Baccara Exklusiv Band 42

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ZUM ERSTEN, ZUM ZWEITEN, ZUM ... von BAXTER, MARY LYNN
Unvergessliche Erfüllung erlebt Bridget in Jeremiahs Armen. Die Stunden der Zärtlichkeit, in denen der starke Rancher ihr alles gegeben hat, waren fantastisch. Aber am nächsten Morgen ist Bridgets erster Impuls: Flucht! Jeremiah behauptet: Wir sind verheiratet!

KÜSSE VOLLER LEIDENSCHAFT von ADAMS, PEPPER
Nacht für Nacht erscheint Clay in Mollys sinnlichen Träumen. Ihr Körper sehnt sich nach seiner heißen Leidenschaft, doch ihr Verstand warnt sie, denn sie befürchtet: Ihr lebenslustiger Traummann will alles - nur keine lange Beziehung ...

DU BIST VIEL ZU SEXY von DANSON, SHERYL
Grady ist von Hilarys Sex-Appeal überwältigt. Der pflichtbewusste Polizist brennt vor Verlangen, die süße junge Frau zu erobern. Die heißen Liebesstunden mit ihr sind einzigartig. Doch passt die chaotische, unkonventionelle Hilary in sein wohlgeordnetes Leben?


  • Erscheinungstag 29.01.2008
  • Bandnummer 42
  • ISBN / Artikelnummer 9783863495817
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PEPPER ADAMS

KÜSSE VOLLER LEIDENSCHAFT

Clay will auf seiner Jacht allein um die Welt segeln – Molly arbeitet an ihrer Karriere. Doch ihr Verlangen füreinander brennt lichterloh. Beide suchen nur eine Affäre, bis die Liebe ins Spiel kommt. Wird Clay seine Reise antreten? Oder bleibt er und versucht Molly zu überreden, als Ärztin in seinem kleinen Heimatort zu praktizieren?

MARY LYNN BAXTER

ZUM ERSTEN, ZUM ZWEITEN, ZUM ...

War es ein Glas Champagner zuviel? Als Bridget morgens in den starken Armen des blendend aussehenden Ranchers Jeremiah erwacht, kann sie sich nur an Bruchstücke des Abends erinnern. Sie hat den tollen Mann ersteigert und der Sex mit ihm war unvergesslich. Aber dass sie und er noch in dieser Nacht geheiratet haben, kann sich die kühle Anwältin nun wirklich nicht vorstellen …

SHERYL DANSON

DU BIST VIEL ZU SEXY

Sie ist so sexy, dass Männer alles dafür tun würden, um mit ihr im Bett zu landen. Auch Grady erliegt Hilarys unglaublicher Anziehungskraft. Seine Gefühle sind stark für sie – trotzdem beginnt der pflichtbewusste Polizist schon bald an einer gemeinsamen Zukunft zu zweifeln. Denn Hilary stellt mit ihren verrückten Einfällen sein geordnetes Leben auf den Kopf …

1. KAPITEL

Der Champagner schäumte etwas halbherzig aus der Flasche, nachdem Clay Cusak den Korken mit einem dumpfen Plopp entfernt hatte. Genauso undramatisch wird wohl der Rest des Abends verlaufen, stellte er nüchtern fest. Die Lust zum Feiern, die ihn vor gut einer Stunde dazu veranlasst hatte, eine Flasche Champagner beim Room-Service zu bestellen, hatte sich ebenso rasch verflüchtigt wie die prickelnden Perlen des edlen Tropfens in seinem langstieligen Kristallglas.

Der große goldgerahmte Spiegel an der gegenüberliegenden Wand seiner Hotelsuite reflektierte Clays düstere Miene, und er registrierte das feine Gespinst zarter Fältchen in seinen Augenwinkeln. Das hat man nun davon, wenn man zu viele Stunden in der sengenden Sonne Floridas verbringt, überlegte er spöttisch.

Und wenn man dreißig Jahre alt wird, so wie ich heute.

Die Fältchen wirkten gemildert, wenn er lächelte, und das besänftigte ihn etwas. Kritisch betrachtete er sein Spiegelbild. Wenigstens fing sein Haar noch nicht an, grau zu werden. Oder etwa doch? Nein, es war immer noch dunkelblond, die hellen Strähnen hatte die Sonne gebleicht, nicht das fortschreitende Alter.

Er stellte die Flasche ab und ließ seine kräftigen Armmuskeln spielen, um sich aufzumuntern. Es war nichts an ihnen auszusetzen, wie er befriedigt feststellte. Nicht schlecht für einen Mann, der fünfeinhalb Tage in der Woche damit zubrachte, in einem Drugstore Pillen zu zählen. Na gut, die verbleibenden anderthalb Tage widmete er sich dann auch ausschließlich dem Segeln und anderen Wassersportarten.

Kritisch musterte er sein Konterfei im Spiegel. Wo lag eigentlich sein Problem? Es war doch gar nicht seine Art, düster vor sich hin zu brüten. Er gehörte nicht zu den introvertierten Typen. Wahrscheinlich war einfach nur dieser ganz besondere Tag schuld an seiner Stimmung. Er hatte schon oft von Leuten gehört, die an ihrem dreißigsten Geburtstag plötzlich Depressionen bekamen.

Dreißig! Im Grunde noch gar kein Alter, aber doch ein bedeutsamer Wendepunkt im Leben eines Menschen. Jetzt war er erklärtermaßen erwachsen, die Tage unbeschwerter Jugend waren endgültig gezählt. Clay fürchtete plötzlich, in Zukunft etwas vermissen zu müssen, wenn er auch nicht genau zu sagen wusste, was.

Im Grunde lief doch alles wie geplant. Er war auf dem besten Weg zu finanzieller Unabhängigkeit, und dieser Weg führte ihn geradewegs von Morgan’s Point fort. In letzter Zeit war ihm immer deutlicher zu Bewusstsein gekommen, dass die Welt noch mehr zu bieten hatte als das Leben in einer abgelegenen Kleinstadt. Jetzt, mit dreißig Jahren, war er reif für eine Veränderung.

Fünf Jahre lang war er damit zufrieden gewesen, den Drugstore zu betreiben, den er kurz nach Beendigung seines Pharmaziestudiums übernommen hatte. Doch in letzter Zeit plagten ihn zunehmend Zweifel, ob er sich womöglich zu früh fest etabliert hatte. Vielleicht hätte er mehr wagen sollen, um seinem Leben jene Würze zu verleihen, die nur das Risiko mit sich bringt. Doch er hatte sich stets für den sicheren Weg entschieden.

Im Grunde hatte er den Drugstore ohnehin nur übernommen, weil der gerade zum Verkauf stand. Clay hatte etwas Geld geerbt, und ihn reizte der Gedanke, sein eigener Herr zu sein. Da er darüber hinaus über einen durchaus wachen Geschäftssinn verfügte, hatten einige kluge Investitionen ihm bald zu einem sorgenfreien Leben verholfen.

So weit, so gut. Das Problem war nur, sich nicht selbst zu verlieren im Sumpf kleinstädtischer Probleme, mit denen er tagtäglich konfrontiert wurde. Es kam häufig vor, dass die kleinen Melodramen seiner Kunden ihn so sehr in Anspruch nahmen, dass er darüber ganz vergaß, wie unzufrieden er mit seinem eigenen Leben war. Doch glücklicherweise gab es auch immer wieder Momente wie diesen, um ihm die Realität in Erinnerung zu rufen.

„Cheers!“ Er stieß mit dem leeren Glas an, das auf dem chromblitzenden Tablett stand. Restaurants und Hotels konnten anscheinend nur in Zweierkategorien denken. Ein Gedeck zum Dinner wurde noch stirnrunzelnd akzeptiert, doch ein einzelnes Glas für den Champagner schien absolut unmöglich zu sein.

Aber daran hätte er sich inzwischen schon gewöhnen müssen. Obwohl er häufig mit durchaus attraktiven Frauen ausging, zog er es vor, seine persönlichen kleinen Feiern ausschließlich in seiner eigenen Gesellschaft zu begehen. Warum sollte er den Frauen auch das Gefühl von Beständigkeit vermitteln, da er keineswegs beabsichtigte, eine von ihnen zu bitten, sein Leben mit ihm zu teilen?

Er war ganz glücklich mit der gegebenen Situation. Es gefiel ihm, zu tun und zu lassen, was er wollte und wann er es wollte. Er sah sich schon als schrulligen alten Junggesellen, der auf einer Jacht lebte und den lieben langen Tag mit Angeln verbrachte.

Das alles gehörte zu seinem Lebensziel. Wenn er sparsam wirtschaftete und ein Großteil seines Einkommens gewinnbringend investierte, würden seine Pläne aufgehen, das hatte Clay sich genau ausgerechnet. Er konnte sich dann zur Ruhe setzen, wenn er noch jung genug war, um sein Leben zu genießen.

Keinesfalls jedoch wollte er wie sein Vater enden, der sein Leben lang hart gearbeitet und nie die Zeit gefunden hatte, das Familiäre oder irgendetwas anderes zu genießen. Das wollte er alles nach seiner Pensionierung nachholen. Nur dass das Leben da leider nicht mitgespielt hatte und er drei Monate vor dem magischen Datum gestorben war.

Je intensiver Clay sich die offenkundige Sinnlosigkeit des Daseins seines Vaters vor Augen führte, umso fester stand sein Entschluss, seine eigenen Pläne zu verwirklichen. Er war nicht etwa ein Workaholic, nein, er besaß nicht einmal besonderen Ehrgeiz. Doch er wusste die Unabhängigkeit zu schätzen, die ein gut gepolstertes Bankkonto versprach. Außerdem hatte er schon vor langer Zeit herausgefunden, dass es besser war, die Dinge gleich anzupacken, anstatt sie auf die lange Bank zu schieben.

Seine charmante und sorglose Art hatte ihn allseits beliebt gemacht. Clay mochte fast jeden, und alle mochten ihn …

Er lehnte sich zurück, wobei er erneut einen Blick in den Spiegel riskierte. Höhnisch starrte ihn sein skeptisches Spiegelbild an.

„Okay, vielleicht nicht alle“, räumte er ein. „Molly Fox jedenfalls scheint nicht gerade einen Narren an mir gefressen zu haben.“ Er grinste spöttisch. Das war wirklich eine schöne Umschreibung für die jahrelange Hassliebe, die ihn mit der Schwester seiner alten Schulfreundin verband.

Anerkennend hob Clay sein Glas und sprach einen ironischen Toast auf sein imaginäres Gegenüber aus. „Auf dich, Molly! Auf die einzige Frau, die es geschafft hat, meinem unwiderstehlichen Charme zu widerstehen.“

Während er an seinem Champagner nippte, dachte er tief befriedigt an den Grund für seinen Kurztrip nach Miami. Natürlich, da gab es diesen medizinischen Kongress und den hochinteressanten Vortrag am nächsten Morgen, den er keinesfalls versäumen wollte. In Wirklichkeit jedoch war Clay einzig und allein darauf aus, sich eine ganz bestimmte Jacht anzusehen. Er hatte gerüchteweise gehört, dass der Besitzer unbedingt verkaufen musste, und das wahrscheinlich notgedrungen zu einem Schleuderpreis. Obwohl Clay wohl noch eine Zeit lang brauchen würde, bis er die erforderliche Summe beisammenhatte, konnte es ja nicht schaden, sich das Boot einmal anzusehen.

