Baccara Exklusiv Band 47

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BLICKE, DIE MICH ZÄRTLICH STREICHELN von DENOSKY, KATHIE
Jenna hat einen schmerzlichen Verlust erlitten, Flint eine bittere Enttäuschung. Deshalb kämpfen beide gegen das Begehren, das sie empfinden. Doch das Schicksal treibt sie einander in die Arme - allen Gefahren zum Trotz, die auf die Liebenden lauern.

NOCH KEINER HAT MICH SO GELIEBT von INGRAHM, PAMELA
Eigentlich müsste Leah glücklich sein: Schon in der ersten Liebesnacht mit dem Großrancher Will findet sie die Erfüllung all ihrer Wünsche! Genau das aber macht ihr solche Angst, dass sie flieht. Doch Will setzt alles daran, sie in seine Arme zurück zu holen.

SO SCHÖN WIE NIE ZUVOR von LOCKHART, CHRISTY
Wie kann der Cowboy Wayne es nur anstellen, die bildhübsche Cassie zu halten? Eines Nachts stand sie plötzlich mit einem Baby auf dem Arm vor ihm und behauptete, sein Bruder sei der Vater dieses Säuglings. Geglaubt hat er nie, doch verfallen ist er ihr von Anfang an.


  • Erscheinungstag 01.07.2008
  • Bandnummer 47
  • ISBN / Artikelnummer 9783863495862
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

CHRISTY LOCKHART

SO SCHÖN WIE NIE ZUVOR

Vom ersten Abend an, als die bildhübsche Cassie mit einem Baby auf dem Arm vor seiner Tür steht, lodert in Wayne die Leidenschaft. Der attraktive Cowboy glaubt zwar nicht, dass sein Bruder wirklich der Vater des Säuglings ist, trotzdem will er Cassie dazu bewegen, auf der Ranch zu bleiben. Dazu müsste er aber endlich die entscheidenden Worte sagen: Ich liebe Dich.

KATHIE DENOSKY

BLICKE, DIE MICH ZÄRTLICH STREICHELN

Eine Frau als Pferdetrainer, das hat der Rancher Flint McCray nicht gewollt! Aber er wird sie nicht wieder los - und will es bald auch gar nicht mehr. Denn so oft er mit dieser wunderbaren Jenna streitet, so oft merkt er auch, wie sehr das Begehren in ihm brennt. Doch dramatische Ereignisse auf der Ranch bringen Leib und Leben in Gefahr - und ihre Liebe...

PAMELA INGRAHM

NOCH KEINER HAT MICH SO GELIEBT

Als Leah den Auftrag bekomt, für die Tochter des Großranchers Will eine Traumhochzeit zu organisieren, spürt sie schnell, dass Will ihr gefährlich werden könnte. Sie ertappt sich dabei, ihn heiß zu begehren - erst recht nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht. Dabei wollte Leah so etwas nie wieder zulassen! Nun aber gerät sie in ein Chaos der Gefühle...

1. KAPITEL

Unter anderen Umständen hätte Wayne sich erlaubt, sie von Kopf bis Fuß zu betrachten. Doch so, wie die Umstände waren, weckten ihre Augen seine Aufmerksamkeit.

Sie waren so grün wie das Gras im Sommer, so rein wie der erste Schnee, doch ein Schatten von Trauer lag darin, der zeigte, dass man sie einmal verletzt hatte. Eine Sekunde lang fragte sich Wayne, was – oder wer – diesen Ausdruck in ihren Augen verschuldet hatte.

Er verspürte den Wunsch, die Hand auszustrecken und ihn wegzuwischen. Doch genauso schnell schob er diesen lächerlichen Gedanken wieder beiseite. Die Wind-Song-Ranch lief nicht von allein. Er hatte keine Zeit für eine Frau, ganz gleich, wie verlockend sie auch sein mochte.

Sie stand vor ihm und hatte die Hände verschränkt. Wollte sie ihm nicht zeigen, wie nervös sie war? Aber er sah doch, dass sie sich auf die Unterlippe biss.

„Ihre Mutter hat gemeint, es sei in Ordnung, wenn ich hier auf Sie warte.“

Wayne nickte. Es war nicht der Fehler dieser Frau, dass er vollkommen erschöpft nach Hause gekommen war, nachdem er eine lange und einsame Nacht auf der Straße verbracht hatte. Jetzt sehnte er sich nur noch nach einem kalten Bier, einer kühlen Dusche und frischen Laken auf seinem Bett. Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Wenn sie gleich zur Sache kam, könnte er in weniger als einer Viertelstunde nach oben gehen und in einer halben Stunde schlafen.

„Ich bin Wayne Hart.“

„Das hat Ihre Mutter mir gesagt.“

Er zog eine Augenbraue hoch, als sie ihm nicht gleich ihren Namen nannte. „Und Sie sind?“

Sie schenkte ihm ein vorsichtiges Lächeln, das aber sogleich wieder verschwand. „Cassandra Morrison.“ Dass ihre Freunde sie Cassie nannten, brauchte er nicht zu wissen.

Cassandra … ein hübscher Name, dachte er. Das klang sanft, weiblich. Sehr wahrscheinlich war Cassandra einer der Fälle seiner Mutter. Witwen und Waisen galt ihre neueste Fürsorge. Der Tragesitz mit dem schlafenden Baby, der neben der Frau stand, schien seine Vermutung zu bestätigen.

Wayne hatte schon immer eine Schwäche für die Wohltätigkeitsarbeit seiner Mutter gehabt, die nicht wollte, dass ihre Söhne vergaßen, woher sie gekommen waren und wie glücklich sie sich jetzt schätzen konnten. Die Tatsache, dass Cassandra eine wunderschöne Frau war, würde ihn nur dazu bringen, dass er seine Brieftasche ein wenig weiter öffnete.

Weil es die Höflichkeit verlangte, reichte er ihr die Hand. Cassandra nahm sie, und ihre schmale, zierliche Hand verschwand in seiner großen, harten, von der Arbeit rauen Hand. Wie weich sie ist, dachte er und stellte sich vor, dass Cassandra ihm mit dieser sanften Hand die angespannten Schultermuskeln massierte.

Langsam gab er ihre Hand wieder frei. Schon seit Monaten hatte er keine Frau mehr gehabt, lange genug, um seine Fantasien über diese Frau anzuregen, die sehr wahrscheinlich eine Witwe mit Kind war. „Was kann ich für Sie tun, Miss Morrison?“

Sie zögerte einen Moment, ehe sie antwortete: „Ich bin Jeanie Morrisons Schwester.“ Sie sprach diese Worte aus, als wäre es schmerzlich für sie. Ihre schmalen Brauen zogen sich zusammen, während sie ihn mit ihren unglaublich grünen Augen ansah, als erwarte sie von ihm, dass er diesen Namen kannte.

„Ich glaube nicht, dass ich das Vergnügen hatte.“

Cassandra trat ein paar Schritte zurück. Als sie ihn dann wieder anblickte, hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt, so wie in einer Geste des Selbstschutzes.

„Sie haben den Namen meiner Schwester nie gehört?“

Er schüttelte den Kopf. Auch wenn sie ein paar Schritte von ihm weggetreten war, so stand sie doch noch immer nah genug, dass er den Duft von Wildblumen einatmen konnte, der sie einhüllte.

„Ich hatte gehofft, dass Sie den Namen schon gehört haben, dann wäre dies nicht so schwierig für mich“, erklärte sie.

Verwirrt runzelte er die Stirn. „Sprechen Sie weiter.“

Sie löste die Arme und legte eine Hand auf den Kindersitz. Eine Mutter, die ihr Kind beschützt. Sein Blick ging zu dem kleinen Bündel in dem Sitz und hatte auf einmal das sichere Gefühl, dass Cassandra Morrison nicht hier war, weil sie eine Wohltat von ihm erwartete.

„Dann muss dies eine schlimme Überraschung für Sie sein …“ Sie hielt inne und schwieg.

Überraschungen musste man von einer Frau immer erwarten, und er hatte die unangenehme Erfahrung gemacht, dass sie immer noch ein Ass im Ärmel hatten.

Er stützte sich mit der Hand auf den Kaminsims und trommelte mit den Fingern darauf. Wie lange sie wohl noch warten würde, mit dem herauszurücken, was sie von ihm wollte?

„Es tut mir leid, dass ich diejenige bin, die Ihnen das sagt, aber …“ Erneut brach sie ab und verriet ihm, wie angespannt sie war.

Der Ausdruck in ihren Augen und ihrer Stimme hätte ihn beinahe geschafft. Ein Schauer lief durch seinen Körper und erinnerte ihn an das Flüstern des Windes und Betörungen in einer mondhellen Nacht. Doch diese Frau stand im Wohnzimmer seines Hauses, ein Zögern lag in ihrer Stimme, aber sie hatte das Kinn störrisch gehoben. Der Wind flüsterte nicht, und der Mond wich dem anbrechenden Tag. Und er hätte schwören können, dass das, was Cassandra Morrison ihm zu sagen hatte, ihm nicht gefallen würde.

„Meine Schwester …“ Sie holte tief Luft. „Meine Schwester war mit einem Hart zusammen.“

„Wie bitte?“ Seine Worte waren so eisig wie ein Wintertag in Wyoming. Wie konnte sie es wagen, in seinem eigenen Haus, dem Haus, für das er gekämpft hatte, dazustehen und ihm Vorwürfe zu machen?

Sie reckte sich, als bereite sie sich auf einen Kampf vor, und presste die Lippen zusammen.

Wayne ballte die Fäuste. „Wollen Sie etwa behaupten, ich sei der Vater dieses Kindes?“

„Jeanie hatte offensichtlich mit …“

„Auf Wiedersehen, Miss Morrison. Wenn Sie noch etwas zu sagen haben, rufen Sie meinen Anwalt an.“

„Warten Sie!“

Seine Familie war schon zweimal das Opfer einer betrügerischen Frau geworden. Und er wollte verflucht sein, wenn so etwas noch einmal passierte. Er wandte sich um, ging an ihr vorbei und legte demonstrativ die Hand auf die Türklinke.

„Bitte warten Sie, hören Sie mich an.“

Er blieb stehen. Ihre Verzweiflung rührte ihn.

„Jeanie war mit Ihrem Bruder zusammen.“

„Mit meinem Bruder?“

„Chad. Er ist doch Ihr Bruder, nicht wahr?“

Wayne wandte sich um und nickte. Chad war der jüngste der drei Brüder, der wildeste und auch der leichtsinnigste.

Cassandra schob sich eine Strähne hinters Ohr. Ohne mit der Wimper zu zucken, sah sie ihn an. „Jeanies Baby ist das Kind von Chad.“

„Wollen Sie etwa behaupten, dieses Kind sei mein Neffe?“, fragte er und bemühte sich, nicht die Beherrschung zu verlieren.

„Unser Neffe, jawohl“, brachte sie heraus.

„Sie wollen sagen, dass mein Bruder der Vater dieses Kindes ist und die Mutter im Stich gelassen hat?“

„Das will ich nicht nur behaupten …“ Sie rang nach Atem. „… es ist eine Tatsache.“

„Eine Tatsache. Verstehe. Und die Mutter des Kindes, Ihre Schwester, wo ist sie, warum ist sie nicht hier?“

Tränen traten in Cassandras Augen, doch er wollte sich davon nicht anrühren lassen; zu viel stand hier auf dem Spiel.

Als sie nicht antwortete, sprach er weiter. „Warum hat sie Sie geschickt? Können Sie vielleicht besser lügen?“ Seine ärgerlichen Worte hingen in der Luft.

