Baccara Gold Band 15

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Sich einfach fallen lassen in starke Arme! Allison ist begeistert vom Selbstverteidigungskurs ihres neuen Bodyguards. Gefährlich nahe kommt sie Thomas, dessen erotische Ausstrahlung sie kaum noch ruhig schlafen lässt. Allison will nur noch eins: Thomas verführen …

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LUST AUF MEHR von VICKI LEWIS THOMPSON
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  • Erscheinungstag 27.03.2020
  • Bandnummer 15
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726874
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Barbara McCauley, Joan Hohl, Vicki Lewis Thompson

BACCARA GOLD BAND 15

1. KAPITEL

Thomas Kane wartete am Fenster und beobachtete gelassen den Verkehr unten auf der regennassen Straße. Als der blaue Kombi vor dem zwölfstöckigen Glas- und Chrombürohaus vorfuhr, erkannte er ihn sofort. Er wusste, dass er auch Allison erkennen würde, obwohl er sie nie zuvor gesehen hatte. Als ob ihre Ankunft angekündigt werden sollte, durchzuckte ein grellweißer Blitz den Himmel von Seattle, und der laute Donner ließ die Scheiben des Bürofensters erbeben.

Bis vor fünf Stunden hatte Kane noch nie etwas von Allison Elizabeth Westcott gehört, aber jetzt wusste er bereits, was sie zum Frühstück aß, wo sie ihre Kleider kaufte und wo sie tankte. Sie war einen Meter siebzig groß, hatte braunes Haar und grüne Augen. Ihm war bekannt, dass sie an der linken Brust ein winziges Muttermal besaß, von einem Reitunfall eine Narbe am rechten Knie zurückbehalten hatte und ihre Karriere als Tänzerin durch diesen Unfall beenden musste. Wegen einer Geschwindigkeitsübertretung hatte sie einen Bußgeldbescheid bekommen, was sie gerichtlich angefochten hatte – mit Erfolg.

Manche Leute mochten sein Wissen als Eindringen in ihre Privatsphäre betrachten, aber es kümmerte Kane wenig, was andere über ihn dachten. Wenn er einen Auftrag erledigte, waren Gefühle zweitrangig, seine und die anderer. Er tat, was er tun musste und passte auf, dass niemand dabei verletzt wurde.

Es regnete jetzt in Strömen, und er sah zu, wie Allison Westcott aus dem Wagen ausstieg und blitzschnell den Schutz des Gebäudes suchte. Sie würde zwei Minuten und fünfundvierzig Sekunden brauchen, bis sie in dieses Zimmer eintreten würde, drei Minuten zweiundzwanzig Sekunden, wenn der Lift in jedem Stock hielt.

Er blickte auf seine Armbanduhr und wartete.

Das Gewitter entlud sich mit aller Macht, als Allison vor dem Westcott-Bürohaus parkte. Dicke Regentropfen trommelten auf das Wagendach, während ein greller Blitz zuckte, gefolgt von lautstarkem Donner. Es schien, dass dieses Unwetter noch eine Weile dauern würde.

Allison blickte durch die Windschutzscheibe in das bedrohliche Grau des Himmels und spielte mit dem Gedanken, im Wagen zu warten, bis das Unwetter vorbei wäre, aber sie wusste, dass sie nicht warten durfte. Die Stimme ihres Vaters war zu ernst und besorgt gewesen, als er im St. Martin Center angerufen hatte, dass sie sofort kommen sollte.

Sie holte tief Luft, stieg aus dem Wagen und rannte, so schnell sie konnte, den Bürgersteig entlang und durch eine der großen Eingangstüren aus Rauchglas in die Halle hinein. Ein rascher Blick in die spiegelnden Scheiben zeigte ihr, dass ihr schulterlanges Haar durch den Regen bereits wieder wild gelockt war. Manche Leute beklagten sich darüber, dass es jedes Mal regnete, wenn sie ihren Wagen wuschen. Bei Allison regnete es immer, wenn sie mit viel Mühe ihr Haar einigermaßen glatt geföhnt hatte.

Als sie im zwölften Stock angekommen war, öffnete sich der Fahrstuhl. Sie trat hinaus und zögerte einen Moment, als sie zwei Männer in dunklen Anzügen vor der Tür zum Büro ihres Vaters stehen sah. Obwohl es nicht außergewöhnlich war, dass sich Angestellte oder Kunden vor seinem Büro aufhielten, störte sie etwas an diesen Männern, etwas, das sie nicht hätte beschreiben können. Unwillkürlich zog sich ihr Magen zusammen. Sie kannte die Männer nicht, hatte aber das Gefühl, dass diese sie selbst nicht nur genau kannten, sondern auch auf sie warteten. Sie beobachteten sie, als sie näher kam, und nickten ihr steif zu, als sie an ihnen vorbeiging.

