Baccara Exklusiv Band 62

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ALARMSTUFE ROT! von GOLD, KRISTI
Wie heiß das Feuer des Verlangens zwischen ihnen auch lodert: Sex mit ihrem Patienten, dem faszinierenden Herzchirurgen, ist für die Reha-Therapeutin Brooke tabu! Denn sie fürchtet, dass Jared Dankbarkeit mit Leidenschaft verwechselt. Bis er ihr überraschend kündigt …

DAS FAST PERFEKTE CHAOS von BOSWELL, BARBARA
Der begehrte Rancher Mac Wilde will nur eine Vernunftehe mit ihr: Dabei erregen bereits seine Blicke Karas erotischste Fantasien. Und sein spontaner Kuss brennt viel zu heiß auf ihren Lippen. Schon jetzt sehnt sich ihr Herz nach allem - nur nicht nach Vernunft!

ICH LIEBE DICH, COWBOY von DAVIS, SUZANNAH
Ihre heimliche Jugendliebe Travis ist zurück: Dass sich der Rodeo-Star auch nach Mercy verzehrt, zeigt er ihr bald mit feurigen Küssen. Aber je explosiver ihre Nächte sind, umso quälender wird ihre Angst um ihn. Denn er spielt auch leidenschaftlich gern mit der Gefahr.


  • Erscheinungstag 06.10.2009
  • Bandnummer 62
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956333
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

KRISTI GOLD

Alarmstufe Rot

Jede ihrer Berührungen verursacht ein Prickeln auf seiner Haut: Gerne begibt sich der Herzchirurg nach seinem Unfall ganz in die Hände seiner Reha-Therapeutin Brooke. Längst ist Jared stürmisch verliebt in sie, die Arbeit und Privatleben strikt trennt. Um sie endlich heiß lieben zu können, bleibt ihm nur die Kündigung. Doch gewinnt er damit auch ihr Herz?

SUZANNAH DAVIS

Ich liebe Dich, Cowboy

Als der Rodeo-Star Travis seine heimliche Jugendliebe Mercy wieder trifft, kann er endlich das tun, was er schon immer wollte: sie sinnlich verführen. Aber die junge Ärztin kann es nicht mit ansehen, wie er ständig sein Leben riskiert. Und so folgen den hitzigen Wortgefechten zwar noch explosivere Versöhnungen. Aber zu seinem Heiratsantrag sagt sie: nein!

BARBARA BOSWELL

Das fast perfekte Chaos

Um besser für die Kinder seines verstorbenen Bruders sorgen zu können, plant Mac eine Zweckehe mit Kara! Doch damit löst der Rancher eine Welle der Empörung bei ihr aus. Nie hat ihm eine Frau so die Stirn geboten und zugleich so ein Feuer in ihm entfacht. Bald hat er nur noch einen Plan: sie mit überwältigender Leidenschaft von seiner Liebe zu überzeugen …

1. KAPITEL

Normalerweise liebte Brooke Lewis die Herausforderungen ihres Berufs als Physiotherapeutin, aber angesichts dieses neuen Patienten empfand sie den Wunsch, zur nächsten Imbissbude zu laufen und sich dort um einen Job zu bewerben. Der abweisende Blick seiner blauen Augen und die reservierte Haltung schienen zu sagen: „Ihr habt mich herbestellt, und da bin ich – aber nur höchst ungern.“

Dr. Jared Granger, genannt „der unnahbare Charmeur aus der Chirurgie“, der Mann, dem ihre schamlosesten Fantasien galten, beehrte sie mit seiner Anwesenheit. Und keinem Menschen auf der Station war eingefallen, sie vorzuwarnen.

Wie oft hatte sie ihn heimlich bewundert, wenn er in seinem makellosen Kittel durch die Korridore des San Antonio Memorial Hospital eilte, die dichten blonden Haare nach der neuesten Mode geschnitten und mit einer Miene, die jeden auf Abstand hielt. Letzteres lag wohl in der Natur der Sache. Jemand, von dessen Können Tag für Tag das Leben anderer Menschen abhing, gab sich nicht unbedingt leutselig.

Doch seit ein Unfall ihn zur Untätigkeit verdammt hatte, war er verändert. Sein helles Haar war zerzaust, seine sonst so sorgfältig rasierten Wangen wiesen einen zunehmend üppigen Bartwuchs auf. Von seinen abgewetzten Jeans hatte er das linke Bein abgeschnitten, und man sah den Gipsverband. Er wirkte insgesamt, als hätte er schon bessere Zeiten gesehen – eher wie ein Nachtschwärmer und nicht wie ein erfolgreicher Herzchirurg.

In den vergangenen Wochen hatten auf der Station für Physiotherapie wilde Geschichten über sein störrisches Verhalten die Runde gemacht. Brooke war es allerdings gelungen, seinem Unmut aus dem Weg zu gehen. Bis jetzt.

Jetzt würde sie diesen Mann sogar berühren müssen, und obwohl ihr das unter anderen Umständen gar nicht unrecht gewesen wäre, hatte sie nun das Gefühl, dass er einiges dagegen haben würde.

Lächelnd wies sie auf den Sessel ihrem gegenüber. „Schön, dass Sie gekommen sind, Dr. Granger. Setzen Sie sich doch.“

Schweigend hüpfte er mit seiner Krücke heran, ließ sich nieder, streckte das Gipsbein ungeschickt zur Seite und platzierte die geschiente Hand auf dem Tisch, als wolle er Brooke zum Armdrücken auffordern. Sie zog den Vorhang der Kabine zu, um ihn vor den neugierigen Blicken von Patienten und Personal im Behandlungssaal abzuschirmen.

Als sie sich ihm wieder zuwandte, sagte er mit einem sarkastischen Lächeln: „Sie sind also mein nächstes Opfer.“

Das Lächeln, so wenig gewinnend es auch sein sollte, ließ ihren Puls schneller schlagen, und Brooke fragte sich, ob sie nicht ein Mittel gegen Herzflattern brauchte. Sie setzte sich und entgegnete: „Ich? Es ist wohl eher umgekehrt.“

Sie klappte das Krankenblatt auf und schaute sich den Behandlungsplan sowie die Notizen über seine spärlichen Fortschritte an. Vielleicht war doch sie das Opfer. Er war in drei Wochen durch die Hände von drei Therapeuten gegangen.

Sie sah auf und merkte, dass er sie abwartend musterte. Vermutlich rechnete er mit einem weiteren Fehlschlag. Oder lag hinter seinem prüfenden Blick noch etwas anderes? Er stand im Ruf eines Frauenhelden. Dachte er vielleicht, sie würde jetzt seinetwegen verzückt in Ohnmacht fallen? Da hätte er sich aber schwer getäuscht. Sie würde ihre heimliche Bewunderung für sich behalten.

Höflich lächelnd legte sie das Krankenblatt beiseite. „Ich bin Brooke Lewis, und wir werden vermutlich eine Weile miteinander arbeiten, Dr. Gran…“

„Damit rechnen Sie besser nicht.“ Sein harter Blick und die verspannten Kinnmuskeln sprachen für Aufsässigkeit.

Sie hätte ihn am liebsten angefahren. „Ich verstehe nicht ganz. Dr. Kempner wünscht eine gründliche Therapie für Ihre Hand.“

„Richtig, das wünscht er.“

„Und Sie nicht?“

„Ich hasse dieses Getue.“

Brooke ahnte, dass das bald auch für sie gelten würde. „Dann lassen Sie es uns so angenehm wie möglich für uns beide gestalten. Wenn Sie wieder operieren wollen, sollten Sie …“

„Sprechen Sie dieses Thema nicht an. Niemals.“

Er beugte sich vor und durchbohrte sie förmlich mit seinem starren Blick – und sie bekam einen Eindruck vom wahren Ausmaß seines Leids. Mit körperlichen Schmerzen konnte sie umgehen, sie oft lindern. Aber seelischer Kummer? Zwar war sie anfällig für Mitgefühl, aber mit einem selbstgefälligen Gott in Weiß wollte sie kein Mitgefühl haben. Leider empfand sie es dennoch, denn seine Augen verrieten tiefe Frustration und Verzweiflung.

Sie straffte sich und versuchte, ihren gewohnten Optimismus auszustrahlen. „Okay, dann arbeiten wir fürs Erste an Ihren Sehnen, und anschließend sehen wir weiter.“ Sie wollte ihm die Schiene abnehmen, doch er zog seine Hand weg.

„Ich mache das schon.“ Umständlich entfernte er die Schiene.

Immerhin war es ein gutes Zeichen, dass er selbst aktiv wurde. Er besaß also noch einen gewissen Stolz. Doch das könnte allerdings auch zu einem Problem für sie werden.

Sie führte sich seine Situation vor Augen. Seine Arbeit als Chirurg konnte er an den Nagel hängen, wenn seine Hand nicht wieder voll funktionsfähig werden würde. Kein Wunder also, dass er gereizt war. Zorn war jedoch mitunter heilsam und ein starker Antrieb. Wenn man bedachte, dass bei dem Unfall die Sehnen von drei Fingern verletzt worden waren, brauchte Dr. Granger wirklich einen kräftigen Anstoß für den langwierigen Genesungsprozess. Würde sie ihm den geben können? Falls er sie nicht rundheraus ablehnte …

Behutsam nahm sie seine Hand. Seine Finger waren schlank und dabei muskulös, allerdings jetzt steif. „Haben Sie die Bewegungsübungen gemacht?“

Er zuckte die Achseln und sah zur Seite. „Wenn ich Zeit hatte.“

Er machte es ihr wahrlich nicht leicht. Sie begutachtete das Handgelenk. Vorsichtig berührte sie die Narbe.

Er zuckte zusammen.

„Offenbar ist das Gewebe noch sehr empfindlich“, bemerkte sie.

„Was Sie nicht sagen.“

Ohne seinen Sarkasmus zu beachten, untersuchte sie den Daumen. „Spüren Sie hier etwas?“

„Nein.“

Sie fasste den Zeigefinger an. „Und hier?“

Unwillig riss er die Hand zurück. „Hören Sie, ich habe das mehrfach mitgemacht“, stieß er hitzig hervor. „Ich habe kein Gefühl im Daumenballen, keins im Zeigefinger und ein sehr reduziertes im Mittelfinger. Meine Sehnen sind hinüber, und daran kann selbst eine Armee von Therapeuten nichts ändern.“

Brooke ermahnte sich zu Gelassenheit und wartete, bis sein Ausbruch vorüber war. Als er sich etwas entspannte, setzte sie erneut ein Lächeln auf. „Dr. Granger, Sie kennen Ihren Zustand sicherlich besser als ich. Dies alles ist bestimmt schlimm für Sie. Aber wenn Sie die Therapie nicht fortsetzen, werden Sie nie mehr etwas Kleineres als eine Orange ergreifen können, ganz zu schweigen von einem Skalpell.“

Gefasst auf Protest, sah sie ihn an. Da Granger schwieg, fuhr sie fort: „Wenn Sie kooperativ sind, will ich mein Bestes tun. Aber allein kann ich das nicht.“

„Und ich kann es überhaupt nicht.“

Sie erwartete, dass er sich kurzerhand hochstemmen und gehen würde. Doch das tat er nicht. Was hielt ihn hier, da er ihr doch jegliche Mitarbeit versagte? Weshalb verschwendete er noch ihre Zeit? Und seine?

Trotzdem, es war ihre Aufgabe, ihn zu motivieren und Ergebnisse zu erzielen. Und Ruhe zu bewahren.

