Baccara Exklusiv Band 69

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DAS MUSS LIEBE SEIN von CRUSIE, JENNIFER
Alex ist seit langem der erste Mann, der ihr Begehren weckt. Nina ist mehr als fasziniert von dem attraktiven Notfallarzt. Vor allem, als er ihr in aufregend sinnlichen Nächten immer näher kommt. Aber weil er jünger ist als sie, fürchtet sie, ihn nicht halten zu können.

WARUM SO KÜHL, DARLING? von BEVARLY, ELIZABETH
Höchstens vier Wochen, dann gibt Autumn einem den Laufpass! Das behauptet jeder Mann im Ort. Allein Sean wettet dagegen. Der smarte Pokerspieler will sich nicht in die kühle Schönheit verlieben - er will sie nur raffiniert verführen, und zwar länger als vier Wochen.

EIN STARKER TYP von DREW, JENNIFER
Zwischen Becky und Detective Nate Dalton fliegen die Fetzen: Er hält sie für eine Einbrecherin, was sie hitzig von sich weist! Weit mehr aber noch regt es sie auf, wie sehr sie dieser Mann fesselt. Durchtrainiert, stark und sexy könnte er ihr sehr gefährlich werden …


  • Erscheinungstag 04.05.2010
  • Bandnummer 69
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956371
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennifer Drew, Elizabeth Bevarly, Jennifer Crusie

BACCARA EXKLUSIV, BAND 69

JENNIFER DREW

Ein starker Typ

Nie fiel es Detective Nate schwer, sich von Tätern unbeeindruckt zu zeigen. Bei Becky ändert sich das – als er sie bei einem Einbruch erwischt, weckt sie in ihm so heiße Fantasien, dass er alle Paragrafen vergisst. Und er muss sich beherrschen, um ihr nicht gleich zu beweisen, dass er nicht nur ein starker Typ, sondern auch ein sinnlicher Liebhaber ist …

ELIZABETH BEVARLY

Warum so kühl Darling?

Autumn ist eine Schönheit, die sich vor Verehrern kaum retten kann. Weil sie aber schon so oft enttäuscht wurde, hat sie geschworen, nie länger als vier Wochen mit einem Mann zusammenzubleiben. Eine Herausforderung für den attraktiven Pokerspieler Sean. Hemmungslos lässt er seine Verführungskünste spielen. Wird Autumn für ihn ihr Versprechen endlich brechen?

JENNIFER CRUSIE

Das muss Liebe sein

Eigentlich ist Alex Moore als Notfallarzt viel zu beschäftigt, um Zeit für die Liebe zu haben. Aber dann lernt er seine Nachbarin Nina kennen. Und obwohl sie älter ist als er, ist sie die erste Frau, die er nicht nur einmal ganz für sich allein will – sondern für immer. Davon wird er sie langsam, aber umso zärtlicher schon überzeugen …

1. KAPITEL

Becky Ryan hatte ihren sieben Jahre alten kleinen roten Flitzer bewusst ein Stück weit weg von dem kümmerlichen Lichtschein der Straßenlaterne geparkt. Sie stieg aus und schloss die Tür so leise wie möglich. Dann stand sie still da und lauschte, ob die Hunde anschlugen, die den Schrottplatz auf der anderen Seite des Drahtzauns bewachten. Denn wenn die zu bellen anfingen, würde sie ganz sicher die Nerven verlieren.

Insekten zirpten in den Büschen, und der Wind blies ihr feinen Sand ins Gesicht. Sie zog sich die Baseballmütze tiefer in die Stirn, packte die dunkle Taschenlampe noch fester und schlich zu dem Hintereingang der Gartenfirma „Green Thumb Landscaping and Lawn Care, Inc“.

Einbrecher mussten für ihre Karriere wohl ein ganz besonders unempfindliches Nervenkostüm haben. Und sie wollte ja nicht einmal etwas stehlen. Dennoch zitterte ihr Kinn, und ihre Hände waren so feucht, dass sie Angst hatte, den Schlüssel zu verlieren.

„Ich habe ein Recht dazu“, flüsterte sie, um sich selbst Mut zu machen, während sie sich vorsichtig der massiven Stahltür des Gebäudes näherte, in dem sie beinahe zwei Jahre gearbeitet hatte.

Kevin, der Eigentümer, hielt sich zwar für einen besonders guten Manager, aber auf Sicherheitsmaßnahmen legte er keinen besonderen Wert. Die Rückfront war nur mit einer spärlichen Glühbirne beleuchtet, und Becky wusste, dass es trotz des verblichenen Warnschilds neben der Tür keine Alarmanlage gab.

Aber Kevin Stalnaker lässt sich von niemandem sagen, wie er sein Geschäft zu führen hat, dachte sie bitter und wurde erneut wütend. Es war schlimm genug, von einem Chef gefeuert zu werden, mit dem man gleichzeitig befreundet war, aber es war einfach unverschämt, dass er meinte, ihre persönliche Beziehung könne ja so weiterlaufen wie bisher.

„Wir müssen uns einfach ein wenig verkleinern“, hatte er gesagt. „Das hat doch nichts mit unserem Privatleben zu tun.“

Becky konnte es immer noch nicht fassen, dass der Mann, den sie hatte heiraten wollen, sie so mies behandelt hatte. Sie war verrückt gewesen, ihm zu vertrauen. Sie hätte wissen sollen, dass er nichts taugte, spätestens, als sie ihn dabei erwischt hatte, wie er sich über den Schreibtisch des neuen Mädchens am Empfang beugte und versuchte, sie mit witzigen Bemerkungen zu beeindrucken, während er gleichzeitig in ihren Ausschnitt schielte. Courtney hatte einen blonden Wuschelkopf und konnte nach Wunsch kindlich lispeln. Sie hatte man nicht gefeuert.

Becky hatte ein wenig Mühe, schaffte es aber schließlich, das alte Schloss mit dem Schlüssel aufzusperren. Sie fand den Holzkeil und schob ihn unter die schwere Tür, um sie einen Spaltbreit offen zu halten. Auf diese Weise würde sie das Gebäude schnell wieder verlassen können.

„Rein und raus, das ist alles“, sagte sie leise zu sich selbst, wobei sie an Kevin gedacht hatte und nicht an ihr jetziges Vorhaben. „Ich habe wirklich Pech mit Männern.“

Sicher, Kevin sah gut aus, und er konnte auch sehr charmant sein. Bevor er die Leitung übernahm, hatte er viele Jahre in der Gartenfirma seines Vaters gejobbt. Das bedeutete harte körperliche Arbeit, die überwiegend im Freien stattfand. Selbst jetzt erschauerte Becky noch vor Erregung, wenn sie an Kevins muskulöse, gebräunte Schultern dachte.

Irgendetwas musste mit ihr verkehrt sein, dass sie sich immer von diesen hohlen Muskelprotzen beeindrucken ließ.Vor Kevin war es Jerry gewesen, der zwar ausgesehen hatte wie ein griechischer Gott, aber kaum fähig gewesen war, sich die Schnürsenkel zu binden. Und jetzt war sie schon wieder solo.

Mithilfe ihrer Taschenlampe fand sie Kevins Arbeitszimmer, das gleich hinter dem Minibüro lag, in dem sie für die Buchhaltung verantwortlich gewesen war. Diesen Job erledigte Kevin nun angeblich selbst, mithilfe der vollbusigen Courtney, die zum Zählen die Finger verwendete.

Seine Bürotür war verschlossen, was aber kein ernsthaftes Hindernis sein sollte. Becky wusste, wo er den Schlüssel versteckte. Aber sosehr sie sich mit ihren ein Meter dreiundfünfzig auch streckte, sie konnte den Absatz über der Tür nicht erreichen. Sie suchte nach etwas Standfesterem als den Schreibtischstühlen auf Rollen und fand schließlich einen fast vollen Karton mit Werbebroschüren. Sie schaltete die Taschenlampe aus und zerrte den schweren Karton durch die Dunkelheit vor Kevins Tür.

Die zusätzlichen zehn Zentimeter an Höhe waren gerade genug. Mit den Fingerspitzen fuhr sie über der Tür entlang, bis der Schlüssel klirrend auf den Boden fiel.

„Verdammt!“

Das Ganze dauerte sowieso schon länger, als sie gedacht hatte. Im Schein der Taschenlampe suchte sie den Boden ab. Kein Schlüssel.

„Nur keine Panik, er muss hier sein“, versuchte sie, sich selbst zu beruhigen, während sie auf allen vieren nach dem Schlüssel tastete. Sie brauchte mehr Licht. Wer würde nachts um drei schon merken, ob hier kurz das Licht brannte? Sie betätigte den Schalter. Die einzelne Neonröhre tauchte den Vorraum zu Kevins Büro in gleißendes Licht.

Sie sah sich um. Der Schlüssel lag unter einem Rollwagen neben der Wand. Sie ließ sich auf die Knie nieder und streckte die Hand aus.

„Halt! Polizei! Keine Bewegung.“

Becky schrie vor Schreck auf und wagte nicht, sich umzudrehen.

„Stehen Sie langsam auf, und legen Sie die Hände flach gegen die Wand“, befahl eine tiefe Stimme.

Sie tat wie befohlen. Dabei stieß sie sich den Ellbogen an einer Ecke des Wagens, traute sich aber nicht, die Stelle zu reiben. Sie musste ihre Lage doch irgendwie erklären, aber als sie versuchte zu sprechen, konnte sie nur krächzen.

„Haben Sie eine Waffe?“, fragte die Stimme streng.

Sie schüttelte heftig den Kopf und warf dann einen kurzen Blick über die Schulter. Der Mann sah aus wie die Polizisten im Fernsehen, aber er meinte es ernst und simulierte nicht wie ein Schauspieler, der groß herauskommen wollte.

„Keine Waffe“, brachte sie mühsam heraus. „Sind Sie wirklich Polizist?“

„Ja, Ma’am.“

Er hielt die Waffe immer noch auf sie gerichtet, während er jetzt mit der anderen Hand in seine Jackentasche griff. Er zog ein Lederetui heraus, klappte es auf und hielt ihr den Ausweis so dicht vor die Nase, als sei sie halb blind oder nicht ganz bei sich, oder beides.

„Danke, Detective Nate Dalton.“

Ihr war zum Heulen zumute. Wenn man sie nun ins Gefängnis sperrte? Ihre Mutter würde vor lauter Aufregung ihren Ausschlag bekommen, und ihr Vater würde sie zwar auslösen, sie für den Rest ihres Lebens aber bestimmt auf der Farm gefangen halten. Er hatte nie gewollt, dass sie in die Stadt ging, obgleich ihre drei älteren Brüder beim Militär gewesen waren und nahezu die ganze Welt gesehen hatten, bevor sie zurück nach Iowa gingen, heirateten und dort nun ebenfalls als Farmer lebten.

Aber für ihren Vater war das etwas ganz anderes. Das waren schließlich Männer. Becky liebte ihre Brüder und ihren Vater, hatte es aber satt, immer bevormundet zu werden, und versuchte immer häufiger, sich gegen sie durchzusetzen.

„Lassen Sie die Hände flach auf der Wand, und spreizen Sie die Beine. Widerstand ist zwecklos.“

Becky gehorchte.

Und dann fühlte sie seine Hände auf sich. Er klopfte ihr die Beine ab, Rücken und Vorderseite, und fuhr in ihre Taschen, sodass sie sich allmählich wie eine Verbrecherin vorkam.

„Wenn Sie das bei einem Date mit mir täten, würde ich Ihnen eine Ohrfeige geben“, versuchte sie halbherzig zu scherzen, was eigentlich eine dumme Idee war, wenn dieser Polizist sie für eine Einbrecherin hielt und das Recht hatte, sie derartig anzufassen.