Mrs. Harwood, die Sekretärin ihres Vaters, telefonierte gerade, als Allison eintrat, und bedeutete ihr, in das Büro ihres Vaters einzutreten.

Allison fragte sich, was eigentlich los war. Normalerweise hatte die Sekretärin für jeden ein Lächeln, aber jetzt lag ein besorgter Ausdruck auf ihrem Gesicht.

Ihr Vater saß hinter dem Schreibtisch, tippte nervös mit einem silbernen Kugelschreiber gegen die Mahagoniplatte und war in die Papiere, die vor ihm lagen, vertieft.

Oliver Westcott war in seiner Jugend ein Fußballstar gewesen. Er wirkte noch immer sportlich, nicht wie der Präsident einer riesigen Computerfirma. Eine Firma, die er mit viel Energie und fünftausend geliehenen Dollars gegründet hatte und die ihm jetzt zum Teil gehörte.

Allison schloss die Tür hinter sich, und ihr Vater sah überrascht von seiner Arbeit auf.

„Dad, wer sind die Männer da draußen?“

Erst jetzt sah sie, dass noch ein anderer Mann im Zimmer war. Er stand am Fenster in der Ecke. Seine Arme waren über der Brust verschränkt, und sein Blick war auf sie gerichtet. Allison war für einen Moment sprachlos, aber nicht wegen der Überraschung, dass sie nicht mit ihrem Vater allein war. Die Intensität, mit der dieser Mann sie ansah, war schuld daran. Sie fasste sich wieder und ignorierte ihr Herzklopfen. So schnell konnte man Allison Westcott nicht einschüchtern. Entschlossen erwiderte sie seinen Blick.

Die Haare des Mannes waren tiefschwarz, seine Augen besaßen ein seltenes Dunkelblau, und sein Blick war intelligent und ohne jegliche Emotion. Und er war groß. Mindestens einen Meter neunzig, und selbst mit der Sportjacke und den Hosen, die er trug, konnte sie erkennen, dass er den Körperbau eines Athleten besaß – breite Schultern, schmale Hüften, muskulöse Arme und Beine. Seine Haltung war lässig, aber Allison spürte die geballte Energie, die von ihm ausging.

In der Ferne grollte der Donner.

Allison wandte sich wieder ihrem Vater zu. „Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass du Besuch hast. Ich werde später wieder kommen.“

Oliver Westcott schüttelte den Kopf. „Setz dich, Allison.“

Allison spürte, dass irgendetwas nicht stimmte, und langsam machte sich Angst in ihr breit. Diesen Ton hatte sie von ihrem Vater nicht mehr gehört, seit er sie in sein Arbeitszimmer gerufen hatte, um ihr zu sagen, dass ihre Mutter gestorben war.

Ihre Knie zitterten, als sie näher an den Schreibtisch herantrat, aber sie nahm nicht Platz. „Was ist los?“

„Vielleicht überhaupt nichts“, antwortete Oliver, und sein Gesichtsausdruck wurde weicher. „Aber um ganz sicherzugehen, habe ich in diesem Gebäude zusätzliche Sicherheitsbeamte und Mr. Kane angestellt. Kane, das ist meine Tochter Allison. Allison, Thomas Kane.“

„Mr. Kane.“

Er nickte. „Kane reicht auch.“

Sie nickte ebenfalls und wandte sich dann wieder ihrem Vater zu. Sie spürte, dass er ihr auswich, und das tat er nur, wenn er sich Sorgen machte. „Was meinst du mit sichergehen, Dad? Was ist passiert?“

Westcott seufzte, schob dann die Papiere, die auf seinem Schreibtisch lagen, zusammen und reichte sie Allison. Erst jetzt bemerkte sie, dass es DIN-A4 große Schwarz-Weiß-Fotos waren. Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. Auf allen Fotos waren sie und ihr Vater zu sehen.

„Kommissar Carlos Fandino von der hiesigen Polizei brachte sie mir heute früh“, erklärte er ernst. „Das Polizeilaboratorium hat sie entwickelt. Den Film hatte man unter dem Sitz eines gestohlenen Wagens gefunden.“

Allison begann, die Fotos näher zu betrachten. Auf den ersten Abzügen sah man ihren Vater aus dem Bürogebäude kommen. Die nächsten drei zeigten sie und ihren Vater in einem Restaurant, in dem sie vor zwei Tagen zu Mittag gegessen hatten. Verwirrt betrachtete sie die Fotos weiter. Auf einigen Fotografien sah man, wie sie mit einer Tüte Lebensmittel in ihren Wagen einstieg, auf ein paar weiteren kam sie gerade aus ihrem Apartment heraus.