Während sie die Wärmepackung an seinem Gelenk anlegte und versuchte, das Narbengewebe durch elektrische Reizung geschmeidiger zu machen, sprach er kein Wort. Sie massierte die Muskeln und machte Streckübungen, um die Sehnen zu entspannen, und noch immer blieb er stumm. Eigentlich reagierte er gar nicht, bis auf ein gelegentliches Zucken. Als sie ein beiläufiges Geplauder über das Wetter begann, antwortete er einsilbig. Genauso gut hätte sie die Wand anreden können.

„Okay, jetzt kommt etwas Neues“, verkündete sie, um ein bisschen Interesse bei ihm zu wecken. „Richten Sie sich gerade auf, und versuchen Sie, das hier zu greifen.“

Er bewegte sich circa einen Millimeter, und sie legte ihm einen kleinen Schaumgummiball in die Hand. Nachdem er den Ball kurz angewidert angestarrt hatte, ließ er ihn teilnahmslos entgleiten, sodass er auf den Boden fiel. Geduldig hob sie ihn auf und legte ihn noch einmal auf seinen Handteller. Wieder rollte der Ball weg, und zwar unter den Tisch.

Leicht genervt beugte sie sich hinunter, packte den Ball und stieß sich beim Hochkommen prompt an der Tischkante.

Der Herr Doktor starrte ungerührt in die Luft. Er zeigte totale Gleichgültigkeit, als wünschte er sich weit weg. Sie wünschte ihn auf jeden Fall dorthin.

Nachdem Brooke an diesem verregneten Morgen aufgestanden war, die erste Kaltfront des Herbstes, den kaputten Kaffeeautomaten sowie einen platten Autoreifen hingenommen hatte, hatte sie sich ergeben auf einen typischen Montag eingerichtet. Aber diese Behandlung verdiente sie nicht, schon gar nicht von dem Mann ihrer Träume.

Sie war bekannt dafür, dass sie auch bei schwierigen Patienten nie die Fassung verlor. Aber dieser Tag war die Mutter aller schwarzen Tage, und momentan fühlte sie sich keineswegs gefasst. Kalte Wut stieg in ihr auf.

Brooke quetschte den Ball in der Faust und sah ihr Gegenüber streng an. „Dr. Granger, da Sie offenbar ein Problem damit haben, mit mir zu kooperieren, vermute ich, dass Sie es gerade mit einem Schub von Selbstmitleid zu tun haben. Ich hoffe, der geht vorüber, denn wenn Sie etwas wirklich Bemitleidenswertes sehen wollen, dann warten Sie auf meinen nächsten Patienten. Es ist ein sechsundzwanzigjähriger Vater mit einem gebrochenen C6-Wirbel.“

Sie machte eine Pause, um Luft zu holen. „Er kommt im Rollstuhl mit seinen Kindern auf dem Schoß und einem Lächeln im Gesicht, obwohl er nie mehr einen Schritt laufen wird. Nie mehr ein Kind zeugen wird. Nie mehr seine Frau auf die bisherige Weise wird lieben können. Aber er jammert nicht. Er nimmt sein Leben an, wie es ist. Im Gegensatz zu Ihnen.“

Granger öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Unbeholfen stand er auf und beugte sich über sie, vor Ärger hochrot im Gesicht. Doch in seinen Augen lag Verletzlichkeit. „Ich brauche Ihre Predigt nicht, Miss Lewis. Ich habe acht Jahre lang leidende Menschen operiert, meistens Kinder, und mit jedem, den ich aufgeben musste, starb ein Stück von mir. Trotzdem habe ich weitergemacht, denn ich war nun einmal Arzt. Ich wollte nie etwas anderes sein. Und das ist noch heute so.“ Er streckte seine steife rechte Hand aus. Sie zitterte. „Wenn man mir dies nimmt, kann man mir auch gleich beide Beine nehmen.“ Damit drehte er sich um und zog den Vorhang auf.

Brooke bereute ihre Worte. Sie hatte an eine Wunde gerührt, die ihn viel mehr schmerzte als seine verletzte Hand. Mit zitternden Knien stand sie auf. Hatte sie ihm die Therapie jetzt völlig verleidet, mit ihrem unsensiblen Verhalten seine Aussichten auf Heilung zerstört? Und dabei auch noch ihren Job aufs Spiel gesetzt, der ihr das Wichtigste im Leben war? Doch das Schlimmste war, sie hatte diesen Mann an der empfindlichsten Stelle getroffen – er war ein begnadeter Arzt, der aufgrund des Unfalls jetzt arbeitsunfähig war. Egal, wie unfreundlich er sich gab, ihre Reaktion war unverzeihlich gewesen.

„Warten Sie, Dr. Granger!“, rief sie, bevor er die Tür erreicht hatte.

Einige Kolleginnen sahen verblüfft auf.

Er drehte sich langsam um und sah sie mit leerem Blick an.

Sie ging mit ihm hinaus auf den Flur. Beschämt schlug sie die Augen nieder. „Es tut mir leid, dass ich so grob war. Ich fände es nur schade, wenn Sie die Therapie abbrechen.“

„Wirklich?“

Sie sah auf. Sein Blick war so trostlos, dass es ihr ins Herz schnitt. „Ja, ich fände es sogar sehr schade. Deshalb schlage ich vor, Sie kommen am Donnerstag wieder, und wir machen einen neuen Versuch.“

„Ich hasse es hierherzukommen.“

„Das kann ich verstehen, aber mit der Zeit fällt es Ihnen bestimmt leichter.“

„Nicht hier in der Klinik.“

Natürlich. In dieser Klinik hatte er seine Ausbildung gemacht, hier praktizierte er seitdem. Alles erinnerte ihn hier an seine momentane Arbeitsunfähigkeit. Da konnte sie ihm sein Widerstreben nicht übel nehmen. Aber sie durfte auch nicht zulassen, dass er in Lethargie versank. Wie sollte sie ihn nur überreden, die Therapie nicht aufzugeben?

Plötzlich hatte sie eine Idee. Eine verrückte Idee, aber es könnte funktionieren.

„Haben Sie schon einmal daran gedacht, die Therapie zu Hause zu machen, Dr. Granger?“

„Sie meinen, dass jemand zu mir kommt?“, sagte er knapp.

„Ja, das wird manchmal gemacht.“ Auch sie hatte es schon getan, meistens bei bettlägerigen Patienten. Noch nie bei einem gut aussehenden, vitalen Arzt.

„Sie würden tatsächlich zu mir nach Hause kommen?“, fragte er überrascht.

„Sicher. Oder jemand anderes, falls Ihnen das lieber ist.“

„Nein. Ich möchte Sie.“

Auf einmal war er so versessen darauf, dass sie mit ihm arbeitete? Sie war sekundenlang sprachlos. „Sie ziehen es also in Betracht?“

„Vielleicht.“

Erleichtert atmete sie auf. „Ich muss es noch mit meiner Vorgesetzten klären, und Dr. Kempner müsste es verschreiben.“

„Das tut er.“

„Sie überlegen es sich, ja?“

„Wir werden sehen.“

Mit hängenden Schultern humpelte er davon. Doch sie war fest entschlossen, ihn wieder aufzurichten, und wenn er sich darauf einließ, dass sie ihn zu Hause behandelte, wäre das zumindest ein Anfang. Sie würde alles für seine Genesung tun und ihn danach allein lassen, vielleicht mit dem Glücksgefühl, ihm ein wenig geholfen zu haben. Doch die Furcht beschlich sie, dass es nicht leicht sein würde, sich von Dr. Granger wieder abzuwenden, vor allem dann nicht, wenn er nicht geheilt sein sollte.

Aber solche Gefühle durfte sie sich nicht gestatten. Eine emotionale Beziehung zu einem Patienten war nicht nur streng tabu, sie würde damit auch ihre innere Ausgeglichenheit gefährden. Es kam also nicht infrage, dass sie ihr Herz an ihn hängte.

Gewiss, rein technisch betrachtet, brauchte Dr. Jared Granger sie, doch gefühlsmäßig würde sie sich nie wieder auf einen Mann einlassen.

Jared Granger saß wartend in Nick Kempners Praxis und studierte seine steife Hand, die verformten Finger. Er verabscheute die mitleidigen Blicke der Kollegen und Freunde. Und er verabscheute sein Selbstmitleid.

Noch nie hatte er vor einer solchen Herausforderung gestanden. Weder das Studium noch die praktischen Jahre seiner Ausbildungszeit hatten ihm dies abverlangt. Er musste es einsehen, als Chirurg war er erledigt. Ebenso als Liebhaber. Jedenfalls vorerst.

Das Eingeständnis linderte nicht den Schmerz, nicht den Zorn. Es trug nur zu seiner Bitterkeit bei.

Zudem konnte er sich kaum an seinen letzten frohen Tag erinnern, selbst was die Zeit vor dem Unfall betraf. Vor drei Wochen hatte er sich auf seine Farm zurückgezogen, um zu sich zu finden. Doch die Schuldgefühle wegen des Todes einer bestimmten Patientin hatten ihn auch dort nicht losgelassen, und so hatte er beim Mähen nicht weiter auf den Draht geachtet, der sich in seinem Traktor verfangen hatte. Unbedacht hatte er versucht, ihn mit bloßer Hand aus dem laufenden Gewinde zu zerren. Es hatte einen heftigen Rückstoß gegeben, die Sense war ihm tief ins Handgelenk gefahren, er war gestürzt und hatte sich das Bein gebrochen. Diese paar Sekunden der Unaufmerksamkeit hatten seiner Laufbahn ein Ende gesetzt – vermutlich für immer.

Wieder dachte er an den Tod der zwölfjährigen Kayla Brown, den eigentlichen Grund für seinen Aufenthalt auf der Farm. Ihr Körper hatte das neue Herz abgestoßen, und während sie auf ein weiteres Spenderorgan gewartet hatte, hatte sie nach langen Kämpfen aufgegeben. Er hatte das Mädchen mit dem sonnigen Gemüt, das selbst im Angesicht des Todes für jeden ein Lächeln gehabt hatte, nicht retten können.

Seine Probleme waren unerheblich im Vergleich zu dem, was Kayla ausgestanden hatte. Was war schon dabei, wenn er eine Stunde brauchte, um sich die Zähne zu putzen, sich anzuziehen, ein Glas Milch einzugießen? Doch darüber sprach er nicht, niemand würde es verstehen.

Plötzlich stand ihm Brooke Lewis vor Augen – mit ihren wilden dunklen Locken, den großen braunen Augen, dem ungekünstelten Lächeln und ihrer Hartnäckigkeit. Obwohl er es nicht zugeben mochte, ihm gefielen ihr undamenhaftes Aussehen und ihre direkte Art. Sie sah in ihm nichts weiter als einen Patienten. Er fand das erfrischend, zumal die meisten Leute ihn für ein unfehlbares Wesen ohne menschliche Schwächen hielten. Niemand kannte den wahren Jared Granger, denn er ließ keinen an sich heran. Er fürchtete, die hohen Erwartungen nicht erfüllen zu können.

Die Tür ging auf, und Nick Kempner kam herein, der beste Orthopäde weit und breit und Jareds Freund. „Was gibt’s, Granger?“

„Nicht viel.“

Nick streifte den Kittel ab und warf ihn aufs Sofa, bevor er sich in seinen Sessel setzte. „Entschuldige die Verspätung, ich wurde ans Telefon gerufen.“

„Kein Problem.“ Er hatte bis auf Arzttermine und die gefürchtete Physiotherapie ohnehin nichts vor, genau wie an den anderen Tagen.