„Es tut mir leid“, sagte sie schnell. „Ich habe es nicht so gemeint. Bitte glauben Sie mir. Ich bin nur hergekommen, um einen Scheck zu holen, der mir gehört. Ich habe nicht eingebrochen. Bestimmt nicht.“

„Beruhigen Sie sich. Drehen Sie sich um und sagen Sie mir, was Sie hier mit einer Taschenlampe wollten. Ich konnte den Lichtschein von draußen sehen.“

Becky wandte sich um. „Ich kenne mich hier aus. Ich brauchte nicht mehr Licht. Aber dann fiel mir der Schlüssel herunter und unter den Rollwagen. Ich konnte ihn nicht finden, schaltete deshalb das Licht an und …“

„Nun mal langsam. Sind Sie hier angestellt?“

„Ja, wenigstens war ich das bis heute Morgen. Der Eigentümerist sozusagen mein Verlobter, wenigstens warer das. Allerdings hat er nie wirklich von Heirat gesprochen, aber …“

„Einen Augenblick mal.“ Der Polizist zog ein Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer ein.

Becky wurde ruhiger, als sie hörte, dass er die angeforderte Unterstützung absagte.

„Wie heißen Sie?“, fragte er kurz, nachdem er das Handy wieder weggesteckt hatte.

„Ich heiße Rebecca … Rebecca …“ Meine Güte, wie konnte sie nur ihren Nachnamen vergessen! „Ich heiße Rebecca Ryan“, sagte sie schließlich aufatmend.

„Können Sie sich ausweisen?“

Sie klopfte ihre Jackentaschen ab, aber wenn etwas darin gewesen wäre, hätte er es längst gefunden. „Ich habe meine Tasche wohl im Auto gelassen. Aber ich bin ganz sicher Rebecca Ryan.“ Wie kläglich sie sich anhörte!

„Sie hatten einen Schlüssel zu dem Gebäude, den Ihnen der Eigentümer selbst gegeben hat?“, fragte der Polizist jetzt.

„Ja, ganz bestimmt.“ Sie nickte eifrig.

„Das sollte man ja leicht nachprüfen können. Wie heißt der Besitzer?“

„Kevin Stalnaker.“ Wie sie diesen Namen mittlerweile hasste! „Aber Sie müssen ihn nicht aufwecken. Ich kann beweisen, dass ich hier gearbeitet habe. Dort hinten ist mein Büro, das heißt, man kann es wohl kaum als Büro bezeichnen. Kevin findet es gemütlich. Von wegen!“

Der Polizist seufzte. „Warum muss mir das nach elf Stunden Dienst auch noch passieren!“

Er musste doch sehen, dass sie keine Profi-Einbrecherin war. Sonst wäre sie mit der Taschenlampe doch wohl etwas unauffälliger umgegangen. Außerdem, weshalb fand sie den Mann trotz der fatalen Situation nur so unglaublich attraktiv?

Nate glaubte auch gar nicht, dass Rebecca Ryan irgendwelche verbrecherischen Absichten gehabt hatte, hatte aber trotzdem ein ungutes Gefühl. Auf jeden Fall hätte er ohne sie schon längst zu Hause im Bett sein können. Außerdem waren es immer die kleinen Zierlichen mit den traurigen Geschichten, die sein Leben komplizierten, und er wollte auf keinen Fall in die Probleme dieser Frau hineingezogen werden. Er war schon einmal auf so jemanden hereingefallen, und sein Selbstbewusstsein war davon immer noch angeknackst. „Okay, sagen Sie mir, was geschehen ist, aber möglichst knapp.“

Warum musste sie auch so hübsche Beine und einen so niedlichen Po haben? Ihre engen schwarzen Jeans betonten das noch. Dass sie unter dem weißen T-Shirt mit dem aufgedruckten Werbeslogan keinen BH trug, verrieten die Spitzen ihrer festen kleinen Brüste, die sich deutlich abzeichneten. Nate zwang sich, auf die große Baseballmütze zu sehen, unter die sie ihr Haar gesteckt hatte, und sich auf ihre Antwort zu konzentrieren.

„Also, man hat mich heute Morgen entlassen, was nicht weiter schlimm wäre, da ich sowieso miserabel bezahlt wurde. Aber es war mein Verlobter, der mich gefeuert hat. Er meinte, ich könnte doch eine besser bezahlte Stelle finden, und wir könnten unsere private Beziehung fortführen. Können Sie sich das vorstellen? Er gab mir zwei Wochen Gehalt als Abfindung. Aber ich war so wütend, das können Sie doch sicher verstehen, dass ich den Scheck auf meinem Schreibtisch liegen ließ. Eigentlich hatte ich ja gar nichts von ihm annehmen wollen, aber dann habe ich aus Versehen mein Haar blau gefärbt, und es kostet viel Geld, das wieder rückgängig zu machen. Also wollte ich …“

„Sie haben Ihr Haar blau gefärbt?“ Im selben Moment, als er ihr spontan die Kappe vom Kopf zog, musste er laut loslachen.

„Sehen Sie, Sie kennen mich noch nicht mal und lachen mich schon aus.“ Sie sah ihn unglücklich an.

„Nein, ich war nur überrascht. Was haben Sie denn wirklich für eine Haarfarbe?“

„Oh, so was Undefinierbares, dunkelblond oder hellbraun. Aber jetzt ist es blau.“

„Ja, aber doch nur einige Strähnen. Das muss doch leicht zu beheben sein.“ Am liebsten wäre er ihr mit den Fingern durchs Haar gefahren. Ihr Haar sah merkwürdig aus, aber irgendwie auch witzig.

Verflixt, er sollte die Sache schnell abschließen, bevor diese kleine Miss ihn noch mehr gefangen nahm.

„Kann ich jetzt bitte gehen?“

Ihre helle Schulmädchenstimme weckte seinen Beschützerinstinkt. „Ich kann Sie nicht einfach gehen lassen, nur weil Sie Ihre Haare blau gefärbt haben.“

„Ich wollte die Abfindung doch gar nicht annehmen. Aber dann habe ich mein Haar ruiniert. So kriege ich doch nie eine neue Stelle!“

„Sie hätten ja zu normalen Geschäftszeiten Ihren Scheck abholen können.“

„Ich will diesen Kerl nie wiedersehen. Und er darf auf keinen Fall sehen, was mit meinem Haar geschehen ist. Er wird bloß denken, dass ich wie Courtney aussehen wollte, seine neue blonde Empfangsdame. Sie hat er natürlich nicht entlassen. Offensichtlich ist er von ihr beeindruckt, deshalb wollte ich meine Haare auch platinblond färben. Aber nun ist alles schiefgegangen, und ich brauche den Scheck.“ Sie zupfte an einer blauen Strähne.

„Miss Ryan, es kann ja nicht so schwierig sein, die Wahrheit Ihrer Geschichte zu bestätigen. Ich werde Ihren ehemaligen Chef anrufen.“

„Müssen Sie das wirklich?“ Sie jammerte nicht, klang aber so unglücklich, dass ihm unbehaglich wurde. „Das hätte ich wohl nicht sagen sollen“, fuhr sie fort. „Jetzt glauben Sie womöglich, dass ich mir alles nur ausgedacht habe. Aber Kevin wird nicht leugnen, dass er mich kennt. Er denkt ja immer noch, dass ich wieder zu ihm zurückkomme. Seine Nummer ist 555-0815.“

„Ich muss mir Ihre Geschichte von ihm nur bestätigen lassen, dann können Sie gehen.“ Er wollte sie nicht hierbehalten. Noch weniger wollte er sie mit zur Wache nehmen. Er fand ein Telefon im vorderen Büro und wählte die Nummer. Nach diesem Anruf würde er sie hoffentlich nie wiedersehen. Er kannte seine Schwäche für zierliche junge Frauen mit herzförmigen unschuldigen Gesichtern. Deshalb wollte er in Miss Ryans Probleme auch nicht verwickelt werden. Zu lange hatte er sich von einer anderen scheinbar hilflosen Frau ausnutzen lassen.

Das Telefon klingelte viermal, bevor sich der Anrufbeantworter einschaltete. Eine Männerstimme sagte: „Ich bin anderweitig beschäftigt. Wenn Sie wollen, können Sie mir eine Nachricht hinterlassen.“ Die Stimme klang arrogant.

„Keine Antwort“, erklärte er.

„Versuchen Sie es doch noch einmal. Bitte. Vielleicht wacht er auf und geht ans Telefon.“

Nach drei weiteren Versuchen war klar, dass Kevin Stalnaker jetzt nicht ans Telefon gehen würde.

„Hören Sie“, sagte Nate, „Sie haben zwar nichts gestohlen und auch nichts zerstört, aber ich kann Sie nicht gehen lassen, bis ich Ihre Geschichte bestätigen konnte. Wir haben gerade in dieser Gegend eine Reihe von Einbrüchen gehabt, bei denen wertvolle Geräte gestohlen wurden. Ich muss Sie jetzt zur Wache mitnehmen, es sei denn …“

„Probieren Sie es doch noch einmal. Und vielleicht fällt mir noch jemand anderes ein, der für mich bürgen könnte.“

Sie sah so verzweifelt aus, dass sie ihm leidtat. Diese hilflosen kleinen Frauen hatten immer eine solche Wirkung auf ihn. Dennoch glaubte er, dass sie die Wahrheit sagte. Am liebsten hätte er das Ganze vergessen. „Es ist doch nicht so schlimm, wenn Sie schnell mit zur Wache kommen.“

„Können Sie nicht auf Kevins Schreibtisch nachsehen, ob der Scheck für mich da noch liegt? Das würde doch beweisen, dass ich die Wahrheit gesagt habe.“

„Ja, das stimmt.“ Er wollte beinahe genauso sehr wie sie, dass der Scheck wirklich da war und dass sie keine Angst mehr haben musste.

Becky schloss die Tür zu Kevins Büro auf. Es war der reinste Schweinestall! Überall lagen leere Coladosen herum, zerknüllte Papiere und leere Fast-Food-Behälter.

„Ich stand hier.“ Becky machte eine schnelle Armbewegung, sodass ihre bloßen Brüste sich unter dem dünnen T-Shirt noch deutlicher abzeichneten. „Er knallte den Scheck mit einer überheblichen Geste auf den Tisch, als ob er mir damit ein Riesengeschenk machte. Wir schrien uns noch eine Weile an, und dann rannte ich aus dem Büro.“

Nate sah den Scheck als Erster, ein hellgrünes Papier mit einem dunkelgrünen Firmenzeichen. „Der Scheck ist auf Becky Ryan ausgestellt.“

„Ja, das bin ich. Becky ist nur eine Abkürzung für Rebecca.“

„Jetzt muss ich Ihnen wohl glauben.“ Er grinste und war selbst erstaunt, wie erleichtert er war. Sobald sie wieder sicher in ihrem Auto saß, würde er endlich nach Hause kommen.

„Kann ich …?“ Sie sah ihn aus großen Augen flehend an, und prompt reagierte sein Körper.

„Gehen? Ja.“ Je eher, desto besser.

„Nein, ich meine, kann ich den Scheck haben?“

Das konnte er dann doch nicht zulassen. „Den sollten wir wohl besser hierlassen. Sie können ihn ja morgen abholen oder anrufen und bitten, dass man Ihnen den Scheck zuschickt.“

„Okay.“ Sie klang enttäuscht und resigniert.

