Baccara Extra Band 22

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HEISSE NACHT IN VENEDIG von KAT CANTRELL

Am liebsten würde Matthew die geheimnisvolle Schönheit vom venezianischen Maskenball gar nicht mehr gehen lassen. Doch Evangeline hat kein Interesse an einer Zukunft mit dem Millionär - und Matthew weiß nicht, wie er sie überzeugen soll, dass sie gemeinsam glücklich werden können …

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  • Erscheinungstag 02.06.2020
  • Bandnummer 22
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727024
  • Seitenanzahl 496
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kat Cantrell, Brenda Jackson, Catherine Mann, Olivia Gates

BACCARA EXTRA BAND 22

1. KAPITEL

Matthew Wheeler stürzte sich nicht in das muntere Karnevalsgetümmel, um zu essen, zu trinken und fröhlich zu sein, sondern weil er ein anderer werden wollte.

Venedig zog Menschen aus allen Teilen der Erde wegen seiner Schönheit, seiner Geschichte und vieler anderer Dinge an, doch ganz bestimmt war keiner der Feiernden auf dem Markusplatz aus demselben Grund hierhergekommen wie er.

Matthew rückte die enge Maske zurecht, die seine obere Gesichtshälfte verbarg. Sie war unbequem, aber notwendig. Jeder hier war verkleidet. Manche trugen lediglich schlichte Smokings und schwarze Verhüllungen vor den Augen, andere ausgefallene Marie-Antoinette-Kleider und gefiederten Kopfschmuck. Dazu hatten alle ein Lächeln auf den Lippen, doch das brachte Matthew beim besten Willen nicht zustande.

Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter. „Komm, mein Freund.“ Es war Vincenzo Mantovani, sein Nachbar. „Wir gehen jetzt alle zur Party im Caffè Florian.“

„Va bene“, antwortete Matthew. Vincenzo hatte sich am heutigen Abend zu seinem Karnevalsführer ernannt und verstand es, ausgelassen zu feiern – solange es nur unvernünftig und möglichst waghalsig war. Genau diese Kombination machte ihn zum perfekten Gefährten für einen Mann, der sich verzweifelt nach Ablenkung sehnte.

Tatsächlich war Matthew schon zufrieden, wenn er Amber für wenige Stunden vergaß. Doch die Erinnerung an seine Ehefrau verfolgte ihn sogar hierher nach Italien, über fünftausend Meilen von ihrem Grab entfernt.

Vincenzo redete in gebrochenem Englisch auf Matthew ein, während sie sich durch die Menge auf dem Markusplatz drängten. Schließlich landeten sie im überfüllten Caffè Florian. Hier war es zu laut, um sich zu unterhalten, was Matthew nur recht war.

Wie die meisten Venezianer hatte Vincenzo nie viel Kontakt zu Fremden gepflegt. Umso freudiger hatte er die Ankunft des Amerikaners begrüßt, der ganz allein in den großen einsamen Palazzo neben seinem gezogen war.

Um dieses Anwesen zu erwerben, hatte Matthew einen arabischen Prinzen überbieten müssen. Es lag direkt über dem Canal Grande und war ein Hochzeitsgeschenk für seine Frau Amber gewesen. Doch in den ersten elf Monaten nach ihrer Trauung hatten sie es nicht nach Italien geschafft, weil er zu sehr mit der Arbeit beschäftigt gewesen war.

Und danach war es zu spät gewesen.

Matthew nippte an dem Cappuccino, den sein Freund wundersamerweise herbeigezaubert hatte, und versuchte, zumindest ein fröhliches Gesicht zu machen. Wenn er weiter über Amber nachdachte, würde ihm das nie gelingen. Sie hätte es gehasst, ihn so zu sehen. Sie hätte gewollt, dass er mit seinem Leben weitermacht, und das versuchte er ja auch.

An diesem Abend bestand sein einziges Ziel darin, ein anderer zu werden. Ein Mann, der nicht trauerte und nicht die drückende Last der Erwartungen seiner Familie auf den Schultern spürte.

Keine leichte Aufgabe – er war nun einmal von Geburt an ein Wheeler. Zusammen mit seinem Bruder, seinem Vater und seinem Großvater hatte Matthew das Unternehmen Wheeler Family Partners geleitet, ein millionenschweres Immobilienunternehmen in Nordtexas, dessen Geschichte ein ganzes Jahrhundert zurückreichte.

Matthew hatte stets an die Kraft von Familie und Tradition geglaubt. Doch dann hatte er seine Frau verloren, und kurz darauf seinen Großvater. Die Trauer war so lähmend gewesen, dass er nur noch einen Ausweg gesehen hatte: Er war abgehauen.

Seitdem lief er davon, quer über den Erdball.

An den Stränden Mexikos hatte er keine Antworten gefunden. Die Zeit in Machu Picchu hatte ihn nur erschöpft. Und die Namen der anderen Orte, an denen er gewesen war, begannen in seiner Erinnerung bereits zu verschwimmen.

Vor einem Monat war er schließlich in Venedig gelandet. Und hatte entschieden: Bis das echte Leben ihm wieder machbar vorkam, würde er sich hier aufhalten.

Gegen elf Uhr führte Vincenzo den Trupp seiner hundert geladenen Freunde – Matthew war einer von ihnen – zu seinem Haus, wo ein Maskenball stattfinden sollte. Durch die engen Straßen kamen nur wenige Partygänger gleichzeitig. Matthew lief am Ende des Zuges, und als er endlich den Palazzo seines Nachbarn erreichte, war der bereits hell erleuchtet und voller Menschen. Der Anblick bot einen scharfen Kontrast zu Matthews düsterem Haus direkt nebenan.

Er erklomm die steinernen Stufen, die zu Vincenzos Hintereingang führten. Der Karnevalslärm dröhnte aus dem Palazzo und übertönte das leise Plätschern des Kanals, der von der anderen Seite des Hauses zu hören war.

Drinnen nahm ein verkleideter Diener seinen Mantel entgegen. Ein kunstvoller antiker Tisch verstellte Matthew den Weg zum Hauptraum. In der Mitte stand eine riesige Glasschüssel voller Handys, ein kurioser Anblick.

„Es ist eine Telefonparty“, erklang eine raue Stimme in seinem Rücken, und er drehte sich sofort um.

Eine Frau. Sie trug natürlich eine Maske, dazu ein kostbar besticktes Kleid in Hellblau und Weiß mit riesigen Reifröcken. Ihr Ausschnitt war nicht so tief wie bei vielen anderen Frauen im Raum, doch in Kombination mit dem voluminösen Kleid zogen die sanften Rundungen ihrer Brüste seine Aufmerksamkeit auf sich. Niedliche, silberne Schmetterlingsflügel sprossen aus ihren Schulterblättern.

„War meine Verwirrung derart offensichtlich?“, fragte er, den Blick fest auf ihr Gesicht gerichtet.

Sie lächelte. „Sie sind Amerikaner.“

„Ist das die Erklärung dafür, dass ich nicht weiß, was eine Telefonparty ist?“

„Nein, vermutlich besitzen Sie einfach mehr Reife als die meisten Leute hier.“

Folglich musste sie mit den Gästen bekannt sein. Matthew selbst kannte, abgesehen von Vincenzo, der gerade nirgends zu sehen war, nicht einen Menschen.

Der größte Teil ihres Gesichts war unter der Maske verborgen. Er sah nur ihre vollen, rosa bemalten Lippen und ihr karamellfarbenes Haar, das ihr in üppigen Locken auf die nackten Schultern fiel. Bezaubernd. Und erst ihre Stimme … sie war sinnlich, tief und dabei seltsam gebrochen. Der Klang wühlte sich tief in sein Inneres.

Er hatte nach einer Ablenkung gesucht. Vielleicht hatte er sie ja gefunden.

„Jetzt bin ich neugierig. Lust, mich aufzuklären?“, fragte er.

Sie zuckte die Achseln. „Frauen lassen ihr Handy in die Glasschüssel fallen, und Männer wählen eins aus. Voila: Affäre auf Knopfdruck. Leichter geht’s nicht.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Ich weiß ehrlich nicht, was ich dazu sagen soll.“

„Also werden Sie sich am Ende des Abends keins herausfischen?“

Eine schwierige Frage. Der wahre Matthew hätte auf jeden Fall Nein gesagt. Er hatte noch nie in seinem Leben einen One-Night-Stand gehabt. Sachen dieser Art passten eher zu seinem Bruder Lucas.

Der hätte wahrscheinlich gleich zwei Handys aus der Glasschüssel gezogen und die beiden Frauen irgendwie davon überzeugt, dass ein Dreier das Größte wäre. Nun, der alte Lucas hätte das zumindest getan … Doch durch eine bizarre Wendung des Schicksals war ausgerechnet sein Bruder jetzt glücklich verheiratet. Und ein Baby war auch auf dem Weg.

Was Frauen anging, konnte Matthew es mit dem Talent seines Bruders nicht aufnehmen. Er wusste nur, wie man Millionen-Dollar-Geschäfte unter Dach und Fach brachte, besonders wenn es um erstklassige Immobilien in Dallas ging. Aber das war auch schon alles. Es hatte ihn in seinem Leben wenig weitergebracht. Und auf ein Dasein als zweiunddreißigjähriger Witwer hatte es ihn gewiss nicht vorbereitet.

Nach Ambers Tod hatte sich Matthew unbewusst Lucas zum Vorbild genommen. So, wie er gewesen war, bevor er seine Frau Cia geheiratet hatte. Im Leben seines Bruders hatte sich immer alles um Spaß gedreht, die Folgen waren ihm egal gewesen. Matthew hingegen hatte bereitwillig die Last der Verantwortung für die Familie auf seine Schultern genommen, wie sein Vater und Großvater vor ihm. Ungeduldig hatte er den Tag erwartet, an dem seine Frau den ersten Sprössling einer neuen Generation Wheelers auf die Welt bringen würde. Und dann war alles in sich zusammengestürzt.

Was also würde der alte Lucas an seiner Stelle tun?

„Kommt ganz darauf an.“ Matthew wies mit dem Kinn auf die Glasschüssel. „Liegt Ihr Handy drin?“

Sie lachte heiser und schüttelte den Kopf. „Nicht mein Stil.“

Er spürte eine eigenartige Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung. „Meiner auch nicht. Obwohl ich in diesem speziellen Fall vielleicht eine Ausnahme gemacht hätte.“

Ihr Lächeln wurde breiter, sie trat einen Schritt näher, und er hörte, wie ihre Flügel raschelten. Die Vorderseite ihres Kleids streifte seine Brust, als sie ihm mit seltsam rauchiger Stimme ins Ohr flüsterte: „Ich auch.“

Dann floh sie.

Leichtfüßig lief sie in den Festsaal von Vincenzos Palazzo und wurde im nächsten Moment von der Menge verschluckt. Ihre faszinierende Stimme klang noch immer verführerisch in Matthews Ohren nach. Sollte er ihr nachlaufen? Wie sollte er das nicht tun, nachdem sie ihm so eindeutig ihr Interesse signalisiert hatte?

Vielleicht hatte sie nur einen Scherz gemacht, und das Ganze hatte nichts zu bedeuten. Er stieß einen leisen Fluch aus. Seine letzte Affäre mit einer Frau war schon zu lange her. Schon kannte er die Regeln nicht mehr. Vielleicht hatte er sie auch noch nie gekannt. Aber das hier war Venedig, nicht Dallas, und er war ein anderer als sonst.

Matthew lief seiner Schmetterlingsfrau durch die Menge hinterher.

Die schnellen, elektronischen Beats standen im seltsamen Gegensatz zu den altmodischen Kostümen, aber niemanden schien das zu stören. Viele Tänzerinnen bevölkerten das Erdgeschoss des Palazzo, aber keine von ihnen hatte Flügel.

Am Rand der Tanzfläche versuchten Partygäste ihr Glück bei Roulette und Siebzehnundvier, aber er beachtete sie gar nicht. Glücksspiel war etwas für Leute, die keine Ahnung von Gewinnchancen hatten und keinen gesunden Menschenverstand besaßen. Und falls seine geheimnisvolle Schmetterlingsfrau in diese Kategorie fallen sollte, suchte er sich lieber eine andere Ablenkung.

Etwas Silbernes blitzte in der Menge auf, und er konnte gerade noch einen flüchtigen Blick auf ihre Flügelspitzen erhaschen, bevor sie im anderen Raum verschwand.

„Entschuldigen Sie mich.“ So höflich er konnte, bahnte sich Matthew einen Weg durch die Menge der Tänzer, um dem Wesen nachzujagen, das seit achtzehn langen kalten Monaten das erste war, das sein Interesse geweckt hatte.

Unter dem gewölbten Türbogen zwischen den beiden Zimmern blieb er stehen und blickte sich suchend um. Dann entdeckte er sie. Die Fremde stand am Rand einer Gruppe, die sich gebannt um etwas geschart hatte, das er von seiner Position aus nicht sehen konnte. Er hatte das merkwürdige Gefühl, dass sie inmitten all dieser Menschen ebenso einsam war wie er.

Tarot-Fans drängten sich so eifrig um Madam Wong, als hielte sie die Zahlen der nächsten Lottoziehung in den Händen. Evangeline La Fleur hatte eigentlich weder etwas für Tarotkarten noch für Lotterielose übrig, doch sie fand es immer faszinierend, das Verhalten anderer Menschen zu beobachten. Madam Wong drehte eine weitere Karte um, und die Menge hielt kollektiv den Atem an. Evangeline verdrehte die Augen.

Plötzlich spürte sie ein Kribbeln in ihrem Nacken. Jemand beobachtete sie.

Es war der Typ aus der Eingangshalle.

Ihre Blicke trafen sich, und ein Schauer durchlief ihren gesamten Körper. Er schien wirklich Interesse an ihr als Person zu haben.

Alle anderen hatte in letzter Zeit immer nur eines interessiert: „Was wirst du jetzt tun, wo du nicht mehr singen kannst?“

Der Anzug, den der Typ trug, war gut geschnitten, und auch das, was sich darunter verbarg, machte einen äußerst vielversprechenden Eindruck. Seine Lippen unter dem Rand der schwarzen Samtmaske waren voll, und seine Hände wirkten … kraftvoll.

Die Musik im Hintergrund wurde leiser, als er zielstrebig auf sie zuschritt. Er achtete gar nicht auf die anderen Leute, sondern hatte nur Augen für Evangeline. Sie spürte ein heftiges Kribbeln in einer Region ihres Körpers, die normalerweise für Männer reserviert war, die sie länger kannte.

Scheinbar ungerührt sah sie zu, wie er näher kam, sie blickte ihn offen und direkt an.