Cassandra starrte ihn an. „Lügen?“, fragte sie mit zitternder Stimme.

Wayne wappnete sich gegen ihre Anschuldigungen. „Jawohl, Miss Morrison. Ich nenne Sie eine Lügnerin.“

Beinahe hätte er sich von dem schmerzlichen Ausdruck in ihren Augen überzeugen lassen.

Langsam schüttelte sie den Kopf. „Ich bin keine Lügnerin.“

„Dann haben Sie vielleicht die Situation missverstanden.“

„Wie könnte ich so etwas missverstehen?“

„Dann hat Ihre Schwester Sie vielleicht angelogen“, konterte er.

„Wie können Sie es wagen!“ Cassandra presste die Lippen zusammen, und der Schmerz in ihrem Blick verwandelte sich in Zorn. Kämpferisch reckte sie das Kinn. „Meine Schwester war nicht …“

„Wenn Ihre Schwester eine Heilige ist, warum deuten Sie dann an, dass mein Bruder keine Moral besitzt?“

„Ich weiß nicht, was ich glauben soll“, gestand sie ihm ruhig.

„Wie viel?“, fragte er, weil er das Spiel langsam leid war. Er würde alles tun, um seine Familie vor Cassandras falschen Anschuldigungen zu schützen, selbst wenn ihn das die Hälfte seines Bankkontos kosten würde.

Mit weit aufgerissenen Augen wiederholte sie seine Frage. „Wie viel?“

„Damit Sie und Ihre Schwester Ihre unbegründeten Anschuldigungen unterlassen.“ Er griff nach dem Scheckheft in seiner Gesäßtasche.

Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Wie Feinde standen sie sich gegenüber. „Sie glauben, hier geht es um Geld?“

„Ist das denn nicht so?“ Er legte das Scheckheft auf den Couchtisch und beugte sich darüber. „Ist es nicht das, was alle Frauen wollen?“, fragte er und blickte kurz auf. Dann nahm er seinen Stift und schrieb ihren Namen und das Datum auf einen der blauen Schecks.

„Stecken Sie das wieder weg“, befahl sie knapp. „Und behandeln Sie mich bitte mit der Höflichkeit, die Sie bisher haben vermissen lassen.“

Wayne biss die Zähne zusammen und richtete sich wieder auf. Noch nie hatte ihm jemand vorgeworfen, nicht höflich genug zu sein. Bis jetzt. Seine Beherrschung wurde auf eine harte Probe gestellt. Er brauchte seinen ganzen Willen, um sie nicht zu verlieren.

„Es geht hier nicht um Geld, Mr. Hart.“

„Nicht?“

„Es geht um …“ Sie holte tief Luft und straffte die Schultern.

Er hatte schon immer Leute mit Mut bewundert. Cassandra besaß Mut, sehr viel sogar, und einen Moment lang fragte er sich, wie es wohl sein würde, wenn sie beide auf der gleichen Seite stünden.

„Es geht hier um Liebe und Zugehörigkeit.“

„Liebe und Zugehörigkeit?“, wiederholte er. Er musste sich verhört haben.

Sie ließ die Luft in einem tiefen Seufzer entweichen, als sei sie ungehalten über seine Begriffsstutzigkeit. „Jawohl“, sagte sie leise.

Was wohl geschehen musste, um diese Frau aus der Ruhe zu bringen. Würde es ihm mit einer kühnen Behauptung gelingen? Mit einem kühnen Versprechen? Einem leidenschaftlichen Kuss? Bei dem er mit den Fingern durch ihr dichtes braunes Haar fuhr? Doch sogleich schob er diese Gedanken wieder beiseite. Ihn kümmerte es überhaupt nicht, was er tun musste, um Cassandra Morrison aus der Ruhe zu bringen. Sie würde aus seinem Leben verschwinden – wahrscheinlich schon in wenigen Minuten.

„Haben Sie je das Gefühl gehabt, nicht zu wissen, wohin Sie gehören?“, fragte sie.

Wayne bis die Zähne zusammen. Er wusste, wie es war, nirgendwohin zu gehören. Wie es war, zu kämpfen und sich in abgelegter Kleidung, Kleidung aus zweiter Hand, behaupten zu müssen. Er wusste, wie es war, Abend für Abend das Gleiche zu essen, keine Geschenke zum Geburtstag zu bekommen und anstatt eines Weihnachtsbaums nur einen Strauch aus der Steppe zu haben. Wie es war, keinen Respekt zu bekommen, ohne Freunde zu leben und allein auf dem Spielplatz zu stehen, zuzusehen, wie die anderen Baseball oder Football spielten.

O ja, er wusste besser als die meisten, wie es war, nicht dazuzugehören.

„Es tut mir leid“, flüsterte sie und verschränkte wieder die Arme vor der Brust.

Ihre Blicke trafen sich, und er stellte fest, dass das Grün ihrer Augen heller geworden war, als hätte sie seinen Schmerz gesehen und seine Eindringlichkeit verstanden.

„Ich hatte nicht das Recht …“

Er nickte nur.

„Aber Sie haben eine Familie. Sie können doch sicher nicht wissen …“

„Das kann ich, und ich weiß es auch“, berichtigte er sie, und aus seinen Worten klang der Zorn, hinter dem er seinen Schmerz zu verbergen versuchte. „Ich habe auf beiden Seiten der Straße gelebt, Miss Morrison. Wir haben erlebt, wie es ist, wenn kein Feuer im Herd brennt und kein Huhn im Topf brutzelt.“ Er hielt kurz inne. „Und jetzt geht es uns so gut, dass es Leute gibt, die alles tun würden, um etwas davon abzubekommen.“

„Und Sie glauben wirklich, dass ich eine Frau bin, die an Ihrem Reichtum teilhaben will?“, fragte sie.

„Sie wären nicht die erste.“

„Sie wissen doch überhaupt nicht, was für ein Mensch ich bin.“

„Warum verraten Sie es mir dann nicht?“, forderte er sie heraus. „Was sind Sie denn für eine Frau?“ „Ich bin eine Frau, die will, dass ihr Neffe sein Recht bekommt.“

Wayne runzelte die Stirn.

„Ich möchte, dass Billy irgendwo hingehört, dass er eine Familie hat. Ich möchte, dass Billy seinen Vater kennt.“

„Falls Chad sein Vater ist.“

„Hören Sie, Mr. Hart, könnten Sie Ihr Misstrauen vielleicht lange genug vergessen, um die Möglichkeit zumindest in Betracht zu ziehen, dass …“

„Nein, Miss Morrison, das kann ich nicht.“

Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar, sodass es nun ganz zerzaust war. Jetzt sah sie nicht mehr so ordentlich aus, eher wild und frei – und der Himmel möge ihm helfen, sie war so verlockend wie die Sünde.

Doch im Augenblick musste er sich erst einmal darum bemühen, seinen Zorn zu bändigen. „Versetzen Sie sich doch mal für einen Augenblick an meine Stelle. Ich komme nach Hause, nachdem ich die ganze Nacht lang gefahren bin. Ich bin müde und wünsche mir nichts sehnlicher, als in mein Bett zu gehen.“

Sie vermied seinen Blick.

„Doch statt eines Bettes finde ich eine Frau vor, die ich nicht kenne. Und nicht nur das, sie hat auch noch ein Baby bei sich, ein Baby, von dem sie behauptet, dass mein jüngster Bruder sein Vater sei. Ein Mann, wie ich betonen möchte, der nicht einmal hier ist, um sich verteidigen zu können.“

„Ich verstehe Ihre Bedenken.“

„Kennt meine Mutter Ihre Geschichte?“, wollte er wissen.

„Ja“, hauchte sie.

„Und ich nehme an, Sie haben sie davon überzeugt, dass dieses Baby ihr Enkel wäre.“

„Billy ist ihr Enkel.“

Verdammt! Er holte tief Luft. „Ich würde lieber meinen Arm opfern, ehe ich zulasse, dass jemand einem Mitglied meiner Familie ein Leid zufügt, ganz besonders nicht meiner Mutter.“

Sie legte den Kopf ein wenig schief, als würde sie über seine Worte nachdenken. Als sie dann wieder sprach, hörte er an ihrer Stimme, dass sie sich ebenso wie er um Beherrschung bemühte. Immerhin, sie war eine würdige Gegnerin, das durfte er nicht vergessen.

„Ich habe nicht die Absicht, jemandem ein Leid zuzufügen, Mr. Hart, am allerwenigsten Margaret.“

Margaret? In der kurzen Zeit, in der sie hier war, hatte Cassandra es bereits geschafft, in ihrer Beziehung zu seiner Mutter so weit zu kommen, dass sie sie beim Vornamen nannte? Das bedeutete für ihn eine noch größere Gefahr. Er musste dafür sorgen, dass Cassandra verschwand, ehe sie noch mehr Schaden anrichten konnte.

„Nennen Sie mir Ihren Preis, Miss Morrison, ich bin einverstanden.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht so einfach wieder verschwinden, Mr. Hart. Das kann ich nicht. Nicht für Geld. Wie ich schon sagte, ich möchte niemandem schaden.“ Sie blickte zu dem Kindersitz, und ihr Gesichtsausdruck wurde sehr sanft. „Ganz besonders nicht Billy.“

Wayne stieß einen tiefen Seufzer aus. Eine Konfrontation mit einer störrischen Frau war nicht gerade das, wonach er sich sehnte.

„Sie sollen wissen, dass ich einen Privatdetektiv beauftragt habe“, verriet sie ihm. „Die Unterlagen habe ich in meinem Wagen.“

„Holen Sie sie.“

An der Tür blieb sie noch einmal stehen und zögerte. Sie warf einen Blick zu ihm und sah dann zu dem schlafenden Kind.

„Keine Sorge“, versicherte er. „Ich tue Unschuldigen nichts.“

Er sank auf die Couch, als sie das Zimmer verließ. Wayne streckte die Beine aus und trommelte mit den Fingern auf den Couchtisch. Er war ungeduldig, all seine Müdigkeit war verflogen.

Der Gedanke, dass diese Frau Unterlagen besaß, in denen persönliche Informationen über seine Familie standen, hatte jeglichen Wunsch, sich zu entspannen, vertrieben. Er sprang wieder auf und lief unruhig auf und ab. Dann blieb er vor dem Kindersitz stehen.

Und wenn Billy nun wirklich ein Hart wäre? Ihm schwirrte der Kopf.

Ganz gleich, wie die Sachlage war, ein Streit war unvermeidlich, vielleicht sogar ein Kampf vor Gericht. Und wenn sich dann tatsächlich herausstellen sollte, dass Billy sein Fleisch und Blut war, würde das Kind automatisch seinem Schutz unterstellt werden. Er würde dafür sorgen, dass Chad das Sorgerecht bekam. Die Familie war das Einzige, was im Leben wirklich zählte.

Wayne rieb sich mit der Hand über die Augen und runzelte die Stirn. Als er die Augen dann wieder öffnete, stand sie vor ihm, ein Bild der Weiblichkeit.

Er hatte nicht gehört, wie sie ins Wohnzimmer zurückgekommen war.

Sie stand vor dem Fenster, durch das die Morgensonne fiel. Ihr Licht hüllte sie ein. Mit großen Augen betrachtete sie ihn und Billy. Ihr Atem ging schnell, und vor ihrer Brust hielt sie eine Akte; ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest umklammerte sie die Unterlagen.

Vorsichtig legte sie die Akte auf den Tisch. Sie war abgenutzt, als hätte sie sie schon viele Male in der Hand gehalten. Würden diese Unterlagen beweisen, dass die Harts ihr etwas schuldig waren?

