Freundes tabu für ihn war, hatte sie das Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben. Mehr als einmal hatte sie davon geträumt, er würde nicht nur ihren Kuss erwidern, sondern sie überall mit Händen und Lippen verwöhnen und …

Anna errötete und zwang sich, an etwas anderes zu denken. „Ist es eine lange Fahrt?“, erkundigte sie sich.

„Mit etwas Glück schaffen wir es in viereinhalb Stunden.“ Er warf ihr einen Blick zu, lächelte und legte die Hand auf Annas Oberschenkel. „Entspann dich! Sobald wir New York hinter uns gelassen haben, wirst du von der Landschaft fasziniert sein.“

Anna bezweifelte, dass die Landschaft faszinierender sein konnte als Jacob. Und wie – um Himmels willen – sollte sie sich entspannen, solange seine Hand auf ihrem Oberschenkel lag?

4. KAPITEL

Seit Jacob sein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Harvard abgeschlossen hatte, war er stets darauf bedacht gewesen, Arbeit und Vergnügen voneinander zu trennen. Jetzt jedoch würde er das Wochenende mit Anna verbringen. Wegen seiner Verbindung zu Sunny Side hatte sie ein berufliches Interesse an ihm. Aber sie hatten auch eine gemeinsame und sehr private Vergangenheit.

Zunächst hatte Jacob sich einfach nur auf das Zusammensein mit Anna gefreut. Doch schon während der langen Autofahrt wurde ihm klar, dass es riskant war, wenn man zwischen Privatem und Beruflichem nicht klar trennen konnte. Es war ein Spiel mit dem Feuer, und er fürchtete, sich zu verbrennen.

Andererseits hatte kein Feuer zuvor ihn je so fasziniert. Anna war bezaubernd. Ihr Duft, ihre Stimme, die Art, wie sie sich bewegte … Alles an ihr zog Jacob unwiderstehlich an. Immer wieder musste er zu ihr hinschauen. Wie hatte er nur diese süßen Sommersprossen vergessen können? Oder die unglaublich weiblichen Rundungen ihrer Bürste?

Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, ehe sie in der Nähe ihres Ziels von der Hauptstraße abbogen und kurz darauf vor einem großen schmiedeeisernen Tor zum Stehen kamen. Kalte herbstliche Luft strömte ins Auto, als Jacob das Fenster öffnete und den Sicherheitscode eintippte. Langsam rollte das Tor zur Seite und gab den Weg frei. Auf dem Boden lag bereits das erste bunte Laub. Und als ein Windstoß an den Bäumen rechts und links der Straße rüttelte, schwebten weitere rote und goldene Blätter zur Erde.

„Oh“, murmelte Anna, als das Haus in Sicht kam. Offenbar gefiel ihr, was sie sah: die breite Treppe, die zur Haustür hinaufführte, und die im Sonnenlicht glitzernden Fenster, die man mit weiß gestrichenen hölzernen Läden verschließen konnte.

„Es stammt aus den Zwanzigerjahren“, erklärte Jacob. „Das Äußere wollte ich unbedingt erhalten, als ich das Haus vor drei Jahren gekauft habe. Innen allerdings habe ich es gründlich modernisieren lassen. Es ist mein Rückzugsort. Hier will ich alles so bequem und komfortabel wie nur möglich haben.“

Anna nickte. Ihr war klar, dass Jacob beruflich so unter Druck stand, dass er einen Ort brauchte, an dem er sich entspannen konnte.

Jacob sprang aus dem Auto, und Anna folgte seinem Beispiel, ehe er ihr die Tür aufhalten konnte. Also begnügte er sich damit, ihren kleinen Koffer zu nehmen.

„So viel Platz für eine einzelne Person“, murmelte Anna, die das Haus noch immer bewundernd betrachtete. „Kommen deine Eltern oft zu Besuch?“

Er wusste, dass sie sich ein Leben ohne ihre Familie nicht vorstellen konnte. Allerdings hatte er ihr damals anvertraut, dass er im Leben seiner Eltern keine große Rolle spielte. Schweigend schüttelte er den Kopf.