Die Tatsache, dass eine Maske die Hälfte seines Gesichts verbarg, ließ ihn irgendwie noch attraktiver erscheinen. Auch er konnte nicht ahnen, wer sich hinter der Maske verbarg. Wann war sie das letzte Mal jemandem begegnet, der nicht wusste, dass ihre Karriere zerstört war? Oder wie viele Grammys in ihrem Regal standen?

Eine Zeit lang war sie ein Star der Entertainmentbranche gewesen – so erfolgreich, dass sie sogar ohne Nachnamen ausgekommen war. Die ganze Welt hatte sie gekannt als Eva.

Doch dann hatte man sie ausgestoßen.

„Da sind Sie ja wieder“, sagte sie leise. Sie wollte möglichst keine Aufmerksamkeit auf sich lenken.

„Ich hatte schon befürchtet, sie seien davongeflogen“, erwiderte er.

Zu ihrer eigenen Überraschung musste sie lachen. Das passierte ihr nicht oft in letzter Zeit. „Die Flügel funktionieren nur nach Mitternacht.“

„Dann sollte ich wohl besser schnell meinen Zug machen.“ Seine Augen waren schön, von einem beinahe durchsichtigen, kristallklaren Blau, das im scharfen Kontrast zum schwarzen Rand seiner Maske stand. „Mein Name ist …“

„Nein.“ Beschwörend legte sie ihm den Finger auf die Lippen. „Keine Namen. Noch nicht.“

Da er sie ansah, als wollte er ihren Finger am liebsten gleich ganz in den Mund nehmen, zog sie ihn vorsichtshalber schnell wieder weg. Dieser Fremde war zweifellos aufregend, aber auch gefährlich, und ihr Selbsterhaltungstrieb war stärker. Leute aus Vincenzos Bekanntenkreis konnten ihrer Erfahrung nach ziemlich wild sein.

Vor Kurzem war sie mit Vincenzo und seinen Freunden ein paar Monate lang durch Europa gereist, einfach weil ihr nichts Besseres eingefallen war. Ganz offensichtlich suchte sie nach Neuem. Sehnte sich nach etwas. Aber was konnte das sein?

„Wollen Sie mehr über Ihr Schicksal erfahren?“ Der Fremde deutete mit dem Kinn auf Madam Wong, und die Menge teilte sich.

Madam Wong mischte die Karten. „Kommen Sie. Setzen Sie sich.“

Der heiße Typ rückte ihr einen Stuhl zurecht. Evangeline wusste nicht, wie sie höflich ablehnen konnte, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, also setzte sie sich einfach. Dabei war sie sich der kraftvollen Hände, die auf der Rückenlehne ihres Stuhls, nur wenige Zentimeter von ihrem Nacken entfernt, ruhten, nur allzu bewusst.

Madam Wong schob den Kartenstapel über den Tisch zu Evangeline.

Nachdem ihre Stimmbänder zerstört worden waren, hatte Evangeline drei Monate lang nach einem Heilmittel gesucht und war dabei auf der Türschwelle jeder rumänischen Zigeunerin, jedes asiatischen Akupunkteurs und jedes nepalesischen Wunderheilers gelandet.

Nicht einer von ihnen hatte ihr die verlorene Stimme wiedergeben können. Geschweige denn die verlorene Seele.

Das einzig Positive am Albtraum der letzten Monate war, dass sie den Prozess gegen den Quacksalber gewonnen hatte. Er hatte seine Lizenz verloren und durfte nie wieder als Arzt praktizieren.

Die verkleidete Menge drängte sich dichter um den Tisch, und Madam Wong begann, die Karten zu legen. Sie zog die Augenbrauen zusammen und blickte Evangeline an. „Sie haben ein großes Problem, ja?“

Oh, wie haben Sie das nur erraten? dachte Evangeline spöttisch. Geduldig wartete sie auf den Rest von dem ganzen verlogenen Quatsch.

Die alte Frau mit dem verwitterten Gesicht drehte einen der vielen Ringe an ihren Fingern und betrachtete nachdenklich die Karten. „Man hat Ihnen eine schlimme Verletzung zugefügt, und Sie haben etwas Wertvolles verloren.“

Die kraftvollen Hände des Fremden streiften Evangelines Haar. Sie richtete sich in ihrem Stuhl auf und runzelte die Stirn.

Verletzt.

Ja, das war sie, in mehr als einer Hinsicht.

„Diese Karte …“ Madam Wong klopfte mit dem Finger darauf. „Verwirrt mich. Versuchen Sie, schwanger zu werden?“

„Ein Baby?“ Evangeline würgte die Worte beinahe hervor und holte noch einmal tief Luft, um ihren plötzlich rasenden Puls zu beruhigen. „Nicht einmal annähernd.“

„Empfängnis kann in vielen Formen vorkommen und auch einfach nur ein neuer Anfang sein. Es ist der Schritt nach der Inspiration. Sie sind inspiriert worden und müssen jetzt etwas daraus erschaffen.“

Inspiration? Die war in letzter Zeit Mangelware gewesen. Evangeline musste unwillkürlich schlucken. Nach ihrer Höllenoperation hatte sie nicht den leisesten Anflug von Kreativität verspürt. Die Musik in ihr war einfach verstummt.

Madam Wong raffte die Karten zu einem Haufen zusammen und begann, sie neu zu mischen. „Ich möchte es ein zweites Mal probieren.“

Stumm versuchte Evangeline, den Kopf zu schütteln, doch sie fühlte sich wie gelähmt. Ihre Augen brannten, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde.

Sie hätte ein Safeword, ein Sicherheits-Wort, gebraucht, um sich aus dieser Situation zu befreien. Ihr Manager hatte ihr immer eins gegeben, wenn die Fragen der Presse zu unangenehm wurden.

Nun hatte sie weder einen Manager noch ein Safeword. Sie hatte gar nichts mehr.

„Ich glaube, Sie haben mir den nächsten Tanz versprochen.“

Der blonde heiße Typ ergriff ihre Hand und zog sie in einer anmutigen Bewegung vom Stuhl hoch.

„Danke“, sagte er zu Madam Wong. „Aber wir haben genug von Ihrer Zeit in Anspruch genommen. Guten Abend.“

Und einfach so führte er sie weg vom Tisch und all den neugierigen Blicken.

Als er endlich in einer Nische zwischen der Tanzfläche und dem Hinterzimmer stehen blieb, hatte sich ihr Puls beruhigt. Verwirrt blickte sie zu ihrem Retter auf. „Warum haben Sie das gemacht?“

Er tat gar nicht erst so, als würde er sie nicht verstehen. „Sie waren so angespannt, dass Ihr Stuhl vibriert hat. Ich schätze, Sie machen sich nicht so viel aus dem Kartenlegen.“

„Nicht besonders. Danke.“ Als sie erkannte, dass er ihr keine weiteren Fragen stellen würde, war sie beinahe zu Tränen gerührt.

„Ich kann uns ein Glas Champagner holen“, schlug er vor.

Beim Gedanken an Alkohol wurde ihr eher übel. Andererseits brauchte sie jetzt mal eine Minute für sich. „Sicher. Gerne.“

Schon war er in der Menge verschwunden und Evangeline allein.

Ob sie die Party verlassen und auf ihr Zimmer flüchten sollte? Ein bohrender Schmerz hatte sich hinter ihren Augen eingenistet.

Unglücklicherweise befand sich ihr Zimmer direkt über der Tanzfläche. Sie seufzte. Da würde sie eh nicht zur Ruhe finden.

Der Fremde war schnell mit zwei Champagnerflöten zurück. Sie stieß mit ihm an und lächelte ihm mit gespielter Fröhlichkeit zu. Ja, er sah großartig aus, und er war einfühlsam, aber heute Abend war sie keine gute Gesellschaft. Sie nippte an ihrem Getränk und suchte krampfhaft nach einer Ausrede, um sich zurückziehen zu können … bis sie über seine Schulter plötzlich einen Blick auf ihren schlimmsten Albtraum erhaschte.

Rory war da! Mit Sara Lear. Ausgerechnet.

Natürlich war er mit ihr zusammen. Saras Debütalbum voller Bubblegum-Popsongs und zuckersüßer Liebesliedchen war in den Charts hochgeschossen und beanspruchte nun schon seit Wochen fest die Nummer eins. Das Sternchen hatte es natürlich vorgezogen, keine Maske anzulegen, sondern sonnte sich lieber im Glanz ihres neu gewonnenen Ruhms. Rory trug ebenfalls keine Maske, zweifellos wollte er sichergehen, dass auch jeder wusste, wer Saras Begleiter war. Er war ziemlich gerissen, wenn es um seine Karriere und die seiner Band ging.

Evangeline hatte seinen Verlobungsring die Toilette heruntergespült, nachdem er sie sitzen gelassen hatte. Und als Rory den Ring zurückhaben wollte, hatte sie ihm gesagt, dass er sich zum Teufel scheren solle.

Rory und Sara stolzierten durch den Festsaal, als ob er ihnen gehörte, und wer konnte es ihnen verübeln? Beide hatten tolle Stimmen und noch lange, großartige Karrieren vor sich. Vor sechs Monaten hatte Evangeline selbst an Rory Cartmans Arm gehangen, war glücklich verliebt gewesen, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und blind für die Grausamkeit der Welt.

Der bohrende Schmerz hinter ihren Augen nahm zu.

Sie trank ihren Champagner in einem Zug leer und überlegte fieberhaft, wie sie an Rory und Sara vorbeikommen konnte, ohne von ihnen erkannt zu werden. Um Sara machte sie sich keine Gedanken, offiziell waren sie sich nie begegnet. Doch ihr Exverlobter würde sie ohne zu zögern bloßstellen, wenn er die Gelegenheit dazu bekommen sollte. Ihre Maske hatte da nur einen begrenzten Tarneffekt.

Sie würde weder die Fragen noch die mitleidigen Blicke ertragen können, wenn sie unter den Augen der Öffentlichkeit dem Kerl begegnete, der ihr das Herz gebrochen hatte. Oder der Frau, die sie in seinem Bett ersetzte. Und in den Charts.

„Mehr Champagner?“, fragte ihr Begleiter.

Rory und seine neue Pop-Prinzessin blieben nur wenige Meter von der dämmrigen Nische stehen, in der sich Evangeline aufhielt. Sie brauchte dringend ein Schutzschild.

Glücklicherweise machte Not erfinderisch.

Kurzentschlossen nahm sie ihrem Retter das halb leere Glas aus der Hand und stellte beide Gläser auf dem Sims hinter ihnen ab. Dann ergriff sie den Aufschlag seines Revers, zog ihn nah zu sich heran und küsste ihn.

In dem Moment, als ihre Lippen sich trafen, verlor der Name Rory Cartman jede Bedeutung.

2. KAPITEL

Matthew hatte nur einen kurzen Moment, um sich auf das, was gleich geschehen würde, vorzubereiten. Es war nicht lang genug. Als die Frau mit den Flügeln ihre Lippen auf seine drückte, entfachte sie eine Glut in ihm, die seinen ganzen Körper durchflutete. Es war wie die Explosion eines Atomkraftwerks, kam einer Kernschmelze gleich.

Plötzlich wusste er genau, was Lucas an seiner Stelle tun würde.

Er fasste Evangelines Gesicht mit beiden Händen, neigte seinen Kopf und nahm ihren Mund voller Leidenschaft in Besitz. Mit einem Seufzer glitten ihre Lippen auseinander, und ihr Griff um sein Revers wurde fester. Fordernd zog sie ihn näher zu sich heran.

Das Ganze fühlte sich seltsam vertraut an. Als hätten sie dies schon einmal getan, genau auf diese Art, versteckt in einer dunklen Nische. Ihre Lippen und Körper schienen intuitiv zueinanderzufinden. Dabei küsste er eine Fremde – er kannte noch nicht einmal ihren Namen.

Überhaupt entsprach diese Frau gar nicht seinem Typ – sie war zu schillernd für ihn, zu sinnlich, zu schön.

Doch zum ersten Mal seit Ambers Tod fühlte er sich wieder richtig lebendig. Sein Herz schlug wie wild in seiner Brust, und er spürte, wie das Blut durch seine Adern strömte.

Nach einem Moment, der ewig schien, tatsächlich wohl aber nur wenige Sekunden gedauert haben konnte, löste sie ihre Lippen von seinen. Ihr Atem ging stoßweise. „Es tut mir leid.“

„Das muss es nicht.“

Er hielt sie noch immer fest umschlungen.

Sie sog scharf die Luft ein, ihr Busen stieß gegen seinen Brustkorb, und die Berührung entfachte schon wieder das Feuer in ihm. „Ich muss dir die Wahrheit gestehen“, sagte sie. „Mein Ex ist auf der Party, und das hier war mein armseliger Versuch, mich vor ihm zu verstecken.“

„Für einen Versuch war das gar nicht schlecht.“

Sie lachte nervös und fuhr sich verlegen mit der Hand über ihre vom Kuss geröteten Lippen. Dann befreite sie sich aus seinen Armen. „Normalerweise küsse ich keine fremden Männer.“

„Dieses Problem lässt sich leicht beheben. Mein Name ist Matt.“

Es ging ihm mühelos über die Lippen, dabei hatte ihn noch nie in seinem Leben jemand Matt genannt. Aber in diesem Moment erschien es ihm äußerst verlockend, einfach nur Matt zu sein. Matt war nicht vor seinen Verpflichtungen zu Hause davongelaufen, ebenso wenig quälte er sich mit Schuldgefühlen. Matt genoss das Leben, küsste verkleidete Frauen auf Partys und würde heute Nacht vielleicht sogar noch zum Zug kommen.

Sie lächelte. „Schön, dich kennenzulernen, Matt. Du kannst mich Angie nennen.“

Angie. Das klang viel zu gewöhnlich für ein derart zartes, beinahe ätherisches Geschöpf. Ihre Formulierung ließ ahnen, dass es sich nicht um ihren wahren Namen handelte. Doch da er sich zu einem ähnlichen Täuschungsmanöver entschieden hatte, konnte er sich kaum beschweren.

„Welcher hier ist dein Ex? Damit wir ihm aus dem Weg gehen können.“

Da sie sich unbedingt verstecken wollte, nahm er an, dass die Trennung nicht von ihr ausgegangen war.

Sie blickte verstohlen hinter sich. „Er sitzt da drüben auf der Couch, neben der kleinen Blondine.“

Matthew entdeckte die beiden sofort. Sie küssten sich leidenschaftlich, während die Hand des Typen langsam unter das Kleid der Blondine wanderte. Autsch. Von Zurückhaltung in der Öffentlichkeit hielt ihr Ex anscheinend nicht viel.

„Haben sie die Einladung nicht bekommen? Das hier ist ein Maskenball.“

„Ich mag dich“, sagte sie und nickte entschieden.