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, während sie die Fotos ansah. Wann waren die Bilder aufgenommen worden? Von wem? Sie hatte nie jemanden mit einer Kamera gesehen.

Sie erstarrte, als sie zum letzten Bild kam. Es war aus der Ferne mit einem Teleobjektiv aufgenommen, und es zeigte sie selbst. Sie wusste genau, wann und wo dieses Bild aufgenommen worden war. Es war letzte Woche gewesen, in der Nacht, als sie im Haus ihres Vaters nach seiner Geburtstagsparty geschlafen hatte. Sie saß vor einem Frisiertisch in einem der oberen Räume.

Und das Einzige, was sie trug, waren ein hauchzarter BH und ein winziger Slip.

Kane betrachtete Allison, als sie langsam auf den Stuhl sank.

Ihr Gesicht war noch vor wenigen Minuten vom Spurt durch den Regen leicht gerötet gewesen. Jetzt wurde es blass, und sie sah wie eine Porzellanpuppe aus. Ihr Mund stand vor Erstaunen leicht offen. Es fiel Kane auf, dass er größer und voller war, als er auf den Fotos bemerkt hatte.

Sie sah in Wirklichkeit noch viel hübscher aus, als die Fotos hatten ahnen lassen. Vielleicht war es dieser Glanz, der in ihren grünen, fast blau-grünen Augen lag, die ihn an fein geschnitzte Jade erinnerten. Aber was immer es war, es irritierte ihn.

Er trat neben sie und spürte den Duft von Regen und Sturm, den sie mit hereingebracht hatte. Sacht nahm er ihr die Fotografien aus der Hand, die sie immer noch krampfhaft fest hielt. Sie sah ihn mit großen fragenden Augen an.

„Ich … ich verstehe das nicht“, sagte sie dann. „Wer hat das aufgenommen?“

Kane legte die Fotos auf den Schreibtisch und lehnte sich dann gegen die Kante des wuchtigen Tisches. „Wir wissen es noch nicht. Die Polizei überprüft gerade einen Fingerabdruck, der sich auf der Filmrolle befunden hat. Der Film selbst ist Standard und könnte in Hunderten von Geschäften in dieser Gegend gekauft worden sein.“

Allison straffte sich und sah ihren Vater an. „Hat dich jemand bedroht?“

Oliver Westcott schüttelte den Kopf. „Nur indirekt durch diese Fotos. Aber auf diesem Film befanden sich noch Fotos, die von anderen Leuten gemacht worden waren, bekannte Geschäftsleute aus Seattle, die sehr wohlhabend sind.“ Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. „Und das war nur ein Film. Woher sollen wir wissen, wie viele Fotos diese Person aufgenommen hat?“

Allein der Gedanke, dass ihr jemand gefolgt war, sie beobachtet und fotografiert hatte … Allison zog den Rock über die Knie. „Was ist mit der Polizei?“

Ihr Vater seufzte. „Bis jetzt gab es keine wirkliche Bedrohung, nur ein paar unberechtigt geschossene Fotos von jemandem, den wir nicht kennen“, fügte er hinzu.

Allison warf einen Blick zu Kane und dann wieder zu ihrem Vater. „Unsere Sicherheitsbeamten sind mehr als fähig, mit einem perversen Fotografen fertig zu werden, Dad. Ich verstehe nicht, warum du noch Mr. Kane engagiert hast.“

„Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, Allie.“ Oliver Westcott lächelte sie aufmunternd an. „Ich muss für ein paar Tage nach Los Angeles fliegen, und ich fühle mich besser, wenn Kane die Dinge hier im Auge behält.“

Allison kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, wann er nicht ganz ehrlich war. Ihr Blick ging zu Kane. Irgendetwas sagte ihr, dass sie diesen Mann fragen musste, wenn sie eine, direkte Antwort wollte.

„Mr. Kane, mein Vater hat mich mein ganzes Leben beschützt. Ich kenne ihn genug, um zu bemerken, wann er etwas vor mir verbirgt. Ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie mir sagen würden, worüber er sich so große Sorgen macht.“

Kane blickte zu Westcott hinüber, der seufzend nickte. Kane wandte sich wieder an Allison. „Kidnapping.“

„Kidnapping?“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Wenn ich berühmt oder eine Politikerin wäre, könnte ich es noch verstehen, aber so? Selbst, was das Geld betrifft, gibt es bedeutend reichere Leute in Seattle.“

„Was für Sie wie eine unbedeutende Summe erscheint, könnte für diese Kerle ein Vermögen sein.“ Kane nahm einen Briefbeschwerer vom Schreibtisch auf und betrachtete ihn. „Sie suchen nach leichter Beute. Die Tatsache, dass Sie es sich nicht vorstellen können, dass Ihnen etwas passieren könnte, macht Sie dazu. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten, Kidnapping ist wieder in Mode gekommen.“

Kanes autoritärer Tonfall ärgerte Allison, aber sie sah die Wahrheit, die in seinen Worten lag. Einer der Geschäftsfreunde ihres Vaters war letztes Jahr knapp einem Entführungsversuch entronnen, und vor sechs Monaten hatte in allen Zeitungen etwas über die Entführung des Präsidenten des Fernsehkanals SFX gestanden. Er war mit vorgehaltener Pistole aus seinem Wagen gekidnappt worden. Seine Frau hatte das Lösegeld bezahlt, und man hatte ihn am nächsten Tag gefunden. Tot.

