Baccara Gold Band 12

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KEIN FEUER IST SO HEISS von JENNIFER GREENE
Als Molly seine Hände endlich auf ihrer Haut fühlt, weiß sie: Flynn erwidert ihre Leidenschaft! Sie spürt seine Erregung, und am liebsten möchte sie sofort hier, im Büro, dem drängenden Verlangen zwischen ihnen nachgeben. Doch genau in diesem Moment passiert etwas Unglaubliches …

DREI WÜNSCHE HAST DU FREI von RITA CLAY ESTRADA
Virginia will alles von ihm! Doch die Affäre mit ihrem Auftraggeber Wilder ist sinnlich, lustvoll … und verboten! Der erfolgreiche Unternehmer will sich nicht binden. Eine Zauberlampe, die Wünsche erfüllt, ist Virginias letzte Hoffnung. Damit die Magie wirkt, greift sie zu einem Trick, dem kein Mann widerstehen kann …

ICH WILL DICH GANZ UND GAR von LUCY GORDON
Viel zu jung, viel zu schön, viel zu sexy: Als Nanny ist Melanie eine Fehlbesetzung, fürchtet Giles. Doch sein kleiner Adoptivsohn hat sie ins Herz geschlossen. Auch Giles würde ihr gerne viel näher kommen -doch er spürt deutlich, dass sie etwas vor ihm verbirgt …


  • Erscheinungstag 27.09.2019
  • Bandnummer 12
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725877
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennifer Greene, Rita Clay Estrada, Lucy Gordon

BACCARA GOLD BAND 12

1. KAPITEL

„Was um alles in der Welt soll ich damit anfangen?“

Flynn McGannon hatte gerade den Telefonhörer aufgelegt, als die junge Frau empört in sein Büro stürmte. „Was?“, fragte er zurück.

„Sie wissen genau, was ich meine.“ Sie warf eine Akte auf seinen Schreibtisch. „Wie soll ich Ihre Buchführung ordentlich machen, wenn Sie so mit den Belegen umgehen? Das ist verantwortungslos! Man sollte Sie feuern.“

Flynn gönnte der Akte keinen Blick. Sein Interesse galt umso mehr seiner Buchhalterin Molly Weston. Er sah sie amüsiert an. „Wäre es nicht etwas kompliziert, mich zu feuern? Schließlich gehört diese Firma mir – und Sie sind meine Angestellte.“

„Noch. Sie werden bald gar nichts mehr besitzen, wenn Sie nicht ordentlich Buch führen. Das Finanzamt kennt kein Mitleid. Ich weiß, dass Sie Zahlen nicht leiden können, aber das hier ist völlig unmöglich. Glauben Sie wirklich, diese losen Blätter hätten etwas mit korrekter Buchführung zu tun?“

Genau dies hatte Flynn geglaubt. Solange er keinen Pfennig besaß, hatte er auch keine Buchhalterin benötigt. Dass seine Computerprogramme ihn in kürzester Zeit reich machen würden, war nicht vorgesehen gewesen. Seine Arbeit machte ihm Spaß, war pures Vergnügen – sonst hätte er es gelassen. Der Geldsegen, der mit der Arbeit kam, war ein Betriebsunfall.

Die drei Buchhalter vor Molly Weston hatten sich auch als Betriebsunfälle entpuppt. Zwei Männer, danach eine Frau. Steife, humorlose Wesen in Nadelstreifen. Alle drei hatten den Job entnervt gekündigt.

Vor sechs Monaten hatte Molly Weston bei ihm angefangen. Adrett, schüchtern und über alle Maßen ordentlich.

Ihre Schüchternheit hatte sie überwunden, und Flynn selbst trug die Schuld daran.

Sie deutete auf ein Blatt mit Zahlenkolonnen. Molly liebte ihren Job. „Das soll eine Auflistung Ihrer Ausgaben sein? Dann sagen Sie mir doch bitte, was diese achthundert Dollar für ein Mittagessen bedeuten sollen“, fauchte sie ihn an.

„Es war gar nicht für ein Mittagessen“, gab er zu. „So viel hat der neue ergonomische Schreibtischsessel für Ralph gekostet. Er braucht ihn wegen seines verletzten Knies. Das Dumme ist nur, dass ich die Quittung verlegt habe. So etwas macht Sie wütend, und deshalb dachte ich, es wäre einfacher, wenn …“

„Denken kann man das nicht nennen“, gab sie kopfschüttelnd zurück und begann, ihm seine Verfehlungen aufzuzählen.

Da Flynn das meiste davon bereits kannte, legte er gemütlich die Füße auf den Schreibtisch und beobachtete Molly. Aufgebracht schritt sie im Büro auf und ab.

Anfangs war Molly über die Büros in diesem Unternehmen entsetzt gewesen. Besonders grauenvoll fand sie Flynns Arbeitszimmer, mit dem roten Plüschteppich, den Teakholzschränken und der Schreibtischplatte aus blauem Stein. Dazu kam die persönliche Note, die in einem Basketballkorb über der Tür bestand.

Molly hielt nicht viel von einer solchen Einrichtung. Auch Flynns äußeres Erscheinungsbild erregte ihre Kritik. Normalerweise trug er Uraltjeans, dazu Mokassins. Sie fragte sich, weshalb die fünf Mitarbeiter überhaupt angezogen im Büro erscheinen mussten. Zwar kamen Kunden aus der ganzen Welt, aber in der Regel meldeten sie sich vorher an.

Die ganze Büromannschaft bestand aus kreativen Verrückten, die vor ihren Computertastaturen saßen und annähernd Tag und Nacht arbeiteten. Flynn kümmerte sich weder um den Lebensstil noch um die Kleidung seiner Angestellten, solange sie gute Arbeit machten.

Molly dagegen bevorzugte einen eher formellen Kleidungsstil. Sie mochte Kostüme – marineblau, schwarz oder anthrazit. Wenn sie kühn war, wählte sie auch mal ein Fischgrätenmuster. Heute trug sie einen marineblauen Rock, passende Pumps und eine gestärkte weiße Bluse, die am Hals mit einer Brosche geschlossen wurde. Das braungoldene Haar fiel in einem akkuraten Pagenschnitt bis fast auf die Schultern. Ihre Augen waren ebenfalls braun – schokoladenbraun. Sie blickten sanft und verrieten Mollys Verletzbarkeit. Auch das zarte, ovale Gesicht trug dazu bei, mit weichgeschwungenen Brauen, sanften Wangenknochen und einem kleinen, perfekt geformten Mund, der zum Küssen geradezu einlud.

Flynn dachte in letzter Zeit häufig daran, sie zu küssen. Und nicht nur das. Er sah sich mit ihr nackt zwischen kühlen Laken auf einer harten Matratze. Und er hätte seinen Lotus verwettet, dass Molly unter ihrer weißen Bluse einen braven, weißen BH trug.

„Hören Sie mir überhaupt zu?“, fragte Molly.

„Hm. Sie wollen wissen, warum in dieser Liste Ausgaben auftauchen, die ich nicht belegen kann. Ich werde versuchen, mich zu erinnern“, versicherte er.

„Es wäre nicht nötig, sich mühsam zu erinnern, wenn Sie die Belege sammeln würden. Lieber Himmel! Sie zu erziehen ist schwieriger, als einen Verbrecher zu resozialisieren. Ich weiß, dass Sie allergisch gegen jede Planung sind, also habe ich ein System entwickelt, das Ihnen die Arbeit erleichtert. Aber ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie mir nicht wenigstens auf halbem Weg entgegenkommen, Flynn.“

„Ja, Molly.“ Selbst ihre Stimme brachte eine erotische Saite in ihm zum Klingen. Sie war weich und voll, und wenn sie wütend war, kam noch ein sexy Timbre hinzu.

„Ich meine es ernst, verflixt. Wenn die Buchführung nicht stimmt, rückt Ihnen das Finanzamt auf den Hals. Dafür gibt es aber nicht den geringsten Grund. Ihre Firma ist grundsolide. Es ist absolut nicht schwierig, das zu Papier zu bringen. Ihre Mitarbeiter sind mittlerweile auf meiner Seite. Nur Sie machen Schwierigkeiten. Was ist so kompliziert daran, den Überblick über Ihre Einnahmen und Ausgaben zu behalten?“

„Ehrlich, Molly. Ich vergesse es einfach …“

Flynn wusste im gleichen Moment, dass er das nicht hätte sagen sollen. Etwas zu vergessen war in ihren Augen eine Todsünde.

Schon war Molly wieder unterwegs durch das Zimmer und fuhr in ihrem Vortrag fort.

Flynn hatte anfangs befürchtet, auch Molly würde kündigen, wenn sie merkte, dass er ein hoffnungsloser Fall war. Doch Molly behauptete, sie würde bleiben. Entweder er lernte es, Ordnung in seinen Finanzen zu halten, oder sie gingen mit Pauken und Trompeten unter.

Er bemühte sich tatsächlich, ihren Vorgaben zu genügen. Doch ihre Ansprüche waren zu hoch für ihn. Zumindest, was die Arbeit betraf. Zwei Mal hatte er Molly geküsst, jedoch ohne herauszufinden, was sie unter dem Kostüm trug. Aber er hatte etwas anderes herausgefunden.

Molly küsste unvergleichlich. Er konnte es nicht vergessen. In ihren Küssen wurden die wildesten Träume eines Mannes wahr. Ihr Mund schien wie für ihn geschaffen.

„Sie hören mir ja gar nicht zu“, beschwerte sich Molly.

„Doch, doch. Weston, Sie haben die tollsten Beine des ganzen Mittelwestens.“

„McGannon!“

Seit ihrem ersten Arbeitstag hatte es Flynn amüsiert, wie schnell Molly errötete. Sie war zwar mittlerweile halbwegs abgehärtet, aber eine solche Bemerkung brachte ihr Gleichgewicht ins Wanken. Ihre Wangen glühten, aber ihre Augen funkelten.

Irgendetwas an Molly Weston war ausgesprochen verheißungsvoll und absolut nicht brav, dachte Flynn. Der Ausdruck ihrer Augen veranlasste ihn, die Beine vom Schreibtisch zu schwingen.

„Nein“, sagte sie.

„Was meinen Sie mit diesem Nein?“, erkundigte sich Flynn und stand auf.

„Hören Sie auf, mich so anzusehen, McGannon. Sofort.“

Er kam näher, und Molly, anstatt eingeschüchtert zu sein, stemmte beide Hände in die Hüften.

„Sie schauen mich genauso an“, bemerkte er.

„Das ist nicht wahr.“

Aber es stimmte. Der Ausdruck verstärkte sich sogar noch, als Flynn einen weiteren Schritt auf sie zutrat.

