Baccara Extra Band 30

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DIE LEIDENSCHAFTLICHE RACHE DES SCHEICHS von Sarah M. Anderson
Scheich Rafiq kann den One-Night-Stand mit der geheimnisvollen Fremden einfach nicht vergessen. Dabei ist er in Texas, um sich an seinem Erzfeind Mac zu rächen. Als Rafiq ihn aufsucht, trifft er unerwartet die Fremde wieder: Macs Schwester Violet! Hat sie ihn etwa aus Berechnung verführt?

EIN HÖCHST EROTISCHES ANGEBOT von Maureen Child
Seit sechs Jahren ist Andrea die Assistentin von Tycoon Mac McCallum. Und genauso lange gehört ihm ihr Herz, ohne dass er es ahnt. Jetzt will Andrea kündigen und einen Mann finden, der ihre Liebe erwidert. Da unterbreitet Mac ihr ein verlockendes Angebot …

HEISSE STUNDEN MIT DEM MILLIARDÄR von Dani Wade
Presley Macarthur soll dem Milliardär Kane Harrington Zutritt zur exklusiven Welt der Pferdezüchter verschaffen. Auch wenn sie gegen seinen Charme immun scheint, hilft sie ihm – denn nur Kane kann den Ruf ihrer Familie retten. Doch bald weckt sie Gefühle in ihm, die er nie wieder zulassen wollte …

MIT TEXANERN SPIELT MAN NICHT! von Jules Bennett
Annabelle ist überzeugt, dass Colt Elliott ihrem verschuldeten Vater nur hilft, weil er es auf das Land ihrer Familie abgesehen hat, das als Sicherheit dient. Sie bietet Colt an, die Schulden ihres Vaters abzuarbeiten. Und das sexy Lächeln ihres Feindes verrät, wo sie dies am liebsten tun soll …


  • Erscheinungstag 28.02.2023
  • Bandnummer 30
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516563
  • Seitenanzahl 496
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sarah M. Anderson, Maureen Child, Dani Wade, Jules Bennett

BACCARA EXTRA BAND 30

PROLOG

Das war kein Traum …

Mit seinem schlanken, muskulösen Körper drückte Ben sie gegen die Fahrstuhlwand. Als Violet etwas Hartes, Heißes spürte, das sich gegen ihren Bauch presste, lachte sie leise. Nein, das war alles andere als ein Traum.

Sie hatte es wirklich gewagt.

„Küss mich“, sagte er mit diesem sexy Akzent, der ihr gleich aufgefallen war. Sie hatte keine Ahnung, wo Ben herkam. Aber seine Stimme hatte etwas Betörendes, Feuriges, als käme er aus einem Land voller Sonnenschein.

Sie fuhr mit gespreizten Fingern durch sein volles schwarzes Haar und zog seinen Kopf zu sich heran. Sofort drückte er seine Stirn gegen ihre. „Küss mich, du geheimnisvolle Frau, meine wunderschöne V.“ Zu ihrer Verblüffung wartete er tatsächlich darauf, dass sie den nächsten Schritt tat.

Ein Gefühl der Macht durchströmte sie. Genau das war der Grund, weshalb sie mit ihm im Fahrstuhl zum obersten Stockwerk des Holloway Inn fuhr. Mit einem Mann, der nicht wusste, dass sie Violet McCallum war, Mac McCallums kleine Schwester.

Ihr Leben lang war sie nur Violet gewesen, die kleine Violet, die vor der großen bösen Welt beschützt werden musste. Violet, deren Eltern gestorben waren, als sie noch ein kleines Mädchen war, und sie allein gelassen hatten. Violet, die immer noch in ihrem Elternhaus lebte, zusammen mit ihrem großen Bruder, der sie behütete und darauf achtete, dass ihr nichts zustieß.

Zum Teufel mit Violet. Sie wollte nicht mehr Violet sein, nicht in dieser Nacht.

Deshalb küsste sie ihn, diesen Fremden, tief und lange, während sie seinen Kopf festhielt und sich an ihn drückte. Er sollte wissen, was sie wollte: ihn.

Ursprünglich war sie nicht in die Hotelbar gegangen, um jemanden fürs Bett aufzugabeln, an einen One-Night-Stand hatte sie nicht gedacht. Sie hatte nur Lust gehabt, sich hübsch anzuziehen, ein bisschen zu flirten und sich begehrenswert zu fühlen. In Royal, ihrer texanischen Heimatstadt, war das natürlich nicht möglich. Da kannte sie jeder. Deshalb war sie in die Nachbarstadt gefahren.

Aber sie hatte nicht mit jemandem wie Ben gerechnet. „Du hast wunderschöne Augen“, flüsterte er mit seiner Samtstimme, strich ihr über den Rücken und legte die Hände auf ihren kleinen, festen Po. „Und nicht nur das, meine geheimnisvolle V.“ Dann hob er sie hoch, und ohne nachzudenken, legte sie ihm die Beine um die Hüften – und spürte seine pulsierende Härte jetzt genau da, wo sie sie ersehnte.

Stöhnend bog sie sich ihm entgegen. Ben küsste sie auf den Hals und strich ihr mit den Lippen über den großzügigen Ausschnitt bis zum Brustansatz. Während er sie mit einer Hand in dieser Position hielt, schob er mit der anderen ihr kleines Schwarzes hoch und liebkoste ihre nackten, heißen Oberschenkel. „Ben … ich …“, stieß sie halblaut hervor.

„Wenn du mit mir zusammen aus diesem Fahrstuhl aussteigst, gehörst du mir, das weißt du hoffentlich? Ich werde dich lieben, wie du noch nie geliebt worden bist. Dies ist deine letzte Chance, dich anders zu entscheiden.“

Im Vorgefühl dessen, was kommen würde, erschauerte sie. Violet McCallum hätte nie zugelassen, dass ein Mann so mit ihr sprach. Aber heute Abend war sie V.

„Ist das ein Versprechen?“

„Allerdings“, sagte er ernst. „Dir Lust zu verschaffen, ist für mich die Erfüllung meiner sexuellen Träume.“

So etwas Wundervolles hatte noch keiner zu ihr gesagt. Ihr Leben lang hatte sie nie das machen dürfen, was sie wollte, hatte sie nie das bekommen, wonach sie sich sehnte. Selten gingen ihrem Bruder die Erklärungen aus, weshalb dieses und jenes nicht möglich war. Sie hätte ja keine Ahnung, was für Folgen das hätte. Es sei viel zu riskant, viel zu gefährlich …

Wenn Mac wüsste, dass sie hier mit einem Mann im Fahrstuhl war, der ihr gerade das aufregendste Kompliment ihres Lebens gemacht hatte, dann würde sein Colt wohl locker sitzen. Denn was sie hier tat, war riskant und gefährlich und genau das, wovor er sie in den letzten zwölf Jahren gewarnt hatte.

Aber sie hatte es satt, wie ein Kind behandelt zu werden. Sie war eine erwachsene Frau, verdammt. Und sie wollte Ben.

„Und warum sind wir dann immer noch hier?“, fragte sie mit einem koketten Augenaufschlag.

„Bist du ganz sicher?“

„Ja. Aber sprich weiter. Ich höre deine Stimme so gern.“

Sie hatte kaum ausgesprochen, als sich die Fahrstuhltür öffnete und Ben auch schon mit ihr auf den Armen den langen Flur entlangging. „Bist du immer so abenteuerlustig?“, stieß er leise hervor.

Er trug sie, als wäre sie leicht wie eine Feder. Und so fühlte sie sich auch, losgelöst von allem. Am liebsten wäre sie nie wieder in die graue Wirklichkeit ihres Lebens zurückgekehrt. Doch eins machte ihr Sorgen. Wie konnte sie vor ihm verbergen, dass sie nicht wirklich viel Erfahrung hatte, was Bettgeschichten anging? Immer wenn sie sich ernsthaft für einen Mann interessiert hatte, war ihr Bruder dazwischengegangen. Sie wusste, er meinte es bestimmt nur gut mit ihr, wollte sie beschützen. Aber es endete immer auf dieselbe Art: dass ihr Auserwählter mit einer faden Entschuldigung die Flucht ergriff.

Violet hatte deshalb nur wenige Männerbekanntschaften gehabt. Aber bei V war es etwas ganz anderes. Sie war eine erfahrene sexy Frau, die es in diesem Punkt mit Ben ohne Weiteres aufnehmen konnte. Das zumindest würde er erwarten.

„Wollen wir das nicht gemeinsam herausfinden?“ Sie lächelte vielversprechend.

Er stöhnte nur leise und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Endlich blieb er vor einer Tür stehen und ließ Violet langsam an sich heruntergleiten. „Willst du mir wirklich nicht sagen, wie du heißt?“

„Nein.“ Sie schüttelte heftig den Kopf. Diese traumhafte und lang ersehnte Nacht wollte sie sich nicht von so etwas Langweiligem wie der Wirklichkeit kaputt machen lassen. „Keine Namen. Nicht heute Nacht.“

Er zog den Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. Dann schob er Violet langsam vor sich her in den Raum. „Wovor hast du Angst? Vor wem versteckst du dich? Vor deiner Familie?“ Er drehte sie zu sich herum und sah ihr tief in die Augen, während er den langen Reißverschluss ihres Kleides aufzog. „Vor einem anderen Lover?“

„Ich verstecke mich vor niemandem.“ Na ja, das war nicht ganz richtig. Mac durfte auf keinen Fall herausfinden, was seine Schwester hier trieb. Deshalb war sie ja auch nicht in Royal geblieben, sondern nach Holloway gefahren.

„Verstecken wir uns nicht alle vor irgendjemandem oder irgendetwas?“, bemerkte Ben leise seufzend. Dabei schob er ihr langsam das Kleid herunter, wobei ihr knapper BH aus schwarzer Spitze sichtbar wurde.

„Ich … also …“ Sie stockte und trat ein paar Schritte zurück. „Ich stelle dir keine Fragen, und du stellst mir keine Fragen“, sagte sie leicht frustriert. „Und nur mit Kondom, das sind meine Bedingungen. Wenn sie dir nicht passen …“ Sie zuckte mit den Schultern und griff nach dem Kleid, um es wieder hochzuziehen.

Ben sagte gar nichts, sondern sah sie nur mit diesem Lächeln an, dem sie kaum widerstehen konnte. Er würde doch hoffentlich ihre Bedingungen annehmen? Denn sie wollte hierbleiben, wollte ihn endlich nackt sehen und wilden Sex haben, bis sie total erschöpft und befriedigt war.

„Ich möchte diese eine Nacht mit dir verbringen“, fügte sie leise hinzu. Und erst jetzt wurde ihr dieser Wunsch in seiner ganzen Tragweite klar. Denn als sie nach Holloway gefahren war, hatte sie keine Sekunde gedacht, dass ihr Abend so enden würde, sie hatte sich nur ein paar Stunden amüsieren wollen. Aber als dieser dunkle Fremde in der Bar sie lächelnd von oben bis unten gemustert hatte, da hatte sie gewusst: Sie wollte ihn, und sie musste mit ihm schlafen.

„Mehr will ich nicht. Nur eine Nacht. Völlig ohne Verpflichtungen. Nur Sex.“

Ben kam wieder näher und umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen. „Das ist wirklich alles? Mehr nicht?“ Das klang überrascht, vielleicht auch ein wenig enttäuscht, und schnitt Violet ins Herz. Sie wusste nichts von ihm und hatte keine Ahnung, was er in Holloway machte. Auf keinen Fall kam er hier aus der Gegend. Aber irgendwie hatte sie den Eindruck, dass es auch in seinem Leben eine ganze Menge Einschränkungen gab.

Das Gefühl kannte sie nur zu gut. Aber heute Nacht wollte sie nur das tun, was sie selbst wollte, und sich nicht um die Vorstellungen anderer Menschen kümmern. Sie wollte mit Ben schlafen und würde es nicht bedauern. Ob er …?

„Nein. Dir Lust zu verschaffen, ist für mich die Erfüllung meiner sexuellen Träume“, wiederholte sie dicht an seinen Lippen.

„Küss mich.“

Sofort krallte sie die Finger in sein Haar, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn voller Verlangen. Und dann wussten beide nicht mehr, wer wen zuerst auszog. Lediglich, dass sie nackt auf das breite Bett fielen und sich mit einer Lust und Ausdauer liebten, die sie die Zeit vergessen ließ. Nur eins war Violet dabei bewusst: Ben war genau der Liebhaber, von dem sie immer geträumt hatte – nur noch viel besser. Leidenschaftlicher, einfühlsamer und voller überraschender Ideen.

Schließlich kuschelte sie sich in seine Arme, vollkommen befriedigt und glücklich. Und während er ihr flüsternd Geschichten in einer Sprache erzählte, die sie nicht verstand, schlief sie ein. Ben, war ihr letzter Gedanke.

1. KAPITEL

Vier Monate später

Das konnte einfach nicht wahr sein.

Lieber Gott, bitte mach, dass es nicht wahr ist! Violet starrte fassungslos auf den schmalen Plastikstreifen, der in schrecklichen Großbuchstaben verkündete: SCHWANGER.

Vielleicht hatte sie den Test nicht richtig gemacht. Hatte das falsche Ende eingetaucht oder so. Das musste es sein. Schließlich hatte sie noch nie einen Schwangerschaftstest gemacht. Wahrscheinlich hatte sie sich die Anleitung nicht genau durchgelesen.

Glücklicherweise hatte sie drei Tests gekauft. Um sicherzugehen, dass ihre leidenschaftliche Nacht vor vier Monaten mit einem Fremden namens Ben ohne Folgen geblieben war. Sie setzte sich auf den Badewannenrand und nahm sich die nächste Packung vor. Konzentriert studierte sie die einzelnen Schritte, um die Schachtel dann entnervt fallen zu lassen. Mist. Sie hatte alles richtig gemacht.

Dennoch, diese Tests waren nicht hundertprozentig zuverlässig. Also noch mal.

Die nächsten zwei Minuten waren die Hölle. Sie zwang sich, gleichmäßig weiterzuatmen, um die Panik zu unterdrücken. Der erste Test musste danebengegangen sein, das passierte doch dauernd. Sie konnte nicht schwanger sein! Dass ihr manchmal übel war, einfach so ohne Anlass, hatte sicher damit zu tun, dass sie etwas Falsches gegessen, vielleicht sich auch irgendwo einen Virus eingefangen hatte. Da es nie morgens auftrat, konnte es nicht die berüchtigte morgendliche Übelkeit sein, die typisch für Schwangere war. Nein, sie litt an einer leichten Magengrippe. Und ihr Zustand hatte nichts mit der Nacht im Holloway Inn vor vier Monaten zu tun …

SCHWANGER.

Oh Gott … Einmal konnte der Test falsch sein, aber zweimal? Nicht, wenn man wilden Sex mit einem Mann gehabt hatte, den man nicht kannte.

Was sollte sie bloß tun?