Das Baby bewegte sich, und Cassandra ging schnell zu ihm. Ihr Blick war ebenso sanft wie wachsam, und sie erinnerte Wayne an eine Mutter, die ihr Junges schützt. Das Baby wimmerte, und sie nahm es auf den Arm.

Einen Moment betrachtete er sie wie gebannt. Er besaß wenig Erfahrung mit Kindern, von Babys hatte er gar keine Ahnung. Doch als sich die kleine Hand um einen ihrer Finger schloss, überkam ihn ein eigenartiges Gefühl, dem er keinen Namen geben konnte.

Genau in diesem Augenblick klopfte es an der Tür, und Margaret betrat das Zimmer. Sie lächelte ihren Sohn an und dann auch Cassandra und das Kind.

„Willkommen zu Hause, Wayne“, begrüßte Margaret ihn.

Cassandra sah seine Mutter an, und ein freundliches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

„Oh, ist der Kleine endlich aufgewacht?“

Cassandra nickte und fragte dann: „Möchten Sie ihn halten?“

„Darf ich?“

Aus den beiden Worten seiner Mutter hörte Wayne Hoffnung … Hoffnung und Aufregung. Margaret Hart besaß ein weiches Herz für alle. Eine Bindung an dieses Baby wäre für sie eine Tragödie, eine Tragödie, die er unbedingt vermeiden musste.

Er griff nach der Akte. Was er darin finden würde, würde ihm sicher nicht gefallen, das sagte ihm seine Vorahnung.

Aus den Augenwinkeln sah er, dass Margaret sich in den großen Schaukelstuhl setzte. Cassandra legte ihr liebevoll das Baby in die Arme.

Er zwang seine Aufmerksamkeit von dieser heimeligen Szene weg und blätterte in der Akte. Gleich am ersten Blatt war mit einer Büroklammer ein Foto befestigt, das Bild einer Frau, die Chad anlächelte. Chad hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt und grinste in die Kamera. Ein Cowboyhut saß auf seinem Kopf, und um die Taille trug er den Siegergürtel des Rodeos.

Wayne biss die Zähne zusammen. „Jeanie?“, fragte er und konnte keine Ähnlichkeit entdecken – bis auf die Augen.

Cassandra trat neben ihn. „Ja“, antwortete sie leise, und Tränen schimmerten in ihren Augen.

„Sie sehen sich gar nicht ähnlich.“ Und er überlegte, ob sich ihre Ähnlichkeit vielleicht auf ihre Moral erstreckte.

Er blätterte weiter und fand noch mehr Fotos. Jeanie und Chad beim Essen, eine Karaffe mit Wein stand auf dem Tisch, vor Chad stand eine Flasche mit Bier – seine Lieblingsmarke. Diesmal waren ihre Gesichter dicht beieinander, und sie küssten sich.

Der Duft von Cassandras Parfüm hüllte ihn ein, und noch etwas anderes glaubte er wahrzunehmen – ihre Angst.

„Es wird Ihnen nicht alles gefallen, was Sie in dieser Akte finden“, flüsterte sie und sprach das aus, was er sich schon selbst gesagt hatte. „Mir hat es auch nicht gefallen“, fügte sie hinzu.

Er wusste, dass Chad nicht perfekt war. Teufel, das war keiner der Hart-Brüder, doch sie alle stellten sich ihren Verpflichtungen. Er überflog den ersten Bericht, einige Einzelheiten daraus sprachen gegen Chad.

Chad war mit Jeanie ausgegangen. Man hatte gesehen, wie sie sein Motelzimmer verließ, in einem kleinen Motel an einem Highway in Montana, um sieben Uhr morgens. Chads Partner hatte Chad irgendwann in der Nacht angerufen, und eine verschlafen klingende Frau, höchstwahrscheinlich Jeanie, hatte abgenommen.

„Nun?“

Seine Hoffnung, dass Chad entlastet werden würde, war verschwunden. Wayne fühlte sich in die Ecke getrieben. Und dieses Gefühl mochte er gar nicht.

Doch es gab keine eindeutigen Beweise, und daran klammerte er sich. „Dieser Bericht beweist gar nichts. Chad mag sich ja mit Ihrer Schwester eingelassen haben, aber offensichtlich war er wohl nicht der Einzige.“

Ein Schatten huschte über Cassandras Gesicht, und er hasste sich dafür, dass er die Schuld daran trug. Dennoch, wenn er nicht verhinderte, dass sie seiner Mutter Schmerz zufügte, würde er sich dafür noch mehr hassen. Er würde also das tun, was getan werden musste. „Der Bericht sagt, dass sie ein Flittchen war, dass sie …“

„Ich kenne jedes einzelne Wort dieses Berichtes.“

„In diesem Fall …“ Wayne griff nach seinem Scheckbuch, das noch immer auf dem Tisch lag, und zog es zu sich heran. Er wartete.

„Ihr stört das Baby“, schalt Margaret sie. „Geht in dein Büro, Wayne, ich passe solange auf das Baby auf.“

Der Ton seiner Mutter ließ keinen Widerspruch zu, und er nickte. „Mein Büro, Miss Morrison“, sagte er.

„Aber …“

„Der kleine William wird sich bei seiner Grandma schon wohlfühlen“, versicherte Margaret Cassandra. „Gehen Sie nur. Er ist nicht halb so schlimm, wie er zu sein scheint.“ Sie warf ihrem Sohn einen warnenden Blick zu. „Wayne, benimm dich.“

Er hielt Cassandra die Tür auf und führte sie dann durch den Flur in sein Büro. Als er an ihr vorbeiging, straffte sie die Schultern. Es sah nicht so aus, als würde sie kapitulieren.

Sein Puls schlug schneller. Wayne freute sich schon auf die Herausforderung – und ganz besonders auf seinen Triumph.

2. KAPITEL

„Setzen Sie sich.“ Wayne setzte sich in den Ledersessel hinter seinem Schreibtisch.

Furcht und Ärger kämpften in Cassie. Dies war sein Büro, sein Territorium, und sie war der Eindringling.

„Miss Morrison“, sagte er ungeduldig und riss sie aus ihren Gedanken.

Cassie setzte sich vor den Schreibtisch. Tief sank sie in den weichen Ledersessel und kam sich sehr klein und unwichtig vor. Doch sie war weder klein noch schutzlos. Sie reckte sich, entschlossen, diesem Mann zu beweisen, dass sie recht hatte und dass er sich in seinem Bruder täuschte. So hatte sie sich ihre Begegnung eigentlich nicht vorgestellt. Sie hatte davon geträumt, dass Billy in die Familie Hart aufgenommen werden würde, dass ihm seine Familie den Schutz gewährte, der ihm zustand. Es war eine lange und heiße Fahrt gewesen aus Nebraska bis nach Wyoming, und den ganzen Weg über hatte sie sich an diese Vorstellung geklammert. Und Margaret Hart war genau so gewesen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Doch Wayne Hart … Er hatte offenbar seine eigenen Gesetze.

Sie schloss für einen Moment die Augen und war dankbar, dass Margaret ihr die Tür geöffnet hatte und nicht Wayne. Er hätte sie sofort abgewiesen, hätte ihr mit einer Gerichtsverhandlung gedroht und so ihren Entschluss geschwächt.

Als sie ihn wieder ansah, lag immer noch der Ausdruck von Ungeduld auf seinem Gesicht. Sie konnte sich ihn gut vorstellen, wie er um ein Stück Land feilschte oder um den Kauf eines Pferdes. Er würde sich erst entspannen, wenn der Handel nach seinen Bedingungen abgeschlossen war.

„Mr. Hart, ich verstehe Sie, und ich respektiere auch Ihre Vorsicht.“

Er legte den Kopf ein wenig schief, dabei fiel ihm eine Locke in die Stirn. Das ließ ihn ein bisschen weniger abweisend wirken und sogar etwas menschlich.

Vorsichtig wählte sie ihre nächsten Worte. „Ihre Mutter hat erwähnt, dass Sie Grund haben, Frauen zu misstrauen.“

„Wirklich?“ Sehr aufrecht saß er da. „Und was hat meine Mutter sonst noch erwähnt, als Sie beide Ihre nette Unterhaltung geführt haben?“

„Das ist alles, was sie mir gesagt hat“, versicherte sie ihm und hatte das Gefühl, dass sie ihm bereits zu viel verraten hatte. In der Stille, die jetzt eintrat, rang sie die Hände im Schoß, doch dann hielt sie abrupt inne, als ihr klar wurde, dass ihm das nicht entgangen war.

Sie hasste Streitereien, und es wäre ihr lieber gewesen, die Sommerferien zu Hause zu verbringen und mit den Kindern zu arbeiten, die den Sommer über auf sie angewiesen waren. Stattdessen saß sie jetzt im Büro eines Mannes, der ihr nicht traute und vermutete, dass sie ein Teil seines Erbes verlangte. Aber sie hatte keine andere Wahl. Sie war Billys einzige Hoffnung, und das würde sie nicht vergessen.

„Ich habe nicht vor, Ihrer Familie etwas anzutun“, erklärte sie.

Er zog die Augenbrauen hoch und sah sie skeptisch an.

„Ich werde es beweisen“, sagte sie schnell und fragte sich, wie sie dieses Versprechen wohl einhalten sollte. „Lassen Sie uns zusammenarbeiten.“ Sie beugte sich vor und sah ihm in die Augen. „Wir wollen doch beide das Gleiche.“

„Wirklich, Miss Morrison?“

Es wäre ihr lieber gewesen, wenn er sie mit ihrem Vornamen angesprochen hätte. Doch sie bat ihn nicht darum, weil sie Wayne keinen Grund geben wollte, ihr näherzukommen, ganz besonders deshalb nicht, weil sie sich durchaus bewusst war, was für ein gut aussehender Mann er war.

Aber das hatte nichts zu bedeuten. Man konnte einen schlechten Charakter hinter einem guten Aussehen verstecken, diese schmerzliche Erfahrung hatte sie bei Steven, ihrem Exverlobten, gemacht. Sie versuchte, den Schmerz zu unterdrücken, der sie noch immer bei dem Gedanken an den Mann, den sie beinahe geheiratet hätte, überkam, und hoffte stattdessen, dass Wayne ihr eine Chance geben würde.

„Ich verlange nichts von Ihnen, ich stelle keine Forderungen, bis Sie mit Ihrem Bruder gesprochen haben. Vielleicht weiß Chad ja gar nichts von dem Baby.“

„Vielleicht weiß Ihre Schwester ja gar nicht, wer der Vater des Kindes wirklich ist“, gab er zurück.

Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, war diese Bemerkung fast zu viel. „Sie hat es gewusst.“

Cassie sprang auf, stützte die Hände auf den Schreibtisch und beugte sich vor. Sie war bereit gewesen, ihm zuzugestehen, dass er Zweifel hatte, ob Chad Jeanie hatte sitzen lassen. Aber sie hatte genug von arroganten Männern – und in diesem Moment ganz besonders von Wayne Hart.

„Ich habe genug von Ihren Andeutungen über meine Schwester, schließlich reden wir hier über Ihren Bruder.“

Auch Wayne stand auf und stützte die Hände auf den Schreibtisch. „Wollen Sie damit andeuten, dass mein Bruder ein Schuft ist?“ Seine Stimme war ganz leise und doch so eindringlich wie ein Blitz, der über den Himmel zuckt.

Cassie zwang sich, tief durchzuatmen. Vorsichtig überlegte sie ihren nächsten Schritt. Wayne wollte, dass sie aus seinem Leben verschwand, gleichgültig, wie Margaret darüber dachte. Aber das würde sie nicht tun, sie durfte Billy nicht die Chance nehmen, seinen Vater kennenzulernen.