Er grinste. „Ich dich auch.“

„Das ist gut, denn ich habe vor, dich zu benutzen, wenn du nichts dagegen hast.“

Matthew hob eine Augenbraue. „Das kommt ganz darauf an, zu was du mich benutzt. Wenn du mich weiterküssen willst, um dich vor Loverboy da drüben zu verstecken, hab ich kein Problem damit.“

Sie leckte sich über die Lippen, während sie ihren Blick zugleich fest auf seinen Mund gerichtet hielt. „Dann bist du jetzt mein neuer Freund.“

„Großartig. Mir war nicht bewusst, dass ich mich um die Stelle beworben habe, aber ich bin froh, den harten Auswahlprozess überstanden zu haben.“

Sie lachte, und der raue Klang fuhr ihm schon wieder durch Mark und Bein. „Nur für heute Abend. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass jemand mich bemitleidet, weil ich allein hier bin.“

„Das ist okay für mich, solange ich nicht die zweite Wahl bin. Ist dein echter Freund anderweitig beschäftigt?“

„Sehr geschickt. Wenn du wissen willst, ob ich vergeben bin, frag einfach.“

Mist, er war doch ein wenig außer Übung. Aber der Gedanke, mit anderen Frauen auszugehen, war ihm auch nach dem Tod seiner Frau lange Zeit wie ein Betrug vorgekommen. Und als er schließlich wieder bereit dazu gewesen war, hatte ihm keine gefallen. Jetzt verstand er den Grund. Keine der kultivierten, gesitteten Damen aus der Gesellschaft von Dallas besaß Flügel.

Er schluckte und sprang ins kalte Wasser. „Angie, bist du mit jemandem zusammen?“

„Ja, mit diesem Typ namens Matt.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihm ins Ohr: „Er ist wirklich heiß, musst du wissen.“

„Wirklich?“ Niemand hatte ihn je heiß genannt, der Gedanke gefiel ihm. „Ich muss mehr über diesen Typen erfahren.“

„Das würde ich auch gern. Vincenzo hat einen großartigen Balkon im zweiten Stock. Hol uns zwei Gläser Champagner und triff mich dort oben.“

Sie warf ihm noch einen herausfordernden Blick über die Schulter zu, bevor sie in Richtung Treppenhaus entschwand.

Er blickte ihr fasziniert nach. Lucas würde auf alle Fälle wissen, was dieser sexy kleine Schmetterling im Sinn hatte, und auch Matt brannte nun darauf, es zu erfahren. Dies war eine jener seltenen Nächte, in denen alles möglich schien.

Vom Balkon aus blickte man auf einen geschlossenen Innenhof, der einen ziemlich verfallenen Eindruck machte. Er war nur schwach beleuchtet, außerdem war es kühl an der frischen Luft – dafür war Evangeline hier definitiv sicher vor Rory und Sara.

Sie war recht zuversichtlich, dass Matt ihren Exfreund nicht als Star erkennen würde. Er schien ihr nicht der Typ zu sein, der Punkrock hörte. Dennoch war Vorsicht geboten. Das Bild ihres ehemaligen Verlobten landete noch immer regelmäßig in der Klatschpresse, sogar sechs Monate nach der Trennung.

Die Bässe von Vincenzos Musikanlage ließen den Stein unter ihren Füßen erzittern. Aus der Ferne dröhnten die Klänge von der ausgelassenen Feier auf dem Markusplatz herüber. Gesang, Instrumente und das Knallen der Feuerwerkskörper verschmolzen zu dem mystischen Ereignis, das Karneval ausmachte. Einen Moment lang kam es ihr so vor, als wäre sie der einzige Gast auf der größten Party der Welt.

Doch sie musste nicht lange auf Matt warten. Er trat durch die Schwingtür, zwei Champagnerflöten in seinen kraftvollen Händen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und der hatte nichts mit der Kälte zu tun.

Gott sei Dank hatte sie sich vorhin nicht verdrückt. Sonst hätte sie vermutlich den besten Kuss aller Zeiten verpasst. Ihre Kopfschmerzen waren wie weggeblasen.

Er war ganz sicher nicht die schlechteste Wahl, um die Einsamkeit zu vertreiben, die sie stets in Gesellschaft von Vincenzos Freunden befiel.

Matt reichte ihr ein Glas und stieß mit ihr an. „Dieser Balkon ist sehr schwer zu finden. Woher wusstest du, dass es ihn gibt?“

Seine Stimme klang nett – ein leichter Südstaatendialekt war herauszuhören.

„Ich wohne bei Vincenzo. Mein Zimmer liegt im Korridor direkt nebenan.“

„Und woher kennst du ihn, Angie?“

Nur ihre Mutter nannte sie Angie. Es war ihr genug erschienen, diesen Namen zu benutzen, auch wenn sie es im Nachhinein bedauerte. Matt war offensichtlich ein aufrichtiger und netter Mensch.

„Vincenzo ist der Freund eines Freundes. Und woher kennt ihr euch?“

Da Matt höflich und wortgewandt war, und auch sonst wesentlich mehr Klasse besaß als Vincenzos reiche Schnösel-Freunde, nahm sie an, dass es sich um eine flüchtige Bekanntschaft handeln musste.

„Ich wohne nebenan.“

Nun, das ergab einen Sinn. Wahrscheinlich war er auf Geschäftsreise hier und mietete sich für die Zeit eine Wohnung.

„Bleibst du lange in Venedig?“

Unter dem Rand seiner Maske formten sich seine Lippen zu einem Lächeln. „Ich bin mir nicht sicher.“

Obwohl sie neugierig war, welche Geschäfte ihn wohl nach Venedig gelockt hatten, hake sie nicht weiter nach. Versandhandel vielleicht? Sie war noch nie mit einem Geschäftsmann ausgegangen und hatte selten mit Menschen aus diesem Bereich zu tun.

Sie trank ein paar Schluck von ihrem Champagner und spürte, wie die Bläschen auf ihrer Zunge kribbelten. Fasziniert betrachtete sie ihren attraktiven Ersatzfreund.

Natürlich brauchte sie hier auf dem Balkon nicht wirklich einen Begleiter, der sie vor neugierigen Blicken und Exverlobten schützte. Aber vielleicht war er für etwas anderes gut.

Schließlich war sie einsam in der romantischsten Stadt der Welt. Matt bot die perfekte Gelegenheit, diesem traurigen Umstand für einen magischen Abend Abhilfe zu schaffen. Und dann würde er gehen, bevor er erkannte, wer sie wirklich war.

Die letzte Zurückweisung hatte bei ihr tiefe Narben hinterlassen. Doch solange er nicht wusste, wer sie wirklich war, konnte er sie ja gar nicht zurückweisen.

Der Gedanke an eine Nacht mit ihm erfüllte sie mit Wärme. Und wer konnte ihr einen Vorwurf daraus machen, wenn allein die Lippen dieses Mannes ihr Blut in Wallung gebracht hatten?

Da war sie wieder, diese seltsame Verbindung zwischen ihnen. Sie hatte sie schon in dem Moment gespürt, als er sich im Foyer zu ihr umgedreht hatte. Es war eine Art Wiedererkennen.

Und doch hatte er nie die Maske abgenommen. Sein Kinn war wie gemeißelt, seine Lippen wohlgeformt, und vorhin hatte sie seinen muskulösen Brustkorb unter dem Smoking spüren können, aber das war schon alles gewesen. Der Rest seines Gesichts und seines Körpers waren ebenso im Verborgenen geblieben wie seine Hoffnungen und Enttäuschungen …

„Bist du jemals auf einem Speed-Date gewesen?“, fragte sie.

Er nahm einen Schluck von seinem Champagner und schüttelte den Kopf. „Kann ich nicht von mir behaupten.“

Dating hatte auch für sie nie besonders gut funktioniert. Ihre bisherigen Männer waren entweder in die Idee verliebt gewesen, mit einem Star auszugehen, oder sie waren bindungsunfähig gewesen.

Rory hatte sogar in beide Kategorien gehört. Seine Zurückweisung war vernichtend gewesen, vor allem nachdem sie ihre Stimme verloren hatte. Sie hatte geglaubt, dass wenigstens er ihr in der schlimmsten Krise ihres Lebens beistehen würde.

„Ich auch nicht. Aber ich hatte schon immer Lust darauf. Es könnte Spaß machen.“

„Für Spaß bin ich immer zu haben. Welche Kriterien sind dabei zu beachten?“

Sie liebte die Art, wie er redete. Als käme ihm gar nicht in den Sinn, dass im Vokabular normaler Menschen ein Wort wie Kriterien nicht vorkam. Und als käme er gar nicht auf den Gedanken, dass sie nicht auf dem College gewesen sein könnte.

„Es gibt ein Zeitlimit. Man muss sich gegenseitig möglichst gut kennenlernen, bevor die Glocke läutet. Damit man sieht, ob man zusammenpasst.“

„Aber dass ich dich mag, weiß ich bereits. Dazu brauche ich kein Speed-Date.“

Sie schüttelte den Kopf. „Betrachte es einfach als Teil des Bewerbungsverfahrens. Da ist ein Funke zwischen uns, und ich bin gespannt, was geschieht, wenn wir ihn anfachen. Stell mir einfach so viele Fragen, wie du kannst. Und wenn die Stoppuhr an meinem Handy klingelt, musst du mich küssen.“

Er nahm Evangelines Gesicht in beide Hände und zog sie nah zu sich heran. In seinen Augen loderte es. „Und wenn wir diesen Teil überspringen und uns gleich küssen?“

„Das macht keinen Spaß.“ Entschlossen schob sie seine Hand weg, doch seine Finger glitten einfach weiter zu ihrem Haar und fuhren durch die Locken, die nicht von ihrem Kopfschmuck festgehalten wurden.

„Offensichtlich muss ich dich daran erinnern, wie gut sich meine Lippen anfühlen.“

Sie zitterte, während ein Kribbeln ihren Körper durchlief.

„Wo ist dein Sinn fürs Abenteuer? Fünf Minuten.“

Sie zog ihr Telefon aus der Tasche und stellte die Stoppuhr. Dann legte sie ihr Handy auf das Steinsims hinter Matt und sah ihm tief in seine eisblauen Augen.

„Ich bin zuerst dran“, sagte er. „Wie oft hast du schon einen Mann auf einem Balkon verführt?“

Sie musste lachen. „Noch nie. Für dich mache ich alle möglichen Ausnahmen.“

„Wie oft hast du überhaupt einen Mann verführt?“

„Ein- oder zweimal. Ich habe einen ziemlich gesunden Sexdrive. Sollte ich mich dafür entschuldigen?“

„Nicht bei mir. Jetzt du.“

„Stell dir vor, ich bin nackt. Was machst du zuerst?“

„Auf die Knie niederfallen und in Freudentränen ausbrechen? Oder möchtest du wissen, was ich danach tue?“

Sie musste lachen. „Genau das habe ich gemeint, Mr. Neunmalklug.“

„Habe ich dich vorher zum Abendessen eingeladen?“

„Wen kümmert das? Ich bin bereits nackt, schon vergessen?“

„Ich will mir nur ein genaues Bild von der Situation machen.“

Er legte seine Hand sanft in ihren Nacken, und sie ließ ihren Kopf zurücksinken. Mit seinen Lippen streifte er ihre Mundwinkel, ohne sie ganz zu berühren. Eine züngelnde Hitze breitete sich in ihrem Unterleib aus.

Dieses Speed-Date hatte eigentlich nicht Teil des Vorspiels sein sollen, aber nun gut.

„Liegst du nackt auf dem Bett, nachdem ich dich ausgezogen habe? Oder stehst du nackt unter der Dusche und hast keine Ahnung, dass ich kurz davor bin, dir Gesellschaft zu leisten? Oder bist du nackt und schläfst, und ich wecke dich langsam?“

Das Atmen fiel ihr schwer. „Das waren drei Fragen.“

Wer verführte hier wen? Und wie weit wollte sie das Ganze gehen lassen? Sie hatte nie in Erwägung gezogen, sich in eine riskante Affäre mit einem Fremden zu stürzen.

„Ich muss es aber wissen, um dir zu sagen, was ich als Nächstes tue. Oder soll ich es dir einfach zeigen?“

Ja, das wäre schön.

Er ließ seinen Arm um ihre Taille gleiten, und Evangeline klammerte sich an seinen Schultern fest. Sie fühlten sich sehr muskulös unter seinem Jackett an.

„Ich glaube, ich habe den Alarm gehört“, flüsterte er.

Das hatte er nicht, aber es war ihr egal.

Er drückte seine Lippen auf ihre, zum zweiten Mal an diesem Abend. Sie spürte seine Wärme und seine Kraft, und ihre Lippen öffneten sich unter diesem herrlichen Kuss. Er ließ seine Zunge in ihren Mund gleiten. Sie fühlte sich wunderbar rau an und schmeckte nach Champagner.

Sie stöhnte auf und zog ihn fester an sich, indem sie ihn an den Schultern packte. Mehr! Sie brauchte mehr, musste die Gier stillen, die in ihren Adern tobte.

Ein wildes Feuer loderte zwischen ihnen. Sie war sich sicher, dass er es auch spürte. Und das Schönste war: Es ging um sie, nicht um Eva.

„Berühr mich“, sagte sie, und vor Begehren klang ihre raue Stimme sogar noch heiserer.

Er tastete nach ihrer Brust, doch der Stoff des Oberteils war viel zu dick, als dass sie es spüren könnte. Ohne länger drüber nachzudenken, ergriff sie den Saum dieses lächerlich voluminösen Rockes und befestigte ihn an ihrer Schärpe. Dann nahm sie seine Hand, führte sie durch die Öffnung und legte sie auf ihre nackte Haut.

Er stöhnte auf, als er ihren Po fester umfasste. „Ein Stringtanga. Das ist so unglaublich sexy.“ Langsam strich er über die Riemchen, spürte ihre heiße, seidige Haut.

Beinahe gaben die Beine unter ihr nach. „Hör nicht auf.“

Gierig küsste er sie, während er seine Finger unter den Seidenstoff ihres Höschens gleiten ließ. Gerade tief genug, um ihr für eine Sekunde den Atem zu rauben. Schamlos ließ sie ihr Becken kreisen und forderte ihn so stumm dazu auf, tiefer zu gehen.

Sie war kurz davor, unter den Liebkosungen seiner kraftvollen Hände wahnsinnig zu werden.

Doch bevor das passieren konnte, löste er sich von ihr, trat einen Schritt zurück und stieß einen schweren Seufzer aus. Dann strich er ihren Rock glatt, und die Endgültigkeit, die in dieser Geste lag, verwirrte sie. „Angie, ich muss dir etwas gestehen.“

„Du bist verheiratet“, riet sie. Die Enttäuschung traf sie wie ein Schlag in die Magengrube. Sie hätte es wissen sollen.