„Kopf hoch. Die blauen Strähnen sehen gar nicht so schlecht aus. Sie passen zu Ihren Augen.“

„Meine Augen sind braungrün. Blau würde eher zu Ihnen passen.“

Aus irgendeinem Grund gefiel es ihm, dass sie die Farbe seiner Augen bemerkt hatte. Dann ärgerte er sich darüber, dass es ihm etwas ausmachte. Er ging vor ihr aus dem Büro. „Haben Sie hier irgendetwas verändert?“

Sie nickte, und er half ihr, den Schlüssel wieder auf den Türrahmen zu legen und den Karton mit den Broschüren an seinen Platz zurückzuschieben.

„Wo ist Ihr Auto?“, fragte er draußen, als sie die Hintertür zuschloss.

Sie zeigte auf das Ende des spärlich beleuchteten Weges.

„Ich begleite Sie.“

„Das brauchen Sie wirklich nicht.“

„Ich werde es aber trotzdem tun.“

Seine Schuhe knirschten auf den losen Steinen des trockenen Weges, während Becky fast lautlos neben ihm ging. Sie hatten ihr Auto beinahe erreicht, als die Hunde plötzlich anfingen zu bellen. Nate zuckte zusammen.

„Die sind auf dem Schrottplatz.“ Becky lachte nervös. „Ein Segen, dass sie auf der anderen Seite des Zauns sind.“

Becky fand, dass es ihr ein bisschen zu sehr gefiel, hier neben diesem großen, breitschultrigen Polizisten zu gehen. Es wäre vollkommen verkehrt, sich gleich nach Kevin in die muskulösen Arme dieses Mannes zu stürzen.

Sie sah ihm nach, als er jetzt zu dem Parkplatz der Gartenfirma lief, wo er seinen Wagen geparkt hatte. Nachdem sie den Autoschlüssel unter der Fußmatte hervorgeholt hatte, startete sie den Wagen. Ein Vibrieren durchlief das alte Auto, dann war es still. Ja, manchmal brauchte es etwas Anlauf.

Wieder sah Becky in die Richtung, in der Nate verschwunden war. Er war der attraktivste Mann, der ihr je begegnet war. Seine Augen waren leuchtend blau, seine klaren männlichen Gesichtszüge passten zu den strahlend weißen Zähnen und dem kurz, aber nicht zu kurz geschnittenen dunkelbraunen Haar. Ihr gefielen seine gerade Nase, die hohen Wangenknochen, das ausgeprägte Kinn und dass er keinen festen flachen, sondern festen runden Po hatte. Und er bewegte sich mit einer Geschmeidigkeit, die für einen Mann seiner Größe ungewöhnlich war. Außerdem hätte sie schwören können, dass er kein Gramm zu viel hatte.

„Lass es sein, Becky“, ermahnte sie sich, „er ist zu groß.“ Sie drehte den Zündschlüssel noch einmal, ohne Erfolg.

Er maß mindestens ein Meter fünfundachtzig, was bedeutete, dass es ihr nahezu unmöglich wäre, mit ihm zu tanzen. Außerdem brauchte sie wirklich nicht noch einen großen, starken, dominierenden Mann in ihrem Leben. Schließlich war sie eine erwachsene Frau, hatte sich von ihrer Familie endlich emanzipiert und brauchte keinen Supermann, der sein Cape für sie ausbreitete und alle ihre Schwierigkeiten für sie löste. Sie war in die Stadt gezogen, um endlich auf eigenen Füßen zu stehen. Aber aus irgendeinem Grund begegnete sie nur Machotypen, die ein kleines, zu ihnen auflächelndes Frauchen suchten, das ihr Ego stärkte. Aber damit war jetzt Schluss.

„Ich muss meine Reaktion auf ihn einfach ignorieren“, sagte sie laut, während sie den Schlüssel erneut umdrehte. Allmählich beunruhigte es sie, dass das Auto nicht ansprang. Ihre Gedanken kehrten zurück zu Detective Dalton. Sie glaubte, noch seine Hände zu spüren.

Becky nahm die Baseballmütze ab und lockerte mit beiden Händen energisch ihr Haar. Wie konnte dieser Mann sie so beeindrucken? Vielleicht hatte sie zu tief eingeatmet, als sie die Chemikalien auf ihr Haar geschmiert hatte. Sie hatte sich doch geschworen, auf diese gut aussehenden Machos nicht mehr hereinzufallen, und nun kreisten ihre Gedanken ständig um diesen Mann, der sie dazu noch hatte verhaften wollen.

Ein Mann, der glaubte, er sei ein Geschenk des Himmels für alle Frauen, eignete sich nicht als Partner. Das hatte sie zumindest in ihrer Beziehung zu Kevin lernen müssen. Deshalb wollte sie sich jetzt nach jemandem umsehen, der zu ihr passte – nicht zu groß, nicht zu gut aussehend, aber verlässlich.

Entschlossen drehte sie erneut den Zündschlüssel, aber der Wagen sprang immer noch nicht an. Auf der Straße herrschte nicht gerade Flutlicht, aber sie konnte sehen, dass Detective Dalton mit seinem Auto schon näher gekommen war. Sicher hatte er ihre vergeblichen Startversuche mitbekommen. Wahrscheinlich lauerte er nur darauf, einem hilflosen Frauchen zu Hilfe zu kommen.

Becky biss die Zähne zusammen. Dieses blöde Auto! Sie sah Nate aussteigen und auf sie zukommen.

„Ich fahre Sie nach Hause. Sie können Ihren Wagen morgen abschleppen lassen.“

„Er wird sicher gleich anspringen.“

„Ja, und mir werden gleich Flügel wachsen. Kommen Sie, ich kann Sie in dieser Gegend nicht allein lassen.“

Am liebsten hätte sie sein Angebot nicht angenommen. Aber sie sehnte sich nach ihrem Bett und wollte nichts als schlafen, möglichst so lange, bis der blaue Teil ihres Haares herausgewachsen war. Dabei hatte sie jetzt noch ein Problem: ihr Auto. Möglicherweise konnte sie die Reparatur nicht einmal mehr mit ihrer Kreditkarte bezahlen. Aber sie wollte sich auf keinen Fall Geld von ihrem Vater leihen. Er würde es ihr zwar geben, sie aber gleichzeitig unter Druck setzen, die Stadt zu verlassen.

Detective Dalton war zu seinem Wagen zurückgekehrt und hielt die Beifahrertür auf.

Sie stieg aus, verschloss ihr Auto und ging langsam auf das Polizeiauto zu. „Ich könnte auch eine Freundin anrufen.“

„Das ist nicht nötig. Ich fahre Sie nach Hause.“

Das klang beinahe wie ein Befehl. Ihr sträubten sich die Nackenhaare, aber sie stieg ein. Zoe wäre sowieso nicht begeistert gewesen, sie mitten in der Nacht retten zu müssen.

Er setzte sich hinters Steuer, und das Auto schien plötzlich zu schrumpfen. Seine Schultern waren so breit wie der Sitz, und als er die langen Beine eine Spur spreizte, berührte sein Knie ihr Bein.

„Ich muss mal eben anhalten“, sagte er. „Ich habe einen kleinen Lagerraum hier in der Nähe gemietet. Deshalb bin ich überhaupt hier vorbeigekommen.“

Sie kannte die Lagerräume. Wenn ihre finanziellen Verhältnisse noch schlechter wurden, würde sie sich vielleicht auch eine dieser Zellen mieten müssen, allerdings nicht, um dort etwas zu lagern, sondern um selbst einzuziehen.

„Ich bin gleich wieder da“, sagte Nate, als er kurz darauf vor den Lagerräumen anhielt. „Ich muss nur eine Schachtel holen und in mein Motel mitnehmen.“

Er wohnte in einem Motel? Aber das ging sie nichts an, und sie würde auch nicht nachfragen.

Nate war bald zurück, verstaute den Karton im Kofferraum und ließ sich dann wieder auf den Sitz fallen.

„Sie wohnen in einem Motel?“

„Ja, vorübergehend.“

Er war nicht gerade redselig, was sie leider noch neugieriger machte. „Hat Ihr Vermieter Ihnen gekündigt?“

„Das Gebäude, in dem ich wohnte, wird abgerissen, um endlich mal wieder Platz für eine Bank zu schaffen.“ Er schien auf Banken nicht gut zu sprechen zu sein.

„Hat man Ihnen denn nicht rechtzeitig Bescheid gesagt?“ Dass dieser breitschultrige Detective offenbar auch Schwachstellen hatte, beflügelte sie.

„Ich hatte zu viel zu tun und keine Zeit, etwas zu suchen.“

Er schwieg, bis er vor ihrem Haus anhielt.

„Schönes Haus“, bemerkte er und sah an der hübschen viktorianischen Villa hoch, in der sie eine der vier Wohnungen gemietet hatte.

„Vielleicht sollte ich das ja nicht sagen“, fing Becky an und ignorierte die warnende Stimme in ihrem Kopf, „aber eine der Wohnungen steht leer. Meine Vermieterin ist allerdings ein bisschen streng, und vielleicht hat sie schon einen Nachmieter. Es ist eine hübsche Wohnung im Parterre mit hohen Räumen und Parkettfußboden. Ich war selbst in Versuchung umzuziehen, aber sie kostet einhundertfünfundzwanzig Dollar mehr als meine, und mein Gehalt ist nicht sehr üppig. Kevin hatte mir zwar immer eine Erhöhung versprochen, wenn das Geschäft besser geht, aber …“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Das wäre vielleicht eine Idee“, erwiderte er langsam.

Sie bereute schon, dass sie überhaupt etwas gesagt hatte. „Wahrscheinlich würde sie Ihnen sowieso nicht gefallen“, fuhr sie schnell fort. „Es ist ein knarrendes altes Haus, und heißes Wasser ist auch nie genug da.“

„Das klingt ja schrecklich.“

„Ja, es ist ein richtiges Geisterhaus, in dem es nachts heult und im Keller spukt. Manchmal geht das Licht einfach aus und wieder an.“ Warum konnte sie den Mund nicht halten? Sie sah Nate Dalton nicht an, hätte aber schwören können, dass er grinste. „Ach ja, noch eins“, sagte sie und stieg aus. „Nach zweiundzwanzig Uhr ist laute Musik verboten.“

„Würden Sie mir bitte trotzdem die Nummer Ihrer Vermieterin geben? Vielleicht gefällt mir die Wohnung nicht, aber das Motel hängt mir zum Hals heraus.“ Er zog einen kleinen Block und einen Stift aus der Tasche.

Sie diktierte ihm die Nummer, bedankte sich dafür, dass er sie nach Hause gebrachthatte, und lief dann den Weg zum Haus hinauf. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Detective Dalton ihr nachsah.

Becky fand den Schlüssel wie immer unter der Fußmatte, wandte sich noch einmal halb um und winkte Nate kurz zu. Danach fuhr er immer noch nicht los.

Sie schloss die Tür auf, ging hinein und konnte das Gefühl nicht loswerden, dass sie gerade einen fundamentalen Fehler gemacht hatte.

2. KAPITEL

Becky parkte auf ihrem üblichen Platz an der Seite des Hauses. Sie war glücklich, denn endlich hatte sie einen Job gefunden, der Zukunft hatte. Sie würde in der Buchhaltung des neuen Gartencenters zwar erst kurz vor der großen Eröffnung in vier Wochen anfangen, aber wenn schon. Bis dahin musste sie eben sparsam mit dem Benzin sein und von dem leben, was sie noch im Kühlschrank hatte. Kevins Scheck hatte die monatlichen Festkosten gedeckt, und glücklicherweise hatte sie auch noch einen ganzen Karton Katzenfutter da, damit Ozzie, ihre mäkelige kleine Pelzkugel, nicht hungern musste.