„Ich deute gar nichts an, Mr. Hart“, erklärte sie und kämpfte um ihre Selbstbeherrschung. „Ich kenne Ihren Bruder ja nicht einmal.“

„Und?“

Er beugte sich so weit vor, dass sie den Duft seines Aftershaves einatmete. Sein dunkler Bartschatten verriet, dass er sich länger nicht rasiert hatte. Das jagdgrüne Hemd, das seine breiten Schultern umspannte, war zerknittert und die graue Jeans verwaschen. Die beiden obersten Hemdknöpfe waren geöffnet, und einen viel zu langen Augenblick malte sie sich aus, wie er wohl unter dem Hemd aussehen mochte.

Dieser gewagte Gedanke brachte sie aus dem Konzept, und noch während sie die nächsten Worte aussprach, bedauerte sie sie bereits. „Ich frage mich, ob überhaupt einer der Männer der Harts bereit ist, sich seinen Verpflichtungen zu stellen.“

Sie sah die Wut in seinen Augen, doch noch ehe sie sich entschuldigen konnte, war er schon um den Schreibtisch herumgekommen und hatte sie bei den Schultern gepackt.

„Um meiner Mutter willen war ich bereit, mich wie ein Gentleman zu verhalten.“

Sie zog scharf den Atem ein und kämpfte gegen ihre aufsteigende Angst an.

„Ich versichere Ihnen, Lady“, sagte er mit gefährlich kalter Stimme, „es hat noch keinen Hart gegeben, der sich seiner Verantwortung entzogen hätte. Und Chad wird nicht der erste sein.“

Verzweifelt versuchte sie, die Hände zwischen sich und Wayne zu schieben, um ihn von sich zu drücken. Erfolglos. Sie erwartete, dass er sie schütteln würde, doch das tat er nicht. Wahrscheinlich hielt er sich gerade noch zurück. Er war mindestens fünfzehn Zentimeter größer als sie und wesentlich schwerer. In seinen Armen war sie nicht mehr als eine hilflose Puppe.

„Ich möchte, dass Sie aus meinem Haus und aus meinem Leben verschwinden. Sofort. Nennen Sie mir Ihren Preis, und dann verschwinden Sie.“

Tränen traten ihr in die Augen, und sie blinzelte. „Mr. Hart, bitte, ich will Ihr Geld nicht.“ Sie flehte ihn an und wusste, dass sie so etwas niemals für sich getan hätte, aber für Billy …

Ihre Hände lagen auf seiner Brust, und sie fühlte, dass sich sein Brustkorb heftig hob und senkte, sah, dass der Puls an seiner Schläfe heftig klopfte. Dennoch würde sie Wayne noch weiter bedrängen, wenn es sein musste. Sie würde jedes Risiko eingehen.

Immerhin war Billy alles, was ihr geblieben war.

Sie kämpfte gegen die Tränen an und wünschte verzweifelt, Wayne hätte ein Herz. „Alles, um das ich Sie bitte, ist eine Chance.“

Er antwortete nicht.

„Hat Billy nicht wenigstens das verdient?“ Ihr blieb keine andere Wahl, und er hatte sie ja noch nicht aus dem Haus geworfen. Und auch wenn er noch immer ihre Schultern gepackt hatte, so war sein Griff jetzt doch sanfter. Seine Augen blitzten unverändert zornig, die kleine Ader an seiner Schläfe pulsierte noch immer heftig, doch sie hatte seine volle Aufmerksamkeit.

„Ja, er hat es verdient“, beantwortete sie ihre eigene Frage. „Sie müssen nämlich wissen, dass er bereits seine Mutter verloren hat.“ Obwohl die Tränen sie zu überwältigen drohten, sprach sie weiter. „Meine Schwester hatte sicher eine Menge Probleme. Sie war nicht perfekt, vielleicht wäre sie nicht einmal eine gute Mutter gewesen, das werden wir nie wissen. Aber eines ist sicher, sie hat Billy mehr geliebt als alles andere auf der Welt. Sie hat versucht, ihr Leben zu ändern …“

Cassie hielt inne, weil sie einen dicken Kloß in der Kehle hatte. Himmel, das alles ging gar nicht so, wie sie es geplant hatte. Sie hatte ihre Gefühle im Zaum halten wollen. Doch Wayne schien die Mauer der Verteidigung, die sie um sich herum errichtet hatte, mühelos einzureißen. „Sie ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“

Wayne fluchte leise. „Das tut mir leid.“

Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Jeanie war ein ganz besonderer Mensch“, sagte sie leise. „Ich wünschte, Sie hätten sie kennengelernt.“

Er antwortete nicht.

„Ich habe mir die Entscheidung, hierher zu Ihnen zu kommen, nicht leichtgemacht; ich war davon überzeugt, das Richtige zu tun.“ Noch immer hielt er sie fest, doch sie spürte, dass es nicht mehr im Zorn war, und sie wurde sich des Mannes vor ihr immer mehr bewusst.

Unter ihrer Hand war nur der dünne Stoff seines Hemdes, seine Haut war warm und fest.

„Mir war klar, dass das für alle ein ziemlicher Schock sein würde“, sprach sie weiter und bemühte sich, die Fassung nicht zu verlieren. „Doch ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun können. Für mich ist die Situation auch nicht einfach, ich hatte nicht geplant, so plötzlich Mutter zu werden.“

„Aber offensichtlich besitzen Sie all die richtigen Instinkte dafür.“

Bei seinen ruhigen Worten zog sich ihr Herz zusammen. Doch rasch sagte sie sich, dass es vielleicht nur eine Taktik von ihm war, um sie zu entwaffnen. „Das ist sicher die Lehrerin in mir“, antwortete sie schnell.

„Sie sind Lehrerin?“

Natürlich, er würde jede Gelegenheit wahrnehmen, das Thema zu wechseln. „Ich unterrichte Kinder mit Lernschwächen, Kinder, von denen die Leute behaupten, dass man ihnen nichts beibringen kann. Ich habe gesehen, wie verloren und allein sie sind, voller Schmerz und unerfüllter Bedürfnisse.“

Schweigen folgte. Dann fragte er: „Kämpfen Sie auch für diese Kinder?“

Sie sah ihn fest an. „Für jedes einzelne von ihnen. Und Sie machen mir einen Vorwurf, dass ich ebenso für meinen Neffen kämpfe?“

Wieder schwieg er, und sie begann, ihm von Jeanie zu erzählen und von Billy. „Meine Schwester kam zu mir zu Besuch und brachte Billy mit, meinen Neffen. Ich hatte gar nicht gewusst, dass sie schwanger war, geschweige denn, dass das Kind bereits auf der Welt war.“

„Sprechen Sie weiter.“

„Drei Tage später stand die Polizei vor meiner Tür. Jeanie war losgefahren, um Babynahrung zu kaufen … Sie war einem entgegenkommenden Wagen ausgewichen und dabei gegen einen Baum geprallt.“

Der Schmerz überwältigte sie, dennoch sprach sie weiter. „Ich war ganz plötzlich von einer Tante zu einer Mutter geworden. Billy weinte. Es war beinahe so, als wüsste er, dass etwas nicht stimmt … Ich hatte noch nie die Flasche für ihn gemacht, hatte ihm erst ein einziges Mal die Windeln gewechselt.“

Cassie holte tief Luft.„Ich musste eine Vertretung finden, die meine Schüler übernahm, während ich mich um die … um die Beerdigung kümmerte.“ Sie legte den Kopf ein wenig zurück, als würden dann die Tränen nicht rinnen.

„Die ersten Tage waren die schlimmsten. Billy weinte und weinte. Ich wusste nicht, wie ich ihn halten musste, wie ich ihn füttern musste. Ich denke, er wollte ganz einfach seine Mommy wiederhaben.“

„Was geschehen ist, habe ich nicht gewusst“, sagte Wayne. „Aber Billy hat Sie. Und ich denke, er kann sich glücklicher schätzen als viele andere Kinder.“

Sie schob ihn ein Stück von sich und war überrascht, als er sie freigab.

„Ich werde meinen Bruder finden, Miss Morrison.“

„Da ist noch etwas. Ich hätte es fast vergessen.“ Sie griff in die Gesäßtasche ihrer Jeans.

Er nahm das Stück Papier, das sie ihm reichte, faltete es auseinander und runzelte dann die Stirn, als er sah, dass es Billys Geburtsurkunde war.

„Eine Mutter kann als Vater jeden Namen angeben, den sie will.“ Er sah sie über den Rand der Urkunde hinweg an. „Ich könnte sie verbrennen.“

„Aber das werden Sie nicht tun.“ Sie sagte erst gar nicht, dass es einfach wäre, sich eine Kopie zu besorgen. „Ich nehme das Risiko auf mich, weil ich glaube, Sie besitzen genug Integrität, um die Wahrheit herausfinden zu wollen.“

Zögernd faltete er das Dokument zusammen und gab es ihr zurück. „Sie können in Laramie bleiben. Es gibt hier eine Menge guter Hotels. Lassen Sie die Rechnung an mich schicken.“

Jetzt wurde sie wieder nervös. „Ihre Mutter hat uns eingeladen, hier zu wohnen. Sie sagte … Sie sagte, Sie hätten genug Platz, und sie hat unser Gepäck schon nach oben bringen lassen.“

Cassie reckte sich und war bereit, sich dem Sturm zu stellen. „Aber wenn Sie verlangen, dass ich gehen soll, dann werde ich das verstehen.“

Wieder klopfte die Ader an seiner Schläfe heftig. „Meine Mutter würde mir das Fell über die Ohren ziehen, wenn ich Sie rauswerfen würde. Aber ich warne Sie, Miss Morrison, sollte ich herausfinden, dass das alles ein Betrug ist, dass Sie mir oder meiner Mutter auch nur ein falsches Wort gesagt haben, um an unsere Gefühle zu rühren oder sich einen Vorteil zu verschaffen, dann bekommen Sie es mit mir zu tun. Und ich garantiere Ihnen, Lady, die Konsequenzen werden Ihnen nicht gefallen.“

Das konnte sie sich sehr gut vorstellen.

Ohne auch nur den Anflug eines freundlichen Lächelns sagte er: „Willkommen auf der Wind-Song-Ranch.“

Im Schutz des Gästezimmers sank Cassie auf die Bettkante. Im Wohnzimmer hatte sie um Margarets willen ein fröhliches Gesicht gemacht, doch sobald Billy seinen Mittagsschlaf hatte, war sie in ihr Zimmer geflohen.

Sie presste eine Hand auf ihr Herz und versuchte, sich zu entspannen. Die Konfrontation mit Wayne hatte sie vollkommen erschöpft.

„Willkommen auf der Wind-Song-Ranch“, hatte er gesagt, und es hatte geklungen, als würde er nichts dabei empfinden.

Ihre Erwartungen waren nicht sehr groß gewesen, als sie ihren vierzehn Wochen alten Neffen in den Kindersitz gesetzt hatte und nach Wyoming gefahren war. Ihre kleine Hoffnung war gewesen, dass die Harts ein Herz haben würden.

Margaret besaß ein Herz. Aber Wayne? Sie fragte sich, ob überhaupt ein Herz in seiner Brust schlug.

Nein, das stimmt nicht ganz, korrigierte sie sich, und eine leichte Röte überzog ihr Gesicht. Sie hatte gefühlt, wie Waynes Herz unter ihrer Hand geschlagen hatte.