„Zurück. Oder ich lande einen Kinnhaken, dass Sie Sterne sehen.“

„Aber, aber“, sagte Flynn freundlich. „Sie würden mich nicht schlagen, außer ich hätte es verdient. Außerdem – Sie brauchen bloß Nein zu sagen, und nichts geschieht.“

Als Flynn sie gegen die mit einer roten Stofftapete bespannte Wand gedrängt hatte, nahm Molly Zuflucht zu ihrer besten Waffe, zur Logik. „Ich mag meinen Job und habe keine Lust, ihn zu verlieren.“

„Ganz Ihrer Meinung. Sie haben sich so unentbehrlich gemacht, dass ich ohne Sie verloren wäre. Das ist kein Scherz. Ich meine es ernst. An dem Tag, als ich Sie einstellte, habe ich Ihnen gesagt, dass ich ein schwieriger Fall bin. Aber ich lerne. Sagen Sie Nein, wenn ich etwas tue, das Ihnen unangenehm ist. Ich werde es sofort unterlassen.“

„So einfach ist es nicht. Das wissen Sie genau. Eine Beziehung zwischen Kollegen ist nie gut.“

„Das muss nicht so sein, wenn beide Partner ehrlich zueinander sind und sich an die Spielregeln halten.“

„Sie müssten das Wort ‚Regeln‘ doch erst im Wörterbuch nachschlagen, um zu wissen, was es bedeutet, Flynn“, sagte sie ironisch. „Sie lieben die Anarchie. Aber das tut nicht jeder. Manche Leute haben keinen Spaß daran, miteinander ins Bett zu steigen und am nächsten Morgen so zu tun, als wäre nichts gewesen.“

„Ehrlich gesagt, hatte ich nicht vor, mit Ihnen ins Bett zu steigen. Zumindest nicht jetzt. Aber ich kapiere, dass Sie nichts von Affären halten. Sie wollen Verantwortung und einen Ring, nicht wahr?“ Mit einer hilflosen Handbewegung machte er deutlich, dass er von diesen Dingen nichts verstand. „Glauben Sie mir. Alles, woran ich dachte, war ein Kuss. Um festzustellen, ob der von letzter Woche ein Versehen war.“

„Ein Versehen?“

„Genau. Er hat mich sozusagen aus den Schuhen gehoben. Der totale Wahnsinn. Völlig unerwartet. Und ich hoffe, es passiert nicht noch einmal. Sie werden es nicht erraten, aber ich habe ein bisschen von der Welt gesehen …“

„Kann ich mir vorstellen.“

„Daher bin ich es nicht gewöhnt, mich nach einem einzigen Kuss zu verlieben. Anscheinend haben Sie mich in einem schwachen Moment erwischt. Tatsache ist, dass ich die Erinnerung an diesen Kuss einfach nicht loswerde. Vielleicht gelingt es mir, wenn wir es wiederholen und ich dabei feststelle, dass ich mich geirrt habe.“

„Flynn …“

Flynn war ein Mann, dem das Wort „Liebe“, leicht über die Lippen kam. Molly hatte es oft genug erlebt. Seine Liebe gehörte scharfen Peperoni, bunten Herbsttagen, gerösteten Mandeln, Mitarbeitern, die Probleme lösten – und jedem Hundewelpen. Flynn war eben extrovertiert und neigte zu Übertreibungen.

In diesem Moment jedoch stand er direkt vor ihr. Es war ein herrlicher Oktobertag. Helles Sonnenlicht drang durch die Ritzen der Jalousien. Der Computerbildschirm flimmerte im Hintergrund. Aus dem Fax kam lautlos eine Mitteilung nach der anderen. Die Bürotür stand weit offen. Molly nahm die Atmosphäre nur am Rande wahr. Alles, was ihr deutlich bewusst wurde, war Flynn.

Sie war nicht klein geraten, aber er überragte sie um mindestens fünfzehn Zentimeter. Seine Augen strahlten in intensivem Blau, seine Schultern waren breit und muskulös, und sein dichtes, widerspenstiges Haar war rotblond. Es widerstand jedem Kamm und jeder Bürste. Seine Kleidung spottete jeder Beschreibung. Er trug alte, abgetragene Jeans sowie ein langärmliges schwarzes T-Shirt mit rundem Halsausschnitt. Obwohl Flynn in Geld schwamm, gab er keinen Dollar zu viel für ordentliche Kleidung aus. Er hielt sich an keine Konvention. An fast keine.

Er hatte sich vor Molly aufgebaut und rührte sich nicht. Egal, wie unkonventionell er war – eine bestimmte Grenze überschritt er nie. Einmal hatte Molly in gespieltem Vorwurf das Thema sexuelle Belästigung aufgebracht. Flynn war in Sekundenschnelle nüchtern geworden und hatte sich lange mit ihr darüber unterhalten. Sie versuchte, ihm klar zu machen, dass er Macht besaß, dass er der Chef war. Er verstand ihre Argumente nicht. Seiner Meinung nach war er nur aus Versehen Inhaber einer Firma. Er behandelte die Mitarbeiter als gleichrangig. Sie waren ein Team, und jede Stimme hatte das gleiche Gewicht. Sein Führungsstil hielt sich an keine Regeln, aber Molly war klar, dass sie sich von ihm noch nie belästigt gefühlt hatte.

Der erste Kuss war auch nicht auf sein Konto gegangen. Sie hatte ihn förmlich dazu eingeladen.

Flynn wartete. Molly blickte in seine strahlenden Augen und spürte das erotische Knistern, das zwischen ihr und Flynn von Anfang an geherrscht hatte, mit nie gekannter Intensität.

Sie dachte daran, dass er sich selbst einmal als eher durchschnittlichen Typ bezeichnet hatte.

Vielleicht glaubte er es wirklich. Immerhin spiegelte seine Kleidung wider, wie wenig er auf seine äußere Erscheinung achtete. Auch das ausgeprägte Kinn, die nicht ganz gerade Nase und sein kräftiger Knochenbau konnten keinen Anspruch auf klassische Schönheit erheben. Trotzdem wirkte Flynn auf sie so sexy wie noch kein Mann zuvor. Mit den Augen schien er eine Frau zu liebkosen, noch ehe er sie überhaupt berührt hatte, und sein Mund war eine einzige Versuchung. Er strahlte ungebrochene Männlichkeit aus und schien es sogar zu genießen, dass andere Menschen ihn als gefährlich einstuften. Keine Frau konnte sich seiner starken Sinnlichkeit entziehen. Molly hatte es selbst vergeblich versucht.

„Sie lassen mich warten, Miss Weston“, murmelte er.

„Ja.“

„Überlegen Sie gerade, ob Sie mich küssen oder mir lieber den versprochenen Kinnhaken verabreichen sollen?“

„Ja.“

„Erfahre ich das Ergebnis noch vor November?“

Vielleicht brauche ich noch viel länger, dachte Molly verzweifelt. Sie wusste genau, wie sie sich hätte entscheiden müssen, aber so einfach war es nicht. Wenn ihr jemand vor sechs Monaten erzählte hätte, sie würde sich in einen Mann wie Flynn verlieben, hätte sie sich nur mitleidig an die Stirn getippt.

Egal, ob Flynn wütend war oder lachte – er tat es in voller Lautstärke. Er arbeitete Tag und Nacht, schüchterte sowohl Fremde als auch Kunden mit seiner lauten Stimme und seinen plötzlichen Stimmungsschwankungen ein – und fragte sich dann, warum sich alle vor ihm fürchteten.

Molly fürchtete sich aus einem ganz anderen Grund. Flynn war zu sexy. Zu wild. Zu unabhängig. Sie sehnte sich nach einem Ehemann, nach Kindern. Eine Affäre mit einem Mann, der das Wort ‚Ehering‘ aus seinem Vokabular gestrichen hatte, kam nicht in Frage. Flynn liebte das Risiko. Sie hasste es. Er ging jeden Tag an, als wäre er ein neues Abenteuer. Molly machte lieber Listen.

Es würde Ärger mit sich bringen, wenn sie ihn küsste. Molly, die sich selbst als praktisch veranlagt und hoffnungslos solide bezeichnete, nahm an, dass sie genügend Verstand besaß, um Nein zu sagen.

Aber Flynn führte sie in Versuchung wie kein Mann zuvor, und Molly begann sich zu fragen, ob sie es nicht ihr Leben lang bereuen würde, wenn sie ihm eine Liebesnacht abschlug. Woran lag das? An seinen Augen? An der knisternden Spannung zwischen ihnen? An seiner Lebensfreude?

Plötzlich drangen aus dem Vorzimmer laute Geräusche. Eine Tür wurde zugeknallt. Leute redeten aufgeregt durcheinander. Hektik und Chaos waren keine Unbekannten in diesem Unternehmen. Dennoch hörte sich das, was da draußen stattfand, ungewöhnlich an. Noch immer konnte Molly den Blick nicht von Flynn abwenden.

Er begehrte sie. Vielleicht war sie wirklich nur eine von vielen – aber das Gefühl, so sehr begehrt zu werden, war neu für sie. Die meisten Männer fanden Molly zwar attraktiv, jedoch auf eine grundsolide, brave Art und Weise. Sie galt als nett. Vermutlich würde das Wort einst auch auf ihrem Grabstein stehen.

Flynn jedoch blickte sie an, als wäre sie die aufregendste Frau, die ihm je begegnet war.

Sie wehrte sich seit Monaten dagegen, sich in ihn zu verlieben. Vielleicht war dieses Knistern zwischen ihnen ganz normal.

Ihre Hand näherte sich seinen Schultern.

Flynn sah ihr in die Augen. Sein Lächeln wich einem ernsten Ausdruck, als sein Blick langsam zu ihren Lippen wanderte.

Sie ahnte, dass dieser Kuss anders sein würde als jene zuvor. Nach diesem Kuss würde es kein Zurück mehr geben. Mit klopfendem Herzen ließ sie ihre Hand weiterwandern, bis ihre Finger nur noch Zentimeter von seinem Nacken entfernt waren.

In diesem Moment hörte sie ein Baby schreien.

Erschrocken fuhr Molly zurück, als eine Frau in Flynns Arbeitszimmer stürmte. Auf dem Arm trug sie ein etwa ein Jahr altes Kind, das sich heftig wehrte und durchdringend schrie. Die Frau wirkte gestresst und bemühte sich, weder das Kind noch ihre Taschen fallen zu lassen.

„Es ist unglaublich, Flynn“, fauchte sie. „Man wollte mich nicht zu dir lassen. Irgendein Verrückter im Bademantel versuchte, mich daran zu hindern.“

Molly erstarrte. Flynn fuhr herum. Bailey erschien aufgebracht in der Tür. Sein Gesicht war hochrot vor Aufregung – und er trug tatsächlich einen Bademantel über seiner Kleidung. Bailey war einer von Flynns hochkreativen Mitarbeitern. Er war lieb und ein bisschen merkwürdig. Wenn er fühlte, dass die Inspiration über ihn kam, trug er seinen Bademantel. Niemand störte sich daran, nicht einmal Molly. Bailey hatte nie mit Kunden zu tun, denn er wurde in Gesellschaft von Fremden nervös und stotterte entsetzlich. Auch jetzt stammelte er eine Erklärung, warum es ihm nicht gelungen war, die Frau aufzuhalten.

Die Frau ließ eine Packung Babywindeln auf den Boden fallen. Dann setzte sie das Kind mit einem entnervten Seufzer ebenfalls ab. Augenblicklich hörte das Baby auf zu schreien und krabbelte davon.

„Was zum Teufel …“ Flynn zog mit einem Ruck die Jalousien auf. Helles Sonnenlicht durchflutete das Zimmer. Dann musterte er neugierig die junge Frau, die bei ihm eingedrungen war.

Langes blondes Haar fiel ihr bis über die Schultern. Der rote Pullover brachte ihre wohlgeformten Brüste bestens zur Geltung. Die langen schlanken Beine steckten in hautengen Jeans. Das Gesicht wäre bildschön gewesen, hätten nicht dunkle Schatten die Augen umrahmt, wären die Mundwinkel nicht zornig und frustriert herabgezogen gewesen.

„Spar dir das, Flynn McGannon. Und bilde dir nicht ein, dass du mich verleugnen kannst“, sagte die Frau mit schriller Stimme.

