Baccara Exklusiv Band 67

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DEIN SINNLICHSTES VERSPRECHEN von CHILD, MAUREEN
Die langen, muskulösen Beine in einer engen Jeans, den Stetson ins Gesicht gezogen: Für Nora scheint der sexy Rancher Mike wie das Versprechen einer perfekten sinnlichen Nacht. Doch die schöne Konditorin ist noch Jungfrau - und Mike will nicht ihr erster Mann sein ...

MIT DIR EIN LEBEN LANG von GREIMAN, LOIS
Erst fackelt sie beim Eierkochen fast seine Ranch ab, dann steht sie unschuldig nur mit einem Handtuch bekleidet vor ihm. Der raue Cowboy Tyrel könnte verzweifeln. Wenn er bloß nicht davon träumen würde, Hannah zu küssen und sie ein Leben lang heiß zu verwöhnen ...

JEDEN TAG EIN BISSCHEN MEHR von CLARK, CHRISTIE
Was für ein Sex-Appeal er hat, denkt Kirby, als der smarte Unternehmer Carl Tannon vor ihr steht. Sie spürt, wie seine erotische Ausstrahlung sie jeden Tag immer mehr zu ihm hinzieht. Aber sie weiß auch, dass er nur gekommen ist, um seine Tochter von ihr zu fordern ...


  • Erscheinungstag 09.03.2010
  • Bandnummer 67
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956364
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maureen Child, Christie Clark, Lois Greiman

BACCARA EXKLUSIV, BAND 67

MAUREEN CHILD

Dein sinnlichstes Versprechen

Rancher Mike kann es kaum fassen. Nora ist noch Jungfrau, und er soll sie in die körperliche Liebe einweisen. Zwar ist die schöne Konditorin mit ihren langen Beinen und dem süßen Po ein noch sinnlicheres Versprechen als ihre Zimtschnecken. Dennoch will er nicht ihr erster Mann sein. Denkt er. Bis Nora einen anderen bittet und ihn die Eifersucht quält ...

CHRISTIE CLARK

Jeden Tag ein bisschen mehr

Abends steht sie in einem Hauch von Nichts auf der Bühne und heizt den Männern mit ihrer samtigen Stimme ein. Dieser Frau soll ich meine Tochter anvertrauen? Niemals!, empört sich der Unternehmer Carl Tannon. Es sei denn, die Sängerin Kirby ist bereit, eine Weile mit ihm zu leben und ihm die Chance zu geben, sie jeden Tag ein bisschen besser kennen zu lernen ...

LOIS GREIMAN

Mit dir ein Leben lang

Hannah Nelson ist im noblen Aspen aufgewachsen. Doch nach einer Autopanne soll sie auf einer einfachen Ranch übernachten! Nein danke, denkt Hannah – bis der sexy Besitzer sie anlächelt wie Robert Redford. Und dazu so ansieht, dass ihr ganz heiß wird. So heiß, dass sie wünscht, nicht nur einmal, sondern ein Leben lang bei diesem Mann zu übernachten ...

1. KAPITEL

Nora Bailey konnte sich Besseres vorstellen, als die einzige Jungfrau weit und breit zu sein.

Aber sie würde das bald ändern, und wenn es das Letzte war, was sie je tat. Sie war zu allem entschlossen. Die Frage war nur, welcher Mann sollte sie aus diesem unerwünschten Zustand befreien? Die Auswahl in ihrer kleinen Stadt ließ eher zu wünschen übrig.

Nora sah aus dem Fenster ihrer Bäckerei und beobachtete die Bürger von Tesoro, die den schönen Frühlingsmorgen genossen. Mit prüfendem Blick betrachtete sie ausnahmslos die Männer, die die belebte, enge Hauptstraße entlanggingen.

Zuerst sah sie Dewy Fontaine, vermutlich kaum einen Tag jünger als neunzig, der gerade die Apotheke gegenüber betreten wollte. Er blieb kurz stehen, um Dixon Hill zu begrüßen, den stolzen Vater von sechs Kindern und zum dritten Mal verheiratet. Nora schauderte es.

Trevor Church raste auf seinem Skateboard vorbei. Niedlich, aber schließlich erst achtzehn Jahre alt, Himmel noch mal! Der Junge vollführte eine geschickte Drehung, als er die Ecke nahm und verschwand. Nein, so verzweifelt war sie denn doch noch nicht.

Harrison De Long, sechzig und immer ein bisschen zu lebhaft, blieb stehen, um Bekannte zu begrüßen und Babys zu küssen. Er hatte sich schon wieder als Bürgermeister zur Wahl gestellt, und wer vertraute schon einem Politiker?

Mike Fallon. Nora seufzte sehnsüchtig. Nein, er kam leider nicht infrage. Aber sie zögerte. Ihr Blick verweilte einen Moment auf ihm, während er die Straße zur Eisdiele hinunterschlenderte. Er war hochgewachsen und trug eine verwaschene Jeans und ein kurzärmeliges dunkelrotes Hemd. Seine Stiefel waren abgetragen, sein Haar war zerzaust von der leichten Brise, und Nora wusste, ohne es von ihrem Standort genau sehen zu können, dass seine grünen Augen ernst und wachsam in die Welt blickten. Mike vertraute nur einem einzigen weiblichen Wesen, und das war seine fünfjährige Tochter Emily. In diesem Augenblick lief das kleine Mädchen zu seinem Vater und packte seine Hand mit beiden Händen. Mike sah sie an und schenkte ihr sein seltenes, aber atemberaubendes Lächeln.

Wirklich zu schade, dass Mike nicht infrage kam.

„Ist das nicht wieder typisch?“, murmelte sie vor sich hin. „Endlich bin ich so weit, den entscheidenden Schritt zu tun, und es gibt keinen geeigneten Kandidaten, der dafür infrage kommt.“

Als sie noch zur Schule ging, hatte sie beschlossen, bis zu ihrer Heirat Jungfrau zu bleiben. Damals schien es eigentlich ein recht intelligenter Gedanke zu sein, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie mit achtundzwanzig Jahren immer noch Jungfrau sein würde.

Sie hatte angenommen, dass sie nach dem College den Richtigen finden, heiraten und Kinder bekommen würde. Ganz schön altmodisch, das gab sie gern zu, aber immerhin war sie in Tesoro geboren und aufgewachsen, einer winzigen Küstenstadt in Kalifornien, wo die Leute immer noch selbst gebackene Kuchen versteigerten, um Geld für die Schule zu sammeln. Wo die Nachbarn sich umeinander kümmerten und fast keiner jemals die Haustür abschloss. Und wo es leider schwieriger war, einen unverheirateten Mann zu finden als einen kalorienfreien Schokoladenkuchen.

Seit ihrem College-Abschluss waren elf Jahre vergangen, und Nora war immer noch so unberührt wie frisch gefallener Schnee. Die Sache mit dem Zölibat hatte ihren Glanz schon längst eingebüßt. Noras jüngere Schwestern waren beide verheiratet und hatten je ein Baby. Sie hatte versucht, geduldig zu sein, und sich immer wieder gesagt, dass der Richtige schon irgendwann auftauchen würde. Aber wenn sie ehrlich sein wollte, fing sie in letzter Zeit an, ernsthaft daran zu zweifeln. Sie gehörte nun mal nicht zu den Frauen, nach denen die Männer sich umdrehten. Nichts an ihr war auffallend oder gar aufregend.

Ihre Schwestern waren zierlich und hübsch. Nora war hochgewachsen, freimütiger als gut für sie war, und zu allem Überfluss ziemlich dickköpfig. Zum Flirten hatte sie nicht das geringste Talent, weil sie zu ehrlich war, um neckische Spielchen zu spielen. Außerdem arbeitete sie zu hart daran, ihr Geschäft aufzubauen, um ihre Zeit in Bars und Tanzclubs verbringen zu können.

Aber den Anstoß zu ihrem Entschluss, dem Jungfrauendasein ein für alle Mal ein Ende zu bereiten, hatte jemand gegeben, der erst gestern in Noras Bäckerei geschlendert war. Becky Sloane würde bald heiraten. Das Kind, für das Nora vor, wie es schien, einer kleinen Ewigkeit den Babysitter gespielt hatte, war hereingekommen, um ihre Hochzeitstorte zu bestellen – eine vierstöckige Torte aus weißer Schokolade mit rosafarbenen und gelben Marzipanrosen. Becky, oder vielmehr deren Mutter, scheute keine Kosten. Mit ihren neunzehn Jahren war Becky schon bei ihrer zweiten Verlobung angelangt, und Nora war sicher, dass sie sich auch bei Nummer eins nicht geziert hatte.

Und da hatte Nora sich plötzlich gefragt, für wen sie sich eigentlich aufsparte. Wenn sie so weitermachte, würde sie noch als Jungfrau beerdigt werden. Himmel, wie deprimierend! Und deswegen war sie jetzt so entschlossen, diese Situation zu ändern. Wie viel Selbstverleugnung konnte man schließlich von einer schwachen Frau erwarten?

Natürlich hatte sie gestern beim Mittagessen ihren Entschluss mit ihrer besten Freundin Molly Jackson besprochen und die Begegnung mit Becky Sloane erwähnt.

„Becky Sloane?“, hatte Molly gesagt. „Ich erinnere mich noch an die Zeit, als sie sich noch nicht allein die Schnürsenkel binden konnte.“

„Ich weiß. Ach Molly, ich komme mir plötzlich so alt vor.“

„Himmel, wie demütigend für dich“, meinte Molly und nahm einen Schluck von ihrem Saft. „Becky heiratet, und du bist immer noch Jungfrau.“

„Vielen Dank“, erwiderte Nora trocken. „Ich fühle mich jetzt so viel besser.“

Molly verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. „Entschuldige.“ Die elfenhaft zierliche Molly mit ihren grünen Augen und dem kurzen roten Haar strich mitfühlend über ihre Hand. Sie betrieb ein Grußkartengeschäft, das sie von zu Hause aus leitete, und war außerdem Mutter des süßesten sechsmonatigen Mädchens auf der ganzen Welt und verheiratet mit dem Sheriff der Stadt, der sie förmlich anbetete.

„Wann findet die Hochzeit statt?“, fragte Molly.

„Nächste Woche. Samstag.“

Molly hob ihre Augenbrauen. „Das ist aber schnell.“

„Ja. Und um ehrlich zu sein, Becky sah auch nicht besonders gut aus. Sie war ein bisschen grün im Gesicht.“

„Aha. Dann gibt es vielleicht einen Grund für die Eile, was?“

„Ich weiß nicht“, sagte Nora. „Aber wenn Becky verheiratet ist, dann hat sie einen eindeutigen Vorsprung vor mir.“

Molly lächelte und schüttelte den Kopf. „Wetteifert ihr etwa miteinander?“

„Nein.“ Nora seufzte und lehnte sich zurück. „Es ist nur so, dass ich auf sie aufgepasst habe, als sie klein war, und jetzt fängt sie ihr Leben an, und ich …“

„Du backst leckere Zimtbrötchen.“

„Genau.“ Nora wäre fast in Tränen ausgebrochen.

„Nun, du weißt ja, sonst sag ich liebend gern: ‚Ich hab’s dir ja gesagt‘, aber diesmal werde ich davon Abstand nehmen.“ Molly zwinkerte ihr zu. „Ich finde nur, dass es höchste Zeit ist, dass du etwas unternimmst, Nora. Du weißt, dass die meisten Männer Jungfrauen aus dem Weg gehen, als hätten sie die Pest. Sie halten sie für zu romantisch und haben Angst, von ihnen in eine Ehe gelockt zu werden.“

„Stimmt.“

Wenn sie also den Richtigen finden wollte – fall es ihn überhaupt gab –, dann musste sie sich endlich von ihrem Jungfrauendasein befreien. Eine erfahrene Frau würde vermutlich mehr Glück haben.