Einen Augenblick überlegte sie, wie ein Feigling zu handeln – ihren Koffer wieder zu schließen und ihn zurück nach unten zu tragen. Es wäre so viel einfacher wegzulaufen. Aber was würde dann aus ihrer Familie? Aus Billy? Und umgekehrt war sie alles, was Billy geblieben war, die Einzige, die ihn verteidigen und um das kämpfen konnte, was ihm zustand. Er hatte in seinem jungen Leben schon so viel durchgemacht, und sie schwor sich, das Wayne auch nicht vergessen zu lassen.

Ehe sie aus Nebraska losgefahren war, hatte sie mit einem Anwalt gesprochen, weil sie Billy adoptieren wollte. Das konnte Monate dauern, vielleicht sogar Jahre, hatte der Anwalt ihr erklärt. Und zunächst einmal würde sie herausfinden müssen, ob Chad wirklich sein Vater war und ob er sich nicht um das Sorgerecht bemühen würde. Aber wenn sie gewann …

Wenn sie gewann, würde sie seine Mutter werden, auch gesetzlich würde sie mit ihm verbunden sein, und niemand würde sie mehr trennen können.

Die schweren Schritte eines Mannes im Flur ließen ihr Herz schneller schlagen.

Wayne.

Sie wusste, dass sein Zimmer gleich neben ihrem lag, aber bis jetzt hatte sie nicht weiter darüber nachgedacht.

War er vor ihrer Tür stehen geblieben? Sie hielt den Atem an. Ehe sie ihm noch einmal gegenübertrat, musste sie erst ihre Fassung wiederfinden.

Doch die Schritte gingen weiter, weg von ihrer Zimmertür, und sie seufzte erleichtert auf. Da schlug knallend eine Tür zu, dass das Bild an der Wand wackelte.

Wasser rauschte, und ihr wurde klar, dass er duschte. Sie steckte tief in Schwierigkeiten, viel tiefer, als sie sich das vorgestellt hatte.

Nachdem sie sich einen Ruck gegeben hatte, stand sie wieder auf. Margaret hatte das Abendessen für vier geplant, Waynes älterer Bruder Nick würde auch da sein.

Nick lebte in Denver, mit seiner eigenen Familie, hatte Margaret ihr erzählt, doch im Augenblick war er in Cheyenne und bemühte sich um einen Auftrag. Die Wind-Song-Ranch lag nicht weit von seinem Weg ab, deshalb kam er heute vorbei.

Sie hoffte nur, dass sie genügend Kraft besaß, einen weiteren Angriff von einem der Hart-Brüder zu überstehen. Wenigstens hatte sie Margarets Unterstützung. Cassie wusste nicht, was sie ohne sie getan hätte.

Fünf Minuten später, als alles ruhig war, öffnete sie die Zimmertür. Vorsichtig spähte sie über den Flur, ehe sie dann auf Zehenspitzen zu dem provisorischen Kinderzimmer ging.

Billy schlief tief und fest. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen ging sie ins Bad, wo alles noch darauf hindeutete, dass Wayne bis eben hier gewesen war.

Wasserdampf bedeckte den Spiegel, der Duft seiner Seife lag noch in der Luft. Ein feuchtes Handtuch hing über der Wanne. Aus dem Wäschekorb lugte ein Bein seiner Jeans, und obenauf lag ein dunkelblauer Männerslip.

Sie zwang sich, nicht hinzusehen, und stellte ihre Schminktasche auf den kleinen Schrank, gleich neben den Rasierapparat, den er dort hatte liegen lassen. Sie schob die Dose mit Rasierschaum zur Seite und konnte der Versuchung nicht widerstehen, mit der Fingerspitze den weißen Schaum abzuwischen, der noch daran hing.

Wayne Hart mochte alle möglichen Eigenschaften haben, aber ordentlich war er auf keinen Fall. Irgendwie erleichterte sie das.

Sie ignorierte die Dinge, die sie in diesem Raum an Wayne erinnerten, frischte ihr Make-up auf und ging dann wieder in ihr Zimmer.

Billy wurde unruhig, deshalb bereitete sie seine Flasche vor und setzte sich dann mit ihm auf dem Arm in einen Sessel. Sanft und süß lag er in ihrer Armbeuge und lenkte sie von all ihren Sorgen ab.

Als er satt und zufrieden war, schmuste sie mit ihm und erneuerte ihr Versprechen, ihn nie allein zu lassen. Sie konnte kaum glauben, dass dieses wundervolle Baby zu ihr gehören könnte, dass sie es sein könnte, die es beschützen und großziehen würde.

Von unten ertönte die Türglocke, auch Billy hatte es gehört, denn er riss die Augen weit auf. „Nun, mein Kleiner, es ist Zeit, deinen anderen Onkel kennenzulernen.“

Billy strampelte, und sie war sicher, dass es die Antwort auf ihre Worte war, und in ihren Augen machte ihn das zum klügsten kleinen Jungen der Welt.

Mit Billy auf dem Arm ging Cassie nach unten, und bei jedem Schritt zog sich ihr der Magen noch mehr zusammen. Sie hörte Waynes Stimme und brauchte kein Genie zu sein, um sich vorzustellen, worüber er sprach. Wenn er doch nur begreifen würde, dass sie ihm nicht schaden wollte. Doch das würde sie ihm wohl erst beweisen müssen.

Sie trat in das Wohnzimmer, und als Wayne sie sah, unterbrach er sich sofort und schwieg.

„Wie nett, dass Sie gekommen sind, meine Liebe“, durchbrach Margaret das angespannte Schweigen.

Nicks dunkle Augen blitzten, sie wirkten so kühl und abweisend wie die seines Bruders. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, trotz des Pullovers, den sie über ihre Seidenbluse übergezogen hatte.

„Nicholas, mein Lieber, ich möchte dir gern Cassandra Morrison vorstellen. Und das Kind, das sie auf dem Arm hält, ist Chads Baby.“

„Mom!“, sagte Wayne warnend und knallte die Büchse mit Bier, die er in der Hand hielt, auf den Tisch. „Das sind doch nur Vermutungen.“

„Unsinn“, gab Margaret zurück. „Er hat die Nase von Chad. Findest du nicht auch, Nicholas?“

„Mom“, unterbrach Wayne sie. „Ich würde vorschlagen …“

Margaret winkte ab. „Er sieht genauso aus, wie alle meine Söhne als Baby ausgesehen haben.“

Nick kam einen Schritt näher, und ihr fiel auf, dass er wie Wayne eine ungebändigte Kraft ausstrahlte.

Wayne war zu seiner Mutter getreten. „Ich sehe keine Ähnlichkeit“, erklärte er entschlossen und presste die Lippen zusammen.

„In meinen Augen sehen alle Babys gleich aus“, erklärte Nick.

Sie schluckte. Hatte sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen, indem sie hierhergekommen war? Sie hatte lange überlegt, ob sie Billys Vater suchen sollte. Aber sie wusste, wie schrecklich es war, ohne Vater aufzuwachsen.

Dabei hätte sie Billy am liebsten ganz für sich allein behalten. Aber das wäre falsch.

Sie begegnete Waynes Blick. Abschätzend, die Zähne so fest zusammengebissen, dass ein Muskel in seiner Wange zuckte, sah er sie an. Sie räusperte sich und wollte seinem Blick ausweichen, doch es gelang ihr einfach nicht.

Was hatte er nur an sich, dass sie wie gebannt war und keine Willenskraft mehr aufbrachte? Sie hatte in ihrem Leben mit sturen Eltern zu tun gehabt, mit skeptischen Verwaltungsbeamten und störrischen Kindern. Doch keine ihrer bisherigen Erfahrungen hatte sie auf die eisige Ablehnung vorbereitet, die Wayne Hart ihr entgegenbrachte.

Schließlich brach Margaret das Schweigen. „Lasst uns jetzt essen.“

Margaret saß dann an einem Ende des Tisches und Wayne am anderen. Ganz gleich, wohin sich Cassie auch setzte, sie würde neben ihm sitzen. Sie war schon daran gewöhnt, gleichzeitig das Baby zu halten und alle möglichen anderen Dinge zu tun. Nachdem sie sich dann gesetzt hatte, wollte sie nun mit der freien Hand den Stuhl näher an den Tisch ziehen.

Wie ein elektrischer Schlag traf es sie, als Waynes Finger über ihre Schultern glitten und er sich zu ihr beugte.

„Erlauben Sie“, sagte er und half ihr.

Er brauchte viel zu lange, bis er den Stuhl zurechtgerückt hatte, und sie war sich seiner Nähe überdeutlich bewusst. Verflixt, sie durfte sich nicht von ihm einlullen lassen. Sein Charme war bestimmt nicht echt.

Die Unterhaltung kam anfangs nur mühsam in Gang, und Cassie fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, Waynes Vorschlag zu folgen und in einem Hotel in der Stadt zu wohnen. Wayne spielte dann erstaunlich überzeugend die Rolle des aufmerksamen Gastgebers. Doch es war die liebevolle und fröhliche Beziehung zu seiner Familie, die sie am meisten überraschte. Als die Haushälterin schließlich den Kaffee brachte, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und lauschte aufmerksam den Geschichten, die Nick über seine erfolgreiche Baufirma in Denver erzählte.

Später fragte Nick sie, ob er sie mit in die Stadt nehmen solle.

„Cassandra wohnt hier“, erklärte Margaret und schob ihre Tasse zurück. „Wenn ihr uns entschuldigen würdet“, meinte sie dann zu Wayne und Nick, „wir Frauen gehen ins Wohnzimmer.“

Bevor sie mit Billy im Arm, der mittlerweile eingeschlafen war, aufstehen konnte, hatte Wayne sich schon erhoben und beugte sich zu ihr.

Seine Finger legten sich um ihren Ellbogen, und ein eigenartiges Gefühl stieg in ihr auf. Die Knie wurden ihr weich, und eine wohlige Wärme hüllte sie ein. Sie wollte ihm ihren Arm entziehen, doch er ließ sie nicht los.

„Brauchen Sie Hilfe?“

„Nein“, antwortete sie und fügte dann schnell hinzu: „Es ist alles in Ordnung.“

Und in diesem Augenblick begriff sie, dass Waynes fürsorgliche Männlichkeit eine viel größere Bedrohung für sie darstellte, als es seine Feindseligkeit je könnte.

3. KAPITEL

„Du wirst noch ein Loch in das Holz klopfen.“

Wayne hatte gar nicht bemerkt, dass er mit den Fingern auf den Esstisch klopfte, doch als sein Bruder ihn jetzt ermahnte, hörte er damit auf. Er hatte Cassandra nachgeblickt und wandte sich nun zu Nick. Aber noch immer glaubte er ihre Anwesenheit zu spüren, und der Wildblumenduft ihres Parfüms schien im Raum zu hängen.

„Sie geht dir unter die Haut“, behauptete Nick, griff hinter sich und nahm zwei Becher von der Anrichte. Die Porzellantassen, auf denen ihre Mutter immer bestand, schob er beiseite und goss ihnen Kaffee ein. Einen Becher schob er ihm zu.

Zweifellos hatte ihre Mutter die letzten Minuten genau nach ihren Wünschen gestaltet. Sie war ein Meister darin, immer das zu bekommen, was sie wollte. Und jetzt wollte sie, dass der Junge, den sie bereits als ihren Enkel sah, Teil ihrer Familie wurde.

Das wäre alles nicht geschehen, hätte Cassandra eine andere Ausstrahlung gehabt. Verdammt. Wäre sie eine graue Maus gewesen, er hätte sie trotz der Einwände seiner Mutter weggeschickt. Aber mit ihrem traurigen Blick, der Verzweiflung in ihrer Stimme und ihrem ehrlichen Verhalten war es schwierig, ihr etwas abzuschlagen.