„Was macht Sie so sicher, dass man mich entführen will?“, fragte sie. „Vielleicht läuft es nur auf einen Erpressungsversuch hinaus, oder es ist einfach nur irgendein Verrückter, der gern unerlaubt Fotos von Fremden aufnimmt.“

Kane zuckte ungeduldig die Schultern. „Nicht viele Fotografen stehlen einen Wagen, um Fotos zu machen. Auf diesen Fotos gibt es nichts, womit man Sie erpressen könnte, und bis jetzt hat sich noch niemand gemeldet, der Geld fordert. Es ist immer besser, auf Nummer sicher zu gehen. Falls kein Entführungsversuch geplant gewesen sein sollte, ist Geld das Einzige, was Sie verloren haben.“

Sie sah ihn kühl an. „Und das ist leicht wieder zu ersetzen, nicht wahr?“

„Auf jeden Fall bedeutend leichter, als ihr hübscher kleiner Kopf.“

Eine scharfe Antwort lag auf Allisons Zunge, aber ihr Vater ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Allison.“ Oliver Westcott legte die Hände zusammen, und seine Tochter wusste, dass er jetzt seine Autorität hervorkehren wollte. „Ich werde für ein paar Tage fort sein. Kane hat veranlasst, dass unser Haus bewacht wird, und ich möchte, dass du dort wohnst, bis wir den Kerl gefasst haben.“

Sie wollte protestieren, aber die Bitte ihres Vaters war einleuchtend. Außerdem schlief sie ziemlich oft dort, und im Obergeschoss war noch immer ihr eigenes Zimmer. „In Ordnung, Dad. Wenn du dich dann besser fühlst.“

Sie sah Erleichterung in den Augen ihres Vaters, dass sie, ohne zu zögern, eingewilligt hatte. „Und noch eins …“ Er schwieg für einen Moment und räusperte sich. „… ich muss dich auch darum bitten, dir einige Tage freizunehmen und nicht im Center zu arbeiten.“

Einige Tage freinehmen? Allison starrte ihren Vater erstaunt an. Er wusste doch, was das Center ihr bedeutete! Die Kinder waren ihr Leben. Das konnte sie nicht aufgeben, noch nicht einmal für ein paar Tage. Nicht für so einen Schurken mit einer Kamera. Für niemanden.

Sie schüttelte den Kopf, erhob sich und trat hinter den Stuhl. „Das kann ich nicht, Dad. Wir haben sowieso zu wenig Personal, und einer der Jungen, Billy, ist gerade nach einer Ohrenoperation aus dem Krankenhaus entlassen worden. Ich habe versprochen, morgen früh nach ihm zu sehen.“

„Allison, bitte“, bat Oliver Westcott, und leise Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit, als er spürte, wie entschlossen seine Tochter war. Es war selten, dass er sie um etwas bat.

„Ich bin in meinem Leben nie einem Risiko ausgewichen“, fuhr er fort, „und wenn es sich nur um mich handelte, würde ich dem Ganzen keinen zweiten Gedanken widmen. Aber du bist auch auf den Fotos. Und mit dir würde ich nie ein Risiko eingehen. Jedes Mal, wenn du dich in der Öffentlichkeit zeigst, bist du einer Gefahr ausgesetzt. Kane und ich sind übereingekommen, dass es besser für dich wäre, wenn du im Haus bliebest.“

„Ihr seid übereingekommen?“ Sie fühlte, wie Wut in ihr aufstieg, Wut, nicht nur darüber, dass man in ihre Privatsphäre eingedrungen war, sondern auch darüber, dass dieser Kane, ein Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte, bereits Entscheidungen für sie traf. Mit angespanntem Gesicht und zornigem Blick wandte sie sich ihm zu.

„Es gibt noch etwas, das ich nicht verstehe“, erklärte sie förmlich, während sie Kanes Blick erwiderte. „Mein Vater beschäftigt hier Sicherheitsbeamte, deren Firma einen ausgezeichneten Ruf besitzt, aber Sie habe ich noch nie hier gesehen. Wer sind Sie?“

Er erhob sich, ging langsam auf sie zu und blieb nur Zentimeter entfernt vor ihr stehen. Er lehnte sich leicht vor, so nah, dass sie den männlichen Duft seiner Haut und die subtilen Farbunterschiede seiner Augen wahrnahm. Eine Kraft schien von ihm auszugehen, die sie immer enger umschloss, bis sie kaum noch atmen konnte.