„Würde ich nicht, wenn ich nur halbwegs wüsste …“

„Virginie“, fauchte sie. „Tuscon. Die Kneipe hieß The Silver Buckle. Zähl seit unserer Begegnung dreizehn Monate dazu – so alt ist nämlich dein Sohn – und die neun Monate Schwangerschaft, dann erinnerst du dich vielleicht an jene Nacht. Ich war in Begleitung. Du auch. Aber wir beide landeten in meinem Bett. Ich erinnere mich an den Whisky, den du getrunken hast. Und leider auch an mehr. Zugegeben, du warst ein grandioser Liebhaber. Aber du warst den Preis nicht wert, den du mich gekostet hast.“

„Mein Sohn?“, wiederholte Flynn entgeistert. Dann schüttelte er den Kopf. „Unmöglich. Du hast gesagt, du nimmst die Pille.“

„Aha! Der Herr erinnert sich also. Ja, ich habe die Pille genommen. Und zwischendurch auch manchmal vergessen. Jetzt erzähl mir bloß nicht, es wäre alles meine Schuld. Das ist mir egal. Du bist genauso verantwortlich für das Kind.“

„Beruhige dich doch erst einmal. Du kannst nicht erwarten, dass ich so einer aus der Luft gegriffenen Behauptung Glauben schenke.“

Virginie hörte ihm überhaupt nicht zu. „Dein Sohn heißt Dylan. Und er gehört dir. Ab sofort. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich durchgemacht habe. Mein Leben ist seit dem Tag der Zeugung ein Albtraum gewesen. Ich wurde krank und verlor meinen Job. Das Kind hatte Bauchschmerzen. Er schläft nicht. Man hat meinen Mietvertrag gekündigt. Ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht einmal, wie ich ihn ernähren soll …“

„Warte eine Minute. Warte!“

„Ich werde nicht warten. Und wage es nicht, mir Geld anzubieten. Hier geht es nicht um Geld. Ich bin am Anfang davon ausgegangen, dass du kein Interesse daran hast, Vater zu sein. Aber du hast halt Pech. Nicht jede Frau ist für die Mutterrolle geschaffen. Ich hab’s versucht. Wirklich. Aber es funktioniert nicht. Ich kann nicht mehr. Du bist verantwortlich für meine Misere. Ich habe ewig gebraucht, dich zu finden …“

Molly hatte Flynn noch nie so blass gesehen. Normalerweise wurde er laut, wenn ihm etwas nicht passte. Nun fuhr er sich mit der Hand durchs Haar und sagte gefährlich leise: „Du musst doch begreifen, dass es so nicht geht. Du kannst nicht einfach hier hereinplatzen und behaupten, das Kind sei von mir. Ich verstehe, dass du gestresst bist, aber es wäre besser, du würdest dich erst einmal beruhigen und …“

„Ich denke gar nicht daran. Ich verschwinde jetzt. Dein Sohn bleibt hier.“

„Er ist nicht mein Sohn“, rief Flynn drohend.

„Oh doch. Ich bin mir ganz sicher. Wenn du dir die Mühe machst nachzudenken, wirst du ebenfalls sicher sein. Falls nicht, lass einen Test machen. Davor fürchte ich mich nicht.“ Sie griff nach ihrer Handtasche, nahm eine Mappe heraus und warf sie auf den Schreibtisch. Ihr entquollen Fotos und Dokumente, vielleicht Arztberichte und die Geburtsurkunde. „Ich brauche einen Job. Eine Wohnung. Eine Chance, noch einmal von vorn anzufangen. In meinem Leben ist kein Platz für ein Kind. Das ist ab heute dein Problem.“

Sie drehte sich auf dem Absatz um, doch Flynn lief ihr nach. „Warte. Um Himmels willen, warte! Du kannst nicht einfach davonlaufen.“

„Das glaubst nur du.“

Molly gelang es nicht, sich aus ihrer Erstarrung zu lösen. Die ganze Szene war so unwirklich. Der Wortwechsel zwischen der hysterischen Frau und Flynn konnte höchstens fünf Minuten gedauert haben. Virginie stürmte hinaus.

Flynn rannte ihr hinterher. Sein Gesicht war aschfahl. Molly konnte seinen donnernden Bass aus dem Flur hören, dann weiter entfernt vom Eingang her.

Nach einem Moment kam wieder Leben in Molly, denn sie erinnerte sich daran, dass Virginie etwas hier gelassen hatte.

Als sie das Baby das letzte Mal gesehen hatte, war es auf allen vieren durchs Zimmer gekrabbelt. Seine Geschwindigkeit war enorm gewesen.

Im Augenblick war das Kind allerdings nirgendwo zu entdecken.

Und niemand schien sich auch nur im Geringsten dafür zu interessieren.

2. KAPITEL

Molly begab sich auf die Suche nach dem Baby.

Sie war nicht allzu besorgt, denn wenn dem Kleinen irgendetwas zugestoßen wäre, hätte er geschrien. Außerdem befanden sich schließlich noch andere Erwachsene hier. Trotzdem wollte sie das Kind finden, denn in den Büros lauerten eine Menge Gefahren auf so ein winziges Wesen.

Direkt im Anschluss an Flynns Arbeitszimmer befand sich ein riesiger, runder Raum, der „Kreativ-Center“ genannt wurde. Hier fanden die Meetings statt. Ursprünglich hatte der Architekt auf dieser Etage ganz normale Büros mit Wänden und Türen geplant, doch Flynn hatte eine ganz eigene Vorstellung von einer inspirierenden Arbeitsumgebung.

Gleich nebenan befand sich ein Bereich, in dem die „virtuelle Realität“ geprobt wurde. Molly spähte hinein, konnte aber kein windelbepacktes Etwas entdecken. Inmitten des „Kreativ-Center“ stand ein Tisch von enormen Ausmaßen. Drum herum luden bequeme Sessel zum Verweilen ein, die sich zu Liegen nach hinten kippen ließen. Am Anfang hatte Molly das Ganze absurd gefunden, aber mittlerweile hatte sie sich sowohl an das verrückte Ambiente als auch an die nicht weniger verrückten Kollegen gewöhnt.

Sie umrundete den Tisch und beugte sich nieder, um zwischen Tisch- und Stuhlbeinen vielleicht das Kind aufzuspüren. Ohne Erfolg.

Während ihrer Suche dachte sie immer wieder an die bizarre Szene mit Dylans Mutter. Und an die Umarmung, die kurz zuvor – beinahe – in Flynns Büro stattgefunden hatte.

Sie ging im Laufschritt hinüber zu den Aufenthaltsräumen. Umarmung war keineswegs das passende Wort für das, was zwischen ihr und Flynn hätte geschehen können. Sie hatte sich danach gesehnt, ihn zu lieben. Leidenschaftlich. Hier und jetzt.

Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf. War das Baby tatsächlich sein Sohn? Hatte Flynn tatsächlich mit dieser Frau geschlafen, ohne dass sie ihm etwas bedeutete?

Molly war so sicher gewesen, Flynn zu kennen. Er war impulsiv und unberechenbar. Doch das machte einen Teil seines Charmes aus. Aber es irritierte sie auch immer wieder. Allerdings hatte sie felsenfest daran geglaubt, dass er niemals etwas Verantwortungsloses tun würde. Und nun …

Sie schaltete das Licht im Badezimmer ein und spähte umher. Kein Kind in Sicht. Sie schloss die Tür und betrat den ersten Aufenthaltsraum. Da sich außer ihr niemand in diesem Unternehmen an normale Arbeitszeiten hielt, war das abgelegene Zimmer mit Sofas, einer Stereoanlage und einem Fernseher ausgestattet. Man konnte zu jeder Tages- oder Nachtzeit hier auf irgendeinen Mitarbeiter treffen, doch heute war der Raum leer.

Hat Flynn wirklich eine Nacht mit einer wildfremden Frau verbracht? fragte sie sich verzweifelt. Sex als Zeitvertreib? Ist das alles, was ihm wichtig ist?

Molly wusste, dass ihre Prinzipien vielleicht etwas zu streng waren. Schon ihr Vater hatte sie immer damit aufgezogen. Aber sie konnte nichts dafür, dass sie sich jetzt elend fühlte. Jedes Mal, wenn Flynn versucht hatte, sie spielerisch zu verführen, hatte sie geglaubt, dass sie für ihn etwas Besonderes sei. Dass sich zwischen ihnen etwas Einmaliges entwickelte.

Vergiss es, dachte sie ernüchtert. Kümmere dich lieber um das Kind.

Sie eilte hinüber in den zweiten Aufenthaltsraum. Dort begegnete sie Simone Akumi, der Chefprogrammiererin des Unternehmens. Sie war eins achtzig groß, von dunkler Hautfarbe und wirkte überaus ernst und hoheitsvoll. Molly wusste, dass Simones IQ höher war als alles, was man messen konnte, doch es war nicht ganz einfach, mit ihr zu kommunizieren. Normalerweise trug sie ein langes, afrikanisches Gewand und einen Kopfhörer auf dem ergrauten Haar. Der Kopfhörer signalisierte, dass sie arbeitete, und nur ein Lebensmüder hätte sie dann gestört. Molly blickte sich im Zimmer um, ehe sie sich bemühte, Simones Aufmerksamkeit zu erregen.

Durch eine Glastür gelangte man in einen Wintergarten, und von dort in den Garten. Flynn konnte es durchaus einfallen, Meetings dort auf dem Rasen abzuhalten. An diesem frischen Oktobertag waren die Türen glücklicherweise geschlossen, sodass der kleine Dylan nicht in diese Richtung entwischt sein konnte. Im Aufenthaltsraum selbst gab es einen riesigen Kühlschrank sowie drei gleichzeitig blubbernde Kaffeemaschinen. Jeder hier hütete seine spezielle Kaffeemarke eifersüchtig. Simone goss sich gerade eine Tasse ein, als Molly ihr hastig bedeutete, einen Kopfhörer abzunehmen.

„Haben Sie das Kind irgendwo gesehen?“, erkundigte sich Molly.

„Falls Sie dieses Bündel Dynamit auf allen Vieren meinen … Himmel, ist Flynn wirklich der Vater?“ Anscheinend fühlte sich Simone ausnahmsweise nicht gestört.

Molly hatte jedoch keine Zeit für ein Schwätzchen. „Keine Ahnung. Das Baby ist verschwunden, während alle durcheinander redeten.“

„Zuletzt habe ich gesehen, dass es Bailey hinterher krabbelte. Armes Ding. Natürlich ist es zu jung, um Menschen beurteilen zu können. Bailey wirkte höchst verstört.“ Simone setzte ihre Kopfhörer wieder auf. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie bereits wieder mit ihrer Arbeit beschäftigt war.

Molly rannte in den Programmierraum, den sich die Mitarbeiter teilten. Bisher hatte sie sich noch keine großen Sorgen um das Baby gemacht, aber nun … Bailey war mindestens doppelt so zerstreut wie Simone. Und die vielen Kabel, Computer, Drucker und Modems waren nicht das geeignete Spielzeug für so ein kleines Kind.

Zuerst kam sie bei Ralph vorbei, der auf seinem orangefarbenen Sessel thronte und simultan auf zwei Computertastaturen einhämmerte. Ralph war vierundzwanzig Jahre alt. Wie üblich hatte er weder Schuhe noch Socken an. Sein kariertes Hemd war bis zum Hals zugeknöpft, und sein blondes Haar trug er in einem langen, dünnen Pferdeschwanz.

Sie bahnte sich einen Weg, vorbei an den Arbeitsbereichen von Simone und Darren – der heute zu Hause arbeitete – und bog um die Ecke, hinter der Bailey hauste. Molly blieb wie angewurzelt stehen.

Die Suche war beendet.

Bailey kroch vor seinem Schreibtisch herum. Seine Glatze schimmerte im Neonlicht. Er mochte einen Bademantel über seinem Nadelstreifenhemd tragen, doch Bailey war auf seine Weise genial. Mit Menschen hatte er nicht gern zu tun, aber wenn es galt, ein scheinbar unlösbares Problem zu knacken, war er der Richtige. Hinter Bailey entdeckte Molly das Kind. Eine Menge Papierknäuel verrieten ihr, dass die beiden wohl Ball gespielt haben mussten.