„Mir gefällt das nicht“, erklärte er.

„Nein“, entgegnete Nick. „Das kann ich mir vorstellen.“

„Also, was sollen wir mit ihr machen?“

„Wirf sie raus“, schlug Nick vor.

„Geh zum Teufel.“

Einen Augenblick schwiegen sie. Dann sagte Nick nur: „So ist das also.“

Wayne hatte schon viele Jahre nicht mehr den Wunsch verspürt, sich mit seinem Bruder zu prügeln, doch jetzt juckte es ihm in den Fingern.

„Es ist schon eine ganze Weile her, seit du dich mit einer Frau eingelassen hast.“

Wayne biss die Zähne zusammen. „Cassandra Morrison interessiert mich nicht.“ Seine Stimme klang ausdruckslos, dabei interessierte er sich sehr wohl für Cassandra, auch wenn er das eigentlich nicht wollte.

Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er eine regelrechte Schwäche für Frauen gehabt. Fast alle waren wesentlich kleiner als er und umso vieles verletzlicher, und er hatte sie beschützen wollen. Doch dieser Zug von ihm war zerstört worden, als seine Frau mit einem anderen schlief und ihn betrog. Seitdem war er klüger, vielleicht sogar verbittert. Und er hatte nie wieder eine Frau an sich herangelassen.

Sein Instinkt sagte ihm allerdings, dass Cassandra weder schwach noch hilflos war. Sie war aufrecht und stark, und ganz sicher suchte sie bei ihm keinen Schutz. Vielleicht würde sie sogar eher Schutz vor ihm brauchen.

„Mom glaubt, dass das Kind von Chad ist“, sagte er.

Sein Bruder nickte zustimmend. „Und du bist sicher, dass es nicht so ist.“

Wayne seufzte und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. „Teufel, Nick, ich weiß es nicht.“

„Es wäre nicht unmöglich.“

„Chad ist kein Heiliger, aber er würde nie sein eigenes Kind im Stich lassen. Keiner von uns würde das tun.“ Er stand auf. „Ich habe den Bericht eines Privatdetektivs in meinem Büro.“

Wortlos nahm Nick seinen Becher und folgte Wayne.

Nachdem er Nick die abgegriffene Akte gereicht hatte, setzte Wayne sich hinter seinen Schreibtisch und beobachtete Nick, während der sich die Unterlagen ansah.

Schließlich schloss Nick die Akte wieder. „Jeder könnte der Vater des Kindes sein.“

„Ja, aber auf der Geburtsurkunde ist Chad als Vater angegeben. Und du hast gehört, dass Mom gesagt hat, der Junge sieht Chad ähnlich.“

„Er sieht aus wie jedes Baby“, wehrte Nick ab.

„Aber sie müsste es eigentlich wissen. Und wenn er Chads Sohn ist, dann ist er ein Hart.“

Nick nahm einen großen Schluck von seinem Kaffee. „Okay, kleiner Bruder, was hast du dir ausgedacht?“

Als sie heranwuchsen, hatte ihre Mutter Wayne immer ihren Denker genannt. Nick handelte, Chad reagierte, und Wayne überlegte. Obwohl er nicht der Älteste war, war ihm schon früh Verantwortung übertragen worden. Nick hatte sehr viel gearbeitet, jeden Penny hatte er nach Hause geschickt, doch Wayne hatte diesen Verdienst in etwas Solides verwandelt, in ein Erbe, das Bestand haben sollte.

Er hatte zugesehen, wie Nick die Hälfte seines Besitzes und einen großen Teil seiner Ersparnisse an eine Frau verlor, mit der er kurze Zeit verheiratet gewesen war. Und auch er selbst hatte hart darum gekämpft, all das zu behalten, was er sich erarbeitet hatte, als Vanessa versuchte, ihn auszunehmen, nachdem er die Scheidung eingereicht hatte.

Nie wieder würde sich eine Frau zwischen die Harts und ihr Erbe stellen.

„Ich habe ihr angeboten, sie zu bezahlen“, erklärte er.

Nick zog die Augenbrauen hoch.

„Sie hat sich geweigert. Sie sagt, sie will kein Geld. Sie möchte, dass wir Billy unsere Liebe geben und ihn in unsere Familie aufnehmen.“

„Und das glaubst du ihr nicht.“

Wayne zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.“

Nach einer langen Pause meinte Nick: „Wir müssen herausfinden, was dahintersteckt.“

„Und wir können nur hoffen, dass niemand dabei Schaden nimmt.“ Auf keinen Fall ihre Mutter. „Ich habe also einen Privatdetektiv engagiert.“

„Gut“, erwiderte Nick knapp.

Die beiden Brüder sahen sich an. Unausgesprochene Worte hingen zwischen ihnen in der Luft.

In dem Augenblick, als Wayne und Nick das Wohnzimmer betraten, wurde Cassie wieder nervös. Waynes herrische Haltung erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit.

Er blickte zu dem Fotoalbum, das auf ihrem Schoß lag, und sie sah schuldbewusst zu ihm hoch. Plötzlich fühlte sie sich wie ein Eindringling. Bereits in der kurzen Zeit, in der sie Wayne jetzt kannte, hatte sie festgestellt, dass ihm nichts entging.

„Ich habe Cassie gerade ein paar Kinderbilder von euch gezeigt“, erklärte Margaret und stand auf, wobei sie sich schwer auf ihren Stock stützte. „Der kleine Billy hat die Nase der Harts, daran besteht kein Zweifel.“

Entweder spürte Margaret die Spannung nicht, die in der Luft hing, oder sie ignorierte sie einfach. „Nicholas, mein Lieber, hilf mir doch bitte, das Album wieder wegzulegen. Die anderen Bilder werden wir uns später ansehen.“

Cassie wurde noch unruhiger, als Wayne auf sie zukam. Vielleicht hätte auch sie aufstehen sollen, doch jetzt stand er vor ihr, und sie war in ihrem Sessel gefangen.

„Meine Mutter wünscht sich, dass dieses Baby ihr Enkelkind ist“, erklärte Wayne unumwunden.

Sie hatte keine andere Wahl, als den Kopf in den Nacken zu legen, um ihn anzusehen. „Ich weiß.“

Er hockte sich vor sie. „Ist Ihnen eigentlich schon einmal der Gedanke gekommen, wie sehr sie darunter leiden wird, wenn sich herausstellt, dass Sie sich irren?“

Sie zwang sich, ihn nicht anzusehen und sich ganz auf ihre Antwort zu konzentrieren. „Glauben Sie mir, Mr. Hart …“

„Wayne. Wenn Sie schon in dem Zimmer neben meinem schlafen, dann können wir auch diese Förmlichkeit vergessen.“

„Aber …“

„Mein Name ist Wayne.“

Sie glaubte kaum, dass sie sich schon bald damit anfreunden könnte, ihn beim Vornamen zu nennen. Dennoch war er ihr jetzt so nah, dass ihr der Duft seines Aftershaves in die Nase stieg, und sie fragte sich, wie es wohl sein mochte, wenn sie einander mehr sein würden, viel mehr als nur Gegner.

Ebenso leise wie er erwiderte sie: „Wenn ich auch nur für einen Augenblick glauben werde, dass ich Ihrer Familie damit schade, werde ich sofort abreisen, das verspreche ich Ihnen.“

„Und ich werde dafür sorgen, dass Sie das auch tun“, entgegnete er, stützte die Hände auf die Schenkel und stand wieder auf.

Billy begann zu wimmern. Er hatte Hunger.

„Ich werde ihn halten, während Sie ihm die Flasche machen“, bot sich Margaret an.

Cassie atmete erleichtert auf.

Doch als sie dann in der Küche die Flasche zubereitete, war sie immer noch unruhig. Die Situation wurde von Minute zu Minute schwieriger. Und es schien nicht so, als würde sich das schon bald ändern. Chad zu finden konnte Wochen dauern. Wenn sie dem Privatdetektiv glauben konnte, ritt Chad Rodeos irgendwo in Südamerika.

Als die Flasche endlich fertig war, war Billys Wimmern zu einem lauten Geschrei geworden. Cassie hatte die Wohnzimmertür gerade erreicht, als sie hörte, wie Margaret mit Wayne sprach.

„Wayne, mein Lieber, komm doch bitte her, und halt den kleinen William, während ich Nicholas zur Tür bringe.“

Die Unterhaltung von Nick und Wayne brach ab. Cassie blieb wie angewurzelt stehen und wartete auf Waynes Reaktion.

„Du willst Nick zur Tür bringen?“ Wayne klang leicht amüsiert.

„Also wirklich, Liebling, das ist doch nur höflich.“

„Ich soll also gehen?“ Nick lachte leise. „Okay, Mom, dann bring mich zur Tür.“

Wayne ging zur Couch, auf der seine Mutter mit Billy saß. Cassie unterdrückte den Wunsch, ins Zimmer zu laufen und sich um ihren Neffen zu kümmern, und sie schluckte, als sie sah, wie Wayne den schreienden kleinen Billy in den Arm nahm.

Billy schien in Waynes starken Armen noch kleiner zu sein. Und Wayne wirkte genauso unbeholfen wie ein Vater. Doch sie wusste aus eigener Erfahrung, was für ein unglaubliches Gefühl es war, zum ersten Mal seinen Neffen im Arm zu halten, seine Wärme zu spüren und das wunderbare Gefühl des blinden Vertrauens, das das kleine Wesen einem entgegenbrachte.

Wenn Wayne doch auch eine Bindung zu Billy aufbauen könnte, so wie sie es getan hatte, wenn er doch nur empfinden könnte, was sie empfunden hatte …

Auf Waynes Arm beruhigte Billy sich.

„Es ist schon in Ordnung, Kleiner“, sagte Wayne. „Gleich kommt deine Flasche.“

Cassie hatte nie zuvor so sanfte Worte von einem so großen Mann gehört. Und einen viel zu langen Augenblick fragte sie sich, wie sie wohl reagieren würde, wenn er mit ihr in einem so sanften Ton sprach.

Er hob den Kopf, und seine sonst so harten Gesichtszüge waren ganz weich.

Ihr stockte der Atem, und zum ersten Mal, seit sie ihm begegnet war, glomm ein Funke Hoffnung in ihr. Sein Herz war vielleicht hart geworden vor Misstrauen, doch immerhin hatte er noch ein Herz.

Er bemerkte sie nun, und sofort verhärtete sich sein Gesicht wieder. Wenn sie ihn zuvor nicht beobachtet hätte, hätte sie daran gezweifelt, dass er ein einfühlsamer Mann sein konnte. Doch jetzt glaubte sie, dass Billy eine Chance hatte.

Margaret stützte sich schwer auf ihren Stock. „Nicholas, mein Lieber, reich deiner Mutter den Arm“, forderte sie ihren Sohn auf.

Die beiden Brüder warfen sich einen Blick zu, bevor Nick Margarets Bitte folgte.

Als sie bei ihr an der Tür angekommen waren, blieben sie stehen. „Es war nett, Sie kennenzulernen, Ma’am“, verabschiedete sich Nick. Die Worte waren höflich, dennoch lag ein kühler Unterton darin.

Ganz gleich, wie freundlich die Harts sich ihr gegenüber auch gaben, sie hatte noch einen langen Weg vor sich. Aber immerhin hatten sie die erste Hürde genommen, denn Wayne hielt seinen Neffen im Arm.

Billy verzog das Gesicht und begann zu strampeln.

„Entschuldigen Sie“,sagte Cassie und bot sich an, Wayne das Baby abzunehmen.