Zu viel mehr reichte die ihm zur Verfügung stehende Zeit auch gar nicht. Er musste noch einen Flieger nach Jacksonville erwischen und von da aus so schnell wie möglich nach Morgan’s Point zurückkehren. Unvorsichtigerweise hatte er seiner Freundin Rachel versprochen, rechtzeitig zum Empfang ihrer Schwester wieder zu Hause zu sein. Normalerweise ging er gern auf Partys, aber diesmal hätte er liebend gern darauf verzichtet.

Denn dort würde er Molly treffen, die inzwischen zur Ärztin promoviert war. Eine Begegnung, der er in einer Mischung aus Horror und gespannter Erwartung entgegensah. Er hatte Molly seit dem Abitur nicht mehr getroffen. Sie war damals gleich zur medizinischen Fakultät gegangen. Jedenfalls hatte er mit dem Thema Molly Fox einfach nicht abschließen können, da sie ihm schon von jeher die Bewunderung versagt hatte, die ihm seiner Meinung nach zustand. Was hatte er nicht alles unternommen, um sie zu beeindrucken – vergeblich. Sie hatte noch nicht einmal über seine Witze gelacht. Im Gegenteil, sie war ihm stets mit weitaus größerer Kälte entgegengetreten, als ein Typ wie er es tatsächlich verdient hatte.

Clay hatte ihre mangelnde Sympathie nie so recht überwinden können. Da Molly vier Jahre älter als er und Rachel war, hatte er sein angehendes Erwachsenenego damit besänftigt, indem er ihre deutlich zur Schau gestellte Verachtung ihrem arroganten Teenagergehabe zuschrieb. Nun, jetzt waren sie beide allerdings längst keine Teenager mehr.

Clay öffnete seine Aktenmappe und zog das kleine, in Leder gebundene Notizbuch heraus, in dem er fein säuberlich über seine finanzielle Situation Buch führte. Die Zahlenkolonnen, die darin enthalten waren, gaben ihm befriedigenden Aufschluss über die Zeit, die es noch dauern würde, bis er endlich das Arbeitsleben hinter sich lassen und sich für immer auf seine Segeljacht zurückziehen konnte. Und zwar allein. Zum wiederholten Mal checkte er seine Kalkulation und war höchst zufrieden mit dem Ergebnis. Seine gute Laune war völlig wiederhergestellt. Er hatte einen Lebensplan, und nichts konnte ihn aufhalten.

Nicht einmal Mollys bevorstehende Ankunft.

Die hellen Deckenleuchten waren durch bunte chinesische Lampions ersetzt worden. Fahnenschmuck zierte die Wände, und farbenfrohe Krepppapierlagen bedeckten die langen Tische. Auf einem der Tische war ein üppiges Büfett hausgemachter Köstlichkeiten aufgebaut, die einen betörenden Duft verströmten. Doch die größte Attraktion bildete ohne Zweifel das handgeschriebene Spruchband, das über eine ganze Wand der High-School-Cafeteria gespannt war. In großen blauen Lettern stand darauf geschrieben: WILLKOMMEN, DR. MOLLY!

Molly Fox war äußerst gerührt über den Aufwand, den die Bürger von Morgan’s Point betrieben, um ihre Ankunft zu feiern. Umso tiefer empfand sie die Enttäuschung, die sie ihnen bereiten musste. Leider war es ihr unmöglich, ihrer Bitte nachzukommen, sich in Morgan’s Point niederzulassen, um die neu erbaute Praxis zu leiten. Sie hätte das gleich zu Anfang klarstellen sollen, aber alle hatten sich so aufrichtig über sie gefreut, dass sie es einfach nicht übers Herz gebracht hatte. Und als der Stadtrat sie mit finanziellen Anreizen zu ködern versuchte, hatte sie versprochen, sich das Angebot noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.

Im Laufe des Abends wurde Molly so vielen Männern, Frauen und Kindern vorgestellt, dass sie schließlich den Versuch aufgab, sich alle Namen und Gesichter merken zu wollen. Es schien fast so, als legte jeder einzelne Bürger der kleinen Stadt Wert darauf, Lydias Tochter und Rachels älterer Schwester den nötigen Respekt zu erweisen.

„Fühlst du dich jetzt schuldig?“, erkundigte sich Rachel über den Tisch hinweg, an dem sie sich zum Essen versammelt hatten.

„Keine Spur“, gab Molly lächelnd zurück. „War das etwa der Zweck dieser netten, kleinen Party?“

Ihre Mutter Lydia lachte nervös und beeilte sich, das Thema zu wechseln. „Es freut mich so, dass wir drei endlich mal wieder beisammen sind. Vier Jahre Trennung können ziemlich lang werden. Ist das nicht ein ganz reizendes Fest?“

„Ja, das ist es.“ Molly wandte sich an ihre Schwester. „Mir ist klar, dass du meinetwegen eine Menge Unannehmlichkeiten auf dich genommen hast, Rachel. Glaub mir, ich weiß das zu schätzen. Mit dieser ständigen Morgenübelkeit sind dir die Vorbereitungen sicher nicht leichtgefallen.“

„Ohne Joes Hilfe hätte ich es wohl tatsächlich nicht geschafft.“ Rachel bedachte ihren Mann mit einem dankbaren Lächeln.

Joe Morgan, Bürgermeister von Morgan’s Point, legte seiner Frau fürsorglich einen Arm um die Schultern und zog sie an sich. „Die meiste Arbeit hat sowieso der emsige Damen-Hilfstrupp auf sich genommen, und das Geld für die Dekoration hat Clay Cusak zur Verfügung gestellt.“

Rachel drückte Joes Hand. „Wo steckt der Schurke eigentlich? Er hat fest versprochen zu kommen.“

„Gräm dich bloß nicht meinetwegen“, bemerkte Molly spöttisch. Sie war überrascht zu hören, dass Clay sich an den Vorbereitungen beteiligt hatte. Eine derart großmütige Geste sah dem Clay, den sie kannte, gar nicht ähnlich. Einen Frosch in die Bowle zu setzen war schon eher sein Stil. „Clay gehörte nun wirklich nicht zu meinem Freundeskreis.“

„Molly!“, rief Lydia aus. „So etwas darfst du nicht sagen! Clay ist ein äußerst netter Bursche, und er stand sich immer gut mit unserer Familie. Nicht wahr, Ernie?“, wandte sie sich an ihren neuen Ehemann, bemüht, ihn mit ins Gespräch zu ziehen.

Ernie nickte bloß, er war kein Mann vieler Worte.

„Bursche ist genau das richtige Wort“, bemerkte Molly. „Ebenso wie Peter Pan wird auch Clay Cusak wahrscheinlich nie erwachsen. Es wundert mich, dass er es tatsächlich schon auf reife dreißig Jahre gebracht hat. Ich hätte manchmal nicht übel Lust gehabt, ihn mir selbst vorzuknöpfen als Rache für all die fiesen Streiche, die er mir gespielt hat.“

Rachel musste lachen. „Erinnerst du dich noch an damals, als er dir diese Badeperlen in die Hosentaschen deiner Jeans gestopft hat?“

Molly verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Als ich mich im Klassenzimmer auf meinen Platz gesetzt habe, sind die Perlen geplatzt, und es sah aus, als hätte ich in die Hosen gemacht. Es war mehr als herzlos, einem jungen Mädchen so etwas anzutun.“

„Besonders einem, das so viel Wert auf ihr Image legte wie du“, fügte Rachel hinzu.

Joe, immer um Harmonie bemüht, sagte: „Das alles liegt nun schon so lange zurück, Molly. Clay war damals schließlich erst neun. Du wirst ihm seine kindlichen Schabernacke doch heute nicht mehr vorwerfen.“

„Aber genau das tut sie“, meinte Rachel. „Ich für meinen Teil liebe ihn wie einen Bruder, aber Molly hat ihn immer nur für bösartig gehalten.“

„Bösartig? Dieser nette Junge?“, ereiferte sich Lydia. „Himmel, er hatte das Gesicht eines Engels. Und wie er reden konnte …“

„Das kann man wohl sagen“, warf Rachel ein. „Er hat sich stets aus jedem Schlamassel herausgeredet, in den er uns hineingeritten hat. Ich durfte dann immer die Schelte einstecken.“

Lydia schüttelte den Kopf. Sie hatte Clays Streiche nie ernst genommen. „Er war einfach nur ein einsamer kleiner Junge, der um Aufmerksamkeit buhlte.“

Molly wusste, dass ihre Mutter Clay, das arme Schlüsselkind, von Anfang an ins Herz geschlossen hatte. Sie war ihm wie eine zweite Mutter gewesen, als die beiden Familien noch Tür an Tür in Jacksonville gelebt hatten. Wahrscheinlich hatte er ihr den Sohn ersetzt, der wenige Monate nach seiner Geburt gestorben war.

„Tut er das immer noch?“, fragte Molly. „Um Aufmerksamkeit buhlen, meine ich.“

„Meistens schon“, erwiderte ihre Schwester lachend.

Molly wandte sich an ihren Schwager. „Du solltest gut auf deine Frau aufpassen, Joe. Von der dritten Klasse an hat Clay versucht, Rachel den Hof zu machen. Jetzt, wo ihr beide verheiratet seid, plant er bestimmt, dich auf irgendeine heimtückische Weise loszuwerden.“

Joe schüttelte den Kopf. „Darum mache ich mir keine Sorgen. Clay und ich verstehen uns ausgezeichnet.“

Bevor Molly ihn mit weiteren Fragen löchern konnte, zog ein plötzlicher Tumult am anderen Ende des Raums die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Eine Gruppe von Männern verrückte Tische, während andere ein Klavier hereinrollten.

Rachel beugte sich interessiert vor. „Das sind die Dudley-Zwillinge. Sie sind berühmt für ihr Fidel-Duo. Miss Watkins, die Hauswirtschaftslehrerin, begleitet sie am Klavier. Die drei sind wirklich gut, das muss man ihnen lassen.“

Das Trio stellte sein Können auch gleich mit einigen fröhlichen Liedern unter Beweis, die die ersten wackeren Pärchen auf die Tanzfläche lockten. Die ganz Kleinen unter den Anwesenden wippten im Rhythmus der Musik mit ihren Zehen und wackelten mit den windelbepackten Pos, ein Anblick, der zur allgemeinen Erheiterung beitrug. Es war wirklich ein fröhliches Fest, und etwas von der Wärme und dem Kameradschaftsgeist, der den Raum erfüllte, sprang auch auf Molly über. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass es einzig und allein in ihrer Hand lag, selbst ein Teil des Ganzen zu werden, auch wenn sie insgeheim bezweifelte, dass sie sich so schnell und problemlos wie ihre Mutter und Schwester einfügen würde.

Das Licht wurde gedämpft, und die Musiker stimmten einen langsamen Walzer an. Rachel und Joe entschuldigten sich, um sich endlich auch ins Vergnügen zu stürzen.

Ernie knuffte Lydia sanft in die Seite. „Möchtest du tanzen, Honey?“

Lydia wollte schon begeistert aufspringen, als ihr bewusst wurde, dass Molly dann allein am Tisch zurückbleiben würde. Seufzend lehnte sie sich wieder auf ihrem Stuhl zurück. „Nein danke, im Moment nicht.“

„Komm schon, Mutter, es macht mir wirklich nichts aus. Ich werde einfach hier sitzen und die schöne Musik genießen“, versicherte Molly. Mit einem Lächeln beobachtete sie, wie ihre Mutter auf die Tanzfläche zusteuerte.