Zum ersten Mal seit acht Tagen dachte sie nicht daran, ihrem neuen Nachbarn aus dem Weg zu gehen. Nicht, dass sie Angst vor ihm hätte, aber was sollte sie zu einem Mann sagen, der sie beinahe verhaftet hatte? Einem Mann, der dazu noch ausgesprochen sexy war. Wenn sie sich da mit ihm anfreunden würde, würde sie auch bald mehr von ihm wollen. Und dann wäre es bald wieder so weit, dass ein gut aussehender Muskelprotz ihr Leben bestimmte. Nein danke.

Sie hatte es geschafft, Detective Dalton aus dem Weg zu gehen, seit er sich, einen Tag später, nachdem sie ihm davon erzählt hatte, die freie Wohnung angeschaut hatte. Der Mann verschwendete keine Zeit. Zum Entzücken der Hauseigentümerin hatte er die Wohnung gleich am Donnerstag gemietet, und am Samstag war die halbe Polizei erschienen, um ihm beim Ausladen des Möbelwagens zu helfen. Wenigstens hatte ihr das Mrs. Vander Polder strahlend berichtet, die überglücklich war, dass sie jetzt einen echten Polizisten in ihrem Haus hatte.

Dagegen war sie bestrebt, ihm aus dem Weg zu gehen. An einem Abend war sie sogar einmal um den Block gefahren, nur weil sie gesehen hatte, dass er gerade ankam.

Heute hatte sie schon die Autotür geöffnet, als er neben ihr hielt. Neben seinem seriösen dunklen Auto sah ihr kleiner roter Flitzer irgendwie lächerlich aus.

Natürlich hatte Nate sie gesehen und winkte ihr durchs Fenster zu. Dieses Mal konnte sie also nicht entkommen. Es wäre albern, jetzt plötzlich wieder loszufahren.

Noch bevor sie sich eine witzige Entgegnung überlegen konnte, war er schon ausgestiegen und an ihr Fenster getreten.

„Wie geht es denn meiner Lieblingseinbrecherin?“, fragte er.

Sie zuckte nur mit den Schultern. Warum grinste er so? Und warum sah er sie so aufmerksam an, von ihrem neu hergestellten dunkelblonden Haar bis zum Saum ihres beigen Kostüms, das sie sich extra für das zweite Bewerbungsgespräch angezogen hatte? Sein Blick erschien ihr intimer als das professionelle Abtasten in der Nacht, in der sie ihm zum ersten Mal begegnet war.

Sie stieg aus, wandte sich um und beugte sich vor, um ihre Handtasche vom Rücksitz zu holen. Sie konnte es förmlich spüren, dass sein Blick jetzt auf ihre Beine gerichtet war. Der kurze Rock verbarg beim Vorbeugen vermutlich nicht mehr viel.

Meinetwegen, dachte sie. Aber wenn ich noch einmal deine Hand spüre, dann melde ich das bei deinem Vorgesetzten.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.

„Nein danke.“ Warum ging er nicht endlich?

„Sie haben Ihren Scheck ja wohl bekommen.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Ihr Haar. Es sieht sehr gut aus.“

Es war nicht einfach, auf ein Kompliment etwas Schnippisches zu entgegnen. Aber irgendwie musste sie ihn bremsen. Sie wollte nicht, dass er sie mochte. Denn dann würde sie seine Zuneigung womöglich erwidern.

„Ihretwegen musste ich mein Haar bei drei Bewerbungsgesprächen unter einem blöden Schal verstecken. So lange hat es gedauert, bis das neue Mädchen in Kevin Stalnakers Harem mir den Scheck geschickt hat.“

„Und haben Sie den Job bekommen?“

„Ja, aber der fängt erst nächsten Monat an.“ Sie warf die Autotür zu.

„Herzlichen Glückwunsch. Wollen Sie Ihre Autotür nicht abschließen?“

Wie ihr Vater! Würde sie denn immer von Männern umgeben sein, die ihr vorschreiben wollten, was sie zu tun hatte? „Und wenn ich nun in ein paar Minuten wieder wegwill?“

„Haben Sie das denn vor?“

„Nein, aber das konnten Sie ja nicht wissen.“

Er war neben sie getreten, öffnete jetzt noch einmal die Autotür, drückte den Knopf herunter und drückte die Tür fest zu. „Was war übrigens neulich los mit dem Auto?“

Er stand jetzt so dicht neben ihr, dass sie den leichten Duft seines herben Rasierwassers wahrnehmen konnte. Es war ein warmer Tag, und er hatte sich sein graues Jackett lässig über die Schulter gehängt. Die Ärmel seines weißen Hemds waren hochgekrempelt, die gebräunten Unterarme gut sichtbar, und die dunkelrote Krawatte war gelockert. Die dunkelgraue Hose zeigte Falten vom Sitzen im Auto. Er hatte heute Morgen sicher sehr elegant ausgesehen, jetzt sah er etwas zerzaust und unglaublich sexy aus.

Aber das hatte keine Wirkung auf sie, auf keinen Fall.

„Es war nur die Batterie.“ Sie hielt den Blick gesenkt, damit er ihr nicht ansah, was sie dachte. Dass die Funken, die zwischen ihnen flogen, stark genug waren, um jede Batterie aufzuladen, was aber nur zu einer Riesenenttäuschung führen konnte.

„Wie gut, dass es nichts Ernstes war“, sagte er freundlich.

Selbst dieser harmlose Satz hatte auf sie eine elektrisierende Wirkung. Sie sollte sich mehr zusammenreißen. „Also gut, bis später dann.“ Schnell ging sie um ihn herum. Bevor er sie aufhalten konnte, drückte sie ihre Handtasche an die Brust und rannte fast zum Vordereingang, der auf einen kleinen Flur führte, von dem seine und ihre Wohnung abgingen.

Becky hatte gerade den Hausschlüssel aus der Tasche gezogen, als Nate neben sie trat und seinen Schlüssel ins Schloss steckte.

„Ich habe übrigens den Extraschlüssel unter der Fußmatte an mich genommen“, sagte er.

„Den tun Sie am besten wieder dahin zurück. Ich habe meine Schlüssel nämlich nicht bei mir, wenn ich abends weggehe.“

„Dann liegt Ihr Wohnungsschlüssel wohl unter Ihrer Fußmatte?“ Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Da können Sie ja gleich ein Willkommensschild für Einbrecher auf den Rasen stellen.“

„Sie übertreiben wirklich. Außerdem kann ich mein Schlüsselbund nicht in meiner winzigen Abendtasche unterbringen.“

„Seien Sie kreativ. Sie können ihn doch im BH verstecken, falls Sie jemals einen tragen. Auf jeden Fall möchte ich ungern in einem Haus wohnen, wo die Schlüssel unter der Fußmatte liegen.“

Sie war rot geworden, weil sie sich sofort vorstellte, wie er in ihrem BH nach dem Schlüssel fingerte. „Es geht Sie zwar nichts an, aber ich trage tatsächlich sehr selten einen BH. Und überhaupt, Sie würden hier ja gar nicht wohnen, wenn ich Ihnen nicht von der freien Wohnung erzählt hätte.“

„Das stimmt. Vielen Dank auch.“

Seine Lachfältchen vertieften sich, und der Blick seiner blauen Augen ging ihr viel zu sehr unter die Haut. Verlegen trat sie von einem Fuß auf den anderen. Warum beeindruckte dieser Mann sie so? Es kam ihr vor, als zöge er sie mit den Augen aus. Und wie kam er dazu, etwas über ihre Unterwäsche zu sagen?

„Ich bin immer froh, wenn ich der Polizei, unserem Freund und Helfer, behilflich sein kann“, erwiderte sie sarkastisch. Dabei hätte sie gern mehr über ihn gewusst. Wie kam es, dass er eine so schmale Taille, aber so breite Schultern hatte? Und war sein restlicher Körper genauso gebräunt wie seine Arme und sein Gesicht? Sie sollte lieber endlich in ihre Wohnung gehen. Er schien zwar sehr viel netter zu sein als Kevin, aber welcher Mann war nicht reizend, bis er die Frau in seiner Gewalt hatte?

„Bis dann.“ Sie ging zur Treppe, die zu ihrer Wohnung führte, und hoffte, dass er ihr ihr Desinteresse abnahm. Dabei klopfte ihr Herz wie wild. Von wegen Desinteresse! Wie gern würde sie auf Nates Schoß sitzen, durch die Knopfleiste tasten und seine glatte Haut berühren. Sie wollte sich an ihn schmiegen und abwarten, was geschehen würde.

Was fiel ihr ein? Sie rannte förmlich die Treppe hinauf, holte den Schlüssel unter der Matte hervor, schloss auf und schlug dann die Tür hinter sich zu. Was ging es ihn überhaupt an, wo sie ihren Schlüssel versteckte?

Sie atmete tief durch. Sie war gerade noch einmal davongekommen. Nie würde sie sich mit diesem rechthaberischen, viel zu selbstsicheren, aber leider sehr attraktiven Polizisten einlassen.

Nate sagte sich, dass er Rebecca Ryan lieber nicht hätte nachsehen sollen, als sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinauflief. Ihr hübscher kleiner Po und die Beine, die in den dünnen Nylons noch aufregender aussahen als in der schwarzen Jeans, würden ihn in erotischen Wachträumen verfolgen. Aber glücklicherweise schien sie ziemlich reizbar zu sein und wollte nichts von ihm wissen. Sie wäre sicher auch nicht gut für ihn. Wenn er sich auf sie einlassen würde, entpuppte sie sich wahrscheinlich bald als eine zweite Margo.

Müde nach einer langen Nachtschicht, trat er in seine Wohnung. Er wollte keine neue Freundin. Sein Privatleben war wunderbar unkompliziert, seit Margo ihm vor sechs Monaten den Laufpass gegeben und sich auf einen älteren Mann mit viel Geld konzentriert hatte.

Er wollte nicht an Margo denken. Aber die offenkundige Hilflosigkeit seiner Hausgenossin hatte ihn an Margo erinnert. Fast zwei Jahre hatte er mit Margo zusammengelebt und in der Zeit vergeblich versucht, ihr Leben ein wenig zu stabilisieren. Sie war unfähig, ihre Finanzen in Ordnung zu halten. Er hatte ihren zierlichen Körper und das seidig blonde Haar geliebt. Anfangs hatte ihm ihre übersprudelnde Art gefallen, aber am Ende hatte er es einfach satt, Margo immer wieder aus irgendwelchen Krisen zu retten. Außerdem hatte sie Angewohnheiten, die ihn mit der Zeit verrückt machten. So war sie immer unpünktlich, tat selten etwas im Haushalt und brachte es nicht fertig, die einfachste Entscheidung zu fällen, ohne in Panik zu geraten.

Seine nächste Freundin sollte deshalb eine große, schlanke, dunkelhaarige Frau sein, die er küssen konnte, ohne sich weit vorbeugen zu müssen; eine selbstständige Erwachsene, die sein Leben nicht vollkommen durcheinanderbrachte. Nicht, dass er keine Verantwortung übernehmen wollte, aber zu viel war zu viel. Als Ältester von vier Kindern hatte er schon früh Verantwortung übernehmen müssen. Seine Brüder waren auch Polizisten geworden und schon lange unabhängig. Seine kleine Schwester war allerdings ziemlich unzuverlässig und flatterhaft.

Während er sich auszog, um zu duschen, versuchte er, nicht mehr an Rebecca Ryan zu denken. So müde, wie er war, konnte er bestimmt zehn Stunden durchschlafen. Später wollte er noch ein wenig in seiner neuen Wohnung herumräumen. Er fühlte sich in den drei großen hohen Zimmern mit dem glänzenden Parkettboden schon ganz zu Hause.