„Ich bin der Beste, wer sonst?“

Er sagte es mit solcher Überzeugung, dass nur ein Narr ihm widersprochen hätte.

Es klopfte, und Mrs. Harwoods Kopf erschien in der Tür. „Könnte ich Sie bitte einen Moment sprechen, Mr. Westcott?“

Ihr Vater nickte und erhob sich, während er Allison besorgt ansah. „Ich weiß, dass viel auf dich einstürmt, Allison, aber es gibt keinen anderen Weg, um diese Situation in den Griff zu bekommen.“

„Dad …“

„Bitte, Kleines“, erwiderte Oliver und strich seiner Tochter das Haar aus dem Gesicht, „arbeite mit Kane zusammen! Er wird noch einige Fragen an dich haben. Ich werde in ein paar Minuten wieder zurück sein.“

Seufzend verschränkte Allison die Arme und ging zum Fenster hinüber. Mit Kane zusammenarbeiten! Zusammenarbeit konnte man das aber wohl kaum nennen, es war wohl mehr gehorchen. Frustriert holte sie tief Luft und sah zu, wie ein greller Blitz den Himmel durchteilte.

„Geht es Ihnen gut?“, fragte Kane, während er sich an ihre Seite stellte.

Es ging ihr nicht gut, aber das würde sie ihm auf keinen Fall auf die Nase binden. „Mein Vater meinte, Sie hätten ein paar Fragen an mich?“

Er lehnte sich gegen den Fensterrahmen und sah sie an. „Haben Sie in den letzten Tagen irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt? Irgendetwas, was Ihnen aufgefallen ist?“

„Nein.“

„Ist irgendjemand Ihnen und Ihrem Vater gefolgt?“, fragte Kane. „Wenn Sie wollen, dass ich diese Leute finde, bevor man Sie oder Ihren Vater gefunden hat, brauche ich Ihre Hilfe. Ich möchte, dass Sie sorgfältig nachdenken. Ist Ihnen irgendjemand mit einer Kamera aufgefallen? Haben Sie den gleichen Wagen mehr als einmal gesehen? Hat Sie irgendjemand angestarrt und dann rasch wieder weggeblickt?“

Kane beobachtete, wie Allison nachdenklich die Augenbrauen zusammenzog, während sie über seine Fragen nachdachte. Ihm wurde klar, dass die letzte Frage dumm gewesen war. Welcher Mann würde diese Frau nicht anstarren? Oder würde gern ein Foto von ihr machen? Sie war der Traum eines jeden Fotografen – ein schlanker, biegsamer Hals, hohe Wangenknochen, große ausdrucksvolle Augen, die von langen dichten Wimpern umgeben waren. Augen, in denen ein Mann sich verlieren konnte, wenn er nicht vorsichtig war.

Kane blickte auf Allisons Spiegelbild im Fenster und betrachtete sie, während sie auf die Straße hinunterblickte. Sie besaß etwas Außergewöhnliches, etwas Zartes, doch gleichzeitig Starkes. Er wusste, dass sie Ballett studiert und dann als professionelle Tänzerin und als Ballettlehrerin gearbeitet hatte, bis sie vierundzwanzig Jahre alt war. Dann hatte sie sich das Knie verletzt und war gezwungen gewesen, ihren Beruf aufzugeben. Sie besaß den grazilen, durchtrainierten Körper einer Tänzerin, feste, wundervoll geformte Brüste und Beine, die ein Verkehrschaos verursachen konnten.

Unter anderen Umständen hätte er diese Frau mit der gleichen Hartnäckigkeit umworben, die er bei allem aufbrachte. Aber die Umstände erlaubten es nicht. Er ließ sich nie mit Klientinnen ein, noch nicht einmal für ein Wochenende, obwohl er sich genau das mit Allison vorgestellt hatte. Für einen Moment stellte er sich vor, wie sie nackt und ausgestreckt unter ihm lag. Dann schob er den Gedanken rasch zur Seite, bevor sein Körper reagieren konnte.

Verflixt. Er seufzte beinahe laut. Es wäre ein wundervolles Wochenende geworden.