„Bailey, um Himmels willen“, begann sie. „Ich habe das Kind überall gesucht.“

„Puh.“ Bailey richtete sich auf. „War aber auch Zeit, dass jemand mich erlöst. Beinahe hätte ich einen Herzanfall erlitten. Es krabbelte hinter mir her und schrie so laut, dass mir fast das Trommelfell platzte. Woher soll ich wissen, was ein Kind damit sagen will? Ich hatte noch nie eins. Flynn rannte dieser Frau hinterher, und Sie waren unauffindbar, und dann wusste ich nicht, was ich tun sollte …“

„Ich weiß genauso wenig über Kinder wie Sie, Bailey“, gab Molly zurück. „Aber warum haben Sie zugelassen, dass es Papier isst?“

„Zugelassen? Als ob ich eine andere Wahl gehabt hätte! Es war das Erste, was das Baby tat. Probieren Sie doch, es ihm wegzunehmen. Sie werden schon sehen, was Sie davon haben.“

„Er schreit wohl?“

„Das Kind hat das Lungenvolumen einer Hyäne.“

Molly kniete sich neben das Kind. Der Kleine kaute mit vollem Mund auf zerknülltem Papier und war dabei, noch mehr hinterher zu stopfen. Ihre erste Aufgabe musste wohl oder übel sein, ihm dieses Spielzeug wegzunehmen. Seufzend betrachtete sie den Jungen zum ersten Mal genauer.

Er war knuddelig wie alle Babys und hatte ein eigenwilliges kleines Gesicht. Sicher kein Anwärter auf einen Kindernahrungs-Werbevertrag. Doch etwas anderes beschleunigte Mollys Puls.

Das Kind besaß einen wilden Schopf rotblonder Haare. Genau wie Flynn. Und wenn es auch keine Schönheit war – diese blauen Augen blitzten voller Lebensfreude, bereit zu jedem Unfug.

Molly fragte sich, ob Virginie nicht doch die Wahrheit gesagt hatte. Es tat weh, aber zwischen Flynn und dem kleinen Dylan bestand durchaus Ähnlichkeit.

Das Baby blickte aus großen Augen zu ihr auf.

„Hi, Sweetie“, nahm Molly Kontakt auf.

„Werden Sie ihn mitnehmen?“, wollte Bailey wissen.

„Wenn er zulässt, dass ich ihn auf den Arm nehme. Aber ich muss langsam und vorsichtig handeln, damit ich ihn nicht erschrecke. Schließlich bin ich ihm fremd. Oder, Kleiner?“, wandte sie sich an Dylan. Sie lächelte ihn an. Das Baby lächelte zurück und zeigte zwei weiße Zähnchen. Und dahinter sah Molly das durchgekaute Papier. „Meinst du, ich darf das Papier da rausholen?“, sagte Molly schmeichelnd.

Dylan schloss den Mund energisch.

„Schon gut. Wir vergessen das Papier erst mal für eine Weile. Kommst du mit mir in mein Zimmer? Das ist der einzige normale Raum hier in diesem Irrenhaus. Vielleicht finde ich auch ein paar Kekse für dich. Geht Dylan mit Molly?“

„Dylan geht mit Molly“, echote Bailey ungeduldig.

Dylan gönnte den beiden Erwachsenen ein Grinsen, drehte sich um und verschwand mit ungeahnter Schnelligkeit in der entgegengesetzten Richtung.

Molly kam es in den Sinn, dass sie nur ein einziges männliches Wesen kannte, das ähnlich widerspenstig war. Dann beeilte sie sich, den kleinen Rotschopf einzuholen.

Bereits nach weniger als einer halben Stunde hörte Molly ein Klopfen an der Tür. Sie saß an ihrem Schreibtisch und blickte auf, als Flynn eintrat.

„Simone sagte, dass das Kind bei Ihnen ist.“

„Stimmt.“ Gerade eben noch war ihr das Büro wie ein ruhiger, aufgeräumter Ort erschienen, doch das änderte sich mit Flynns Erscheinen schlagartig. Mollys Büro war das einzige, das halbwegs normalen Standards entsprach. Es gab Aktenschränke, und die Ordner darin waren mit Farben markiert und akkurat beschriftet. Auf dem Schreibtisch standen gleichmäßig gespitzte Bleistifte in einem Behälter, den ein Bild von Monet zierte. Fotos ihrer Eltern und ihrer zwei jüngeren Schwestern befanden sich auf einem halbhohen Schrank.

Flynn jedoch brachte es fertig, durch seine bloße Anwesenheit Chaos zu schaffen. Das erotische Knistern zwischen ihm und Molly stellte sich sofort ein. Im einen Moment war sie eine zuverlässige, konservative Buchhalterin, im nächsten wurde sie sich ihrer Brüste, ihrer Hüften nur zu sehr bewusst, fragte sich, ob ihr Haar vielleicht zerzaust aussah und ob sie Flynn gefallen würde, wenn sie nackt war.

Jetzt allerdings schien er derjenige zu sein, der aufgewühlt war. „Sie ist weg“, sagte er. „Ich kann es immer noch nicht glauben. Sie wollte nicht ein einziges meiner Argumente gelten lassen, sondern verschwand. Einfach so.“ Nervös schritt er in Mollys Büro auf und ab.

„Das habe ich befürchtet“, erwiderte Molly. „Als sie aus Ihrem Büro stürmte, schien sie überhaupt nichts wahrzunehmen. Aber ich bin sicher, dass sie zurückkommt. Sie war am Ende ihrer Nerven. Keine Mutter verlässt ihr Kind auf diese Weise für immer.“

„Das vermute ich auch. Allerdings habe ich nicht die geringste Ahnung, was ich in der Zwischenzeit tun soll. Ich fühle mich, als hätte jemand eine Bombe in mein Büro geworfen. Was passiert, wenn das Kind krank wird? Wer trägt die Verantwortung? Ich weiß nicht einmal, ob ich das Sorgerecht überhaupt beantragen darf. Meine Güte, ich glaube ja nicht einmal, dass das Kind von mir ist.“

Molly bemerkte, dass er dem Kind während der ganzen Zeit nicht einen einzigen Blick schenkte. Sie hatte die Tasche mit der Babywäsche und eine Decke aus einem der Aufenthaltsräume in ihr Büro gebracht. Dazu ein paar Kekse und eine Tasse Milch. Die Kekse halfen dabei, Dylan das Papier wieder wegzunehmen. Einige Minuten lang war der Kleine in ihrem Büro auf Erkundungstour gegangen – dann rollte er sich auf der Decke zusammen und schlief ein.

Sie wollte Flynn dazu bringen, das Kind zumindest wahrzunehmen. Obwohl er im Zimmer auf und ab ging, vermied er es, in die Nähe der Decke zu gelangen.

„Anscheinend gibt es ein paar Dinge, die ich unbedingt tun muss“, sagte er. „Zum Beispiel einen Anwalt anrufen. Und ich muss einen brauchbaren Kinderarzt auftreiben. Wahrscheinlich sollte ich auch meinen Hausarzt anrufen, um … Zum Teufel, ich weiß noch nicht einmal, welche Tests nötig sind, um eine Vaterschaft nachzuweisen.“

„Flynn?“

„Was gibt es?“

„Ich finde, dass Sie all diese Dinge tun sollten“, sagte Molly ruhig. „Aber es gibt noch etwas Wichtigeres.“

„Und das wäre?“

„Das Kind, McGannon. Es braucht zu essen. Es braucht frische Windeln. Hier in der Tasche sind nicht genügend. Außerdem braucht es eine Wiege oder ein Bettchen. In der Tasche ist auch Babykleidung, aber die reicht höchstens ein paar Tage.“

„Molly …“ Flynn ließ sich in den Sessel auf der anderen Seite des Schreibtischs fallen und sah Molly direkt in die Augen. „Ich bin dazu nicht in der Lage. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie für ein Kind gesorgt. Was ich kaufen muss, wie ich es ernähren soll, weiß ich einfach nicht.“

„Ich ebenfalls nicht. Und ich sage Nein, Flynn.“

„Nein? Ich habe Sie doch gar nichts gefragt.“

„Wollten Sie aber. Ich habe mich um das Kind gekümmert, weil irgendjemand es tun musste. Dass ich eine Frau bin, bedeutet nicht, dass ich Ahnung von Kindern hätte. Ich weiß nicht mehr als Sie.“

„Sie müssen mehr wissen“, beharrte Flynn. „Jeder weiß mehr als ich über Babys. Auf meinem Schreibtisch stapelt sich die Arbeit. Ein Projekt ist erst halb fertig. Das Telefon klingelt unaufhörlich. Man kann kein Unternehmen führen und gleichzeitig für ein Kind sorgen.“

„Flynn“, sagte Molly freundlich, aber fest. „Schauen Sie ihn an.“

Doch Flynn tat es nicht. Stattdessen ließ er seine Augen auf Molly ruhen. Wie immer konnte sie sich der Magie seines Blickes nicht entziehen. Diesmal jedoch berührte sie noch etwas anderes darin. Er wirkte verstört und fast furchtsam. „Ich weiß, dass das Ganze nichts mit Ihnen zu tun hat, Molly“, lenkte Flynn ein. „Aber ich kenne niemanden, an den ich mich sonst um Hilfe wenden könnte. Und ich brauche Hilfe, bis klar ist, was aus dem Kleinen werden soll.“

Molly seufzte. „Na schön. Im Moment schläft er glücklicherweise. Und ich verstehe, dass Sie erst mal telefonieren müssen. Er kann solange hier bleiben.“

Flynn rührte sich nicht vom Fleck und sah Molly weiterhin Hilfe suchend an.

„In Ordnung, in Ordnung.“ Molly hob besiegt beide Hände. „Danach gehe ich mit Ihnen Babysachen einkaufen. So etwas schafft man nicht allein, solange man sich gleichzeitig noch um ein Kind kümmern muss. Aber ich warne Sie. Mein Rat ist mehr oder weniger wertlos. Wir können lediglich mit etwas Verstand das Richtige auswählen.“

So, jetzt hast du, was du wolltest, dachte Molly grimmig. Doch Flynn schien immer noch nicht zufrieden zu sein.

„Sie sind mir böse“, sagte er mit leiser Stimme. „Sie schauen mich anders an, reden anders mit mir. Diese Frau macht Ihnen zu schaffen.“

„Vielleicht sollten Sie ‚diese Frau‘ besser Virginie nennen“, gab Molly zurück. „Falls Sie die Mutter Ihres Kindes ist, sollten Sie sich an ihren Namen erinnern.“

„Ich bin nicht der Vater.“

„Schauen Sie das Baby an“, wiederholte sie.

Aber auch jetzt gönnte Flynn dem Baby keinen Blick. „Egal, was sie auch sagte, und egal, was Sie denken – ich habe nie im Leben verantwortungslos gehandelt, wenn ich mit einer Frau zusammen war. Es gibt Gründe für mein Singledasein, Gründe, warum ich keine Kinder will. Ich bin kein Heiliger, Molly, aber ich habe nie wissentlich riskiert, ein Kind zu zeugen. Bitte, glauben Sie mir.“

Molly spielte unruhig mit einem Bleistift. „Sie hat sehr deutlich gemacht, dass sie die Pille vergessen hatte …“

„Stimmt. Das hat nichts damit zu tun. Sie müssen mir glauben, Molly.“

„McGannon …“ Molly war unsicher. „Es hat keinen Sinn, jetzt darüber zu reden. Ich habe keine Ahnung, wie lange ein Baby schläft, aber eines weiß ich: Jede Minute ist kostbar. Kümmern Sie sich um die Dinge, die Sie erledigen wollten.“

Er setzte an, um zu widersprechen, unterließ es jedoch dann und verließ Mollys Büro. Sie presste die Handflächen gegen ihre schmerzenden Schläfen und warf gleichzeitig einen Blick auf das schlafende Kind.