Nur das Bad passte in seinem Dekor nicht zu den geschmackvollen anderen Räumen. Die Besitzerin hatte es noch kurz vor dem Tod ihres Mannes in Avocadogrün und Orange neu herrichten lassen. Aber es hatte eine gute Dusche, aus der nach einer Minute heißes Wasser kam, wenn keiner der anderen Hausbewohner gerade duschte.

Er hörte nur selten etwas von den Bewohnern der hinteren Wohnungen. Hin und wieder konnte er aus den Geräuschen über sich schließen, dass Rebecca zu Hause war. Aber sie hielt ihn nicht wach, wenigstens nicht dadurch.

Die Dusche war nur lauwarm. Offenbar hatte Rebecca vor ihm den Hahn aufgedreht. Aber er würde heute nicht warten. Er war zu müde. Plötzlich kam das Wasser wieder mit hartem Druck und ganz heiß. Er spülte die letzten Seifenreste ab und drehte den Hahn zu. Da hörte er von oben einen lauten Schrei.

Seine Nachbarin über ihm schrie, was ihre Lungen hergaben.

Er stürzte aus dem Bad, griff sich die Hose vom Stuhl und zog sie hastig über die noch nassen Beine. Automatisch holte er seine Pistole aus der Nachttischschublade, rannte aus der Wohnung und die Treppe hinauf.

„Rebecca, was ist los?“ Er hämmerte mit der Faust gegen ihre Tür und überlegte schon, ob er die Tür eintreten sollte.

Da wurde sie geöffnet. Vor ihm stand Rebecca, einen Besen in der Hand, den sie wie eine Waffe hielt. Der Gürtel ihres kurzen gelben Morgenrocks war so straff gebunden, dass ihre Brustspitzen deutlich hervortraten, und ihre Augen waren weit aufgerissen.

„Im Badezimmer!“, stieß sie hervor.

Sie ging vor ihm her und hielt den Besen immer noch wie zum Schutz hoch. Durch ihren dünnen Morgenrock zeichnete sich gut erkennbar ihr fester kleiner Po ab. Da blieb sie plötzlich stehen, und er wäre fast über sie gefallen.

„Da“, stieß sie hervor und zeigte auf den grünen Duschvorhang, der in eine altmodische Badewanne hineinhing.

Vorsichtig zog Nate den Vorhang beiseite, sah aber nichts.

„Ich bin fast draufgetreten“, sagte sie anklagend.

Er trat dicht an die Wanne heran und blickte auf die Gummimatte, die darin lag. Dann lachte er. „Das ist ja ein Riesenungeheuer.“

„Das ist überhaupt nicht komisch. Ich kann Spinnen nicht ausstehen. Wenn ich nun aus Versehen darauf getreten wäre!“ Becky schüttelte sich und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Den brauche ich wohl nicht.“ Nate legte seinen Revolver auf das Waschbecken, zog ein paar Kleenex aus einer Schachtel und nahm die haarige Spinne auf, die so groß war wie eine kleine Münze. Nachdem er sie in die Toilette geworfen und die Spülung betätigt hatte, blickte er sich um, als suchte er nach weiteren Eindringlingen. Er wollte auf alle Fälle vermeiden, Rebecca Ryan anzusehen. Der Ausschnitt ihres Morgenrocks klaffte weit auf, sodass der Ansatz ihrer Brüste zu sehen war. Trotz seines nackten Oberkörpers wurde ihm warm.

„Tausend Dank.“ Sie lächelte erleichtert.

„Keine Ursache.“ Frauen, die einen Retter zu Hilfe riefen, sollten sich wenigstens in einen dicken Bademantel hüllen!

„Es tut mir leid, dass ich geschrien habe. Aber ich habe eine ausgesprochene Spinnenphobie.“

„Ja, so etwas gibt es. Ich bin froh, dass ich helfen konnte.“ Er sah ihr direkt in die Augen, woraufhin er förmlich dahinschmolz wie ein Teenager, der zum ersten Mal verknallt war.

Becky ging ins Wohnzimmer, wandte sich noch einmal um und ertappte Nate dabei, wie er sie anstarrte. Instinktiv zog sie ihren Morgenrock am Hals zusammen. Sie war schon unter der Dusche gewesen, als sie wegen der Spinne wieder aus der Badewanne gesprungen war, und der dünne Morgenrock klebte ihr praktisch auf der feuchten Haut.

„Also, ich gehe wohl lieber und zieh mich an“, sagte Nate schließlich und räusperte sich. Er wusste nicht, was alberner war: wegen einer Spinne mit der Pistole in ihre Wohnung geplatzt zu sein oder diese Teenagergefühle wegen einer Frau, mit der er nichts zu tun haben wollte.

Wieder in seiner Wohnung, riss er sich die feuchte Hose herunter und stellte sich unter die Dusche. Diesmal ließ er das Wasser kalt auf seinen Körper prasseln, bis er wieder klar denken konnte.

Okay, sie waren jetzt quitt. Sie hatte ihm dabei geholfen, eine Wohnung zu finden, und er hatte sie vor einer Spinne gerettet. Er war ihr nichts mehr schuldig. Er kannte diese Art von Frauen, niedlich und klettig, und letzten Endes konnte man ihnen nichts recht machen. Er hatte so etwas schon einmal durchgemacht. Er würde kein zweites Mal auf eine zierliche Person mit großen Augen und einem niedlichen kleinen Po hereinfallen.

Da er wusste, dass er sich in Rebecca leicht verlieben könnte, gab es nur eins: Er musste ihr aus dem Weg gehen.

Ich hätte ihm zum Dank eigentlich anbieten sollen, etwas für ihn zu kochen, dachte Becky. Aber ihr gesunder Menschenverstand hatte sie davor zurückgehalten. Außerdem war es ihr immer wieder peinlich, dass sie eine solche Angst vor Spinnen hatte. Schließlich war sie auf einer Farm aufgewachsen, wo es allerlei derartiges Getier gab.

Leider hatte sie aber trotz ihrer Angst gesehen, dass Nate in seiner Hast vergessen hatte, den obersten Knopf seiner Hose zu schließen. Sie hatte den Blick kaum lösen können von den kleinen dunklen Löckchen, die oberhalb des Reißverschlusses zu sehen gewesen waren, und als sie den Blick gesenkt hatte, hatte sie feststellen müssen, dass seine nackten Zehen auch ausgesprochen hübsch waren.

Sie wollte zwar nichts mit ihm anfangen, aber das hieß nicht, dass sie es nicht genießen konnte, seinen schönen, kräftigen Körper zu betrachten. Es war harmlos, so, als ob sie eine griechische Statue im Museum bewunderte.

Becky räumte ein wenig in ihrer Wohnung herum, wusch ab und wollte sich gerade mit einem Buch ins Bett zurückziehen, da klingelte es.

Mrs. Vander Polders Sicherheitsbedürfnis ging nicht so weit, dass sie eine Sprechanlage für die Wohnungen eingerichtet hätte. Man musste zur Haustür gehen und durch den Spion sehen, um zu wissen, wer zu einem wollte.

Becky kannte die junge Frau vor der Tür nicht. Sie war groß und hübsch, hatte lockiges dunkles Haar, das ihr auf die Schultern fiel, und ein vollkommenes ovales Gesicht mit einer makellosen Haut.

Überrascht öffnete Becky die Tür und sah jetzt erst das Baby.

„Sind Sie die Nachbarin von Nate Dalton?“, fragte die Fremde mit der makellosen Haut.

„Ja, ich …“ „Ich habe Ihren Namen auf dem Schild draußen gelesen. Sie sind Rebecca?“

„Ja, so heiße ich“, erwiderte Becky und blickte auf das Baby, das in einem tragbaren Sitz schlief, der auf dem Treppenabsatz abgestellt war. Es war in einen flauschigen rosa Schlafanzug gekleidet, der mit weißen Häschen bedruckt war. Offensichtlich handelte es sich um ein Mädchen. Es hatte die dunklen Locken der Frau und die kleinen Hände zu Fäusten geballt.

Das Baby rührte sich und öffnete nun die Augen, die von einem Blau waren, das Becky irgendwie bekannt vorkam.

„Ich habe immer wieder bei Nate geklingelt, aber wahrscheinlich hat er Dienst. Das ist mal wieder typisch. Er ist nie da, wenn ich ihn mal brauche.“

Für sie, Becky, war er da gewesen, als sie ihn brauchte. „Ja, er arbeitet viel“, versuchte sie, ihn zu verteidigen. Wer mochte diese junge Frau sein, seine Exfrau, eine frühere Freundin, eine verlassene Geliebte? Aber es ging sie nichts an, wessen Baby das war.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll. Es ist schrecklich. Ich hatte so mit ihm gerechnet.“

Becky sah, dass ein Taxi mit laufendem Motor vorm Haus stand. „Sie können ihn ja von meiner Wohnung aus anrufen“, bot sie an.

Die Frau sah sich nach dem Taxi um. „Und das alles bei laufendem Zähler. Das ist wirklich ein Albtraum. Warum kann er nicht einmal zu Hause sein, wenn ich ihn brauche?“

Weil er seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Aber Becky schluckte die bissige Antwort herunter. Das Baby gluckste leise, und sie hätte es am liebsten hochgenommen.

„Könnten Sie mir einen riesigen Gefallen tun? Könnte ich eine Nachricht für Nate bei Ihnen hinterlassen?“

„Natürlich, kommen Sie nur. Ich sehe schon zu, dass er Ihre Nachricht bekommt.“ Becky war nicht davon begeistert, auf diese Weise mit Nate wieder in Kontakt zu kommen, aber sie wollte der unglücklichen Frau diese kleine Bitte nicht abschlagen. „Kann ich Ihnen beim Tragen helfen?“

Die Frau hob eine große Tasche hoch, die neben dem Babysitz stand. „Danke, es wäre sehr nett, wenn Sie die Windeltasche nehmen könnten.“

Becky ging vor ihr die Treppe hinauf.

„Die ist meine Tochter Lucy“, erklärte die Frau und stellte den Babysitz mitten auf den Teppich in Beckys Wohnzimmer.

„Hallo, Lucy.“ Becky kniete sich vor der Kleinen hin. Das Baby sah sie ernsthaft an. „Dort hinten beim Telefon sind übrigens Block und Kugelschreiber.“ Sie zeigte auf den Tresen, der die Küchenzeile vom Wohnraum trennte.

Während Becky leise mit dem Baby sprach, schrieb die Frau ein paar Sätze auf ein Stück Papier, faltete es und gab es ihr dann, bevor sie in Tränen ausbrach.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich muss Sie einfach fragen.“ Sie sah Becky verzweifelt an. „Ich hatte mit Nate gerechnet, und nun ist er nicht da. Ich kann Lucy nicht mitnehmen. Er muss einfach auf sie aufpassen.“

„Aber er arbeitet doch.“ Becky wusste nicht, was sie der Mutter dieses blauäugigen Engels raten sollte. Die Frau hatte große braune Augen. Es war offensichtlich, was sich hier abspielte. Eine schöne Frau hatte ein Baby, das Nates Augenfarbe hatte, und suchte verzweifelt nach ihm.

„Ich kann einfach nicht warten, bis er nach Hause kommt“, wiederholte die Frau schluchzend. „Das Taxi, mein Bus … Ich habe wirklich keine andere Wahl. Könnten Sie möglicherweise auf Lucy aufpassen, bis Nate nach Hause kommt? Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Ich bezahle Sie auch gern dafür.“ Sie sah Becky flehend an.