Allison starrte immer noch abwesend aus dem Fenster, als sie zu sprechen begann. „Ich habe in letzter Zeit sehr viel gearbeitet. Außer bei einem Mittagessen mit meinem Vater war ich nirgendwo.“

„Sie waren vor drei Nächten mit einem Mann namens Michael Peterson aus.“

Allison warf Kane einen scharfen Blick zu. „Ja, das war ich, Mr. Kane. Und woher wissen Sie das?“

Jetzt hatte er ihre volle Aufmerksamkeit. Gut. „Was ich weiß, und woher ich es weiß, spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass Sie sich erinnern, wo Sie in der letzten Woche waren, besonders an den Tagen, als diese Fotos gemacht wurden – wohin Sie gingen, mit wem Sie redeten und wer mit Ihnen geredet hat. Denken Sie sorgfältig nach.“

Allison hatte Schwierigkeiten, überhaupt nachzudenken. Zuerst musste sie diese Fotos verkraften, und dann sagte ihr dieser Mann auch noch ganz lässig, mit wem sie ausgegangen war. Sie begann sich zu fragen, über wen sie sich mehr Sorgen machen sollte, über den Mann, der sie unerlaubt fotografiert hatte oder über Mr. Thomas Kane.

„Ich würde mich an jemanden erinnern, der mir seltsam vorgekommen wäre“, sagte sie ungeduldig. „Aber ich kann mich unmöglich an jede Person erinnern, mit der ich gesprochen habe.“

„Sie müssen sich aber erinnern“, beharrte er. „Ein Angestellter, ein Kellner, jemand, der Sie nach der Uhrzeit gefragt oder Ihnen die Tür aufgehalten hat. Einfach alles. Es könnte für Sie oder Ihren Vater sehr wichtig werden.“

Ihr Vater. Sie erinnerte sich an den Präsidenten des Fernsehsenders, schloss die Augen und zwang sich, sich an die letzten Tage zu erinnern, an etwas, das außergewöhnlich gewesen wäre.

Sie war in der Reinigung gewesen … der Autoservice … das Abendessen mit Michael.

Nichts Aufregendes und sicherlich nichts Außergewöhnliches.

Seufzend sah sie Kane an und schüttelte den Kopf. „Ich könnte Ihnen noch nicht einmal sagen, was ich an jenem Abend gegessen habe.“

„Ente mit Orangensoße und Mandelbällchen.“

Sie war so überrascht, dass sie ihn für einen Moment anstarrte. Und dann passierte etwas Unglaubliches.

Er lächelte.

Nun, es war nur ein Anflug eines Lächelns, verbesserte sich Allison, aber der Effekt war überwältigend. Sie spürte das laute Klopfen ihres Herzens und verfluchte sich selbst dafür, dass sie ihn so attraktiv fand. „Sie sagten, dass mein Vater Sie engagiert hat, weil Sie der Beste sind, Mr. Kane. Worin sind Sie denn der Beste?“

Zu spät bemerkte Allison den zweideutigen Charakter ihrer Frage, und während sie sich ansahen, schien das Gewitter plötzlich in den Raum eingedrungen zu sein und die Luft mit Elektrizität gefüllt zu haben. Unwillkürlich hielt sie den Atem an, als sie auf seine Antwort wartete.

„Kidnapping.“

„Sie entführen Leute?“

Kanes Lächeln wurde für einen winzigen Moment breiter. „Ich verhindere Entführungen.“

„Das ist Ihr Beruf?“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Sie verhindern Entführungen?“

„Davon lebe ich.“ Und zwar gut, hätte Kane hinzufügen können, aber er unterließ es. Sein Geschäft hatte sich um fünfzehn Prozent gesteigert, und er erwartete, dass es sich in diesem Jahr verdoppeln würde. Männer und Frauen, die reich waren und Macht besaßen, zahlten gut, um sich und ihre Lieben zu schützen. „Meine Firma hat ihren Standort in Miami. Ich verfüge über Referenzen, falls Sie sie zu sehen wünschen.“

„Das wird nicht notwendig sein.“ Dieser Mann brauchte keine Referenzen, dachte Allison, und es war nicht nur seine Größe und sein durchtrainierter muskulöser Körper, der ihn so beeindruckend wirken ließ. Dieser Mann besaß eine Präsenz, die so machtvoll war, dass man sie nicht ignorieren konnte. Männer respektierten ihn, und Frauen konnten dieser Ausstrahlung nicht widerstehen. Und ich, stellte Allison verärgert fest, bin keine Ausnahme.

Sie erinnerte sich, dass die Angelegenheit, um die es hier ging, bedeutend wichtiger war als ihre eigenen Hormone, die seit langem Winterschlaf gehalten hatten, und starrte hinunter auf die Straße.

Die Wagen hingen in dieser Hauptverkehrszeit Stoßstange an Stoßstange. Scheibenwischer bewegten sich gleichzeitig im monotonen Rhythmus. Tausende von Leuten wollten nach Hause und dachten an nichts anderes als an das Abendessen mit ihrer Familie.

Und irgendwo da unten war ein Mann mit einer Kamera.