„Nein.“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Es ist nur …“

„Du fühlst dich nicht zu mir hingezogen.“ Aber was war mit der beeindruckenden Härte, die sie trotz des riesigen Stoffbergs an ihrer Taille gespürt hatte?

Er schluckte schwer. „Ganz im Gegenteil. Es gibt nur ein kleines Problem. Ich habe noch nie eine Frau auf einem Balkon verführt, also bin ich … unvorbereitet.“

Oh. „Du hast kein Kondom dabei.“

Sie konnte das Kichern nicht unterdrücken. Er war einfach so niedlich, wie er sich verlegen und offensichtlich frustriert mit der Hand durch sein dunkelblondes Haar fuhr. Es rührte sie – und darauf war wiederum sie nicht vorbereitet gewesen.

3. KAPITEL

„Ich freue mich, dass du meine mangelnde Vorbereitung amüsant findest.“ Matthew war noch nie so wütend auf sich selbst gewesen. Immerhin schien sie nicht sauer zu sein.

Im Gegenteil. Sie packte ihn wieder am Revers, zog ihn zu sich und küsste ihn sanft. „Das ist dafür, dass du kein Kondom dabeihast.“

„Wie bitte?“

Sie zog die Schultern hoch. „Ich hatte schon mit vielen Idioten zu tun. Es ist nett, zur Abwechslung mal einen Mann zu treffen, der nicht nur mit dem denkt, was er zwischen den Beinen hat. Außerdem leben wir nicht im Mittelalter. Ich hätte ebenso gut vorsorgen können.“

„Du hast auch keins dabei.“

Sie schüttelte den Kopf. „Leider nicht. Und die Pille vertrage ich nicht. Ich krieg davon Kopfschmerzen. Aber es ist ja Karneval. Zu diesem festlichen Anlass werden wir sicher eine ganze Schachtel voll Kondome in Vincenzos Zimmer finden.“

Und nun sollte Matt auch noch Kondome stehlen! Was tat er nur auf diesem Balkon?

„Vielleicht ist es ein Zeichen“, murmelte er.

„Ein Zeichen? Dafür, dass du mich heute Nacht nicht abschleppen sollst?“

Er zuckte innerlich zusammen. Matthew Wheeler schleppte niemanden ab! Er war glücklich verheiratet gewesen mit der perfekten Frau, und das wäre er noch immer, wenn das Aneurysma sie nicht getötet hätte.

Wollte er wirklich einen One-Night-Stand mit einer Frau haben, die er auf einer Party kennengelernt hatte?

Der leere Palazzo nebenan erschien ihm auf einmal verlockend. Es war ein Ort, an den er sich zurückziehen und seine Wunden lecken konnte.

Es war nicht fair, sie zu benutzen, nur um seiner Einsamkeit zu entfliehen.

Doch bei Gott, es war schwer, von ihr loszukommen. Während er sie in seinen Armen hielt, hatte es in ihm gekribbelt, als würde seine Seele zu neuem Leben erwachen.

Der Anblick ihrer vom Kuss geröteten Lippen und ihrer leuchtend braunen Augen warf ihn beinahe um.

Er konnte sie nicht einfach so gehen lassen.

Also entschied er sich für einen Kompromiss.

„Lass uns tanzen.“

Überrascht zog sie die Augenbrauen hoch. „Auf der Party?“

„Sicher. Warum nicht? Du hattest noch keine Gelegenheit, Loverboy deinen neuen Freund unter die Nase zu reiben. Und ich würde gerne ein bisschen auf die Bremse treten. Sichergehen, dass wir beide dasselbe wollen.“

„Wie wäre es damit?“, überlegte sie laut. „Ich renne schnell in Vincenzos Zimmer und stopfe so viele Kondome wie möglich in meine Handytasche. Dann tanzen wir. Und wenn du dich dabei ebenso geschickt anstellst wie beim Speed-Date, bin ich mir sicher, dass wir beide dasselbe wollen – nämlich in dein Bett.“

Seine Hose begann bei der Vorstellung bereits jetzt zu spannen, und er schüttelte heftig den Kopf, um die erotischen Bilder loszuwerden, die ihm sofort durch den Kopf schossen. Doch es funktionierte nicht.

„Ich bin also vorgewarnt.“

Sie lächelte ihn frech an.

Zumindest würde er in einem Raum voller Leute nicht seine Hand unter ihren Rock schieben können.

Als sie den Saal betraten, drängten sich sogar noch mehr Leute auf der Tanzfläche. Matthew zog seine Begleiterin in das Meer der Menschen und passte auf, dass ihre Flügel keinen Schaden nahmen. Er hatte lange nicht mehr getanzt, aber die Unterrichtsstunden, zu denen Amber ihn geschleppt hatte, fielen ihm schnell wieder ein.

Korrekt legte er seinen Arm um seine Tanzpartnerin, bereit, eine Art Walzer auszuprobieren – doch sie schmiegte sich sofort eng an ihn und wiegte ihre Hüfte in einem sinnlichen Takt. Eine brennende Lust entflammte seinen Unterleib. Sie hatte offensichtlich ganz andere Tanzkurse besucht als er.

Alles, woran er denken konnte, war das winzige Stückchen Seide unter ihrem Rock. Das war nicht gerade das, was er sich unter einem Kompromiss vorgestellt hatte.

„Was, wenn wir unser Speed-Date fortsetzen, aber einen Schritt zurückgehen?“

Sie legte ihren Kopf schräg und lächelte ihn an. Die Federn, die in ihrem Haar steckten, streichelten seinen Hals. „Ich bin ganz Ohr.“

„Was ist deine Lieblingsfarbe?“

„Wow. Das sind eher tausend Schritte zurück. Ich habe keine Lieblingsfarbe. Mir gefallen alle Farben des Regenbogens.“ Ein tanzendes Paar stieß mit ihnen zusammen, und sie wurden näher zusammengeschoben, doch das störte ihn nicht.

„Was ist deine?“, fragte sie.

Als er den Geruch ihres Haares einatmete, bekam er weiche Knie. Draußen war es ihm nicht so aufgefallen, aber in diesem engen überhitzten Raum stieg ihm ihr exotischer Duft mit überwältigender Intensität in die Nase. „Schwarz. Das passt zu allem.“

„Wie praktisch. Schwarz gefällt mir an einem Mann. Wo bist du geboren?“

„In Dallas. Aber bitte frag mich jetzt nicht, ob ich J.R. Ewing kenne. Ich habe mir die Sendung nie angesehen.“ Das passierte ihm in Europa regelmäßig. Jeder kannte Dallas aus dem Fernsehen, entweder die Wiederholungen der alten Serie oder das Remake. „Was ist mit dir?“

„Toronto. Aber meine Mom ist nach Detroit gezogen, als ich ein Baby war. Dort bin ich aufgewachsen.“

Folglich stammten sie doch nicht aus so unterschiedlichen Welten, wie er angenommen hatte. „Du bist Amerikanerin?“

Auf diese Frage schwieg sie so lange, dass Matthew sich allmählich zu fragen begann, ob er sie irgendwie beleidigt hatte. Aber sie musste wissen, wie außergewöhnlich ihre Stimme klang, und dass ein Dialekt kaum auszumachen war.

„Ich bin nichts und alles“, sagte sie schließlich mit einem unfrohen Lachen. „Normalerweise erzähle ich den Leuten, dass ich Kanadierin bin. Aber ich war schon seit Jahren nicht in Toronto. Oder in Detroit.“

„Lebt deine Mom immer noch in Detroit?“

„In Minneapolis. Sie ist zum vierten Mal verheiratet. Ich habe aber ein paar Leute in Detroit.“

Ein paar Leute? Er hakte nicht nach. Der Schmerz war zu deutlich in ihrer Stimme zu hören gewesen. „Deine Heimat ist also Europa?“

„Wohin auch immer mich der Wind verschlägt.“ Sie bemühte sich um einen leichten Tonfall, aber er ließ sich nicht täuschen. Sie fühlte sich nirgends zu Hause, und es machte sie traurig. „Lebst du immer noch in Dallas?“

„Nein.“ Auch er war heimatlos. Er hatte sein Haus verkauft, sein Auto, alles. Er besaß nichts als die Kleider, die in seinem Schrank im Palazzo hingen. „Ich lasse mich treiben. Wie du.“

Sie hörte so abrupt auf zu tanzen, dass sie mit einem Paar in ihrer Nähe zusammenstießen und sich böse Blicke einfingen. Ungeduldig zog sie Matthew an den Rand der Tanzfläche und sah durch ihre Maske zu ihm auf. Mitgefühl schimmerte in ihren Augen. „Es tut mir leid.“

„Was?“

„Was auch immer passiert ist.“

Sie fragte nicht weiter nach, doch in ihren Augen las er ein unausgesprochenes Verständnis.

„Ich bin froh, dass der Wind dich hierher verschlagen hat“, flüsterte sie.

Das ganze künstliche Spiel des Speed-Dates war vergessen.

„Ich auch“, antwortete er.

Nein, er wollte keinen One-Night-Stand mit einer beliebigen Fremden haben. Aber er brannte darauf zu erfahren, was zwei verletzte Seelen einander geben konnten.

Lächelnd ergriff er ihre Hand. „Warum kommst du nicht mit zu mir nach Hause?“

Nach Hause. Das klingt schön, dachte Evangeline. Sie selbst hatte nie ein Zuhause besessen.

Alle paar Jahre hatte sie einen neuen Stiefvater gehabt. Außerdem gab es da noch eine Halbschwester, Lisa, die von ihrem Vater bevorzugt wurde, weil er mit ihrer Mutter verheiratet war. Es hatte in ihrem Leben viele Hotelzimmer und Flugreisen gegeben – aber kein Heim.

Die Masken schufen Distanz. Sie würden es ihr ermöglichen, eine aufregende Nacht mit diesem Mann zu verbringen und sich von ihrer Einsamkeit abzulenken.

Sie lachte unbekümmert und zwinkerte ihm kokett zu. „Was spräche denn dafür?“

„Freiheit. Keine Exfreunde. Keine Menschenmassen. Und keine Regeln. Es gibt dort nur dich und mich, und wir können tun, was auch immer sich richtig anfühlt.“

Das klang nicht schlecht. „Wäre es auch in Ordnung, wenn wir die Masken anlassen würden?“

„Wie gesagt, keine Regeln.“

Innerlich zitterte sie vor Freude. Aber sie zeigte es nicht. „Das klingt ein bisschen vage. Woher weiß ich, dass du nicht auf komische Dinge stehst?“

„Das weißt du nicht.“ Der freche Glanz in seinen Augen hätte sie beunruhigen müssen.

„Ich könnte auch auf komische Dinge stehen.“

„Das hoffe ich doch.“

Als die Musik zu einer schnelleren, elektronischen Nummer wechselte, begann die Menge auszuflippen. Er nahm ihre Hand und zog sie ganz von der Tanzfläche.

Zu ihrer Linken sah sie Sara Lear, die für ein Pressebild mit zwei Männern posierte. Rory war nicht dabei, aber er konnte jeden Moment erscheinen. Das machte ihr die Entscheidung leicht. „Gut. Lass uns gehen. Jetzt sofort.“

Sie verließen Vincenzos Palazzo durch den Seiteneingang. Dann durchquerten sie einen monderhellten Hof und erklommen die Stufen einer elegant geschwungenen Außentreppe, die in den zweiten Stock führte. Matt hielt ihr die Tür auf. Lichter blitzten auf.

„Willkommen im Palazzo D’Inverno“, sagte er.

Evangeline stockte der Atem. Reliefartige Freskomalereien im Renaissancestil zierten die Zimmerdecke. Unter ihren Füßen erstreckten sich moderne, mit Granitsplittern durchsetzte Fliesen, und eine Schwingtür führte zu einem Marmorbalkon, von dem man auf den Canal Grande sehen konnte.

Drei lange meergrüne Ledersofas standen in der Mitte des Wohnzimmers und formten ein U. Von jedem einzelnen aus hatte man einen unglaublichen Blick auf die festlich erleuchtete Stadt.

„Ich hatte keine Ahnung, dass so etwas in Venedig immer noch existiert. Wem auch immer dieses Ding gehört, er hat den Jackpot geknackt. Du hast Glück, dass er sich bereit erklärt hat, es zu vermieten.“

Matt verzog die Lippen zu einem Lächeln. „Ich gebe das Kompliment gerne weiter.“

„Bewohnst du alle drei Stockwerke oder nur das erste Obergeschoss?“

„Die oberen zwei, das Erdgeschoss ist noch nicht renoviert. Die Schlafzimmer liegen oben. Würdest du sie gerne sehen?“

„Soll das eine Anmache sein?“ Sie grinste, als sie seinen verwirrten Gesichtsausdruck sah. Seine Verlegenheit war rührend. „Klar. Ich möchte sogar unbedingt den Rest des Hauses sehen. Aus rein ästhetischen Gründen natürlich. Außerdem muss ich dringend aus diesem Kleid raus.“

Sie machte einen Schritt auf das gewundene Treppenhaus zu, doch er hielt sie am Handgelenk fest. Er warf ihr einen durchdringenden Blick aus seinen schönen kristallklaren Augen zu.

„Angie, ich habe dich nicht hierher eingeladen, um dich ins Bett zu kriegen. Als ich sagte, es gebe keine Regeln, meinte ich auch keine Erwartungen. Wenn nichts passiert, ist das auch okay. Es macht mir nichts aus, wenn wir bis zum Morgengrauen einfach nur reden. Was immer sich richtig anfühlt. Denk dran.“

„Matt …“ Der Rest des Satzes blieb ihr im Hals stecken.

Die Männer, mit denen sie sonst zu tun hatte, nahmen sich einfach, was sie wollten. Und er? Er gab ihr zu verstehen, dass sie immer noch eine Wahl hatte. Das war unglaublich verführerisch.

„Ich möchte einfach nur mit dir zusammen sein“, stieß sie hervor.

„Du hast mich. Ich gehe nirgendwohin.“ Wie zum Beweis löschte er die Lichter, und schlagartig wurde die Stimmung romantisch. Dann setzte er sich auf die Couch. „Benutz mich einfach.“ Er grinste sie an. „Ich lass mich gerne von dir benutzen.“

Sie musste lachen, und die Schwere des Augenblicks war verflogen.