Plötzlich spürte Molly sich von einer starken Hand am Ellbogen gepackt und hochgezogen. „Na, wie geht’s, Doc?“ In der tiefen, männlichen Stimme schwang ein amüsierter Unterton mit.

„Hey, einen Moment mal!“, fuhr sie aufgebracht herum. „Ach, du bist’s.“

Clay Cusak verbeugte sich spöttisch. Sein schelmisches Grinsen war immer noch dasselbe wie früher, doch seine Gesichtszüge waren gereift und kaum mehr als pausbäckig zu bezeichnen. „In Fleisch und Blut.“

Und nicht zu verachten, wie Molly sich widerstrebend eingestehen musste. Sie hatte Clay nie ausstehen können, und es ärgerte sie festzustellen, wie unverschämt gut er aussah. Wenn es nach ihr ginge, hätte er als Strafe für seine zahllosen Jugendsünden fett und kahlköpfig sein müssen.

„Ich habe keine Lust zum Tanzen“, sagte sie unwirsch.

Er schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Immer noch frostig nach all den Jahren?“ Er beugte sich vor, und der frische Duft seines Rasierwassers stieg ihr in die Nase. „Hör mal, die Leute gucken schon. Wenn du dich jetzt wieder hinsetzt, werden sie sich moralisch verpflichtet fühlen, über uns zu tratschen.“

Molly wusste, dass er recht hatte. Auch sie registrierte die neugierigen Blicke. Notgedrungen rang sie sich zu einem halbherzigen Lächeln durch. „Na schön, dann lass uns also tanzen.“

Clay war angenehm überrascht gewesen, als er Molly Fox in der Menge entdeckte. Jene Molly, an die er sich erinnerte, lief immer mit einem Buch vor der Nase durch die Gegend, das heißt, wenn sie sich nicht gerade über ihn und Rachel beklagte. Eigentlich hatte er erwartet, ihre schönen graugrünen Augen hinter dicken Brillengläsern versteckt zu sehen.

Doch stattdessen strahlten diese Augen vor Energie und Lebensfreude. Das glänzende dunkle Haar fiel ihr locker auf die entblößten Schultern. Ihre Lippen, vor Missbilligung schmal und verkniffen, wie er sich vorgestellt hatte, waren voll und weich geschwungen. Sie war noch immer genauso hübsch wie damals, womöglich sogar noch hübscher, jetzt, da die Jahre ihren klassischen Zügen eine natürliche, reife Würde verliehen hatten.

Er konnte sich kaum vorstellen, dass er dieselbe Molly vor sich hatte, die Spielverderberin seiner Jugendzeit. Und doch war sie es. Und sie brachte es immer noch fertig, dass er sich wie ein linkischer Teenager vorkam.

„Hoffentlich bist du jetzt zufrieden, Cusak“, zischte sie, während er sie schwungvoll herumdrehte. „Alle starren uns an.“

„Fein.“ Er blickte jungenhaft grinsend zu ihr hinab. „Es freut mich festzustellen, dass es dir immer noch gelingt, einem Eskimo die Füße abzufrieren mit deinem eiskalten Blick. Versetzen Sie Ihre Patienten mit diesem Blick auch unter Vollnarkose, Frau Doktor?“

„Das nicht, aber gegen unwillkommene Charmeure wirkt er allemal.“

„Das habe ich mir gedacht.“ Seine Augen blitzten mutwillig, so wie sie es von früher in Erinnerung hatte. Immer wenn er sie so angesehen hatte, hatte sie keine fünf Minuten später feststellen müssen, dass sich eine Schlange in ihrem Ranzen verbarg oder dass aus ihrem Tagebuch eine Seite herausgerissen war.

Auch an Clay war die Zeit nicht spurlos vorübergegangen, sondern hatte ihn zu einem äußerst attraktiven Mann heranreifen lassen. Ein erregender Schauer durchrieselte Mollys Körper, als er sich eng an sie schmiegte. Hey, das ist doch bloß Clay Cusak, der Lausejunge aus der Nachbarschaft, der dir die Jugendzeit vergiftet hatte, wo er nur konnte, rief sie sich in Erinnerung, aber es half nicht viel. Die Schauer jedenfalls ebbten nicht ab.

„Setz doch nicht so eine sorgenvolle Miene auf, Molly. Ich verspreche dir, dass ich heute Abend keinen einzigen Frosch in der Jackentasche habe.“

Molly spürte seinen warmen Atem auf ihrem Haar, und sie bemühte sich um mehr Abstand zu ihm. Dieser starke, markante Mann unterschied sich entschieden von dem schlaksigen Jungen, der er einmal gewesen war. Er sah anders aus. Er fühlte sich anders an. Er duftete sogar anders.

Clay zog sie wieder dichter an sich und flüsterte ihr zu: „Entspann dich, Molly. Lass uns doch heute Abend einfach mal unsere Probleme von damals vergessen und so tun, als seien wir alte Freunde.“

Wenn man die höchst beeindruckende Wirkung bedachte, die er auf sie ausübte, würde es gar nicht so schwer sein, die Vergangenheit zu vergessen. Das schummerige Licht, die verträumte Musik, das verliebte Flüstern um sie herum – all das schirmte sie wie ein fester Panzer gegen unliebsame Erinnerungen ab.

Molly erkannte natürlich sofort die Gefahr, die darin lag, und sie wünschte, Clay würde sie nicht ganz so fest an sich drücken. Sie wollte die Hitze seines Körpers nicht spüren, genauso wenig wie die Gänsehaut, die seine Lippen dicht an ihrem Ohr auf ihrer Haut hervorriefen. Er schien sich seiner Wirkung auf sie ganz genau bewusst zu sein und die Situation zu genießen. Was Molly nur umso mehr ärgerte.

Sie wand sich in seinen Armen und bemerkte kalt: „Du hältst mich zu fest, Cusak.“

„Wir sind doch einfach nie einer Meinung, was?“ Er lachte amüsiert. „Ich finde eher, dass ich dich noch nicht fest genug halte.“

Bevor sie etwas darauf erwidern konnte, tippte Dell Harley, der Automechaniker, Clay auf die Schulter. „Du hast doch nichts dagegen, wenn ich jetzt übernehme?“

Sie rechnete fest damit, dass Clay ganz entschieden etwas dagegen haben würde, ja, sie hoffte es sogar. Doch in diesem Moment wechselte die Musik zu einem schnelleren Rhythmus, und Molly überließ sich schulterzuckend Dells schwungvoller Führung.

Es dauerte Stunden, ehe sie wieder in Clays Armen landete. In der Zwischenzeit hatte er beinahe mit jeder der im Raum anwesenden Frauen getanzt, wie Molly mit einem leisen Anflug von Eifersucht feststellte. Jetzt, gegen Ende der Party, war es wieder Zeit für die leisen, romantischen Töne, und ihre Körper wiegten sich im Rhythmus der langsamen Musik.

Clay ließ die Hand Mollys Rücken hinuntergleiten und presste sie noch fester an sich. Irritiert registrierte sie, wie ihr verräterisches Herz anfing, aufgeregt zu schlagen. Sie spürte seine Hand heiß und besitzergreifend durch den dünnen Stoff ihres Kleides. Seine Beine rieben sich an ihren, und er schmiegte seine Wange an ihre Schläfe. Molly versuchte sich zu überzeugen, dass all das weder ihm noch ihr wirklich etwas bedeutete. Er war eben ein unheilbarer Schürzenjäger, und sie war ganz einfach schon zu lange allein.

Nachdem das Lied verklungen war, löste Molly sich aus seinen Armen und sah, wie Rachel und Joe ihr zum Abschied zuwinkten, bevor sie durch das große Eingangsportal nach draußen verschwanden. „Danke für den Tanz, Clay“, sagte sie mit leicht vibrierender Stimme.

„Es war mir ein Vergnügen.“

„Ich muss jetzt gehen. Meine Meute ist schon aufgebrochen.“ Sie hatte es eilig, seiner beunruhigenden Nähe zu entkommen, doch zu ihrer Bestürzung schien er nicht die Absicht zu haben, sich nett und freundlich zu verabschieden. Stattdessen folgte er ihr bis zu ihrem Tisch, wo sie rasch nach Jacke und Handtasche griff. „Also, ich gehe jetzt“, versuchte sie es noch einmal. „Rachel und Joe warten draußen bestimmt schon auf mich.“

„Nein, das tun sie nicht.“ Er nahm ihren Arm und begleitete sie hinaus.

„Wie meinst du das?“ Sie beschleunigte ihren Schritt auf der Suche nach den beiden vertrauten Gestalten.

„Du brauchst dich nicht so zu beeilen, sie sind längst weg. Rachel fühlte sich nicht wohl, und ich habe ihnen versprochen, dich nach Hause zu bringen.“

Molly blieb wie angewurzelt stehen und sog scharf die Luft ein. „Was war los mit ihr?“

Clay zuckte gleichmütig die Schultern. „Vermutlich hat sie bei Mrs. Pringles Käsekuchen ein bisschen zu kräftig zugelangt. Sie hat drei überdimensional große Stücke verschlungen. Joe erzählte mir, dass sie zurzeit ganz verrückt auf Süßigkeiten ist. Neulich haben sie es doch tatsächlich fertiggebracht, mitten in der Nacht bei mir zu klingeln. Joe hat mich händeringend bekniet, den Drugstore zu öffnen, da Rachel ohne ein bestimmtes Kirschbonbon einfach nicht einschlafen konnte.“

„Clay“, Mollys Stimme klang verärgert, „warum hast du dich so großmütig erboten, mich nach Hause zu bringen?“

„Ganz die alte, vorsichtige Molly, hm? Immer auf der Hut vor unliebsamen Überraschungen.“

„Und dir mangelt es nach wie vor an der nötigen Ernsthaftigkeit“, erwiderte sie steif. „Na los, heraus damit, warum dieses großzügige Angebot?“

Er hatte schon fast vergessen, wie viel Spaß es ihm immer gemacht hatte, Molly zu necken. Es gab Dinge, die änderten sich eben nicht. „Ich habe noch nie zuvor erlebt, dass mir vor lauter Aufregung die Knie zittern, wenn ich mit einer Frau tanze, und …“

Molly stieß ein nervöses Lachen aus. „Immer noch derselbe Witzbold wie damals, hm?“, unterbrach sie ihn.

Er hatte seine Worte durchaus ernst gemeint, aber er wusste auch, dass Molly es vorzog, sie als Scherz aufzufassen. Und ebenso wusste er aus Erfahrung, dass es reine Zeitverschwendung war, über diesen Punkt diskutieren zu wollen. Doch er wollte nicht lügen, nur um sie zu besänftigen. Sollte sie doch glauben, was sie wollte.

„Ich möchte dich nach Hause bringen, weil wir uns seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen haben. Ich dachte, wir hätten uns nach all den Jahren vielleicht etwas zu sagen“, bekannte er offen. „Außerdem fühle ich mich irgendwie zu dir hingezogen.“ Kaum waren die Worte heraus, da wurde ihm auch schon bewusst, wie abgedroschen sie klangen. Er bedachte Molly mit einem zweideutigen Augenzwinkern. „Ich dachte, ich könnte dich gleich auf der Stelle vernaschen, Baby“, meinte er betont lüstern.

„Okay, okay.“ Sie hob beschwichtigend die Hände. Seit Beginn ihres Medizinstudiums hatte sie alles vermieden, was sie von ihrer Karriere hätte ablenken können. Männern gegenüber demonstrierte sie gekonnt kühles Desinteresse, eine Fassade, die sich ganz und gar nicht mit der warmherzigen und mitfühlenden Art deckte, die sie Patienten und ihren Angehörigen entgegenbrachte.