Im hinteren Teil der Bar spielte eine alte Jukebox Songs aus den Sechzigerjahren. An der einen Wand befand sich eine Reihe von Nischen mit roten Vinylsitzen, die im Lauf der Jahre unzählige Kratzer abbekommen hatten.

Nora und Molly saßen an einem Tisch am anderen Ende des Raums. Die Blätter mehrerer rankender Efeus boten teilweise Sichtschutz wie in einer Laube. Ein paar Stammgäste saßen auf Barhockern, und einige Paare schmiegten sich in den Nischen aneinander.

Nora seufzte, riss sich vom Anblick des verliebtesten Paars los und sah ihre Freundin ernst an. „Meine Aufgabe ist also, eine Exjungfrau zu werden.“

„Sage ich dir das nicht schon seit fünf Jahren?“

Nora sah sie vorwurfsvoll an.

Molly grinste. „Schon gut, schon gut, ich habe versprochen, nichts zu sagen.“ Sie hob die Hand wie zum Schwur. „Ich werde dich nie wieder darauf aufmerksam machen, dass du zu lange gebraucht hast, um zu merken, dass männliche Singles in Tesoro fast ausgestorben sind. Aber es ist dennoch besser, in deiner Heimatstadt einzukaufen, um es mal so auszudrücken. Wer weiß, was für Männer dir in der Großstadt begegnen?“

Nora musste lächeln. Wenn sie sich auf etwas verlassen konnte, dann darauf, dass Molly immer völlig ehrlich mit ihr sein würde. Selbst wenn sie ihr etwas sagen musste, was Nora nicht gern hören würde.

„Ich fühle mich schon ein bisschen besser.“

„Und bald sogar noch besser“, versicherte Molly ihr und leerte ihre Margarita. „Sobald du dieses kleine Hindernis aus dem Weg geschafft hast.“

„Klein?“

„Na schön, nicht allzu klein. Aber wir werden einen Mann für dich finden, warte es nur ab. Ich meine, du bist schließlich keine alte, verschrumpelte Jungfer oder so. Jedenfalls noch nicht.“

Nora überlief ein Schauder. Was für ein fürchterlicher Gedanke. Sie stellte sich vor, wie ihr Leben in vierzig Jahren aussehen würde, und sie sah deutlich vor ihrem inneren Auge, dass sie völlig allein war, abgesehen von etwa einem Dutzend Katzen, die über ihre mit Häkeldeckchen geschmückten Möbel krabbelten. Oh nein, das war nicht das Leben, das sie sich wünschte. Sie wollte eine Familie, sie wollte Liebe und Leidenschaft. Und es war höchste Zeit, dass sie anfing, die richtigen Bedingungen dafür zu schaffen. Wenn sie es nicht tat, wer würde es dann tun?

„Ich werde es doch schaffen, Molly, oder?“

„Aber klar doch.“

Bevor Nora sich ein wenig entspannen konnte, fragte Molly: „Welche Frist wollen wir festsetzen?“

„Frist?“

Molly nickte. „Ich kenne dich, Nora. Wenn man dich nur lässt, redest du dir die ganze Sache im Handumdrehen wieder aus. Wenn wir dir keine Frist setzen, wird nichts daraus werden, darauf wette ich. Am Ende lehnst du dich nur wieder bequem zurück und wartest darauf, dass der Richtige von selbst auftaucht.“

„Glaubst du wirklich, dass es den Richtigen gibt?“, fragte Nora leise. Früher hatte sie das zwar auch geglaubt, wie jede romantische junge Frau, aber je älter sie wurde, desto unwahrscheinlicher kam es ihr vor.

„Doch“, sagte Molly nach kurzem Überlegen. „Ich glaube es.“

Ihr Lächeln weckte ein kleines bisschen Neid in Nora, obwohl sie ihrer Freundin natürlich niemals das Glück mit Jeff missgönnen würde.

„Wie geht es eigentlich deinem Richtigen?“, fragte sie.

Molly lachte. „Wunderbar. Er passt im Büro gerade auf das Baby auf.“ Sie sah auf ihre Uhr und schnappte erschrocken nach Luft. „Was mich daran erinnert, dass ich ihn ablösen muss, damit er zur Arbeit zurückgehen kann. Aber bevor ich abrausche … bis wann?“

„Woher soll ich denn wissen, wie lange es dauern wird, Molly?

Sei bitte nicht albern.“

„Na schön, ich mach dir einen Vorschlag. Wie wär’s mit drei Monaten?“

Nora überlegte. Konnte sie es wirklich tun? Konnte sie wirklich irgendeinen Mann in die Falle locken, damit er sie von etwas erlöste, das ihr allmählich wie der berühmte Mühlstein um den Hals vorkam? Und wenn sie es nicht schaffte? Sollte sie dann schon mal langsam anfangen, sich Katzen anzuschaffen? Oh nein! „Okay. Drei Monate.“

„Gutes Kind.“ Molly grinste. „Bevor du weißt, wie dir geschieht, wirst du glücklich sein bis an dein Lebensende, Nora. Wart’s nur ab.“

Der Timer schrillte und riss Nora aus der Erinnerung an ihr gestriges Gespräch mit Molly. Sie eilte durch die Pendeltür in die Küche, griff nach einem Topfhandschuh, öffnete die Backofentür und holte das Blech mit den Zimtbrötchen heraus.

Sie lächelte, als sie sie zum Kühlen auf ein Regal stellte und mit geübtem Griff das nächste Blech in den Ofen schob. Als der Duft nach Nüssen und warmem Zimt den Raum erfüllte, lehnte Nora sich gegen die Marmortheke, die sie zum Teigkneten benutzte, und sah sich zufrieden um.

Ihre Küche war klein, aber sehr praktisch und mit den besten Geräten ausgestattet, die Nora sich leisten konnte. Sie hatte sich in Tesoro in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht. Ihre Bäckerei war so erfolgreich, dass sie sogar Kunden aus Carmel und Monterey anzog. Ihr Geschäft blühte, sie besaß ein schönes kleines Haus nur einen Block von der Bäckerei entfernt und eine Mutter und zwei Schwestern, die sie liebte. Das Einzige, was ihr noch zu ihrem Glück fehlte, war eine eigene Familie. Und das war ein Schmerz, der ständig an ihrem Herzen nagte.

Sie hatte immer geglaubt, dass sie Zeit haben würde. Während sie auf dem College war, hatte sie sich zu sehr auf ihren Abschluss konzentriert, um viel mit Männern auszugehen. Und nach dem Abschluss hatte sie Koch- und Konditorkurse belegt. Anschließend hatte sie all ihre Kraft für die Eröffnung ihrer Bäckerei eingesetzt. Und jetzt beanspruchte ihr Geschäft ihre ganze Zeit, damit es so erfolgreich blieb.

Aber ihr wurde allmählich immer klarer, was sie verpasste. Die Jahre waren so schnell an ihr vorbeigegangen, dass ihr kaum aufgefallen war, dass die meisten ihrer Freundinnen heirateten und Kinder bekamen. Und ihre biologische Uhr – sie hasste diesen Ausdruck! – raste weiter. Die Zeit wurde knapp. Sie wollte nicht erst eine Familie gründen, wenn sie vierzig war. Sicher, für viele Frauen war das kein Problem, aber sie selbst hatte sich ihr Leben anders vorgestellt.

Sosehr sie es auch genoss, die liebe Tante Nora für die süßen kleinen Kinder ihrer Schwestern zu sein, es reichte ihr einfach nicht. Und wenn sie diese Situation ändern wollte, musste sie sofort etwas unternehmen.

Einen Lichtblick gab es aber wenigstens bei dieser Sache. Jeder Mensch im Umkreis von zwanzig Meilen war zu Becky Sloanes Hochzeit eingeladen worden. Da war es doch wohl unausweichlich, dass sie, Nora, wenigstens einen passenden unverheirateten Mann kennenlernen würde. Oder?

„Um Himmels willen, Nora, wann hast du dich das letzte Mal maniküren lassen?“

Nora entzog ihrer Schwester die Hand und betrachtete ihre wirklich recht mitgenommenen Nägel. „Ich muss arbeiten, wie du vielleicht schon gehört hast.“

„Ach, keiner muss so viel arbeiten“, entgegnete Jenny. Sie griff wieder nach der Hand ihrer Schwester und fuhr fort, die Nägel mit der Nagelfeile zu bearbeiten.

„Was ist mit deinem Haar?“ Frannie starrte ihre ältere Schwester fasziniert im Spiegel an. „Hast du es schon wieder selbst abgehackt?“

Nora zuckte zusammen. „Ich nehme das Wort ‚hacken‘ sehr übel“, sagte sie beleidigt.

„Als Kosmetikerin nehme ich übel, was du mit deinem Haar gemacht hast.“

Ihre Schwestern. Nora seufzte. Beide zierlich und blond und umwerfend hübsch. Jenny und Franny, erst süße vier- und dreiundzwanzig Jahre jung, hatten beide ihre Freunde aus der Highschool geheiratet und waren im siebten Himmel. Nora gönnte es ihnen von Herzen, aber sie hätte gern auch ein wenig von ihrem Glück abbekommen. Ihre Schwestern waren sich im Alter so nah, dass sie wie Zwillinge immer alles zusammen unternommen hatten. Von Kindheit an hatten ihnen die Männer von Tesoro aus der Hand gefressen.

Nora war auch kein Kind von Traurigkeit gewesen, aber sie hatte immer mehr Spaß daran gehabt, selbst einen Sport auszuüben, statt von den Seitenlinien aus mit bunten Pompons herumzufuchteln. Und während ihre Schwestern es immer schafften, mit ihrem Charme die Meinung der anderen zu ihren Gunsten zu beeinflussen, hatte Nora es sich angewöhnt, mit ihrem Gegenüber zu diskutieren, bis sie jemanden überzeugt hatte oder er zu erschöpft war, um ihr zu widersprechen.

Warum war sie aber dann hier im kleinen Schönheitssalon gleich neben Frannies Haus und mutete sich diese Tortur zu?

Na schön, sagte Nora sich, es war vielleicht doch keine so gute Idee gewesen. Sie hatte gedacht, dass der schnellste Weg zu einer Verschönerung über ihre Schwestern führen würde. Aber war diese Quälerei es wirklich wert? Sie konnte sich bessere Dinge vorstellen, die sie stattdessen tun könnte.

„Ich kann es nicht fassen, dass du mich endlich an dein Haar heranlässt.“

„Komm nur nicht auf zu verrückte Ideen“, warnte Nora sie.