„Danke für das Angebot. Übrigens war das kein Scherz, als ich gesagt habe, dass ich unbedingt aus diesem Kleid rausmuss. Ich kann kaum atmen darin.“

„Hättest du gern ein T-Shirt von mir?“

„Nein, aber ich hätte gerne deine Hilfe.“ Sie streifte ihre hochhackigen Schuhe ab und ging auf die Couch zu. Dann setzte sie sich und wandte das Gesicht von ihm ab. „Die Bänder am Rücken sind schwer zu erreichen.“

„Was hättest du getan, wenn es nicht zwischen uns gefunkt hätte? In dem Kleid geschlafen?“

Gefunkt. Das Wort wirkte in Evangeline nach. Aber er hatte recht. Da war eine Verbindung zwischen ihnen. Sie war viel stärker als alles, wonach sie gesucht hatte. Und viel kostbarer – vielleicht auch gerade dadurch, dass sie beide Masken trugen.

„Ich hätte mir schon etwas einfallen lassen“, flüsterte sie, als er sanft ihre Locken hob und sie ihr über die Schulter legte. Sein Blick glitt von ihrem Haaransatz bis zur nackten Stelle oberhalb ihres trägerlosen Oberteils.

Er strich über ihren Rücken, vorbei an ihren Flügeln, und das Feuer, das er auf dem Balkon entzündet hatte, verwandelte sich in einen Flächenbrand. Quälend langsam löste er Band um Band an ihrem Kleid.

Jeden Augenblick rechnete sie damit, seine Lippen auf ihrer Schulter oder auf ihrem Nacken zu spüren. Ihre Haut schmerzte regelrecht vor Sehnsucht nach seiner Berührung. Dabei war sie sich mittlerweile gar nicht mehr so sicher, ob sie wirklich im Bett landen würden. Und was, wenn nicht?

Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er die Schnürbänder gelöst und öffnete das Korsett, sodass ihre Brüste über das Dekolleté des Kleides quollen. Doch noch immer hatte er nichts weiter gemacht, als ihr höflich zu helfen.

„Man zieht es über den Kopf aus“, sagte sie, ohne sich umzudrehen, stand auf und hob ihre Arme. „Könntest du …?“

Er kam zu ihr und griff nach dem Oberteil. Langsam zog er ihr den schweren Stoff aus. Dabei verrutschte ihre Maske, doch sie brachte sie schnell wieder in Ordnung.

Dann stand sie nackt, nur mit einem Stringtanga und einer Maske bekleidet, mit dem Rücken zu ihm. Was würde er jetzt tun?

Sie blickte zum Kanal, den Kopf noch immer von ihm abgewandt. „Also. Worüber wolltest du reden?“

Er lachte leise.

Sanft fuhr er mit einem Finger über die acht Noten, die in die Haut an ihrem Rücken eintätowiert waren, und die zarte Berührung ließ sie erzittern.

„Die Noten haben alle Farben des Regenbogens“, bemerkte er.

Niemandem war das je aufgefallen.

„Musik ist mir wichtig.“ Es war mehr, als sie hatte preisgeben wollen.

Doch heute Nacht würde sie ihren Dämonen nicht allein die Stirn bieten müssen. „Matt.“

Noch nie hatte sie sich so sehr danach gesehnt, mit jemandem zusammen zu sein. Wie konnte sie ihn nur dazu bringen, den nächsten Zug zu machen?

„Dreh dich um, Angie.“

Langsam tat sie es.

Er verschlang sie mit seinem Blick vom Kopf bis zu den Zehen, und ihre Haut begann an diesen Stellen zu kribbeln.

„Du bist die schönste Frau auf der Welt. Komm her.“

Er nahm ihre Hände, und einen Moment später hatte er sie bereits in die Arme geschlossen und küsste sie.

Als ihre Lippen aufeinandertrafen, sprühten Funken, und zwischen ihren Körpern knisterte es. Sie spürte den weichen Stoff seines Anzugs auf ihrer nackten Haut. Oh, wie falsch sie gelegen hatte. Er war sehr wohl ein Mann, der sich nahm, was er wollte. Und er wollte sie mit Haut und Haar.

Ebenso wie sie ihn wollte.

Als er ihren Kopf nach hinten drückte und sich mit seinen schönen Lippen über ihre Kehle hermachte, verfingen sich ihre Masken. Geduldig entwirrte er sie wieder und blickte ihr ruhig in die Augen. „Keine Erwartungen. Also, wenn du nur reden willst …“

Ohne Vorwarnung strich er mit der Hand ihren Rücken hinab und legte sie auf die tätowierten Noten, als wüsste er, dass dort ihr eigentliches Herz lag.

Beinahe unmerklich schüttelte sie ihren Kopf, voller Angst, dass er seinen Mund von ihrer Haut lösen könnte. „Ich will dich.“

„Gut. Denn ich werde gleich Liebe mit dir machen.“

Ja, das wollte sie auch. Bis an die Grenze des Möglichen ausgefüllt werden von diesem Mann, der so anders war als sie.

Er strich über das Haar in ihrem Nacken. „Angie“, murmelte er beinahe ehrfürchtig.

„Hör auf.“ Tränen brannten in ihren Augen. Diese Tränen verwirrten sie selbst, doch sie konnte sie nicht unterdrücken.

„Okay.“ Er zog sofort seine Hände weg, und da ihr plötzlich der Halt entrissen wurde, wankte sie.

„Hör auf, mich Angie zu nennen.“

Bevor ihre Vernunft sie davon abhalten konnte, riss sie sich die Maske vom Gesicht. „Mein Name ist Evangeline. Mach Liebe mit mir, nicht mit der Maske.“

4. KAPITEL

„Evangeline.“

Der Name ging Matthew wie ein Gebet über die Lippen. Ja. Das passte viel besser zu dieser engelsgleichen Frau mit den Flügeln.

„Angie ist ein Spitzname. Evangeline bin ich.“

Ein Gefühl, für das er keine Worte fand, ließ seine Kehle eng werden. „Ich fühle mich geehrt, dass du mir genug vertraust, um ihn mir zu verraten.“

Auch er nahm nun seine Maske ab und ließ sie zu Boden fallen. „Ich möchte dir denselben Respekt erweisen.“

Lange starrte sie ihn einfach nur an, ihr Blick gebannt auf sein Gesicht gerichtet. Ihm wurde heiß.

„Gott, du siehst so gut aus.“

„Die meisten Leute sprechen mich mit meinem weltlichen Namen an, aber sag ruhig Gott zu mir.“

Lachend legte sie die Arme um ihn und schmiegte sich an ihn. Er spürte, wie ihre Brüste sanft gegen seinen Brustkorb drückten. „Du hast wirklich das seltene Talent, die Stimmung zu zerstören.“

Er hatte nur seine eigene Verlegenheit überspielen wollen. Von Amber hatte er nur selten solche Komplimente zu hören bekommen.

„Sind wir jetzt fertig mit den Enthüllungen?“, wollte er wissen.

„Nicht einmal annähernd. Nun, da ich gesehen habe, was sich hinter der Maske verbirgt, bin ich ganz wild darauf, dir diesen Smoking auszuziehen …“ Spielerisch zog sie an seiner Fliege und ließ sie zurückschnellen. „Ich will die Ware doch in Augenschein nehmen.“

„Ich hoffe, ich enttäusche dich nicht.“ Seine Stimme brach. Diese verdammte Nervosität.

Bevor er wirklich begriff, was er da tat, hob er Evangeline hoch und trug sie die Stufen zu seinem Schlafzimmer hinauf.

„Ein Mann, der das schafft, ohne außer Atem zu geraten, kann mich gar nicht enttäuschen“, sagte sie, als er sie sanft auf dem Bett niederlegte. „Oh, wow. Das ist aber mal ein Fresko.“

Matthew blickte zur Decke empor. Stuck trennte die einzelnen Bilder voneinander, die zum letzten Mal während der Renaissance von einem Pinsel berührt worden waren. „Es ist mein Lieblingsbild.“

„Mir gefällt es auch. Ich werde hier liegen und es mir ansehen, während du nach unten gehst und die Handytasche mit den Kondomen holst.“ Sie lächelte breit, und er stieß einen Fluch aus.

Die gewünschte Tasche war immer noch an ihrem Kleid befestigt, doch statt ein paar Kondome herauszuholen – woher sollte er wissen, wie viele sie brauchen würden? –, band er sie einfach ab und brachte sie ganz mit.

Sie beulte sich an den Seiten aus, und der Anblick riss ihn in die Realität zurück. Er würde Sex haben mit einer Frau, deren Gesicht er zum ersten Mal vor zehn Minuten gesehen hatte.

Sollte er das wirklich durchziehen?

In dieser Nacht hatte er die Gelegenheit, seinen Kummer abzuschütteln und sich wieder den Lebenden zuzuwenden. Er würde mit einer schönen Frau zusammen sein, in deren Gegenwart er sich stark und männlich fühlte – wegen der er überhaupt wieder irgendetwas fühlte. Es war vielleicht Schicksal, dass er sich ausgerechnet die romantischste Stadt der Welt als Zuflucht ausgesucht hatte, und heute wollte er alles, was Venedig zu bieten hatte.

Als er das Schlafzimmer betrat, räkelte sich Evangeline bereits auf der cremefarbenen Überdecke. Sie hatte die Lippen gespitzt und lag mit ausgebreiteten Haaren und entblößten Brüsten auf dem Bett, völlig ungeniert.

Er wurde sofort hart, und in seinen Fingern begann es vor Vorfreude zu kribbeln.

Sie blickte zu ihm auf und schenkte ihm ein sinnliches Lächeln. „Komm her.“

Mit einer Hand streifte er sich seine Schuhe und Socken ab, dann durchquerte er den Raum. Er warf das Täschchen aufs Bett und konnte sich nicht sattsehen an ihrer wunderschönen Figur, ihrer Haut, die im schwachen Licht der Lampe makellos aussah. „Warte einen Augenblick.“

Er zog ein Päckchen Streichhölzer aus seiner Nachttischschublade hervor und zündete die Kerzen in den kunstvoll verschnörkelten Leuchtern an, die an beiden Seiten des Bettes standen. Dann knipste er das Licht aus.

„Wie nett. Du hättest mich viel schneller hierherkriegen können, wenn du mir gesagt hättest, dass es das Erste sein wird, was du tust.“ Evangeline setzte sich auf und zog ihm geschickt das Jackett aus. „Du hast viel zu viele Sachen an. Du machst mich ganz verlegen.“

Er ließ sein Jackett zu Boden fallen. „Ich kann mir nicht vorstellen, wieso. Du bist wunderschön.“

Das zuckende Licht der Flammen verlieh ihrer Haut einen warmen Schimmer.

Ihre Hände, die eben noch seine Fliege aufgeknotet hatten, ruhten nun auf seiner Brust. Er stand, sie kniete sich auf dem Bett vor ihn hin und sah ihm in die Augen. Hundert verschiedene Gefühle spiegelten sich in ihrem Gesicht. Stumm erwiderte er ihren Blick.

„Du weißt schon, warum“, sagte sie.

Ja, doch. Das tat er. Es bestand eine besondere Verbindung zwischen ihnen. Eine Verbindung, die geheimnisvoll und unerklärlich war, die ohne Worte funktionierte. Er hatte sie vom ersten Augenblick an in der Eingangshalle gespürt. Und er spürte sie auch jetzt.

Es war nicht ihre Nacktheit, die Evangeline verlegen machte, sondern die Tatsache, dass sie ihre Maske abgelegt hatte.

In dieser Nacht ging es um zwei Menschen, die verletzt worden waren, und die im Sturm ihres Lebens einen Hafen suchten. Er ließ sich darauf ein, weil er ihr Vertrauen nicht enttäuschen wollte. Sie war so anders als alle Frauen, denen er in seinem bisherigen Leben begegnet war. So falsch für einen Immobilienmakler aus Dallas – und so perfekt für einen Mann, der nicht wusste, wer er war oder wie es mit seinem Leben weitergehen sollte.

„Ich werde dich nicht enttäuschen“, sagte er gefühlvoll.

„Ich weiß. Sonst wäre ich nicht hier.“ Auch wenn das kaum möglich schien, klang ihre Stimme noch rauer. Sie zerschrammte ihn, wühlte ihn auf. „Ich habe so etwas noch nie gemacht.“

Nun, da waren sie schon zu zweit. „Du weißt ja, keine Erwartungen. Keine Regeln“, erwiderte er.

„Nur diese eine.“ Sie löste seine Fliege und begann, mit behutsamer Sorgfalt sein Hemd aufzuknöpfen. „Ich bin zuerst dran.“

Noch nie hatte ihn eine Frau dermaßen aufreizend ausgezogen. Er spürte, wie hart er war. „Warum können wir es nicht gleichzeitig tun?“

„Weil ich es sage.“

Sie hatte den letzten Knopf an seinem Hemd geöffnet und ließ ihre warmen Fingerspitzen über seinen nackten Brustkorb gleiten. Dann streifte sie ihm das Hemd ab.

„Genau genommen“, fuhr sie fort, „bin ich sogar zweimal dran, einmal mit den Augen, dann mit dem Mund.“

Sie zog ihn näher zu sich heran. Dann griff sie hinter ihn und band seine Hände mit den losen Ärmeln seines Hemds im Rücken fest.

„Oh, das ist jetzt aber wirklich nicht fair.“

„In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt.“ Sie kniete noch immer vor ihm und ließ ihre Fingerspitzen bis zu seinem Hosenbund herabgleiten. „Ich lasse dich erst frei, wenn ich mit dir fertig bin.“

Sie ließ seine Hose und dann seine Boxershorts zu Boden fallen und verschlang seine Erektion mit den Augen, ohne sie zu berühren.

Er stieg aus seiner Hose. „Dir ist klar, dass ich mich leicht befreien könnte, oder?“

„Aber das wirst du nicht“, sagte sie und lächelte.

Dies war Liebe und Krieg.

Sie flüsterte. „Dreh dich um.“

Er drehte sein Gesicht zur Wand gegenüber vom Bett. Ihm war ein wenig unbehaglich zumute, doch er konnte ihren Blick in seinem Rücken spüren, und das turnte ihn unglaublich an.

„Wann ist endlich dein Mund an der Reihe?“, fragte er.

Als Antwort spürte er plötzlich eine zarte Berührung ihrer Lippen ganz tief unten in seinem Rücken. Ihr Haar kitzelte seine Haut, während sie sich langsam seinen Rücken hochknabberte und sein lange vernachlässigter Körper beinahe vor Lust explodierte.

Als sie endlich bei seinem Nacken angelangt war, nahm sie auch die Zunge hinzu. Er stöhnte auf, als er die feuchte Wärme an seinem Ohrläppchen spürte, langsam drehte er sich um, als sie die Linie seines Kiefers mit ihren Lippen nachverfolgte.

Dann küsste sie ihn, und mit dem Reden war es vorbei.