Doch er schüttelte den Kopf. „Geben Sie mir die Flasche“, forderte er sie auf.

Mit zitternden Händen reichte sie sie ihm.

Wayne spritzte die Milch versehentlich in Billys Gesicht.

„So geht das“, erklärte Cassie leise und legte ihre Hand über die von Wayne. Seine Haut war warm. Ihre Blicke trafen sich, und was in ihren Augen stand, das hatte nichts zu tun mit dem Kind und mit der unterschwelligen Spannung zwischen ihnen.

Nur mühsam konnte Cassie sich dann auf die Flasche konzentrieren. Vorsichtig bewegte sie seine Hand. Zusammen strichen sie mit dem Schnuller der Flasche über Billys Lippen. Er weinte noch immer, doch nun nahm er den Schnuller in den Mund und begann gierig zu trinken.

Waynes triumphierendes Lächeln rührte sie. Einen Moment lang schien eine wirkliche Verbindung zwischen ihnen zu sein, ehrlich und sehr verlockend.

Atemlos ließ sie Waynes Hand los und holte ein Tuch aus ihrer Tasche. Als ihr Atem wieder ein wenig ruhiger ging, kam sie und wischte die Milch aus Billys Gesicht. Er öffnete kurz die Augen.

„Seine Augen sind genau wie Ihre“, bemerkte Wayne.

Im ersten Moment wollte sie ihm mit seinen eigenen Worten antworten, dass Babys niemandem ähnlich sähen, sagte dann aber: „Jeanie hatte die gleichen Augen. Es war die einzige Ähnlichkeit zwischen uns beiden.“

„Das habe ich auf den Fotos bereits gesehen.“

Billy saugte langsamer an der Flasche und hörte nun ganz auf. „Ich glaube, er ist eingeschlafen“, flüsterte Cassie.

Die Stimmen im Flur wurden leiser. Ein Schwall kühler Luft drang ins Wohnzimmer, als Nick die Haustür öffnete. Billy blinzelte, dann begann er wieder zu trinken.

Margaret kam zurück ins Zimmer, das Geräusch ihres Stockes wurde vom Teppich gedämpft. „Ich gehe ins Bett“, erklärte sie. „Meine alten Knochen sind erschöpft.“

„Kann ich Ihnen nach oben helfen?“, bot Cassie an.

Margaret reckte sich. „So klapprig bin ich nun auch wieder nicht, junge Dame.“

„Nein, nur dann, wenn es dir gelegen kommt“, murmelte Wayne.

Margaret ignorierte seine Bemerkung. „Passt gut auf meinen Enkel auf“, sagte sie nur. Mit diesen Worten wandte sie sich um und ging, wobei sie ihren Stock plötzlich gar nicht mehr zu gebrauchen schien.

„Ich denke, ich werde Billy ins Bett bringen.“ Cassie suchte angestrengt nach einem Grund, das Zimmer ebenfalls verlassen zu können.

So sanft, wie man es von ihm gar nicht erwartet hätte, reichte Wayne ihr das Kind. Dabei berührte seine Hand die Seite ihrer Brust, und überwältigende Gefühle stürzten auf sie ein. Es war schon sehr lange her, schmerzlich lange, seit sie Verlangen gefühlt hatte.

Und so sehnsüchtig hatte sie bis jetzt noch nie auf einen Mann reagiert.

Sie schloss die Augen und kämpfte gegen ihre Gefühle an.

Verflixt, sie konnte nicht … durfte nicht …

Hastig sagte sie Gute Nacht, nahm ihre Tasche und verließ das Zimmer. Schnell lief sie die Treppe hinauf. Ihre Brust prickelte noch immer, dort, wo Wayne sie berührt hatte.

Ihre Reaktion auf ihn war schnell und heftig gewesen, zu stark, um sie abzustreiten. Was, um alles auf der Welt, so fragte sie sich, als sie sicher in Billys Zimmer war, ist nur in mich gefahren? Der Funke Hoffnung, den Wayne in ihr geweckt hatte, war eine Sache, doch Verlangen nach ihm war etwas ganz anderes.

Aber beides war ungemein mächtig.

Wayne konnte nicht wieder einschlafen. Er hatte nur eine Stunde geschlafen, als er schweißgebadet wieder aufgewacht war. Bilder von Cassandra gingen ihm durch den Kopf, die ihn einfach nicht losließen.

Sie war teils Engel, teils Teufel, und das in einer äußerst verführerischen Hülle.

Welche ihrer beiden Seiten war wohl die größere Gefahr für ihn, der Engel oder der Teufel? Durfte er es wagen, das herauszufinden?

Billys Weinen drang über den Flur zu ihm. Er wartete einige Sekunden und fragte sich dann, ob Cassandra das Baby wohl gehört hatte.

Er wusste wenig – nein, gar nichts – von Babys, doch er hatte Billy im Arm gehalten und gefüttert. Vielleicht konnte er auch jetzt etwas tun, ehe Cassandra aufwachte.

Nachdem er sich Shorts angezogen hatte, ging er durch den dunklen Flur und erstarrte dann, als er an der Tür zu Billys Zimmer angekommen war.

Sie war da.

Im Schein der Lampe leuchtete ihr Haar. Ihr weißes Nachthemd ging bis zum Boden, und darunter sahen ihre nackten Füße hervor. Trotz der späten Stunde lächelte sie das Baby in ihrem Arm an.

Er sagte sich, dass er zurück in sein Bett gehen sollte, dass er von ihr wegbleiben sollte. Doch er tat es nicht.

Stattdessen stand er einfach da und nahm gierig ihr Bild in sich auf.

Im Licht der Lampe schien ihr Nachthemd durchsichtig zu sein und zeigte ihre langen Beine und die sanft gerundeten Hüften. Sie war wirklich ein Engel, doch seine Reaktion auf sie war absolut nicht heilig. Seine Finger prickelten, als er sich daran erinnerte, wie er vorhin ihre Brust berührt hatte. Und auch wenn es eine ganz unschuldige Berührung gewesen war, so hatte sie doch sofort sein Verlangen geweckt. Und ihres auch – das hatte er gespürt.

Sanft schaukelte sie das Baby und beruhigte es mit leisen Worten. Doch nun schien sie seine Anwesenheit zu fühlen, denn plötzlich hielt sie inne und wandte sich um.

Keiner von ihnen sagte ein Wort, und Billy begann, unruhig zu werden. Sie fing an, ihn wieder zu schaukeln, und der Kleine gähnte.

„Es tut mir leid, wenn er Sie aufgeweckt hat“, meinte sie.

„Das hat er nicht.“

„Konnten Sie nicht schlafen?“

So wie sie ihn ansah, wünschte er, er hätte seinen Bademantel übergezogen. Seine Shorts waren zwar weit, aber längst nicht weit genug, um seine starke Reaktion auf sie zu verbergen.

„Ich konnte auch nicht schlafen“, gestand sie ihm, als er nicht antwortete.

Obwohl er das eigentlich gar nicht wollte, trat er ein paar Schritte näher.

„Er ist schon fast wieder eingeschlafen“, sagte sie leise.

Sie hatte alles unter Kontrolle – wesentlich besser als er.

Er wurde hier nicht gebraucht, vielleicht war er nicht einmal erwünscht. Nichts hielt ihn davon ab, zurück ins Bett zu gehen, nichts, bis auf den Wunsch, an dem Band zu ziehen, das ihr Nachthemd am Hals schloss. Ein kleiner Zug nur, und es würde nicht länger ihren Körper bedecken.

Vorhin hatte er gefühlt, wie weich und zart ihr Körper unter ihrer Kleidung war. Jetzt wollte er ihn überall berühren, ihn schmecken.

Mehr und mehr verlor er die Kontrolle über sich. Der Mangel an Schlaf in den letzten Tagen machte sich jetzt offenbar bemerkbar.

Billy war nun wieder eingeschlafen, und sie legte ihn zurück in den Laufstall, den sie mitgebracht und mit Kissen ausgepolstert hatte. Bei ihrer Bewegung rutschte ihr Nachthemd hoch, und er hätte es am liebsten noch höher geschoben, immer weiter, bis über ihren Kopf – bis es schließlich zu Boden fallen würde.

Bei dieser gefährlichen Fantasie wandte er sich rasch um und griff nach der Decke und reichte sie ihr. Sie nickte dankbar und weckte in ihm den Gedanken, wie es wohl sein würde, wenn sie keine Gegner wären.

Doch das Baby, das in dem Behelfsbett lag, wäre sehr gut in der Lage, seiner Mutter das Herz zu brechen, das durfte er nicht vergessen.

Sie löschte das Licht und zog im Flur die Tür bis auf einen Spaltbreit hinter ihnen zu.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie einen so leichten Schlaf haben“, sagte sie entschuldigend, verschränkte die Arme vor der Brust und hob das Kinn. Dabei enthüllte sie die sanfte Kurve ihres Halses. „Gleich morgen früh werde ich ihn zu mir ins Zimmer holen“, fuhr sie fort.

„Ich bin kein Ungeheuer, auch wenn Sie das glauben.“

Sie bedachte ihn mit einem Lächeln, das seine Sehnsucht nach mehr noch verstärkte. Sein Blick glitt über ihren Körper, bis hin zu diesem verflixten Band, das ihr Nachthemd zusammenhielt. Er zwang sich, in ihr Gesicht zu sehen und nicht länger darüber nachzudenken, wie es wäre, dieses Band zu lösen.

Er war ein erwachsener Mann, der sich in der Gewalt haben sollte.

Doch diesmal war alles anders.

Ihr Haar war zerzaust, jede einzelne Strähne war eine seidige Verlockung. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, so wie eine stille Einladung. Und ihr Duft nach Wildblumen war eine betörende Versuchung …

Das Halbdunkel konnte der Grund für seine verrückten Gedanken sein oder ihr sanfter Seufzer, dass er einen Schritt näher kam.

Er griff nach dem seidenen Band und schlang es um einen Finger.

„Wayne.“

Die Nacht schien seinen geflüsterten Namen zu verschlingen.

Sie schwankte, kam ihm näher, und die prickelnde Spannung zwischen ihnen wuchs.

Ihre Brüste waren kaum einen Zentimeter von seinem Oberkörper entfernt, ihre Körper berührten sich beinahe. Sein Herzschlag dröhnte ihm laut in den Ohren.

Ihre Lippen streiften sich zart, es war nur die Andeutung eines Kusses.

Es genügte ihm nicht.

Ihre Augen waren weit aufgerissen, doch er konnte keine Furcht darin entdecken. Er kam noch etwas näher, er sollte nicht, doch er wollte …

„Das können wir nicht tun, Wayne.“ Die Worte kamen stockend, doch dann legte sie die Hände auf seine Brust und schob ihn von sich.

Wie aus einem Traum kehrte er mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück und ließ das seidene Band wieder los.

„Es tut mir leid, wenn wir Sie gestört haben“, sagte sie noch einmal, doch an dem Zittern in ihrer Stimme hörte er, dass sie ebenfalls ganz durcheinander war.

„Ist schon in Ordnung.“ Die Lüge kam ihm erstaunlich glatt über die Lippen. Dabei war er seit Vanessa, die ihm sein Vertrauen in Frauen genommen hatte, nicht mehr so erschüttert gewesen wie jetzt.

Sie wandte sich um und lief den Flur entlang, mit einer Hand hielt sie das seidene Band an ihrem Hals fest, als hätte sie seine Fantasien erraten.

Mit einem leisen, aber doch hörbaren Klicken fiel die Tür hinter ihr ins Schloss, und sie schloss ihn aus. Wenn er mit seinen Gedanken doch nur genauso verfahren könnte.