Frannie schnaubte amüsiert. „Keine Panik. Ich verspreche, dir nichts allzu Elegantes aufzudrängen.“

„Sehr witzig.“

„Danke schön.“

„Ich weiß nicht, was ich mit deinen Nägeln tun soll“, sagte Jenny entrüstet. „Sie sind in einem hoffnungslosen Zustand.“

Nora warf ihr einen wütenden Blick zu. „Dann hack sie doch einfach ab, und am besten meine Hände dazu.“

„Das sollte ich auch. Sie sind so rau, dass es eine Schande ist.“

Okay, sich helfen zu lassen war eine Sache. Aber still zu sitzen, während man heruntergemacht wurde, war etwas ganz anderes. „Das reicht. Ich verschwinde von hier. Ihr habt euren Spaß gehabt, kleine Schwestern.“

Frannie drückte sie auf den Stuhl zurück und sah ihr Spiegelbild streng an. „Wir versprechen, nicht mehr auf dir herumzuhacken, aber ich lasse dich nicht mit solchen Haaren aus meinem Laden hinaus. Die Leute werden denken, dass ich daran schuld bin, und dann ist mein Ruf im Eimer.“

„Das soll kein Herumhacken sein?“

„Letzter Seitenhieb, ich schwöre.“

„Ich auch.“ Jenny grinste. „Bleib schon sitzen, okay? Wir werden aus dir eine Prinzessin machen. Du wirst sogar die Braut in den Schatten stellen.“

Frannie kicherte. „Das wird gar nicht so schwer sein. Wie ich höre, leidet die arme Becky unter morgendlicher Übelkeit.“

„Ihre Mutter behauptet, es sei die Grippe“, sagte Jenny.

„Ja, der berühmte Neunmonatsvirus.“

Die Schwestern erzählten noch mehr lokalen Klatsch. Nora schloss die Augen und hoffte nur, dass sie sich wiedererkennen würde, wenn die beiden mit ihr fertig waren.

2. KAPITEL

Mike Fallon zerrte an dem dunkelblauen Schlips, der ihn beengte. Er beruhigte sich selbst damit, dass seine Anwesenheit bei dieser Hochzeit gut fürs Geschäft war. In einer Stadt von der Größe Tesoros wäre es sehr unklug gewesen, keinen Umgang mit seinen potenziellen Kunden zu pflegen. Außerdem konnte er sich nicht ewig auf seiner Ranch verstecken. Er musste an Emily denken. Ob es ihm gefiel oder nicht, sie würde irgendwann erwachsen werden, und er wollte nicht, dass man sie als die Tochter des Einsiedlers bezeichnete.

Wenn es nach ihm ginge, wäre er lieber auf der Ranch geblieben, als zur Hochzeit zu kommen und Small Talk zu betreiben. Andererseits war seine Ungeselligkeit ja auch einer der Gründe, weswegen seine Exfrau Vicky sich von ihm hatte scheiden lassen, nicht wahr?

Hör auf damit, warnte er sich. Fang nicht an, über Vicky und deine misslungene Ehe nachzudenken. War er nicht unglücklich genug, verdammt noch mal? Er nahm einen Schluck Bier, lehnte sich mit der Schulter an eine Wand und ließ den Blick über die Menge der Gäste wandern, die im Empfangssaal des Country Clubs herumschlenderten.

Fast sofort blieb sein Blick an Nora Bailey hängen. Das war eine Frau, die einen Mann von allem ablenken konnte, was es auch war.

Er betrachtete sie vom perfekt frisierten Haar und den verführerischen Rundungen, die unter ihrem aufregenden kleinen schwarzen Kleid verborgen waren, bis zu den Spitzen ihrer hochhackigen Schuhe. Als er sie vorhin in der Kirche gesehen hatte, hatte er zweimal hinschauen müssen. So hatte er Nora noch nie zu Gesicht bekommen.

Er war es gewöhnt, sie hinter dem Tresen ihrer Bäckerei stehen zu sehen, wie sie den Kindern Kekse schenkte und sich mit den Händen durch das Haar fuhr, das so aussah, als wäre es zusammen mit dem Teig in ihren Mixer geraten.

Heute Abend wirkte sie ganz anders. Mike hob die Bierflasche an die Lippen, aber es fiel ihm plötzlich schwer zu schlucken. Nora sah unglaublich gut aus. Ihr honigblondes Haar war kürzer als sonst und gelockt, ihre blauen Augen schienen heute dunkler und geheimnisvoller zu sein, und ihre langen Beine wurden von ihrem kurzen Kleid verführerisch zur Geltung gebracht. Wer hätte gedacht, dass sich unter ihrem gewohnten Outfit, das aus Jeans, T-Shirt und Schürze bestand, ein so umwerfender Körper verbarg?

Er blickte ihr nach, während sie lachend und plaudernd in der Menge umherging. Sie nahm einen Schluck von ihrem Drink und ging ein wenig unsicher weiter. Sie schwankte und fing sich dann hastig. Es war zu erkennen, dass sie reichlich beschwipst war, als sie sich jetzt vorsichtig in seine Richtung bewegte und sich dabei Mühe gab, nüchtern auszusehen. Mike runzelte besorgt die Stirn, sagte sich dann aber, dass es ihn nichts anging, wenn Nora ein Gläschen zu viel getrunken hatte.

„Dreht sich der Raum?“, fragte er, als sie näher kam.

Nora blieb abrupt stehen, hob ein wenig den Kopf und kniff die Augen zusammen, um ihn besser sehen zu können. Sie blinzelte, aber auch das nützte nichts. Mike Fallon besaß tatsächlich nicht nur ein tolles Gesicht, sondern gleich zwei. Und je mehr Mühe sie sich gab, desto mehr verschwamm er vor ihren Augen. Sie gab es auf.

Vielleicht hätte sie die letzte Margarita doch nicht trinken sollen. Ihr wurde plötzlich ganz heiß. „Hi, Mike.“ Sie atmete seufzend aus. „Nein, der Raum dreht sich nicht. Er schwankt höchstens ein bisschen. Ich bin erstaunt, dich hier zu sehen.“

„Die ganze Stadt ist hier.“

„Ja“, sagte sie. Genau wie ihre Schwestern vorausgesagt hatten, wirkte die Braut eine Spur zu blass. Beckys frischgebackener Mann tanzte aufgeregt um sie herum, während die Mutter allen, die geduldig zuhören wollten, von dem gemeinen Grippevirus erzählte, der ihre arme Tochter befallen hatte.

Abgesehen von den leckeren Margaritas war der Abend für Nora ein absoluter Reinfall gewesen. Sie hatte niemanden gefunden, der sich daran interessiert zeigte, ihr erster Liebhaber zu werden. Die meisten der Männer kannten sie zu lange als die brave gute alte Nora, dass sie nicht einmal den Versuch unternahmen, mit ihr zu flirten. Es war zum Verzweifeln. Aber die Party war noch nicht zu Ende. Nora gab die Hoffnung nicht auf.

Ihr Blick kehrte wieder zu Mike zurück. Obwohl sie ihn nur verschwommen sah, erschien er ihr attraktiver, als für ihn gut war. Sein festes Kinn und die dunkelgrünen Augen waren wirklich filmreif. Und obwohl sie ihn in Jeans und Stiefeln vorzog, stand ihm der Anzug auch sehr gut. So gut, dass es einen Versuch wert war. Nora fasste einen Entschluss.

Sie lächelte und zwinkerte ihm zu.

„Hast du was im Auge?“

„Nein“, erwiderte sie beleidigt und starrte ihn an. „Ich habe mit dir geflirtet.“

Er lächelte. „Nicht sehr geschickt.“

„Sehr freundlich von dir, das zu sagen.“

„Nora, was ist los? Irgendwie bist du heute ganz anders als sonst.“

Sie seufzte und hob instinktiv die Hand, um sich durch das Haar zu fahren. Aber dann fiel ihr gerade noch rechtzeitig ein, dass Frannie es ihr sorgfältig gestylt hatte, und sie ließ die Hand wieder sinken. „Nichts“, versicherte sie leise. „Überhaupt nichts.“

So wie die Dinge nun mal lagen, war sie auf dem allerbesten Weg, in einem Haus voller Katzen zu enden. Aber das war ja nicht Mikes Problem.

„Nimm es mir nicht übel“, sagte Mike sanft, sodass seine Stimme gerade eben noch über der Rockmusik zu hören war, „aber ich finde, du benimmst dich heute ein wenig … seltsam.“

„Seltsam?“ Sie legte eine Hand an seine Brust und gab ihm einen Stoß. Er rührte sich nicht vom Fleck. „Ich benehme mich seltsam?“ Nora lachte knapp. „Du kommst zu einer großen Party und stehst ganz allein in einer Ecke rum, und ich bin diejenige, die sich seltsam benimmt?“ Sie schüttelte den Kopf und bedauerte es sofort. „Oje“, flüsterte sie. Als der Raum aufhörte, sich zu drehen, fuhr sie fort: „Weißt du, du kannst zu ’ner Party gehen, aber wenn du nicht wirklich da bist, kannst du genauso gut zu Hause bleiben. Verstehst du, was ich meine?“

„Nein.“

Sie schnaubte geringschätzig. Es hatte offensichtlich keinen Zweck, sich weiter mit ihm abzugeben. Und während sie hier herumstand und mit einer Statue namens Mike Fallon sprach, verpasste sie jede Menge Gelegenheiten. „Schon gut. Wir kommo…“, sie unterbrach sich und nahm einen neuen Anlauf, um das schwierige Wort zu bewältigen, „wir kommoni… kommunizieren nicht.“

Mikes Lippen zuckten und brachten fast so etwas wie ein Lächeln zustande, aber es erschien nur so kurz auf seinem Gesicht, dass Nora nicht sicher war. Aber was für ein Gesicht! „Es ist wirklich zu schade“, sagte sie.

„Was ist schade?“

Nora schüttelte nur den Kopf und winkte ab. „Ach nichts. Ich kann es dir nicht erklären. Bis dann, Mike. Hab noch viel Spaß.“

Und damit ging sie, und Mikes Blick blieb unwillkürlich auf den Rundungen ihres hübschen Pos hängen. Welcher Mann würde denn da widerstehen können, verteidigte Mike sich gegen eine innere Stimme, die ihn zur Vorsicht mahnte. Nora ist einfach zu sexy. Dann rief er sich innerlich zur Ordnung und fragte sich, was sie gemeint haben mochte, als sie sagte, wie schade es doch wäre.

In den nächsten ein, zwei Stunden beobachtete er Nora, die mit ihren Freunden redete und lachte, und insgeheim beneidete er sie um ihre Unbefangenheit. Ihm war es nie besonders leichtgefallen, sich unter die Leute zu mischen, und er stellte sich vor, dass es jetzt wohl zu spät für ihn war, sich noch zu ändern, selbst wenn er es gewollt hätte.

Er nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche – es war sein zweites Bier an diesem Abend – und verzog den Mund. Es war warm geworden. Er stellte die Flasche achtlos auf den Tisch vor sich und konzentrierte sich lieber auf die Blondine im aufregenden schwarzen Kleid. Seltsam, aber er hatte Nora fast den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen. Und er musste ständig an sie denken. Er hätte die Feier schon vor einer Stunde verlassen können, und normalerweise hätte er genau das getan. Aber aus irgendeinem Grund war er heute Abend nicht bereit, schon zu gehen.

Bill Hammond, Tesoros selbst ernannter Herzensbrecher, ging zum Angriff über. Er redete gerade mit Nora und murmelte ihr wahrscheinlich eine seiner Belanglosigkeiten ins Ohr. Mike presste verächtlich die Lippen zusammen. Als Nora den Kopf in den Nacken legte, um Bill anzusehen, heftete sich Mikes Blick unwillkürlich auf die anmutige Linie ihres Halses.

Bills Blick heftete sich auf eine etwas tiefer liegende Stelle.

„Nora“, sagte eine tiefe Stimme nah an ihrem Ohr, „du siehst unglaublich gut aus heute.“

„Danke.“ Selbst sie musste zugeben, dass ihre Schwestern Wunder gewirkt hatten. Obwohl Nora den Wunsch unterdrücken musste, den Saum des Kleides herunterzuziehen und den Ausschnitt nach oben. Sie hatte noch nie etwas angezogen, das so viel Haut entblößte – wenn man mal von einem Badeanzug absah. Sie drehte sich freundlich lächelnd um, und als sie Bill Hammond sah, hoffte sie, dass er ihr die Enttäuschung nicht anmerkte.