Er wollte sie in seine Arme schließen, aber er durfte es nicht. Die Ehre zwang ihn, gefesselt zu bleiben und Haltung zu bewahren, während sie alles tat, um ihm den Verstand zu rauben. Jetzt nahm sie auch noch sein Gesicht in ihre Hände, um den Kuss zu vertiefen. Dabei streiften ihre Brustwarzen aufreizend seinen nackten Brustkorb.

Plötzlich unterbrach Evangeline den Kuss und wölbte ihren Rücken lustvoll nach hinten. Dabei streifte ihr seidener Stringtanga seine Erektion.

Nein! Er atmete tief durch die Nase ein und kämpfte um seine Beherrschung.

„Matt“, flüsterte sie ihm ins Ohr, und er hatte noch nie in seinem Leben einen so verführerischen Laut gehört. „Als ich dich zum ersten Mal sah, sind mir sofort deine starken Hände aufgefallen. Ich will sie auf meinem Körper spüren. Jetzt gleich.“

Sie griff hinter seinen Rücken, um die Ärmel aufzuknoten, doch er hatte seine Arme bereits befreit.

Er ließ seine Hände ihren Rücken hinuntergleiten und legte sie auf ihren Po. Wie glatt er sich anfühlte. Und so erregend. Matt drückte Evangeline fester an sich und ließ sich von den Empfindungen überwältigen. Endlich fühlte er sich nicht mehr innerlich starr und erfroren, sondern lebendig.

Als er mit den Fingern unter das seidige Dreieck ihres Slips fuhr, stöhnte sie auf und schob sich gierig seiner Hand entgegen, dabei warf sie den Kopf in den Nacken vor Lust.

Ihre Hemmungslosigkeit war erregend. Sie war so ganz anders als Amber.

Entschlossen drängte er den Vergleich beiseite – die Geister der Vergangenheit hatten hier nichts zu suchen. Aber er konnte die Gedanken nicht abschütteln. Amber war kultiviert gewesen, elegant. Schön und zerbrechlich wie ein gläserner Schwan.

Er hatte sie als die zukünftige Mutter seiner Kinder immer ein wenig ehrfürchtig behandelt. Das Band zwischen ihnen war stark gewesen, gefestigt durch gemeinsame Interessen und Ziele. Mit der Zeit war auch ihr Liebesleben zu etwas Wunderbarem, Schönem erblüht. Aber es hatte sich stets im Dunklen und unter Decken abgespielt.

Das hier war etwas anderes. Es war erotischer, animalischer, unanständiger. Evangeline war nicht Amber. Und heute Nacht gab es keine Regeln.

Evangeline schlang ihre Arme um Matt und trieb ihn zur Eile an. Aber er, der bis eben mit gefesselten Händen hatte ausharren müssen, ließ sich nicht hetzen.

Langsam strich er mit den Fingern über ihre Haut, berührte ihren ganzen Körper. Wonneschauer liefen ihr über den Rücken und brachten ihr Innerstes zum Glühen.

Ja! Das war genau das Gefühl, nach dem sie sich so lange gesehnt hatte – geliebt, geschätzt. Angenommen.

Mit äußerster Selbstbeherrschung ließ er sie auf die Matratze zurücksinken, zog ihr die Unterwäsche aus und arbeitete sich, beginnend bei ihren Füßen, langsam an ihrem Körper hoch, während er jeden Zentimeter ihrer Haut mit der Zunge verwöhnte. Schließlich war er an ihrem Hals angelangt und begann, an ihrer Kehle zu saugen. Gleichzeitig spreizte er entschlossen ihre Schenkel.

Sie hatte noch nie so schnell eine derart überwältigende Lust verspürt, sie war kurz vorm Explodieren. Normalerweise dauerte es bei ihr länger, bis sie so weit war.

Andererseits hatte sie sich mit Matt bereits in den verschiedensten Stadien des Vorspiels befunden, seit sie sich in der Eingangshalle begegnet waren. War es also ein Wunder, dass Matt kurz davor war, sie allein mit dem sanften Druck seiner Oberschenkel zum Höhepunkt zu bringen?

Spielerisch umkreiste er mit der Zunge ihre Brüste, dann nahm er eine ihrer Brustwarzen in den Mund und saugte ausgiebig an ihr. Ihr Rücken wölbte sich, sie richtete sich halb im Bett auf, während ihr Unterleib zu zucken begann. Sie keuchte.

„Jetzt, Matt.“ Es hatte eigentlich eine Forderung sein sollen. Was sie stattdessen von sich gab, war ein Flehen, ein ersticktes Schluchzen. Aber es war ihr egal.

Er zog ein Kondom hervor und streifte es über. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, aber dann, endlich, lag er zwischen ihren Schenkeln und glitt in sie hinein. Er sah ihr dabei fest in die Augen.

Das war nicht irgendein One-Night-Stand. Obwohl sie Fremde waren, kam es ihr so vor, als würden sie sich schon ewig kennen. Das machte die Sache verwirrend – und gefährlich. Mit nur einem einzigen Blick hatte dieser Mann sie verletzlich gemacht. Sie musste die Notbremse ziehen.

„Nicht so.“ Sie rutschte unter ihm weg und rollte sich auf die Seite. Sie war völlig durcheinander.

„Zu schnell?“

„Keine Missionarsstellung.“ Sie hob die Augenbrauen hoch, kniete sich vor ihn und warf ihm über die Schulter einen Blick zu. „Wollen wir mal sehen, ob du dem hier gewachsen bist.“

Er grinste, und sie spürte seinen Brustkorb warm in ihrem Rücken. Seine Lippen streiften ihren Nacken, während er sie von hinten ausfüllte. Das war viel besser. Nun konnte sie nicht mehr all diese tiefen Gefühle in seinen Augen lesen. Und umgekehrt. Sie würden einander Befriedigung verschaffen, gemeinsam der Einsamkeit der Nacht entfliehen und danach mit ihrem jeweiligen Leben weitermachen.

Mit den Fingern streichelte er sie aufreizend zwischen den Beinen. Die wildesten Empfindungen überfluteten sie, sie stöhnte auf und stieß unkontrolliert seinen Namen hervor …

Zu spät erkannte sie, dass es keine Rolle spielte, ob sie einander ins Gesicht sehen konnten oder nicht. In seinen Liebkosungen lag ebenso viel Tiefe wie in seinem Blick.

Tränen brannten in ihren Augen. Wie konnte sie sich selbst davon überzeugen, dass dies nur ein unbedeutendes Zwischenspiel war, wenn er sie weiter so berührte?

Der Orgasmus kam schnell und heftig, beim zweiten Stoß überwältigte es sie und beim dritten stürzte sie ins Nichts.

Sie sank in sich zusammen, während er sie von hinten mit seinen Armen umschlang, und konnte nicht aufhören zu zittern. Fest an ihn geschmiegt zu verharren fühlte sich so natürlich, so richtig an. Dabei mochte sie es sonst nicht, nach dem Sex angefasst zu werden.

„Ich bin noch nie in meinem Leben so schnell gekommen“, stieß sie keuchend hervor. „Ich glaube, das ist meine neue Lieblingsstellung.“

Es klang selbstbewusst – dabei war sie tief verwirrt. Und hier in seinen Armen zu liegen, während er mit dem Daumen sanft über ihre Taille strich, war auch nicht gerade hilfreich. Hier ging es nicht nur um Sex. Sie wollte, dass Matt anders war als die anderen Männer. Etwas Besonderes.

Sie sollte sich jetzt sofort anziehen und gehen. Bevor sie herausfand, dass er es nicht war.

Aber was geschah, wenn sie ging? Sollte sie sich den Rest der Nacht allein in der Dunkelheit zusammenkauern, während Vincenzos Gäste bis zum Morgengrauen feierten?

„Es ist definitiv meine neue Lieblingsstellung.“ Er räusperte sich. „Obwohl ich gerne bereit bin, ein paar andere auszuprobieren, nur um sicherzugehen. In ein paar Minuten. Ich weiß, wir haben einen Menge Kondome, aber du bist keine Frau, von der man sich leicht erholt.“

Bei diesen Worten musste sie lächeln.

Ein Teil von ihr hatte sich wirklich darauf vorbereitet, dass er sie hinauswerfen würde. Nicht allen Männern gefiel es, wenn die Frau nach dem Sex noch blieb. Sie war froh, dass Matt nicht in diese Kategorie fiel. Doch es war auch gefährlich.

„Und wenn wir einfach nur reden?“, hörte sie sich sagen. Wo war das denn hergekommen?

Beinahe hätte sie es zurückgenommen, doch ihre Seele schmerzte, und seltsamerweise hatte sie das Gefühl, dass Matt ihr Linderung bringen konnte. Es würde früh genug Morgen werden, dann konnte sie immer noch fliehen.

Seine Lippen streiften sanft ihre Schläfe. „Eine Fortsetzung unseres Speed-Dates?“

Die kühle Luft im Palazzo löste eine Gänsehaut auf ihren Armen aus. „Nun, ich bin mir nicht sicher, wie wir noch größere Gemeinsamkeiten finden können. Aber warum nicht?“

Er lachte. „Ja, wir passen gut zusammen. Im Bett zumindest. Es ist eine Weile her.“

„Wirklich. Wie lange?“

Er rollte sie sanft auf die Seite und kuschelte sich an ihren Rücken. „Eineinhalb Jahre. Oder so.“

Oh Gott. „Bist du in einer Sekte? Bin ich daran schuld, dass du einen Schwur gebrochen hast?“

„Nein.“ Er schwieg lange. „Damals ist meine Frau gestorben.“

Das war es also. Sein Schmerz – sie hatte ihn gesehen, gewusst, dass er da war. Aber sie wäre nicht draufgekommen, wie tief er ging.

„Oh Matt … Das tut mir so leid.“

Sie streichelte seine Wange und gab ihm einen langen mitfühlenden Kuss. Warum, das wusste sie selbst nicht. Schließlich konnte sie nichts tun, um ihm zu helfen.

„Darum lässt du dich treiben“, flüsterte sie. „Weil du versuchst, irgendwie damit abzuschließen.“ Sein Nicken bestätigte ihre Vermutung. „Du bist also gar nicht auf Geschäftsreise?“

„Ich wünschte, es wäre so einfach.“

Matt war Witwer. Es kam ihr ganz unwirklich vor. „Leute in unserem Alter sollten nicht sterben.“

Er strich ihr eine Locke aus dem Gesicht. Es tat gut, dass sie hier war. „Sind wir denn im selben Alter? Warte, darf ich das überhaupt fragen? Gibt es da nicht eine ungeschriebene Regel, dass man eine Frau nicht nach ihrem Alter fragen darf?“

Sie musste lachen. „Du weißt doch, keine Regeln. Ich bin siebenundzwanzig.“

„Zweiunddreißig.“ Er grinste. „Das soll aber keine Entschuldigung sein, dass ich so lange brauche, um mich zu erholen.“

Er schob sich auf sie, indem er sich mit seinen starken Oberarmen abstützte und küsste sie. In seinen Augen spiegelte sich kein Schmerz mehr, nur noch sie. Beide hatten sie einen Weg gesucht, der Dunkelheit in ihrem Leben zu entfliehen, und es hatte funktioniert.

Wenigstens für eine magische Nacht.

5. KAPITEL

Als Evangeline aufwachte, lag Matt neben ihr und betrachtete sie. Die Vorhänge waren aufgezogen, und Sonnenlicht strömte ins Zimmer. Mit seinem ausdrucksvollen Gesicht und den unglaublich blauen Augen sah er bei Tageslicht sogar noch attraktiver aus als bei Kerzenschein.

„Na.“ Lachend ergriff er ihre Hand und führte sie an seine Lippen.

Sie lächelte zurück. „Wenn du morgens immer so fröhlich bist, solltest du deine Waffen besser sicher unter Verschluss halten.“

Er lachte und strich ihr eine Haarlocke hinters Ohr. „Ich bin eigentlich nie so fröhlich. Du hast eben einen guten Einfluss auf mich.“

Zumindest habe ich deine sexuelle Durststrecke beendet, dachte sie. Mit dem Sonnenlicht schien auch ihr Zynismus zurückgekehrt zu sein.

„Beobachtest du mich aus einem bestimmten Grund? Vielleicht möchtest du mein Stalker werden, jetzt wo du nicht mehr mein Ersatzfreund sein kannst?“

„Mir gefällt eben dein Gesicht.“ Er zuckte die Achseln. „Es war einen Großteil der Nacht verdeckt.“

„Mein Gesicht ist nichts Besonderes.“ Wenn man mal davon absah, wie berühmt es gewesen war. Sie setzte sich auf und stieß die Bettdecke von sich. Sie sollte abhauen, bevor die Unterhaltung eine Wendung nahm, dir ihr nicht gefiel.

Außerdem war es schon Tag. Sie war lange genug geblieben.

Schnell schoss seine Hand unter der Decke hervor, er ergriff ihr Handgelenk und zog sie zurück. „Ich könnte dich stundenlang anschauen.“

„Ich bin nackt. Natürlich könntest du das.“ Männer! Doch sie merkte, dass sein Blick nicht auf ihren entblößten Körper gerichtet war.

„Du hast immer noch Federn im Haar.“

„Ja?“ Eilig betastete sie ihren Kopf, und tatsächlich war da ein Gewirr von Nadeln, an denen noch Teile des Kostüms hingen. Ihr Haar musste aussehen wie ein Vogelnest nach einem Monsun.

„Lass mich das machen.“

Er richtete sich im Bett auf, und die Decke rutschte langsam an ihm herunter. Beim Anblick dessen, was da enthüllt wurde, musste Evangeline schlucken. Es gab wenig Durchschnittliches an Matt, aber sein bestes Stück gehörte definitiv nicht dazu.

Er kam ein wenig näher an sie heran, jedoch ohne sie zu berühren. Sanft zog er ihr eine Nadel aus dem Haar, dann noch eine.

Sie spürte ein Kribbeln auf der Haut, das sich langsam bis zu ihrem Schoß ausbreitete.

„Das war die letzte Nadel“, stellte er fest. Doch seine Finger durchkämmten weiter ihr Haar, entwirrten geduldig die Knoten, die sich über Nacht gebildet hatten. Dann streichelte er ihre Schultern, hob ihre Locken hoch und drückte seine warmen Lippen auf ihren Nacken.

Sie sollte nicht hierbleiben. Ihre magische Nacht war vorbei, und das Morgenlicht erinnerte sie unbarmherzig an diese Realität. Sie hätte gehen sollen, bevor er aufgewacht war. Warum hatte sie es nicht getan? „Matt …“

Seine Lippen verharrten auf ihrem Nacken. „Willst du mir jetzt erzählen, dass du einen dringenden Termin hast? Dass es nett war, mich kennenzulernen, aber dass die Party jetzt vorbei ist?“

War sie so leicht zu durchschauen? „Ich habe keinen dringenden Termin.“

„Dann bleib.“

Von hinten schloss er seine Hände fest um ihre Arme, zog sie ganz nah an sich heran und drückte sie fest.