Sie wusste weder, wie dieser Ben mit Nachnamen hieß, noch hatte sie seine Telefonnummer. Er war mehr oder weniger eine Fantasiegestalt gewesen, die am frühen Morgen wieder verschwunden war. Als sie aufwachte, war sie allein gewesen. Ihr Kleid hing frisch gebügelt an der Badezimmertür. Und der Zimmerservice hatte ihr Frühstück gebracht, mit einer Rose und einer handschriftlichen Notiz, die sie zu Hause in ihrer Wäscheschublade versteckt hatte – auf keinen Fall durfte Mac sie finden.

Dir Lust zu verschaffen, war für mich die Erfüllung meiner sexuellen Träume. Ich danke Dir für diese Nacht.

Er hatte die Nachricht noch nicht einmal unterzeichnet. Kein Name, keine Unterschrift. Keine Möglichkeit, ihn zu erreichen. Dafür aber zwei positive Teststreifen …

Eine fatale Situation.

Okay, sie konnte also keinen Kontakt mit ihm aufnehmen, wenigstens momentan nicht. Vielleicht konnte sie später einen Privatdetektiv anheuern, der ihn über das Hotel ausfindig machte. Aber das half ihr jetzt recht wenig.

„Violet?“, rief Mac von unten. „Kannst du mal eben runterkommen?“

Ihr war schon wieder übel. Diesmal hatte das aber nichts mit der Schwangerschaft zu tun. Wie um alles in der Welt sollte sie ihrem Bruder erklären, was sie getan hatte? Dass sie eine leidenschaftliche Nacht mit einem Fremden verbracht hatte und nun schwanger war? Mac hatte die letzten zwölf Jahre nach dem Tod der Eltern alles darangesetzt, sie vor Unglück zu bewahren. Und nun das. Er würde entsetzt sein!

„Violet?“

Eine Stufe knarrte. Himmel, er kam die Treppe hoch!

„Ich komme gleich!“ Hastig steckte sie die gebrauchten Teststreifen in die Schachtel zurück und versteckte sie ganz hinten in der Schublade. Was sollte sie bloß tun? Mit Macs Verständnis konnte sie nicht rechnen.

Schnell spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht und trocknete sich ab. Sie schminkte sich selten und schon gar nicht, wenn sie auf der Familienranch Double M zu tun hatte. Für die Rancharbeiter musste sie nicht schön sein. Mac hatte ihnen ganz sicher eingebläut, dass seine kleine Schwester tabu war. Was sie eigentlich ziemlich ärgerte. Zum einen heuerte sie ja die Leute nicht an, um sich in einem passenden Moment mit dem einen oder anderen im Heu zu wälzen. Zum anderen war sie der Boss hier, während Mac sich um McCallum Enterprises kümmerte, das Unternehmen, das ihr Vater gegründet hatte.

Die Ranch und McCallum Enterprises hatten nichts miteinander zu tun, was Mac nie so recht begreifen konnte. Denn er wollte einfach nicht einsehen, dass Violet sehr gut in ihrem Beruf war und es trotz langer Trockenperioden und dem fürchterlichen Tornado immer noch schaffte, dass die Ranch Profit abwarf.

Nein, für ihn war sie immer noch die hilflose Sechzehnjährige von damals, als ihre Eltern verunglückt waren. Egal, was sie tat und wie gut sie war, sie blieb seine kleine Schwester, nicht mehr und nicht weniger.

Wie sehr hatte sie sich gewünscht, mal nicht die Schwester zu sein, die behütet werden musste, sondern eine erwachsene Frau, wenigstens für eine Nacht. Wenn es sein musste, in den Armen eines Fremden.

Das hatte sie nun davon.

Sie hatte gerade das Haargummi abgezogen, das ihren Pferdeschwanz zusammenhielt, und angefangen, ihr kastanienbraunes Haar zu bürsten, als sie wieder Macs Stimme hörte: „Violet?“

Sie zuckte zusammen, weil er direkt vor ihrer Tür stand und sie ihn nicht hatte kommen hören. „Ja, was ist denn?“

„Wir haben Besuch von meinem alten Freund … Rafe.“

„Äh, ja … ich komme gleich.“ Rafe, irgendwie kam ihr der Name bekannt vor. Aber warum klang Mac so nervös? „Alles okay?“

„Ja, ja, alles in Ordnung. Es ist nur … Also, Rafe ist der Scheich, den ich damals auf dem College kennengelernt habe. Erinnerst du dich?“

„Warte …“ Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit und starrte ihren Bruder an. „Doch nicht der, der diese unmögliche jüngere Schwester hatte, die dich reingelegt hat? Der Rafe?“

„Ja, der. Rafiq bin Saleed.“ Mac wirkte irgendwie aufgeregt und verwirrt zugleich.

„Was will der denn hier?“ Violet runzelte die Stirn. „Das ist doch der, der dich beschuldigt hat, seine Schwester – wie sagt man …?“

„Entehrt zu haben. Ja, genau der.“

„Und warum muss ich diesen Kerl dann begrüßen?“

„Na ja, er ist gerade in der Stadt. Und er hat sich für sein Verhalten vor zwölf Jahren entschuldigt.“

Verständnislos schüttelte sie den Kopf. „Und damit ist für dich alles wieder gut?“ Männerfreundschaften würde sie nie begreifen.

„Ja, warum nicht? Das Ganze war ein Missverständnis. Sein Vater war derjenige, der sich so aufgeregt hat. Rafe versucht zu schlichten.“

Jetzt? Nach zwölf Jahren? Sehr seltsam. Männer! „Und du willst mich warnen, weil …“

„Weil ich dich kenne, Violet. Du bist einfach zu spontan und sagst Dinge, die nicht angebracht sind. Er kommt aus einem arabischen Land, wo andere Sitten und Gebräuche herrschen. Also versuch bitte, höflich zu sein, ja?“

Sie warf ihm einen genervten Blick zu. „Du liebe Zeit, hältst du mich wirklich für so unbeherrscht, dass ich mit jemandem aus einem anderen Kulturkreis keinen Small Talk machen kann?“ Sie stieß die Tür auf. „Vielen Dank, Mac. Du scheinst ja viel von deiner Schwester zu halten!“

„Siehst du?“ Er grinste. „Schon regst du dich wieder auf.“

„Ach, hör doch auf.“ Sie drehte sich um und ging zum Schrank. Was sollte sie anziehen? War ein Scheich so etwas wie ein Adeliger? Und wenn schon, ein sauberes T-Shirt sollte genügen. „Okay, bringen wir es hinter uns. Ich sage deinem Freund Guten Tag, und dann verschwinde ich wieder. Habe sowieso genug zu tun.“ Wie zum Beispiel diesen Ben ausfindig zu machen und einen Termin bei einem Frauenarzt zu besorgen.

Während sie ihre Arbeitshose auszog, dachte sie über ihre Situation nach, die ihr Leben total veränderte. Sie hatte ganz andere Pläne gehabt, hatte ihren Bruder allmählich davon überzeugen wollen, die im Norden angrenzende Ranch Wild Aces dazuzukaufen. Denn sie wollte raus aus ihrem Elternhaus, wollte endlich allein leben und nicht bei jedem Schritt von Mac überwacht werden. Und Wild Aces hatte ihr immer schon sehr gut gefallen.

Gepachtet hatten sie die Ranch ja bereits. Seit der Tornado die Wasserversorgung ihrer eigenen Farm zerstört hatte, brauchten sie die üppigen Wasservorräte von Wild Aces. Warum sie die Ranch nicht gleich gekauft hatten, verstand Violet immer noch nicht. Wahrscheinlich hatte Mac abgelehnt, weil der Vorschlag von seiner kleinen Schwester und nicht von seiner Assistentin Andrea Beaumont gekommen war. Aber immerhin hatten die beiden Frauen ihn überreden können, die Ranch zu pachten.

Doch nun war Violet schwanger, und das veränderte alles. Wie sollte sie weiterhin aktiv die Verantwortung für Double M übernehmen, ganz abgesehen von Wild Aces, wenn sie einen dicken Bauch vor sich hertrug oder ein Baby auf der Hüfte hatte?

Als Mac still blieb, sah sie ihn fragend an. „Was ist?“

„Alles in Ordnung?“

„Warum denn nicht? Alles bestens.“

Mac hob zweifelnd eine Augenbraue, aber bevor er etwas sagen konnte, fügte sie schnell hinzu: „Solltest du nicht unten sein und deinem Freund, dem Scheich, Gesellschaft leisten? Damit ich mich umziehen kann?“

„Äh … ja, natürlich. Entschuldige.“ Er verschwand.

Violet schloss die Tür hinter ihm. Sie würde erst einmal so tun, als wäre alles wie immer, und sich überlegen, wie sie weiter vorgehen würde. Sollte sie nach Ben suchen lassen? Aber was würde geschehen, wenn sie ihn fand? Wäre er froh darüber? Oder würde er darauf bestehen, dass es eine Begegnung vollkommen ohne Verpflichtungen gewesen war und dass das Baby deshalb allein ihre Sache sei?

Was für eine verkorkste Situation.

„Entschuldige“, sagte Mac und hob die Schultern. „Violet kommt gleich. Sie ist … na ja, sie ist eben Violet.“

Rafe saß auf der Couch und musterte den Raum und den Mann, der jetzt vor ihm stand. Mac sah zwar älter aus als vor zwölf Jahren, aber das, was er Rafe und damit seinem besten Freund und dessen Familie angetan hatte, schien keine Spuren bei ihm hinterlassen zu haben. Anders als bei Rafe … Aber dass Mac nicht weiter bekümmert schien, verwunderte Rafe eigentlich nicht. Als Mac damals Nasira und die ganze Familie entehrt hatte, hatte ihm Rafe offensichtlich wenig bedeutet. Er hatte kein schlechtes Gewissen gehabt, weil er wahrscheinlich unfähig war, so etwas wie Schuld zu empfinden.

Das steigerte Rafes Rachegefühl. Aber er wusste, er musste sich vorläufig zusammennehmen und den geeigneten Zeitpunkt abwarten, um zuzuschlagen.

Also nickte er Mac nur lächelnd zu. „Richtig, Violet ist deine jüngere Schwester. Als wir auf dem College waren, ging sie noch zur Schule, oder?“

„Ja, das stimmt. Aber nun zu dir, Mann. Wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Weshalb bist du hier in der Stadt?“

Rafe machte eine unbestimmte Handbewegung, als wäre es Zufall, dass er sich in Royal aufhielt. „Mein Vater ist tot.“

„Oh Mann.“ Mac ließ sich in einen Sessel fallen. „Das tut mir echt leid.“

„Danke, aber das ist nicht nötig.“ Wieder lächelte Rafe. Aber nicht, weil sein Vater tot war, sondern weil Macs Anblick ihn verrückterweise an diese geheimnisvolle Frau erinnerte, mit der er den besten Sex seines Lebens gehabt hatte, auch wenn er sich nicht erklären konnte, warum sein Gehirn diese Verbindung herstellte. Wo sie jetzt wohl war? Darüber hatte er in den letzten Monaten immer wieder nachdenken müssen. „Er war, wie du weißt, ein schwieriger Mann, um es vorsichtig auszudrücken.“

Mac nickte.

Wieder musste Rafe sich zwingen, seinen Zorn zu unterdrücken. Wenn er daran dachte, wie nahe er sich dem früheren Freund immer gefühlt hatte, so nah, dass er ihm als Einzigem die Schwierigkeiten mit seinem herrschsüchtigen Vater anvertraut hatte. Um dann zu erleben, wie Mac und Nasira den ganzen Bin-Saleed-Clan entehrt hatten …

„Nach seinem Tod“, fuhr Rafe ruhig fort, „ging der Titel des Scheichs an meinen ältesten Bruder Fareed über. Und ich gewann mehr Freiheit, das zu tun, was ich gern tun wollte.“ Aber das bedeutete natürlich nicht, dass die Ehre und der Stolz der Familie für ihn keine Bedeutung mehr gehabt hätten. Oder dass nach zwölf Jahren das Bedürfnis nach Rache verschwunden wäre.

„Ich habe dich eigentlich viel früher aufsuchen wollen. Aber ich musste unsere Reederei übernehmen und erst mal dafür sorgen, dass sie wieder in die schwarzen Zahlen kam. Außerdem hoffe ich, unsere Unternehmen ausweiten zu können. Vielleicht in den Energiesektor. Weltweit wird immer mehr Energie benötigt. Und da habe ich an dich gedacht und wie begeistert du immer von dieser Gegend und ihren vielen Möglichkeiten gesprochen hast.“

Das war noch nicht einmal ein Bruchteil der Wahrheit. Denn heimlich ließ er über Samson Oil Land in und um Royal aufkaufen, obgleich er wusste, dass es hier kein Öl und kaum Bodenschätze gab. Das war auch in der Stadt kein Geheimnis. Lediglich als Viehweide war der Boden geeignet. Deshalb hatten auch viele Einheimische das großzügige Angebot nur zu gerne angenommen, das Anwalt Nolan Dane ihnen im Namen von Samson Oil gemacht hatte. Dass der charmante Nolan, der aus Royal stammte, lange Zeit der Strohmann von Rafe gewesen war, wusste keiner. Und wenn es rauskam, würde es zu spät sein.

Die Stadt würde zu großen Teilen Rafe gehören. Und er konnte mit ihr machen, was er wollte.

„Ja, die Arbeit kann einen wirklich auffressen“, meinte Mac seufzend. „Seitdem ich für McCallum Enterprises zuständig bin, weiß ich oft auch nicht, wo mir der Kopf steht. Ich habe keine Zeit mehr, mich um die Ranch zu kümmern. Das macht jetzt Violet.“

„Sie bewirtschaftet die Ranch? Allein?“ Aber eigentlich sollte ihn das nicht wundern. Violet war ganz anders als andere Mädchen, das hatte Mac schon früher gesagt. Schon als Kind hatte sie am liebsten mit den Jungs gespielt.

„Ja, und zwar mit großem Erfolg“, musste Mac zugeben.

Rafe sah ihn überrascht an. „Und ich dachte immer, sie würde wie du in Harvard studieren.“ Das hatte Mac wenigstens früher immer behauptet, als sie sich über die Schwierigkeiten mit jüngeren Schwestern austauschten. Aber wahrscheinlich war das auch nur eine Lüge gewesen, um sich bei Rafe einzuschmeicheln.

„Ja, das wollte sie auch. Aber als unsere Eltern dann bei dem Flugzeugabsturz umkamen …“ Mac stockte und blickte kurz zu Boden, um sich zu sammeln. „Sie war verzweifelt und fühlte sich vollkommen verloren. Und ich war noch nicht einmal da, als es passierte.“

„Das alles wusste ich gar nicht.“ Rafes Stimme klang mitfühlend, obgleich er die Umstände natürlich genau kannte. Macs Vater hatte selbst am Steuer des kleinen Flugzeugs gesessen, als es abstürzte. Es gab keine Überlebenden.

All das geschah, kurz nachdem Rafe Harvard auf Befehl seines Vaters hatte verlassen müssen, als Strafe dafür, dass er nicht besser auf seine Schwester aufgepasst hatte. An die Mac sich herangemacht hatte.

Von dem Unfall hatte Rafe erst Jahre später erfahren, genauer gesagt erst nach dem Tod seines eigenen Vaters. Denn erst dann hatte er die Möglichkeit gehabt, die Sache mit Mac und Nasira genauer zu untersuchen.