Bill, dieser Kleinstadt-Romeo, betrachtete jede unverheiratete Frau zwischen achtzehn und achtzig als Freiwild. Von ihm ein Kompliment zu bekommen war in etwa so ungewöhnlich wie eine Schneeflocke im Schneesturm und gehörte zu den weniger schmeichelhaften Dingen im Leben. Jedenfalls konnte Nora sich Besseres vorstellen. Andererseits war sie wohl kaum in der Lage, wählerisch zu sein.

Sein dunkelbraunes Haar war perfekt geschnitten, mit den dunkelbraunen Augen musterte er ihre Figur voller Anerkennung und ging dann an ihr vorbei, als wollte er sich vergewissern, dass es hier keine lohnendere Beute für ihn gab. Nora kochte innerlich vor Wut, aber dann nahm sie sich zusammen.

Sie war nur zu einem Zweck zur Hochzeit gekommen, und zwar um einen passenden Mann zu finden, der ihr aus ihrer unhaltbaren Situation half.

Und da Bill der einzige Mann zu sein schien, der sich anbot …

„Möchtest du tanzen?“, fragte er.

Nora unterdrückte den Impuls, ihm zu sagen, er solle sich verziehen, und zwar ans Ende der Welt. Sie gab sich einen Ruck und nickte. „Klar doch!“

Sie stolperte ein wenig, sagte sich aber, dass das an ihren schmerzenden Zehen liegen musste. Welcher Sadist war nur auf den Gedanken gekommen, Frauen müssten hohe Absätze tragen? Wenn sie den Kerl in die Finger bekam!

Sie schwankte leicht, aber da sie ja tanzte, hoffte sie, dass es niemandem auffallen würde. Oh, auf diese letzte Margarita hätte sie wirklich lieber verzichten sollen. Aber sie hatte ein wenig Mut nötig gehabt, um diese Männerjagd zu beginnen. Jetzt, da sie doch tatsächlich das Interesse eines Mannes geweckt hatte, war sie gar nicht mehr so sicher, ob sie besonders froh darüber sein sollte.

Bills Hände schienen überall gleichzeitig zu sein. Nora wünschte sich nur, er würde damit aufhören, sie zu betatschen. Aber sie verkniff sich die eisige Abfuhr, die sie ihm instinktiv verpassen wollte. Schließlich war doch ein Flirt ihre Absicht gewesen, oder? Damit sich danach noch mehr ergeben konnte. Sie durfte jetzt nicht nervös werden, sondern musste sich irgendwie in die richtige Stimmung versetzen.

Er führte sie über die Tanzfläche, und die Menge, die sie umgab, wurde zu einem undeutlichen Durcheinander aus Farbe und Bewegung. Und dennoch schaffte Nora es irgendwie, ein Paar dunkelgrüner Augen zu entdecken, das sie finster anstarrte.

Mike.

Ihr Herz machte einen kleinen Sprung, als ihre Blicke sich trafen. Einen Moment später war das Gefühl wieder fort, als Bill verführerisch flüsterte: „Lass uns ein bisschen frische Luft schnappen, Süße.“

„Okay“, sagte sie willenlos und ließ sich von ihm zu den offenen Glastüren führen, seinen schweren Arm auf ihren Schultern.

Die Nachtluft war kühl und duftete süß von den Blumen im Garten. Nora schlüpfte unter Bills Arm hervor und fühlte sich gleich viel besser. Sie überquerte die Terrasse und blieb vor der Steinbalustrade stehen.

Seufzend hob sie das Gesicht dem Himmel entgegen, wo die Sterne wie Diamanten funkelten. Eine leichte Brise kam vom Meer aus zu ihnen, spielte mit ihrem Haar und streichelte ihre Haut. Sie weht sogar ein wenig von dem Nebel in meinem Kopf weg, dachte Nora.

Und als Bill sich ihr von hinten näherte, wünschte sie, sie wäre überall sonst, nur nicht hier. Nicht mit diesem Mann!, dachte sie bedrückt.

„Habe ich dir schon gesagt, dass du heute Abend wahnsinnig toll aussiehst?“, fragte er.

„Wahrscheinlich.“

„Na ja“, sagte er und strich ihr über den nackten Arm, „falls ich es nicht getan habe, sage ich es jetzt. Mensch, Nora, ich hatte keine Ahnung, dass du so aussehen kannst.“

Wenn das kein zweischneidiges Kompliment war. Wie sah sie denn sonst aus? Wie ein Ekel? Wie eine alte Schachtel?

„Danke.“

„Du bist genauso süß wie deine Kuchen.“

Nora zuckte zusammen. Zogen solche Sprüche wirklich bei anderen Frauen?

„Und jetzt möchte ich wissen, ob du auch so süß schmeckst.“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich herum und sah ihr mit einer Gier in die Augen, mit der man sie noch nie angesehen hatte.

Noras Magen zog sich auf einmal voller Panik zusammen, und einen Moment lang glaubte sie, ihr würde gleich übel werden. Dann zog Bill sie mit der Feinfühligkeit eines verhungernden Mannes an sich, der nach dem einzigen noch existierenden Steak auf der ganzen Welt griff.

Nora legte ihm instinktiv die Hände auf die Brust und versuchte ihn von sich zu schieben, aber es hatte keinen Zweck. Obwohl sie sich noch vor wenigen Minuten schrecklich wacklig auf den Beinen gefühlt hatte, war sie plötzlich bei klarem Verstand. Wie hatte sie sich nur in eine solche Lage bringen können? Auf einmal war die Vorstellung von einem Haus voller Katzen regelrecht angenehm. Alles war besser als Bills unerwünschter Annäherungsversuch.

Bevor sie etwas unternehmen konnte, spürte sie seinen Mund auf ihrem, und Nora konnte nur noch denken, dass sie nie für möglich gehalten hätte, Bills Lippen könnten so dick und nass sein. Sie spürte … nichts. Keine Erregung, keine Vorfreude. Nicht einmal Angst oder Nervosität. Nur einen leichten Widerwillen, den sie unbedingt überwinden musste, wenn sie irgendwann einmal ihren jungfräulichen Zustand loswerden wollte.

„Lass sie los“, befahl eine tiefe Stimme ganz in der Nähe.

Nora suchte auf der schwach beleuchteten Terrasse nach dem Störenfried. Eine Sekunde später wurde Bill von ihr weggezerrt. Er taumelte, gewann das Gleichgewicht wieder und sah den Mann finster an, der sich beschützend neben Nora gestellt hatte.

„Troll dich, Bill“, sagte Mike.

„Wer hat dich denn hergebeten?“

„Man musste mich nicht herbitten“, erwiderte Mike, eindeutig verärgert. „Kannst du nicht sehen, dass sie einen über den Durst getrunken hat?“

„Mike …“ Nora packte ihn am Arm.

Er schüttelte sie ab, ohne Bill aus den Augen zu lassen, der ganz und gar nicht erfreut darüber war, dass man seine romantischen Bemühungen unterbrochen hatte.

„Das geht nur mich und Nora etwas an.“

„Normalerweise würde ich dir zustimmen“, sagte Mike. „Aber heute nicht.“

„Wer bist du denn?“, fuhr Bill ihn an. „Ihr Vater?“

Nora kam sich vor wie in einem alten Spielfilm. Der Held und der Bösewicht gingen in Angriffsposition, und die Heldin, das arme willenlose Ding, stand an der Seitenlinie und rang hilflos die Hände. Nun, sie selbst war noch nie so eine Händeringerin gewesen.

„Okay“, warf sie ein, „warum macht ihr beide euch nicht einfach …“

„Halt mal einen Moment den Mund, okay?“, sagte Mike und würdigte sie immer noch keines Blickes.

„Ich soll …“ Sie starrte ihn an und wurde noch wütender, je weniger Beachtung er ihr schenkte. „Du sagst, ich soll den Mund halten?“

Er sah sie endlich flüchtig an. „Setz dich einfach, okay?“

„Hör mal zu. Ich brauche dich nicht, um …“

„Schon okay, Nora. Es dauert nur eine Minute.“

Aber ihr Protest war umsonst, da Bill plötzlich zum Angriff überging. Mike machte einen Schritt zur Seite, hob den rechten Arm und verpasste Bill einen kräftigen Schlag auf das Kinn. Bill vollführte eine seltsame, fast ballettartige Drehung und sank ohne einen weiteren Laut in den nächsten Busch. Nora starrte verblüfft auf ihren Möchtegernliebhaber. Aus dem Haus drang leise Tanzmusik. Das Fest war noch in vollem Gang. Nur sie und die beiden Männer hatten mitbekommen, was hier draußen in den Schatten vor sich gegangen war.

Wenigstens ein Trost, dachte sie. Zum Glück hatte nicht die halbe Stadt diese peinliche kleine Szene mitbekommen. Als ob sie nicht schon genug Probleme hätte. Wie war es nur zu dieser albernen Szene bekommen? Nora konnte keinen klaren Gedanken fassen.

Sie wusste nur eins: Ihr Plan war zerstört. Sie drehte sich zu dem Mann um, der, wenn auch unabsichtlich, dafür gesorgt hatte, dass sie noch eine Nacht länger Jungfrau bleiben würde. Was sie besonders ärgerte, war die offenkundige Befriedigung in seinen Augen. Typisch Mann! Sie stieß ihn verärgert gegen die Brust, und er wich unwillkürlich zurück.

„Was hast du dir dabei gedacht, Mike? Kannst du mir das bitte erklären? Ich meine, natürlich nur, wenn du glaubst, mein armer, belämmerter Verstand kann deine komplizierten Gedankengänge begreifen.“

Mike sah sie sekundenlang nur erstaunt an, bevor er antwortete. „Ich wollte dich nur vor den Zudringlichkeiten des Blödmannes retten, mehr nicht.“

„Habe ich dich gebeten, mich zu retten?“

„Nein, aber …“

„Sah ich so aus, als ob ich Angst gehabt hätte oder in Panik geraten wäre?“

„Nein“, gab er zu und schob die Hände in die Hosentaschen.

„Du sahst aber ziemlich angewidert aus.“

„Und das verlangt eine sofortige Rettung?“

Als er nicht antwortete, warf Nora aufgebracht beide Hände in die Luft.

Mike sah ihr sprachlos zu, aber er musste zugeben, dass sie gut aussah mit den vor Wut geröteten Wangen. Warum sie allerdings wütend war, war ihm ein Rätsel. Er hatte geglaubt, ihr einen Gefallen zu tun. Nora war doch normalerweise so vernünftig, aber heute Abend benahm sie sich ganz und gar nicht wie sonst. Als er sah, wie Bill sie aus dem Ballsaal hinausmanövrierte, war klar, dass der schleimige Typ sich an sie heranmachen wollte. Und da Mike wusste, dass Nora ein paar Gläser zu viel getrunken hatte, hatte er natürlich geglaubt, sie könnte dabei Hilfe brauchen, Bills Annäherungsversuche abzuwehren.

Andererseits hatte er nicht mit dem seltsamen Gefühl gerechnet, das ihn überkommen hatte, als er Nora in Bill Hammonds Armen gesehen hatte. Auch jetzt hatte er keine besondere Lust, dieses Gefühl näher zu ergründen. Im Augenblick ging es ihm eher darum, Nora nicht zu nahe zu kommen. Wenn er nur begreifen könnte, warum sie so wütend war. Sie konnte doch unmöglich den Kuss dieses Volltrottels genossen haben, oder?