Sie würde nicht gehen, noch nicht.

Sie drehte sich in seinen Armen und umschlang seine Taille mit ihren Beinen. „Du kannst versuchen, mich abzuwerfen, Cowboy.“

Er lachte. „Nicht jeder Texaner reitet auf Pferden.“

„Wer redete davon, auf Pferden zu reiten?“ Spielerisch schlug sie ihm gegen die Brust, stieß ihn aufs Bett zurück und setzte sich auf ihn.

Nun, das war mal ein Anblick. Matts Brustkorb war muskulös und sein Lächeln unverschämt charmant. Sie hatte anscheinend das große Los in der Männerlotterie gezogen.

In seinen Augen blitzte es stürmisch vor Lust. Er hob ihr Kinn. „Du bist dran, die Kondome zu holen.“

Sie streckte die Hand aus und nahm eins vom Nachttisch, dann riss sie es mit den Zähnen auf. „Schon erledigt.“

„Dann sattle mich, Schätzchen.“ Er verschränkte die Hände im Nacken und zwinkerte ihr frech zu. „Diesmal musst du mich nicht festbinden.“

Das hatte sie ja auch nur getan, um der Situation das Schwere, Gefühlvolle zu nehmen – und war jämmerlich gescheitert.

„Das hat dir gefallen, was?“

Die flapsige Antwort blieb ihr beinahe im Halse stecken. Denn eigentlich wollte sie jetzt nicht scherzen. Sie wollte den zärtlichen, empfindsamen Matt von letzter Nacht zurück.

„Ich habe bislang noch nichts an dir entdeckt, was mir nicht gefällt“, sagte er.

„Dann habe ich dich ja ganz schön verschaukelt“, lachte sie.

Er sah ihr tief in die Augen. „Das glaube ich nicht.“

Sie wandte den Blick ab und ließ das Kondom auf das Bett fallen. „Du kennst mich nicht.“

Niemand tat das – sie wollte es so. Wie viel schlimmer würde sich eine Zurückweisung anfühlen, wenn jemand sie durchschauen und ihr wahres Wesen ablehnen würde?

Nun, sie wusste bereits, wie das war. So hatte es sich angefühlt, als ihr Dad sie zurückgestoßen hatte.

„Das ist nicht wahr.“ Er setzte sich ein wenig auf. „Ich habe dich erkannt, sobald du deine Maske abgelegt hattest.“

Ihr Herz sank. „Wirklich?“

Warum hatte er nichts gesagt? Weil er scharf darauf gewesen war, bei Eva zu landen? Die Enttäuschung brannte so heftig in ihrer Brust, dass sie am liebsten aufgeschluchzt hätte.

„Es war, als hätte ich dich schon immer gekannt.“ Er schüttelte den Kopf und lachte leise. „Entschuldige, ich bin nicht gut in diesen Dingen.“

„Was meinst du?“

Er stieß frustriert den Atem aus. „Ich weiß nicht. Es war ein bisschen so, als wären wir auf dieselbe Highschool gegangen. Du warst mir auf einmal so vertraut. So was ist mir vorher noch nie passiert.“ Matt sah sie verständnissuchend an.

Langsam begann sich ihr Herzschlag wieder zu normalisieren.

„Das erste Mal, als ich dich geküsst habe. Es hat sich nicht wie das erste Mal angefühlt. Meinst du das?“

Er strahlte sie an, und in ihrem Magen begann es zu kribbeln. „Ja. Genau. Wir sitzen hier nackt nebeneinander und unterhalten uns, und es fühlt sich kein bisschen seltsam an.“

Sie musste lächeln. „Das fühlt sich sogar ziemlich gut an für mich.“

Er küsste sie sanft. Irgendwie hatte er es geschafft, den Spieß umzudrehen. Jetzt sehnte sie sich nach einer weiteren Nacht in den Armen dieses Mannes.

Sie starrte in seine blauen, unendlich tiefen Augen.

Wie lange würde der Zauber der letzten Nacht noch vorhalten?

Evangeline saß nackt auf Matts Schoß, die Beine um seine Taille geschlungen. Die erotische Stellung allein brachte ihn fast um den Verstand.

Die letzte Nacht war ein Traum gewesen. Und der Morgen erschien ihm genauso unwirklich.

Noch immer war er nicht bereit, ihr Ciao zu sagen.

Er umfasste ihren Po mit seinen Händen und drückte sie noch enger an sich, obwohl er ihr bereits ganz nah war. Ein schneller Stoß, und er würde in ihr sein. Er stöhnte, das Gesicht dicht an ihrem Mund, und tastete blind nach dem Kondom.

Vorsichtig rutschte er ein Stück zurück, um es überzustreifen, dabei küsste er sie immer weiter, weil er einfach nicht genug von ihr bekommen konnte.

Endlich saß es richtig. Er hob ihren Po ein wenig an und glitt mühelos in sie hinein, während sie seinen Namen flüsterte.

Im nächsten Moment spürte er, wie er eins wurde mit Evangeline. Diese Frau war keine Fremde, sie war für ihn bestimmt. Sie bewegten sich im Gleichklang, trieben gemeinsam auf die Erfüllung zu, bis sie beide gleichzeitig explodierten.

Er schlang seine Arme um sie und hielt sie fest an seine Brust gedrückt, während die Schauer nur langsam verebbten. Hinterher blieb ein warmes Glühen zurück.

Er hatte seine Lippen noch immer gegen ihre Schläfe gedrückt und konnte sich nicht rühren, hätte es nicht mal gekonnt, wenn sein Leben davon abgehangen hätte.

„Mir gefällt diese Position auch ziemlich gut“, sagte sie und holte ihn zurück in die Realität.

„Sie hat ihre Vorteile.“ Er richtete sich auf und grinste. „Hast du Hunger? Ich mache uns Frühstück.“

Er wusste, dass sich das wahrscheinlich wie eine durchsichtige Verzögerungstaktik anhörte, aber das war ihm egal.

„Macht es dir etwas aus, wenn ich zuerst dusche?“ Sie stöhnte auf. „Mist, ich habe ganz vergessen, dass ich meine Sachen gar nicht hier habe. Steht das T-Shirt-Angebot noch?“

Er lächelte sie an. „Natürlich.“

Die Rohre im Palazzo D’Inverno hatten nur eine begrenzte Reichweite, und so konnte Matthew in der Küche deutlich das Rattern hinter den Wänden hören, als Evangeline oben die Dusche aufdrehte. Es klang wie Musik in seinen Ohren. Auf einmal war sein kaltes einsames Haus erfüllt von ihr, Evangeline.

Als sie herunterkam, nur mit einem seiner T-Shirts bekleidet, nackten Beinen und nassem Haar, bekam er einen trockenen Mund.

„Wie machst du das, dass selbst ein einfaches T-Shirt an dir so gut aussieht?“

Er reichte ihr ein Glas Orangensaft.

„Ich bin eben ein Naturtalent.“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn so selbstverständlich, als wären sie ein lange verheiratetes Ehepaar und dies ihr alltägliches Morgenritual. Dann hockte sie sich auf einen der Stühle an der Küchentheke, nippte an ihrem Saft und sah ihm beim Kochen zu.

„Ich hoffe, Eier und Toast sind okay?“ Er sah über seine Schulter, und beim Anblick dieser leicht zerzausten, wunderschönen Frau in seiner Küche fiel ihm beinahe der Pfannenwender aus der Hand. „Ich schätze, ich hätte fragen sollen.“

„Es ist klasse. Ich mache keine verrückten Diäten. Ich esse einfach.“

„Eine Frau, ganz wie sie mir gefällt.“

„Und mir gefällt ein Mann, der kochen kann.“

Sie warfen sich heiße Blicke zu, bis der Duft von frischem Toast die Luft erfüllte. Er nahm die Scheiben aus dem Toaster, verteilte alles auf zwei Tellern und setzte sich neben sie an die Theke.

Dies war das erste Mal, dass er mit einer Frau zusammen eine Mahlzeit einnahm, seit … Es war so ewig her, dass er sich schon nicht mehr daran erinnern konnte. Er hatte das einfache Vergnügen vermisst, neben einer warmen Frau aufzuwachen, mit ihr ein Badezimmer zu teilen. Mit ihr zu lachen und Liebe zu machen.

Er hatte es vermisst, verheiratet zu sein – mehr als ihm bewusst gewesen war.

„Also“, sagte er, nachdem er seinen letzten Bissen Toast hinuntergeschlungen hatte. „Hast du Pläne fürs Wochenende?“

„Es ist Mittwoch. Bis zum Wochenende ist es noch lange hin.“

Zu Hause war seine Zeit bereits Monate im Voraus verplant gewesen. In Venedig schienen Terminkalender verpönt zu sein. Daran konnte er sich immer noch nicht gewöhnen. „Ich würde dich gern wiedersehen. Vielleicht mit dir ausgehen.“

Sie legte ihre Gabel nieder und sagte mit der Feierlichkeit einer königlichen Verlautbarung: „Ich bin nicht scharf aufs Daten.“

„Oh.“ Ein Korb. Offensichtlich war er doch eingerostet. Er hätte schwören können, dass er gute Karten hatte. „Worauf bist du dann scharf?“

Ihr raues Lachen überraschte ihn. „Auf dich.“

„Äh, okay.“ Um Zeit zu gewinnen, schob er sich einen weiteren Bissen Toast in den Mund und kaute langsam darauf herum. Er begriff es einfach nicht.

„Matt.“ Sie seufzte, und es trug ganz und gar nicht zu seiner Beruhigung bei. „Du bist das Beste, was mir seit langer, langer Zeit passiert ist. Aber …“

„Warum muss es da ein Aber geben? Ich bin das Beste, was dir je passiert ist. Lassen wir es einfach so stehen.“

Sie starrte lange auf ihren Teller. „Ich würde dich auch gerne wiedersehen. Aber hier. In deinem Haus. Was hältst du davon?“

Ihre Körpersprache verriet, wie wichtig ihr seine Antwort war.

Er zuckte die Achseln. „Das letzte Mal, als ich auf einem Date war, haben noch Dinosaurier die Erde bevölkert. Ich möchte dich einfach nur sehen. Egal wo. Oder wann. Wähl einen Tag aus, der in dein Leben passt.“

Als sie vom Teller aufblickte, schimmerten Tränen in ihren Augen, eine rann ihre Wange hinab. Sie wischte sie weg.

„Ich habe kein Leben“, flüsterte sie.

„Evangeline …“

Instinktiv glitt er vom Stuhl und nahm sie in die Arme. Er hielt sie fest, und sie schmiegte sich an ihn, umklammerte seine Schultern.

„Es tut mir leid. Ich gerate normalerweise nicht aus der Fassung, wenn mich jemand auf ein Date einlädt.“ Ihr Lachen klang zittrig.

„Ich lade dich nicht auf ein Date ein. Ich weiß nämlich aus sicherer Quelle, dass du nicht scharf aufs Daten bist. Ich lade dich nur in mein Haus ein … zum Abendessen“, sagte er. „Ich koche.“

„Ein Abendessen wäre schön“, flüsterte sie und vergrub ihr Gesicht in seiner Schulter. „Heute Abend. Morgen Abend. Wann immer du magst.“

„Heute Abend. Warum bleibst du nicht einfach hier?“ Das war die Einladung, die er von Anfang an hätte aussprechen sollen. „Es sei denn, du hast mich satt oder solltest mehr Zeit mit Vincenzo verbringen, weil du sein Gast bist.“

„Vincenzo schläft vermutlich seinen Rausch aus und merkt gar nicht, ob ich da bin oder nicht.“

Ihr Tonfall besiegelte es. Wenn er nicht komplett seinen Verstand verloren hatte, war auch sie nicht bereit, Ciao zu sagen.

„Also, ich würde es definitiv bemerken. Das italienische Fernsehen lässt eine Menge zu wünschen übrig, und deine Gesellschaft ist mir jederzeit lieber. Verbring noch eine Nacht mit mir oder, noch besser, das ganze Wochenende.“

Sie zögerte und schloss kurz die Augen. Dann sah sie ihn fest an. „Warum hast du mich nicht nach meiner Stimme gefragt?“

Er war verwirrt. „Hätte ich das tun sollen?“

„Sie ist kaputt. Bist du nicht neugierig, warum? Du kannst mir nicht erzählen, dass du es nicht bemerkt hast.“

Kaputt? „Dir sind meine Hände aufgefallen und mir deine Stimme. Ich liebe deine Stimme. Sie ist sehr sexy.“

„Sie ist nicht sexy, sondern schrecklich. Ich klinge wie eine Sechzigjährige, die vier Päckchen Zigaretten am Tag raucht.“

Er lachte, aber es klang nicht belustigt. „Das ist lächerlich. Deine Stimme ist außergewöhnlich. Wenn du meinen Namen sagst, spüre ich es genau hier.“ Er nahm ihre Hand und legte sie auf seinen Bauch.

Sie zog ihre Hand weg. „Stellst du dich absichtlich dumm?“

Frustriert fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Er hatte sie gefragt, ob sie noch ein bisschen länger bleiben wollte, nicht, ob sie den Weltfrieden wiederherstellen konnte – die Antwort sollte einfach sein.

„Okay. Evangeline, was ist mit deiner Stimme passiert?“

„Wenn man viel singt, können sich Polypen auf den Stimmbändern bilden. Manchmal platzen sie. Ein Spezialist muss die Operation durchführen, um das zu verhindern. Adele hatte einen guten Arzt, ich leider nicht.“

Er bekam beinahe einen Knoten im Gehirn angesichts des plötzlichen Themenwechsels. „Was meinst du mit viel? Hast du professionell gesungen?“

„Ja, das habe ich.“ Sie suchte seinen Blick, zögernd, abwägend, und er wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihn einzuschätzen versuchte. Dies war immer noch Teil der Verhandlungen, und er konnte sich keinen Patzer erlauben.

„Ich habe unter einem anderen Namen gesungen. Eva.“

„Eva.“

Der Name ließ langsam ein Bild in seinem Kopf entstehen. Er sah dieselbe Frau vor sich, aber als sexy aufgedonnerte Sängerin, die in einem winzigen Goldkleid auf einer Bühne stand, eingerahmt von etwa hundert Tänzerinnen.