Nick faltete die Hände und setzte eine professionelle Miene auf. „Der Anruf kam von deiner neuen Therapeutin.“

Jared wappnete sich gegen eine weitere Standpauke. „Ach ja?“

„Ja. Sie sagte, obwohl du, ich zitiere, ‚ein wenig unkooperativ‘ seist, würde sie damit fertig werden. Sie sprach davon, dich zu Hause zu behandeln. Was hältst du davon?“

Die Frau war wirklich zäh. „Diese Übungen bringen mir überhaupt nichts.“

„Weil du dich nicht auf sie einlässt.“

„Sie ist zu jung, um genügend Erfahrung zu haben.“ Und zu hübsch, um ignoriert zu werden, dachte Jared unwillig.

„Sie ist keine Anfängerin, Jared. Sie hat ein Diplom und arbeitet seit mehreren Jahren hier. Ich schätze sie auf mindestens fünfundzwanzig.“

„Für mich ist das ein junges Ding.“

„Das hört sich an, als wärst du sechzig und nicht sechsunddreißig.“

„Ich fühle mich wie achtzig.“

Nick fuhr sich durch das dunkle Haar. „Bitte, Brooke Lewis ist eine unserer besten Kräfte. Wenn du ihr eine Chance gibst, wird sie einiges bei dir bewirken können. Aber das braucht Zeit und deine Mitwirkung.“

Jared hätte vor hilfloser Wut am liebsten mit der Faust gegen die Wand geschlagen, aber bei seinem Pech würde er sich nur die linke Hand auch noch ruinieren. „Damit meinst du doch, dass ich nie mehr operieren kann.“

Nick seufzte frustriert. „Leg mir keine Worte in den Mund. Ich meine, du musst die Therapie machen, und die beste Adresse dafür ist Brooke.“ Er grinste. „Und du musst zugeben, sie ist ein hübscher Anblick. Du wirst sicherlich nichts dagegen haben, dass sie dich zwei Mal pro Woche behandelt – was immer sie darunter versteht.“

Jared weigerte sich, einzugestehen, dass seine Gedanken eine ähnliche Richtung genommen hatten. Doch er hatte unmittelbar auf Brookes Berührungen reagiert, und deshalb war er so schroff geworden. Er wollte sich nicht auf eine intime Beziehung zu einer Frau einlassen, schon gar nicht mit einer Therapeutin. Allerdings hatte er an sich halten müssen, denn gewisse Regungen waren bei ihm nicht völlig abgestorben.

„Wenn sie so großartig ist, dann lass du dir doch eine Ganzkörpermassage von ihr geben“, sagte er.

Nick schüttelte den Kopf. „Kommt nicht infrage. Seit meiner Scheidung habe ich mit Frauen nichts mehr im Sinn.“

„Erzähl mir noch so einen Witz, Kempner.“

„Das ist mein voller Ernst. Es ist den Aufwand nicht wert.“

„Apropos Frauen, wie läuft es mit deiner Ex?“

Nick nahm einen Kuli und tippte nervös auf die Tischplatte. „Nicht gut. Ich sehe sie nur, wenn ich Kelsey an meinen freien Wochenenden abhole. Wir wechseln kaum ein Wort, und das ist auch besser so. Vor einer Vierjährigen zu streiten ist nicht gut.“

Jared bedauerte seinen Freund aufrichtig. Nick sah seine Tochter kaum, weil er die verkehrte Frau geheiratet hatte. Aber wie sollte man so etwas vorher wissen? Nick hat recht, dachte er, manche Frauen sind den Aufwand nicht wert. Heirat war ein Risiko, das er bisher umgangen hatte, zumal sein Beruf ihn sehr forderte. Leider war das in letzter Zeit seine geringste Sorge.

Nick legte den Stift weg und lehnte sich zurück. „Jared, ich weiß, du hast es im Augenblick schwer. Wenn du dich aussprechen möchtest, nenne ich dir gern …“

„Ich habe keine Depressionen, verflixt! Ich habe bloß eine heillose Wut.“ Es war ihm unerträglich, dass jedermann seine Gefühle zu kennen glaubte, obwohl die allermeisten in Wahrheit gar nichts von ihm wussten.

Nick hob beschwichtigend die Hände. „Okay, dann nicht. Aber eine Physiotherapie solltest du wirklich machen. Und mit Brooke Lewis wärst du nicht schlecht dran.“

Er wäre besser dran, wenn er sich irgendwo verkriechen und seine Wunden lecken könnte. Aber so war das Leben nicht.

Vielleicht war die energische Therapeutin mit dem entwaffnenden Lächeln und den aufregenden Augen tatsächlich die Lösung.

Jared starrte eine Weile an die Decke. „Gut, mach etwas mit ihr aus. Ich akzeptiere Brooke Lewis.“

Nick lachte. „Ich denke, es ist eher umgekehrt.“

Er ahnte, dass die Behandlung ihm einiges abverlangen würde. Bis zu dem Unfall war er vor nichts zurückgeschreckt. Seitdem hatte sich das aber geändert. Würde er dies hier also durchstehen, vor allem mit einer Frau, die sein Interesse weckte? Doch hatte er eine andere Wahl?

„Eins noch“, sagte Nick. „Ich soll dir ausrichten, dass sie nächstes Mal Knete für die Übungen nimmt anstelle des Balls, weil die nicht wegspringen kann. Hast du eine Ahnung, was das heißen soll?“

Zum ersten Mal seit Wochen lächelte Jared. „Ja. Es heißt, dass sie die richtige Einstellung hat.“

2. KAPITEL

„Ländlich“ war eine krasse Untertreibung.

Brooke stieg aus ihrem Wagen und ging zum Haus. Sie war eine Stunde im Dunkeln umhergefahren, um die Adresse zu finden, und hatte den Namen am Briefkasten zur Sicherheit noch einmal überprüft. Ja, sie war richtig, es war tatsächlich dieses kleine weiße Haus, das einen neuen Anstrich nötig hatte, nach allem, was sie im Schein der Außenbeleuchtung auf der Veranda sehen konnte. Es war ein schlichtes Grundstück, das zu dem alten Pick-up in der Einfahrt und den verwitterten Holzstufen passte, die zur Veranda führten.

Sie hatte sich das Haus eines Arztes als eindrucksvollen Landsitz vorgestellt, nicht als eine Schuhschachtel, die sie an die Farm ihrer Großeltern erinnerte. Wieder einmal hatte Dr. Granger sie verblüfft, und sie fragte sich, was der Abend noch bringen mochte.

Immerhin hatte er dem Hausbesuch zugestimmt, was sie überraschte und zugleich freute. Und es hatte sie neugierig gemacht. Aber ob es klug war, ihm auf für sie fremdem Terrain gegenüberzutreten – in seinem Revier? Nun, jetzt konnte sie keinen Rückzieher mehr machen.

Innerlich auf alles Mögliche gefasst, klopfte sie entschlossen an die Tür. Sie wartete eine Weile. Zum Glück war es wärmer geworden, obwohl es hin und wieder regnete – ein typischer texanischer Herbst.

Sie vernahm ein schlurfendes Geräusch, dann wurde die Tür geöffnet. In einem alten T-Shirt und ausgeblichenen Jeans stand Dr. Granger vor ihr, das blonde Haar zerzaust, als käme er gerade aus dem Bett.

„Sie haben mich also gefunden“, sagte er und klang richtig freundlich. Vielleicht war es aber auch nur ihr Wunschdenken.

„Ja“, gab sie zurück. „Dr. Kempner hatte den Weg gut beschrieben.“

Er öffnete ihr die quietschende Fliegentür, und sie trat ein. Drinnen war es warm und trocken – und unglaublich unordentlich. Sie sah sich in dem kleinen Wohnzimmer um, und ihr Blick blieb am Couchtisch hängen, auf dem sich Zeitungen und unzählige Pappbecher häuften. An der Tür zum Nebenraum stand ein Paar ausrangierte Arbeitsstiefel, und überall lagen Kleidungsstücke herum, als wäre ein Tornado durchs Haus gefegt Was für ein Gegensatz zu ihrem makellos aufgeräumten Apartment!

Vorsichtig machte Brooke zwei, drei Schritte und bemerkte mit einem kleinen Lächeln: „Gemütlich haben Sie es.“

Er zuckte die Achseln. „Mir gefällt es so.“

Sie nahm ihre Leinentasche in die andere Hand. „Wo soll ich mich ausbreiten?“

„In der Küche.“

Auf die Krücke gestützt, humpelte er voran. Sie folgte ihm schweigend und versuchte, den Riss in seinem Hosenboden und das Stück helle Haut darunter zu ignorieren, doch es zog ihren Blick magisch an. In der Küche allerdings lenkte das noch größere Chaos, das dort herrschte, ihre Aufmerksamkeit ab. Leere Schachteln, Dosen, Zeitungen …

Granger wies auf den schmalen Essplatz. „Genügt das?“

Sie sah nichts als Abfall. „Ist da ein Tisch drunter?“

„Ja, irgendwo.“

Er schaute sie an, und sie bemerkte eine Spur von Verlegenheit bei ihm. Einen Arm auf die Krücke gestützt, begann er mit dem anderen die Sachen vom Tisch zu fegen, auf Stühle, den Boden, wo immer sie landeten. Wenn ihre Mutter das erlebt hätte, wäre sie in Ohnmacht gefallen.

„Moment“, sagte sie. „Suchen Sie sich einen Sitzplatz, und lassen Sie mich ein bisschen Ordnung machen.“

Er warf ihr einen gereizten Blick zu. „Ich habe Sie nicht als Putzfrau engagiert.“

„Ich habe auch keinen derartigen Vertrag unterschrieben. Aber wenn wir etwas erreichen wollen, brauche ich Platz. Es dauert nur eine Minute. Wo sind die Mülltüten?“

Er zeigte auf einen Schrank unter dem Waschbecken. „Dort. Wenn Sie darauf bestehen.“

„Das tue ich.“ Sie stellte ihre Tasche auf den Holzboden und öffnete die Schranktür. Ein überquellender Mülleimer fiel ihr fast entgegen. „Sie haben Ihrer Putzfrau offenbar ein Jahr Urlaub gegeben.“

„Sie ist in meinem Stadthaus.“

Sie schaute ihn über die Schulter an. „Sie haben ein Haus in der Stadt? Warum bewohnen Sie es nicht?“

„Ich bin lieber hier. Es ist abgeschiedener.“

„Das kann man wohl sagen“, murmelte Brooke, während sie sich hinunterbeugte und einen schwarzen Beutel aus der Packung zog. Sie drehte sich zu Jared um und schüttelte den Müllbeutel aus. Der düstere Ausdruck in seinen hellen Augen überraschte sie. „Vielleicht könnte Ihre Putzfrau hier einmal einen Frühjahrsputz veranstalten.“

„Wir haben Herbst, und ich will sie hier nicht haben.“

Sein schroffer Ton sollte ihr wohl signalisieren, dass er sie ebenfalls nicht hier haben wollte. Es hatte sich also nichts geändert.

Sein Widerstreben machte sie umso beharrlicher. Sie wollte seine Achtung erringen oder wenigstens seine Mitwirkung. „Ich bin zwar keine Superhausfrau, aber mit Müll werde sogar ich fertig.“ Ihre Mutter war eine Superhausfrau, doch weder Brooke noch ihre Schwester Michelle strebten diese Art von Vollkommenheit an. Doch nun musste sie sich auf dem Feld bewähren.