„Dreihundert Dollar“, sagte sie gerade. „Wenn man die Maniküre und die Frisur dazuzählt. Ich meine, es sind natürlich meine Schwestern, aber es ist schließlich ihr Job, oder? Sie haben das Recht, dafür bezahlt zu werden. Dazu kommt noch das neue Kleid. Und ich hasse es, einkaufen zu gehen.“

Eine Frau hasste es, einzukaufen? Das war das erste Mal, dass er so etwas hörte.

„Wovon redest du eigentlich?“, warf er verwirrt ein.

„Davon.“ Sie wies auf sich. „Von dem neuen Kleid, dem Haar, dem Make-up und den blöden, viel zu teuren Schuhen, die mich umbringen. Ganz zu schweigen von der Handtasche. Sie ist so klein, dass meine Schlüssel und mein Führerschein nur mit Ach und Krach hineinpassen! Wie kann man dafür fünfundsiebzig Dollar verlangen?“

„Woher zum Teufel soll ich das wissen? Aber …“

Sie unterbrach ihn wieder. „Aber das ist ja auch gar nicht der springende Punkt, stimmt’s?“

Nein, der springende Punkt war, dass er gekommen war, um sie zu retten, und sie ihm das Gefühl gab, der große Störenfried zu sein. Er hätte seinem Instinkt folgen und sich um seinen eigenen Kram kümmern sollen. Was sagte sein Vater immer? Ach ja. „Keine gute Tat bleibt unbestraft.“ Er konnte fast hören, wie sein alter Herr ihn auslachte.

Er verschränkte die Arme vor der Brust, kämpfte gegen den Frust an, der langsam in ihm aufstieg, und sagte: „Warum sagst du mir nicht freundlicherweise, was denn nun der springende Punkt ist?“

„Gut.“ Nora blieb direkt vor ihm stehen, legte den Kopf in den Nacken und wankte ein wenig. Sie zuckte kaum mit der Wimper, als er sie hastig bei den Schultern festhielt, um sie zu stützen. Was würde denn nun kommen? Mike machte sich aufs Schlimmste gefasst.

„Der springende Punkt ist“, sagte sie, „dass ich einen Plan hatte. Einen vollkommenen Plan. Und du hast ihn zerstört.“ Sie drehte sich halb um und sah über die Schulter zu Bill hinüber, der sich gerade zu rühren begann.

Mike folgte fassungslos ihrem Blick. „Bill war dein Plan?“

„Auf jeden Fall ein großer Teil davon“, erwiderte sie. Eine Locke war ihr in die Stirn gefallen, und sie pustete sie fort.

Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen blitzten vor Ungeduld, Enttäuschung und Ärger, und sie sah einfach umwerfend schön aus. Begierde regte sich plötzlich bei Mike, und sein Herz schlug schneller. Er ließ sie erschrocken los, als hätte er sich an ihr verbrannt, und machte hastig einen Schritt rückwärts. „Na schön. Bill wacht wieder auf. Ich verschwinde einfach, und du kannst deinen Plan wieder in Angriff nehmen.“

Bill murmelte leise etwas, rieb sich das Kinn und kletterte langsam aus dem Busch hervor. Als er wieder auf den Beinen stand, warf er Mike einen hitzigen Blick zu, ignorierte Nora völlig und machte sich auf den Weg zurück zum Festsaal. Seine Schritte waren sicher, aber die Blätter in seinem Haar verdarben ein wenig seinen Versuch, kühle Würde auszustrahlen.

Als sie wieder allein waren, seufzte Nora tief auf. „Siehst du? Alles ist im Eimer. Jetzt werde ich jemand anders finden müssen.“

Aber offenbar nicht mehr heute Abend, dachte Mike, da sie an ihm vorbei zum Weg ging, der um das Clubhaus herumführte. Laternen säumten den schmalen Weg, sodass er gut sehen konnte, dass Noras Schritte immer noch unsicher waren.

Er seufzte leise auf und folgte ihr. Als er fast bei ihr war, murmelte sie wehleidig: „Diese verflixten Dinger bringen mich um.“ Sie schleuderte erst den rechten, dann den linken Schuh von sich, seufzte befriedigt auf und ging einfach barfuß weiter. Mike lachte amüsiert. Er bückte sich, um die verschmähten Schuhe aufzuheben, und steckte sie in die Taschen seines Jacketts.

Was in aller Welt mochte geschehen sein, dass die sonst so vernünftige Nora sich plötzlich in eine wunderschöne, aber seltsame Fremde verwandelt hatte, die Dinge tat, die er absolut nicht nachvollziehen konnte?

Er würde es bald herausfinden.

3. KAPITEL

Mike behielt Nora wohlweislich im Auge. Die Nachtluft war erfüllt von dem Duft der Blumen, und leise Tanzmusik drang zu ihnen herüber. Nora murmelte ständig etwas vor sich hin. Mike konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber der Ton ihrer Stimme verriet ihm, dass das vielleicht ganz gut so war. Trotzdem folgte er ihr, ihre Schuhe immer noch in den Taschen seines Jacketts. Nora würde ihm wahrscheinlich keinen Dank erweisen, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als dafür zu sorgen, dass sie sicher nach Hause kam.

Dann blieb sie plötzlich stehen und drehte sich um, und bevor Mike reagieren konnte, lief er gegen sie. Nora schwankte leicht, dann hob sie das Kinn und sah mit leicht zusammengekniffenen Augen zu ihm auf, als könnte sie ihn nicht so gut erkennen. Mike hatte auch das Gefühl, sie noch nie zuvor richtig gesehen zu haben. Ihre blauen Augen schauten verträumt, ihre Haut wirkte im schwachen Licht wie zartes Porzellan. Der Wind spielte mit ihrem Haar, wie es ein zärtlicher Liebhaber tun würde. Einen Moment lang dachte Mike daran, sie an sich zu ziehen und den Mund auf …

„Das ist alles deine Schuld!“, fuhr sie ihn an.

Er lachte, und das romantische Bild vor seinem inneren Auge löste sich in Luft auf. „Dass du zu viel getrunken hast, ist meine Schuld?“

„Nein, das nicht.“ Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. „Du passt nicht auf.“

Das stimmte. Er hatte nicht auf ihre Worte geachtet, weil ihre aufregende Figur ihn zu sehr abgelenkt hatte. „Okay, jetzt höre ich dir zu.“

Sie holte tief Luft, stieß den Atem heftig wieder aus und fuhr sich mit der Hand durch das blonde Haar. Er hatte sie noch nie so locker erlebt. Für gewöhnlich war Nora freundlich, aber sachlich, wenn sie hinter dem Tresen in ihrer Bäckerei stand. Der heutige Abend war in jeder Hinsicht eine Enthüllung.

Nora konnte ihre Wut über sein Dazwischenfunken selbst nicht so ganz verstehen. Schließlich war sie von Bill Hammonds Kuss nicht besonders begeistert gewesen. Allein die Erinnerung an seinen Mund auf ihren Lippen genügte, um sie schaudern zu lassen. Aber er war der einzige Mann gewesen, der sich an sie herangemacht hatte. Sie strich sich eine Locke aus der Stirn, und auf eine rätselhafte Weise schien sie mit dieser Geste plötzlich wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

„Was habe ich mir nur dabei gedacht?“, seufzte sie leise.

„Das habe ich mich auch schon gefragt.“

Sie sah zu ihm auf und war dankbar, dass er ihr jetzt nicht mehr ganz so verschwommen vorkam wie eben. Aber ob nun verschwommen oder nicht, es lohnte sich, ihm mehr als nur einen Blick zu schenken. Und das lag nicht nur an seinem guten Aussehen oder den grünen Augen. Mike strahlte so viel solide Verlässlichkeit aus. Er war so robust wie eine Ziegelmauer und in etwa genauso lustig. Er neigte allgemein nicht sehr zum Lächeln. „Okay, in Ordnung. Bill war ein Fehler.“

„Das will ich meinen. Die Frage ist, warum warst du kurz davor, diesen Fehler zu begehen?“

„Es ist ja nicht so, als hätte ich eine große Auswahl gehabt“, gab sie gereizt zurück.“

Mike starrte sie verständnislos an. „Ich habe immer noch nicht die geringste Ahnung, wovon du sprichst.“

„Wovon ich spreche, ist, dass du meinen Plan zerstört hast.“

„Welchen Plan?“

„Es ist deine Schuld“, wiederholte sie. „Du hast alles vermasselt, also bist du mir etwas schuldig.“

„Ich habe doch diesen Idioten praktisch von dir heruntergezerrt.“

„Das ist es ja!“, brauste sie auf. „Und wackle gefälligst nicht so herum.“

„Ich bewege mich doch gar nicht.“

„Oh Himmel. Das bedeutet nichts Gutes.“ Sie sah ihn drohend an. „Du lachst mich doch nicht aus, oder?“

Mike hob abwehrend beide Hände. „Niemals.“

„Du musst mir versprechen, mir zu helfen.“

„Wobei soll ich dir helfen?“

„Versprich es mir erst, dann sag ich es dir.“

„Das ist mir zu riskant.“

„Aber du bist es mir schuldig.“

„Sag das nicht ständig!“

„Dann versprich es mir endlich!“

Mike sah sich unruhig um. Alle anderen waren noch drinnen und tanzten, aber er wusste nicht, wie lange das Glück ihm noch hold sein würde. Nora wankte immer noch leicht von den vielen Margaritas. Sie schien aber fest entschlossen zu sein, hier stehen zu bleiben und bis in alle Ewigkeit mit ihm zu streiten. Offenbar hatte er keine andere Wahl, als ihr zu versprechen, was immer sie wollte, sie dann in ein Auto zu verfrachten und nach Hause zu fahren. Wahrscheinlich würde sie sowieso alles vergessen haben, wenn sie morgen aufwachte.

„Okay. Ich verspreche es.“ Er nahm sie beim Arm und zog sie zum Parkplatz. Aber Nora befreite sich entrüstet.

Er unterdrückte ein Aufstöhnen. Dickschädel!, dachte er, und wartete ab, was als Nächstes kommen mochte.

Sie blinzelte und lächelte. „Du bist ein Prinz unter Prinzen!“

„Genau, man nennt mich auch Prinz Mike“, sagte er trocken und nahm ihre Hand. Er ignorierte entschlossen das seltsame Kribbeln, das ihn überlief, als er sie berührte. Es war viel zu lange her, seit er das letzte Mal diese Art sexueller Spannung empfunden hatte. Inzwischen hätte er schon fast geschworen, dass er die Fähigkeit verloren hatte, eine Frau zu begehren. Aber offensichtlich hatte er sich geirrt. Am besten brachte er Nora schnell nach Hause. Er konnte unmöglich das mit ihr tun, was er am liebsten getan hätte, so beschwipst wie sie war. „Ich fahre dich nach Hause, bevor du dich in noch größere Schwierigkeiten bringst.“

„Ich war gar nicht in Schwierigkeiten“, protestierte sie.