Sie wandte sich langsam Kane zu, als sie vor der Zimmertür Männerstimmen hörte. „Diese Männer auf dem Flur, gehören die zu Ihnen?“

„Nein.“ Er stand neben ihr und betrachtete ebenfalls den Verkehr. „Sie gehören zu den Sicherheitsbeamten Ihres Vaters. Ich bin hier, um mit ihnen zu arbeiten, ihnen beizubringen, was ich weiß.“

Allison fragte sich, wer wohl Kane sein Wissen beigebracht hatte. „Und was ist mit unserem Freund mit der Kamera?“, fragte sie leise.

Kane hätte ihr gern gesagt, dass sie den Kerl in ein oder zwei Tagen geschnappt hätten und sie ihr Leben ruhig so weiterführen konnte wie bisher, aber er machte nie Versprechungen, und er unterschätzte nie ein Problem.

„Er hat bereits Fehler gemacht – er stahl einen Wagen und ließ die Filmrolle darin liegen. Ich schätze, dass er noch mehr Fehler begehen wird. Er wird versuchen, die falsche Person zur falschen Zeit zu erwischen, und das wird ihn zu Fall bringen.“

Sie wandte sich ihm zu, die Arme fest über der Brust verschränkt. „Und welche ‚falsche Person‘ wird er vermutlich in seine Hände bekommen wollen?“

Er wartete, bis sie ihn ansah. „Sie.“

Allison sah ihn erschrocken an. „Nun“, sagte sie dann und lachte nervös. „Sie nehmen wirklich kein Blatt vor den Mund.“

„Der Kidnapper auch nicht.“

Sie holte tief Luft und nickte. „Und was nun?“

„Im Moment wäre es das Beste, wenn Sie auf Ihren Vater hörten und für ein paar Tage zu Hause blieben.“

Also wären wir wieder beim gleichen Thema, dachte Allison. „Haben Sie Kinder?“, fragte sie.

Sie hätte schwören können, dass er leicht zusammenzuckte, aber vielleicht hatte sie es sich auch nur eingebildet.

„Nein.“

„Eine Frau?“

In seine Augen trat ein harter Ausdruck. „Nein.“

„Dann wird es schwierig sein, Ihnen das zu erklären, aber ich werde es trotzdem versuchen. Im St. Martin Center warten fünfundzwanzig Kinder darauf, dass ich zu ihnen komme. Ich gehe mit ihnen ins Kino, lese ihnen vor, spiele mit ihnen. All die Dinge, die ihre drogensüchtigen oder alkoholabhängigen Mütter und Väter nicht tun.“

Sie beugte sich vor und wünschte sich, er würde sie verstehen. „Aber ich tue noch mehr, etwas, was noch wichtiger ist. Ich halte sie in meinen Armen, ich küsse sie. Ich sage ihnen, dass sie etwas ganz Besonderes sind, und halte sie noch ein wenig länger. Für eine kleine Weile teile ich mit ihnen das Leid, das ich nie erfahren musste, einen Schmerz, den die meisten Leute nicht nachvollziehen können.“

Kane spürte, wie sein alter Schmerz wieder auflebte, und er hätte ihr gern gesagt, dass er sie gut verstehen konnte. Nur allzu gut. Aber er sagte nichts.

Allison ballte die Hände zu Fäusten und war nicht nur über die Situation verärgert, sondern auch über sich selbst, weil sie versuchte, diesem Mann zu erklären, was ihr das Center und die Kinder bedeuteten. Wenn man von seinem verschlossenen Gesichtsausdruck ausging, hatte er wahrscheinlich nicht einmal zugehört. Nie hätte sie geglaubt, dass ein Mann so kalt sein konnte.

Sie sagte sich zwar, dass es gleichgültig war, ob dieser Mann sie verstand oder nicht, aber dennoch machte sich Enttäuschung in ihr breit. Sie trat einen Schritt zurück und ging auf den Schreibtisch ihres Vaters zu.

„Ich werde es nur einmal sagen“, sagte sie rasch, aber sehr bestimmt. „Ich habe nicht die Absicht, mich zu verstecken, während da draußen irgend so ein Irrer herumläuft. Diese Kinder brauchen mich, und ich brauche sie sogar noch mehr. Wir üben gerade ein kleines Theaterstück ein, und ich kann es mir nicht leisten wegzubleiben. Ich werde, solange es notwendig ist, im Hause meines Vaters wohnen, aber weiter werde ich keinerlei Zugeständnisse machen. Außer dienstags werde ich jeden Tag ins Center gehen, ob es Ihnen nun gefällt oder nicht.“

Es gefiel ihm nicht, aber da er diese Frau nicht festbinden konnte, gab es nicht viel, was er gegen ihre Entscheidung tun konnte. Er war überrascht, wie schnell ihre Angst in Wut übergegangen war. Zwar gefiel es ihm, wie ihre Augen vor Entschlossenheit funkelten, aber seine Aufgabe würde durch ihre Dickköpfigkeit noch schwieriger werden. Er seufzte insgeheim. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Frau sein Leben erschweren würde.