„Ich würde nie Geld dafür nehmen.“ Wider jede Vernunft nickte Becky freundlich. Die Frau schien so verzweifelt. „Aber woher weiß ich, dass Nate Lucy nehmen wird, wenn er nach Hause kommt?“

„Das wird er ganz bestimmt. Die Familie geht ihm über alles. Bitte.“ Sie sah auf ihre Uhr. „Es würde mir nicht im Traum einfallen, Lucy einfach hierzulassen, wenn ich einen anderen Ausweg wüsste. Aber Sie kennen Nate ja, Sie sind doch Nachbarn. Bitte, bitte helfen Sie mir.“ Sie wischte sich die Augen mit einem feuchten Taschentuch.

Becky fühlte einen Anflug von Neid. Diese Frau sah sogar noch gut aus, wenn sie heulte. Außerdem hatte sie ein entzückendes Baby. Wer weiß, was sie mit ihm machen würde, sagte sich Becky, wenn ihr nicht geholfen wurde. Sie schien psychisch nicht gerade stabil zu sein.

„Also gut, ich werde auf sie aufpassen“, antwortete sie schließlich.

Die Frau lächelte erleichtert. „Alles, was Lucy braucht, ist in der Tasche. Sie wird wahrscheinlich wieder einschlafen, nachdem Sie ihr eine Flasche gegeben haben. Ich kann Ihnen nicht genug danken. Und bitte geben Sie Nate die Nachricht.“

„Ganz bestimmt“, sagte Becky trocken.

Die Frau beugte sich schnell noch einmal über das Kind und küsste es auf die Stirn. Ihre Tränen waren versiegt. Dann lief sie die Treppe hinunter und zu dem wartenden Taxi.

„Also, Lucy …“,Becky hob die Kleine aus ihrem Sitz, „… wessen Baby bist du denn?“

Ihr wurde ganz anders, als sie in die leuchtend blauen Augen des Kindes blickte. Da setzten sich offensichtlich die Gene eines gewissen Machos durch.

3. KAPITEL

Ach, wenn sie doch weiterschlafen könnte! Becky zog sich die Decke über den Kopf und rollte sich auf der Seite zusammen. Ozzie konnte ruhig noch eine Weile auf sein Futter warten, auch wenn er noch so kläglich miaute.

Aber sie konnte leider nicht zu ihrem wunderschönen Traum zurückkehren, weil das Maunzen jetzt lauter wurde. Dieses verdammte Tier! Sie war kurz davor, einen Schuh in seine Richtung zu werfen, als es sie plötzlich siedend heiß durchfuhr. Das war ja gar nicht Ozzie, der so jämmerliche Laute von sich gab, sondern das Baby!

Sie sprang aus dem Bett und lief ins Wohnzimmer. Lucy lag noch in ihrem Sitz, sah aber nicht mehr so zufrieden aus wie vor ein paar Stunden, als sie sie gefüttert und gewindelt hatte.

„Mein kleines Liebchen, wer wird denn so weinen?“, sagte sie beruhigend und hob das Kind hoch. „Ich habe eine Flasche für dich im Kühlschrank.“

Sie war oft genug bei ihren Neffen und Nichten als Babysitter eingesprungen und wusste, was zu tun war. Aber sie hatte das nie zu so früher Stunde machen müssen, wenn sie nur halb wach war.

„Erst fünf“, stöhnte sie, als sie auf die Uhr des Mikrowellenherds sah. Sie hatte bis nach zwei darauf gewartet, dass Nate nach Hause kam, denn sie war sicher, dass er am Nachmittag zur Arbeit gefahren war. Wenn er die Schicht von fünfzehn bis dreiundzwanzig Uhr übernommen hatte, warum war er dann noch nicht da? Sie hatte schließlich einen Zettel an seine Tür geklebt, er solle sofort zu ihr hinaufkommen.

Warum war er also nicht gekommen?

Vielleicht hatte er gemeint, dass sie nur wieder eine Spinne in der Badewanne habe!

Blödmann, dachte sie und balancierte Lucy auf der Hüfte, während sie die Flasche warm machte.

Vielleicht war er auch noch nicht zu Hause. Das wäre ja wohl typisch für einen Mann, der sich in Sachen Babys so unverantwortlich verhalten hatte.

Lucy sah sie aus ihren blauen Augen vorwurfsvoll an, und Becky wechselte ihr schnell die Windel, bevor sie ihr die Flasche gab. Danach schlief Lucy sofort ein, und Becky legte sie vorsichtig in den Sitz zurück. Sie würde jetzt selbst wieder ins Bett gehen, drei Stunden waren einfach nicht genug.

Ein lautes Geräusch hielt sie jedoch davon ab. Es klang ganz so, als ob der „Daddy“ nach Hause gekommen wäre. Sie stürzte aus der Tür und rief vom oberen Treppenabsatz: „Dalton, kommen Sie sofort rauf!“

„Haben Sie etwa wieder eine Spinne gefunden?“ Er klang müde und sah verknittert, unrasiert und erschöpft aus. Das grüne Hemd hing ihm aus der Khakihose, und sein Jackett trug er zusammengerollt unter dem Arm.

Becky holte tief Luft. Sie musste ja wohl verrückt gewesen sein, diesen Mann unter sich einziehen zu lassen. Selbst in diesem Zustand sah er noch unglaublich sexy aus.

„Keine Spinne“, entgegnete sie empört, „sondern ein Zweibeiner.“

Er sah sie verdutzt an und kam langsam die Treppe hinauf.

„Hier hinein“,sagte sie knapp und ging ihm voraus ins Wohnzimmer. „Kommt sie Ihnen bekannt vor?“, flüsterte sie, um das Baby nicht zu wecken, und wies auf das Kind.

„Mein Gott, Lucy!“ Sein Gesichtsausdruck war wütend oder entsetzt oder beides, als er jetzt schnell neben die Kleine trat.

Er kannte das Baby also. Na, und wenn schon. Okay, vielleicht hatte sie ganz heimlich gehofft, dass alles ein dummes Versehen sei. Aber eigentlich sollte es ihr auch schnuppe sein, ob er der Vater von Dutzenden kleiner Engel mit blauen Augen war. Es war nur schade, dass er Lucy kein echter Vater war, einer, der sich um sie kümmerte.

Wenigstens hatte er nicht geleugnet, das Baby zu kennen.

„Was macht denn meine Nichte hier?“, unterbrach er sie in ihren Gedanken.

„Ihre Nichte?“

„Wer soll es denn sonst sein? … haben Sie etwa geglaubt, es sei mein Kind?“

Wie konnte er so schockiert tun? Das war doch schließlich die einzig logische Erklärung gewesen. „Was sollte ich denn sonst denken? Lucy wurde bei mir abgeladen, weil Sie nicht zu Hause waren.“

„Abgeladen?“ Er funkelte sie wütend an.

„Ja, so ähnlich. Ihre Mutter hat bei mir geklingelt, und ich habe ihr aufgemacht. Ich sah die großen blauen Augen, und da dachte ich natürlich …“

„Ich sei der Vater“, unterbrach er sie.

„Das lag wohl nicht so fern“, sagte sie und war jetzt ärgerlich, weil er sie schon wieder zurechtstutzte. „Hören Sie mal, Detective Dalton, ich habe das Baby nur aufgenommen, weil ich mir Sorgen um die Kleine machte. Die Mutter schien irgendwie …“ Sie schwieg und fuhr dann fort: „Sie schien irgendwie Ihr Typ zu sein.“

„Mein Typ? Woher wissen Sie denn, was mein Typ ist?“

Becky hätte vor Frustration am liebsten mit dem Fuß aufgestampft. „Sie sah sehr gut aus. Aber eigentlich verdienen Sie einen ganz anderen Typ Frau, eher eine Ringerin oder eine vom Militär, die Ihnen den Arm brechen kann, wenn Sie den Macho herauskehren.“

„Es tut mir leid, aber ich bin nun mal Polizist, und manchmal kann ich nicht aus meiner Haut.“

„Dann geben Sie sich mal ein wenig mehr Mühe. Die Frau schien wirklich nett zu sein, aber sie war völlig fertig.“

„Das muss Freddie sein.“

„Freddie?“

„Meine Schwester Fredericka. Was hat sie denn gesagt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Lucy einfach bei einer wildfremden Frau gelassen hat.“

„Sie waren ja nicht da. Sie bat mich, auf das Kind aufzupassen, bis Sie nach Hause kämen. Sie hat mir wohl instinktiv vertraut.“

„Da sind Sie ja ein großes Risiko eingegangen, das Kind einfach so aufzunehmen. Wenn ich es nun gar nicht gekannt hätte?“

„An die Möglichkeit hatte ich durchaus gedacht.“ Becky sah ihn abwartend an. „Aber es hat Ihre Augen.“

Nate zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. „Blaue Augen sind ja auch so selten.“

„Wo ist denn der Vater?“ Sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als ihm zu sagen, wie besonders seine Augen waren. Nicht nur blau, sondern funkelnd und tief und verführerisch. Aber sie würde nicht auf ihn hereinfallen. Sie wollte nichts mehr mit Männern zu tun haben, die Sex ausstrahlten wie Sommersonne flirrende Hitze.

„Er verschwand vor sieben Monaten, gleich nachdem Lucy geboren war.“

„Und warum wollte Ihre Schwester sie bei Ihnen lassen?“

„Meine Brüder leben in einem anderen Staat, und meine Eltern sind auf einer Kreuzfahrt. Außerdem bin ich derjenige, der ihr immer schon bei Schwierigkeiten geholfen hat. Was hat sie denn sonst noch gesagt?“

„Nicht viel. Ach ja, ich vergaß, sie hat Ihnen ja eine Nachricht hinterlassen.“

„Wo ist sie?“

„Sprechen Sie nicht so laut. Sie wecken sonst das Baby auf. Lucy hat gerade erst ihr Fläschchen bekommen.“ Er sollte ruhig wissen, wer hier das Sagen hatte. Becky reichte ihm den Zettel. Natürlich hatte sie ihn schon gelesen. Zeit genug hatte sie ja gehabt, und für einen zusammengefalteten Zettel galten sicher nicht die Gesetze des Briefgeheimnisses. Dennoch fragte sie: „Was schreibt Ihre Schwester denn?“

„Nur, dass sie ein wenig Zeit für sich braucht, um Verschiedenes zu regeln. Sie will, dass ich auf Lucy aufpasse, bis sie zurückkommt. Eins verstehe ich allerdings nicht.“

„Was denn?“

„Ich soll meiner Mutter nicht sagen, dass Lucy bei mir ist.“ Nate starrte mit zusammengezogenen Brauen auf die Nachricht.

„Ja, das ist merkwürdig.“ Becky hatte sich schon selbst darüber gewundert.

„Das ist wieder mal typisch Freddie. Sie will unabhängig sein, braucht mich dann aber, um ihre Probleme auf mich abzuwälzen, während sie sich verwirklicht.“

„Ich würde Lucy nicht gerade als Problem bezeichnen.“

Sie waren beide an den Kindersitz getreten. Lucy musste gemerkt haben, dass ihr Lieblingsonkel da war, denn sie öffnete nun die Augen und griff nach einem von Nates großen harten Fingern.

Er lächelte. „Nein, sie ist mein Patenkind, und ich liebe sie sehr. Aber wie soll ich für sie sorgen? Ich muss schließlich arbeiten.“

Er sah sie, Becky, an, äußerte aber nicht die Frage, die sie erwartet hatte. Warum war sie irgendwie enttäuscht, dass er sie nicht bat, auf das Baby aufzupassen? Schließlich war es besser so. Sonst würde sie diesem Mann, der ihr immer mehr unter die Haut ging, nur noch häufiger begegnen.

„Ich muss mir etwas überlegen“, sagte er, warf sein Jackett auf den nächsten Stuhl und beugte sich vor, um seine Nichte aus dem Sitz zu heben.