Dass er davon erst so spät erfahren hatte, ärgerte ihn immer noch. Denn unmittelbar nach dem Tod der McCallums hätte er sicher ohne Schwierigkeiten deren Besitz erwerben können. So aber musste er auf die nächste Gelegenheit warten, um Rache zu nehmen.

Seine Geduld hatte sich ausgezahlt. Als im letzten Jahr Macs Heimatstadt Royal durch einen gewaltigen Tornado fast zerstört worden war, hatte Rafe seine Chance gewittert. Die Stadt lag wirtschaftlich am Boden, und – was noch besser war – die Wasserversorgung der McCallum Ranch war zusammengebrochen. Mac würde die Ranch nicht mehr lange halten können, zumal Rafe unter dem Decknamen Samson Oil große Teile der Stadt und ihrer Umgebung aufgekauft hatte. Auch diese Ranch würde ihm bald in den Schoß fallen.

Das würde Rafe endlich die Genugtuung verschaffen, nach der er sich seit zwölf Jahren sehnte. Mac hatte ihn damals auf das Schlimmste hintergangen, als er sich an Nasira heranmachte und damit nicht nur das junge Mädchen, sondern die ganze Familie Bin Saleed entehrte.

Bisher wusste keiner, dass Rafe hinter Samson Oil steckte. Aber sobald er sein Ziel erreicht hatte, wollte er es öffentlich machen, dass er der Drahtzieher war. Erst dann war seine Rache vollkommen. Deshalb war er hergekommen.

Er sah den ehemaligen Freund ernst an. „Ja, ich kann mir vorstellen, dass es hart für Violet war.“

„Das kann man sagen.“ Mac lächelte traurig. „Deshalb bin ich auch sofort auf die Ranch zurückgekehrt. Und habe versucht, wieder Stabilität in ihr Leben zu bringen, auch wenn ich ihr die Eltern natürlich nicht ersetzen konnte. Das war nicht immer einfach. Manchmal brachte sie mich zur Weißglut.“ Er grinste kurz, dann beugte er sich vor und sah Rafe eindringlich an. „Du, es tut mir immer noch leid, dass wir uns damals so zerstritten haben …“

Rafe ließ sich nicht anmerken, was dieser Satz in ihm auslöste, sondern winkte nur milde lächelnd ab. „Das ist doch alles schon ewig her. Mach dir darüber keine Gedanken.“

„Danke. Weißt du, ich wollte Nasira wirklich keine Probleme machen. Ich schwöre dir, ich hatte keine Ahnung, dass sie in meinem Zimmer war. Und es war nicht so, wie es aussah. Ganz bestimmt nicht.“

„Ist schon okay. Sie hat einen Mann geheiratet, der besser zu ihr passt.“ Themenwechsel. „Und Violet? Wie geht es ihr? Ich kenne sie ja nur als Tennager – und nur aus deinen Geschichten.“

„Darüber wollte ich auch gern mit dir reden. Ich gebe mir wirklich Mühe, sie aus allen möglichen Schwierigkeiten herauszuhalten, aber sie hat ihren eigenen Kopf. Wenn du mir dabei helfen könntest, wäre das super. Ich meine, während du hier in der Stadt bist.“

Beinahe hätte Rafe laut losgelacht. Das war ja die blanke Ironie! Er war hier, um die Ehre seiner Schwester und der Familie zu rächen. Und Mac, die Ursache allen Übels, bat ihn, auf seine Schwester Violet aufzupassen! Wenn das nicht die Gelegenheit war, Mac genau das anzutun, was er ihm angetan hatte, als er Nasira verführte.

„Aber selbstverständlich“, sagte er mit einer kleinen Verbeugung und tat so, als sei er gerührt von Macs Vertrauen. Dieser Vollidiot. Er machte es ihm beinahe zu einfach.

„Mir klingeln die Ohren“, sagte eine leise weibliche Stimme hinter ihm. „Wovon redet ihr beide?“

Rafe drehte sich um. Violet stand in der Tür, starrte ihn mit offenem Mund an und wurde kreidebleich. Sein Körper reagierte, bevor ihm klar war, wen er da vor sich hatte, und er war sofort hart. Die Reaktion kam so plötzlich, dass er für einen Moment nicht wusste, was mit ihm los war. Sicher, die Frau war hübsch, aber eher guter Durchschnitt, sodass er nicht wusste, weshalb er sich so spontan zu ihr hingezogen fühlte.

Dann erst begriff er, wer sie war.

Im hellen Tageslicht sah sie anders aus. Und in Jeans und Arbeitshemd hatte er sie auch noch nicht gesehen. Das Haar hatte sie hinten im Nacken zusammengebunden, und sie war vollkommen ungeschminkt.

Und trotzdem erkannte er sie. Es war V.

Was hatte das zu bedeuten? Seine wunderschöne, geheimnisvolle V war hier? Die Frau, die er in den letzten vier Monaten nicht hatte vergessen können, lebte hier, in Macs Haus?

Mac stand auf, und auch Rafe erhob sich langsam. „Ah, da bist du ja endlich“, sagte Mac. „Violet, das ist mein alter Collegefreund Rafiq bin Saleed.“

Bin Saleed?“ Sie starrte Rafe an. „Bin?“

„Äh … ja.“ Mac sah kurz zwischen den beiden hin und her. „Rafe, das ist meine kleine Schwester Violet.“

V war Violet! V war die Schwester seines Erzfeindes Mac McCallum!

Manchmal schlug das Schicksal wirklich die verrücktesten Kapriolen.

Rafe hätte sich ohrfeigen mögen. Normalerweise ging er nicht mit irgendeiner x-beliebigen Frau ins Bett. Er verführte sie nicht und legte ihr keine romantischen Grüße auf den Nachttisch. Er war ein Bin Saleed. Er hatte so etwas nicht nötig. Und nun das! Eine Nacht mit der absolut falschen Frau, und seine ganze Racheplanung war dahin – sie konnte seine Intrige aufdecken!

Außerlich blieb er gelassen. Viele Jahre lang hatte er den Zorn des Vaters ertragen und dabei gute Miene zum bösen Spiel machen müssen. Währenddessen dachte er fieberhaft nach. Noch konnte er sein Racheprojekt nicht offenbaren, es war noch nicht vollendet. Aber Violet wusste, dass er sich schon seit vier Monaten hier in der Gegend aufhielt und nicht erst heute angekommen war, wie er behauptet hatte. Fatal, und das nur, weil er einer schönen Frau nicht hatte widerstehen können.

Vielleicht aber war auch alles ganz anders. Vielleicht hatte ihr Bruder sie auf seine Spur gesetzt und einen Gegenangriff geplant. Und Rafe war darauf hereingefallen, weil er dem Sog dieses Lächelns und ihrem betörenden Körper nicht gewachsen gewesen war.

Andererseits hatte sie darauf bestanden, anonym zu bleiben. Beide kannten die Identität des anderen nicht. Konnte es sein, dass Violet als V wirklich nur Sex gewollt hatte?

Wie auch immer, es blieb ihm nichts anderes übrig, als weiter die Rolle des alten Freundes zu spielen. Er konnte seine Karten doch nicht aufdecken, nur weil er zufällig mit dieser Frau geschlafen hatte. „Violet“, sagte er mit einer tiefen Verbeugung, „es ist mir eine Ehre, die geliebte Schwester meines Freundes endlich kennenzulernen.“

„Tatsächlich?“, kam es zurück wie ein Peitschenhieb.

„Violet …“ Mac warf ihr einen beschwörenden Blick zu. „Ich hatte dich doch gebeten …“

„Tut mir leid“, sagte sie in einem Ton, der klarmachte, dass es ihr überhaupt nicht leidtat. „Ich hatte jemand anderen erwartet.“

Ich auch. Rafe unterdrückte ein Lächeln. „Komme ich ungelegen?“ Als er in Harvard studierte, hatte er zum ersten Mal den Ausdruck wenn Blicke töten könnten gehört. In seiner Heimat Al Qunfudhah würde es niemand wagen, ein Mitglied der königlichen Familie mit einem solchen Blick anzusehen, es sei denn, er nahm die Folgen in Kauf. Das konnte Tod sein, zumindest aber Landesverweisung.

Aber er war nicht in Al Qunfudhah, sondern in den USA. Und wenn Blicke töten könnten, hätte Violet ihn schon vor ein paar Minuten erledigt. Lächelnd hob er eine Augenbraue. Die Fassung zu bewahren, fiel ihm leicht. Und ihr? Hatte Mac deshalb erst mit ihr allein gesprochen? Hatten sie abgesprochen, was sie sagen wollten?

„Nein, nein“, wehrte Mac verlegen ab. „Vielleicht kannst du uns was zu trinken holen, Violet?“

„Wieso ich? Ich bin doch nicht deine Dienerin!“ Sie warf Mac einen wütenden Blick zu, aus dem Rafe schloss, dass sie ihrem Bruder nichts von der leidenschaftlichen Nacht erzählt hatte.

„Violet!“ Mac sah Rafe entschuldigend an. „Entschuldige bitte …“

Rafe hob beschwichtigend die Hand. „Kein Problem. Wir sind doch nicht in Al Qunfudhah.“ Oh, wie er das Unbehagen des „Freundes“ genoss! „Hier in Amerika ist manches anders, ich weiß. Ich erwarte nicht, von der Frau des Hauses bedient zu werden.“

Aber von irgendjemandem schon, drückte seine Körperhaltung aus. Er lehnte sich lässig zurück, legte beide Arme auf die Rückenlehne des Sofas und sah Violet herausfordernd an. Ich bin hier. Und nun?

Wieder warf sie ihm diesen mörderischen Blick zu. „Ach, daher kommen Sie?“

Das klang bitter, was er nicht erwartet hatte. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, lag sie schlafend in seinem Bett, nackt bis auf das Laken, das sie um sich gewickelt hatte. Ihr prachtvolles rotbraunes Haar lag wie ein Fächer über ihrer Schulter, und ihr weicher rosa Mund lächelte im Schlaf. Wie eine lustvoll befriedigte Frau sah sie aus, und Rafe hätte sie am liebsten mit einem Kuss geweckt.

Aber sie hatte nur eine Nacht mit ihm verbringen wollen, und so war er leise aufgestanden, hatte ihr Kleid zum Aufbügeln gegeben und Frühstück für sie bestellt. Danach hatte er sich mit Nolan Dane getroffen, der damals noch für ihn gearbeitet hatte, auch um auf andere Gedanken zu kommen. Denn die verführerische V ging ihm seit jener Nacht nicht mehr aus dem Sinn.

Eine rätselhafte Frau. Wieder dachte er an diese unvergessliche Nacht zurück. Er hatte V zu nichts gezwungen, er erinnerte sich sehr gut, dass er ihr häufiger die Möglichkeit gegeben hatte, zu gehen. Sie hatte mit ihm in seine Suite gehen wollen. Sie hatte die Begegnung auf eine Nacht beschränken wollen. Sie hatte entschieden, anonym zu bleiben. Warum also war sie verbittert? Sie hatte doch genau das bekommen, was sie wollte.

„Ich hole uns was zu trinken“, sagte Mac und stand auf. „Violet, kommst du mal eben mit in die Küche?“

„Ich möchte Limonade, danke.“ Unbeeindruckt von seiner Aufforderung, ließ sie sich in einen Sessel fallen.

Das verwunderte Rafe nun doch. Dass eine Frau einem Mann einen Auftrag gab, nun ja, das konnte er sich vorstellen. Aber dass dieser Mann, dazu noch der ältere Bruder, seufzend gehorchte, das war schon erstaunlich. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Nasira auch gelernt hätte, sich gegen Männer zu behaupten … Rafe schob den Gedanken zur Seite und konzentrierte sich auf die Frau vor ihm. Violet kochte immer noch vor Wut, das war nicht zu übersehen.

Sowie Mac im Flur verschwunden war, beugte sie sich vor und starrte Rafe unter zusammengezogenen Brauen an. „Rafiq bin Saleed?“

Das überhörte er. Ein Mann wie er brauchte sich schließlich nicht zu rechtfertigen. „Es ist schön, wenn auch unerwartet, dich wiederzusehen, V.“

„Allerdings unerwartet! Was zum Teufel hat das zu bedeuten?“

„Ich hoffe, es geht dir gut?“

Sie riss die Augen auf. „Ob es mir … Auf einmal interessiert es dich, wie es mir geht?“

Unwillig schüttelte er den Kopf. „Nur zu deiner Information, das hat mich auch damals interessiert. Aber du selbst hast die Regeln aufgestellt. Eine Nacht, nicht mehr. Keine Namen, keine Verpflichtungen.“

Sie ging nicht darauf ein. „Wie soll ich dich denn nennen? Doch sicher nicht Ben, oder?“

„Ich heiße Rafiq und werde meistens Rafe genannt.“

„Okay, Rafe.“ Sie richtete sich auf und sah ihn an, als wolle sie gleich zum Angriff übergehen. „Da du gefragt hast, nein, es geht mir nicht gut.“

„Nein?“ Gegen seinen Willen spürte er so etwas wie Sorge. Dabei sollte er froh darüber sein, machte es doch Macs Leben schwerer. Stattdessen wollte er sie in die Arme ziehen und trösten. Er war reich. Er konnte ihr helfen, was auch immer es war. „Das ist hoffentlich nicht meine Schuld?“

Sie schloss kurz die Augen und atmete einmal tief durch. „Ich fürchte doch. Ich bin schwanger.“

Was hatte sie gesagt? Schwanger? „Von mir?“

Angespannt wie eine Löwin, die zum Sprung ansetzt, stieß sie hervor: „Selbstverständlich von dir! Offenbar kennen wir uns wirklich nicht besonders gut. Denn normalerweise gabele ich nicht irgendwelche Männer auf und hüpfe mit ihnen ins Bett. Das mit dir war eine Ausnahme. Du bist der Einzige, mit dem ich im letzten Jahr zusammen war. Und du solltest verhüten, erinnerst du dich?“ Den letzten Satz zischte sie zwischen den Zähnen hervor.

Doch bevor Rafe dazu irgendetwas sagen konnte – was bloß? –, trat Mac mit einem Tablett ein.

„Wer möchte Limonade?“

2. KAPITEL

Rafe saß einfach bloß da und verzog auch keine Miene, als Mac plötzlich zurück ins Zimmer kam. Violets ganze Welt lag in Scherben, und Rafe sah aus, als habe sie ihm nicht gerade verkündet, dass sie ein Kind von ihm erwartete.

Das konnte doch alles nicht wahr sein! Sie hielt es nicht mehr aus. Ihr war schlecht, und sie konnte nur hoffen, es noch bis ins Bad zu schaffen. „Danke, Mac.“ Mit zitternden Knien stand sie auf. „Aber ich habe eigentlich keinen Durst.“

Der Vater ihres ungeborenen Kindes war leider kein namenloser Fremder, den sie zufällig in einer Bar getroffen hatte. Das wäre noch einigermaßen einfach. Sie müsste das Kind allein aufziehen, ein beunruhigender Gedanke, aber machbar. Stattdessen war er Mitglied einer arabischen Königsfamilie. Und nicht irgendein Mitglied! Er war der frühere Freund ihres Bruders, der Mac beschuldigt hatte, Nasira verführt zu haben.