Sie überlegte fieberhaft. Sicher, jeder Mann wäre geschockt, wenn er aus heiterem Himmel Vater eines dreizehn Monate alten Kindes würde. Doch Flynn war nicht nur geschockt. Er schien am Boden zerstört. Molly hatte heute zum ersten Mal erfahren, dass er absolut keine Kinder wollte. Was steckte dahinter? Es musste eine äußerst schmerzhafte Erfahrung gewesen sein. Sie wünschte, sie wüsste mehr darüber, aber Flynn, obwohl Meister im Flirten, enthüllte nie etwas über sein Innenleben. Bis heute.

Molly wurde sich darüber klar, dass auch ihre eigene Welt ins Wanken geraten war. Sie musste sich eingestehen, dass sie sich hoffnungslos in Flynn verliebt hatte. Aber konnte sie tatsächlich einen Mann lieben, der keine Kinder wollte? Den das kleine, unschuldige Wesen auf jener Decke dort völlig kalt ließ?

Was wusste sie überhaupt über Flynn? Dass er sexy war. Dass er impulsiv und charmant war. Dass er mit Virginie eine folgenschwere Nacht verbracht hatte. Vielleicht hatte er seinen Charme, mit dem er Molly um den Finger wickelte, an Dutzenden von Frauen auf die gleiche Weise erprobt? Für sie wäre eine Liebesnacht mit Flynn der Himmel auf Erden gewesen. Und für ihn? Ein Wort mit drei Buchstaben?

Und hier, auf der Decke, lag ein Baby, das anscheinend niemand wollte, das von niemandem geliebt wurde.

Molly wusste, dass sie nur zu leicht in die Rolle des Kindermädchens rutschen konnte. Trotzdem – Flynn benötigte Hilfe. Aber besaß er nicht Angehörige, die diesen Job übernehmen konnten? Oder Freunde. Irgendjemanden. Jedenfalls nicht sie, Molly.

Ihr Herz wurde weit, als sie den kleinen Dylan schlafen sah.

Was sie tat, würde um des Kindes willen geschehen und hatte nichts, absolut nichts mit Flynn zu tun.

3. KAPITEL

„Flynn, auf dieser Windelpackung hier steht: für Neugeborene“, sagte Molly. „Der Kleine braucht eine andere Größe.“

„Heißt das, Windeln gibt es in verschiedenen Größen? Ach du meine Güte.“ Er sah sich um und betrachtete einen anderen Stapel Packungen. „Windeln für Kleinkinder?“

„Könnte stimmen.“

„Gut.“ Er häufte sämtliche vorhandenen Windelpackungen auf den Einkaufswagen.

Molly kicherte. „Sie haben den ganzen Bestand leer geräumt, McGannon. Glauben Sie wirklich, der Kleine braucht diese Menge?“

„Soweit ich es beurteilen kann, hat das Kind irgendwo ein Leck. Man füllt oben etwas hinein, und dreißig Sekunden später kommt es unten wieder heraus. Ich riskiere nicht, dass mir mitten in der Nacht die Windeln ausgehen. Was steht als Nächstes auf Ihrer Liste?“

„Babynahrung.“ Molly hatte natürlich eine ordentliche Aufstellung aller Sachen angefertigt, die für das Kind benötigt wurden. „Ich bin nicht ganz sicher, was Sie brauchen. Milch und Haferflocken wahrscheinlich. Aber er hat nur zwei Zähnchen. Daher sollten wir Dinge kaufen, die er nicht kauen muss.“

„Marshmallows“, schlug Flynn vor.

„Ich dachte eher an etwas Nahrhaftes“, gab sie zurück.

„Klar. Aber Marshmallows sind lebenswichtig. Was ist mit Kakao? Kinder mögen doch Kakao, oder?“

„Darf ich was vorschlagen? Sie machen die Abteilung mit der Babynahrung ausfindig, und ich suche dann das Passende aus. Übrigens sollten Sie dem Kind die Autoschlüssel aus dem Mund nehmen, Flynn.“

„Das kann nicht Ihr Ernst sein. Haben Sie ihn nicht schreien hören, als wir den Supermarkt betraten? Er brüllte wie am Spieß, bis ich ihm die Schlüssel gab.“

„Wahrscheinlich wollte er uns nur mitteilen, dass er sich langweilt. Außerdem glaube ich, dass Dylan seine Stimme von seinem Vater geerbt hat, aber lassen wir dieses Thema. Ihre Autoschlüssel sind kein Spielzeug für ein Kleinkind. Sie sind unsauber.“

„Unsauber? Spielt das bei diesem Kind eine Rolle? Er isst Papier und Teppichfransen.“

„Vielleicht hat er Hunger? Wir sind noch lange nicht fertig mit Einkaufen. Verflixt, beinahe hätte ich den Kindersitz vergessen. Dabei ist der gesetzlich vorgeschrieben.“

„Mol?“

„Hm?“

„Danke“, sagte Flynn leise. „Dafür, dass Sie mitkamen. Ich weiß, ich versuche, das alles ins Lächerliche zu ziehen, aber glauben Sie mir – ich bin Ihnen wirklich äußerst dankbar für Ihre Hilfe.“

Sekundenlang hatte er das Gefühl, dass ihre kühle Reserviertheit wich.

„Warten Sie lieber ab, bis wir fertig sind, ehe Sie mir danken“, warnte ihn Molly. „Wenn Sie den Scheck ausstellen, bekommen Sie wahrscheinlich einen Herzanfall.“ Jedenfalls waren am Ende ihres gemeinsamen Einkaufs nicht weniger als vier große Wagen gefüllt.

Natürlich hatte Flynn auch schon vorher Supermärkte von innen gesehen, aber mit einem Profi war er noch nie einkaufen gegangen. Molly raste durch die Gänge, lud Waren ein, strich sie aus ihrer Liste und redete zwischendurch freundlich auf das Baby ein, während sie gleichzeitig Preise verglich.

Die Rechnung versetzte Flynn zwar keinen Schlag, doch er geriet in Panik, als ihm einfiel, dass der Inhalt von vier Einkaufswagen wohl kaum in seinen Lotus passen würde.

Draußen war es dunkel geworden, und die Temperaturen sanken rapide. Der schwarze Lotus besaß nur einen winzigen Kofferraum. Mollys biederer, weißer Ford glänzte im Neonlicht. In ihm war theoretisch genug Platz …

Molly, deren Kostüm nur wenig Schutz gegen die Kälte bot, fröstelte und machte sich zielsicher daran, zuerst den Kindersitz und dann den kleinen Dylan in Flynns Lotus zu verstauen. „Ich fürchte, Kindersitze sind nicht für Sportwagen konzipiert, aber so müsste es gehen“, sagte sie schließlich und richtete sich auf.

Ihr zartes Gesicht schimmerte im Licht der Parkplatzbeleuchtung. Zum ersten Mal seit Beginn des Einkaufsmarathons blickte sie Flynn in die Augen, doch der Moment ging rasch, zu rasch vorüber. „Wie wir die ganzen Sachen zu Ihnen nach Hause transportieren ist ein ganz anderes Problem. Falls Sie keinen anderen Vorschlag machen, denke ich, es wäre das Beste, wenn wir das Zeug in mein Auto laden und ich hinter Ihnen herfahre.“

„Eigentlich möchte ich diesen Gefallen nicht auch noch von Ihnen erbitten“, log Flynn.

„Es geht nicht anders. Geben Sie mir vorsichtshalber Ihre Adresse, falls wir uns im Straßenverkehr aus den Augen verlieren sollten.“

Flynn bemühte sich während der ganzen Fahrt so sehr, Molly in Sichtweite zu halten, als sei er ein Kind, das sich fürchtet, allein gelassen zu werden. Er fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben von jemandem abhängig. Ein fremdes Gefühl. Schon als Kind hatte er gelernt, niemanden zu brauchen.

Heute Abend war alles anders. Sein Stolz war dahin, und er beobachtete ängstlich Mollys Scheinwerfer im Rückspiegel. Nach der Ausfahrt Westnedge wurde der Verkehr geringer, und während der letzten halben Meile war außer ihnen niemand mehr auf der Straße.

Während der ganzen Fahrt dachte Flynn über seine verworrene Situation nach. Seit Virginie heute Mittag in sein Büro geplatzt war, hatte es keinen normalen Moment mehr gegeben. Sicher, Flynn hatte nichts gegen Chaos einzuwenden – aber dieses Chaos musste bitteschön so funktionieren, wie er wollte.

Am Nachmittag hatte er einige Telefonanrufe erledigt. Sein Anwalt kümmerte sich um die Sorgerechtsprobleme, und sein Hausarzt hatte ihm einen Termin zur Blutuntersuchung gegeben. Außerdem hatte Flynn begonnen, mit sämtlichen Kinderärzten der Stadt zu telefonieren, um den besten zu finden.

Das Baby wuchs sich zu einem Riesenproblem für ihn aus. Und was Molly betraf, so war sie kaum weniger ein Problem. Ein halbes Jahr arbeiteten sie nun eng zusammen, doch Flynn war sich immer noch nicht sicher, was er eigentlich für sie empfand. Er wusste, dass sie keine Frau für eine Nacht war. Ein Flirt mit ihr konnte gefährlich werden. Trotzdem hatte er das Spiel gespielt – bis es fast zu spät war.

Er liebte das Risiko und empfand das Leben als aufregendes Abenteuer, das jeden Tag neu bestanden werden wollte. Flynn war offen für Neues, Unerwartetes, ja, er suchte geradezu danach.

Molly und er waren vom Temperament her völlig unterschiedlich. Doch sie hatte ihn bisher respektiert. Und sie mochte ihn, dessen war er sich sicher. Und dieses Gefühl für ihn ging weit über jene erotische Anziehung hinaus, die sie beide immer wieder an den Rand einer Affäre brachte.

Zumindest ehe Virginie aufgetaucht war.

Flynn bog auf seinen Zufahrtsweg ein. Als er den Motor abstellte, gab Dylan auf dem Beifahrersitz ein durchdringendes Quieken von sich. Flynn drehte sich um und erspähte erleichtert Molly, die hinter ihm einparkte.

Sie öffnete ihren Kofferraum von innen, stieg aus dem Wagen und gönnte Flynns Haus einen amüsierten Blick. „Ich hätte wetten können, dass das Haus Ihnen gehört, McGannon“, sagte sie und ging an ihm vorbei Richtung Dylan.

„Wieso?“

„Es ist ein Schloss.“

„Ein Schloss? Eigentlich ist es ziemlich klein …“

„Die Größe hat damit nichts zu tun. Nur ein kreativer Träumer wie Sie würde ein solches Haus bewohnen.“

„Sie mögen es also nicht?“ Flynn hatte sich schon viele Male vorgestellt, wie es sein würde, Molly hierher zu bringen.

„Oh, doch. Ich finde nur so lustig, wie gut es zu Ihnen passt. Im Übrigen ist Ihr zukünftiger Rockstar gerade dabei, den Verstärker aufzudrehen. Ich kümmere mich um Dylan. Wenn Sie so nett wären, die Haustür aufzuschließen und die Sachen aus dem Wagen zu laden.“

Während Molly das Baby aus dem Kindersitz befreite und Flynn die ersten Babysachen auslud, warf er einen Blick auf sein Haus. Nein, ein Schloss war es sicherlich nicht. Es war höchstens alt. Dass Molly ihn als Träumer bezeichnet hatte, ärgerte ihn. Er hatte sich spontan in das Haus verliebt, aber es hatte ihn viel Arbeit gekostet, den alten Kasten wiederherzurichten. Das Haus war aus Stein, besaß ein ziegelgedecktes Dach mit spitzem Giebel und altmodische Sprossenfenster, die im Mondlicht silbern glänzten.