„Das sehe ich etwas anders.“

„Glaubst du etwa, es ist mir leichtgefallen, mit allen Männern auf dem Fest zu flirten?“ Nora entzog ihm ihre Hand und stieß ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „Glaubst du, es ist leicht, Interesse zu heucheln, wenn Adam Marshall einem erzählt, wie er einen Wagen einfährt? Oder fasziniert zu gucken, wenn Dave Edwards zum fünften Mal von seiner Wildwasserfahrt schwärmt?“

„Klingt ganz schön übel.“

„Du kannst es dir nicht vorstellen.“

„Warum hast du es dann getan?“

Sie warf einen Blick zum Clubhaus zurück. „Weil ich achtundzwanzig Jahre alt bin und das Mädchen, für das ich früher den Babysitter spielte, gerade geheiratet hat.“

„Und das heißt …?“

Gereizt sah sie ihn an. „Es heißt, dass ich mich auf ein Altjungferndasein einstellen kann, wenn ich nicht bald was unternehme.“

„Bist du verrückt?“ Mike sah sie fassungslos an. Jede Rundung ihres schönen Körpers zeichnete sich verführerisch unter ihrem Kleid ab. Ihre blauen Augen blitzten im schwachen Licht der Laternen, und ihr honigblondes Haar schimmerte wie Gold. Welcher Mann würde nicht davon träumen, die Hände durch die seidigen Strähnen gleiten zu lassen?

„Verrückt? Kann schon sein“, sagte sie seufzend. „Aber es ist eigentlich noch viel schlimmer. Ich gehöre zu einer aussterbenden Spezies. Ich bin ein Dinosaurier, ein … Was ist sonst noch ausgestorben?“

„Wovon zum Teufel redest du?“

„Ich bin Jungfrau.“

„Du … du bist Jungfrau?“ Auf jeden Fall hatte sie jetzt seine volle Aufmerksamkeit. Er wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als versuchte er, Abstand zu ihr zu gewinnen.

„Sag es doch noch ein bisschen lauter. Ich glaube nicht, dass die Schwerhörigen unter den Gästen dich ganz gehört haben.“ Dann lachte sie, aber es klang ziemlich kläglich, und sie betrachtete Mike resigniert. „Und da ist ja auch dieser Blick, den ihr Männer alle sofort aufsetzt, wenn ihr das Wort hört. Ihr reagiert auf eine Jungfrau wie ein Vampir aufs Tageslicht.“ Sie drehte ihm abrupt den Rücken zu und ging auf den Parkplatz zu, während sie vor sich hin murmelte: „Das sieht euch Männern so ähnlich. Man muss nur das Wort ‚Jungfrau‘ aussprechen, und schon laufen sie davon, als würde man ihnen die Pistole auf die Brust setzen.“

„Ich bin nicht davongelaufen.“

„Ha!“

Mike folgte ihr, und als er sie eingeholt hatte, nahm er ihren Arm und zwang sie, stehen zu bleiben. Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar und versuchte sich zu konzentrieren.

Leicht fiel es ihm nicht. Er hatte nicht geahnt, dass es Jungfrauen über zwanzig überhaupt noch gab.

„Du hast mich einfach nur überrascht, Nora.“

„Ja“, sagte sie niedergeschlagen. „Ich verstehe schon. Wie auch immer, die Sache ist die, dass ich versucht habe, jemanden zu finden, der mir helfen kann, das zu ändern.““

„Bill?“, fragte er erstaunt. „Du hast dir Bill dafür ausgesucht?“

Statt ihm zu antworten, stellte sie ihm eine Gegenfrage. „Ich sehe doch ganz nett aus, oder?“

Er ließ den Blick über ihren Körper gleiten. „Oh ja.“

„Ich bin recht intelligent.“

„Das habe ich jedenfalls bis vor ein paar Minuten geglaubt.“

Sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln. „Also sollte es doch ziemlich einfach sein für mich, mein kleines Problem loszuwerden, stimmt’s?“

Da war er nicht so sicher. Was ihn anging, hatte er nicht vor, auch nur in die Nähe einer Jungfrau zu kommen. Sie würde ihrer ersten Liebesnacht zu viel Bedeutung zumessen, und bevor er wüsste, wie ihm geschah, hätte sie ihn in die Falle gelockt und würde ihm erzählen, sie wolle ein Häuschen mit weiß gestrichenem Zaun und Kinder. Er schüttelte sich innerlich vor Grauen. Das würde er auf keinen Fall zulassen. Nora war eine sehr nette Frau, und sie sah in ihrem kleinen schwarzen Kleid wahrhaftig sehr verführerisch aus, aber er war nicht der richtige Mann für sie. Eigentlich war er für keine Frau der richtige Mann.

„Nora …“

„Du hast gesagt, du würdest mir helfen.“

Panik schnürte ihm die Kehle zu. „Ja, ich wollte helfen, aber damit meinte ich nicht …“ Er unterbrach sich und starrte sie hilflos an.

Aber sie hörte ihm gar nicht zu. Sie trat an ihn heran, packte die Aufschläge seines Jacketts und stellte sich auf die Zehenspitzen, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen konnte. „Ich will keine alte Jungfer werden, die nur noch für ihre Katzen lebt. Ich will einen Mann und Kinder, ich will …“

Selbst im matten Licht konnte Mike sehen, dass sie plötzlich blass wurde. „Geht’s dir gut?“, fragte er besorgt.

„Oh“, sagte sie leise und ließ sein Jackett los, um sich eine Hand vor den Mund zu halten. „Ich glaube, ich sterbe“, stöhnte sie.

Sie schluckte mühsam und versuchte, ihre Übelkeit zu unterdrücken. Atme tief durch, sagte sie sich. Aber irgendwie schien es nicht zu helfen. In ihrem Kopf drehte sich alles, und ihr Magen schien ständig Purzelbäume zu schlagen, als wäre er ein winziges Boot mitten im stürmischen Meer. „Lieber Himmel!“, flüsterte sie.

„Ich bringe dich besser nach Hause.“

„Ja. Gute Idee.“

Er stützte sie am Ellbogen, und sie lehnte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. Du schaffst es schon, sagte sie sich verzweifelt.

Sie riss sich von Mike los, beugte sich über einen Busch und übergab sich. Gleichzeitig gingen ihr die wirrsten Gedanken durch den Kopf, und sie machte sich klar, auf wie viele verschiedene Arten sie es an einem einzigen Abend geschafft hatte, sich vollkommen lächerlich zu machen.

Sie hatte schamlos und noch dazu völlig ungeschickt geflirtet. Sie hatte ausgerechnet Bill Hammond erlaubt, sie zu küssen. Und um allem die Krone aufzusetzen, wurde ihr jetzt auch noch vor Mike Fallon übel. Wirklich, ein glänzend gelungener Plan! Alles war wie am Schnürchen gelaufen. Sie konnte sich morgen ruhig schon mal ihre erste Katze besorgen.

Die große Nacht der Verführung hatte sich in etwas verwandelt, was man künftigen Generationen unvorsichtiger Mädchen als Warnung vorhalten würde.

Als das Schlimmste vorüber war, spürte Nora eine kühle trockene Hand auf ihrer Stirn, und dann hörte sie Mikes beschwichtigendes Flüstern. So peinlich ihr die Situation auch war, Nora war froh, dass er bei ihr war.

Sie richtete sich auf, atmete tief ein und merkte, dass das Schwindelgefühl von vorhin verschwunden war. Zwar hatte sie jetzt fürchterliche Kopfschmerzen, aber zumindest konnte sie wieder klar denken. Mike reichte ihr ein Taschentuch, und sie nahm es lächelnd an. „Danke. Ich dachte nicht, dass noch irgendjemand heutzutage richtige Stofftaschentücher bei sich trägt.“

Mike zuckte mit den Schultern. „Ich bin ein ziemlich altmodischer Kerl.“

Und ein wirklich netter Kerl, dachte sie, der kein Wort darüber verliert, in was für eine peinliche Situation ich mich gebracht habe.

„Wie sieht’s aus? Soll ich dich nach Hause fahren?“

„Ja, danke.“

Während der kurzen Fahrt zu Noras Haus betrachtete Mike sie nachdenklich. Jetzt, da sie wieder nüchtern war, bedauerte sie wahrscheinlich, ihm ihr großes Geheimnis verraten zu haben. Und um die Wahrheit zu sagen, er wäre nur allzu froh, es vergessen zu können. Er dachte sowieso schon viel zu viel über sie nach – zum Beispiel darüber, wie es sein mochte, sie aus diesem aufregenden Kleid herauszuschälen.

Er packte das Lenkrad noch fester und befahl sich verärgert, sich gefälligst auf die Straße zu konzentrieren und nicht an die Rundungen von Noras Brüsten zu denken, die durch den tiefen Ausschnitt ihres Kleides betont wurden. Noch besser wäre, wenn er versuchen könnte, ihre langen Beine zu vergessen. Und wenn er schon mal dabei war, vergaß er am besten auch ihren hübschen Po, den Glanz ihres Haars und …

Zum Teufel!

Er bog in die Straße ein, in der sie wohnte, und fuhr auf ihre Auffahrt, dann stellte er den Motor aus und drehte sich halb zu Nora um. Selbst jetzt, wo er nur wenig von ihr erkennen konnte, sah sie viel hübscher aus, als für seinen Seelenfrieden gut war.

„Danke“, sagte sie.

„Soll ich morgen jemanden nach deinem Wagen schicken?“

„Nein“, sagte sie, öffnete die Tür und stieg aus. „Ich kann morgen zu Fuß zur Bäckerei gehen und meinen Wagen später selbst abholen.“

Mike stieg ebenfalls aus und folgte Nora sicherheitshalber zu ihrer Haustür. Sie hatte das Verandalicht angelassen. Ein sanfter Schimmer drang durch das bunte Tiffanyglas und tauchte die Stelle vor der Tür in weiche Farben. Mike bemerkte die Blumentöpfe, aus denen Kletterpflanzen herunterhingen, und eine Hollywoodschaukel, die mit weichen Kissen übersät war.

Er war auf einmal neugierig, wie das Innere des Hauses aussah, aber es war kaum wahrscheinlich, dass er es je herausfinden würde. Nora zog es sicher vor, nicht an das zu denken, was sie gesagt hatte, als die Margaritas noch das Denken für sie übernommen hatten, aber er erinnerte sich sehr gut an alles. Sie wollte einen liebenden Gatten und Kinder. Und das reichte, um ihn auf Abstand zu halten.

Nora öffnete die Haustür, und warmes Licht fiel auf ihn, so als wollte das Haus ihn willkommen heißen. Mike spürte, wie er sich anspannte. Vorsicht, alter Junge, sagte er sich, das bringt nur Scherereien.

„Ich mach mir einen schönen starken Kaffee“, sagte Nora und sah ihn über die Schulter an. „Möchtest du auch eine Tasse?“

Sag Nein!, riet seine innere Stimme. Wer weiß, was sonst passiert. Aber aus irgendeinem völlig unerfindlichen Grund antwortete Mike: „Gern.“

Er folgte ihr hinein, und sie schloss die Tür hinter ihm. Mike musste gegen das ungute Gefühl ankämpfen, dass er in eine Falle getappt war, ja, dass sich hinter ihm die Tür zu einer Gefängniszelle geschlossen hatte.

Nora ging ihm den kurzen Flur voraus in die Küche und knipste das Licht an. Mike blinzelte beim hellen Anblick der sonnengelben Kacheln. Vor einem Erkerfenster standen ein hübscher weißer Tisch mit Säulenfuß und vier Stühle. Zahlreiche Blumentöpfe füllten die Fensterbänke, und auf den blitzsauberen Arbeitsflächen standen die modernsten Haushaltsgeräte.

Mike sah Nora zu, wie sie auf Strümpfen herumging. Jede Bewegung war geschmeidig und zügig. Sie verbrachte offenbar sehr viel Zeit in ihrer Küche, und sie fühlte sich hier eindeutig sehr viel behaglicher als auf der Party. Zumindest das hatten sie gemeinsam.