Brooke musterte den Stapel schmutzigen Geschirrs im Ausguss und fragte sich, wie lange das schon dort stand. Ziemlich lange, den angetrockneten Speiseresten nach zu urteilen, mindestens seit dem Unfall. Sie wandte sich dem Tisch zu und stopfte die Unmengen von Pizzaschachteln, Pappbechern und Zeitungen in den Müllsack.

Anschließend war tatsächlich eine schmuddelige hölzerne Tischplatte zu erkennen. Brooke nahm ihre Tasche hoch, packte Stift und Notizblock aus und setzte sich. „Haben Sie die vorgeschriebenen Übungen gemacht?“

„Manchmal.“

Sie sah von ihrem Block hoch. „Beschreiben Sie das bitte genauer.“

Er mied ihren Blick und löste mühsam Verband und Schiene. „Ein Mal seit letzter Woche.“

Sie schrieb seine Aussage auf und ignorierte ihre wachsende Frustration. „Versuchen Sie, wenigstens ein Mal pro Tag zu trainieren. Besser zwei oder drei Mal.“

„Na ja, mir fehlt die Energie dazu. Wenn ich morgens aufgestanden bin, mich gewaschen und angezogen habe, ist schon der halbe Tag vergangen, und ich möchte mich am liebsten wieder hinlegen.“

Er ahnte ja nicht, wie gut sie das nachfühlen konnte. Wenn sie einen besonders schweren Asthmaanfall gehabt hatte, fühlte sie sich so geschwächt, dass sie alles nur im Schneckentempo erledigen konnte.

„Okay, fangen wir an.“ Sie blickte auf das zugestellte Waschbecken. Woher sollte sie Wasser bekommen, wenn sie nicht einmal den Hahn fand? Wie sollte sie das Wasser für die Fangopackung erhitzen, wenn es keinen sauberen Fleck auf dem Herd gab? Sie würde wohl oder übel abwaschen müssen. Ihre Mutter wäre stolz auf sie.

Wortlos stand Brooke auf und stapelte einige Gläser am Rand des Beckens zu einem bedrohlich schwankenden Turm auf. Jetzt konnte sie immerhin den Hahn aufdrehen. Fehlte nur noch ein Spülmittel.

Sie fand es im Unterschrank und spritzte ein paar Tropfen ins Waschbecken. Dann scheuerte sie den Topf sauber, der am wenigsten verschmutzt war, ließ Wasser hineinlaufen und stellte ihn auf den Gasherd.

Während sie darauf wartete, dass das Wasser zu kochen begann, ging sie zurück zum Ausguss und dem Geschirrgebirge.

Sie entdeckte ein einigermaßen sauberes Geschirrtuch und einen Lappen und machte sich ans Abwaschen. Jared wartete unterdessen still am Tisch.

Das Schweigen war ebenso unangenehm wie die Gerüche aus dem Ausguss. Brooke suchte nach einem unverfänglichen Gesprächsthema, um die Situation aufzulockern. „Sie scheinen ja ein guter Kunde bei sämtlichen Pizzalieferanten der Umgebung zu sein. Mögen Sie sie nur mit Salami oder üppig belegt?“ Sie sah über die Schulter und stellte fest, dass er sie mit seinen blauen Augen unverwandt anstarrte.

„Weder noch. Ich mag es schlicht.“

„Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht.“

„Wieso?“

„Vielleicht wegen der Aura des Arztes. Ich fand immer, dass Mediziner einen Hang zum Luxus haben. Sie wissen schon, schnelle Autos und rassige Frauen.“

„Das ist das alte Problem mit Klischees. Sie verstellen einem den Blick.“

Sie rubbelte so energisch an einem Glas, dass es quietschte. „Das Klischee gilt demnach nicht für Sie?“

„Kommt darauf an, was Sie meinen. Autos, Pizza oder Frauen?“

Eigentlich ging es ihr nur um Letztere – warum, wusste sie selbst nicht. „Alles zusammen.“

„Ich liebe meinen alten Pick-up. An warmen Tagen fährt er fast achtzig bei fliegendem Start. Meine Pizza mag ich mit viel Käse und manchmal mit Schinken. Was war gleich noch das Dritte?“, fragte er in leicht scherzendem Ton.

„Frauen.“

Er lachte kehlig, dass ihr ganz anders wurde. „Ich lege Wert darauf, dass sie keinen fliegenden Start verlangen, um die Höchstgeschwindigkeit zu erreichen, und mit Käse überbacken sind sie mir auch recht.“

Donnerwetter! Der Herr Doktor besaß Humor. Und ihr wurde heiß und kalt zugleich. „Das sind sehr vernünftige Grundsätze, muss ich sagen.“

„Ja, nicht? Und Sie – was für Anforderungen stellen Sie an Männer?“

„Männer?“, wiederholte sie, als höre sie den Begriff zum ersten Mal.

„Nun, wie ist zum Beispiel Ihr Freund?“

Sie lachte humorlos. „Nicht existent.“

„Das wundert mich. Ich hätte gedacht, eine attraktive Frau wie Sie hätte eine feste Beziehung.“

Das Glas, das sie wie besessen scheuerte, entglitt ihren Händen und fiel ins Becken, wobei ein Wasserschwall die Vorderseite ihres Kittels durchnässte. Sie übersah den Fleck, doch das Kompliment überhörte sie nicht. Ihr Puls ging schneller, aber sie musste einen kühlen Kopf bewahren.

„Nein, habe ich nicht. Ich habe an diesem Punkt meiner beruflichen Laufbahn kein Interesse dafür.“ Und auch nicht die Kraft, nach der niederschmetternden Erfahrung mit einem Mann, der sie ausgenutzt und dann ausrangiert hatte, genau wie sie den Müll in Jared Grangers Küche.

„Ihr Beruf ist für Sie das Wichtigste.“ Er äußerte das als Feststellung, nicht als Frage.

„Ja, unbedingt. Ich arbeite auf eine eigene Praxis hin.“

Der Stuhl hinter ihr knarrte. „Sie haben alles genau geplant, wie? Wie lange Sie brauchen, um Ihr Ziel zu erreichen, und dann kommt das nächste. Aber gerade wenn man meint, man habe die Dinge im Griff und es könne nichts passieren, kann das ganze Gebäude innerhalb von Minuten einstürzen.“

Sie stellte das letzte Glas beiseite und drehte sich zu ihm um. Sie wusste, er sprach von sich. „Absolute Sicherheit gibt es natürlich nicht.“

„Richtig. Und das ist eine verdammt bittere Pille.“

Das klang wieder sehr schmerzlich. Aber nein, sie durfte sich kein Mitgefühl gestatten, sie musste objektiv bleiben.

Sie nahm die Fangopackung aus dem Topf, wickelte sie in ein weiteres Geschirrtuch und legte sie ihm auf die Hand. Während die vorgeschriebenen zwanzig Minuten vergingen, beendete sie ihre Aufräumarbeiten. Das war genügend Zeit, um seine Sehnen zu entspannen, und für sie, um sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu besinnen – ihm zu helfen, sein gewohntes Leben wieder aufnehmen zu können.

„Hat das Geschirrspülen Ihnen einen Kick verschafft?“, fragte er, als sie nun seine Hand nahm und mit der Massage begann.

Sie sah auf und stellte verwundert fest, dass er sich offenbar über sie amüsierte. „Nein, bloß Waschfrauenhände. Wieso?“

„Sie haben dabei gepfiffen, als würde es Ihnen richtig Spaß machen.“

In der Tat, sie hatte es genossen. Da ihre Mutter jede Woche bei ihr sauber machte, damit sich ihr Asthma nicht verschlimmerte, kam sie selbst kaum dazu, etwas im Haushalt zu tun. Ihre Mutter würde das auch keineswegs zulassen. Deshalb war es ihr eine Erleichterung, wenn einmal nicht jemand hinter ihr stand und ihr sagte, was sie zu tun und zu lassen habe. Selbstverständlich würde sie das Dr. Granger nicht mitteilen. Schließlich sollte er nicht meinen, es würde ihr ein Vergnügen sein, hinter ihm herzuputzen. So sehr hatte sie es auch wieder nicht genossen. Außerdem war es nicht ihre Aufgabe.

„Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen, Dr. Granger, ich schicke Ihnen eine Rechnung für die Reinigung.“

„Nur zu.“

Erneut sah sie in seine bezwingenden blauen Augen. „Wie viel darf ich berechnen?“

„Was Sie für richtig halten.“

„Was nehmen Sie zum Beispiel für einen doppelten Bypass?“

Er lächelte schwach. „Wollen Sie das etwa vergleichen?“

„Warum nicht? Ich habe eine halbe Stunde lang Ihr Geschirr behandelt.“

„Immerhin beschwert es sich nicht. Und es verklagt Sie nicht, wenn Sie etwas falsch machen.“

Da war er wieder, sein trockener Humor. „Gut gekontert“, sagte sie und war froh, dass sich seine innere Verspannung etwas gelöst hatte. Leider galt das nicht für seine steifen Finger, vor allem für den Zeigefinger. Brooke hatte einen ganz bestimmten Verdacht, woran das liegen könnte.

Sie legte ihre Faust auf seinen Handteller. „Können Sie zugreifen?“

Mit vor Anstrengung gefurchter Stirn bewegte er die Finger – nicht sehr, aber es gab ihrem Optimismus genügend Nahrung. Ihre Hand wirkte klein auf seiner großen Handfläche. Sie konnte sich gut vorstellen, wie geschickt diese Finger einst gewesen waren, auch in Bereichen, die nichts mit chirurgischen Operationen zu tun hatten.

„Sehr gut“, sagte sie, zog ihre Hand weg und schob ihre ungehörigen Fantasien in den Hintergrund. „Sie müssen wirklich öfter trainieren. Ihr Zeigefinger braucht es am nötigsten. Ich mag gar nicht daran denken, dass sich eine bleibende Sehnenverkürzung entwickeln könnte.“

Er zog die Brauen zusammen. „Glauben Sie, das wird passieren?“

„Hoffentlich nicht, aber Sie müssen beharrlich daran arbeiten.“

„Ich will es versuchen.“

Das war wenigstens ein halbes Versprechen.

Als die Behandlung beendet war, sah Brooke zur Uhr. Über eine Stunde war vergangen, und sie fühlte sich erschöpft.

„Fertig“, verkündete sie und räumte ihre Utensilien ein. „Ich denke, jetzt fahre ich wieder.“

„Eins noch“, sagte er. „Es handelt sich um eine persönliche Gefälligkeit.“ Es schien ihm schwerzufallen, die Bitte zu äußern.

„Das wäre?“

„Ich habe Schwierigkeiten mit gewissen Verrichtungen … privater Art.“

Hoppla! Sie wusste nicht, was er damit meinte – oder ob sie es überhaupt wissen wollte. „Welche denn?“

Er rieb sich das Kinn und die Wangen. „Zum Beispiel mit dem Rasieren.“

Wieder regte sich ihr Mitgefühl. Sie versuchte, es wieder zu unterdrücken. „Haben Sie schon einmal an eine Krankenpflegerin gedacht?“

„Ich möchte nicht noch jemanden hinzuziehen.“

Sie verstand, dass er sich scheute, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, aber was erwartete er eigentlich von ihr? „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen da helfen kann.“

„Ich denke, Sie haben gewisse Fingerfertigkeiten.“

„Ja, schon.“

„Dann wüsste ich nicht, warum Sie das nicht könnten. Für den zusätzlichen Zeitaufwand werden Sie entschädigt. Wir können das privat abmachen.“

Geld war nicht ihr Problem, obwohl sie es natürlich gebrauchen könnte. Nein, ihr machte zu schaffen, dass sie ihm noch näher kommen würde. Rasch schätzte sie das Für und Wider ab. „Okay, ich will es versuchen. Es dürfte ja nicht allzu kompliziert sein.“

Plötzlich wurde er ernst. „Zuvor muss ich Ihnen noch etwas sagen.“

Sie erwartete eine weitere Bitte oder eine Einschränkung – irgendetwas, das die Angelegenheit auf eine sachliche Basis stellen würde.