Er öffnete die Doppeltüren und schaltete das Licht ein. Molly war dicht hinter ihm. Sie trug das Baby auf dem Arm.

„Vielleicht gefällt es Ihnen besser, wenn Sie es von drinnen sehen“, meinte Flynn. „Ich brauche Platz. In einem Apartment in der Stadt würde ich mich nicht wohl fühlen. Hinter dem Haus gibt es ein Wäldchen und einen Bach. Da ich oft zu Hause arbeite, habe ich ein paar Dinge umbauen lassen.“

„Das sieht man.“ Molly bemühte sich, den zappligen Dylan fest zu halten. „Ich wollte Sie nicht kritisieren, Flynn. Das Haus ist höchst romantisch. Ideal für einen unkonventionellen Träumer.“

„Ich bin nicht romantisch.“

„Oh. Tut mir leid. Habe ich einen Nerv getroffen? Ich werde so unanständige Worte in Zukunft nicht mehr benutzen. Könnten Sie bitte die Windeln zuerst bringen?“

Flynn tat wie gewünscht und begann danach, den Rest auszuladen. Zwischendurch warf er immer wieder einen Blick auf Molly, die das Baby wickelte und mit ihrer warmen, sexy Stimme auf den kleinen Dylan einredete.

Irgendwie hatte Flynn gehofft, sie würde sein Haus mögen. Er selbst liebte es über alles. Es bot jeglichen Komfort – zumindest für einen Single. Er hatte in den offenen Dachstuhl dicke Holzbalken eingezogen und ein Oberlicht installiert. Im Wohnzimmer standen zwei tannengrüne Sofas um den Kamin. Bilder und Nippes gab es nicht, dafür aber hochwertige Unterhaltungselektronik. Vor dem Kamin lag ein flauschiger weißer Wollteppich und lud zum Verweilen ein.

Molly würde grandios auf dem Teppich aussehen, überlegte Flynn, während er seine Jacke auszog. Nackt. Oder höchstens mit Strümpfen bekleidet.

Seine Fantasien wurden jäh unterbrochen, als Molly mit dem Kind auf dem Arm aus der Küche kam. „Haben Sie alles hereingebracht?“, wollte sie wissen.

„Ja. Beide Autos sind leer. Darf ich Sie für Ihre Mühe zum Abendessen einladen?“

„Danke, aber ich gehe lieber. Sie haben eine äußerst komfortable Küche. Alle automatischen Arbeitshilfen, die man sich nur denken kann.“

„Sie mögen auch meine Küche nicht?“

„Unsinn, McGannon. Sie haben ein Traumhaus. Ultracool. Jeder Zoll davon passt zu Ihnen.“

„Darf ich Ihnen wenigstens noch die oberen Räume zeigen?“, bat er.

„Ein andermal gern. So, Kleiner.“ Sie übergab das zappelnde Kind Flynn, ehe dieser sich wehren konnte. „Ich habe seine Windel gewechselt und Babynahrung auf den Tresen in der Küche gestellt. Auf den Gläschen steht, dass man sie in der Mikrowelle erwärmen kann. Passen Sie aber auf, dass der Brei nicht zu heiß ist.“

Molly war schon fast an der Haustür, als Flynn sie einholte. „Sind Sie sicher, dass Sie nicht zum Essen bleiben wollen?“

„Ganz sicher.“ Sie öffnete die Tür.

„Warten Sie, Molly.“ Diesen Moment nutzte Dylan, um Flynn mit der kleinen Faust eins aufs Ohr zu geben. „Ich danke Ihnen sehr, dass Sie mir geholfen haben. Sie wissen gar nicht, wie sehr.“

„Schon gut. Ich habe es gern getan.“

Flynn setzte das Kind auf den Boden, weil es absolut nicht stillhalten wollte. Sofort hörte Dylan auf, sich zu beschweren und krabbelte davon. Molly hatte die Hand auf die Türklinke gelegt. Flynn räusperte sich. „Ich verstehe, dass Ihnen die ganze Sache unangenehm ist, Molly. Und ich habe keine Ahnung, was ich sagen kann, um alles wieder gutzumachen. Aber bisher hatten wir noch nie Probleme, miteinander zu reden …“

„Haben wir auch jetzt nicht. Es gibt keinen Grund, warum wir morgen nicht ganz normal im Büro zusammenarbeiten sollten.“

„Arbeiten ja“, entgegnete Flynn. „Heute Nachmittag hatten wir aber anderes im Kopf als arbeiten. Das hat sich durch Virginies Auftauchen geändert. Ich bin Ihnen nicht böse, weil Sie mich verurteilen.“

„Ich verurteile Sie gar nicht“, erwiderte Molly rasch. Zu rasch. Sie holte tief Atem und blickte zu ihm auf. „Ich übe Kritik an mir selbst, Flynn. Sie haben recht. Wir sind uns nahe gekommen. Das war von Anfang an keine gute Idee. Was heute Nachmittag geschehen ist, hat es nur bestätigt. Ich kenne Sie einfach nicht gut genug.“

„Sie sind schockiert wegen Dylan. Das kann ich nur zu gut verstehen. Allerdings ist noch gar nicht bewiesen, dass Dylan mein Sohn ist …“

„Dylan ist nicht das Problem. Jedenfalls nicht direkt. Ich hoffe, ich urteile nicht vorschnell über Menschen. Jeder macht Fehler. Und diesen ganz speziellen Fehler machen die Menschen seit Urzeiten.“ Sie zögerte. „Wenn Sie aber eine Frau wie Virginie anziehend finden, haben Sie und ich wirklich nichts gemeinsam, Flynn. Unsere Wertvorstellungen sind völlig entgegengesetzt.“

„Sie haben Respekt verloren …“

„So könnte man es ausdrücken“, sagte sie ehrlich. „Sie sind ein schwieriger Arbeitgeber, McGannon. Sie sind laut und stur und walzen mit Ihrer Dynamik alles nieder. Doch Sie haben ein großes Herz, und Sie sind unglaublich kreativ. Außerdem habe ich noch nie erlebt, dass Sie vorschnell urteilen oder Ihr Gegenüber nicht anhören. Seit meinem ersten Arbeitstag habe ich Sie bewundert. Sehr sogar.“

Flynn schluckte. Er hatte von dieser Bewunderung nichts geahnt. Dafür empfand er ihren Verlust nun umso stärker.

Unwillkürlich trat er einen Schritt auf Molly zu. Er sehnte sich danach, sie zu berühren. Dabei redete er sich ein, dass dieses Bedürfnis nichts mit Sex zu tun hatte, doch es stimmte nicht. Unterschiedliche Lebenseinstellungen wurden gleichgültig, wenn er Molly küsste. Was dann zwischen ihnen entstand, war Nähe, war ein Feuer der Leidenschaft, das alles Trennende vereinte. Seit er Molly kannte, spürte er ein seltsames Gefühl der Zugehörigkeit. Und nun, da er es verloren geben musste, erfasste ihn eine so bodenlose Trauer, als würde er dieses Gefühl nie wieder erfahren. Er musste Molly zurückgewinnen. Vielleicht mit einem Kuss …

Doch der Ausdruck ihrer Augen sagte eindeutig: Nein. Sie wirkte zart und verletzbar, wich aber keinen Millimeter zurück. Flynn wusste, dass er sie dazu bringen konnte nachzugeben. Was wäre dadurch gewonnen? Das Begehren musste aus ihr selbst kommen.

Flynn vergrub seine Hände in den Hosentaschen. „Wir müssen reden, Molly. Bisher war noch keine Minute Zeit, aber ich möchte Ihnen erklären …“

Sie schüttelte den Kopf. „Sie sind mir keine Erklärungen schuldig. Außerdem bin ich mir bewusst, dass man gerade Ihr Leben auf den Kopf gestellt hat. Denken Sie daran, dass es dem Kleinen genauso geht. Lieben Sie ihn, Flynn. Ich muss jetzt wirklich gehen. Also, bis morgen.“

Sie ging und zog die Tür hinter sich zu. Leise, ohne ein Geräusch. Flynn blieb nachdenklich im Flur stehen.

Da hörte er ein Krachen. Er fuhr herum und rannte ins Wohnzimmer. Eine Stehlampe neben seinem ledernen Sessel war zu Boden gefallen. Der Schirm war kaputt.

Dylan! dachte Flynn. Hoffentlich ist ihm nichts passiert.

Anscheinend konnte ein so kleines Kind in einem Haushalt wie diesem ständig in Gefahr geraten. Flynn erspähte den Kleinen zuerst nirgends, doch dann blieb ihm fast das Herz stehen.

Molly hatte recht. Das Haus war unkonventionell. So führte zum Beispiel eine offene Treppe ins Obergeschoss, wo sich zwei Schlafzimmer befanden. Ein drittes Zimmer hatte er in ein Büro verwandelt, das zum Wohnzimmer hin galerieartig offen war.

Das Baby befand sich auf der obersten Treppenstufe. Es hatte sich am Geländer aufgerichtet und schwankte bedrohlich hin und her. Jede Sekunde konnte Dylan die Treppe hinunterfallen.

Flynn raste die Stufen hinauf.

Dylan sah ihn und gab entzückte Laute von sich.

Flynn sank neben dem Kind auf die Stufe und legte einen Arm schützend um den Kleinen. „Anscheinend begibst du dich gern in Gefahr“, murmelte er. „Gib es zu. Du liebst das Risiko, nicht wahr?“

Das Baby stimmte glucksend zu. Flynn wurde die Kehle plötzlich eng. Zwar hatte er Dylan den ganzen Nachmittag beim Einkaufen herumgeschleppt, aber nun war er zum ersten Mal allein mit ihm. Jetzt erst nahm er den wilden rotblonden Haarschopf richtig wahr und betrachtete das kleine Gesicht genauer. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, und er blickte schnell zur Seite.

„Irgendwie glaube ich, dass du etwas zu essen brauchst“, sagte Flynn. „Und dann müssen wir dir ein Bettchen machen. Warum nur habe ich das Gefühl, dass beides schwierig werden wird?“

Das Baby gluckste erneut begeistert. Flynn begriff, dass das Kind völlig angstfrei war. Es fürchtete sich weder vor ihm noch vor dem Fallen, noch vor irgendeiner Gefahr. Vielleicht wäre es Flynn gelungen, das rote Haar und die kräftigen Gesichtszüge zu ignorieren, doch dieser Charakterzug traf bei ihm einen Nerv.

Sein Vater war Autodesigner in Detroit gewesen. Genial und hoch bezahlt. Doch Aaron McGannons Familie hatte trotzdem von der Hand in den Mund gelebt. Flynn erlebte in seiner Kindheit und Jugend, wie der Vater alles Geld verspielte. Beim Poker. Beim Pferderennen. Er war spielsüchtig, und Flynn wusste, dass es auch ihm im Blut lag. Zwar hatte er noch nie ein Kartenspiel angerührt oder einen Roulettetisch besucht, aber die Eigenschaften eines Spielers besaß auch er. Er liebte das Risiko, die Herausforderung. Nichts war ihm zu gefährlich. Er fuhr schnelle Autos, war Fallschirmspringer und verbrachte manch einen Urlaub beim Wildwasser-Rafting. Sein finanzieller Erfolg kam ungeplant und über Nacht. Er hatte einfach eine Software-Idee angeboten, die einschlug. Danach setzte er sein ganzes Kapital aufs Spiel, um daraus mehr zu machen. Wahrscheinlich würde er es sofort wieder tun. Flynn hatte seiner Mutter und seiner Schwester von Kindheit an finanziell unter die Arme gegriffen, doch das änderte nichts an seiner Veranlagung.