„Trefft ihr euch wenigstens gelegentlich hier?“

„Mein Vater war noch nie hier. Mutter kommt einmal im Jahr für ein Wochenende, aber sie schafft es nicht, sich zu entspannen. Sie ist ruhelos, findet hier aber keine passende Beschäftigung. Ich hingegen liebe es, mir die Hände schmutzig zu machen.“

„Du meinst das hoffentlich nicht im moralischen Sinn“, neckte Anna ihn.

„Wenn du magst, zeige ich dir später, was ich meine“, gab er lachend zurück.

„Fühlst du dich hier denn nicht einsam?“

Er war so daran gewöhnt, allein zu leben, dass ihn nur sehr selten ein Gefühl der Einsamkeit überkam. Aber er war zu klug, um darüber mit Anna zu diskutieren. Schließlich war sie eine Langford und ein Familienmensch. „Dieses Wochenende werde ich bestimmt nicht einsam sein“, sagte er ausweichend. „Ist das nicht alles, was zählt?“ Dann stutzte er. Flirtete er etwa mit Anna? Es hätte genügt, die Schultern zu zucken.

Annas Wangen färbten sich rosa. Sie schenkte Jacob ein strahlendes Lächeln. Anscheinend gefiel es ihr, wenn er mit ihr flirtete.

Am liebsten hätte er ihr Gesicht sanft in die Hände genommen und ihr einen kleinen Kuss gegeben. Doch dazu war es zu früh. Überhaupt durfte er auf keinen Fall den Kopf verlieren. Dass er Rachegelüste gegenüber Adam hegte, durfte ihn nicht dazu verleiten, Anna wehzutun. Er mochte sie. Nein, es war mehr als das. Er hatte sie gern. Immer noch! Wenn er ihr wieder näherkommen wollte, würde er das auf eine Art tun, die für sie beide angenehm war und keine unwägbaren Risiken barg.

Wenn Anna doch nur nicht so süß und verführerisch gewesen wäre!

Inzwischen hatten sie die Eingangshalle des Hauses betreten, und Jacob stellte das Gepäck auf einem niedrigen Holztisch ab. Während Anna sich umschaute, nutzte er die Gelegenheit, sich zu sammeln. Seit Jahren wusste er, wie wichtig es war, im Leben – sei es nun im privaten oder im geschäftlichen Bereich – auf den Verstand zu hören. Das bedeutete oft genug, dass man die körperlichen Bedürfnisse zurückstellen musste. Jetzt zum Beispiel sehnte er sich mit jeder Faser seines Körpers nach Anna. Aber er musste sich gedulden. Auch wenn er darauf brannte, herauszufinden, ob sie ihn schüchtern aus ihren braunen Augen anschauen oder seinen Blick herausfordernd erwidern würde. Vielleicht würde sie ihm sogar ihre Träume offenbaren. Ach, wenn er nur ahnte, was in ihr vorging! Wollte sie wirklich nur mit Sunny Side ins Geschäft kommen? Oder erhoffte sie sich von diesem Wochenende auch die Erfüllung ganz privater Wünsche?

„Was hältst du davon, wenn ich dir zuerst das Haus zeige?“, erkundigte er sich.

„Gute Idee!“

Als Kind wohlhabender Eltern hatte Anna eine Menge prächtiger Häuser gesehen. Dennoch war sie von Jacobs Heim beeindruckt. Die kunstvoll aufgearbeiteten und hervorragend gepflegten Parkettfußböden, die kostbaren Teppiche, die geschmackvolle Einrichtung – das alles verlieh den Zimmern eine besondere Atmosphäre. Selbst Annas Mutter, die viel Zeit und Geld darauf verwendete, ihr eigenes Heim zu einem Schmuckstück zu machen, wäre hingerissen und womöglich ein wenig neidisch gewesen.

Es dauerte eine Weile, bis sie das Erdgeschoss besichtigt hatten und in die Eingangshalle zurückkehrten. Jetzt – dachte Anna – würde Jacob ihr wohl die Schlaf- und Gästezimmer im ersten Stock zeigen. Doch stattdessen schlug er vor, zum Nebengebäude mit ihr zu gehen. Wollte er ihr etwa den neuen Aufsitzrasenmäher zeigen? Sie runzelte die Stirn, sagte dann aber vergnügt Ja.