Ben – oder Rafe oder wie auch immer er hieß – war ebenfalls aufgestanden.

In der letzten halben Stunde hatte sich ihre traumhafte Sexnacht in einen Albtraum verwandelt. Wie, um Himmels willen, sollte sie Mac sagen, dass sie ein Kind erwartete? Übrigens, ich bin schwanger, Mac. Und stell dir vor, der Vater ist dein alter Freund Rafe. Ist das nicht zum Totlachen?

Mac behandelte sie immer noch, als sei sie sechzehn. Wie würde er reagieren, wenn herauskam, wie unverantwortlich sie gehandelt hatte? Oh Gott, nichts wäre mehr so wie früher. Sie drehte sich um und ging in Richtung Tür, war aber wegen ihrer wackeligen Beine nicht schnell genug.

„Violet …“

Das war Rafe mit seiner Samtstimme, die ihr gleich wieder Schauer über den Rücken jagte. Verdammt! Ihr Kopf verurteilte den Mann, doch ihr Körper sehnte sich nach ihm.

Aber das durfte sie nicht beeinflussen. Schon das letzte Mal war es im Wesentlichen seine Stimme gewesen, der sie nicht hatte widerstehen können. Und was war das Ergebnis? Sie war schwanger und unverheiratet. Und hatte nicht einmal eine Mutter, die sie trösten konnte.

„Was denn?“ Das klang ziemlich genervt.

Mac zuckte zusammen.

„Ich würde Royal gern ein bisschen besser kennenlernen und ein paar alte Freunde wiedersehen“, sagte Rafe unbeeindruckt. „Wie wäre es, wollen wir drei nicht morgen zusammen zu Abend essen?“

Auch das noch! Bei der Vorstellung, einen ganzen Abend wie auf heißen Kohlen zwischen ihrem ehemaligen Lover – dem Vater ihres Kindes – und ihrem Bruder zu sitzen, wurde Violet noch elender zumute.

„Gute Idee“, meinte Mac gleich beflissen. „Leider bin ich morgen nicht da. Aber Violet kann dich herumführen.“

Violet verdrehte die Augen. Das war wieder so typisch Mac. Als ob sie den ganzen Tag auf dem Sofa saß und Däumchen drehte! Schließlich hatte sie eine Ranch zu leiten.

Ihre Reaktion war Rafe nicht entgangen, er wurde rot und lächelte vorsichtig. Wahrscheinlich durften die Frauen in seinem verdammten Scheichtum ihre Gefühle nie zeigen. Leider sah der Mann einfach zu gut aus.

Er sah sie an, richtete seine Worte allerdings an Mac: „Einverstanden. So kann ich auch gleich noch ein Auge auf deine Schwester haben. Wie wäre es mit abends um sieben?“

Und Mac, dieser Schuft, nickte zustimmend, als sei sie, um die es ja schließlich ging, gar nicht im Raum! Ein Auge auf sie haben – das hörte sich ja so an, als habe Mac diesen Rafe darum gebeten. Ein Babysitter war ja nun wirklich das Letzte, was sie brauchte. Wenigstens jetzt noch nicht. In sechs Monaten vielleicht. „Ich weiß nicht …“

„Ja, gern. Das wäre ideal.“ Mac wirkte erleichtert. Als ob seine Schwester noch nicht einmal allein irgendwo essen konnte, ohne in Schwierigkeiten zu geraten. Violet knirschte vor Wut mit den Zähnen. „Ich habe nämlich einen Termin mit Andrea“, fügte Mac schnell hinzu, „meiner Assistentin. Aber ihr beiden könnt gern essen gehen. Wird sicher nett.“

Nett? Es wurde Zeit, dass sie ihrem Bruder mal ein paar Takte erzählte, was Rafe betraf. Aber erst einmal musste sie mit Rafe sprechen, allein. „Okay.“ Sie lächelte kurz. „Dann gehen wir eben zum Dinner.“

Rafe schenkte ihr ein kleines Lächeln, was sie noch mehr auf die Palme brachte. Ihre ganze Welt war zusammengebrochen, und der Vater ihres Kindes stand einfach lächelnd da und sah so sexy aus wie an dem Abend vor vier Monaten. Durch die Schwangerschaft würde sich ihr Leben total verändern. Und seins?

Ja, sie mussten unbedingt miteinander reden, allein und an einem Ort, wo keiner ihr Gespräch unterbrechen konnte.

„Bis morgen dann“, sagte Rafe.

„Sehr gut“, bemerkte Mac zufrieden und sah Violet auffordernd an, die sich schließlich ein „Ich freue mich darauf“ abzwang.

Rafe neigte den Kopf, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Ich auch.“

„Eine Sache noch, Rafe.“ Mac hob die Hand. „Übermorgen haben wir unser monatliches Treffen im Texas Cattleman’s Club. Falls du etwas mehr über die Stadt und ihre Menschen wissen willst, kannst du gern mitkommen. Ich meine, wegen deiner Pläne, hier eine Niederlassung zu gründen.“

„Was?“ Violet glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu können.

„Ja, gern“, sagte Rafe, an Mac gewandt. Dann sah er Violet an. „Ich überlege, hier in der Gegend etwas im Energiesektor zu tun. Und da habe ich natürlich an meinen alten Freund Mac gedacht.“

„Natürlich“, wiederholte sie. Alter Freund Mac? Irgendetwas stimmte hier überhaupt nicht. Aber sie war zu durcheinander, um herauszufinden, was.

„Dann sehe ich Sie morgen zum Dinner.“ Wieder hatte er diese Samtstimme, die ihr durch und durch ging.

Lächelnd ließ er sich von Mac zur Tür bringen.

Von wegen morgendliche Übelkeit! Violet war den ganzen Tag schlecht. Vielleicht hatte sie noch etwas anderes. Denn die Morgenübelkeit der Schwangeren sollte ja nur im ersten Vierteljahr auftreten. Und das hatte sie längst hinter sich. Schließlich kannte sie das Datum der Empfängnis nur allzu genau. Unwillkürlich musste sie wieder an die Nacht in Bens, das heißt Rafes, Armen denken. Mist!

In Slip und BH stand sie vor ihrem nur spärlich gefüllten Kleiderschrank, in ihrem normalen weißen T-Shirt-BH und nicht etwa in der sexy Nummer, die sie an dem Abend vor vier Monaten getragen hatte. Dieser hier entsprach ihr eher, tat das, wozu er da war, war langweilig und nicht sexy. Falls Rafe glaubte, sie würde heute Abend wieder als die verführerische V auftauchen, hatte er sich geschnitten. Außerdem passte ihr ihr einziges Cocktailkleid nicht mehr, das hatte sie bereits ausprobiert.

All die kleinen Veränderungen, die ihr Körper durchmachte, die leichte Gewichtzunahme, die ewige Müdigkeit, die Übelkeit, hatte sie bisher mit allem Möglichen erklärt. Mit Erschöpfung. Mit einer Magenverstimmung. Mit Stress. Mit dem Wechsel der Jahreszeiten, ja sogar mit dem Mondzyklus! Aber nun konnte sie die Wahrheit nicht länger leugnen.

In zwei Wochen hatte sie einen Termin bei einem Frauenarzt in Holloway. Eigentlich albern, dass sie nicht hier in Royal zum Arzt ging. Aber sie wusste noch nicht genau, wie sie Mac das Ganze beibringen sollte, und wollte erst die Bestätigung durch den Arzt abwarten. Und wenn man sie in Royal in die Praxis gehen sah, würde sie sofort Stadtgespräch sein.

Und Rafe? Noch wusste sie nicht, was und ob sich etwas mit ihm entwickeln würde. Sie hatte im Internet nachgesehen, wo behauptet wurde, dass Al Qunfudhah im Vergleich zu anderen arabischen Ländern durchaus fortschrittlich war, was Frauenrechte betraf. Aber konnte man es schon Fortschritt nennen, nur weil Frauen Auto fahren durften? Das war doch eine Selbstverständlichkeit.

Auch nach dem Artikel war sie nicht schlauer und konnte nicht abschätzen, was Rafe tun würde. Er gehörte wohl wirklich zur Königsfamilie. Sein Vater war vor ein paar Jahren gestorben, und sein Bruder regierte als Scheich das Land. Das war schon alles. Von irgendeinem Fremden schwanger zu sein, wäre schon schlimm genug gewesen. Aber von einem echten Adeligen?

Jetzt musste sie erst einmal das Dinner überstehen. Und es wäre wohl besser, sie tauchte dort angezogen auf. Schließlich entschied sie sich für eines ihrer wenigen Kleider, eine Art schlichtes Hemdblusenkleid, dunkelgrün mit kleinen rosa Blümchen. Das Muster war vielleicht etwas zu verspielt, dafür war der Schnitt klassisch-streng und hatte um die Taille herum genug Spielraum. Das Haar hochgesteckt, die Wimpern getuscht und etwas Rouge auf den Wangen – fertig. Schließlich war dies ja kein Date, sondern eine Art Geschäftsbesprechung …

Glücklicherweise war Mac nicht da. Wenn er sie so sehen würde, hätte er gleich ein paar misstrauische Fragen gestellt. Denn außer an Weihnachten und Ostern sah man Violet eigentlich nie in einem Kleid.

Gerade als sie noch darüber nachdachte, ob sie Lipgloss oder einen echten Lippenstift benutzen sollte, klingelte es. Mist. Jetzt musste sie sich auch noch hetzen. Aber warum eigentlich? Sie war Rafe gegenüber zu nichts verpflichtet. Sie war schwanger und würde sich nicht beeilen, um ihm gefällig zu sein. Im Gegenteil, er sollte sich daran gewöhnen, dass es jetzt eher nach ihrer Nase ging. Betont langsam schminkte sie sich die Lippen dunkelrosa und griff nach ihrer hellen Jeansjacke. Sie war cool, gelassen und selbstbewusst. Kein Grund, nervös zu sein, oder? War ja nur ein Dinner mit dem Vater ihres Kindes, kein Problem.

Aber als sie die Treppe hinunterging, zitterten ihr doch die Knie. Und als sie die Tür öffnete und Rafe da stehen sah mit einer roten Rose in der Hand, da musste sie sich am Türrahmen festhalten. Er sah einfach hinreißend aus in seinem dunklen Anzug, und sie wünschte, sie hätte etwas hartnäckiger versucht, den Reißverschluss ihres schwarzen Cocktailkleides zuzuziehen.

„Guten Abend“, sagte er und sah sie nicht cool an wie gestern, sondern wie damals in der Bar. Wie der Mann, dem sie willenlos nach oben in seine Suite gefolgt war.

„Hallo“, sagte sie nervös, weil sie die beiden Männer nicht zusammenbringen konnte. Den von gestern, der sie gemustert hatte wie ein Wolf seine Beute. Und den, der jetzt vor ihr stand und ihr charmant lächelnd die Rose überreichte. „Eine schöne Blume für eine schöne Frau.“

Und wieder hatte sie dieses kaum bezwingbare Verlangen, ihn zu küssen, sich in seine Arme zu flüchten und sich von ihm sagen und zeigen zu lassen, wie sinnlich und begehrenswert sie war. Aber nun wussten sie voneinander, waren nicht mehr die anonymen Lover.

„Rafe, was soll das? Das hier ist doch kein Date, oder?“

Er presste kurz die Lippen zusammen. „Ich würde dich nie zu etwas zwingen, was du nicht willst, Violet“, sagte er ernst. „Wenn dies ein Dinner unter Freunden sein soll, ist mir das recht. Wenn du es mehr als Date siehst, umso besser.“

Sie nahm die Rose und legte sie auf den Garderobentisch. „Unser letztes Date, wenn du so willst, ist leider schiefgelaufen.“ Zwei Schwangerschaftstests bewiesen das. „Ich finde, wir sollten uns über ein paar Dinge im Klaren sein, bevor wir an irgendetwas anderes denken.“

„Das ist richtig. Es wäre zu einfach, gleich wieder …“ Er stockte, und Violet meinte, ihn erröten zu sehen. „Dann lass uns fahren. Ich habe bei Claire’s einen Tisch bestellt.“

„Oh.“ Claire’s war das eleganteste Restaurant in der Stadt, und sie stand hier mit ihrer Jeansjacke. „Dann sollte ich mir vielleicht etwas anderes anziehen.“

„Nein, du siehst toll aus.“ Rafe machte einen Schritt auf sie zu, umfasste ihr Kinn mit einer Hand und hob ihr Gesicht an. „Du warst in jener Nacht vor vier Monaten wunderschön, und du bist jetzt wunderschön. Und wer es wagen sollte, dich zu kritisieren, bekommt es mit mir zu tun.“

Wow, was für ein Kompliment. Violet war sprachlos. Was vielleicht gar nicht schlecht war, denn sie war unsicher, wie sie sonst reagiert hätte. Sicherlich hätte sie irgendwas Dummes gesagt oder gestottert. Oder, schlimmer noch, sie hätte ihm vielleicht gestanden, wie sehr sie sich nach ihm sehnte und wie oft sie noch an die gemeinsame Nacht dachte.

Denn dann würde er sie vielleicht zurück ins Haus drängen, sie die Treppe hochtragen, wie er sie den Hotelflur entlanggetragen hatte, sie auf ihr Bett werfen und … Nein, das wäre wirklich total daneben, nicht auszudenken.

„Violet“, sagte er leise und war ihr dabei so nah, dass sie ihn hätte küssen können, wenn sie sich auf die Zehenspitzen gestellt hätte, „du hast mich gefragt, wie dieser Abend einzuschätzen ist. Ich gebe die Frage zurück. Wie hättest du es denn gern?“

Violet war es gewohnt, mit Männern umzugehen. Schließlich hatte sie den Job eines Mannes. Im Wesentlichen hatte sie es mit Cowboys, Rancharbeitern und natürlich mit ihrem Bruder zu tun. Da hatte sie weder Zeit noch Lust, sich in Schönheitssalons herumzutreiben und mit anderen Frauen zu klatschen.

Sie hatte nie Schwierigkeiten gehabt, sich zu behaupten. Immer wieder gab es Männer, die meinten, eine zierliche Frau wie sie sei nicht dafür geschaffen, Zäune zu flicken, Kälber mit dem Brandzeichen zu versehen oder auch andere Arbeiten zu übernehmen, die normalerweise von Männern erledigt wurden und nach deren Meinung auch nur von Männern erledigt werden konnten. Diese Männer hielten sich für die Krone der Schöpfung, der sich eine Frau einfach zu unterwerfen hatte.

Deshalb hätte Violet eigentlich nicht den Wunsch verspüren sollen, sich Rafes Meinung unterzuordnen, ihm zu sagen, dass alles, was er wollte, ihr recht sei. Seine männliche Ausstrahlung war so dominant, dass sie sie körperlich spüren konnte. Was sollte sie bloß tun?

Die Männer vor ihm hatten sich immer mit Worten aufgebaut, hatten jedem erzählen müssen, was für ein Superman sie waren, meinten wohl, sonst würde es keiner merken. Rafe dagegen war von einem ganz anderen Kaliber. Auch ohne Worte war seine machtvolle Überlegenheit spürbar, der jeder sich wie selbstverständlich unterzuordnen hatte.