Deshalb war er nie eine feste Beziehung zu einer Frau eingegangen. Heiraten und Familiengründung kamen für ihn nicht in Frage. Solange er allein lebte, konnte er wenigstens keiner Frau und keinem Kind das antun, was sein Vater ihm angetan hatte.

„Du bist nicht mein Sohn, Kleiner“, flüsterte er Dylan zu.

Das Baby zog sich erneut am Treppengeländer hoch und ließ sich dann mit einem Jauchzer in Richtung Flynn fallen.

Er wäre die Treppe hinuntergestürzt, wenn Flynn ihn nicht aufgefangen hätte. Das Kind besaß nicht die Spur von Angst.

Flynn nahm den Kleinen auf den Arm. Das Baby roch … nun ja, wie Babys eben riechen. Nach Puder, Milch und anderem. Das Gewicht auf Flynns Armen fühlte sich fremd an. Doch irgendwie passte der windelbepackte kleine Po prima in Flynns Armbeuge. Das Kind schlang ein Ärmchen um Flynns Hals, als wüsste es, wo es hingehörte.

„Nein“, sagte Flynn, während er nach unten in Richtung Küche ging. „Wir werden uns keineswegs anfreunden, hörst du? Ich bin nicht dein Vater, und du bleibst nicht für immer bei mir. Vorübergehend werden wir miteinander auskommen müssen, bis alles sich geklärt hat. Und jetzt – was hältst du von einem Menü aus roter Bete und jenem Truthahnzeugs, das Molly gekauft hat?“

Molly … Eigentlich wollte er nicht an sie denken. Immerhin hatte er jetzt andere Sorgen. Sie wogen fünfundzwanzig Pfund schwer. Außerdem war er absolut nicht in Molly verliebt. Sie hatten noch nicht einmal eine Nacht miteinander verbracht. Ihre Beziehung konnte also nicht besonders tief sein.

Warum machte es ihm dann zu schaffen, dass Molly enttäuscht von ihm war?

Vielleicht habe ich mein Leben lang auf den Moment gewartet, an dem ich das Spiel zu weit getrieben habe, dachte Flynn.

Zwar hatte er wissentlich nie ein Kind riskiert, aber er hatte sich darauf verlassen, dass Virginie ihm die Wahrheit über ihre Verhütungsmethode sagte. Das allein hieß schon, alles aufs Spiel zu setzen. Ein anständiger Mann hätte selbst vorgesorgt.

Doch Flynn hatte es nicht getan. Also trug er die Verantwortung.

Die Probleme erschienen ihm überwältigend. Er wusste nicht, was er mit dem Kind auf seinen Armen als Nächstes anfangen sollte. Und auch nicht, wie er es schaffen sollte, Mollys Respekt wieder zu gewinnen. Er hatte nicht einmal mehr besonders viel Respekt vor sich selbst.

Eines allerdings stand fest. Er konnte und wollte die Vaterrolle nicht übernehmen.

Das Kind boxte ihm mit der kleinen Faust auf die Nase. Flynn hielt das Händchen fest. „Ich wäre auch sauer, wenn man mich in deine Situation gebracht hätte, Süßer. Aber wir kriegen dich da schon wieder raus. Bis dahin sorge ich dafür, dass es dir gut geht. Du brauchst dich um nichts zu kümmern. Außer ums Essen. Was meinst du? Willst du von Mollys roter Bete probieren?“

4. KAPITEL

Kurz nach elf Uhr abends klingelte Mollys Telefon. Sie ließ den Roman fallen, in dem sie gelesen hatte, und warf beim Versuch, den Telefonhörer zu ergreifen, fast die Nachttischlampe um. Normalerweise rief um diese Uhrzeit niemand bei ihr an. Sam, der Mann, mit dem sie ab und zu ausging, meldete sich meistens am frühen Abend. Und obwohl sie oft mit ihren Eltern und ihren Schwestern telefonierte, würde doch keiner von ihnen so spät anrufen, außer es handelte sich um einen Notfall.

Anscheinend war so ein Notfall eingetreten. Sie hatte kaum den Hörer ans Ohr gepresst, als bereits jemand auf sie einredete. Sie hätte Flynns Stimme beinahe nicht erkannt, denn diesmal klang Verzweiflung darin mit.

„Mir ist klar, dass Sie wohl kaum ein Interesse daran haben, mit mir zu reden, Molly, und ich schwöre, dass ich Sie auch nicht angerufen hätte, wenn ich mir zu helfen wüsste, aber, verdammt, ich weiß nicht mehr weiter …“

Molly sank zurück in die Kissen. Den ganzen Abend lang hatte sie versucht, nicht an Flynn oder das Baby zu denken. Sie hatte sich eingeredet, dass die Probleme der beiden sie nichts angingen.

„Schon gut, McGannon. Was ist los?“

„Er schreit. Ich habe ihn nach dem Essen hingelegt, und er schlief auch sofort ein. Plötzlich wacht er auf. Einfach so. Und brüllt wie am Spieß. Was soll ich bloß machen?“

„Da ich das Kind nicht sehe, kann ich dazu nichts sagen, Flynn. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nichts über Babys weiß.“

„Aber Sie müssen Bescheid wissen. Sie sind eine Frau. Sie haben davon mehr Ahnung als ich. Sagen Sie mir, was ich tun soll, und ich gehorche sofort.“

Normalerweise hätte Molly ihm für diese sexistischen Äußerungen eine scharfe Abfuhr erteilt, doch sie zog in Betracht, dass er sich wirklich nicht zu helfen wusste. „Beruhigen Sie sich. Ich höre den Kleinen schreien. Allerdings glaube ich nicht, dass er krank ist. Das kleine Energiebündel hat uns heute den ganzen Nachmittag auf Trab gehalten. Haben Sie mal überlegt, ob er vielleicht Angst hat? Schließlich ist er noch ein Baby, und seine Mama ist nicht da. Versuchen Sie, ihn zu trösten.“

„Trösten?“

„Na ja, was man da halt so macht. Wiegen Sie ihn auf Ihren Armen. Streicheln Sie seinen Rücken. Singen Sie ihm was vor.“

„Aha. Verstehe. Wiegen, streicheln, singen …“

Molly zuckte zusammen, als der Hörer fallen gelassen wurde. „Flynn? Sind Sie noch dran?“

Stille. Sie rieb sich nachdenklich den schmerzenden Nacken. Im Hintergrund hörte sie das Baby schreien. Dann verstummte es plötzlich. Anscheinend hatte Flynn vergessen, aufzulegen, umso schnell wie möglich bei Dylan zu sein.

Sie rief noch einige Male seinen Namen, doch dann vernahm sie, wie er begann, mit vielen falschen Tönen dem Kind ein nicht ganz jugendfreies Studentenlied vorzusingen.

Molly hängte ein und wusste nicht, ob sie lachen oder Flynn erwürgen sollte. Nun war an Schlaf nicht mehr zu denken. Sie schwang sich aus dem Bett.

Eine Tasse Tee konnte nicht schaden. Sie ging barfuß in die Küche und bereitete sich einen Pfefferminztee. An ihrer Tasse nippend, wanderte sie durch ihre Wohnung und dachte über das Thema Männer nach.

Draußen rauschte der Walnussbaum im Wind. In der Wohnung jedoch war es totenstill. Molly hatte das Obergeschoss eines älteren Backsteinhauses gemietet, das den McNutts gehörte. Sie waren Rentner und verbrachten die Hälfte des Jahres in Arizona. Damit das Haus nicht leer stand, vermieteten sie einen Teil davon, bestanden aber auf der Einhaltung von ziemlich strengen Bedingungen: kein nächtlicher Lärm, keine Partys, kein Männerbesuch über Nacht. Sie gaben Molly zu verstehen, dass sie in ihr die ideale Mieterin gefunden hatten.

Molly trank missmutig einen Schluck Tee. Klar war sie ideal. Ihre Eltern hatten sich nicht die geringsten Sorgen gemacht, als sie den Job bei McGannon annahm und von Traverse City nach Kalamazoo zog. Sie war neunundzwanzig und damit alt genug, um ihr eigenes Leben zu führen. Dass sie niemals etwas Unüberlegtes tat, hatte sie lange genug bewiesen. Ihr eilte der Ruf voraus, in jedem Fall das Richtige zu tun, immer verantwortungsvoll, immer ordentlich.

Sie nippte an ihrem Tee. Aus der Küche drang das Summen des Kühlschranks. Er war älter als Molly, und der Herd war nachgerade prähistorisch, aber sie hatte die Wände blassgelb gestrichen und lebte sich langsam, aber sicher in ihrem neuen Zuhause ein. Die Couch im Wohnzimmer war ein Fehlkauf gewesen – cremefarben, sodass man jeden Fussel darauf sah. Doch Molly liebte das gute Stück ebenso wie den orientalischen Teppich mit seinen hellen Farben.

Die Wohnung war nett, sauber und ordentlich. Im Küchenschrank standen die Suppendosen mit dem Etikett nach vorn, und in der Kleiderkommode lagen die Sachen nach Farbe und Wäscheart getrennt. Molly stellte sich vor, wie Flynn sich über ihr Zuhause lustig machen würde.

Sie setzte die Teetasse an, um zu trinken, stellte aber fest, dass sie leer war. Molly seufzte. Alle anderen Männer ihrer Bekanntschaft hätten ihre Wohnung reizend gefunden. Und Männer hatte es durchaus in ihrem Leben gegeben.

Mit Steve war sie auf der Highschool zusammen gewesen. Drei Jahre lang, ehe er auf eine weit entfernte Universität ging. Sie waren Freunde geblieben. Auf dem College gab es dann John, der ebenso wie sie Betriebswirtschaft studierte. Nach dem College einen weiteren John – Computerfachmann. Alle waren feine, anständige Jungs gewesen.

Mehr oder weniger Heilige.

Unzufrieden wusch Molly ihre Tasse aus und stellte sie in die Spülmaschine, ehe sie zurück in ihr Bett ging. Nicht ein einziges Mal hatte sie einen Mann erwischt, der sich als unpassend erwies. Sie konnte Menschen beurteilen. Ihren derzeitigen Bekannten, Sam Morrison, hatte sie auf der Bank kennen gelernt. Gleich in den ersten Tagen, nachdem sie nach Kalamazoo gezogen war. Er war ebenfalls adrett und anständig. Keiner, der eine Frau beim Nachhausebringen bedrängte. Keiner, der die Zahnpastatube falsch ausdrückte und gebrauchte Handtücher herumliegen ließ.

Wenn ich noch einen einzigen dieser Heiligen auftue, dachte Molly, sterbe ich vor Langeweile.

Sie puffte ihr Kissen zurecht, zog den Bettbezug gerade, sodass er akkurat über der Zudecke lag, und schaltete das Nachtlicht aus. Dann schloss sie die Augen.

Um halb drei Uhr morgens war sie immer noch wach. Und in diesem Moment schreckte sie das Telefon erneut auf.

Sie brauchte Flynns Stimme gar nicht zu hören, um Herzklopfen zu bekommen. Er wirkte so erschöpft, dass sie ihm sogar ein wenig Mitleid entgegenbrachte.