Als sie den Kaffee aufgesetzt hatte, drehte sie sich zu Mike um. „Ich mache mich nur kurz etwas frisch. Setz dich. Ich bin in einer Minute wieder da.“

Mike sah sich noch einmal um und musste zugeben, dass er sich hier wohlfühlte. Noch ein Grund mehr, sofort zu verschwinden, sagte er sich. Emily war mit einem Babysitter zu Hause, und er musste morgen früh aufstehen. Aber trotz all dieser vernünftigen Gründe rührte er sich nicht von der Stelle. Ich bleibe nur noch ein bisschen, um sicherzugehen, dass es Nora wirklich wieder gut geht, redete er sich ein.

Aber er konnte sich nichts vormachen.

„Tut mir leid, dass du meinetwegen den Empfang verpasst hast“, rief Nora ihm vom anderen Zimmer aus zu.

„Ach, das macht nichts“, antwortete er. „Ich bin sowieso nicht der Partytyp.“

„Was du nicht sagst.“

Er lächelte und setzte sich an den Tisch. Wenige Minuten später kam Nora in die Küche zurück. Sie hatte Jeansshorts und ein kurzärmeliges dunkelblaues T-Shirt angezogen, das sich genauso verführerisch an ihren Körper schmiegte wie das schwarze Kleid von vorhin. Ihre Beine waren lang und schlank und leicht sonnengebräunt. Ihre Zehennägel waren blassrosa lackiert, und an einem Zeh trug sie einen kleinen silbernen Ring.

Und Mike spürte, dass er sich mit jeder Minute, die verrann, tiefer und tiefer auf etwas einließ, das alle möglichen Folgen haben konnte.

Die Kaffeemaschine zischte und stotterte wie eine alte Frau, die jemand zum Schweigen bringen wollte. Nora holte zwei große gelbe Becher aus dem Schrank und schenkte sich und Mike ein. „Du trinkst ihn schwarz, stimmt’s?“

Er hob die Augenbrauen. „Du hast ein gutes Gedächtnis.“

Sie lächelte, setzte sich ihm gegenüber und schob sich das Haar aus der Stirn, das jetzt weich und ungezähmt aussah. „Eine gute Geschäftsfrau weiß, wie ihre Kunden ihren Kaffee trinken.“ Sie nahm einen Schluck, schloss die Augen und sagte: „Lass mich überlegen. Du nimmst am liebsten Zimtbrötchen, und Emily liebt Schokoladenkekse. Und du kommst jeden Mittwochnachmittag, wenn du sie von der Schule abholst.“

Er wusste nicht, ob er beeindruckt sein sollte oder ein wenig verärgert, weil er ein solches Gewohnheitstier geworden war, dass Nora sogar die Uhr nach ihm stellen konnte. Wann war das bloß passiert?

„Also“, begann Nora plötzlich, und Mike horchte auf. Er hatte schon ein paarmal an diesem Abend erfahren müssen, dass es besser war, ihr zuzuhören, wenn sie etwas sagen wollte. „Du hast mich heute von meiner schlechtesten Seite kennengelernt, das lässt sich leider nicht leugnen.“

„Nora“, erwiderte er und drehte verlegen seinen Becher hin und her. „Warum vergessen wir nicht einfach alles, was geschehen ist, und …“

„Auf keinen Fall.“

„Was?“

„Du hast mich schon verstanden.“ Nora lehnte sich zurück und schenkte ihm ein Lächeln, das ihn bis ins Innerste erschauern ließ. „Du hast versprochen, mir zu helfen, und ich nehme dich beim Wort.“

4. KAPITEL

Mike wand sich unbehaglich auf seinem Stuhl. Jetzt, da er wusste, was Nora wollte, war er sogar noch argwöhnischer als sonst. Er dachte nicht im Traum daran, sich mit einer Jungfrau einzulassen, die wild darauf war, endlich Sex kennenzulernen. Dieser Weg führte garantiert … nun, zu allen möglichen Dingen, an denen er nicht interessiert war.

„Was für eine Art von Hilfe meintest du?“, fragte er finster und sah ihr entschlossen ins Gesicht. Obwohl ihre blauen Augen verführerisch waren, war es immer noch sicherer, er hielt sich an sie, sonst würde sein Blick über ihren traumhaften Körper gleiten, und das konnte nur Schwierigkeiten nach sich ziehen.

Nora lachte, und der Klang ihrer Stimme ließ ihn erschauern. „Himmel noch mal, entspann dich, Mike.“ Sie hob den Kaffeebecher an die Lippen und nahm einen Schluck. „Du machst ein Gesicht, als hätte man dich mit verbundenen Augen an die Wand gestellt und dich gebeten, deinen letzten Wunsch zu nennen.“

„Ach was.“ Er konnte seine Gefühle doch sicher besser verbergen, oder?

„Nein, natürlich nicht.“ Nora schüttelte den Kopf, und zum ersten Mal bemerkte er, wie viele verschiedene Schattierungen von Blond ihr Haar aufwies.

„Ich verlange ja nicht, dass du persönlich den … Akt vollziehst.“

Sie schien bei dem Gedanken sogar ein wenig abwehrend zu klingen. „Na ja“, sagte er, insgeheim davon überzeugt, dass er gerade beleidigt worden war. „Dann ist ja gut.“

Nora stand auf und füllte einen Teller mit frisch gebackenen Keksen. Sie stellte den Teller vor Mike, setzte sich wieder und nahm sich einen Keks. Mike warf einen Blick auf die Kekse – Schokoladen-, Erdnussbutter- und Zimtkekse. Wenn er auf der Suche nach einer Frau wäre, was er natürlich nicht war … würde er Nora trotzdem aus dem Weg gehen. Mit einer Frau verheiratet zu sein, die so gut backen konnte wie Nora, würde ihm im Handumdrehen ein beachtliches Übergewicht verschaffen.

„Ich meine, jeder in der Stadt weiß, dass du nicht an Frauen interessiert bist.“

Er erstarrte. „Wie bitte?“

Sie lachte wieder. „Entschuldige. So war das nicht gemeint. Ich wollte nur sagen, dass du nicht an einer festen Bindung interessiert bist. Seit Vicky gegangen ist, steht es dir sozusagen auf der Stirn geschrieben, dass du in Ruhe gelassen werden willst.“

Plötzlich fühlte er, wie ihm bis ins Innerste eiskalt wurde. Er wollte sich auf keinen Fall in ein Gespräch über seine Exfrau verwickeln lassen. Und offenbar sah Nora ihm diese Tatsache seiner Miene an.

„Oje.“ Sie senkte verlegen den Blick und nahm einen Schluck Kaffee. Zögernd hob sie dann wieder den Kopf. „Tut mir leid.“

„Schon gut.“

„Ich wollte ihren Namen nicht erwähnen.“

Mike zwang sich, ruhig zu bleiben. Nora schien in ihm lesen zu können wie in einem offenen Buch, und so zwang er sich auch, völlig ausdruckslos zu bleiben. „Ich habe doch gesagt, es macht nichts. Vicky ist Vergangenheit.“

Mike gab natürlich zu, dass er nicht besonders gesellig gewesen war, seit Vicky vor zwei Jahren ihre Sachen gepackt und ihn verlassen hatte. Er zog das Leben auf der Ranch nun einmal vor. Dort musste er sich nur mit den Tieren, dem Preis der Orangen und dem Winterfrost auseinandersetzen. Und natürlich mit Emily. Er lächelte unwillkürlich, als er an seine Tochter dachte. Sie war fünf Jahre alt und das einzig Gute, das er und Vicky gemeinsam zustande gebracht hatten.

Er konnte verstehen, dass eine Frau genug von ihrer Ehe bekommen konnte und von dem Leben auf der Ranch und von ihm ganz besonders. Aber er würde niemals verstehen, wie Vicky sich von ihrer Tochter hatte trennen können, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen. Aber sie hatte ja auch nie Mutter werden wollen, nicht wahr? Und als sie fortging, hatte sie ihm mitgeteilt, dass er das alleinige Sorgerecht für Emily haben konnte.

Mike war sofort einverstanden gewesen. Aber eines Tages würde er einen Weg finden müssen, Emily zu erklären, warum ihre Mutter sich dafür entschieden hatte, ohne ihr Kind zu leben. Aber bis dahin waren sie beide ein großartiges Team, und er würde seine Tochter mit seinem Leben verteidigen gegen alles, was ihr wehtun könnte. Wenn das bedeutete, dass er sich von allen Frauen fernhielt, bis seine Tochter achtzehn war, dann war das kein zu großes Opfer für ihn. Emily sollte Beständigkeit und Sicherheit in ihrem Leben haben, aber vor allem sollte sie nicht leiden, nur weil sie Daddys Freundin ins Herz geschlossen hatte und diese dann von einem Tag auf den nächsten aus ihrem Leben verschwand. Oh nein, auf keinen Fall! Und wenn das bedeutete, dass er ein Einsiedler werden musste, dann würde er eben damit leben. Andererseits bedeutete die Tatsache, dass er keine feste Beziehung wünschte, nicht, dass er völlig gefühllos war.

„Wenn sie Vergangenheit ist, warum erstarrst du dann zur Salzsäule, wenn ihr Name nur erwähnt wird?“ Nora sah ihn ernst an. Mike spürte regelrecht, wie die Sekunden vorübertickten, und insgeheim wunderte er sich, wieso ihm noch nie vorher aufgefallen war, was für bemerkenswerte Augen Nora hatte.

Reiß dich zusammen, befahl er sich. „Ich erinnere mich nur nicht gern an sie, das ist alles.“

Nora spielte geistesabwesend mit dem Becher. „Emily muss dich doch aber ständig an sie erinnern, oder?“

„Das ist was anderes. Emily ist … na, eben Emily.“

Nora nickte langsam. „Sie ist ein Schatz.“

Er entspannte sich ein wenig. „Ja, das ist sie.“

Ein paar Sekunden lang saßen sie still in der gemütlichen, warmen Küche, während es draußen immer dunkler wurde.

Es ist sehr nett, ihn hierzuhaben, schoss es Nora durch den Kopf. „Wie auch immer“, sagte sie ein wenig zu laut, um sich von ihren Gedanken abzulenken. „Zurück zum Thema. Tatsache ist, dass du nicht auf der Suche nach einer Frau bist, also bist du sicher.“

Er lächelte schief. „Genau das ist es, was jeder Mann gern hört“, erwiderte er trocken.