Doch dann erinnerte sie sich glücklicherweise an ihre Situation. Sie nahm den Kopf zur Seite, sodass er sie loslassen musste, und sah ihm in die Augen. In diese dunkelbraunen, warmen Augen, die eindeutig ausdrückten, was er dachte. Das richtige Wort von ihr, und in Sekundenschnelle läge sie nackt auf ihrem Bett.

Das durfte definitiv nicht passieren! „Was ich möchte? Ich möchte erst einmal herausfinden, wie wir überhaupt in diese Lage geraten sind und wie es weitergehen soll.“ Leider klang ihre Stimme nicht fest und bestimmt, sondern eher wie ein laszives Flüstern.

Das war auch Rafe nicht entgangen. Er lächelte wissend. „Da hast du recht. Also, wie sind wir in diese Lage geraten? Ich erinnere mich, dass ich eine mysteriöse, hinreißende Frau in meine Suite …“

„Halt, das meine ich nicht.“ Ihr war heiß geworden, sie musste sich unbedingt zusammennehmen. „Mehr so, was danach passiert ist. Ich bin schwanger. Das ist eine ernste Sache.“

Rafe seufzte leise und nickte dann. „Ich weiß. Wollen wir beim Essen darüber reden? Oder lieber mehr in einem privateren Rahmen?“

Im Grunde wäre Violet privat sehr viel lieber gewesen – hätte das nicht bedeutet, dass sie seiner Charmeoffensive ausgesetzt wäre, der sie vielleicht nicht widerstehen könnte. „Beim Essen.“

Rafe war anständig genug, sie nicht überreden zu wollen. So wie er auch vor vier Monaten, wenn sie ehrlich war, nichts gegen ihren Willen getan hatte. Mit einer leichten Verbeugung sagte er lächelnd: „Gut, dann lass uns fahren.“

3. KAPITEL

Ihr Tisch stand halb verborgen im hinteren Teil des Restaurants. Genau das hatte Rafe sich gewünscht. Denn einerseits sollte man ihn und Violet zusammen sehen, was Mac zweifellos am nächsten Morgen erfahren würde – er sollte sich von Rafes tadellosem Benehmen überzeugen können. Andererseits saßen sie außerhalb der Hörweite der anderen Gäste, was wegen des delikaten Themas wichtig war.

Er rückte für Violet den Stuhl zurecht. Als sie sich setzte, blickte er verzückt auf ihren zierlichen Nacken, auf dem sich eine rotbraune Locke kringelte. Am liebsten hätte er sich vorgebeugt und diese Stelle geküsst, und es war nicht das erste Mal heute Abend, dass er sein Verlangen bezähmen musste. Schon als sie ihm die Tür geöffnet hatte, hätte er sie am liebsten auf die Arme genommen und in das nächstbeste Schlafzimmer getragen. Gestern, als sie ihm so unvermutet als wütendes Cowgirl gegenübergestanden hatte, war das nicht so gewesen. Aber heute …

Als er weiter bewegungslos hinter ihrem Stuhl stehen blieb, drehte Violet sich zu ihm um. „Ist etwas?“

Er zuckte kurz zusammen, ging dann langsam um den Tisch herum und setzte sich ihr gegenüber. „Ich bin wirklich sehr froh über unser Wiedersehen.“

„Tatsächlich? Gestern hatte ich nicht den Eindruck.“

„Das glaube ich. Aber es kam für uns beide ja sehr überraschend. Kein Wunder, dass wir nicht spontan begeistert waren.“

„Nicht?“ Sie musterte ihn aus leicht zusammengekniffenen Augen, und er hatte den Eindruck, etwas Falsches gesagt zu haben.

Also schnell das Thema wechseln. „Nun zu dem, weshalb wir hier sind. Deiner Schwangerschaft. Seit wann weißt du schon davon?“ Er musste sicher sein, dass es wirklich sein Kind war. Schließlich hätte sie in den letzten vier Monaten durchaus andere Männer haben können.

Sie wurde rot. „Eigentlich erst seit gestern. Ich war gerade dabei, den Test zu machen, als Mac kam und sagte, du seist da.“

Rafe hüstelte leicht, um sein Erstaunen zu verbergen. „Erst gestern? Wirklich?“

„Ja. Ich hatte mich schon eine ganze Zeit irgendwie komisch gefühlt, war dauernd müde und nahm zu. Erst dachte ich, ich hätte mir irgendein Virus eingefangen. Aber dann hat meine Freundin Clare angefangen, mich über die Symptome auszufragen – sie ist Krankenschwester, musst du wissen –, und meinte, ich sei vielleicht …“ Sie schluckte und starrte in ihr Wasserglas. „Da habe ich dann den Test gekauft, das heißt gleich drei Packungen. Um sicherzugehen.“

„Und wie viele waren positiv?“

„Zwei. Der erste hätte ja falsch sein können. Aber als dann auch der zweite …“ Sie hob den Kopf und sah ihn an. „Tut mir leid, dass ich gestern vielleicht ein bisschen grob war. Aber ich hatte gerade erst herausgefunden, dass ich schwanger bin. Und zerbrach mir den Kopf, wie ich dich finden könnte. Dann ging ich ins Wohnzimmer, und da warst du.“

„Ja, das war sicher ein Schock. Aber nicht nur für dich.“

Sie beugte sich vor und runzelte leicht die Stirn. „Warum hast du dich damals Ben genannt?“

Für die Wahrheit war es zu früh, das war Rafe klar. Dann würde seine Geschichte auffliegen. Also gab er die Frage zurück. „Und warum du dich V?“

Sie antwortete nicht gleich. Der Kellner kam an ihren Tisch und fragte nach ihren Wünschen. Rafe trank äußerst selten Alkohol. Seit diesem Abend vor vier Monaten hatte er kein einziges Glas Wein mehr getrunken. Ob er sich deshalb damals so schnell auf diese verführerische Frau eingelassen hatte?

Heute Abend brauchte er etwas, das spürte er. Schon zur Beruhigung. Auf keinen Fall durfte er sich herausfordern lassen und in Gefahr geraten, seine Rachepläne zu verraten. Nach wie vor wusste er nicht, ob Violet nun Freund oder Feind war. Also dranbleiben, bis er wusste, wie er sie einzuschätzen hatte.

Er bestellte eine Flasche Sauvignon Blanc, was gut zu seinem Filet Mignon und ihrem Huhngericht passen würde. Doch Violet schüttelte nur den Kopf, und als der Kellner gegangen war, flüsterte sie: „Ich darf doch nicht.“

„Was? Wieso?“

„Ich bin doch schwanger! Da soll man keinen Alkohol trinken. Wusstest du das nicht?“ Ein ungläubiger Ausdruck huschte über ihr Gesicht. „Weißt du überhaupt irgendetwas über Schwangerschaften? Über Babys?“

„Nein, natürlich nicht. Ich habe keine Kinder. Und wenn ich welche hätte, würden Nannys für sie sorgen. So ist das bei uns.“

Violet war blass geworden und starrte ihn entsetzt an. „Nannys? Plural? Nicht nur eine? Also … also, so stelle ich mir das für unser Kind nicht vor.“

„So weit sind wir doch noch nicht“, versuchte er sie zu beruhigen, denn ihre Verzweiflung ging ihm irgendwie nahe. Dabei sollte er sich darüber freuen, schließlich war sie ja Macs Schwester. Aber so war es nicht, sosehr er sich auch über diese Schwäche ärgerte.

„Das stimmt“, sagte sie leise.

„Lass uns das Ganze noch einmal von Anfang an durchgehen“, meinte er sanfter, als er vorgehabt hatte. Immerhin schien es zu wirken, Violet lehnte sich zurück und sah ihn ruhig an. „An dem Abend wusste ich nicht, wer du warst. Und du tapptest offenbar genauso im Dunkeln.“

„Ja. Keine Namen, das hatten wir doch ausgemacht. Aus dem gleichen Grund bin ich auch nach Holloway gefahren und nicht in Royal geblieben. Ich wollte einfach mal nachts ausgehen, ohne dass mein Bruder am nächsten Morgen gleich alles erfuhr.“ Nervös rückte sie ihr Besteck zurecht. „Mac meint es nur gut mit mir, das weiß ich. Aber manchmal schnürt mir diese Fürsorge die Luft ab. Und unser Dinner heute Abend ist für ihn auch kein Date. Schließlich hat er dich ja gebeten, auf mich aufzupassen, oder?“

„Ja“, gab Rafe zu.

Sie stieß die Luft aus. „So ist er leider. In seinen Augen bedrohen Männer entweder meine Unschuld oder eignen sich als Babysitter.“

„Aber du bist doch längst erwachsen“, meinte Rafe kopfschüttelnd. „Du bist nicht mehr die kleine Schwester, von der er mir damals vor zwölf Jahren auf dem College erzählt hat.“

„Das mach ihm mal klar! Er behandelt mich, als sei ich immer noch sechzehn und durch den Tod der Eltern vollkommen aus der Bahn geworfen. Aber so ist es nicht. Ich bin eine erwachsene Frau und ganz allein für die Ranch verantwortlich. Obwohl, schwanger zu werden war wohl nicht so fürchterlich schlau. Aber damit komme ich schon zurecht.“

Rafe sah sie nachdenklich an, während er den Wein kostete, den der Kellner gebracht hatte. Er nickte dem jungen Mann zu und wandte sich dann wieder an Violet. „Ich muss dich etwas fragen. Warst du noch, wie sagt man, unschuldig?“

„Du liebe Zeit!“ Sie rollte mit den Augen und seufzte. „Nein, ich war keine Jungfrau mehr, okay? Du etwa?“

Rafe zog die dunklen Brauen zusammen. Eine solche Frage stellte man ihm nicht. Aber dann sah er, wie sie ihn gespannt musterte, und ihm wurde klar: Für sie war er nicht in erster Linie der Bruder eines Scheichs. Er war der Mann, mit dem sie für immer verbunden sein würde, ob sie wollte oder nicht.

„Nein. Und um deiner nächsten Frage zuvorzukommen: Momentan bin ich solo. Und mit Ausnahme unserer Nacht vor vier Monaten habe ich schon lange keine Frau mehr gehabt.“

Sie grinste kurz. „Soso. Dann hast du also wie ein Mönch gelebt?“

„Wenn du so willst. Ich hatte viel zu tun. Mein Bruder ist der regierende Scheich von Al Qunfudhah, und ich musste die Familienreederei übernehmen.“

„Dennoch, ganz ohne Frau? Du könntest doch jede haben. Du kommst aus einer königlichen Familie!“ Ihr Blick wanderte über sein Gesicht und über seinen Oberkörper. „Und du siehst umwerfend aus.“

Ihre freimütige Art machte ihn verlegen. Er räusperte sich kurz. „Kann sein. Aber dass ich jede Frau haben könnte, bedeutet noch lange nicht, dass ich das auch will.“

„Auch noch bescheiden“, sagte sie spöttisch. Ihr Lächeln nahm den Worten aber die Spitze. „Was für eine ungewöhnliche Haltung. Die meisten Männer würden nehmen, was sie kriegen können.“

„Ich bin nicht die meisten Männer.“

„Ich weiß“, sagte sie leise und beinahe zärtlich.

Rafe freute sich. Aber nicht, weil sie sich ihm öffnete und so seiner Rache nur noch in die Hände spielte, sondern weil ihm bei ihrem Lächeln ganz warm ums Herz wurde. Er beugte sich vor und nahm ihre Hand. „Und du? Bist du liiert?“

„Nein. Die meisten Männer werden ziemlich schnell von meinem Bruder vertrieben.“

„Das muss ja sehr frustrierend sein.“

Sie zuckte kurz mit den Schultern und entzog ihm schnell die Hand. „Das schon. Andererseits sage ich mir dann immer, wer weiß, wofür es gut ist. Wenn sie noch nicht einmal meinem Bruder die Stirn bieten können, sind sie nichts für mich.“

„Stimmt.“ Damit hätte er selbst kein Problem, wusste Rafe.

Ihr Essen kam, und Rafe fiel auf, dass Violet mehr darin herumpickte, als dass sie mit Appetit aß. „Schmeckt es dir nicht?“, fragte er besorgt. Sagte man nicht, dass Schwangere für zwei essen mussten?

„Doch. Mir ist nur etwas übel – von wegen, man leide nur am Morgen darunter. Eigentlich sollte das nach drei Monaten vorbei sein, aber bei mir wird es eher schlimmer.“

Er runzelte die Stirn. „Glaubst du, dass alles in Ordnung ist? Warst du schon beim Arzt?“

„Nein, aber ich habe einen Termin bei einem in Holloway. Leider erst in zwei Wochen.“ Sie lächelte ihn beruhigend an. „Alles in Ordnung. Ich habe mich im Internet schlaugemacht. Liegt alles im normalen Bereich.“

Er legte sein Besteck so heftig ab, dass der Teller klirrte. „In zwei Wochen, das ist viel zu spät. Ich kann dir für morgen hier in Royal einen Termin in einer Privatpraxis machen, spätestens für Freitag.“

„Rafe“, sagte sie sanft. „Keine Panik. Alles ist gut.“

„Ich möchte lediglich, dass dir und dem Kind die beste medizinische Versorgung zur Verfügung steht.“ Er war selbst überrascht, wie wichtig ihm das war, und zog schnell sein Smartphone aus der Tasche.

„Ich weiß“, sagte sie ruhig. „Also“, kam sie wieder auf das frühere Thema zurück, „du bist nicht gebunden und ich auch nicht. Das bedeutet aber nicht, dass wir nun … zusammen sind.“

„Davon würde ich niemals automatisch ausgehen“, versicherte er ihr.

„Das bedeutet nur, dass wir ein Problem weniger haben.“

„Das stimmt. Und du würdest es nicht als ungehörig empfinden, wenn ich dich bitte, keine Beziehung zu haben, solange du mit meinem Kind schwanger bist?“

„Als ungehörig empfinden“, wiederholte sie und kicherte.

Machte sie sich über ihn lustig? Seltsamerweise störte ihn das nicht, im Gegenteil.

„Nein“, fuhr sie lachend fort und wischte sich eine Träne aus dem Auge. „Ich empfinde es nicht als ungehörig. In meinem Zustand wäre es eh fast ein Ding der Unmöglichkeit, auszugehen. Ganz sicher fange ich jetzt keine neue Beziehung an.“

Während Violet sich zurücklehnte und nach ihrem Wasserglas griff, betrachtete Rafe sie nachdenklich. Sein ursprünglicher Racheplan sah vor, Violet zu verführen und sie dann fallen zu lassen, so wie Mac es mit Nasira getan hatte. Aber je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto unsicherer wurde er, ob er dazu in der Lage wäre. Schließlich war sie mit seinem Kind schwanger, sofern sie die Wahrheit sprach. Was Rafe dringend hoffte.

Wenn er nun stattdessen Mac die kleine Schwester, die ihm so teuer war, wegnahm? Nicht entführte – er war ja kein Barbare –, aber wenn er sie heiratete und mit ihr in sein Heimatland zog? Dann würde sein Kind in Al Qunfudhah aufwachsen und Mac die geliebte Schwester so gut wie nie sehen. Da Violet bereits von der Fürsorge des großen Bruders genervt war, würde Rafe sie leicht von dem Plan überzeugen können. Hm, dieser Gedanke hatte viel für sich.