Wieder musste sie unwillkürlich seinen breiten Rücken und die schmalen Hüften bewundern.

Offenbar wusste er, wie man mit einem Baby umging. Er sprach leise auf Lucy ein, während er sie im Zimmer herumtrug, bis sie ihn anlächelte.

„Meinen Sie, Sie könnten mir aushelfen, bis ich einen guten Babysitter gefunden habe?“, fragte er plötzlich und war vor ihr stehen geblieben. „Ich würde Sie natürlich dafür bezahlen.“

Also doch! Am liebsten hätte sie dieses lauwarme Angebot sofort ausgeschlagen, aber ihr gefiel der Gedanke nicht, Lucy irgendeiner Fremden anzuvertrauen.

„Vielleicht könnte ich vorübergehend für sie sorgen“, erwiderte sie betont zögernd. „Aber Geld würde ich dafür nicht nehmen.“ Sie hatte auch ihren Stolz, das sollte er ruhig merken.

„Darüber können wir ja später noch mal reden.“

Er schien zu glauben, dass er darüber zu entscheiden hatte.

Sie biss die Zähne zusammen. „Okay.“

Aber er beschäftigte sich schon wieder mit dem Kind und ignorierte sie. „Du bist ja schon so groß geworden.“ Er hob die Kleine hoch in die Luft.

„Ich hole die Flaschen aus dem Kühlschrank.“ Sie wandte sich um. „Das sollte für heute reichen. Aber morgen müssen Sie neue Babynahrung kaufen.“

„Hören Sie mal, ich habe noch nicht geschlafen.“ Beunruhigt sah er sie an. „Ich habe jetzt einen Tag frei. Wenn Sie vielleicht die erste Schicht mit Lucy übernehmen könnten …“

„Nun mal langsam. Ich habe bis nach zwei auf Sie gewartet, und Lucy hat mich um fünf wieder geweckt. Ich habe auch nicht genug Schlaf bekommen. Übrigens, selbst auf die Gefahr hin, dass es mich nichts angeht, haben Sie denn wirklich bis eben arbeiten müssen?“

„Nein, es geht Sie nichts an, aber ich habe Überstunden gemacht und war dann noch kurz bei einer Junggesellenparty für einen Kumpel, der morgen heiratet.“

„Das muss ja eine tolle Party gewesen sein!“

„Ja, für die Stripperin bin ich gerade noch rechtzeitig gekommen, falls Sie das meinen.“ Sein Sarkasmus war unüberhörbar.

„Hoffentlich haben Sie sich gut amüsiert.“ Das klang nicht weniger bissig.

„Nur zu Ihrer Information, ich habe zehn Stunden Schichtdienst hinter mir und war dann noch etliche Stunden in einem verräucherten Raum. Wenn ich betrunken wirken sollte, dann liegt das nicht an den paar Bieren, die ich hatte, sondern an den Whiskeydünsten im Raum. Nein, und ich habe mich nicht mit dem Mädchen amüsiert, das zur Unterhaltung aller bestellt war.“

„Sehr interessant, aber so genau wollte ich es gar nicht wissen.“ Becky musste gegen ihren Willen lächeln.

„Was wird denn jetzt mit Lucy?“ Nate sah sie ernst an.

„Also gut. Ich schulde Ihnen wohl noch etwas für die Spinne. Ich werde bis Mittag auf Lucy aufpassen.“

„Wunderbar.“ Er küsste das Baby auf die Stirn und übergab es ihr dann. „Ich rechne Ihnen das hoch an.“

„Pünktlich um zwölf ist Ablösung“, erinnerte sie ihn.

„Ja, bestimmt.“ Mit dem Fingerknöchel streichelte er kurz über Lucys Wange. „Bis später, mein Liebling. Und sei lieb zu dieser netten Frau.“

Einen kurzen dummen Augenblick lang war sie doch tatsächlich eifersüchtig auf das Baby.

Nate träumte von einer nahezu nackten Frau, die an den entscheidenden Stellen nur mit drei Blüten bedeckt war. Sie begann, nach dem Schlag der Trommeln ihre Hüften kreisen zu lassen, pflückte dann eine Blüte ab und warf sie ihm zu. Irgendetwas an der Frau kam ihm bekannt vor. Die Linie ihrer Hüfte, die Festigkeit ihrer hübschen Brüste … Aber als er näher heranging, verschwand das Bild.

Der Schlag der Trommeln war aber weiterhin zu hören. Nein, es war kein Trommeln. Jemand klopfte heftig an die Tür.

Nate setzte sich auf und bemerkte er jetzt, dass er heute Morgen sofort auf die Couch gesunken war und sich nur die Schuhe ausgezogen hatte.

„Machen Sie auf, Dalton. Ich weiß genau, dass Sie da sind!“

Er sah auf die Uhr. Dreizehn Uhr fünfzehn. Er wusste jetzt, wer die Frau in seinem Traum gewesen war. Er hatte versprochen, ihr das Kind um zwölf Uhr abzunehmen.

Er schlurfte zur Tür. Er brauchte dringend einen Kaffee, bevor er sich mit den Problemen seiner Schwester und mit seiner Nachbarin auseinandersetzen konnte. Aber warum zum Teufel war ausgerechnet Rebecca Ryan in seinem angenehmen erotischen Traum aufgetreten? Er hatte eine Schwester, die nicht wusste, was sie tat. Er hatte eine Exfreundin, die ohne ihn vollkommen hilflos gewesen war. Er brauchte wahrhaftig keine neue Beziehung mit diesem Typ hilfloses kleines Mädchen.

Er riss die Tür auf und sah sich zwei aufgelösten weiblichen Wesen gegenüber, seiner schreienden rotgesichtigen Nichte und seiner wütenden Nachbarin.

„Unsere Vermieterin wird sich über den Krach beschweren.“ Etwas anders fiel ihm nicht ein.

„Sie spielt Samstagnachmittag Canasta. Und es ist bereits nach Mittag, Dalton, falls Sie das noch nicht gemerkt haben sollten.“

„Ja, ich weiß, kommen Sie herein.“

„Sie hatten versprochen, Lucy am Mittag zu übernehmen. Und ich habe Ihnen sogar schon eine Extrastunde geschenkt.“

„Danke.“ Er nahm ihr das Baby und den Kindersitz ab. „Stellen Sie die Tasche bitte irgendwo hin.“

„Wir hatten eine Abmachung. Ich habe schließlich auch noch anderes zu tun.“

„Ja, es tut mir leid. Ich bin auf der Couch eingeschlafen, noch bevor ich meinen Wecker stellen konnte.“ Er konnte den Blick nicht von ihrem gestreiften Top lösen, unter dem sich einmal mehr deutlich ihre Brüste abzeichneten. Wie schaffte diese Frau es nur, nach so wenig Schlaf so sexy auszusehen? Wenn sie seine Frau wäre, würde er darauf bestehen, dass sie immer einen festen BH und weite Sachen trug.

„Lucy braucht neue Windeln“, unterbrach sie seine Gedanken. „Und das Milchpulver reicht nur noch bis heute Abend. Es steht auf der Dose, wie Sie es verdünnen müssen. Gläschen mit Gemüse hat sie noch genug für morgen, aber da sollten Sie vielleicht auch gleich welche besorgen.“

„Was haben Sie denn heute noch vor?“ Das war ihm so herausgerutscht, denn eigentlich ging es ihn ja nichts an.

„Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen. Danach muss ich mich unbedingt ein paar Stunden hinlegen, sonst schlafe ich während meiner Verabredung ein.“

„Ach, Sie haben schon wieder einen neuen Freund?“ Er hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen, aber nun war es heraus. Nate wandte sich seiner Nichte zu, als ob Beckys Antwort ihn eigentlich überhaupt nicht interessierte.

„Nein, aber einer der Manager des Gartencenters, in dem ich arbeiten werde, hat mich zum Essen eingeladen.“

„Keine so gute Idee, mit seinem Chef auszugehen.“ Er setzte Lucy in ihren Sitz, lächelte sie an und überlegte, was er den ganzen Tag mit ihr machen könnte.

„Er ist nicht mein Chef. Und außerdem ist er ruhig und höflich und produziert sich nicht als der große Macho, der weiß, wo’s längs geht.“ Sie sah ihn an und fuhr dann ruhiger fort: „Es ist ja nicht so, dass ich Lucy loswerden will, aber ich habe wirklich einiges zu erledigen.“

„Bitte, passen Sie noch kurz auf sie auf, während ich dusche. Danach werde ich den Rest des Tages den Superonkel spielen.“

Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern zog sich das Hemd aus und warf es auf die Couch. Dann knöpfte er seine Hose auf und begann, sie sich über die Hüften zu ziehen, neugierig, wann seine Nachbarin ihn wohl stoppen würde.

„Okay, okay, ich gehe. Aber fünfzehn Minuten und nicht eine Sekunde länger.“ Becky nahm Lucy und entfloh.

Nate stieg in die Dusche. Es war merkwürdig, aber er fühlte sich schon sehr viel besser.

4. KAPITEL

Als es klopfte, lag Lucy gerade bäuchlings auf dem Teppich und bewegte sich mit Armen und Beinen rudernd vorwärts.

Becky hob sie hoch und lief zur Tür. „Gut, da sind Sie ja.“

Sie ließ Nate eintreten und atmete tief seinen Duft ein. Erstaunlich, wie gut er nach einer schnellen Dusche roch.

Nate nahm Lucy auf den Arm und sah mit komischer Verzweiflung, dass sich ein Fleck auf seinem frischen Hemd ausbreitete, wo das Baby mit seinen wenigen Zähnchen hineingebissen hatte. „Ich habe mich wirklich beeilt.“

„Sie haben es ja auch rechtzeitig geschafft.“ Becky hob Kindersitz und Windeltasche hoch. „Vergessen Sie nicht, heute noch Babynahrung und Windeln zu kaufen.“

Sie machte den Fehler, direkt in seine blauen Augen zu schauen, und einen kurzen Augenblick schlug ihr Herz schneller. Er hatte dunkle Schatten unter den Augen, hatte also nicht lange genug geschlafen. Aber schließlich war es nicht ihre Schuld, dass er mit seinen Kollegen noch stundenlang irgendwelchen Stripperinnen zugesehen hatte. Sie hatte kein Mitleid mit ihm. Sie würde sich keine Gefühle für ihren Macho-Nachbarn erlauben.

Lucy brabbelte leise vor sich hin. Offenbar hatte sie absolut nichts dagegen, den Rest des Tages mit ihrem attraktiven Onkel zu verbringen. Aber welches weibliche Wesen könnte da schon Nein sagen? Seine breiten Schultern luden unverholen dazu ein, sich an sie zu kuscheln, und das galt nicht nur für Babys.

„Danke, dass Sie auf Lucy aufgepasst haben. Ich weiß nicht, was ich ohne Sie getan hätte.“ Er hatte das Baby jetzt auf dem einen Arm und Kindersitz und Tasche über den anderen gehängt.

„Gern geschehen“, sagte Becky mit ihrer lieblichsten Stimme. „Ich wünsche euch viel Vergnügen.“ Sie war sicher, dass Lucy für ihren Onkel noch ein paar tolle Überraschungen parat hatte.

Ihre Besorgungen waren schnell erledigt. Sie musste ein paar Bücher zur Bücherei und einen Brief zur Post bringen. Statt sich aber wie geplant noch eine Stunde hinzulegen, holte Becky das Buch mit den Reparaturtipps für ihr Auto hervor. Es hatte zwar seit den Problemen mit der Batterie ganz gut funktioniert, aber letztes Mal hatten irgendwelche Knöpfe auf dem Armaturenbrett geblinkt. Aber die Anleitung brachte sie auch nicht weiter. Hoffentlich musste sie den Wagen nicht in die Werkstatt bringen, bevor sie ihr erstes Gehalt bekam.