Er ging in sein Zimmer zurück, doch noch immer verfolgte ihn das Bild von ihr in dem wehenden Nachthemd, diesem zarten Hauch mit dem seidenen Band.

So etwas durfte ihm nicht noch einmal passieren. Sie hielt in ihren kleinen Händen die Macht, seine Familie zu zerstören.

Ihm gefiel es nicht, am Rand eines Abgrunds zu stehen, doch genau dort war er gerade gewesen. Er biss die Zähne zusammen und schwor sich, dass er sie, wenn sie ihn in diesen Abgrund hinunterstieß, mit sich nehmen würde.

Zum Teufel mit den Konsequenzen.

4. KAPITEL

Cassie betrat die Küche und war erleichtert, dass niemand da war.

Billy war endlich eingeschlafen, ein Segen für sie beide, denn in der Nacht war er zu unruhig gewesen. Vielleicht war es die fremde Umgebung, vielleicht fühlte er auch, dass sie beunruhigt war, aber mehrere Male in der Nacht hatte er geweint und war erst wieder eingeschlafen, nachdem sie ihm am Morgen noch einmal die Flasche gegeben hatte.

Auch wenn es da eigentlich schon Zeit gewesen war aufzustehen, so hatte sie doch ihrer Müdigkeit nachgegeben und war noch einmal ins Bett geklettert. Und im Grunde genommen war sie jetzt immer noch müde.

Sie unterdrückte ein Gähnen und goss sich eine Tasse Kaffee ein. Die Auseinandersetzung gestern mit Wayne hatte sie erschöpft. Aber sie durfte sich von seiner Freundlichkeit und seiner unterschwelligen Sinnlichkeit nicht einlullen lassen.

Cassie nippte an ihrem Kaffee und lehnte sich gegen die Anrichte. Sie sagte sich, dass ihre Reaktion in der vergangenen Nacht nur von ihrem Stress und ihren Sorgen ausgelöst worden war und von sonst nichts. Ihre Schwester zu verlieren und plötzlich mit einem Baby dazustehen, das hatte einen harten Tribut von ihr gefordert. Sie weigerte sich, einen anderen Grund dafür anzunehmen, dass ihr Körper so auf Wayne reagiert hatte.

Auch wenn sie in der Nacht versucht hatte, seinen Anblick zu ignorieren, so war doch ihr Blick wie magisch angezogen worden von dem dunklen krausen Haar auf seiner Brust. Sie hatte die Hand ausstrecken wollen, um es zu berühren, beinahe hätte sie es sogar getan, als er nach dem seidenen Band an ihrem Hals griff.

Ihr hatte der Atem gestockt, doch es war ihre eigene Sinnlichkeit gewesen, die sie am meisten erschreckt hatte.

Dabei konnte man die Berührung ihrer Lippen kaum einen Kuss nennen, nicht wirklich, nur einen Hauch. Aber die Intimität der Geste hatte sie beunruhigt. Es war schon lange her, seit sie so etwas mit einem Mann erlebt hatte, und selbst ihr ehemaliger Verlobter hatte es nicht geschafft, dass ihr Herz mit einer solchen Heftigkeit geschlagen hatte wie gestern Nacht bei Wayne.

Und was alles noch viel schlimmer machte, war die Tatsache, dass sie sich hatte zusammenreißen müssen, um nicht in seine Arme zu sinken. Wenn er ihre Lippen auch nur einen Augenblick länger berührt hätte, wäre sie verloren gewesen.

Was war nur mit ihr los? Noch nie zuvor hatte sie dermaßen intensiv auf einen Mann reagiert. Und Wayne war nicht nur irgendein Mann. Wayne Hart würde jedes Mittel einsetzen, um seine Familie zu beschützen, da war sie sich vollkommen sicher, er würde sogar versuchen zu beweisen, dass sie einen ebenso lockeren Lebenswandel führte, wie er ihn ihrer Schwester unterstellte.

Wenn er Jeanie doch nur gekannt hätte. Doch wenn sie darüber nachdachte, fragte sie sich, wie gut sie selbst ihre Schwester gekannt hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte sie die Hand für Jeanie ins Feuer gelegt. Jeanie war solide und verlässlich gewesen. Doch das war die Zeit gewesen, bevor ihre Mutter starb und ihr Leben aus der Bahn geworfen wurde.

Wayne betrat die Küche, und Cassie zuckte zusammen; der heiße Kaffee schwappte aus der Tasse und lief über ihre Finger. Sie schrie auf und hätte dann beinahe noch einmal geschrien, als Wayne sie berührte.

„Alles in Ordnung?“, fragte er.

Sie stand wie angewurzelt da, als er ihr die Tasse aus der Hand nahm und sie auf die Anrichte stellte.

„Sie müssen vorsichtiger sein“, ermahnte er sie, und sie überlegte, ob er sich damit nur auf den Kaffee bezog.

Sie wandte sich ab, drehte den Wasserhahn auf und ließ das kühle Wasser über ihre Hand laufen, während sie hoffte, dass er wieder gehen würde.

Doch er ging nicht.

Er griff an ihr vorbei und schloss den Wasserhahn, dann nahm er ein Papiertuch und drückte es auf ihre gerötete Haut. Sie versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, doch er hielt sie fest.

„Es ist schon in Ordnung“, wehrte sie ab und fragte sich, ob ihm auffiel, wie atemlos ihre Stimme klang.

Er gab sie frei, doch ihre Erleichterung war verfrüht. Denn er öffnete nun den Kühlschrank, holte einen Eiswürfel heraus, nahm ihre Hand in seine und strich mit dem Eiswürfel über die verbrannte Stelle. Sie zuckte zusammen, aber nicht vor Kälte. Sicher musste er doch auch merken, wie angespannt die Atmosphäre zwischen ihnen war.

Der Eiswürfel schmolz auf ihrer Haut, kühl und angenehm. Und einen Moment später blies er sanft auf ihre Finger. Sie blickte auf seinen gesenkten Kopf und versuchte einen Schauer der Erregung zu unterdrücken. Selbst als er fertig war, gab Wayne ihre Hand nicht frei.

„Schläft Billy?“, fragte er nach einer Weile und sah sie an.

Endlich gelang es ihr, ihm ihre Hand zu entziehen, und sie trat einen Schritt von ihm zurück. Doch er stand zwischen ihr und der Tür und ließ ihr keine Hoffnung, weglaufen zu können. Eine Augenbraue hochgezogen, wartete er auf ihre Antwort. Sie konnte sich kaum noch daran erinnern, was er sie überhaupt gefragt hatte.

„Ja, er ist endlich eingeschlafen“, sagte sie schließlich.

„Sie hatten wohl beide eine unruhige Nacht.“

Er kannte nicht einmal die Hälfte der Wahrheit. „Ich werde Billy heute Nacht zu mir ins Zimmer nehmen.“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, das wird nicht nötig sein. Sie brauchen auch Ihre Ruhe.“

In der Stille des Morgens glaubte sie, ihren eigenen Herzschlag zu hören. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, genau wie in der letzten Nacht.

„Wie alt ist er eigentlich?“, brach Wayne das Schweigen.

Dies war das erste Mal, dass er so etwas wie Interesse an dem Kind zeigte. Prüfend sah sie in sein Gesicht und überlegte, ob er nur Konversation mit ihr betreiben wollte oder ob er ihr die Chance gab, nach der sie sich so sehnte. Ob er an Billy wirklich interessiert war?

„Er ist erst vierzehn Wochen alt“, antwortete sie und hielt den Atem an und wünschte sich, er würde ihr noch mehr Fragen stellen.

„Und wie lange ist er schon bei Ihnen?“

Langsam stieß sie den Atem aus. Er gab ihr tatsächlich eine Chance. „Seit er sechs Wochen alt ist.“

„Also schon mehr als die Hälfte seines Lebens.“

Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht, aber Wayne überraschte sie immer wieder. „Ich bin froh, dass ich ihn habe“, sagte sie schlicht.

Wayne hob erneut die Brauen. „Und warum haben Sie nicht selbst Kinder?“

Seine Frage erinnerte sie an ihren schmerzlichen Verlust. „Warum haben Sie denn keine?“, gab sie zurück, während sie verzweifelt versuchte, sich vor seinem aufmerksamen Blick zu verstecken.

„Meine Frau und ich hatten keine Kinder, als ich die Scheidung einreichte.“

Sie zuckte zusammen. Scheidung. Wie ein Hammer, der herniedersaust, hatte er dieses Wort ausgesprochen.

„Glücklicherweise hatte Vanessa die Pille genommen, als sie mit ihrem Exfreund schlief.“

Cassie presste die Hand auf ihr Herz. „Es tut mir so leid, dass das geschehen ist.“

„Ja, das hat es mir auch getan. Dieses eine Mal hätte ich ihr vielleicht verzeihen können, aber als sie schließlich die große Beichte ablegte, waren da noch ein paar andere Namen auf der Liste.“

Kein Wunder, dass er keiner Frau mehr vertraute, wahrscheinlich würde er das auch nie wieder tun. Und sie bedauerte jede Frau, die sich in Wayne verliebte und diesen aussichtslosen Kampf gegen ihn kämpfen musste.

Ohne ein weiteres Wort schob er seinen Hut mit dem Daumen zurück und ging dann zum Küchenschrank. Sie war froh, dass er ihr nicht länger so nah war. Aber den Raum hatte er noch nicht verlassen, und seine Anwesenheit beunruhigte sie noch immer.

Sie zwang sich, nicht darauf zu achten, wie gut er aussah und wie wundervoll die verwaschene Jeans sich an seinen so männlichen Körper schmiegte. Er war Billys Onkel, mehr nicht.

Er nahm ein Glas, holte die Kanne mit Eistee aus dem Kühlschrank und goss das Glas voll. Mit einem einzigen großen Schluck trank er es leer, und sie beobachtete fasziniert, wie sich dabei sein Adamsapfel bewegte. Als er dann zur Spüle kam, um das leere Glas hineinzustellen, wich sie schnell zur Seite.

„Meine Männer erwarten mich.“

Wie gut, dachte Cassie.

„Meine Mutter hat mir die Nachricht hinterlassen, dass sie in die Stadt gefahren ist. Ich hoffe, Sie kommen allein zurecht.“

Sie schluckte und deutete auf den Stapel Einladungen auf dem Tisch. „Ich nehme an, Sie geben eine Party am Nationalfeiertag. Ich habe Margaret angeboten, ihr bei den Einladungen zu helfen.“

„Ich bin sicher, sie weiß das zu schätzen.“

„Ihre Mutter möchte Billy gern den Nachbarn vorstellen.“

„Verstehe“, sagte er knapp.

Hätte er ihr Eistee über den Rücken geschüttet, sie hätte nicht mehr gefroren.

Ohne ein Wort verließ er die Küche.

Cassie atmete tief auf, als sich die Tür hinter Wayne schloss. Noch immer hing der Duft seines Aftershaves in der Luft. Er hatte sich heute Morgen rasiert. Bevor sie sich das Kopfkissen über die Ohren gezogen hatte, um schlafen zu können, hatte sie ihn im Bad gehört.

Autor

Kathie De Nosky
<p>Kathie DeNosky stellt ihren Wecker oft auf 2 Uhr morgens, um wenigstens einige Stunden in Ruhe arbeiten zu können, bevor der Rest der Familie erwacht. Während dann in ihrem Büro leise Countrymusik erklingt, schreibt sie an ihren Romances, denen eine ganz besondere Mischung aus Sinnlichkeit und Humor zeigen ist. Sie...
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