Wahrscheinlich reagierte sie einfach nur mal wieder zu überzogen. Das Problem war, dass Molly ihre körperlichen Bedürfnisse so lange sträflich vernachlässigt hatte, dass diese förmlich zu einer tickenden Zeitbombe geworden waren.

Na gut, was war denn schon dabei, wenn sie sich aus einer momentanen Stimmung heraus zu Clay hingezogen fühlte, einem Mann, den sie früher verabscheut hatte? Das hieß noch gar nichts. Sie hatte es doch bestimmt nicht nötig, einen vier Jahre jüngeren Mann zu vergraulen. Schließlich hatte sie ihm die Nase geputzt, als er noch der kleine Bengel von nebenan gewesen war.

Sie waren bei seinem Wagen angekommen, und Molly sah lächelnd zu Clay auf. „Okay, du tust einer alten Freundin einfach nur einen kleinen Gefallen. Vergessen wir also das ganze Theater. Ich komme freiwillig mit.“

„Och, gib doch bloß nicht so schnell auf“, neckte er sie grinsend. „Das verdirbt einem ja den ganzen Spaß.“

2. KAPITEL

Sie stiegen in Clays gepflegten, metallicblauen Minivan. Erst nachdem er den Wagen gewendet hatte und in die nächtlich ruhige Straße eingebogen war, redete er weiter.

„Nun, Molly, wie gefällt dir Morgan’s Point denn so?“

„Es scheint sehr nett zu sein. Die Leute sind es zumindest. Es ist mir fast peinlich, mit welchem Aufwand sie mich empfangen haben.“

„Wir haben uns bemüht, dich mit unserer Gastfreundschaft zu beeindrucken. Hat es wenigstens funktioniert?“

Molly nickte.

„Du bleibst also hier, Doc?“

„Ich weiß noch nicht recht“, bekannte sie offen. „Morgan’s Point ist eine reizende kleine Stadt, und die Leute sind wirklich sehr freundlich. Meine Familie lebt hier …“

„Aber?“

„Aber ich bin mir noch nicht ganz im Klaren, wo ich mich überhaupt niederlassen möchte.“

„Wir brauchen einen qualifizierten Arzt, Molly. Vermutlich haben Rachel und Joe dir bereits erzählt, wie viel Mühe es uns gekostet hat, die neue Praxis durchzusetzen?“

„Ja, das haben sie.“ Sie hatte jedes Detail darüber zu hören gekriegt. Ihre Schwester und ihr Schwager hatten wie die Löwen darum gekämpft, öffentliche Gelder zu erhalten. Und wenn sie nicht bald die konkrete Zusage eines Arztes vorweisen konnten, würden diese Gelder eingefroren. Das würde die örtliche Bank, die das Bauvorhaben vorfinanziert hatte, an den Rand des Ruins bringen.

„Ich will dich natürlich nicht unter Druck setzen“, meinte Clay ungewöhnlich ernst. „Aber es hängt eine Menge von deiner Bereitschaft ab, dich hier niederzulassen. Angefangen beim allgemeinen Gesundheitsniveau der Einwohner bis hin zur finanziellen Sicherheit des Ortes.“

Molly lachte trocken auf. „O nein, du setzt mich überhaupt nicht unter Druck“, erwiderte sie spöttisch. Leise fügte sie hinzu: „Ich denke immer noch über das Angebot der Stadtverwaltung nach.“

„Das freut mich zu hören.“

„Und mich freut es, dass wir Gelegenheit zu diesem Gespräch haben, Clay. Ich gebe zu, dass ich zuerst nicht besonders erpicht darauf war, dich wiederzusehen.“

„Warum nicht?“ Er fragte sich, ob auch sie diese seltsame Mischung aus Angst und Vorfreude gequält hatte.

„Ich wusste eigentlich nie so genau, wie ich mit dir umgehen sollte. Es ist dir immer hervorragend gelungen, mich zur Weißglut zu bringen. In dieser Beziehung warst du ein richtiges Naturtalent, wenn ich mich recht erinnere. Ja, du konntest wirklich ein ausgesprochenes Ekel sein.“

„War ich tatsächlich so schlimm?“, fragte er mit einem raschen Seitenblick auf Molly.

Sie gab vor, erst über diese Frage nachdenken zu müssen. „Ich wüsste niemanden, der dir in dieser Beziehung hätte das Wasser reichen können.“

„Jetzt übertreibst du aber!“, protestierte er gekränkt.

„Ich muss es doch wissen“, erinnerte sie ihn ohne Vorwurf. „Schließlich war ich die bevorzugte Zielscheibe für deine ach so harmlosen Späße.“

„Reiß eine Seite aus dem Tagebuch eines jungen Mädchens, und sie wird dir nie verzeihen“, meinte er düster.

„Außerdem warst du der Hauptgrund für meine ganzen Streitereien mit Rachel. Du hast sie immer in deine wilden Eskapaden mit hineingezogen. Sie ist es doch gewesen, die dir verraten hat, wo ich mein Tagebuch aufbewahrte.“

„Schuldig, Euer Ehren. Aber ich plädiere auf mildernde Umstände. Ich war damals elf Jahre alt und gerade dabei, eine vorpubertäre Phase durchzumachen. Die Tatsache, dass ich insgeheim bis über beide Ohren in dich verschossen war, hat die Sache auch nicht gerade erleichtert.“

„Das warst du doch gar nicht“, widersprach sie. Molly warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu. Wohl zum hundertsten Mal an diesem Abend ließ seine männlich-attraktive Erscheinung ihr Herz schneller schlagen.

„Doch, das war ich“, beharrte er dickköpfig.

„Mit elf?“, gab sie skeptisch zu bedenken. „Damals hast du dich doch nur für Dummejungenstreiche interessiert.“

„Was blieb mir denn anderes übrig, um deine Aufmerksamkeit zu erregen? Du hättest mich doch sonst kaum wahrgenommen.“

Inzwischen hatten sie das Haus ihrer Mutter erreicht, und Clay bog in die kiesbestreute Auffahrt ein.

„Da brennt ja noch Licht. Willst du nicht auf einen Kaffee mit hereinkommen?“, lenkte Molly versöhnlich ein.

„Gern. Womöglich hat Lydia mal wieder ihre leckeren Kekse gebacken“, fügte er hoffnungsvoll hinzu, während sie die Verandatreppe hochstiegen.

Molly schloss die Tür auf und stellte überrascht fest, dass niemand im Wohnzimmer war. „Oh, sie müssen wohl doch schon zu Bett gegangen sein und haben das Licht für mich brennen lassen.“

„Heißt das, ich bekomme keine Kekse?“, meinte Clay enttäuscht.

Mit einem verschmitzten Lächeln kickte Molly ihre Sandalen von den Füßen und warf ihre Handtasche auf das Sofa. „Na komm schon, Cusak.“ Sie ging in die Küche, gefolgt von Clay. „Ich erkläre mich sogar bereit, den Kaffee zu machen.“

„Zu Keksen trinke ich aber lieber Milch.“ Er öffnete einen Schrank, um sich ein Glas herauszunehmen. „Wie steht’s mit dir?“

„Ich hätte eigentlich gern Kaffee, erkläre mich aber auch mit Milch einverstanden.“ Molly öffnete den Deckel einer verheißungsvoll schweren Keksdose, und Clay reichte ihr einen Teller. Sie häufte eine ordentliche Portion des frischen Gebäcks darauf, nahm ihn in die Hand und trat durch die Terrassentür nach draußen.

„Hör mal, Clay, da gibt es etwas, was ich jetzt gleich mal klarstellen will“, begann sie unvermittelt. „Ich wäre selbstverständlich nach Hause gekommen, wenn ich gewusst hätte, dass Mom sich ernsthaft verletzt hat, als sie von dem Auto angefahren wurde. Sie behauptete aber steif und fest, sich nur das Bein gebrochen zu haben, und Rachel hat diese Version bestätigt.“

„So war es ja auch.“

„Es war weitaus schlimmer, und das weißt du ganz genau. Ich hatte gehofft, wenigstens Weihnachten kommen zu können, um bei Rachels und Moms Hochzeit dabei zu sein. Leider hat sich meine Stellvertreterin verspätet, und ich konnte erst letzte Woche weg.“

„Dafür hat jeder vollstes Verständnis, Molly. Du brauchst dich wirklich nicht zu entschuldigen, schon gar nicht bei mir.“

„Mom hat es schon immer ausgezeichnet verstanden, gegenüber dir und Rachel ihren Kopf durchzusetzen.“

„Ja, das kann man wohl sagen. Und damals nach dem Unfall wollte sie dir unnötige Sorgen ersparen.“

„Rachel und du, ihr habt euch also immer noch gegen mich verschworen.“

„Diesmal trägt Lydia die Verantwortung für die Verschwörung“, erinnerte er sie. „Allerdings haben Rachel und ich es nie so recht verwunden, dass du immer ohne Strafe davongekommen bist. Wie damals, als du uns einen Eimer Abwaschwasser über den Kopf gegossen hast, nur weil wir ein paar Kekse gemopst hatten. Und wir mussten die ganze Bescherung dann aufwischen.“

„Hey, jetzt übertreibst du aber! Ich habe euch höchstens ein bisschen nass gespritzt, aber …“

„Nass gespritzt? Es war ein ganzer Eimer voll schmutzigem Seifenwasser.“

„Stimmt nicht, und ich muss es schließlich wissen, denn ich bin älter und erinnere mich genau daran.“

Die Tatsache, dass sie ihren Altersunterschied zur Sprache brachte, ließ Clay vermuten, dass sie darunter litt. „Ich fürchte, dein Gedächtnis hat ein wenig nachgelassen. Eine häufige Begleiterscheinung bei zunehmendem Alter. Bequemerweise hast du all die kleinen Gemeinheiten vergessen, die du angestellt hast, stimmt’s?“

„Was, um Himmels willen, habe ich dir je angetan? Na los, raus mit der Sprache!“, rief sie herausfordernd.

„Ach, wechseln wir lieber das Thema.“

„Aha, dazu fällt dir wohl nichts ein, was?“

„Schon möglich.“ Lachend reichte er ihr einen Keks. „Hier, nimm einen davon. Vielleicht versüßt dir das die Laune.“

Sie griff nach dem Keks, den er ihr hinhielt. Das mutwillige Aufblitzen in seinem Blick zeigte ihr, dass er nur auf eine gekränkte Bemerkung wartete, die sie sich jedoch verkniff. Clay hatte schon immer die besondere Begabung besessen, sie auf die Palme zu bringen, und wie es aussah, hatte seine Technik sich im Laufe der Jahre noch verbessert. Aber anstatt unkontrollierbarem Zorn erweckte er diesmal ein ganz anderes Gefühl in ihr: unerwidertes Verlangen.

Er seufzte in gespielter Resignation und legte einen Arm auf die Lehne der Schaukel. „Und ich habe mir doch tatsächlich gerade eingebildet, wir könnten allen Widrigkeiten zum Trotz noch Freunde werden. Ich dachte, du hättest mir meine früheren Vergehen verziehen und angefangen, mich vielleicht sogar ein bisschen zu mögen.“

Nur mit Mühe gelang es ihr, ein Lächeln zu unterdrücken. Es hatte doch tatsächlich Zeiten gegeben, da hatte sie ihn so verführerisch wie Windpocken gefunden. „Das kommt dabei heraus, wenn du zu denken anfängst, Cusak“, meinte sie spöttisch.