Sie versuchte vergeblich, ein wenig zu schlafen, und stand auf, als es Zeit wurde, sich für ihre Verabredung fertig zu machen. Sie freute sich nicht gerade auf den Abend mit einem zukünftigen Kollegen, zog aber dennoch ihr bestes Sommerkleid an, pfirsichfarben und eng anliegend, sodass ihre Figur besonders gut zur Geltung am. Josh Milwood war nicht sehr groß. Deshalb wählte sie schlichte, flache weiße Schuhe. Sie war gerade dabei, sich gut zuzureden, dass der Abend sicher ganz nett werden würde, als sie lautes Weinen hörte und gleich darauf ein Klopfen an der Tür.

Lucy war vor lauter Schreien rot angelaufen, und auch ihr gut aussehender Onkel war etwas rot im Gesicht.

„Ich weiß einfach nicht, was los ist“, sagte Nate verzweifelt.

„Ich habe sie gefüttert, habe ihre Windel gewechselt, sie will einfach nicht aufhören zu weinen.“

Nachdem sie ihm das Baby abgenommen hatte, legte sie es an ihre Schulter und klopfte ihm leicht auf den Rücken.

Lucy gab ein lautes Geräusch von sich.

„Sie musste nur ein Bäuerchen machen.“ Sie küsste die Kleine auf die Stirn und hielt sie Nate wieder hin. Da bemerkte sie den warmen nassen Fleck vorn auf ihrem Kleid. „Igitt.“ Mit spitzen Fingern zog sie den Stoff von ihrem Körper.

„Es tut mir leid“, sagte Nate zerknirscht. „Ich weiß nicht, warum die Windel nicht hält. Ich habe ihr doch gerade erst eine frische umgetan.“ Er hielt das Baby von sich ab. Die Windel rutschte langsam tiefer und wurde nur durch Lucys Füße daran gehindert, auf den Boden zu fallen.

„Ich dachte, dass ich sie nicht so oft wechseln müsste, wenn ich eine größere Windel nehme.“

„Aber das ist ja eine Windel für ein zweijähriges Kind! Haben Sie denn nicht gemerkt, dass sie zu groß war, als Sie sie ihr umgelegt haben?“

„Sie hat so gezappelt, da ist es mir nicht aufgefallen. Aber natürlich bezahle ich für die Reinigung des Kleides.“

„Das kann man waschen. Aber Sie müssen bitte ein paar Minuten hierbleiben und dem Mann, der mich abholt, die Tür aufmachen. Ich muss schnell noch einmal duschen und mich umziehen.“

„Und was machen wir mit Lucy?“

„Ich gebe Ihnen ein Handtuch als Notbehelf.“ Becky war schon in ihrem Schlafzimmer verschwunden und warf ihm jetzt ein Handtuch zu.

Nate stand da, mit dem feuchten Baby im Arm, um das er notdürftig das Handtuch gewickelt hatte, und kam sich wie ein Idiot vor. Er hätte wirklich wissen müssen, dass die verschiedenen Größenangaben auf den Windelpaketen etwas zu bedeuten hatten.

Er hörte die Dusche rauschen und sah unwillkürlich Rebecca Ryan vor sich, wie sie nackt in der Wanne stand. Das Wasser prasselte auf ihre festen kleinen Brüste mit den rosa Knospen, die sich aufgerichtet hatten, und floss über ihren flachen glatten Bauch. Ihm wurde heiß und heißer. Hatte Rebecca ihre Klimaanlage denn nicht angestellt?

Lucy zappelte in seinen Armen, und er drückte sie fester an sich, damit das Handtuch nicht wegrutschte. Die Dusche wurde abgestellt. Jetzt rubbelte Rebecca sich wahrscheinlich trocken, die zarten Schultern, den hübschen Po, die tollen Beine …

Die Klingel schrillte. Er musste nach unten gehen und Rebeccas Verabredung hereinlassen. Er legte Lucy über seine Schulter und hielt das Handtuch so, dass es seine Vorderseite bedeckte. Es war ihm schon peinlich genug, dass ihm allein bei der Vorstellung von Rebecca unter der Dusche die Hose eng geworden war. Das brauchte dieser fremde Mann nicht auch noch zu sehen. Aber eins stand fest, er musste etwas für sein Liebesleben tun, bevor irgendetwas Dummes geschah, zum Beispiel, dass er sich in Rebecca verknallte.

„Guten Abend, ich bin nur der Nachbar“, sagte er zu dem erstaunt blickenden Mann vor der Tür. „Rebecca hat mich gebeten, Ihnen zu öffnen. Sie ist gleich fertig. Gehen Sie nur schon hinauf.“

Er hätte zu gern Rebeccas Reaktion auf dieses schmale Hemd in seinem besten Anzug gesehen, aber Lucy hielt nicht viel davon, sondern hinterließ einen weiteren Fleck auf seinem Hemd. Es geht mich ja sowieso nichts an, erinnerte er sich, als er seine Wohnungstür hinter sich schloss. Wenn Rebecca sich mit solchen Männern abgeben wollte, war das ihre Sache. Für ihn war sie nicht die Richtige, er hatte ein für alle Mal genug von dieser Art Frauen.

Er ließ Lucy im Waschbecken in der Küche planschen, bis er ebenso nass war wie sie, trocknete sie ab und band ihr wieder eine der zu großen Windeln um, die er diesmal aber mit extra Klebeband zusammenhielt. Danach legte er sie in das Ställchen, das er sich mit einer zusammenklappbaren Karre von Freunden geliehen hatte.

„Zeit zu schlafen“, säuselte er.

Aber Lucy dachte nicht daran, sondern schrie empört. Nach ein paar Minuten nahm er sie wieder hoch und ging im Zimmer auf und ab. Sie beruhigte sich, aber sobald er sich über das Ställchen beugte, um sie wieder hinzulegen, heulte sie, was ihre Lungen hergaben.

Nate seufzte tief. Dann fiel ihm etwas ein. Vielleicht würde sie ja einschlafen, wenn er sie in die Karre setzte und einen Spaziergang mit ihr machte. Soviel er gehört hatte, sollte das helfen.

Er schaffte es schließlich, die Karre aufzustellen und Lucy hineinzusetzen. Als er endlich den Sicherheitsgurt befestigt hatte und die Karre auf den Gehrweg schob, atmete er auf.

Lucy war begeistert. Sie versuchte, nach den Büschen zu greifen, und jauchzte, wenn sie einen Hund sah. Er hatte den Eindruck, mindestens schon fünf Kilometer gelaufen zu sein, als sie endlich einschlief.

Einen Häuserblock entfernt sah er Rebecca und den Dünnen vor der Treppe zum Haus stehen. Er verlangsamte seinen Schritt, um ihnen Zeit zu lassen, ins Haus und nach oben zu gehen oder sich vor der Tür gebührend zu verabschieden. Schließlich wollte er Miss Ryans Glück nicht im Wege stehen.

Er zählte langsam bis hundert, bevor er weiterging, die Treppen hinaufstieg und die Haustür öffnete. Vorsichtig schob er die Karre mit dem endlich schlafenden Baby in den Flur.

Plötzlich ertönte ein Schrei! Der Typ hielt Rebecca fest, und sie schrie. Ohne zu überlegen, riss er den Mann zurück und drückte ihn gegen die Wand.

„Er ist am Ersticken!“, schrie Rebecca. „Er hat sich an einer Erdnuss verschluckt.“

Sofort stellte er sich hinter den Mann, umfasste ihn fest und drückte, bis der Unglückliche etwas in hohem Bogen ausspuckte.

Der Mann stammelte seinen Dank.

„Wir sind zum Tanzen gewesen in einer Westernbar. Josh hat sich die Taschen mit den Erdnüssen gefüllt, die es dort umsonst gab“, erklärte Rebecca. „Und dann hat er mich mit einer Erdnuss im Mund zu küssen versucht.“

Sie lachte nervös, und er legte die Hand vor den Mund, um sein Grinsen zu verbergen. Dem armen Mann war das alles wahrscheinlich schon peinlich genug, da durfte man sich nicht auch noch über ihn lustig machen.

„Komm, Josh, wie wäre es mit einem Drink?“, bot Becky freundlich an.

„Nein danke, ich muss jetzt wirklich gehen. Ich rufe Sie dann wieder an.“ Zu Nate gewandt, sagte er verlegen: „Ich bin Ihnen wirklich sehr zu Dank verpflichtet. Auf Wiedersehen.“

„Ich fand es sehr nett“, rief Becky noch hinter ihm her, als Josh hastig die Treppe hinunterging. Sie drehte sich zu Nate. „Das kann schließlich jedem mal passieren.“

„Sicher“, meinte Nate milde.

„Er ist nett.“

„Ja, Sie fanden den Abend nett, und Josh ist nett, ich glaube Ihnen ja.“

Becky sah ihn wütend an. „Sie verstehen so was eben nicht. Josh ist kein derartiger Macho wie Sie und Ihre Kumpel, aber er ist …“

„Nett, ja, das sagten Sie schon.“

„Sehr nett, bescheiden und höflich. Aber das ist jetzt sowieso egal. Nach diesem Fiasko wird er nicht wieder mit mir ausgehen wollen.“

„Sie werden ihn doch an Ihrem neuen Arbeitsplatz sehen.“

Becky warf ihm einen eisigen Blick zu. In dem Moment stieß Lucy einen schrillen Schrei aus. „Ja, und wie war Ihr Abend?“, fragte sie und beugte sich über das Kind.

„Interessant. Lucy liebt große Hunde.“

„So, so.“ Becky musste lächeln.

„Wann schlafen Babys eigentlich im Allgemeinen?“

Als sie sein verzweifeltes Gesicht sah, musste Becky laut lachen. Es war kein kleines, gepresstes damenhaftes Lachen, sondern ein ausgelassenes, das tief aus dem Bauch kam.

„Ich frage ja nur.“ Nate hob Lucy aus der Karre. Er ärgerte sich ein wenig über Beckys Heiterkeitsausbruch. „Ich vermute, Lucy hat Blähungen. Oder sie vermisst ihre Mutter.“ Er lehnte Lucy an seine Schulter und klopfte ihr leicht auf den Rücken. Es musste ihm doch möglich sein, dieses winzige Wesen zu beruhigen!

Lucys Tränen versiegten, und sie sah ihn aus großen Augen an.

„Hat sie denn schon ihr Fläschchen zur Nacht bekommen?“, fragte Becky.

„Nein, sie hat heute Abend eine ganze Menge gehabt. Da dachte ich, sie wäre noch satt.“

„Wahrscheinlich ist sie an ein Fläschchen zur Nacht gewöhnt. Kommen Sie, ich halte sie, während Sie die Flasche für sie fertig machen.“

Sie folgte ihm in seine Wohnung.

Sein Anrufbeantworter blinkte. Nate sah Becky abwartend an.

„Tun Sie so, als sei ich nicht hier. Ich höre bestimmt nicht hin.“ Sie ging zur Couch und setzte sich.

Autor

Jennifer Crusie
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Elizabeth Bevarly
<p>Elizabeth Bevarly stammt aus Louisville, Kentucky, und machte dort auch an der Universität 1983 mit summa cum laude ihren Abschluss in Englisch. Obwohl sie niemals etwas anderes als Romanschriftstellerin werden wollte, jobbte sie in Kinos, Restaurants, Boutiquen und Kaufhäusern, bis ihre Karriere als Autorin so richtig in Schwung kam. Sie...
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