„Ich möchte Ihnen danken“, sagte er. „Es ist so lange her, seit …“ Er starrte auf die Tischplatte, dann blickte er wieder auf. „Das würde nicht jeder für mich tun. Ich weiß es sehr zu schätzen.“

Sie lächelte, sein Dank tat ihr gut. „Keine Ursache. Wollen wir gleich jetzt anfangen?“

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ Er strich sich über den sprießenden Bart. „Ich dachte, ich könnte es mit links bewältigen. Aber es ist komisch, wie man auf einmal zusätzliche Finger braucht, um die Nasenspitze anzuheben, damit man an die Oberlippe herankommt.“

„Ehrlich gesagt, darüber habe ich noch nie nachgedacht.“ Sie stand auf. „Wollen wir es hier oder im Bad tun?“

Er lächelte leicht. „Wo würden Sie es denn am liebsten tun?“

Brooke wurde rot. Hatte sie da eine gewisse Anzüglichkeit in seiner Stimme gehört, oder bildete sie sich das nur ein? „Das kommt darauf an. Wie groß ist Ihr Bad?“

„Zu klein, es sei denn, wir tun es im Stehen. Das könnte lästig für mich werden mit dem kaputten Bein.“ Seine Augen glitzerten im Schein der Deckenlampe. Es wirkte fast frech und ein bisschen herausfordernd.

Plötzlich hatte sie im Geist ein Bild vor sich – er und sie, wie sie sich heiß küssten und zärtlich berührten.

Reines Wunschdenken. Reiß dich zusammen, befahl sie sich. „Da Sie ziemlich groß sind und ich wenig Erfahrung mit Rasierern habe, sollten Sie besser dabei sitzen, während ich stehe. Finden Sie nicht auch?“

„Oh, wir sind wieder beim Rasieren.“

„Waren wir bei etwas anderem?“ Die Frage war ihr herausgerutscht, und sie bereute es augenblicklich. Das klang ja, als wolle sie ihn verlocken, ein Bekenntnis abzulegen.

„Ich weiß nicht, was in Ihnen vorgeht“, erwiderte er mit einem entwaffnenden Lächeln. „Ich jedenfalls war auf einer Fantasiereise, die absolut nichts mit Körperpflege zu tun hatte.“

Er übertrug seine Liebeswünsche doch wohl nicht auf sie? Solche Projektionen von Seiten des Patienten auf den Therapeuten kamen vor. Aber doch nicht bei ihm! Nein, er versuchte einfach, vor ihr als Mann zu bestehen. Es war ja verständlich, dass er Bestätigung brauchte. Dabei hatte sie vorerst nur seine Hand berührt. Doch gleich würde sie sein Gesicht berühren, was weit intimer war und keineswegs eine abstoßende Vorstellung.

Brooke rief sich zur Ordnung. „Bleiben Sie ruhig sitzen. Ich kann Sie hier rasieren.“ Sie schaute sich um. „Wo ist eine Steckdose für den Rasierer?“

„Ich benutze keinen Elektrorasierer, sondern eine Klinge.“

Na, großartig! „Vielleicht sollten Sie es sich noch einmal überlegen und warten, bis es Ihrer Hand besser geht.“

„Ich mag eben das Echte, und Sie werden mich jetzt nicht umstimmen. Außerdem mögen die meisten Frauen es lieber glatt rasiert, das kratzt nicht so. Sie etwa nicht?“

Schon wieder versuchte er, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und diese verflixten Bilder, die ständig vor ihrem geistigen Auge auftauchten. Der Mann verstand sich wirklich auf Frauen. Kein Wunder, dass er in dieser Hinsicht auch einen gewissen Ruf hatte. „Okay, das werden wir schon hinkriegen. Wo finde ich eine Schere? Ich muss erst den dicksten Pelz abschneiden, bevor ich mit dem Rasiermesser komme.“

„In der Schublade im Bad“, sagte er und wies auf den Flur, der vom Wohnzimmer abging. „Erste Tür rechts. Rasierschaum steht im Medikamentenschrank gleich neben dem Rasierer.“

Im Bad stieß sie auf Unmengen von gebrauchten Handtüchern.

In der ordentlich aufgeräumten Schublade lag die Schere. Im Spiegelschrank stand ebenfalls alles säuberlich aufgereiht wie vielfarbige Blumen in einem gepflegten Gartenbeet. Offenbar hatte er einst Ordnungssinn besessen.

Sie öffnete den Wäscheschrank an der Wand. Er war leer. Keine Handtücher, keine Waschlappen. Seit wann mochte er immer dieselben benutzen? Das war kein akzeptabler Zustand. Es gab nur eine Lösung, sie musste die Waschmaschine in Gang setzen. Ihre Mutter würde vor Stolz platzen.

Beladen mit Handtüchern und Schere, Rasierschaum und Rasierer in der Tasche ihres Kittels verstaut, kam Brooke in die Küche zurück. „Ich dachte, ich könnte eine Ladung Wäsche in …“ Sie verstummte. Dr. Jared Granger saß halb nackt am Tisch.

Ihr Blick glitt über seinen Brustkorb mit der dichten blonden Behaarung. Er war ausgesprochen muskulös, so als trainiere er täglich. Doch wie sollte er mit einer Hand und einem gebrochenen Bein Gewichte stemmen können? Aber vielleicht war dieser muskulöse Körper auch Anlage wie bei manchen Männern. Allerdings hatte sie noch nicht viele Männer zu Gesicht bekommen, die so athletisch aussahen wie Jared Granger. Eigentlich herzlich wenige.

Er schien ihre Musterung nicht zu bemerken, und sie hoffte nur, dass ihr im ersten Moment nicht das Kinn heruntergeklappt war. „Wo steht die Waschmaschine?“, fragte sie laut, doch innerlich fragte sie sich, ob sie noch alle Sinne beisammen habe.

Er zeigte auf eine Lamellentür zu seiner Rechten. „Dort drinnen.“

„Okay, mal sehen, ob ich das schaffe.“ Sie hielt den Wäschestapel mit dem Kinn fest, öffnete die Tür und packte die Ladung in die Maschine. Nachdem sie Waschmittel eingefüllt hatte, betrachtete sie die Knöpfe.

„Kann ich noch ein paar Sachen mit hineintun?“

Ihre Nackenhaare richteten sich auf, als er direkt hinter ihr stand. Sie spürte seine Körperwärme, roch sein Aftershave und fand schließlich den Mut, ihn über die Schulter anzusehen. „Was zum Beispiel?“

Er wies auf den Wäschekorb, der auf dem Trockner stand. „Unterwäsche und Socken.“

Sie schaute hin und stellte fest, dass er offenbar keine Shorts, sondern Slips trug. Klar, das passte zu ihm. „Es ist noch Platz. Es gibt nichts Schlimmeres, als immer mit derselben Unterhose herumlaufen zu müssen.“

„Ich habe meine letzte vor zwei Tagen ausgemustert.“

Die Bemerkung warf einige Fragen auf, aber Brooke wagte nicht, sie zu stellen. Das brauchte sie auch gar nicht.

„Ich gehe im Naturzustand“, erläuterte er. „So nannten wir das auf dem College, wenn wir unsere Unterwäsche aufgebraucht hatten. Für den Fall, dass Sie sich wundern.“

Sie hatte sich gewundert, und „Naturzustand“ war ein passender Ausdruck. Momentan hegte sie ein paar ziemlich urwüchsige Fantasien über den Mann, der hinter ihr stand. „Soll ich Ihnen erklären, wie man die Waschmaschine bedient?“ Ihre Stimme klang gepresst.

„Nicht nötig, das kann ich mit meiner linken Hand bewältigen.“

Warum hatte er es dann nicht getan? Vielleicht hatte er auf ihr Mitleid spekuliert, damit sie ihm noch mehr Hilfsdienste leistete. Aber vielleicht hatte er tatsächlich nicht genügend Energie aufgebracht.

Sie steckte die Slips in die Maschine und drehte sich um. Er saß wieder am Tisch und hatte bereits eine Schüssel mit Wasser gefüllt, während sie sich um die Wäsche gekümmert hatte. Ganz so hilflos war er offenbar doch nicht. Und hinreißend sah er aus mit seiner nackten Brust und dem zerzausten blonden Haar. Wie aufregend müsste es sein, über diese festen Muskeln zu streichen.

Sofort verbot Brooke sich solche Vorstellungen. Schließlich hatte sie reichlich viele halb nackte Männer gesehen. Nur nicht viele mit einer so aufregenden Ausstrahlung, die zu einem zweiten Blick aufforderte. Und zu einem dritten …

Warum wurde sie bei Jared Granger ständig schwach? Weshalb reagierte sie auf seine zweideutigen Bemerkungen, obwohl sie gelernt hatte, niemals auf sexuelle Anspielungen von Patienten einzugehen?

Jetzt hatte sie jedoch keine Lust, ihren Gefühlsumschwung zu analysieren. Jetzt musste sie diesem Mann beim Rasieren helfen. Sie hoffte inständig, es heil zu überleben.

3. KAPITEL

Sie hat wunderbare Hände, dachte Jared, und die habe ich ganz für mich.

Munter lächelnd sprühte Brooke Rasierschaum auf seine Wange und verteilte ihn genüsslich wie ein Kind, das begeistert mit Schlamm spielte. Aber wenn er von der Reaktion seines ausgewachsenen Körpers ausging, sollte sie ihre Hände ruhig ein Stück weiter südlich betätigen.

Oh ja, da waren durchaus noch Regungen in ihm. Zumindest in gewissen Bereichen. Das wurde ihm klar, als sie begann, seinen Bart zu stutzen. Es hatte etwas ungeheuer Intimes, wenn eine Frau das tat. Wenn Brooke Lewis es tut, korrigierte er sich. Wer hätte gedacht, dass etwas so Banales wie eine Rasur dermaßen erregend sein konnte?

Ein wenig unruhig rückte er auf seinem Sitz herum.

„Stillhalten“, sagte sie. „Sonst habe ich alles auf dem Kittel.“

Sorgfältig verteilte sie den Schaum. Bei diesem Tempo würde sie bis zum Morgengrauen zu tun haben. Dabei war er jetzt schon kurz davor, hemmungslos über sie herzufallen, denn in diesem Moment befanden sich ihre Brüste direkt vor seinem Mund. Wenn er sich ein Stückchen vorbeugte, könnte er sein schaumbedecktes Gesicht genau in die Mulde zwischen ihren Brüsten drücken.

„Möchten Sie probieren?“

Und wie! Zum Glück zog sie sich zurück, bevor er seinem ungehörigen Impuls nachgeben konnte.

„Ich finde, Sie haben das Zeug jetzt genug strapaziert“, bemerkte er. Auf jeden Fall strapazierte sie seine Nerven, aber sehr lustvoll, und andere Körperstellen auch.