Er lehnte sich so weit zu ihr hinüber, dass sein Gesicht fast ihres berührte. „Magst du mich nicht wenigstens ein ganz klitzekleines bisschen?“

„Vielleicht ein mikroskopisch kleines bisschen“, erwiderte sie leichthin, während sie vorgab, vollauf mit dem Verzehr ihres Kekses beschäftigt zu sein. In dem Versuch, das Gespräch von ihrem Gefühlszustand abzulenken, den sie selber kaum begriff, fragte sie: „Wie geht es eigentlich deiner Mutter?“

Clay fuhr sich mit der Hand durch das dichte Haar. „Sie ist inzwischen pensioniert und scheint sich zu Tode zu langweilen. Bildet sich ein, dass nur eine Horde Enkelkinder sie aus ihrem Dilemma befreien könne.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter sich wirklich Enkelkinder wünscht“, sagte Molly, ohne weiter über ihre Worte nachzudenken. Schuldbewusst fügte sie hinzu: „Tut mir leid, das war nicht böse gemeint.“

„Kein Problem.“ Er schenkte ihr ein jungenhaftes Grinsen. „Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich als kleiner Junge vor dem Kindergarten auf meine Mutter wartete, die glatt vergessen hatte, mich abzuholen.“

Auch Molly konnte sich noch gut daran erinnern. „Als meine Mutter sie darauf aufmerksam machte, war sie so außer sich, dass sie den Highway entlanggerast ist, als sei der Teufel hinter ihr her.“

„Sie war nicht außer sich, sie fährt immer so. Jetzt ist es sogar noch schlimmer geworden.“ Clay lachte amüsiert. „Wenn dir dein Leben lieb ist, dann steig nie zu Norma Cusak ins Auto.“

„Danke für den Tipp.“ Molly trank einen Schluck Milch. „Vermutlich bist du dazu auserkoren, ihr die gewünschten Enkelkinder zu liefern.“

„Da ich ihr einziges Kind bin, liegt der Verdacht nahe, denke ich. Während der vergangenen zwei Jahre versuchte sie ständig, mich mit den Töchtern und Nichten ihrer Freundinnen zu verkuppeln.“

Molly konnte sich gut vorstellen, dass Clay ein begehrter Schwiegersohn war. „Was? Hat sie bis jetzt etwa noch keinen Abnehmer für dich gefunden? Vielleicht sollte sie einen kräftigen Rabatt anbieten, um den Anreiz zu erhöhen.“

„Ich werde ihr deinen Vorschlag unterbreiten. Übrigens, auch du wirst bald zu den potenziellen Heiratskandidatinnen zählen.“

„Ich? Ich bin doch viel zu alt für dich.“

„Das ist doch egal. Hauptsache, du bist immer noch Single.“ Er strich mit dem Daumen sanft über ihre Unterlippe.

Molly spürte, wie seine männliche Anziehungskraft sie zu überwältigen drohte. Er rutschte ein Stück näher an sie heran, und ihre Knie berührten sich. Sie rechnete damit, dass er sie gleich küssen würde, und fragte sich mit aufkeimender Panik, wie sie darauf reagieren sollte. Doch ihre Sorge war unbegründet.

„Wie ich sehe, bist du immer noch im Besitz deiner eigenen Zähne. Bei der letzten Kandidatin hatte ich da nicht so viel Glück“, stellte er ernst fest.

Molly kicherte, eine für sie völlig untypische Reaktion. „Jetzt übertreibst du aber.“

„Irrtum. Zuerst sind Mütter ja noch ziemlich wählerisch, aber wenn diese Ich-will-endlich-Großmutter-werden-Hormone sich erst mal so richtig einschießen, ist ihnen alles recht, was einen Rock trägt.“

„Du bist ja verrückt.“

Er schüttelte den Kopf. „Warte nur ab, bis meine Mutter sich an dich heranmacht.“

„Vielleicht bleibe ich aber gar nicht, Clay.“

„Ich nehme an, du hast deine Gründe.“

„Ich habe keine Lust, der einzig verfügbare Mediziner im Ort zu sein. Das haben die vergangenen vier Jahre mich gründlich gelehrt.“

Sie hatte diese Jahre damit zugebracht, für den staatlichen Gesundheitsdienst in einem Indianerreservat in Montana zu arbeiten. So hatte sie das Stipendium zurückbezahlt, das man ihr mit dieser Auflage gewährt hatte. Vier lange Jahre war sie der einzige Arzt in einem Umkreis von fünfundsiebzig Meilen gewesen, in ständiger Bereitschaft. Tag für Tag musste sie mit Problemen kämpfen, die ihre Kräfte überstiegen, aber irgendwie war sie damit fertig geworden. Es war eine dankbare, aber emotional äußerst erschöpfende Erfahrung in ihrem Leben gewesen.

„Um ganz ehrlich zu sein, Clay, ich bin nicht sicher, ob ich mir zutraue, noch einmal ganz allein den Kampf gegen Krankheit und Schmerzen aufzunehmen. Ich sehne mich danach, in einer modernen, gut ausgestatteten Praxis in der Stadt zu arbeiten, und zwar mit Unterstützung eines hochqualifizierten Teams. Es ist auf Dauer sehr ermüdend, ganz allein die Verantwortung für Leben und Tod zu tragen.“

Clay entging der resignierte Unterton nicht, der in ihrer Stimme mitschwang. Er konnte ihre Gefühle sehr gut nachempfinden. Gerade in einem kleinen Ort scheuten die Menschen sich nicht, ihn an seinem freien Tag herauszuklingeln, falls ihnen die Medikamente ausgegangen waren.

„Du würdest hier wenigstens nicht völlig isoliert leben müssen“, versuchte er Molly aufzumuntern. „Morgan’s Point liegt nur dreißig Meilen von Jacksonville entfernt, nicht am Ende der Welt.“

„Im Grunde habe ich einfach noch keine genaue Vorstellung davon, wie ich den Rest meines Lebens verbringen möchte“, gab sie zu.

„Es liegt mir fern, dir in deine Karrierepläne hineinreden zu wollen“, meinte er schulterzuckend. „Aber ich glaube, du hast schon eine definitive Entscheidung über deinen künftigen Lebensweg getroffen, indem du dich nämlich dem Heilen verschrieben hast. Du kannst dich nur nicht entscheiden, wo du praktizieren möchtest. Dabei darfst du aber nie vergessen, dass du in erster Linie dich selbst glücklich machen musst.“

„Predigst du etwa Ichbezogenheit?“, spottete sie.

„Mir ist eine gesunde Portion Egoismus bis jetzt nur zugutegekommen.“

„Und das aus dem Mund eines Mannes, der um Mitternacht aus tiefstem Schlummer hochschreckt, um die Gelüste einer schwangeren Frau zu befriedigen?“

„Frauen zu befriedigen, ob schwanger oder nicht, trägt seinen Lohn in sich selbst“, erwiderte er.

Molly seufzte vorwurfsvoll. „Gerade jetzt, wo ich mir doch tatsächlich einbildete, dass wir eine ernsthafte Unterhaltung führen, musst du Witze machen.“

Molly fragte sich, ob seine flapsige Art nicht einfach nur ein Schutzschild war, der ihn davor bewahren sollte, sich in tiefere Gefühle zu verstricken. Er konnte unmöglich wirklich so verantwortungslos sein, wie er sie gern glauben machen wollte. Sonst würden ihn die Einwohner von Morgan’s Point nicht derart respektieren, ja, sogar bewundern.

„Du warst so ein wilder kleiner Junge. Ich hätte nie gedacht, dass du dir einen seriösen Beruf wie den des Apothekers aussuchst.“

„Ich würde mich, ehrlich gesagt, auch lieber als Lebemann sehen. Faulenzen, gemütlich um die Keys segeln und nichts weiter tun, als den ganzen Tag zu angeln und gewürzten Rum zu trinken.“

„Wie entsetzlich langweilig.“

„Ich gebe zu, dass ich es nicht ertragen könnte, arm zu sein. Deshalb habe ich auch einen ganz bestimmten Plan entwickelt. Irgendwann werde ich über genügend Mittel verfügen, um mir ein schönes Leben zu machen, ohne arbeiten zu müssen.“

Molly lachte. Das hörte sich ganz nach dem Clay an, den sie kannte. „Wäre ja toll, wenn du das schaffst.“

„Du kannst es auch schaffen, wenn du es nur versuchst.“

Er war immer noch so dicht bei ihr, dass sie seinen Atem auf ihrer Wange spürte und die Hitze, die sein Körper ausstrahlte. Im Grunde wäre es kein Problem gewesen, einfach aufzustehen und gute Nacht zu sagen. Aber das konnte sie nicht. Sie vermochte ja kaum zu atmen.

Als hätte Clay ihre Gedanken gelesen, zog er sich unvermittelt ein Stück zurück, offensichtlich verwirrt, wie ein kurzes Aufflackern in seinem Blick verriet.

Molly wechselte rasch das Thema, um ihr Unbehagen zu überspielen. „Was hältst du übrigens von Rachels Mann?“

„Joe ist das Beste, was ihr passieren konnte. Ich weiß, es hört sich kitschig an, aber die beiden sind wie füreinander geschaffen.“

„Das habe ich auch gleich gedacht, als ich sie zusammen sah. Aber wie steht’s eigentlich mit dir? Du hast Rachel schließlich mindestens einmal im Jahr einen Antrag gemacht. Ich hoffe, du lauerst nicht darauf, dass etwas schiefgeht, um im passenden Moment zur Stelle zu sein und die Scherben zu kitten?“

Clay lachte amüsiert. „Ich bin äußerst dankbar, dass sie genügend gesunden Menschenverstand besaß, mich immer wieder abblitzen zu lassen. Wir haben uns aufrichtig gern und werden immer Freunde bleiben, aber wir waren nie ineinander verliebt. Übrigens, Joe und Rachel haben mich zum künftigen Taufpaten auserkoren.“

„Das weiß ich ja noch gar nicht.“ Sie war erstaunt über die ungeheure Erleichterung, die sie darüber empfand, dass er keine heimliche Leidenschaft für ihre Schwester hegte. Warum sollte sie sich darüber freuen?

Clay streckte seine langen Beine aus und setzte die Schaukelbank in Bewegung. „Der Mond scheint heute Nacht wirklich wunderschön hell.“

„Ja, stimmt.“

Er wandte den Kopf und sah Molly eindringlich an. „Segelst du gern?“

„Ehrlich gesagt, bin ich seit meiner Collegezeit nicht mehr gesegelt.“

„Dann wird es aber Zeit, mal wieder damit anzufangen. Ich habe eine kleine Jacht am Lake Sampson liegen. Wie wär’s mit einer Mondscheinpartie?“

Molly sah ihn skeptisch an. Meinte er das wirklich ernst? „Um diese Zeit?“

„Warum nicht? Das Wasser ist ruhig, und wir haben Vollmond. Es könnte wirklich sehr … entspannend sein.“

Molly war sich nicht sicher, ob sie diese Art Entspannung ausgerechnet an Clays Seite suchte. „Das glaube ich kaum.“

„Was ist mit deiner Abenteuerlust?“, zog er sie auf. „Denk nicht großartig darüber nach. Tu es einfach.“

„Ich plane solche Sachen aber lieber. Mitten in der Nacht völlig unvorbereitet eine Bootsfahrt zu unternehmen scheint mir nicht besonders klug.“

„Wir könnten eine Menge Spaß haben. Und einen Moment hast du mit dem Gedanken gespielt, es wirklich zu tun, stimmt’s?“, fragte er und zog sie auf die Füße.