„Gut.“ Er bemühte sich um einen möglichst gleichmütigen Tonfall. „Wir sollten uns darüber einigen, was das Beste für das Kind ist.“

Offensichtlich war sein Bemühen umsonst, denn Violet sah ihn aus großen Augen an. „Das hört sich so an, als …“

Er setzte sein breitestes Lächeln auf, sein amerikanisches Lächeln, wie er es immer nannte. Zu Hause lächelte er selten, keiner erwartete es von einem Mitglied der königlichen Familie. Aber hier in Texas war das anders. Zu Hause hätte er sie gleich mit seinem neuen Plan konfrontieren können. Aber hier musste er vorsichtiger vorgehen. Hier konnten die Frauen selbst bestimmen, ob sie ihr Kind allein aufziehen wollten. Am liebsten hätte er Nolan gefragt, aber der arbeitete nicht mehr für ihn. Dennoch: In dieser Situation hätte er den Rat seines Rechtsanwalts und Freundes gut gebrauchen können. Doch Nolan hatte seinen Job bei ihm hingeworfen – aus verschiedenen Gründen, aber nicht zuletzt auch wegen einer Frau aus Royal, einer Frau, die dazu noch ein Kind von einem anderen Mann hatte; eine Entscheidung, die Rafe nie verstanden hatte und die ihn schwer getroffen hatte.

Aber egal. Er hatte Violet sowieso versprochen, sie nicht zu irgendetwas zu zwingen, und dieses Versprechen würde er halten, schon seinem Kind zuliebe. Also musste er sie überzeugen, dass sie ihn heiraten wollte. Das konnte nicht besonders schwierig sein, denn dass sie sexuell voneinander angezogen waren, hatten sie bereits bewiesen. Da würde er es doch wohl fertigbringen, dass sie sich in ihn verliebte.

Wie so oft hörte er im Hinterkopf wieder die harte Stimme seines Vaters. Wie häufig hatte dieser ihm vorgeworfen, ein schlechter und wertloser Sohn und Bruder zu sein. Der schuld daran sei, dass Nasira ihre Unschuld verloren und damit die ganze Familie entehrt hatte. Zur Strafe hatte er sofort nach Al Qunfudhah zurückkehren müssen und durfte sein Studium in Harvard nicht beenden. Er war eingesperrt worden und hatte, solange der Vater lebte, dessen ganze Verachtung gespürt. Nasira, die für den Vater nicht mehr existierte, hatte schließlich einen Engländer geheiratet und war in dessen Heimat entkommen. Das Glück hatte Rafe nicht gehabt.

Wie auch für seine Geschwister, hätte der Vater für Rafe den Ehepartner ausgesucht, so war es üblich, und die Wahl wäre auf eine junge, unberührte Frau aus bester Familie gefallen. Aber als Nasira kompromittiert worden war, von Mac, dem einzigen Mann, dem Rafe je vertraut hatte, hatte es für ihn keinen Ausweg mehr gegeben. Rafe durfte sein Heimatland nicht mehr verlassen, wurde wie ein Aussätziger behandelt und hatte Zeit, sich seine Rache an Mac McCallum, der ihm das alles eingebrockt hatte, bis ins kleinste Detail auszumalen.

Als der Vater starb, atmeten alle auf.

Auch jetzt, Jahre später, hatte Rafe noch des Vaters Stimme im Ohr: Ein wahrer Bin Saleed kümmert sich nicht um die Bedürfnisse von Frauen. Das Wohl der Familie und des Landes ist das Einzige, was zählt.

„Du bist so ruhig“, riss Violet ihn aus seinen Gedanken.

„Ich habe nur nachgedacht“, sagte er langsam. „Wir kommen aus sehr unterschiedlichen Kulturen. Das müssen wir irgendwie überbrücken. Mein Kind wird ein Bin Saleed sein, und ich möchte, dass er …“

„Oder sie.“

„Oder sie“, er grinste kurz, „mein Volk und unsere Art zu leben kennenlernt.“

Violet zog kurz die feinen Brauen zusammen, als habe er etwas Unpassendes gesagt. „Ich habe ein bisschen was über dein Land gelesen. Es scheint, als sei Al Qunfundaha –“

„Al Qunfudhah.“

„Entschuldige, das wird mir wahrscheinlich noch ein paarmal passieren. Also, was ich sagen wollte: Es scheint, als bemühe sich dein Land um Frauenrechte und tut auch was für Minderheiten. Und trotzdem ist es bei euch eben doch ganz anders als bei uns.“

Als Rafe sie fragend ansah, schob sie den Teller zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Verstehst du, was ich meine?“

„Nicht ganz. Nur dass du dir Gedanken darum machst, ob unser Kind besser hier aufgehoben ist als in meiner Heimat.“

„Nein … äh, ich meine, irgendwie schon. Ich bin kaum aus Texas herausgekommen, während du fast die ganze Welt bereist hast. Wie Mac wollte ich in Harvard studieren. Aber dann starben meine Eltern, und ich musste hier zu Hause zupacken und …“ Sie schwieg kurz. „Tut mir leid, ich bin so durcheinander und habe noch nicht richtig begriffen, was passiert ist. Meine Hormone spielen verrückt, und du bist so wahnsinnig nett, und ich mache mich ständig lächerlich … Aber es war alles einfach sehr viel auf einmal.“

Er und wahnsinnig nett? Ihre Worte sollten Rafe gleichgültig lassen, taten sie aber nicht. Er beugte sich vor und legte ihr sanft die Hände um das Gesicht. Sie sah ihn mit ihren großen Augen ernst an, entzog sich ihm diesmal aber nicht. „Violet“, sagte er leise, „wenn sich hier jemand lächerlich macht, bin ich es.“

„Warum du?“

„Weil …“ Er kam näher. „Ich möchte dir alles geben, was dein Herz begehrt. Wenn ich nur wüsste, was das ist.“

Sie schlug die Augen nieder. „Ich fühle mich hier wohl. Dies ist meine Heimat. Aber ich bin es leid, mit Mac zusammenzuleben. Nördlich von uns gibt es eine Ranch, die Wild Aces Ranch, von der wir Wasser beziehen, seit unsere Wasserversorgung durch den Tornado zerstört wurde. Ich hätte sie damals am liebsten gleich gekauft. Es ist ein wunderschönes Stück Land mit einem dieser alten, prächtigen Häuser.“ Sie blickte hoch und sah ihn beherzt an. „Wenn ich meine eigene Familie haben sollte, und es sieht beinahe danach aus, würde ich gern mein eigenes Haus und mein eigenes Land haben.“

„Wild Aces, sagst du?“ Rafe tat so, als habe er davon noch nie gehört. Dabei wusste er genau, wovon sie sprach. Die Eigentümerin hatte Nolan den Besitz nicht verkaufen wollen, im Wesentlichen, weil sie einen Pachtvertrag mit der Double M Ranch hatte. Deshalb war sie nicht wie viele andere auf das Geld von Samson Oil angewiesen.

Aber für seinen Plan war Wild Aces unverzichtbar. Denn dann könnte er den McCallums buchstäblich das Wasser abgraben. Und seiner Rache stünde nichts mehr im Weg. Nur eine schöne Frau, die mit seinem Kind schwanger war …

„Dein Herz hängt an diesem Land.“

„Ja. Ich habe versucht, Mac zu überreden, es zu kaufen. Aber er hat auf meinen Wunsch reagiert wie auf alles, was von mir kommt: ‚Sieh mal an, die kleine Violet spielt erwachsen!‘“, flötete sie in dem hohen Tonfall, den Erwachsene immer annehmen, wenn sie mit Kindern sprechen. „Das macht mich wahnsinnig! Ich muss immer versuchen, meine Vorschläge über Umwege durchzusetzen. Etwa indem ich meine Ideen seiner Assistentin Andrea mitteile, die sie dann Mac gegenüber als ihre eigenen ausgibt. Als ob ich nicht intelligent genug bin, selbst solche Entscheidungen zu fällen.“

Das überraschte Rafe. Hatte Mac nicht gerade Violets Fähigkeit gelobt, die Ranch zu leiten? „Und wenn die Wild Aces dir gehörte, dann würdest du unser Kind dort aufziehen wollen?“

Das war vorsichtig formuliert. Denn wenn er ihr versprach, ihr das Land zu kaufen, dann musste er auch zu seinem Wort stehen. Und damit wäre sein ganzer Racheplan geplatzt. Außerdem hatte er keineswegs die Absicht, in Royal oder irgendwo in Texas zu bleiben. Und dann möglicherweise auch noch als Macs Nachbar? Ausgeschlossen. Er musste Violet davon überzeugen, dass sie zu ihm gehörte. Und dass sie deshalb nur in Al Qunfudhah zu Hause sein konnten.

Würde es ihm gelingen, sie glauben zu machen, dass er ihr die Ranch kaufte? Ohne es zu versprechen?

„Das wäre mein Traum.“ Ihre Augen leuchteten.

Ihre Freude schnitt ihm ins Herz. „Ich werde sehen, was sich machen lässt.“ Womit er ja nicht versprach, ihr die Ranch zu kaufen.

„Wirklich?“ Sie strahlte ihn an. „Das würdest du für mich tun?“

Irgendwie hatte er das Gefühl, dass ihm die Situation aus den Händen glitt. „Ja“, stieß er leise hervor. Er konnte nicht anders.

„Rafe …“

Er konnte nicht anders, er lehnte sich noch weiter vor und sah, wie sie ihn sah. Sah sich als der Mann, den sie vor sich glaubte, nicht wie der Mann, der er wirklich war. „Violet …“

„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“

Die Stimme des Kellners brachte Rafe wieder in die raue Wirklichkeit zurück. War er wirklich kurz davor gewesen, Violet zu küssen? Hier, in einem öffentlichen Restaurant?

Ja, und das war in seinem Plan nun wirklich nicht vorgesehen. „Nein, danke“, sagte er schnell und richtete sich auf. Der Kellner ließ die Rechnung da und entfernte sich.

Rafe hob die Flasche Wein an. Er hatte kaum mehr als zwei Gläser getrunken. Aber das war das Problem, wenn man so lange auf Alkohol und Frauen verzichtete: Man war verführbar.

„Komm“, sagte er und legte ein paar Scheine hin. „Ich fahre dich nach Hause.“

4. KAPITEL

Was würde sie dafür geben, zu wissen, was in ihm vorging! Kurz warf Violet Rafe einen Blick von der Seite her zu und versank dann wieder in Gedanken. Er war so unberechenbar. Mal bestimmend, dann nachgiebig. Mal kalt und unnahbar, dann wieder warm und zugänglich. Mal abweisend, dann wieder sexy. Sie wusste einfach nicht, was sie davon halten sollte.

„Es ist wirklich ganz hübsch hier“, sagte er, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.

Da war er wieder, dieser nüchterne Tonfall, als habe er nicht gerade vor wenigen Minuten ihr Gesicht zärtlich gestreichelt und ihr versprochen, ihr alles zu geben, was sie wollte. Nein, das war nicht ganz richtig. Was ihr Herz begehrte – das waren seine Worte gewesen.

Aber dann war der Kellner gekommen und hatte ihn unterbrochen, was wahrscheinlich gut war. Denn wenn ihr Bruder erführe, dass Rafe kurz davor gewesen war, sie in der Öffentlichkeit zu küssen, wäre die Hölle los gewesen.

Dennoch, musste er jetzt wieder seine unzugängliche Miene aufsetzen? Da saß sie nun in diesem luxuriösen Sportwagen neben ihm und hatte keine Ahnung, was er dachte, wie er zu ihr stand, wie er sich die Zukunft vorstellte. Das Dinner hatte rein gar nichts geklärt.

Aber sie wusste eins. Sie gehörte nicht in diesen teuren Luxuswagen mit dem Bruder eines Scheichs am Steuer. Sie war Violet McCallum, eine ganz gewöhnliche junge Frau aus Royal, die normalerweise Arbeitskleidung und schmutzige Stiefel trug. Wenn Rafe sie allerdings mit diesem leuchtenden Blick ansah, als sei sie eine Prinzessin, dann hatte sie das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein und alles erreichen zu können, was sie wollte.

Und genau das hatte sie in diese schwierige Situation gebracht.

Er wollte ihr geben, was ihr Herz begehrte. Aber was war das? Die Antwort war einfach. Sie wünschte sich für ihr Kind eine genauso glückliche Kindheit, wie sie sie gehabt hatte. Sie hatte Rafe von Wild Aces erzählt. Aber wollte sie wirklich, dass er dort mit ihr wohnte? Oder war sie bereit, mit ihm in seine Heimat zu gehen?

Viel zu früh, um sich darüber jetzt schon den Kopf zu zerbrechen. Über Heirat zu sprechen, wäre nun wirklich ausgesprochen voreilig. Es gab Wichtigeres. Sie würde ein Kind haben, und das erfüllte sie schon jetzt mit einer tiefen Freude. Sie hatte ihre Mutter immer sehr geliebt und nahm sich schon jetzt fest vor, für ihr Kind genauso wichtig zu sein.

„Warum bist du so schweigsam?“, unterbrach Rafe plötzlich die Stille. „Wie sagt man bei euch? Einen Dollar für deine Gedanken?“

Sie lächelte und spürte, wie die Spannung wich. „Einen Penny. Aber du warst nah dran.“

Rafe schmunzelte. „Deine Gedanken sind sicher mehr wert als einen Penny.“

„Ich habe gerade an meine Mutter gedacht.“

„Hm“, machte er nur und schwieg abwartend.

Sie sah ihn überrascht an. Von ihrem Bruder war sie anderes gewohnt. Er hasste es, wenn sie über ihre Eltern sprach, vielleicht hatte er auch Angst. Auf alle Fälle schnitt er ihr jedes Mal das Wort ab, zog sie in seine Arme und überschüttete sie mit Worten. Dass ihre Trauer normal sei und vorbeigehen würde. Dass er stolz auf sie sei und immer für sie sorgen würde. Dann ließ er sie abrupt los und stürzte aus dem Raum, damit sie seine Tränen nicht sehen konnte. Er hielt es wohl einfach nicht aus, wenn sie einander ihre Gefühle offenbarten.

Rafe dagegen schien geradezu darauf zu warten, dass sie darüber sprach. Eigentlich seltsam.

„Ich war erst sechzehn, als das Flugzeug abstürzte“, begann sie leise. „Aber das weißt du vermutlich?“

„Ja.“

„Natürlich fehlen meine Eltern mir immer noch. Aber inzwischen sind zwölf Jahre vergangen, und es ist allerlei Schlimmes passiert. Der Tornado zum Beispiel. Dennoch geht das Leben weiter, und wir müssen uns damit abfinden. Aber jetzt diese Schwangerschaft … Sie macht mir klar, wie gern ich meine Mom an meiner Seite hätte.“ Sie hatten sich zwar auch mal gestritten, aber das war normal für einen Teenager. Und Violet hatte dennoch gewusst, dass ihre Mutter immer für sie da war. Bis sie es plötzlich nicht mehr war.