Sie stellte die Dose auf den Tisch und griff nach dem Rasierer. „Ich meinte, ob Sie es mit dem Apparat probieren möchten.“

„Das habe ich schon und mich dabei hundert Mal geschnitten.“

„Okay. Mal sehen, ob ich es hinkriege.“

Brooke legte den Rasierer wieder aus der Hand, nahm Jared das Handtuch ab, das sie ihm um die Schultern drapiert hatte, und schüttelte die Barthaare auf die Zeitung, die auf dem Boden ausgebreitet war. Dann beugte sie sich vor, um das Tuch erneut um seinen Nacken zu schlingen. Während der ganzen Zeit stellte er sich vor, wie er sie um die Taille packte, sie zwischen seine Schenkel zog und einen Kuss auf diesen frechen Mund drückte.

Er verwünschte seine mangelnde Selbstbeherrschung. Was hatte Brooke Lewis an sich, das seine Fantasie zum Überkochen brachte? Lag es daran, dass sie mit ihm so verständnisvoll umging? Oder dass sie zufällig in greifbarer Nähe war? Er hoffte, es wäre nur das. Aber die Dinge lagen komplizierter. Brooke war komplizierter.

„Also los.“ Sie trat hinter ihn, nahm den Rasierer und reichte ihn ihm über die Schulter. „Zeigen Sie mal, was Sie können.“

Mit der Linken ergriff er das Gerät, das ihm so viele Niederlagen bereitet hatte, und starrte in den Spiegel, den Brooke auf dem Tisch platziert hatte. Die linke Gesichtshälfte brachte er mit einigem Anstand hinter sich und schnitt sich nur ein Mal leicht. Doch an der Oberlippe musste er aufgeben. Sobald er mit der Rechten seine Nasenspitze anheben wollte, waren ihm seine steifen Finger im Weg.

Der Rasierer fiel ihm auf den Schoß. Beide griffen sie gleichzeitig danach.

„Ich habe ihn schon“, sagte er barscher als beabsichtigt. Aber ihre Hand war nur Zentimeter von gefährlichem Terrain entfernt. Und das Problematische am sogenannten Naturzustand war, dass man ihn kaum verbergen konnte.

Sie räusperte sich. „Ich sehe, es ist hart.“

Das war die Untertreibung des Jahrhunderts. „Allerdings, sehr hart.“

Die Wangen leicht gerötet, kam sie an seine Seite. „Ich rasiere Sie nur dieses eine Mal. Ich hoffe, Sie können Ihre Finger bald wieder einsetzen und es selbst tun.“

Das war keineswegs in seinem Sinn. „Ach, das ist doch langweilig. Warum sollte ich es selbst tun, wenn Sie es viel besser machen?“

Ihre dunklen Augen schossen Blitze. „Wirke ich auf Sie wie eine Sklavin?“

Nein, aber sie wirkte hinreißend mit dem lockigen Haar und diesen vollen Lippen, die sie krampfhaft zusammenpresste, um nicht zu lächeln. „Wenn ich mich hier so mit der unbrauchbaren Hand und dem Gipsbein an den Stuhl gefesselt sehe und Sie mit dem Rasiermesser hinter mir stehen, habe ich eher den Eindruck, Miss Lewis, dass ich der Sklave Ihrer Launen bin.“

„Nehmen Sie bitte die Knie zusammen.“

Oh Mann, sie hatte es gemerkt! „Warum?“

„Damit ich besseren Zugang habe.“

Sie hatte schon viel zu viel Zugang! Er gehorchte, und sie trat vor ihn und nahm seine ausgestreckten Beine zwischen ihre Schenkel, wobei sie sorgfältig vermied, an seinen Gips zu stoßen. Sollte sie eine ungeschickte Bewegung machen, würde sie auf seinem Schoß landen, und dann wäre alles zu spät.

Sie bog seinen Kopf zurück, um ihn unter dem Kinn zu rasieren. „Und was für Launen trauen Sie mir zu, Dr. Granger?“

„Mir die Kehle durchzuschneiden?“ Er würde sich selbst ans Messer liefern, wenn er von jetzt an nicht besser auf seine Reden achtete.

Doch sie lächelte, während sie den Rasierer im Becken ausspülte und sich dann erneut über sein Kinn hermachte. „Ich bezweifle, dass man das mit diesem Gerät könnte, aber Sie bringen mich auf eine Idee. Eigentlich wollte ich nächstes Mal einen Elektrorasierer mitbringen, stattdessen besorge ich ein richtiges Rasiermesser. Wie finden Sie das?“

„Sie brauchen nicht gewalttätig zu werden. Sagen Sie einfach, was Sie wünschen, ich erfülle Ihnen alles.“ In jeder Hinsicht, und wenn es die ganze Nacht dauern sollte.

Sie wurde hochrot, als könne sie seine Gedanken lesen, und das machte sie noch reizvoller. „Jetzt möchte ich nur, dass Sie still sitzen. Wir sind gleich fertig, und dann muss ich gehen.“

Er wollte nicht still sitzen. Es ging schier über seine Kräfte. Sie war so nah, dass er ihren frischen Duft wahrnahm. Ihre schlanken Finger umfassten sein Gesicht, sein hämmernder Puls passte sich ihren gleichmäßigen Bewegungen an. Und er hatte ihren eng anliegenden Pulli direkt vor den Augen, sodass er die Konturen ihres BHs und die verlockenden Rundungen ihrer Brüste sah.

„Okay, erledigt.“ Sie trat zurück und ließ den Rasierer in die Schüssel fallen. Dann betrachtete sie ihr Werk. „Jetzt sehen Sie fast manierlich aus.“

Er hatte keine Lust, manierlich zu sein. Er verspürte wilde, ungezähmte Triebe – zum Beispiel den Drang, sie auf den Schoß zu ziehen, den Rasierschaum zu nehmen und damit unerhörte Dinge anzustellen. Ihr den verflixten Kittel abzustreifen und zu schauen, was daruntersteckte. „Na, toll“, knurrte er. „Ich bin froh, dass ich relativ heil davongekommen bin.“ Relativ war ein zu mildes Wort.

Sie stemmte einen Arm in die Hüfte und schob sich mit der anderen Hand die Locken aus dem Gesicht. „Geben Sie’s zu, Dr. Granger, das habe ich großartig gemacht.“

Er strich sich über die Wange. „Ja, wirklich, das haben Sie.“

„Danke.“ Sie strahlte.

Und ihm wurde die Kehle eng. Er wollte nicht, dass sie ging. Sie sollte bleiben, und sei es nur, um ihm Gesellschaft zu leisten. Doch das konnte er nicht verlangen. Heute noch nicht.

Sie nahm ihre Tasche auf, während er sich von seinem Stuhl hochquälte. Sein Po war taub vom langen Sitzen. Er hatte in letzter Zeit ohnehin wenig Bewegung gehabt und war nur auf dem Grundstück umhergelaufen, wenn er nicht auf dem Sofa gelegen und Sportsendungen geguckt hatte. Er folgte ihr aus dem Haus.

Auf der Veranda blieb sie stehen und sagte: „Wenn ich am Montag wiederkomme, erwarte ich, dass Sie etwas mehr trainiert haben.“

Er klemmte sich die Krücke unter den Arm und salutierte wenig zackig mit der Linken. „Wird gemacht, Käpt’n.“

„Und vielleicht bitten Sie auch Ihre Haushälterin, herzukommen und Ordnung zu machen.“

„Ich will es mir überlegen – wenn Sie mir noch einen Gefallen tun.“

Sie lehnte sich an die Wand und seufzte. „Was ist es denn dieses Mal? Soll ich Ihren Backofen schrubben?“

Er lächelte. „Nichts dergleichen. Ich bitte Sie nur, demnächst Straßenkleidung zu tragen. Wir sind hier auf dem Land, und dies ist mein Privathaus, keine Klinik.“

Sie sah ihn lange an. „Ja, Sie haben ganz recht, dies ist kein Krankenhaus. Ich ziehe also Jeans an, in Ordnung?“

„Bestens.“ Er stellte sich Brooke in Jeans vor, und das raubte ihm fast die letzte Selbstbeherrschung.

Sie blickte zur Uhr. „Es ist spät, ich sollte jetzt wirklich los.“

Ihm war die Uhrzeit gar nicht bewusst. Bei ihrem entspannten Geplauder und ihrem trockenen Humor waren die Stunden wie im Flug vergangen. Dennoch wollte er sie noch nicht gehen lassen.

„Wenn ich es mir überlege, hätten Sie eher herauskommen sollen, damit Sie nicht im Dunkeln nach Hause fahren müssen“, sagte er, um Minuten zu schinden. „Können Sie nächstes Mal nicht um fünf hier sein?“

„Okay, ich werde es mir einrichten.“

Er lehnte sich neben ihr an die Wand. „Soll ich Sie in die Stadt begleiten?“

„Und wie kommen Sie dann zurück?“

„Ich muss ja nicht. Ich könnte auf Ihrer Couch übernachten.“ Warum, in aller Welt, hatte er das jetzt gesagt?

Sie warf ihm einen ernüchternden Blick zu. „Wohl kaum. Meine Schwester ist gerade auf Wohnungssuche und schläft solange auf meiner Couch.“

„Ist sie genauso hübsch wie Sie?“

Wieder wurde sie rot. „Viel hübscher.“

„Das kann nicht sein.“

„Doch, bestimmt.“

Unmöglich! Diese dunklen Augen, die noch dunkleren Locken, die so wild zerzaust waren, als käme sie geradewegs von ihrem Geliebten, gab es kein zweites Mal. Dieses wache Gesicht mit der Stupsnase, die von Natur rosigen Wangen … mit einem Klecks Rasierschaum unter dem Auge.

Er winkte mit dem Finger. „Kommen Sie mal her.“

Sie zuckte zusammen, als hätte er einen Striptease von ihr verlangt.

„Warum?“

„Sie haben Rasierschaum im Gesicht, ich kann ihn leichter wegwischen als Sie.“

Zögernd kam sie näher. Er umfasste ihr Gesicht mit der Linken und wischte den Klecks mit dem Daumen ab. Der Moment dehnte sich, während Jared einen inneren Kampf ausfocht. Er wusste, er durfte nicht – aber er wollte sie küssen. Er wollte ihren weichen Mund spüren und alle seine Sorgen vergessen. Doch die Vernunft siegte, und er ließ die Hand sinken.

Sie wandte den Blick zu dem verwitterten hölzernen Stützbalken der Veranda. „Also, Dr. Granger …“

„Nennen Sie mich doch bitte Jared.“

Sie schaute ihn an. „Das geht wirklich nicht. Wir haben eine berufliche Beziehung, wir dürfen da nichts vermischen.“

„Tun wir das denn?“

„Also …“

Er stützte sich mit dem linken Arm an die Wand über ihrem Kopf. „Ja?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Es hat mich sehr gefreut, Sie näher kennenzulernen, aber streckenweise …“ Sie nahm ihre Unterlippe zwischen die Zähne und blickte zu Boden.

Er beugte sich ein wenig zu ihr hinunter. „Streckenweise haben Sie eine gewisse Spannung zwischen uns gespürt.“

„Mag sein. Ich weiß es nicht.“

„Brooke, sehen Sie mich an.“ Sie gehorchte zögernd. „Ich werde nichts tun, das Ihren Job gefährdet, falls Sie das befürchten. Besonders da ich weiß, wie es ist, nicht weiterarbeiten zu können.“ Er holte tief Luft und stieß sie mit einem Seufzer aus. „Und, ja, ich habe mich heute Abend etwas gehen lassen. Aber Sie sind eine sehr attraktive Frau, und es ist lange her, dass ich so anregende Gesellschaft hatte. Da wir demnächst mehr Zeit miteinander verbringen werden, möchte ich, dass zwischen uns ein freundschaftlicher Ton herrscht. Mehr nicht.“ Natürlich war da mehr, und das wusste sie vermutlich. Doch damit würden sie umgehen, wenn es so weit war. Und der Zeitpunkt würde kommen. Wenn es nach ihm ginge, schneller, als sie dachte.