Er hatte recht, das ließ sich nicht leugnen. Sekundenlang hatte sie tatsächlich erwogen, mal etwas völlig Irrationales zu tun. „Du übst einen schlechten Einfluss auf mich aus, Clay.“

Sie sah zu ihm auf, und sie fühlte sich elend und unbeholfen, weil sie wusste, dass er sie diesmal küssen würde. Sie hatte Herzklopfen, und der Verstand riet ihr, auf der Stelle das Weite zu suchen. Achtlos schlug sie die Warnung in den Wind.

Clays Lippen trafen sanft und zärtlich auf ihren Mund, keine Forderung lag in dieser Liebkosung. Als Molly sich nicht wehrte, verstärkte er den Druck, und eine Welle heißen Verlangens durchströmte ihren Körper. Clay zog Molly stürmisch an sich, und sie verspürte ein intensives Prickeln auf der Haut. Sein Kuss wurde immer fordernder, seine Zunge drängte sich mit sanfter Beharrlichkeit zwischen ihre warmen Lippen, um ihren Mund zu erkunden. Instinktiv schlang Molly ihm die Arme um den Hals und klammerte sich an ihn, während ihr Körper mit seinem zu verschmelzen schien.

Clay ließ die Finger in aufreizender Leichtigkeit ihren Rücken hinauf und hinunter wandern, eine Liebkosung, die eine ungeahnte Leidenschaft in ihr weckte. Noch nie hatte der Kuss eines Mannes sie derart erregt. Sie war sich der intensiven Nähe seines festen, warmen Körpers überdeutlich bewusst. Mit den Fingern ertastete sie die harten Muskelstränge seines Rückens, und sie sog wie berauscht den männlich herben Duft ein, der von ihm ausging.

Er löste seine Lippen von ihren und knabberte sanft an ihrem Ohrläppchen, während er mit einer Hand ihre Brust streichelte. Sie waren beide so sehr in ihr süßes Spiel versunken, dass sie nichts um sie herum mehr wahrnahmen.

Durch einen Nebel aus Leidenschaft und Verlangen drang plötzlich die Stimme ihrer Mutter wie aus weiter Ferne an Mollys Ohr. Abrupt war der Zauber verflogen, und sie landete etwas unsanft in der Wirklichkeit. Zu dieser Wirklichkeit gehörte auch die mit wachsendem Schrecken einsetzende Erkenntnis, wen sie da eigentlich so wild und leidenschaftlich geküsst hatte. Als hätte sie sich verbrannt, ließ sie ihn ruckartig los und trat einen Schritt zurück.

„Wir hätten das nicht tun sollen“, stieß sie noch immer etwas atemlos hervor. Nervös strich sie sich das zerzauste Haar glatt und schaute verunsichert zu Clay auf.

Er erwiderte ihren Blick, allerdings ohne eine Spur von Befangenheit. Zärtlich betrachtete er Mollys seidiges Haar und las in ihren Augen eine Bitte, die sie nicht auszusprechen wagte. Ihre bebenden Lippen, noch feucht und gerötet, forderten ihn auf, sie noch einmal zu küssen. Doch er tat es nicht.

„Ich weiß nicht, irgendwie bin ich froh, dass es dazu gekommen ist.“ Seine Stimme klang ungewohnt heiser.

Plötzlich verlegen, wich Molly seinem forschenden Blick aus. Sie war sich sicher, dass er die unerwartet heftige Reaktion ihres Körpers besser zu deuten wusste als sie, und das verlieh ihm Macht über sie. „Vielleicht solltest du jetzt besser gehen, Clay.“

Mit dem Zeigefinger hob er ihr Kinn an und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich möchte gern noch bleiben.“

„Nein, bitte geh!“, drängte sie.

„Na gut, einverstanden. Wie du willst“, sagte er, während er die Verandatreppen hinabschritt, „aber ich verlasse dich nicht.“ Überrascht und leicht verärgert wurde ihm bewusst, dass seine Worte einem Versprechen gefährlich nahe kamen. Er musste sich in Acht nehmen. Eine Frau wie Molly konnte zu einer ernsthaften Bedrohung seiner sorgfältig kalkulierten Pläne werden. Ganz zu schweigen von seinem immerwährenden Junggesellenstatus.

Molly folgte ihm um das Haus herum und beobachtete nachdenklich, wie er leichtfüßig auf den Fahrersitz seines Minivans sprang. Er schlug vorsichtig die Tür zu und kurbelte das Seitenfenster herunter. Während er den Wagen schwungvoll zurücksetzte, hörte sie ihn ein altes Volkslied singen, das den nicht zu unterschätzenden Einfluss der Liebe auf die menschliche Gesundheit pries. So, so, good, good lovin sollte ihn also von seinen Leiden heilen, hm?

Eigentlich hätte sie wohl beleidigt sein müssen, aber das war sie nicht. Stattdessen amüsierte sie sich über seine nicht gerade berückende Gesangsstimme. Clay Cusak war unzweifelhaft ein äußerst attraktiver Mann. Seine positive Ausstrahlung beruhte zu einem großen Teil auf seinem erfrischenden Sinn für Humor und seinem robusten Verständnis für die Schicksalsseiten des Lebens. Aber es wäre verrückt, sich Hals über Kopf in ihn zu verlieben.

Seufzend ging Molly zurück auf die Veranda und ließ sich traumverloren auf die Schaukel sinken. Als sie die Stimme ihrer Mutter hinter sich hörte, zuckte sie erschrocken zusammen. „Ist Clay schon weg?“

Molly gab vor, sich suchend umzublicken. Sie warf sogar einen Blick unter die Sitzauflage. „Scheint so.“

„Werde nur nicht frech, mein Schatz.“ Lydia setzte sich neben ihre Tochter. „Warum bist du nicht mit Clay segeln gegangen?“

„Aber Mutter! Hast du etwa jedes Wort gehört?“

„In meinem Alter? Ich kann von Glück sagen, wenn ich aus der Entfernung auch nur die Hälfte von dem mitgekriegt habe, was ihr geredet habt.“ Sie deutete auf das geöffnete Schlafzimmerfenster.

„Vielleicht solltest du dir ein Hörgerät anschaffen“, schlug Molly neckend vor.

„Liebes, jetzt mal ernsthaft: Warum bist du nicht mit Clay segeln gegangen?“

„Es schien mir nicht gerade eine gute Idee zu sein“, antwortete Molly achselzuckend.

„Womöglich zu romantisch?“

„Du machst wohl Witze? Clay Cusak war mir von jeher ein Gräuel. Ich habe Jahre meines Lebens damit verbracht, ihm aus dem Weg zu gehen. Warum sollte ich dann wohl plötzlich freiwillig seine Gesellschaft suchen?“

„Clay ist doch ein sehr netter junger Mann“, behauptete Lydia.

„Und ich bin vier Jahre älter als er, stimmt’s?“

„Vier Jahre“, fuhr Lydia fort, „waren möglicherweise von Bedeutung, als du sechzehn warst und er zwölf, aber jetzt ist das etwas anderes. Clay jedenfalls scheint der Altersunterschied nichts auszumachen.“

„Das soll wohl eine Anspielung auf diesen dummen, unüberlegten Kuss sein, hm?“

„O ja.“ Lydia seufzte verträumt. „Wenn dich ein Mann so küsst, wie er es getan hat, und wenn du diesen Kuss genauso leidenschaftlich erwiderst … Nun, ich will es mal so sagen: Ich habe meine Töchter nicht dazu erzogen, einen Mann auf diese Weise zu küssen, wenn sie es nicht ernst meinen.“

Molly hatte Mühe, ihre Belustigung zu verbergen. Früher hatte ihre Mutter nie über solche Dinge mit ihr geredet. „Ich verstehe. Offensichtlich hat Clay genau ins Schwarze getroffen, was deinen Mutterinstinkt betrifft.“

„Was meinst du denn damit?“ Lydia schien ehrlich verwirrt.

„Schon gut. Hat Clay eine feste Freundin, oder überlässt er es Norma, ihm die passende Frau auszusuchen?“

„Nicht, dass ich wüsste. Er träumt wohl von einem ewigen Singledasein. Jedenfalls behauptet er immer, sein größter Wunsch sei, als schrulliger, alter Junggeselle zu enden. Selbstverständlich glaube ich ihm kein Wort.“

„Warum nicht?“

„Das sagen Männer immer, solange sie noch nicht die Richtige gefunden haben. Joe war genauso. Und wo ist er mit dieser Einstellung gelandet? Direkt im sicheren Hafen der Ehe.“

„Ich glaube, mir ist noch nie ein Paar begegnet, das so ineinander vernarrt ist wie Joe und Rachel. Stell dir vor, ich beneide meine eigene Schwester. Ist das nicht furchtbar?“

„Aber völlig verständlich.“ Lydia tätschelte ihrer Tochter das Knie. „Rachels Immobiliengeschäfte florieren, und sie kann arbeiten, wann immer sie Lust dazu hat. Sie ist bis über beide Ohren in einen wundervollen Mann verliebt, der ihre Gefühle auch noch erwidert. Und um das Glück vollkommen zu machen, erwarten die beiden in wenigen Monaten ihr erstes Kind.“

„Ja“, seufzte Molly, „Rachel hat alles, was sie sich nur wünschen kann.“

„Als sie hierher nach Morgan’s Point kam, hatte sie nichts weiter als ihren Beruf. Sie war von der irrigen Vorstellung geblendet, darüber hinaus nichts vom Leben zu erwarten. Morgan’s Point hat eine Menge anzubieten für jemanden, der bereit ist, seine Chance zu nutzen.“

„Mutter, bitte, schraube deine Hoffnungen nicht allzu hoch, ja? Ich bin mir wirklich nicht sicher, wo ich mich niederlassen möchte, und möglicherweise fällt meine Wahl nicht auf Morgan’s Point“, warf Molly behutsam ein.

„Warten wir’s einfach ab und sehen, was passiert.“ Lydia küsste sie auf die Wange. „Ich gehe jetzt besser wieder zu Bett.“

„Ich möchte nicht, dass du traurig bist, wenn ich nicht hierbleibe.“

„Keine Angst, Liebling, ich werde bestimmt nicht traurig sein.“ Ihre Mutter stand auf und streckte sich genüsslich. „Höchstens gewaltig überrascht.“

3. KAPITEL

„Es ist einzig und allein deine Schuld, Rachel.“ Molly stampfte eifrig Kartoffeln. „Wenn du von Anfang an die Wahrheit gesagt hättest, würdest du jetzt nicht in der Klemme sitzen.“

„Aber das habe ich ja.“ Rachel kippte die grünen Bohnen in eine zu kleine Schüssel, so dass einige der Bohnen danebenfielen. „Jetzt sieh nur, was du mit deinem Gerede angerichtet hast“, schmollte sie. „Hat es nicht gerade an der Tür geklingelt? Ich gehe schnell öffnen.“

„O nein, das wirst du schön bleiben lassen.“ Lachend drückte Molly ihrer Schwester eine große Schüssel in die Hand. „Wir müssen den sonntäglichen Festschmaus auf den Tisch bringen und sonst gar nichts. Du versuchst nur, mir zu entwischen, bevor ich dich fragen kann, warum du es getan hast.“

„Was getan?“, wiederholte Rachel mit Unschuldsmiene.