„Eva-die-beim-Superbowl-aufgetreten-ist-Eva?“

Sie nickte. Ihr Gesichtsausdruck war todernst, während sie auf seine Reaktion wartete. „Ich will nicht, dass es zwischen uns steht.“

Matt spürte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Als sie die Maske abgelegt hatte, war dieses Gefühl des Wiedererkennens unheimlich gewesen. Aber hatte sich sein Unterbewusstsein nur an sie erinnert, weil sie in irgendeiner Fernsehshow aufgetreten war?

Im nächsten Moment flaute seine Enttäuschung aber schon wieder ab. Er hatte die Verbindung zwischen ihnen gespürt, bevor er ihr Gesicht gesehen hatte.

„Bist du sauer, dass ich dich nicht erkannt habe?“, fragte er.

„Nein, erleichtert.“ Sie ergriff seine Hand. „Mein Ruhm stört dich nicht? Ich habe eine Menge Geld. Ändert das etwas?“

„Überhaupt nicht.“

Sie war einfach nur falsch für Matthew Wheeler. Mit ihrem Leben voller Limousinen, Designerdrogen und schillernder Stars. Zur Hölle, sie war selbst ein schillernder Star, und so etwas passte einfach nicht zu ihm. Andererseits hatte er von Anfang an gewusst, dass das hier nicht für die Ewigkeit war.

Diese Affäre war auf seine Zeit in Venedig beschränkt, und Matt kümmerte es nicht, wer sie im wahren Leben war. Mit ihr zusammen fühlte er sich lebendig, zum ersten Mal seit achtzehn Monaten, und deswegen war sie genau in diesem Moment perfekt für ihn.

„Da wir schon bei Enthüllungen sind: Ich hatte auch viel Geld“, sagte er. „Diesen Palazzo habe ich als Hochzeitsgeschenk für meine Frau Amber gekauft. Ich war Partner in einem Multi-Millionen-Dollar-Immobilienunternehmen in Dallas und habe einen Pick-up gefahren. Dann habe ich all meine Verantwortung hingeschmissen und bin in ein Flugzeug gesprungen. Ich habe im Moment wenig zu bieten. Hätte ich dir das sagen sollen, bevor wir etwas miteinander angefangen haben?“

„Ich wusste gar nicht, dass wir etwas miteinander angefangen haben?“ Ein spöttischer Ausdruck mischte sich in ihren Blick.

„Haben wir aber.“ Er strich mit dem Daumen die Linie ihres Kiefers entlang. „Bitte, bleib.“

„Matt“, flüsterte sie und nahm sein Gesicht in ihre Hände. „Das ist verrückt. Wir sind uns gerade erst begegnet.“

„Sag mir, dass du bereit bist, einfach so fortzugehen, und ich werde dich nicht aufhalten.“

Sie schüttelte ihren Kopf. „Aber ich möchte nicht, dass wir uns in der Öffentlichkeit blicken lassen. Dann geht die Hetzjagd wieder los und die Geschichten darüber, dass meine Karriere vorbei ist.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Daher rührte also all diese Qual, die er an ihr wahrgenommen hatte. Beschützend legte er seinen Arm um sie.

„Ich will dich ohnehin mit niemandem teilen.“ Er deutete mit der Hand in den Raum. „Innerhalb dieser vier Wände können wir den Rest der Welt vergessen und einfach zusammen sein. Ohne Regeln. Ohne Erwartungen.“

6. KAPITEL

Evangeline schlich sich in Vincenzos Haus, wobei sie sich Mühe gab, nicht auf irgendwelche Partygäste zu treten, die auf dem Boden lagen und ihren Rausch ausschliefen.

Sobald sie in ihrem Zimmer war, zog sie einen Pullover über Matts T-Shirt und schlüpfte in ihre Jeanshose. Dann packte sie ihren Koffer. War sie gerade im Begriff, den größten Fehler ihres Lebens zu begehen?

Es war Furcht einflößend, die nächsten Tage einfach nur Evangeline zu sein, so echt und verletzlich. Doch im Grunde ihres Herzens sehnte sie sich nach jemandem, der ihre Tarnung durchschaute und wirklich sie schätzte.

Und sobald sie herausfinden sollte, dass Matt nicht dieser Mann war, würde sie einfach verschwinden.

Als sie mit dem Koffer in der Hand die Marmortreppe hinabschritt, regte sich einer von Vincenzos Kumpeln, der bislang schlafend auf der Couch gelegen hatte. Franco. Oder hieß er Fabricio? Er setzte sich auf, musterte sie benommen und kratzte sich am Kinn.

„Eva. Hab gar nicht gewusst, wo du steckst.“ Die Nachwirkungen vom Saufgelage der letzten Nacht ruinierten sein ohnehin gebrochenes Englisch so sehr, dass er kaum zu verstehen war. Sein Blick fiel auf ihren Koffer. „Reist du ab?“

„Ja. Ich sag Vincenzo später Bescheid.“

„Warte. Komm in meine Show diese Woche.“ Er hob sein Kinn. „Milano Sera wird dich gut behandeln.“

Sie betrachtete sein attraktives Gesicht, den Zweihundert-Dollar-Haarschnitt, den noch nicht einmal eine auf der Couch verbrachte Nacht allzu sehr zerzausen konnte. Nun fiel ihr doch wieder ein, wer er war. Franco Buonotti, Gastgeber einer Late-Night-Show auf einem italienischen Fernsehsender. Er hatte sie bereits mehrfach genervt, ihr ein Exklusivinterview zu geben.

„Ich glaube eher nicht.“

„Ah. Nicht einmal für mich?“ Er klimperte mit den Wimpern, und sie schnaubte.

Italienische Playboys waren so was von nicht ihr Typ – sie stand mehr auf blonde blauäugige Männer. Zudem hatte sie seit sechs Monaten niemandem von dem verpatzten Eingriff erzählt, und sie sah keinen Anlass, das zu ändern.

„Nicht einmal für dich.“ Sie floh aus der Tür.

Oben in Matts Schlafzimmer packte sie ihre Klamotten aus und legte sie in die leeren Fächer, die er ihr im Schrank und in der Kommode freigeräumt hatte. Sie zog eine Schublade auf und konnte nicht anders, als mit den Fingern über seine weißen gestärkten Hemden zu fahren. Er hatte nur wenige Sachen, genau wie sie reiste er mit leichtem Gepäck. Keiner von ihnen hatte ein Zuhause.

Seltsamerweise fühlte es sich trotzdem ein wenig heimisch an, als sie ihre Kleidungsstücke so zusammen sah. Sie musste lächeln.

Später saßen sie zusammen am Esstisch. Matt hatte ihnen Lunch ins Haus bestellt, doch sie waren so angeregt ins Gespräch vertieft, dass die Suppe kalt wurde. Dieser Mann war offen und warmherzig. Ihm gingen nie die Geschichten aus, und im Laufe des Nachmittags hatte Evangeline ihre Furcht fast vergessen.

Da klopfte es plötzlich an der Tür, Matt öffnete, und durch den Türspalt konnte sie einen Blick auf das gut aussehende Gesicht von Franco erhaschen.

„Ich mach das schon“, sagte sie zu Matt und drängte ihn beiseite. „Ich habe schon Nein gesagt.“

Cara, keine Frau sagt Nein zu mir.“

Er hatte sich gewaschen und seinen gut gebauten Körper in enge Dolce-&-Gabbana-Jeans und ein teures T-Shirt gezwängt. Diese Art von Sex-Appeal funktionierte vielleicht bei kichernden Schulmädchen, doch ganz sicher nicht bei Evangeline.

„Aber genau das habe ich getan. Das hier ist ein Privathaus. Bitte respektiere das.“

Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu und wandte sich wieder Matt zu.

„Ein Vertreter?“, fragte er. „Was hat er verkauft? Eis an Eskimos?“

Trotz ihres Ärgers musste sie lächeln. Matt verfügte über ein erstaunliches Talent, sie aufzuheitern. „Er ist Gastgeber einer Talkshow im italienischen Fernsehen. Er will ein Interview mit mir.“

„Ziemlich dringend anscheinend, wenn er dich bis hierher verfolgt.“

„Es tut mir leid, dass er uns gestört hat.“ Sie seufzte. „Es war ein netter Gedanke, die Welt auszusperren. Unglücklicherweise hat die Welt die Neigung, vor meiner Haustür zu kampieren.“

In diesem Moment summte ihr Handy. Sie schaute auf das Display und sah, dass es eine Entschuldigung von Franco war. Immerhin.

Matt nahm ihr das Handy aus der Hand und warf es achtlos auf den Sessel.

„Hey, die Welt kommt vielleicht zu dir, aber du musst ihr nicht unbedingt aufmachen.“ Er ergriff ihre Hand. „Im Palazzo D’Inverno gibt es keine Regeln. Du musste nichts tun, was du nicht willst.“

„Danke.“ Es war wohltuend, jemanden an der Seite zu haben, der ihre Entscheidungen respektierte.

Er zog sie auf die Couch, und sie machten es sich dort bequem. Die Sonne stand bereits tief und tauchte das weiß getünchte Gebäude gegenüber in ein warmes Licht.

Mit den Fingern fuhr er ihr sanft durchs Haar.

„Du bist wirklich einen Pick-up gefahren?“, fragte sie. Ein ungeschickter Versuch, das Thema zu wechseln.

Matt lachte. „Ja. Aber ich habe ihn verkauft. Zusammen mit allem anderen. Es erschien mir leichter, zumal ich keine Ahnung hatte, wohin ich gehen und wann ich zurückkehren würde. Manchmal kommt mir dieser Teil meines Lebens wie ein Traum vor.“

Offensichtlich hatte diese Vorortexistenz nicht wirklich zu ihm gepasst. Venedig entsprach viel eher seinem Charakter. Sie fragte sich, ob sie ihn auch nur eines zweiten Blickes gewürdigt hätte, wenn sie sich auf einer Party in den Staaten begegnet wären.

„Bist du in Venedig gelandet, weil es dich an deine Frau erinnert? Du sagtest, du hättest diesen Palazzo für sie gekauft.“

„Amber. Ja, ich habe ihn für sie gekauft. Aber sie ist kurz nach unserer Hochzeit gestorben. Sie hat ihn nie gesehen.“

„Das ist sehr schade.“

„Dass es hier keine Geister gibt, gefällt mir eigentlich ganz gut am Palazzo D’Inverno. Weißt du, was der Name bedeutet? Winterpalast. Das passt gut, denn meine Seele fühlt sich ziemlich erfroren an.“

Es tat ihr so leid für ihn. Er irrte umher auf der Suche nach einem Heilmittel gegen seinen Schmerz.

Aber vielleicht hatte er ja eins gefunden: sie. Blödsinn. Wenn sie sich selbst für seine Heilerin hielt, war die Katastrophe vorprogrammiert.

„Der Italiener, der diesen Palast gebaut hat, nannte ihn so, weil er aus einer kälteren Region stammte und nur im Winter herkam.“

„Wie du.“

„Richtig.“ Der Anblick seines traurigen Lächelns schmerzte ihr Herz. „Aber es ist nun wärmer, weil du hier bist. Ich wäre nicht nach Venedig gereist, wenn ich mit Amber mal hier gewesen wäre. Das Haus in Dallas, in dem wir zusammengelebt haben, musste ich deswegen verkaufen. Ich kann mich nicht mit Dingen umgeben, an denen so viele Erinnerungen hängen.“ Er starrte blicklos aus dem Fenster.

„Fällt es dir schwer, über sie zu reden?“

„Ja.“ Er sprach nicht weiter, und der angespannte Zug um seinen Mund verriet ihr, dass er es auch nicht wollte.

Durch die Scheibe sah sie zu, wie ein Vogel Krümel vom Boden des Marmorbalkons aufpickte. „Wenn ich früher in einem Interview saß, und der Reporter mir eine Frage gestellt hat, die ich nicht beantworten wollte, habe ich immer ein Safeword benutzt. Dann kam mein Manager und hat mich gerettet. Warum denken wir uns nicht auch eins aus. Es bedeutet: Hol mich hier raus. Keine weiteren Fragen.“

Der steinerne Ausdruck in seinem Gesicht wurde weich. „Was für ein Safeword?“

„Du entscheidest. Irgendein albernes Wort, über das wir lachen können.“

„Wie wär’s mit Armadillo“, antwortete er wie aus der Pistole geschossen. „Das ist eine andere Bezeichnung für Gürteltier. Außerdem laufen die so lustig.“

Der Ernst, mit dem er das sagte, brachte sie zum Lachen. „Siehst du? Es hat schon funktioniert. Also möchtest du ein Armadillo über Amber verhängen?“

Es zuckte um seine Mundwinkel. „Vielleicht. Immerhin kann ich schon ihren Namen hören, ohne zusammenzubrechen. Das ist ein Fortschritt.“

Lag es doch an ihr? Vielleicht hatte sie ihre Heiler-Qualitäten ja unterschätzt.

Er hob ihr Kinn und sah sie aus seinen hellen, blauen Augen an. „Ich werde bei dem Fernsehinterview dein Manager sein.“

Sie schnappte nach Luft. „Es wird kein Interview geben.“

„Aber falls doch, werde ich direkt neben dir sitzen. Du musst nur ein Wort sagen, und ich komme und rette dich.“ Er lächelte sie so sanft an, dass sie unwillkürlich zurücklächeln musste. „Es wäre doch gut, wenn wir beide Fortschritte machten.“

Folglich hatte er seine eigenen Schlüsse aus ihrer Absage gezogen.

Autor

Brenda Jackson
<p>Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...
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Catherine Mann
<p>Bestsellerautorin Catherine Mann schreibt zeitgenössische Liebesromane, die im militärischen Milieu spielen. Ihr Mann, der bei der US Air Force arbeitet, versorgt sie mit allen nötigen Informationen, sodass sie keine Recherche betreiben muss. In der Zeit vor ihren Romanveröffentlichungen machte sie ihren Bachelor in Bildender Kunst auf dem College von Charleston...
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Olivia Gates
<p>Olivia Gates war Sängerin, Malerin, Modedesignerin, Ehefrau, Mutter – oh und auch Ärztin. Sie ist immer noch all das, auch wenn das Singen, Designen und Malen etwas in den Hintergrund getreten ist, während ihre Fähigkeiten als Ehefrau, Mutter und Ärztin in den Vordergrund gerückt sind. Sie fragen sich jetzt bestimmt...
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Kat Cantrell
<p><em>USA Today</em>-Bestsellerautorin Kat Cantrell las ihren ersten Harlequin-Roman in der dritten Klasse und füllt ihre Notizbücher, seit sie Schreiben gelernt hat. Sie ist Gewinnerin des <em>So you think you can write</em>-Wettbewerbs und <em>Golden Heart</em>-Finalistin der <em>Romantic Writers Association</em>. Kat, ihr Mann und ihre beiden Jungen leben in Nordtexas.</p>
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