„Also gut“, sagte sie und lächelte verhalten. „Gegen Freundschaft habe ich nichts, solange Ihnen klar ist, wer der Boss ist.“

Er grinste. „Das war mir sofort klar, als ich Ihnen zum ersten Mal begegnete. Aber seien Sie nachsichtig mit mir. Üblicherweise habe ich das Sagen.“

Sie zwinkerte ihm zu, und sein Puls begann augenblicklich zu rasen. „Ich weiß, und Macht ist eine süße Droge, nicht?“

Er lachte laut auf und fühlte sich plötzlich so lebendig wie lange nicht mehr. „Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht doch nach Hause bringen soll? Ich kann mit dem Taxi zurückfahren, das ist überhaupt kein Problem.“

Sie schob ihre schlanke Hand in die Leinentasche und holte ihr Handy heraus. „Ich habe das bei mir und eine Dose mit Pfefferspray und auf dem Rücksitz einen Baseballschläger. Wenn ich die bösen Buben nicht mit dem Spray verscheuche, bin ich mit dem Schläger sehr zielsicher.“

„Wow! Erst das Rasiermesser und jetzt das. Ich muss aufpassen, dass ich Sie nicht verärgere.“

„Keine Sorge, da passe ich schon auf.“ Damit sprang sie die Stufen hinunter und stieg in ihr Auto.

„Seien Sie vorsichtig“, rief er ihr nach.

Sie streckte den Kopf aus dem Fenster und machte das Okay-Zeichen.

Noch lange nachdem die Rücklichter außer Sicht waren, stand er da und starrte auf die Stelle, wo ihr Auto geparkt hatte. Er kämpfte gegen die Einsamkeit an, die sein Leben neuerdings beherrschte. Und gegen die starke Kraft, die ihn zu Brooke Lewis hinzog – zu seiner Physiotherapeutin. Es war ein Kampf, dem er sich nicht recht gewachsen fühlte.

Aber eigentlich wollte er ganz gern unterliegen.

So kann es nicht weitergehen, dachte Brooke. Nicht nachdem sie sich an dem Abend fast geküsst hatten. Und mit diesem Kampf gegen eine Anziehung, die vollkommen unvernünftig war.

Sie musste als Jared Grangers Physiotherapeutin kündigen, obwohl sie die Vorstellung hasste. Und sich dafür, dass sie sie hasste.

Brooke schob sich den letzten Rest ihres Waldorfsalats in den Mund. Auf die Geräusche in der Klinik-Cafeteria, das gleichmäßige Stimmengewirr und das Klappern des Geschirrs, achtete sie nicht, bis sie Dr. Kempners Stimme hinter sich vernahm.

Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah ihn mit einem Kollegen am Tisch sitzen, der jedoch gerade aufstand und ging. Jetzt war Dr. Kempner allein, und sie konnte ihr Vorhaben in die Tat umsetzen.

Langsam schlenderte sie zu seinem Tisch. Dort angelangt, räusperte sie sich. „Kann ich Sie einen Moment sprechen, Dr. Kempner?“

Seine Reaktion war zunächst verhalten, er erwartete wahrscheinlich eine Schwester, die für ihn schwärmte. Sobald er sie erkannte, lächelte er. „Aber immer, Brooke. Ich wollte sowieso mit Ihnen über Dr. Grangers Therapie reden.“

Einen besseren Einstieg hätte sie sich nicht wünschen können, trotzdem beschlich sie leise Furcht. Wenn Jared Granger nun bereits selbst beschlossen hatte, den Therapeuten zu wechseln? Das würde natürlich vieles erleichtern, denn es entspräche ja ihrem Wunsch. Warum war sie dann auf einmal so entsetzlich enttäuscht?

Dr. Kempner stand auf, kam um den Tisch herum und bot ihr einen Stuhl an. „Setzen Sie sich doch.“

Sie nahm Platz und verkrampfte die Hände im Schoß. Sie wollte nicht, dass man ihr Zittern sah. „Offen gestanden, wollte ich mich auch mit Ihnen über Dr. Granger unterhalten.“

„Das passt ja, ich habe nämlich gerade mit ihm telefoniert. Ich weiß nicht, was Sie mit ihm angestellt haben, aber ich hoffe, Sie machen weiter.“

Ihr blieb fast die Luft weg. „Wie bitte?“

Nick Kempner lehnte sich zurück und fuhr sich durch das dunkle Haar. „So aufgekratzt habe ich ihn nicht mehr erlebt seit dem Unfall. Er will die Therapie unbedingt fortsetzen. Direkt begeistert klang er. Zum ersten Mal sprach er davon, dass er eventuell wieder operieren könnte.“

„Das hat er wirklich gesagt?“

Er lächelte breit. „Aber ja, das hat er. Sie sind genau das, was er braucht. Und die Idee mit den Hausbesuchen hat bei ihm eine totale Kehrtwendung bewirkt. Ich wünschte, ich wäre eher darauf gekommen, dann wäre er vermutlich schon viel weiter. Wenn Sie mich fragen – Sie haben wahre Wunder vollbracht.“

Brooke hatte auch vorher schon Komplimente für ihre Behandlungsmethoden bekommen, doch meistens von Patienten und nicht von dem behandelnden Arzt. Sie konnte sich eines Anflugs von Stolz nicht erwehren. „Schön zu hören, dass er jetzt positiver eingestellt ist. Aber ich weiß nicht, ob es richtig ist, wenn ich weiter mit ihm trainiere.“

Dr. Kempner beugte sich vor und spielte mit einem Löffel. „Das verstehe ich nicht. Jared ist doch sehr glücklich mit Ihnen.“

„Das freut mich.“ Mehr, als sie zugeben mochte, das war ja das Problem. „Ich frage mich nur, ob jemand anderes es nicht noch besser machen würde. Vielleicht jemand mit mehr Erfahrung.“

Er hörte auf, den Löffel zu drehen, und sah sie prüfend an. „Wie lange arbeiten Sie jetzt in Ihrem Beruf?“

„Fünf Jahre, die Praktika eingeschlossen.“

„Dann haben Sie doch genug Erfahrung.“

Sicher, aber sie war nicht erfahren genug, um mit Jared Granger und seiner erotischen Ausstrahlung fertig zu werden. „Mag sein.“

„Ist da etwa noch ein anderes Problem?“

Himmel, sah er ihr das an der Nasenspitze an? „Wie meinen Sie das?“

„Ich meine, macht er Ihnen noch immer Schwierigkeiten?“

Oh ja, das tat er. Aber das war schließlich normal, wenn eine Frau sich von einem Mann dermaßen angezogen fühlte. Diese endlosen Nächte, wenn sie sich, von ihm fantasierend, im Bett hin und her wälzte wie ein klinischer Fall von Schlafstörung. Aber sie wagte nicht, Dr. Kempner das zu gestehen. „Er macht seine Übungen für zwischendurch nur widerstrebend.“ Das klang zumindest nachvollziehbar.

„Nein, er trainiert jetzt regelmäßig. Allein heute drei Mal.“

Sie konnte ein zufriedenes Lächeln nicht unterdrücken. „Wirklich?“

„Ja. Und er wollte wissen, ob Sie nicht drei Mal pro Woche kommen können anstatt zwei Mal. Ich denke, das ist Ansporn genug für Sie, wie geplant fortzufahren.“

Jareds blaue Augen, seine schönen Hände, sein athletischer Körper waren viel mehr Ansporn … Halt, seit wann nannte sie ihn in Gedanken Jared? Sie strich sich über die Stirn und schloss die Augen. So konnte es nicht weitergehen.

Der schrille Ton von Dr. Kempners Piepser riss sie aus ihren Überlegungen.

Er nahm die Nachricht entgegen und erhob sich hastig. „Ich muss gehen, das war der OP. Wahrscheinlich haben sie meinen nächsten Patienten hinaufgebracht.“

„Hey, Brookie!“, schallte es durch den Raum.

Dr. Kempner hielt inne.

Das hatte ihr gerade noch gefehlt, dass Michelle diesen albernen Kosenamen quer durch die voll besetzte Cafeteria schrie.

Nick Kempner schaute zu der lächelnden Michelle und fragte Brooke: „Eine Bekannte von Ihnen?“

War es ein Vergehen, Verwandte zu verleugnen? „Im Augenblick würde ich zwar am liebsten Nein sagen, aber, ja, das ist meine Schwester.“

Dr. Kempner wirkte mehr als oberflächlich interessiert an Michelle, die, ungerührt von der Aufmerksamkeit des Chirurgen und vermutlich jedes Arztes im Raum, ihre langen dunklen Haare zurückwarf. Aber das war ja nichts Neues.

„Arbeitet sie hier?“

„Ja, sie ist die neue Pressesprecherin.“

Er wandte keinen Blick von Michelle, als wäre sie ein Magnet. Auch das war nichts Neues.

„Ich sehe sie zum ersten Mal“, sagte er.

Gut, das haben Sie nun, und von einem Foto von ihr hätten Sie länger etwas, hätte Brooke am liebsten bemerkt. Stattdessen sagte sie: „Was Dr. Granger betrifft, ich finde wirklich …“

„Richtig, Dr. Granger.“ Es gelang Kempner tatsächlich, sich von Michelles Anblick loszureißen, und er nahm sein Tablett hoch. „Ich ändere den Behandlungsplan auf drei Mal pro Woche. Machen Sie mit ihm die Termine aus. Und behalten Sie Ihre hervorragenden Methoden bei.“

Damit war er weg, wie eine Vision selbstgewisser Männlichkeit in Blau.

Was war eigentlich geschehen? Offenbar war sie überrumpelt worden. Sie musste mit Jared Granger weiterarbeiten, jedenfalls vorerst. Zumindest bis es seiner Hand etwas besser ging. Das bedeutete mehr Hausbesuche, mehr Händchenhalten, mehr engster Körperkontakt mit einem frustrierten Mann, der sich beweisen wollte, dass seine Anziehungskraft auf Frauen nicht nachgelassen hatte. Aber dafür brauchte sie gar keinen Beweis.

Sie würde einfach stark bleiben müssen. Die Signale ignorieren, die sie an einem sehr femininen Punkt ihres Körpers trafen. Auch wenn das so leicht wäre, wie eine Rakete im Garten zu ignorieren. Irgendetwas bliebe dabei auf der Strecke, doch das würde bestimmt nicht sie sein.

4. KAPITEL

Jared war kein Sklave der Uhr, doch als es auf siebzehn Uhr zuging, begann er, die Minuten zu zählen. Wie lächerlich, dass er über den Besuch seiner Physiotherapeutin so in Erregung geriet. Aber es war nicht die Behandlung, auf die er sich freute. Die Tatsache, dass er Brooke wiedersehen würde, entfachte seine Lebensgeister.