„Augenscheinlich hast du überall herumposaunt, ich sei der neue Doktor hier.“

„Das stimmt so nicht. Ich habe gesagt, dass du dich noch nicht entschlossen hast und deine endgültige Entscheidung nach deiner Ankunft fällen würdest. Kann ich vielleicht etwas dafür, wenn man mich missversteht?“

Bevor Molly etwas darauf erwidern konnte, trat Lydia mit Clay im Schlepptau in die Küche. „Leg bitte ein zusätzliches Gedeck auf, Rachel. Clay hat sich doch noch überreden lassen, mit uns zu essen.“

„Als ob er sich je eine kostenlose Mahlzeit entgehen ließe“, frotzelte Rachel und wich behände dem Geschirrtuch aus, das direkt aus seiner Richtung auf sie zugesaust kam.

„Beachte sie gar nicht, Clay.“ Lydia öffnete die Backofentür, um nach den Rouladen zu sehen, die in einer Kasserolle leise vor sich hin schmorten. „Du weißt, dass du in diesem Haus immer willkommen bist.“

„Na gut, wenn du darauf bestehst.“ Clay lehnte sich lässig gegen die Arbeitsplatte und sah Molly an, die sich redlich bemühte, seinem Blick auszuweichen.

„Ist das Treffen schon vorbei, Clay?“, erkundigte Lydia sich interessiert, während sie ihn aus der Küche lotste. Einige Mitglieder des Finanzausschusses hatten in einer Art Notstandssitzung über ein erneutes Angebot an Molly beraten, das diese nicht würde ausschlagen können.

Kaum hatten Lydia und Clay die Küche verlassen, da schleuderte Molly den Kartoffelstampfer mit solcher Vehemenz in die Spüle, dass der Schaum des Spülwassers bis auf die Arbeitsplatte spritzte. „Ich muss unbedingt mit Mom reden. Und zwar so bald wie möglich.“

Rachel füllte den Kartoffelbrei in eine Servierschüssel. „Worüber denn?“

„Über ihre Bemühungen, mich mit Clay zu verkuppeln. Das passt mir ganz und gar nicht.“

„Mom und Norma Cusak versuchen schon seit Jahren, ihn an die Frau zu bringen. Das ist schon zu einer lieben, alten Gewohnheit von den beiden geworden.“

„Nun, es ist eine Angewohnheit, die Mom sich am besten so schnell wie möglich wieder abgewöhnt, falls sie darauf spekuliert, dass ich hierbleibe.“ Molly wurde sich plötzlich bewusst, dass ihr Protest eine Spur zu heftig ausgefallen war, und der hinterhältige Gesichtsausdruck ihrer Schwester bestätigte ihre Befürchtung sogleich.

„Interessierst du dich für Clay?“ Rachel stibitzte eine grüne Bohne und vernaschte sie.

„Natürlich nicht“, brachte Molly in angemessener Empörung hervor.

„Das hatte ich auch nicht angenommen. Außerdem ist er sowieso jünger als du.“

„Nur vier Jahre.“ Voller Unbehagen wurde sie sich des Gefühls der Verwirrung bewusst, das die Worte ihrer Schwester in ihr ausgelöst hatten. Hatte sie dasselbe Argument nicht oft genug selbst gebraucht?

„Oh, oh! Da habe ich wohl deinen wunden Punkt getroffen. Verrätst du mir, was passiert ist, als Clay dich gestern Abend nach Hause gebracht hat?“

„Nichts ist passiert.“

„Du warst noch nie eine gute Lügnerin, Molly. Ich sehe dir an der Nasenspitze an, dass etwas passiert sein muss.“

„Nichts Besonderes“, murmelte Molly ausweichend.

Rachel schüttelte den Kopf. „Ich wusste, Clay ist schnell, aber dass er so schnell ist … Na los, raus damit, ich sterbe fast vor Neugierde.“

„Außer ein paar Küssen ist nichts gelaufen, ehrlich.“ Molly bemühte sich, den Vorfall möglichst herunterzuspielen. Doch die Erinnerung an Clays leidenschaftliche Liebkosungen erweckte schlagartig Gefühle in ihr, die sie am liebsten vergessen wollte.

„War es so schön, hm?“, neckte Rachel ihre ältere Schwester. „Dein Gesichtsausdruck spricht ja Bände.“

Jetzt saß sie in der Falle, das wusste Molly. Es hatte keinen Zweck, noch länger zu leugnen, darauf würde Rachel nur noch hartnäckiger reagieren. Rasch versuchte sie, zu einer ausweichenden Erklärung Zuflucht zu nehmen. „Ich war in der letzten Zeit einfach nicht genügend ausgelastet.“

„Oh, nenn die Dinge endlich mal beim Namen. Du warst verflixt einsam, Molly. Dafür brauchst du dich doch nicht zu schämen. Das typische Alte-Jungfer-Syndrom.“

„Das ist einfach lächerlich und auch noch beleidigend.“

„Das ist keine Beleidigung. Einen unverheirateten Mann in einem bestimmten Alter bezeichnet man als Junggesellen. Eine Frau unter denselben Umständen hingegen als alte Jungfer. Wie sollte man dich denn sonst nennen? Junggesellin vielleicht?“

„Du weißt verdammt gut, welche Bedeutungsunterschiede diese beiden Ausdrücke beinhalten. Junggesellen gesteht man im Allgemeinen zu, sich ein Leben ohne Partnerin freiwillig ausgesucht zu haben. Eine alte Jungfer aber hätte nur zu gern geheiratet, hat aber keinen abgekriegt.“

„Ich habe mir diese Bezeichnung schließlich nicht ausgedacht“, meinte Rachel schulterzuckend. „Eigentlich wollte ich nur darauf hinweisen, dass vier Jahre ohne Freund eine verflixt lange Zeit sind.“

Molly stützte angriffslustig die Hände in die Hüften. „Es überrascht dich vielleicht zu hören, kleines Schwesterlein, dass es selbst in Montana Männer gibt. Tatsächlich sind die Männer dort statistisch gesehen sogar in der Überzahl.“

„Du hattest also hin und wieder mal eine Affäre?“

„Nein.“

„Ich bleibe dabei: vier Jahre ohne Mann.“ Rachel schüttelte erstaunt den Kopf. „Kein Wunder also, dass Clay dir plötzlich attraktiv vorkommt.“

„Die meisten Leute würden Clay als attraktiv bezeichnen“, konterte Molly.

„Das stimmt.“

„Und er weiß besser als jeder andere, wie man sich einen Kuss ergaunert. Aber damit erzähle ich dir vermutlich nichts Neues.“

„Doch, eigentlich schon. Diese brüderlichen kleinen Schmatzer auf die Wange haben mich nie sonderlich beeindruckt.“

„Ach nein?“, spottete Molly.

„Ich schwöre es.“ Rachel hob die rechte Hand, ließ sie aber schnell wieder sinken. „Okay, ich nehme meine Worte zurück. Er hat mich geküsst – einmal. Aber es war schon vorbei, ehe es überhaupt richtig angefangen hat.“

„Oh, aber sicher doch.“ Molly glaubte ihrer Schwester kein Wort. Schließlich war es keine vierundzwanzig Stunden her, da hatte sie – Molly – seine ausgereifte Verführungstechnik buchstäblich am eigenen Leib erfahren.

„Nein, ehrlich. Er hat sich die Lippen an meiner Zahnspange verletzt, und das war’s dann auch schon. Wir sind damals übereingekommen, dass wir die ganze Sache wohl etwas überschätzt haben.“

„In diesem Punkt stimme ich dir zu. Warum reden wir überhaupt noch darüber?“

Rachel bückte sich und nahm die Kasserolle mit den Rouladen aus dem Ofen. „Weil du mich da auf eine ganz neue Idee gebracht hast. Ich hätte nie gedacht, dass du einmal mit Clay zusammenkommst. Ihr wart doch immer wie Hund und Katze miteinander.“

„Allerdings.“

„Aber heißt es nicht immer, Gegensätze ziehen sich an? Vielleicht ist da wirklich etwas dran.“

Die beiden Schwestern musterten sich einen Moment schweigend und brachen plötzlich wie auf Kommando in schallendes Gelächter aus. „Nie im Leben!“, erklang es wie aus einem Mund, und Molly registrierte erleichtert, dass sie Rachel offensichtlich von ihrem Kurs abgebracht hatte. Es kränkte sie nur ein wenig, wie schnell ihr das gelungen war.

Nachdem sie sich beruhigt hatten, meinte Molly nachdenklich: „Es würde sowieso nicht funktionieren. Wenn ich mich verliebe, dann will ich alles – Kinder, Job, ein eigenes Heim. Clay plant, in einigen Jahren mit seinem Segelschiff dem ewigen Nichtstun entgegenzudriften.“

„Einige Jahre sind lange genug, um dir Gelegenheit zu geben, seine Meinung zu ändern, wenn du das wirklich willst.“

Molly schüttelte den Kopf. „Er ist eingeschworener Junggeselle, glaub mir. Und zwar freiwillig“, betonte sie nachdrücklich.

Rachel kaute genüsslich eine weitere Bohne, während sie über die Worte ihrer Schwester nachdachte. „Fest entschlossen vielleicht, aber nicht eingeschworen. Diese Typen geben ausgezeichnete Ehemänner ab, wenn sie erst mal dahinterkommen, dass sie ohne dich nicht mehr leben können.“

„… sagte die zufriedene Ehefrau.“

„Zufrieden? Schon lange nicht mehr. Zufrieden bist du nur, wenn du es nicht besser weißt. Mit meinem früheren Leben war ich sogar sehr zufrieden. Ich war so damit beschäftigt, die Karriereleiter hinaufzuklettern, dass ich nicht mal gemerkt habe, dass ich etwas vermisse. Und dann trat Joe in mein Leben, um die Lücke zu füllen.“

„Apropos Lücken füllen“, ertönte Joes Stimme durch die offene Tür. „Mein Magen könnte eine kleine Auffüllung dringend gebrauchen. Wir sind alle kurz vorm Verhungern.“

Rachel schnappte sich eine Schüssel mit Kartoffelbrei. „Ich war gerade dabei, meiner Schwester zu erklären, dass der Beruf allein einem nachts nicht das Bett wärmt.“

„So kalt wird es in Florida nachts doch gar nicht“, erwiderte er augenzwinkernd, während er mehrere Schüsseln auf einem Tablett platzierte. „Außerdem kann man von der Liebe allein schlecht leben, ganz entgegen dem herkömmlichen Volksglauben. Ihr könnt ja während des Essens weiter über dieses Thema streiten.“

„Nein, das können wir nicht“, protestierte Molly energisch. „Versprich mir, dass du das Thema nicht in Clays Gegenwart anschneidest.“

„Es ist ein schmutziger Job, aber jemand muss ihn ja tun“, erklärte Rachel mit einem hinterhältigen Grinsen.

„Rachel!“ Mollys Stimme klang drohend.

„Okay, okay.“

Während des Essens wartete Molly in ängstlicher Spannung auf eine unpassende Bemerkung ihrer Schwester, doch Rachel hielt Wort. Harmloses Geplauder beherrschte das Tischgespräch und stellte es ihr frei, sich daran zu beteiligen oder schweigend ihr Mahl zu verzehren. Sie entschied sich für Letzteres. Ab und zu begegnete sie Clays Blick, doch er richtete stets nur ganz allgemeine Kommentare an sie.