„Aber zumindest kannst du dich entspannen, weil du weißt, dass du aus dem Rennen bist.“

„Aber jeder andere Mann in der Stadt ist Freiwild?“

„Ich muss schließlich an meine Zukunft denken“, sagte sie und ignorierte den beleidigten Ton seiner Stimme. „Es geht hier nicht nur darum, meine Unschuld zu verlieren, es geht darum, den Richtigen zu finden.“

„In Tesoro?“

Sie runzelte unwillkürlich die Stirn. „Stimmt, die Möglichkeiten sind ein wenig begrenzt, aber ich bin sicher, ich schaffe es. Ich kenne die Männer hier, während ich in der Großstadt niemanden kenne. Und ich gehöre nicht zu den Frauen, die locker fremde Typen aufreißen können.“ Sie seufzte. „Außerdem hat meine Mutter die Kontaktanzeigen gelesen und mir versichert, es gäbe haufenweise nette Männer in Monterey.“

„Kontaktanzeigen? Du?“

Er klang aufrichtig erstaunt, und Nora fühlte sich ein wenig besser. „Danke“, sagte sie mit einem flüchtigen Lächeln. „Aber meine Mutter ist sogar noch entschlossener, einen Mann für mich zu finden, als ich. Sie will unbedingt noch mehr Enkel haben.“

„Du hast doch Schwestern.“

„Ja, aber Frannie und Jenny haben ihre Pflicht schon erfüllt. Ich bin als Einzige noch unverheiratet.“ Sie lehnte sich seufzend zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und legte die Füße auf einen Stuhl. „Ich schwöre, diese verflixte Sache mit meiner Unschuld gerät allmählich außer Kontrolle. Es ist inzwischen eher eine Belastung als ein Vorzug.“

„Du könntest es ja einfach für dich behalten.“

„Daran habe ich auch schon gedacht“, sagte sie und schüttelte den Kopf. „Aber es nützt nichts. Ich glaube, ihr Männer habt eine Art Radar für so was. Ihr steuert zuerst automatisch auf eine Jungfrau zu, und dann macht ihr einen weiten Bogen um sie.“ Sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Und da du mir einen Gefallen schuldig bist, weil du meinen kleinen Plan zerstört …“

„Und was für einen Plan!“

„Und weil du persönlich nicht infrage kommst“, unterbrach sie ihn, „fände ich es nur fair, wenn du mir helfen würdest, den Mann fürs Leben zu finden.“

„Jetzt soll ich auch noch den Kuppler spielen?“

„Mehr den Fährtensucher.“

„Ich glaube, das verstößt gegen meine Loyalität dem männlichen Geschlecht gegenüber.“

Nora lächelte wieder, und er blickte fasziniert auf ihren verführerischen Mund. „Ich werde niemandem etwas verraten, wenn du es auch nicht tust.“

„Glaub mir“, versicherte er ihr, „ich sage bestimmt nichts.“

„Gut. Mit deiner Hilfe sollte ich es eigentlich schaffen, einen Mann zu finden.“

Wie er sich in diese Lage gebracht hatte, wusste Mike nicht. Er hatte Nora nur aus einer unangenehmen Situation helfen wollen, und jetzt hatte er sich selbst in eine Situation gebracht, die die kleine Szene mit Bill Hammond wie ein Kinderspiel aussehen ließ.

„Dann ist es also abgemacht?“ Sie streckte die Hand aus.

Mike suchte verzweifelt nach einer Ausrede, die ihn retten könnte, aber dann sah er Nora in die Augen und wusste, dass er verloren war. Er nickte und nahm ihre Hand und ließ sie hastig wieder los, als ihn bei ihrer Berührung eine seltsame Hitze durchfuhr.

Aber die Wärme verließ ihn nicht, und Mike hatte das ungute Gefühl, dass er das soeben getroffene Akommen noch bitter bereuen würde.

„Erzähl, was war mit Bill?“

Es war später Nachmittag am Tag nach dem Hochzeitsempfang, und das Geschäft lief eher träge. Nora hatte seit heute Mittag nur zwei Kunden gehabt, also setzte sich auf einen Stuhl hinter dem Tresen, hielt den Telefonhörer zwischen Wange und Schulter und antwortete auf Mollys Frage. „Nichts. Absolut nichts.“

„Aber du bist doch mit ihm fortgegangen. Und du bist auch nicht zurückgekommen“, entgegnete Molly verblüfft.

„Na ja.“ Nora überprüfte eine Lieferliste, während sie redete. „Es hat da ein kleines Problem gegeben.“

„Was für ein Problem?“

„Mike tauchte wie aus dem Nichts auf und verfrachtete Bill ins Gebüsch.“

„Mike Fallon?“

„Genau.“

„Wow! Das wird ja immer interessanter.“

„Ach was.“ Sicher, es war nett gewesen, mit Mike an ihrem Küchentisch zu sitzen. In den vergangenen Jahren hatten sie kaum miteinander geredet, außer wenn er etwas bei ihr in der Bäckerei kaufte. Und vielleicht hatten ja auch diesmal eher die Margaritas aus ihr gesprochen, aber er war ihr gestern Nacht so anders vorgekommen. Sehr viel zugänglicher und viel begehrensfähiger. Sie seufzte leise. Dieses Wort gab es wahrscheinlich überhaupt nicht.

„Ach komm schon, Nora, lass eine alte verheiratete Frau ihre Fantasievorstellungen genießen, ja? Unser toller Mike Fallon hat also den edlen Ritter gespielt und ist auf seinem Schimmel zu deiner Rettung geeilt. Er hat dich doch gerettet, oder?“

„Oh ja. Ich schätze, Bill hat ihn nicht allzu gern.“

„Gut. Ich meine, Bill Hammond ist nicht unbedingt aus dem Stoff, aus dem Träume gemacht sind.“

„Ich weiß, aber …“

„Kein Aber. Du hast Besseres verdient.“

Nora musste ihr recht geben. Nicht dass Bill ein Scheusal war, aber sollte sie wirklich ihr erstes Mal mit einem Mann erleben, der den Unterschied gar nicht merken würde? Seltsam, wie schnell man seine Meinung zu einer Sache ändern konnte. Gestern noch wäre sie bereit gewesen, fast alles zu tun, um ihre Unschuld endlich zu verlieren. Aber heute wollte sie ein wenig mehr als das.

Die Klingel über der Tür läutete.

„Jemand ist gekommen, Molly. Ich muss auflegen.“

„Okay, aber ich verlange einen baldigen Bericht. Und zwar in allen Einzelheiten.“

„Versprochen“, sagte Nora und legte mit einem Lächeln auf. Sie sah auf, um ihren Kunden zu begrüßen, und schaute ins Leere. Sie runzelte die Stirn und ging um den Tresen herum. Jetzt endlich konnte sie den Neuankömmling sehen.

„Hallo“, sagte sie. „Ich habe dich nicht sofort entdeckt.“

Emily Fallon lächelte, und Nora schmolz dahin. „Das ist nur, weil ich noch echt klein bin.“

„Da hast du wohl recht“, sagte Nora nickend. „Was kann ich also heute für Sie tun, Miss Fallon?“

Das kleine Mädchen kicherte und hielt ihr die rechte Faust hin. Als sie sie öffnete, war ein zerknüllter Eindollarschein zu sehen. „Daddy sagt, ich darf mir zwei Cookies kaufen.“

„Hat er das gesagt?“ Nora blickte an dem Kind vorbei zum großen Schaufenster. Mike stand vor dem Geschäft, und einen Augenblick lang klopfte Noras Herz schneller. Was äußerst befremdlich war. Immerhin kannte sie Mike schon seit Jahren, und vor dem gestrigen Abend hatte sie in ihm nie mehr als Emilys Vater und einen netten Mann gesehen.

Wie attraktiv seine langen, muskulösen Beine in der engen Jeans aussahen! Die Haltung, in der er an der Wand lehnte, war ausgesprochen sexy. Das alte, langärmelige blaue Hemd, das er trug, ließ seine Brust noch breiter aussehen als sonst. Und seine grünen Augen, mit denen er sie durch das Fenster musterte, schienen ihr heute dunkler zu sein, viel geheimnisvoller und aufregender, als sie sie in Erinnerung hatte.

Ihr Herz machte einen Sprung, und Nora atmete tief ein, um sich wieder in den Griff zu bekommen.

Das ist doch lächerlich, sagte sie sich. Mike war nicht an ihr interessiert. Er war nicht der Mann, der ihr aus ihrer schwierigen Lage helfen konnte. Also gab es auch nicht den geringsten Grund für sie, sich irgendwelchen Tagträumen oder falschen Hoffnungen hinzugeben.

„Miss Nora …“

Sie musste sich einen Ruck geben, um sich von Mikes Anblick loszureißen. Entschlossen sah sie stattdessen seine Tochter an. Sehr gut, konzentriere dich auf die Kleine, sagte sie sich. Auf dieses süße Gesichtchen mit den winzigen Sommersprossen auf der niedlichen Nase und auf ein Paar schiefer Zöpfe und ein breites Grinsen, das ein Grübchen in einer Wange hervorzauberte. Und diese grünen Augen, die so sehr denen ihres Vaters glichen …

„Zwei Schoko-Cookies, stimmt’s?“, fragte sie unnötigerweise, während sie hinter den Tresen zurückging und den Auftrag ausführte. Wie jedes Kind, das Nora je kennengelernt hatte, besaß Emily ganz bestimmte Vorlieben und Abneigungen, und die großen Schokoladenkekse befanden sich ganz oben auf Emilys Liste.

„Ja, Ma’am.“

Nora lächelte über den höflichen Ton in Emilys Stimme und reichte ihr eine kleine weiße Tüte. „Hier, bitte schön, mein Schatz.“

„Danke.“

„Wollen wir nicht mal nachsehen, ob dein Daddy auch einen Keks möchte?“

Emily lachte. „Nein, tut er nicht. Ich hab gehört, wie er zu Rick gesagt hat, dass er von jetzt an nichts Süßes mehr essen wird.“

„Ach ja?“ Nora blickte nachdenklich zu Mike hinüber. Er sagte also seinem Vormann, dass er allem Süßen abgeschworen hätte? Offenbar schien er zu glauben, dass er sich auf der sicheren Seite befand, wenn er die Bäckerei nicht mehr betrat. Dachte er wirklich, dass sie ihn so leicht davonkommen lassen würde?

„Lass uns mit deinem Daddy sprechen, Emily. Vielleicht ändert er ja noch seine Meinung.“ Nora nahm Emilys kleine Hand in ihre und hielt sie fest, während sie die Ladentür aufstieß und auf den Bürgersteig hinaustrat.

Mike gab sofort die lässige Pose auf, die er angenommen hatte, und richtete sich hastig auf. Wie ein Mann, der drauf und dran ist, sich aus dem Staub zu machen, dachte Nora spöttisch. Der spätnachmittägliche Himmel war wolkenlos und blau, und die Sonne schien warm auf die belebte Straße.

„Hi, Nora.“

„Mike.“

„Miss Nora sagt, du sollst auch einen Keks kriegen.“ Emily sah so schnell von einem Erwachsenen zum anderen, dass ihre Zöpfe hin und her flogen.

„Ich höre, du willst alles Süße aufgeben, Mike?“

Er runzelte die Stirn. „Ich dachte, ich schränke es wenigstens ein.“

„Süßes im Allgemeinen oder nur in meiner Bäckerei?“

„Nora“, sagte er. „Ich hatte gehofft, wenn du deinen Rausch erst mal …“ Nach einem Blick auf seine Tochter unterbrach er sich und formulierte neu. „Ich meine, ich hoffte, wenn du darüber schläfst, würdest du einsehen, dass die ganze Idee verrückt ist. Du hast es dir doch anders überlegt, ja?“

„Nein. Ich muss dich enttäuschen, Mike. Ganz im Gegenteil.“

„Ich verstehe“, sagte er bedrückt.

Nora strich Emily zärtlich über das weiche Haar. „Und deswegen dachte ich, ich komme heute Abend zu euch auf die Ranch, damit wir einen Plan schmieden können.“

Er blinzelte ins Sonnenlicht, rieb sich das Kinn und sagte:

„Du willst den Gedanken also wirklich nicht aufgeben?“

„Niemals.“

Er seufzte schwer. „Schön. Heute Abend also.“

„Bringen Sie auch Kekse mit, Miss Nora?“

Nora lächelte das kleine Mädchen an. „Wie wäre es, wenn ich etwas früher kommen würde? Dann können wir die Kekse zusammen backen. Was meinst du?“

„Du brauchst doch nicht …“, fing Mike an.

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
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