„Dann hattet ihr ein enges Verhältnis?“

Was für eine Frage. „Aber klar, das ist doch normal.“

„Nicht unbedingt.“

Das klang traurig, und Violet sah ihn überrascht an. Doch dann fiel ihr seine Bemerkung über die Nannys ein. „Ach so. Entschuldigung. Du bist ja von Kindermädchen aufgezogen worden.“

„Ich werde mich selbstverständlich deinen Wünschen fügen“, sagte er steif. „Wenn du einen engeren Kontakt zu dem Kind haben möchtest, dann werde ich natürlich dafür sorgen.“

„Wie denn?“

„Was meinst du damit?“

„Wie willst du dafür sorgen? Ich lebe hier und leite die Familienranch. Ich weiß, dass du Pläne hast, hier unternehmerisch tätig zu werden, und deshalb auch mit Mac zu dem Treffen des Texas Cattleman’s Club gehst. Aber darüber hinaus weiß ich nicht viel darüber, was du vorhast und wann du vorhast, wieder in deine Heimat zurückzukehren. Ich …“ Sie stockte und blickte auf ihre im Schoß verschränkten Hände. „Ich möchte nicht im Mittleren Osten leben. Selbst wenn dein Land relativ fortschrittlich ist.“

„Verstehe.“ Rafe bog in die Einfahrt zur Double M Ranch ein. „Ich kann dir versichern, dass sich meine Pläne in letzter Zeit geändert haben.“

„Dann willst du das Kind? Ich meine …“ Entsetzt hielt sie inne, weil sie plötzlich das Bild vor Augen hatte, wie Rafe ihr Kind ins Flugzeug trug, während sie hilflos dastand und nichts dagegen tun konnte. Oh Gott, nein! „Ich wollte sagen, dann möchtest du auch, dass ich das Kind bekomme? Denn ich werde das Baby behalten.“

„Das Kind ist ein Bin Saleed. Selbstverständlich sollst du das Baby bekommen“, sagte er etwas gereizt. „Natürlich brauche ich noch die offizielle Bestätigung, dass ich der Vater bin.“

„Was? Du glaubst mir nicht?“, fragte Violet empört.

„Doch, ich glaube dir“, versicherte er, diesmal wieder mit seiner Samtstimme. „Wir waren zusammen, und irgendeins der Kondome muss gerissen sein. Ich habe sie benutzt, wie ich es dir versprochen hatte. Aber ich fürchte, mein Bruder, der regierende Scheich von Al Qunfudhah, wird sich allein mit deinem Wort nicht zufriedengeben. Wenn auf das Kind alle Rechte und Privilegien der Bin Saleeds übergehen sollen, müssen wir beweisen, dass ich der Vater bin.“

„Ach so.“ Daran hatte sie nicht gedacht. Sie hatte sich nur Sorgen gemacht, wie ihr eigener Bruder reagieren würde. Dass Rafe Verpflichtungen seiner Familie gegenüber hatte, war ihr gar nicht in den Sinn gekommen. „Wie, meinst du, wird dein Bruder reagieren, wenn er davon erfährt?“

Rafe blickte sie mit einem etwas schiefen Lächeln an, das nicht sehr zuversichtlich wirkte. „Mach dir darüber keine Gedanken, meine Liebe. Fareed ist nicht mein Vater, und ich bin auch nicht mehr ohne Macht. Wahrscheinlich wird er darauf bestehen, dass das Kind im Sinne unserer Traditionen erzogen wird. Aber …“, er zwinkerte ihr zu, „das bedeutet nicht, dass daraus ein internationaler Konflikt entstehen muss.“

Sondern? Was wollte er wirklich damit sagen? Doch erst einmal gab es sehr viel Wichtigeres zu klären. Eine Frage brannte ihr auf der Seele. „Wirst du das Sorgerecht beantragen?“, fragte sie und meinte: Hast du vor, mir das Baby wegzunehmen?

Rafe hielt vor dem Ranchhaus und stellte den Motor ab. Erst dann wandte er sich zu Violet um. „Wir werden ein Übereinkommen treffen müssen. Deshalb haben sich ja auch meine Pläne geändert. Ich möchte nicht zu lange von meinem Kind getrennt sein.“

Seltsame Art, diesen Wunsch auszudrücken, dachte sie. Aber sie war erleichtert. Offenbar hatte er nicht vor, ihr das Baby wegzunehmen und auf Nimmerwiedersehen auf einen fernen Kontinent zu entschwinden. „Gut, das ist verständlich. Du hattest erwähnt, du wolltest hier ein weiteres Unternehmen aufbauen. Denkst du daran, in Royal zu leben? Zumindest den größten Teil des Jahres?“

Schweigend musterte er sie, sodass sie schon ganz unruhig wurde. „Ich denke momentan über eine ganze Menge nach“, sagte er dann langsam. „Aber wenn ich hierbleibe, zumindest über mehrere Monate, dann müssen wir irgendeine Art von … nun ja … Vereinbarung treffen.“

„Woran denkst du?“

Er strich ihr kurz über die Wange. „Wir haben doch abgemacht, keine neuen Beziehungen anzufangen, solange du schwanger bist. Aber später, wenn das Baby da ist … Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich darauf reagieren werde, dich mit anderen Männern zu sehen – auch wenn es dein gutes Recht wäre. Aber es würde mir sehr wehtun.“ Er legte sich eine Hand aufs Herz. „Das weiß ich schon jetzt.“

„Oh“, stieß sie leise hervor. Was wollte er damit sagen? Dass sie, wenn er in Royal war, als Paar auftraten, auch zusammenlebten? „Was … was meinst du damit?“ Wollte, er, dass sie ein Paar waren? Heirateten? Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, noch weniger, was sie dabei fühlte. So etwas wie Panik? Wahrscheinlich schon, denn noch kam sie kaum damit zurecht, schwanger zu sein.

Aber auch etwas anderes beschäftigte sie innerlich. In der überaus befriedigenden Nacht damals mit ihm hatte ihr eins gefehlt: Sie waren nicht zusammen eingeschlafen und nicht zusammen aufgewacht. Sie blickte ihn an und erkannte dieses brennende Verlangen in seinen Augen, das auch sie empfand.

Er griff nach ihrer linken Hand und drückte ihr einen Kuss auf den Handrücken. „Seit unserer gemeinsamen Nacht habe ich immer wieder an dich denken müssen.“ Seine Stimme war rau. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft ich kurz davor war, mich auf die Suche nach dir zu machen. Aber ich hatte dir ja versprochen, dass es nur diese eine Nacht sein würde.“ Er hob den Kopf. „Ich habe von dir geträumt und mich tagsüber nur schwer von den Gedanken an dich lösen können. Irgendwie warst du immer bei mir, und doch konnte ich dich nicht fassen. Eine Folter, aber die süßeste Folter, die ich je erlebt habe.“

Oh Gott, war das etwa sein Ernst? Wie gern würde sie glauben, dass diese Nacht für ihn mehr gewesen war als nur ein One-Night-Stand. „Ich habe auch an dich gedacht“, gab sie leise zu. „Ich habe sogar deinen Zettel aufgehoben, den du mir damals auf den Nachttisch gelegt hast.“

Immer noch hielt er ihre Hand fest. Und sein Lächeln … Er war wirklich der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. „Das freut mich sehr“, begann er sanft. „Aber ich hatte dir ja versprochen – nur eine Nacht und keine Namen. Und dieses Versprechen wollte ich unbedingt halten. Deshalb habe ich nicht nach dir gesucht, sondern das Schicksal so hingenommen. Eine Nacht mit meiner wunderschönen, mysteriösen V, mehr war mir nicht vergönnt. Aber jetzt habe ich dich wiedergefunden und habe die Möglichkeit, dich als Frau kennenzulernen, als Violet, nicht nur als V. Das ist meine zweite Chance, und ich wäre verrückt, wenn ich sie mir entgehen ließe.“

So etwas Wunderbares hatte noch niemand zu ihr gesagt. „Meinst du das ernst? Willst du das wirklich? Eine richtige Beziehung?“

Er küsste ihre Handfläche. „Ich habe viele Wünsche und viele Pläne. Aber du bist diejenige, die mein Kind in sich trägt. Also ist erst einmal wichtig, was du willst.“ Dabei sah er ihr tief in die Augen, und sie hatte das Gefühl, in diesem Samtbraun zu versinken. „Was möchtest du?“, fragte er noch einmal.

Plötzlich hatte sie die Szene von vor vier Monaten wieder vor Augen. Sie und er in der Bar vom Holloway Inn … Er hatte ihr einen Drink spendiert und sich dann zu ihr an den Tresen gesetzt. Irgendwann zwischen dem ersten und dem dritten Drink hatte er sich zu ihr herabgebeugt und gefragt: „Was möchtest du?“ Was sie damals gewollt hatte, empfand sie auch jetzt, nämlich sich schön und begehrenswert zu fühlen, Alltag und Sorgen hinter sich zu lassen und sich ganz ihrem Verlangen hinzugeben.

Und so sagte sie das, was sie auch damals gesagt hatte: „Dich. Warum sind wir immer noch hier?“

„Du meinst, hier im Auto? Das heißt, ich darf hereinkommen?“

Sie warf einen kurzen Blick zum Haus. Alles war dunkel. Mac war die nächsten zwei Nächte nicht da. Das wusste sie. Und Rafe wusste es auch. „Ja. Wir müssen doch noch über so vieles reden.“

„Das stimmt.“

Violet löste ihren Sitzgurt, aber bevor sie noch die Tür öffnen konnte, war Rafe schon um den Wagen herumgelaufen und riss die Tür auf. „Bitte“, sagte er mit seiner weichen, dunklen Stimme und reichte ihr die Hand.

Sie nahm sie, ließ sich von ihm aus dem Auto ziehen und stand dann dicht vor ihm, denn er dachte gar nicht daran, ihre Hand loszulassen. Sie schluckte. „Nur damit wir alles besprechen können“, sagte sie leicht atemlos und starrte auf seine breite Brust. „Nichts anderes …“

Das war wahrscheinlich das Albernste, was sie hatte sagen können. Denn natürlich bedeutete es etwas anderes, wenn sie Rafe in das leere Haus einlud, das war ihr und natürlich auch ihm klar.

„Ich würde mir nie anmaßen, mehr zu erwarten“, stimmte er schmunzelnd zu und strich ihr zärtlich über den Handrücken. „Also sag mir, was erhoffst du dir? Wie stellst du dir deine Zukunft vor? Welche Rolle soll ich darin spielen?“

„Ach, Rafe, du bist einfach zu … zu gut.“ Sie senkte den Blick. Woher wusste er immer genau, wonach sie sich sehnte? Denn alles, was er sagte und auch tat, war genau das, was sie sich in dem Moment wünschte.

Er hob ihr Kinn an und sah sie ernst an. „Wieso? Hat man dich noch nie gefragt, was du möchtest?“

„Doch. Was ich essen möchte, ob wir die Kälber heute oder morgen kastrieren wollen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „So was eben.“

Er schüttelte leicht den Kopf, und sein Blick hielt sie fest, wie damals, als er sie gegen die Fahrstuhlwand drückte. Und ihre Reaktion war dieselbe. Sie konnte nicht anders und schmiegte sich an ihn. Trag mich ins Haus, nimm mich, liebe mich …

Doch er legte nur die Arme um sie. „Was für eine Schande“, murmelte er. „Also, ich frage dich: Was möchtest du?“

Oh Gott, er hatte sie wirklich da, wo er sie vor vier Monaten schon hatte, und das mit ein paar einfachen Worten. Aber sie sollte es nicht tun, hätte es auch vor vier Monaten nicht tun sollen … Also befreite sie sich aus seinen Armen, trat einen Schritt zurück und versuchte so auszusehen, als sei ihr dieser unverschämt attraktive Mann mit der verführerischen Stimme gleichgültig.

Aber Rafe lächelte nur kurz, kam wieder näher und flüsterte: „Weil ich das möchte, was du möchtest …“

Wie sollte sie ihm widerstehen? Zu genau erinnerte sie sich, wie sie sich damals in seinen Armen gefühlt hatte. Schön. Begehrenswert. Erwachsen. Endlich war sie nicht mehr nur Macs kleine Schwester gewesen. Und auch noch nicht schwanger. Nein, in der einen Nacht vor vier Monaten war sie die Frau gewesen, die sie gern sein wollte.

Daran war doch nichts Schlechtes, oder? Und ihr war bewusst, dass nur Rafe ihr dieses Gefühl vermitteln konnte. „Küss mich“, wisperte sie.

Er legte die Arme um sie. „Bist du dir auch ganz sicher? Denn ich weiß schon jetzt, dass ich mit einem Kuss nicht zufrieden sein werde.“

Sie nickte. „Ja. Bitte, küss mich.“

5. KAPITEL

Verblüfft, wenn auch äußerst zufrieden, tat Rafe, worum Violet ihn bat. Es ist das, was sie will, erinnerte er sich. Und wie sehr sie es wollte! Sie krallte die Finger in sein dichtes Haar, zog seinen Kopf zu sich hinunter und drückte ihm ihre Lippen auf den Mund. Nicht dass Rafe etwas dagegen gehabt hätte. Außerdem kam das seinem Racheplan sehr entgegen. Sie war kurz davor, sich in ihn zu verlieben. Und er brauchte nichts anderes zu tun, als ihr das zu geben, was sie wollte: einen leidenschaftlichen Liebhaber und den Freiraum, den ihr Bruder ihr nicht ließ. Das sollte ihm nicht besonders schwerfallen.

Doch als ihr Kuss tiefer wurde und er spürte, wie sie ihre Brüste an ihn presste, war jeder Rachegedanke plötzlich wie weggeblasen. Denn er hatte sie nicht angelogen. Er hatte tatsächlich oft an sie gedacht, und dass er sie jetzt wieder in seinen Armen hielt, erfüllte ihn mit einem verstörenden Glücksgefühl.

Schwer atmend hob er den Kopf und strich ihr mit den Lippen über den zarten Hals. „Violet“, murmelte er, „bist du sicher?“

„Ja, ich will dich … jetzt“, stieß sie leise keuchend hervor.

Ihm lief ein heißer Schauer über den Rücken. Genau aus diesem Grund musste er viel zu oft an Violet denken. Denn sie brachte ihn dazu, Dinge zu tun, die so gar nicht seinem Naturell entsprachen. Wie etwa die Schwester seines Erzfeindes zu küssen, nur weil er sich danach sehnte, ihren Körper in den Armen zu halten.

Auch als er sie hochhob und gegen seine harte Erregung drückte – oh, sie sollte wissen, was sie mit ihm machte –, dachte er nicht an Rache. Sondern nur daran, sie nackt unter sich zu spüren und endlich, endlich in ihr zu sein. Zu hören, wie sie in höchster Lust aufschrie, und ihr dann in das gelöste, lächelnde Gesicht zu sehen.

An der Tür brauchte sie eine Weile, bis sie es endlich schaffte, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Rafe war schon kurz davor, die Tür einzutreten. Heftig stieß er sie von innen zu und zog Violet dann an sich. Lachend machte sie sich frei und lief die Treppe hinauf, Rafe war ihr dicht auf den Fersen. Oben auf dem Treppenabsatz zog er sie wieder in seine Arme und küsste sie, und sie erwiderte den Kuss voller Leidenschaft, während sie beide versuchten, sich gegenseitig die Jacken auszuziehen.