Seit zwei Wochen kam sie regelmäßig auf seine Farm und verhielt sich während der Sitzungen streng sachlich. Dennoch schätzte er Brooke Lewis von Mal zu Mal mehr – ihr lockeres Geplauder, ihr munteres Lachen, ihre Heiterkeit. Das alles setzte sie geschickt ein, um ihm sein schweres Los zu erleichtern. Sie besaß eine unglaubliche Gabe, ihn bei Laune zu halten, während sie ihn mit sanfter Gewalt zum Trainieren brachte. Er hatte nichts das Geringste gegen ihre Hartnäckigkeit, er mochte sie sogar. Bei jedem Besuch musste er gegen den Drang ankämpfen, Brooke privat näher kennenzulernen. Doch er hielt sich zurück, denn er fürchtete, dass sie sonst nicht wiederkäme.

Er redete sich ins Gewissen. Wenn er seinen Hormonen die Herrschaft überließe, wäre sie wie der Blitz aus seinem Leben verschwunden, mitsamt ihren begnadeten Händen.

Doch als es nun an der Tür klopfte, war er in Rekordzeit zur Stelle. Zwar konnte er sich mit seinem neuen Gehgips besser fortbewegen, aber zu einem Marathonlauf oder zur Jagd auf widerstrebende Frauen reichte es bei Weitem noch nicht.

Brooke stand mit dem Rücken zu ihm auf der Veranda, als er die Tür öffnete; wahrscheinlich betrachtete sie den Sonnenuntergang. Die Strahlen zauberten Lichtsprenkel auf ihr Haar, das jetzt kupferrote Töne zeigte, die er noch nie bemerkt hatte. Er hatte jedoch eine Reihe andere Dinge an ihr bemerkt, seit sie ihre Hausbesuche in lässiger Kleidung machte. Heute trug sie ausgeblichene Jeans und ein weites Flanellhemd, das ihren Po fast völlig bedeckte. Als sie sich umdrehte, stellte er fest, dass das Hemd offen stand und ein weißes Strick-Top sehen ließ, ähnlich dem, das sie beim ersten Mal unter dem schrecklichen Kittel getragen hatte. Es umschloss ihre Brüste wie eine zweite Haut.

„Hi. Was für ein schöner Abend“, sagte sie.

„Ja, es ist ziemlich warm.“ Oder lag es an ihrer Gegenwart, dass ihm der Herbstabend ungewöhnlich schwül vorkam? Er humpelte zu ihr hinaus auf die Veranda und widerstand dem Verlangen, mit der gesunden Hand durch die ungebändigte Fülle dieser seidigen Locken zu fahren.

„Wo ist Ihre Krücke?“, fragte sie.

„Die brauche ich nicht mehr.“

Sie blickte auf sein Bein. „Aha, ein Gehgips. Das ist ja schon viel besser.“

„Oh ja.“ Er hob die Hand. „Und dies auch.“ Er konzentrierte sich auf seine steifen Finger und beugte sie ein Stück. Eine Faust war es nicht, aber nicht weit davon entfernt, bis auf den Zeigefinger, der offenbar nicht richtig heilen wollte.

Sie applaudierte und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Ausgezeichnet, Dr. Granger. Ich sehe, Sie sind brav gewesen.“

Im Moment fühlte er sich überhaupt nicht brav. Er verspürte den starken Impuls, sie in die Arme zu nehmen, einerseits aus Dankbarkeit, aber mehr noch, um sie zu berühren. Er beherrschte sich, ließ die Hand sinken und schob die andere in die Tasche. „Ich habe mich angestrengt, wie Sie befohlen hatten. Und ich finde, das sollten wir feiern.“

Ihr Lächeln schwand, sie zog die Stirn kraus. „An was dachten Sie da so?“

„Wie wär’s mit einem Spaziergang, bevor es dunkel wird?“

„Und die Behandlung?“

„Das machen wir, sobald wie zurück sind. Es wird keine Wanderung, ich kenne meine Grenzen.“ Er pochte mit dem Gips auf die Holzdielen. „Es sei denn, Sie haben heute Abend noch etwas vor.“ Falls nicht, würde er meilenweit mit ihr laufen.

„Nein, ich habe nichts vor. Aber meinen Sie nicht, es wäre besser, wir …“

„Bitte, Brooke. Ein kleiner Bummel den Pfad hinunter.“ Er wies auf eine Gruppe Eichen wenige Meter entfernt. „Nur bis dort hin.“

Sie schaute über die Schulter zu der bezeichneten Stelle. „Okay, einverstanden. Ich glaube, ein bisschen Bewegung wird mir guttun.“

Während er langsam die Stufen hinunterhüpfte, wartete Brooke unten geduldig. Sie bot ihm nicht die Hand, um ihn zu stützen, was ihm einerseits gefiel, andererseits wünschte er, sie täte es. Er empfand das heftige Bedürfnis, ihre Hände zu spüren. Aber das würde ja bald erfüllt werden, zumindest während der Therapiesitzung. Er musste sich eben mit den wenigen Kontakten begnügen, obwohl er sich nach mehr sehnte.

Sie ging ungezwungen wieder zu ihrem sachlichen Verhalten über und hielt Distanz, während sie das Eisentor hinter sich ließen und den Pfad einschlugen, der zur südwestlichen Grenze der Wiese führte. Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, nur einzelne Vogelrufe und das Knistern des trockenen Grases unter ihren Schritten waren zu hören.

Jared wies mit dem Kopf auf eine wenige Meter entfernte Stelle am Weg. „Dort ist es passiert.“

Brooke betrachtete den Traktor, der wie ein düsteres Denkmal für Jareds Achtlosigkeit wirkte. „Er steht noch genauso da?“

„Ja. Ich kann ihn nicht bewegen, und ich habe niemanden, der es für mich tun würde.“

„Keine Freunde?“

„Höchstens Kempner, aber er hat nicht viel Ahnung von Landmaschinen. Er interessiert sich nur für Geräte, mit denen man Frauen beeindrucken kann.“

Sie lachte leise. „So schlimm ist er bestimmt nicht.“

Jared lächelte. „Nicht ganz so schlimm, wie manche meinen. Seit seiner Scheidung hat er den Frauen abgeschworen – das behauptet er jedenfalls.“

„Und Sie?“

Er hatte genügend Frauen gekannt, doch es war keine darunter, bei der es ihn länger gehalten hätte. Bis er Brooke kennengelernt hatte. Er warf ihr einen Seitenblick zu und merkte an ihrer verlegenen Miene, dass sie ihre Frage bereute.

„Nicks Scheidung hat mich nicht sonderlich beeinflusst“, sagte er, um dem Thema den Ernst zu nehmen.

„Was ist mit Candy?“

Den Namen hörte er gar nicht gern. Er legte keinen Wert darauf, sich an diese Frau zu erinnern. „Wieso wissen Sie davon?“

„In der Klinik bleibt nichts lange geheim. Ich habe Sie beide aber auch im Fernsehen gesehen, als Candy über die Spendenaktion für die neue Kinderstation berichtete.“

Jared wartete, bis ein geräuschvoller Schwarm Vögel davongeflogen war. Er wollte sichergehen, dass Brooke genau verstand, was er ihr über Candy Rawlings mitzuteilen hatte. Sie sollte eindeutig erfahren, dass ihm nichts an einer Frau lag, die sich lediglich einen wohlhabenden Arzt hatte angeln wollen. „Das Positivste, was ich über Candy sagen kann, ist, dass sie enorm selbstsicher ist. Leider mochte ich sie nicht so sehr wie umgekehrt.“

„Interessant.“ Brooke lächelte und zeigte dabei ein Grübchen sowie ein ironisches Augenzwinkern. „Dann war es also keine Herzensangelegenheit.“

„Sie meinen, ob wir miteinander geschlafen haben?“

Ihre Augen wurden groß, und sie schaute zur Seite. „Nein, das meinte ich nicht. Ich meinte nur …“ Sie kreuzte die Arme über ihrem Oberkörper. „Verzeihung, das war eine aufdringliche Frage. Es geht mich wirklich nichts an.“

Er blieb stehen. „Da Sie nun einmal gefragt haben – ja, wir hatten eine kurze Beziehung. Momentan bin ich solo, wenn es das ist, was Sie wissen wollten.“

Die Arme immer noch um sich gelegt, drehte sie sich zu ihm. „Erzählen Sie mir von dem Unfall. Wie ist es passiert?“

Wie elegant sie das Thema wechselte – auch eine ihrer positiven Eigenschaften. Wenn es nach ihm ginge, würde er sie alle gründlich erforschen. Aber wenn er nicht aufhörte, in solche Richtungen zu denken, würde er seine Erkundungen auf der Stelle beginnen, hier, inmitten der Natur, und der Natur ihren Lauf lassen.

Jared riss ein Grasbüschel aus und warf es weg, wobei er wünschte, er könnte die hässlichen Erinnerungen ebenso leicht loswerden. „Der Unfall geschah aus reiner Dummheit.“ Er erzählte den Ablauf. „Zum Glück hatte ich mein Handy dabei und ein Halstuch, um meine Hand zu verbinden, sonst wäre ich womöglich verblutet, bis die verflixte Ambulanz kam. Sie brauchten zwanzig Minuten.“

„Das muss ja schrecklich gewesen sein.“

„Ja, es war sicherlich kein erhebender Moment.“

Dafür war ihm jetzt einer vergönnt. Als sie zurückgingen, hielt er sich absichtlich ein paar Schritte hinter ihr und genoss den Anblick. Das weiche Flanellhemd umspielte ihren sexy Po, und die engen Jeans betonten die gerundeten Hüften. Er hielt nichts von Frauen, die nur aus Haut und Knochen bestanden, er hatte es lieber feminin – etwas zum Anfassen. Etwas Echtes. Und Brooke war herzerfrischend natürlich.

„Ich nehme an, Sie kommen hier heraus, um abzuschalten“, sagte sie und unterbrach seinen Gedankengang.

Er dachte an die vergangenen Wochen auf seiner Farm. Sie war wirklich ein idealer Schlupfwinkel. „Ja, so war es auch an jenem Wochenende, ich wollte einfach raus. Am Tag zuvor war eine junge Patientin gestorben. Es ist mir sehr nahegegangen. Ich war in Gedanken bei ihr und nicht bei meiner Tätigkeit.“

Er wusste nicht, warum er Brooke Lewis das enthüllte, aber irgendwie glaubte er, sie würde ihn verstehen. Niemandem sonst hatte er erzählt, wie stark Kayla Browns Tod ihn mitnahm. Wie hilflos er sich fühlte. Dass er diese Last nun mit jemandem teilte, war ihm ein großer Trost.

Brooke blieb stehen und drehte sich um. „Wie traurig. Von dem Tod des Mädchens wusste ich nicht. Es muss furchtbar sein, einen Patienten zu verlieren. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie Sie damit fertig werden.“

„Auf dieselbe Weise wie Sie.“

„Aber meine Patienten kommen, wenn das Schlimmste vorbei ist, sie können wieder gesund werden. Ich wüsste nicht, wie ich einen Sterbefall verkraften sollte.“

Ohne nachzudenken, trat Jared zwei Schritte vor. Er kam ihr so nah, dass er ihr eine Locke aus der Stirn streichen konnte. „Das würden Sie. Wenn Sie mit mir fertig werden, schaffen Sie alles.“

Sie kniff die Augen zusammen wie ein Schütze, der einen zielgenauen Schuss abgeben wollte. „Sie sind gar nicht so hart, Dr. Granger.“

Autor

Barbara Boswell
Barbara Boswell war als Krankenschwester tätig, bis sie sich ganz der Kindererziehung widmete. Sie begann 1983 zu schreiben und veröffentlichte 22 Romane.
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