Als man schließlich beim Dessert anlangte, war es Molly gelungen, sich selbst davon zu überzeugen, dass die Küsse, die sie getauscht hatten, ihm wenig oder nichts bedeuteten. Offensichtlich hatte es sich lediglich um einen flüchtigen Gefühlsausbruch gehandelt. Schon schwerer fiel es ihr allerdings, dasselbe auch für sich selbst zu behaupten.

Lydia setzte ihr ein riesiges Stück Zitronentorte vor. „Die habe ich extra für dich gemacht, Molly. Zitronentorte gehörte doch schon immer zu deinen Lieblingsspeisen.“

„Sieht verlockend aus.“ Clay beobachtete, wie Molly sich einen Bissen der cremigen Köstlichkeit in den Mund schob. Wie aus dem Nichts überfiel ihn plötzlich die Erkenntnis – gepaart mit aufsteigendem Verlangen –, dass die Torte lange nicht so verlockend war wie ein Kuss von Molly. Rasch schüttelte er diesen höchst beunruhigenden Gedanken ab und wandte sich an Rachel. „Ihr wartet sicher schon voller Spannung auf das Ergebnis, zu dem der Finanzausschuss gelangt ist. Deshalb bin ich auch hergekommen.“

„Na los, raus damit! Was haben sie entschieden?“

Clay zögerte. „Willst du es schon hören, Molly?“

Molly wollte nur zu gern ein Angebot von Clay hören, aber nicht das, welches er meinte. War es wirklich falsch, zum ersten Mal in ihrem Leben ausschließlich an sich selbst zu denken? Sie wünschte, ihre Familie würde wenigstens einen Tag verstreichen lassen, ohne das Thema auf die Praxis zu bringen. Andererseits verstand sie auch ihre Sorge um das Wohl der Gemeinde. Sie wollte niemanden durch ihre eigene Unentschlossenheit leiden lassen.

„Komm schon, Molly“, meinte Rachel aufmunternd, „was kann es schon schaden, das Ergebnis der Beratung jetzt schon zu erfahren?“

Es kann sogar sehr viel schaden, überlegte Molly, da die Gefahr besteht, sich vom allgemeinen Enthusiasmus mitreißen zu lassen. Sie hielt es durchaus für möglich, dass man sie zum Bleiben überredete. Zwar war sie erst knapp eine Woche hier, aber sie hatte das kleine Städtchen und seine freundlichen Bewohner bereits lieb gewonnen. Ihre Familie lebte hier. Und Clay. Aber war das tatsächlich ein Pluspunkt oder eher ein Nachteil?

Sie blickte in die erwartungsvollen Gesichter. „Ich höre.“

Der Deal, den der Finanzausschuss ausgehandelt hat, war tatsächlich mehr als verlockend. Wenn der Stadtrat dem Vorschlag zustimmte und falls auch Molly akzeptierte, würde man ihr einen großzügigen Bonus gewähren, um die Praxis zu eröffnen. Ein Teil ihrer Bezüge würde auf das Praxiskonto fließen, um die Betriebskosten und Personallöhne zu decken. Falls sie sich verpflichtete, mindestens zehn Jahre zu bleiben, würde man sie zu fünfzig Prozent als Miteigentümerin der Praxis einsetzen.

„Ein sehr großzügiges Angebot“, sagte Lydias Mann anerkennend.

„Das ist es, Ernie, das ist es“, stimmte Lydia mit Tränen in den Augen zu. „Und sie könnte dann hier bei uns wohnen. Wäre das nicht schön?“

Bevor Molly noch Gelegenheit hatte, sich in die Falle gelockt zu fühlen, warf Clay rasch ein: „Wartet, es kommt noch besser. Wie ihr wisst, hat Doc Cooley seinerzeit all seine weltlichen Güter und sein Haus Morgan’s Point hinterlassen, da er seine gesamte Familie überlebt hatte. Earl meinte, man könne das Haus doch auf Molly überschreiben, falls sie den Vertrag unterzeichnet. Gewissermaßen als weiteren Anreiz.“

„Das ist ja super!“, begeisterte sich Joe.

„Das Haus sieht gar nicht mal so übel aus, obwohl es natürlich ziemlich alt ist“, sagte Rachel. „Ich werde es mir später mal gründlich ansehen, um festzustellen, welche Reparaturen durchgeführt werden müssen.“

„Hat Doc nicht erst vor ein paar Jahren alle elektrischen Leitungen erneuern lassen?“, fragte Lydia.

„Und neue Wasserleitungen hat er auch legen lassen“, ergänzte Ernie. „Ich hab’ damals den Vertrag für ihn ausgehandelt. Hat ihm ’ne hübsche Summe gespart.“

„Allerdings existieren keine Möbel mehr. Die haben wir doch versteigert, um Officer Hackers Gallenblasenoperation zu finanzieren“, warf Clay ein.

„Da könnte ich mich nützlich machen“, schlug Rachel aufgeregt vor. „Es gibt da einige Leute, die mir noch einen Gefallen schulden. Außerdem kenne ich ein paar Dekorateure, die alles günstig beschaffen können.“

Der Raum summte nur so vor Anregungen, wie man Mollys Haus einrichten und auch den Rest ihres Lebens organisieren sollte. Niemand kam auf die Idee, sie nach ihrer Meinung zu fragen. Während sie den Vorschlägen lauschte, die man sich über ihren Kopf hinweg zuwarf, kam sie sich allmählich vor wie ein Zuschauer bei einem Tennismatch. Doch sie ließ sie gewähren, sorgfältig darauf bedacht, selbst kein Wort zu sagen.

Denn die überschäumende Begeisterung, mit der das Thema behandelt wurde, konnte ihr nichts anhaben. Sollten sie doch den lieben langen Tag lang die Vorteile dieser oder jener Stilrichtung diskutieren, sie würde eine derart wichtige Entscheidung jedenfalls nicht fällen, ohne gründlich das Für und Wider abzuwägen.

Mollys Blick schweifte in die Runde und verweilte bei Clay. „Was denkst du über all das?“, erkundigte er sich mit sanfter Stimme.

„Wie Mom schon sagte, handelt es sich zweifellos um ein sehr großzügiges Angebot“, erwiderte sie ausweichend. „Oder, besser gesagt, um einen Verzweiflungsakt.“

„Daraus haben wir auch nie einen Hehl gemacht“, konterte Rachel. „Du weißt genau, dass wir in der Klemme stecken. Und nicht nur wir hier in Morgan’s Point, sondern auch die Anwohner der umliegenden Dörfer, die die Praxis nutzen könnten.“

„Genau gesagt steht uns das Wasser bis zum Hals“, warf Joe ein. „Aber wir wollen natürlich keinerlei Druck auf dich ausüben.“

„Natürlich nicht.“ Molly lächelte nachsichtig. Sie meinten es alle nur gut, daran zweifelte sie nicht, aber sie fühlte sich irgendwie überrumpelt.

Auch Clay erging es nicht viel besser. Einerseits wünschte er sich zum Wohle der Gemeinschaft Molly als Leiterin der Praxis, andererseits sollte er aber auch an sein eigenes Wohl denken. Falls sie tatsächlich hierblieb, musste er unbedingt verhindern, sie zu sehr in sein Leben mit einzubeziehen. Ein ganz und gar nicht leichtes Unterfangen, wie sein Gefühl ihm sagte.

Erst heute Morgen hatte er den festen Entschluss gefasst, Molly einfach zu ignorieren, ebenso wie die beunruhigenden Emotionen, die sie in ihm geweckt hatte. Er würde ihr einfach nicht gestatten, sein Herz im Sturm zu erobern.

Ganz sicher nicht. „Klingt das nicht verführerisch?“ Sein durchdringender Blick verlieh seinen Worten eine Bedeutung, die den anderen verborgen blieb.

„Ja“, erwiderte sie leise. Und damit meinte sie beide Angebote. Das eine, das die Stadtverwaltung ihr machte, und das andere, das sie in Clays Blick las. War sie tatsächlich die Einzige hier am Tisch, die seine Erregung spürte? Sie war doch sicher nicht schon so einsam, dass sie die Signale, die er aussandte, so gründlich missverstand?

Natürlich war Molly nicht völlig unerfahren, was Männer betraf. Aber so richtig gefunkt hatte es bis jetzt noch nie, und so waren ihre Beziehungen nie mehr als flüchtige Episoden gewesen, die schnell ihren Reiz verloren hatten.

Sie glaubte an die Liebe und vertraute auf die Macht dieses Gefühls und auf seine heilenden Kräfte. Als Ärztin hatte sie oft genug erlebt, dass liebevoll umsorgte Patienten schneller genasen als auf sich selbst gestellte. Und jetzt war sie es, die diese neuen, ungewohnten Gefühle am eigenen Leibe erfuhr. Sie ersuchte, sie zu verleugnen, doch wie lange ließ sich das durchhalten?

„Molly, mein Liebes“, riss ihre Mutter sie aus ihren Gedanken.

„Ja, Mom, was ist?“

„Rachel ist der Ansicht, du solltest dein Haus von einem Dekorateur ausstatten lassen. Aber ich finde, es ist besser, wenn du selbst alles aussuchst …“

Es wurde höchste Zeit, den allgemeinen Enthusiasmus etwas zu bremsen. „Ich fürchte, ihr seid ein bisschen vorschnell. Ich habe noch nicht Ja gesagt.“

„Oje“, meinte Lydia zerknirscht. „Wir haben uns wohl von unseren Gefühlen davontragen lassen. Es tut mir leid, mein Schatz.“

„Mir auch“, schloss Rachel sich der Entschuldigung ihrer Mutter an. „Wir werden nicht wieder darüber reden.“

„Danke, das wäre mir wirklich sehr lieb.“ Doch Molly wusste ganz genau, dass dies nur ein frommer Wunsch bleiben würde, falls sie den ganzen Tag hier zu Hause verbrachte. „Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen wollt, ich möchte eine kleine Spritztour zum Lake Sampson unternehmen.“

„Das ist eine gute Idee, mein Liebling“, ermutigte Lydia sie. „Da kannst du in Ruhe über alles nachdenken.“

„Hast du Lust auf Gesellschaft?“, fragte Clay rasch.

Molly wusste, dass sie in Clays Gesellschaft ganz sicher nicht zum Nachdenken kommen würde, andererseits hatte sie aber auch keine Lust, allein zu sein. Dazu hatte sie vier Jahre lang ausreichend Gelegenheit gehabt. „Okay, fahren wir also.“

„Willst du dir nicht lieber etwas Bequemeres anziehen?“, wandte ihre Mutter besorgt ein.

Molly sah an ihrem apricotfarbenen Leinenkostüm und den dazu passenden Pumps hinunter. „Ja, das wäre wohl nicht schlecht.“

„Ich gehe mich auch rasch umziehen.“ Clay stand auf. „Bin in zehn Minuten wieder zurück.“

Dreißig Minuten vergingen, und Clay war immer noch nicht aufgetaucht. Molly, die keine Lust hatte, endlos auf ihn zu warten, kletterte in ihren Minijeep. Gerade als sie den Motor starten wollte, bog Clay neben ihr in die Auffahrt ein.

Schweigend saß sie da und ließ den Motor laufen, während Clay aus seinem Wagen in ihren überwechselte.

Autor

Pepper Adams
Hinter diesem Pseudonym verbergen sich die beiden Autoren Debrah Morris und Pat Shaver. Sie verwenden auch Pseudonyme wie Joanna Jorden, Joann Stacey, Dianne Thomas. Adams hat bisher über 20 Romane veröffentlicht. Debrah Morris liebt white-water rafting , werkelt gerne in ihrem Garten und versucht sich nun als Solo-Romanautorin.
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