„Es tut mir ja so leid, Molly. Wirklich. Sie dürfen mich beschimpfen, wenn Sie wollen, aber ich …“

„Ich höre ihn schreien.“

„Klar können Sie ihn hören. Er brüllt laut genug, um meine Nachbarn aufzuwecken – und die wohnen eine halbe Meile entfernt. Ich habe alles versucht. Wiegen, streicheln, singen …“

„Beruhigen Sie sich erst mal, Flynn.“

„Beruhigen? Ich dachte, Sie hören ihn. Vielleicht ist er doch krank. Vielleicht stirbt er. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo die nächste Kinderklinik ist, aber ich kann ihn ja in die Ambulanz bringen …“

„Unsinn, McGannon. Kann sein, dass er krank ist. Vorher denken Sie aber erst mal an andere Möglichkeiten. Hat er eventuell Hunger?“

„Kaum. Das kleine Monster hat beim Abendessen mehr vertilgt als ich. Außer der roten Bete. Die hat er weitflächig über die Küchenwand verteilt. Rote Bete bekommt dieses Kind von mir nicht mehr, Molly.“

„Wie wär’s mit einem Fläschchen?“

„Hm. Warum nicht? Soweit ich mich erinnere, gab es in all den Tüten auch etwas Derartiges. Ich habe noch nicht alles ausgepackt.“

„Ich habe zwar keine Ahnung, ob ein Baby in diesem Alter noch ein Fläschchen nimmt, aber ein wenig warme Milch könnte den Kleinen beruhigen. Haben Sie seine Windel gewechselt?“

„Bevor er zu Bett ging. Das heißt, ich habe vier Windeln verbraucht, bis ich eine dran hatte. Diese komischen Klettverschlüsse machen mich wahnsinnig.“

„McGannon“, unterbrach ihn Molly, „schauen Sie nach, ob er nass ist.“

Wieder ließ Flynn den Hörer einfach fallen. Stille folgte. Molly überlegte, ob sie einfach auflegen sollte, doch da war Flynn schon wieder am Apparat.

„Meine Güte.“

Molly konnte sich ein Lächeln in der Dunkelheit nicht verkneifen. „Und? Ist er nass?“

„Mehr als das. Ich würde auch brüllen, wenn man mich in so etwas sitzen ließe. Außerdem muss ich wohl hinterher die Wohnung ausräuchern. Aber egal … ich werde Ihnen bis an mein Lebensende dankbar sein. Ich liebe Sie, Mol. Und ich schwöre, dass ich Sie nie wieder um Hilfe bitten werde.“

Sie hörte, wie am anderen Ende der Leitung aufgelegt wurde. Flynns Worte gingen ihr durch den Kopf.

Molly kuschelte sich in ihre Decke und schloss die Augen. McGannon war kein Heiliger. Weit davon entfernt. Doch das Zusammensein mit ihm hatte sie verändert, hatte sie dem Leben geöffnet. Wahrscheinlich fand sie es deshalb so schwierig, sich nicht in ihn zu verlieben.

Ihm kam das Wort Liebe allerdings viel zu rasch über die Lippen. Molly wusste, dass es nichts zu bedeuten hatte. Er reagierte auf alles emotional. Und kein Zweifel – das Baby hatte seine Welt auf den Kopf gestellt. Wieder und wieder warnte Molly sich selbst, vorsichtig zu sein.

Das Baby konnte jedermanns Herz gewinnen. Doch wie es mit Flynn bestellt war, konnte Molly beim besten Willen nicht sagen. Sie hatte sich eingebildet, sie kenne ihn. Molly Weston war bekannt für ihre Übervorsicht. Es war Zeit, sich zu entlieben. Also hieß es, Abstand halten von Flynn McGannon.

Molly goss sich die dritte Tasse starken Kaffees ein. Sie war ein Morgenmuffel, aber der Ausdruck wäre zu mild gewesen, um ihre heutige Laune zu beschreiben. McGannon und die Sorge um das Baby hatten sie um ihre dringend benötigten acht Stunden Schlaf gebracht.

Ihr Kopf schmerzte. Trotzdem erschien sie pünktlich zum wöchentlichen Mitarbeitermeeting im „Kreativ-Center“, eine Kaffeetasse in der einen und mehrere Akten in der anderen Hand. Der Rest der Chaotenmannschaft war bereits anwesend. In anderen Unternehmen waren Mitarbeitermeetings oft gefürchtet. Nicht jedoch bei McGannon. Hier konnte sich jeder austoben. Selbst Bailey schien in kommunikativer Stimmung zu sein.

Molly knallte ihre Kaffeetasse auf den Tisch und ordnete ihre Unterlagen. „Flynn ist noch nicht erschienen“, bemerkte sie. „Kann ihn bitte jemand aus seinem Zimmer holen?“

„Er ist noch gar nicht im Büro“, sagte Darren. „Offensichtlich hätte ich gestern nicht zu Hause arbeiten dürfen. Jetzt habe ich das schöne Spektakel um das mysteriöse Baby verpasst.“ Darren wirkte in seinem schwarzen Anzug wie ein Beerdigungsunternehmer. Das durfte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass er neugierig und redselig war wie ein Zeitungsreporter. „Die Lady soll eine Augenweide gewesen sein.“

Molly hatte nicht das geringste Interesse daran, über Virginies Aussehen nachzudenken. „Weder die Frau noch das Kind gehen uns irgendetwas an. Außerdem ist es nicht festgelegt, dass wir pünktlich um neun Uhr anfangen müssen. Ich habe mich nur gewundert, dass Flynn noch nicht da ist.“

Normalerweise war Flynn vor allen anderen im Büro, denn er bezeichnete fünf Uhr morgens als seine kreativste Arbeitszeit. Anscheinend hatte das Baby sein Zeitgefühl total durcheinander gebracht. Oder war das Kind vielleicht doch krank? Es sah Flynn nicht ähnlich, nicht Bescheid zu sagen, wenn er später kam.

Rein praktisch gesehen konnte das Meeting natürlich auch ohne Flynn stattfinden. Er wies immer wieder darauf hin, dass er keine Führungspersönlichkeit war und auch keinen Ehrgeiz habe, eine zu werden. Das Meeting war dazu da, über laufende Projekte zu berichten, sich Rat zu holen, falls es Probleme gab, und Ideen zu entwickeln. Molly nutzte die Besprechungen, um die Kollegen mit wenig zimperlichen Methoden an die Einhaltung ihrer Budgets zu erinnern. Das traute sie sich schon lange auch ohne Flynns Anwesenheit. Trotzdem war es ohne ihn nicht dasselbe.

Er übte die Führungsrolle großartig aus, ob er es wollte oder nicht. Er war der Einzige, der Bailey dazu bringen konnte, den Mund aufzumachen, der Einzige, der Simone beruhigen konnte. Und er brachte Darren wieder zum Thema zurück, wenn dieser abgeschweift war.

Molly dachte ernstlich an die Möglichkeit, dass das Kind krank war. Vielleicht hatte sie Flynn gestern Nacht den falschen Rat gegeben? Oder Flynn war krank geworden? Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf, bis sie fast in Panik geriet. Sie hatte die Hilflosigkeit Flynns, die er gegenüber dem Baby an den Tag legte, nicht ganz ernst genommen und sich eingeredet, dass er es schon schaffen würde. Doch was war, wenn ihm die Sache entglitt? Sie würde sich nie verzeihen, ihn und das Kind im Stich gelassen zu haben.

In diesem Moment ging die Tür schwungvoll auf.

Flynn kam im Sturmschritt ins Büro. Er trug Dylan auf dem Arm und in der anderen Hand einige Riesentaschen mit Babyzubehör. Das Kind sah hinreißend aus. Es trug eine Football-Uniform mit einer großen Nummer auf dem Pulli, und sein rotes Haar war wie bei einem erwachsenen Mann mit Wasser glatt gekämmt. Das Gesichtchen schimmerte rosig.

Flynn sah weniger gesund aus. Tiefe Schatten lagen unter seinen Augen, sein Haar war in Unordnung, und rasiert hatte er sich auch nicht. Er trug ein frisches blaues Hemd, aber es war genauso zerknittert wie seine hellen Baumwollhosen. Darunter waren ein blauer und ein brauner Socken zu erkennen.

Er ließ die Tüten mit Windeln, Babynahrung und Spielzeug zu Boden sinken und setzte Dylan auf einen der großen, bequemen Bürosessel, die um den runden Tisch standen.

„Können wir loslegen?“, fragte er sodann heiter in die Runde.

„Ja. Patentrechte sind bei diesem Projekt kompliziert, Ralph, aber wie ich bereits erklärt habe …“

Flynn bückte sich plötzlich und spähte unter den Tisch. Sein Instinkt schärfte sich langsam, was Dylan betraf. Das letzte Mal, als länger als zwei Sekunden Stille geherrscht hatte, war es dem Kind gelungen, einen Papierkorb umzuwerfen und irgend einen alten Kaugummi aufzutreiben. Der Papierkorb thronte nun auf dem Konferenztisch, und was den Kaugummi betraf … nun, Dylans Haar war jetzt auf der einen Seite etwas kürzer. Flynn jedoch hatte begriffen, dass Stille Gefahr bedeutete. Der Blick unter den Tisch offenbarte ihm das neueste Problem. Dylan hatte sich einen Bleistift angeeignet.

Der Kleine erblickte Flynn und kicherte. Dann – wie Flynn nach achtzehn gemeinsam verbrachten Stunden mit Dylan nicht anders erwartete – wanderte der Bleistift direkt in den Mund des Babys.

„Was die Software für den Auftrag betrifft, den uns Gregory erteilt hat … komm schon, gib mir den Bleistift, Dylan … so sollten wir uns damit beeilen. Ich möchte, dass sich Darren und Simone gemeinsam darum kümmern … Los, Dylan, sei ein Schatz und gib mir das Ding. Schau mal, ich gebe dir dafür das Spielzeugauto. So ein alter Bleistift kann dich doch nicht wirklich …“

Abrupt hob Flynn den Kopf. „Habe ich Ihre Frage bezüglich der Patentrechte beantwortet, Ralph?“, fragte er.

„Eigentlich ja, aber ich begreife immer noch nicht ganz …“

Flynn hatte geglaubt, der Bleistift sei in seiner Hand, bis der kleine Teufel ihn zurückriss und außer Reichweite kullerte. Da es sich als sinnlos erwiesen hatte, streng mit Dylan zu reden, wenn man etwas von ihm wollte, nahm Flynn seine Zuflucht zu einem höchst schmeichelnden Tonfall. „Wenn ich unter diesen Tisch kriechen muss, wirst du sehr wenig Spaß dabei haben, Dylan. Siehst du, gib mir das Ding. So ist es brav … Au!“

Flynn stieß sich den Kopf an der Tischkante, aber er brachte ein zappelndes Kind mit und hielt triumphierend den Bleistift außer Reichweite des Kleinen. „Also, wo waren wir stehen geblieben? Darren, haben Sie mit Guy Robinson gesprochen?“

„Ja. Das Projekt liegt jetzt bei Bailey.“ Darren forcierte seine Stimme, um mit dem kleinen Rotschopf konkurrieren zu können. „Ich glaube nicht, dass wir es schaffen, aber Bailey kann das besser beurteilen als ich.“

„Ich will aber nicht mit Robinson zusammenarbeiten“, beschwerte sich Bailey.

Autor

Jennifer Greene

Seit 1980 hat die US-amerikanische Schriftstellerin Jennifer Greene über 85 Liebesromane veröffentlicht, die in über 20 Sprachen übersetzt wurden. Unter dem Pseudonym Jennifer Greene schreibt die Autorin Jill Alison Hart seit 1986 ihre Romane. Ihre ersten Romane wurden 1980 unter dem Namen Jessica Massey herausgegeben, das Pseudonym Jeanne Grant benutzte...

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