Unter Lachen und Küssen taumelten sie schließlich in ihr Schlafzimmer. Vor dem Bett blieben sie stehen, und als Violet mit bebenden Fingern begann, sein Hemd aufzuknöpfen, zog er ihr mit einer schnellen Bewegung das Kleid über den Kopf.

Plötzlich legte sie ihm die Hände auf die Brust. „Seit dem letzten Mal habe ich mich verändert“, sagte sie leise und sah ihn scheu an, als fürchte sie seine Reaktion auf ihren Körper.

Er starrte auf ihre vollen Kurven. „Ja. Du bist noch schöner geworden“, sagte er leise. Sanft griff er nach ihren Händen und drückte Violet behutsam auf die Matratze. Legte sich dann neben sie und musterte sie langsam von Kopf bis Fuß. Sosehr er sich auch danach sehnte, sie zu berühren, er durfte sie auf keinen Fall drängen, nicht, wenn sie ohnehin nervös war. Vor vier Monaten waren sie beide angetrunken gewesen, da hatte sich alles wie von selbst ergeben. Diesmal sollte sie das Tempo bestimmen.

Er küsste sie zwischen die Brüste, während er jeweils eine Brust mit einer Hand umschloss. Als er ihre harten Brustspitzen durch den BH hindurch reizte, schloss sie die Augen. Ihr Atem kam schneller. „Zieh ihn aus.“ Sie hob kurz ihren Oberkörper, sodass er den Verschluss öffnen und ihr den BH abstreifen konnte.

„Violet“, stöhnte er leise, „ich muss dich haben.“

Als er eine ihrer nackten Brustwarzen mit den Lippen umschloss, hob sie sich ihm entgegen und warf den Kopf zurück. „Ich dich auch!“

Sofort strich er ihr über den flachen Bauch und zog ihr dabei den braven weißen Slip aus. Jetzt lag sie ganz nackt vor ihm.

„Du bist so schön.“ Er rutschte tiefer hinunter und küsste sie an ihrer empfindlichsten Stelle, bevor er mit zwei Fingern vorsichtig in sie eindrang. Sie war mehr als bereit.

„Rafe!“, schrie sie auf und fuhr ihm mit den Händen durchs Haar. „Ja, ja … oh …“ Sie kam mit einem lauten Stöhnen, und jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Hastig öffnete er seine Gürtelschnalle, dann den Reißverschluss, zog ein Kondom aus der Tasche, schaffte es irgendwie, es sich überzustreifen, und drang dann tief in sie ein.

„Violet!“ Sosehr er sich auch bemühte, sich zurückzuhalten, so gern er sich bewiesen hätte, dass er die Situation voll im Griff hatte – er konnte es einfach nicht. Nicht, wenn sie ihn mit diesen großen Augen ansah, voller Verlangen, voller Begierde.

„Ja“, flüsterte sie rau, während sie versuchte, ihm das Hemd von den Schultern zu ziehen. „Ja, Rafe, ich will …“

Mit einer Hand griff er nach ihren Händen und drückte sie an sein Herz, das wie wild schlug. Dann begann er, sich in ihr zu bewegen, und als sie ihm immer wieder entgegenkam, keuchend vor Lust, war es mit seiner Kontrolle vorbei. Seine Stöße wurden schneller, härter, bis er spürte, dass auch sie so weit war, und endlich loslassen konnte.

Es war Wahnsinn, so etwas hatte er noch nie erlebt. Er glitt zur Seite und versuchte, zu Atem zu kommen.

„Das war … Das war …“, stammelte sie keuchend.

„Gut, hoffe ich?“

„Mehr als das. Es war fantastisch, unglaublich, nicht von dieser Welt …“

Sie strahlte ihn an, und er stützte sich auf einem Ellbogen ab und strich ihr lächelnd über die Wange. „Wenn wir verheiratet sind, wird es immer so sein. Du und ich …“ Er stockte, weil er sah, wie sie die Lippen zusammenpresste und dann ihr Gesicht abwandte. „Violet?“

Ohne etwas zu sagen, stand sie auf und ging ins Bad. Verblüfft sah er ihr hinterher, dann erst wurde ihm klar, was er gesagt hatte.

Wenn wir verheiratet sind …

Da war er wohl zu weit gegangen.

Violet saß auf dem Toilettendeckel, hatte den Kopf in die Hände gestützt und versuchte zu begreifen, was da eben gelaufen war. Wie war es dazu gekommen? Es ließ sich nicht länger leugnen: Sie war schwanger. Von Rafe. Und Sex mit Rafe war unwahrscheinlich gut. Und letzten Endes musste sie wohl auch einsehen, dass er davon ausging, dass sie heiraten würden …

Heiraten … Sicher, Rafe war irgendwie der perfekte Mann zum Heiraten: charmant, romantisch, unglaublich sexy, wollte sich um Wild Aces kümmern … Aber das bedeutete nicht, dass sie ihn heiraten wollte. Selbst wenn sie davon träumte, in seinen Armen aufzuwachen. Selbst wenn sie dann ihr Kind gemeinsam aufwachsen sehen könnten, eine richtige Familie wären. Selbst wenn …

Aber die Art, in der er es gesagt hatte. Wenn wir verheiratet sind … Für ihn war das eine Tatsache. Er kam gar nicht auf die Idee, dass sie auch Nein sagen könnte.

„Violet? Alles in Ordnung?“

Das klang ernsthaft besorgt und machte ihr die Entscheidung nicht leichter. Was sollte sie bloß sagen? Viel zu viel war in letzter Zeit auf sie eingestürmt. Noch vor zwei Tagen war ihr Leben völlig normal verlaufen. Sie trug lediglich die schöne Erinnerung an die leidenschaftliche Nacht vor vier Monaten im Herzen, alles andere lief wie üblich. Kein Gedanke an Babys, kein Gedanke ans Heiraten.

„Violet.“ Seine Stimme war sanft, ja beinahe ein Flüstern. „Ich wollte nicht … Es war nur … Bitte, mach auf.“

„Sekunde.“ Gehetzt sah sie sich um. Kein Bademantel, kein großes Handtuch. Sie konnte sich ja wohl schlecht in den Duschvorhang wickeln. „Bist du so nett und holst mir eine Cola aus der Küche?“

„Äh … was?“, erklang es verwirrt. Dann hatte er sich wieder gefangen. „Na klar“, sagte er dann zögernd, und Violet hatte sofort den Eindruck, dass er es nicht gewohnt war, so etwas zu tun.

„Danke.“ Erleichtert atmete sie auf, als sie das Knarren der Treppenstufen hörte, und öffnete vorsichtig die Tür. Die Luft war rein. Schnell sammelte sie ihre Kleidungsstücke zusammen, die auf dem Boden verstreut lagen, zog sich dann ein Nachthemd an und den Bademantel über. Da Rafe die Cola wahrscheinlich nicht gleich finden würde, lief Violet die Treppe hinunter. Außerdem wollte sie ihm lieber nicht im Schlafzimmer mit dem zerwühlten Bett sagen, dass sie ihn vorläufig nicht heiraten wollte.

Rafe stand vor dem geöffneten Kühlschrank und drehte sich stirnrunzelnd um, als Violet in die Küche kam. „Tut mir leid, ich kann die Cola nicht finden.“

„Hier.“ Sie griff um ihn herum und zog die Dose hinter dem Eierkarton hervor.

„Ach, da hast du sie versteckt.“ Er lachte. „Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?“ Er schloss die Kühlschranktür und sah Violet ernst an. „Wie geht es dir?“ Er legte ihr den Arm um die Taille und zog sie näher an sich heran.

„Besser.“

„Wirklich?“ Er griff nach ihrer Hand und legte sie sich aufs Herz. „Deine Freude ist auch meine Freude. Und dein Schmerz ist auch mein Schmerz. Ich wollte dich wirklich nicht verärgern. Es tut mir leid, wenn das der Fall gewesen sein sollte.“

Wie warm seine Haut ist. „Schon gut.“ Sie presste sich die kalte Dose an die Wange. Cool bleiben. Auf keinen Fall durfte sie sich wieder durch seine Stimme und seine Worte betören lassen. „Nur um eins klarzustellen: Es ist keine gute Idee, einer Schwangeren mitzuteilen, dass sie dich heiraten wird – ob sie will oder nicht.“

„Macht man das hier in Amerika etwa nicht so?“, scherzte er und küsste sie zärtlich auf die Handfläche.

Unwillkürlich musste sie lächeln. Sosehr er die Fähigkeit hatte, sie nervös zu machen, so hatte er auch die Gabe, sie zu beruhigen. „Nein, eigentlich nicht.“

„Dann werde ich mich bessern. Aber wenn es um dich geht, kann ich manchmal nicht klar denken.“

Bei seinem treuherzigen Blick schwankte ihre Entschlossenheit schon wieder. Auf keinen Fall durfte sie gleich nachgeben. Erst musste alles zwischen ihnen geklärt sein. „Ich möchte noch nicht heiraten, Rafe. Damit will ich nicht sagen, dass das für immer und ewig gilt, denn du hast recht, es ist etwas zwischen uns, das spüre ich auch. Aber erst einmal muss ich mit der Tatsache fertigwerden, dass ich ein Kind erwarte. Deshalb wäre ich dir dankbar, wenn du das Thema Heirat vorläufig nicht erwähnst.“

Er lehnte sich gegen den Kühlschrank. „Dafür habe ich Verständnis. Aber du musst wissen, dass es in meiner Familie als ehrlos gilt, wenn ein Kind unehelich geboren wird.“

So etwas hatte sie erwartet. Leise seufzend legte sie ihm die Arme um den Hals. „Das heißt, wir müssen heiraten? Wird das in deiner Heimat erwartet?“

Er schwieg kurz. „In meiner Familie hat man kein Mitspracherecht, was die eigene Heirat angeht“, sagte er dann. „Wir heiraten, um Macht und Einfluss zu gewinnen. Liebe dagegen …“

Liebe … Sie hatten zwar über vieles geredet, aber nie über Liebe.

Rafe strich ihr zärtlich über den Rücken. „Wir sollten es zumindest in Erwägung ziehen. Aber ich habe dir mein Wort gegeben, dass ich dich nie zu irgendetwas zwingen werde. Und dieses Wort werde ich halten.“

„Gut.“ Doch gleich kamen ihr wieder Bedenken. Kannte sie ihn wirklich gut genug, um ihm das zu glauben? Andererseits hatte er sie noch nie belogen, von dem falschen Namen einmal abgesehen. „Wirst du in Royal bleiben?“

„Vorläufig ja. Aber ich kann Al Qunfudhah nicht für immer verlassen. Es ist schließlich meine Heimat.“

Sie nickte. „Das kann ich gut verstehen.“

„Aber während ich hier bin, sollten wir uns möglichst oft sehen, um uns besser kennenzulernen. Vielleicht“, er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, „passen wir gar nicht so schlecht zusammen.“

„Vielleicht nicht“, meinte sie zögernd.

„Das kann ich natürlich nicht für dich entscheiden.“ Seine Stimme hatte wieder diesen weichen, dunklen Tonfall angenommen, und Violet schmiegte sich an ihn, sie konnte einfach nicht anders. „Das kannst nur du. Ich kann lediglich versuchen, dir zu zeigen, dass ich dir ein guter Mann und unserem Baby ein guter Vater sein würde.“

Sie sah ihm in die Augen. „Du weißt wohl in jeder Lebenslage das Richtige zu sagen.“

Er lachte leise. „Wenn ich an vorhin denke, kann ich das wohl eher nicht behaupten.“ Zärtlich strich er ihr das Haar aus der Stirn. „Darf ich heute Nacht hierbleiben?“

„Nur wenn du mir keinen weiteren Heiratsantrag machst.“

„Keine Sorge. Da fällt mir so einiges ein, was ich lieber mit dir machen würde.“ Lächelnd beugte er sich vor und strich ihr mit den Lippen über den Mund.

Wie rücksichtsvoll er war. Sie war es gewohnt, dass ihr immer gesagt wurde, was sie tun sollte, was das Beste für sie war. Wann hatte man jemals ihr die Entscheidung über ihr eigenes Leben überlassen?

Rafe war der Meinung, sie sollten heiraten. Wenn man davon ausging, wie sehr sie voneinander angezogen waren, war das vielleicht keine schlechte Idee und könnte sogar funktionieren. Aber natürlich kannten sie sich kaum. Er hatte also auch in einem weiteren Punkt recht: Sie sollten wirklich mehr Zeit miteinander verbringen. „Dann darfst du bleiben“, flüsterte sie.

Er sah ihr tief in die Augen. „Und wie ist es mit morgen? Wie sieht dein normaler Alltag aus? Ich kenne nur die alten Geschichten, die Mac mir vor vielen Jahren erzählt hat.“

„Mac ist ein paar Tage nicht da. Wenn du willst, kannst mit mir morgen den Kontrollritt über die Ranch machen.“ Sie lehnte sich etwas zurück und sah ihn fragend an. „Du kannst doch reiten, oder?“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Was denkst du denn? Seit Generationen züchtet meine Familie Araber. Ich habe schon mit drei Jahren auf einem Pferd gesessen. Aber so gern ich mit dir ausreiten würde, ich habe am Vormittag noch einiges zu erledigen. Schließlich habe ich einer schönen Frau versprochen, mir eine bestimmte Sache mal genauer anzusehen. Und ich möchte sie ungern enttäuschen.“

Sie strahlte. „Aber vielleicht können wir uns hier am frühen Nachmittag treffen. Am Vormittag muss ich mich mit meinen Leuten sowieso um die Kälber kümmern. Am Nachmittag könnten wir dann zusammen die Herde auf eine andere Weide treiben.“

„Hört sich fabelhaft an. Mac hat mir gesagt, dass du die Ranch sehr gut verwaltest. Ich hätte Lust, dich in deinen Elementen zu erleben.“

Violet grinste. „Du meinst, in meinem Element.“

„Ja, natürlich“, sagte er lachend.

Wie anders er ist, im Vergleich mit den anderen Männern, dachte sie. Normalerweise glaubten sie, ihr einen Gefallen zu tun, wenn sie sie von dieser Arbeit „befreiten“, die „doch nichts für eine Frau“ sei. Als sehnte sie sich danach, zu Hause zu bleiben, ein Kind nach dem anderen zu bekommen und mit anderen Frauen Kochrezepte auszutauschen. Die Männer konnten sich einfach nicht vorstellen, dass Violet ihre Arbeit liebte.

Ausgerechnet Rafe schien Verständnis dafür zu haben und wollte sehen, wie ihr Arbeitstag ablief. Dabei wäre es in seinem Heimatland wahrscheinlich eher Tradition, sie in irgendeinen entfernten Wüstenpalast zu entführen, wo sie als Frau bestimmt keinen Finger rühren dürfte.

„Komm“, sagte er leise und küsste ihre Hand. „Bis zum Morgen haben wir noch ein paar Stunden Zeit.“

Autor

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