Ein gepflasterter Weg führte sie an einem Swimmingpool und einem Tennisplatz vorbei zu einem großen Gebäude, in dem sich früher vermutlich Pferdeställe und Einstellplätze für Kutschen und Autos befunden hatten. Erstaunlicherweise war das Gebäude genauso gut gesichert wie das Wohnhaus. Jacob musste eine Alarmanlage ausschalten, ehe sie eintreten konnten.

Dann schaltete er die Deckenbeleuchtung ein – und Anna hielt den Atem an.

Vor ihr standen sieben oder acht schwarz glänzende und sehr teuer aussehende Autos sowie mehr als ein Duzend Motorräder. Chrom glitzerte.

„Oh!“

Es roch intensiv nach verschiedenen Dingen, obwohl die Halle sehr, sehr sauber war: Motoröl, Benzin, Politur und Leder.

„Oh!“, wiederholte Anna. Sie hatte nicht erwartet, dass der Anblick von Autos und Motorrädern sie so berühren würde. Zögernd machte sie einen Schritt nach vorn. Dies alles war so … so männlich, so kraftvoll! Langsam ließ sie den Blick über die einzelnen Fahrzeuge gleiten. „Meine Güte, Jacob, das ist unglaublich!“ Vor einem Motorrad mit einem braunen, schon ziemlich abgenutzten Ledersattel blieb sie stehen.

„Mein Hobby“, erklärte Jacob. „Es sind alles Klassiker. Keines der Autos und keines der Motorräder ist nach 1958 gebaut worden. Einige habe ich in einem guten Zustand von anderen Sammlern erworben. Andere fielen praktisch auseinander, als ich sie entdeckte. Die habe ich selbst restauriert. Es war harte Arbeit, aber es hat mir unglaublich viel Freude gemacht.“

Er stand jetzt direkt hinter Anna, und sie konnte seinen Atem in ihrem Haar spüren. Ein heißer Schauer überlief sie.

„Du hast sie selbst repariert?“, vergewisserte sie sich.

„Traust du mir das nicht zu?“

„Ich weiß nicht … Braucht man dafür nicht eine jahrelange Ausbildung?“

Er lachte. „Ich habe mir fast alles anhand von Büchern selbst beigebracht. Es war eine Herausforderung, das gebe ich zu. Aber ich habe sie gemeistert. Trotzdem habe ich jedes einzelne Fahrzeug in einer Werkstatt überprüfen lassen, ehe ich mich mit ihm auf die Straße gewagt habe.“

„Toll!“

Er ging an ihr vorbei zu einem Motorrad und schwang sich in den Sattel. „Dies ist meine Lieblingsmaschine, eine Vincent Black Shadow.“ Er klappte den Seitenständer hoch, und die Maschine wippte unter seinem Gewicht ein wenig auf und ab. Seine Hände lagen fest auf dem Lenker.

Oh Gott, er hatte wunderbar männliche Hände! Kräftig, mit langen Fingern. Überhaupt sah er unglaublich sexy aus auf dem Motorrad, das er wahrscheinlich wie ein Rennfahrer beherrschte.

„Nimmst du mich mit auf eine kleine Spritztour?“, platzte Anna heraus.

„Wird dir das nicht zu kalt? Der Sommer ist vorbei.“

„Bitte!“ Aus großen Augen schaute sie ihn an.

„Bist du überhaupt schon mal Motorrad gefahren?“

Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte praktisch...

Autor

Yvonne Lindsay
Die in Neuseeland geborene Schriftstellerin hat sich schon immer für das geschriebene Wort begeistert. Schon als Dreizehnjährige war sie eine echte Leseratte und blätterte zum ersten Mal fasziniert die Seiten eines Liebesromans um, den ihr eine ältere Nachbarin ausgeliehen hatte. Romantische Geschichten inspirierten Yvonne so sehr, dass sie bereits mit...
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Karen Booth
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Dani Wade
<p>Als Jugendliche erstaunte Dani Wade die Mitarbeiter der örtlichen Bibliothek regelmäßig. Sie lieh sich wöchentlich bis zu zehn Bücher aus – und las diese dann tatsächlich bis zu ihrem nächsten Besuch. Sie stellte sich gerne vor, selbst in der Rolle der weiblichen Heldin zu stecken. Vielleicht gelingt es ihr auch...
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