„Nun, Miss Westcott …“ Er ging auf sie zu. „… dann werden wir wohl so zurechtkommen müssen.“

Er spürte ihre Anspannung, als er an ihr vorbei die Hand ausstreckte, um die Fotografien vom Schreibtisch zu nehmen. Er sah sie kurz durch und hielt bei dem Foto an, auf dem sie in ihrer Unterwäsche abgebildet war. Ihr BH war aus schwarzer Spitze, der Slip, der aus demselben hauchzarten Material war, wäre mit einer Handbewegung ausgezogen. „Aber in der Zwischenzeit könnten Sie wenigstens die Jalousien schließen.“

Allison begriff, dass Kane sie einschüchtern wollte. Und es funktionierte, verflixt noch mal. Sie spürte, wie ihre Wangen rot wurden, als er auf ihr Bild starrte. Sie riss es ihm aus der Hand. „Das werde ich.“

Die Tür öffnete sich, und Oliver Westcott kam ins Zimmer zurück. Er machte ein sorgenvolles Gesicht. „Es tut mir leid, Allison. Ich habe heute Abend einen Termin in Los Angeles mit einem unserer wichtigsten Kunden und muss zum Flughafen.“ Er nahm seine Aktentasche, die unter dem Schreibtisch stand, und gab Allison einen Kuss auf die Wange.

Sie hielt seinen Arm fest. „Wie kannst du jetzt verreisen? Was ist, wenn der Kerl auf dich wartet?“

„Ich habe Verpflichtungen, Allison, und genau wie du möchte ich sie erfüllen und werde mich nicht verstecken, Kleines.“ Er legte die Hand unter das Kinn seiner Tochter und sah sie an. „Zwei der Sicherheitsbeamten werden mitkommen. In ein paar Tagen werde ich wieder zu Hause sein, und wir werden über alles sprechen. Unterdessen bist du bei Kane in guten Händen.“

In guten Händen? Bei Kane? „Daddy …“

„Es tut mir wirklich leid, Liebes.“ Er war bereits auf dem Weg, das Büro zu verlassen. „Oh, und Allison …“ Er drehte sich noch einmal zu ihr um. „… würdest du bitte das Gästezimmer herrichten lassen? Kane wird bei uns im Hause wohnen.“

2. KAPITEL

Es war unglaublich, wie sehr sich das Leben in wenigen Minuten verändern konnte.

Allison starrte auf Kanes breiten Rücken, erstaunt darüber, wie geschickt er sie in den Fahrstuhl manövriert hatte, und zwar so, dass er sie von den anderen Menschen, die sich ebenfalls im Lift befanden, abschirmte. Zwei weitere Sicherheitsbeamte waren mit eingestiegen und standen jetzt an der Tür wie Wächter vor einem Burgtor.

Sie wusste, dass sie sich – von so viel Muskelkraft umgeben – sicher fühlen sollte, aber stattdessen fühlte sie sich fast erdrückt.

Sie war auf sich gestellt gewesen, seit sie achtzehn Jahre alt war – damals war ihre Mutter gestorben –, und sie war es gewohnt, zu kommen und zu gehen, wie es ihr gefiel. Sie würde sich erst daran gewöhnen müssen, ständig Leibwächter in ihrer Nähe zu haben. Und besonders im Fall von Thomas Kane würde sie große Mühe haben, es zu akzeptieren.

Sie starrte auf die breiten Schultern, die ihr die Sicht versperrten, und verfluchte die Wärme, die sich in ihrem Körper ausbreitete. Das Gefühl, an der Leine gehalten zu werden, war schon schlimm genug, aber am meisten irritierte sie die Anziehungskraft, die zwischen ihr und Kane bestand. Was hatte er nur an sich? Nie zuvor hätte sie einen solchen Mann anziehend gefunden. Aber genau genommen hatte sie einen Mann wie Kane auch noch nie getroffen. Und die wenigen Männer, mit denen sie bisher ausgegangen war, waren … was? Durchschnitt.

Aber was war falsch daran, durchschnittlich zu sein? Absolut nichts. Es waren nette, interessante Männer gewesen.

Leider hatten sie nichts weiter als einen schalen Geschmack zurückgelassen.

Was machte Kane so anders? Allison hob das Kinn und betrachtete ihn, entschlossen, seine Schwächen herauszufinden.

Er war zu groß, entschied sie. Sie hasste es, den Kopf in den Nacken legen zu müssen, um jemandem in die Augen schauen zu können. Und er war auch nicht gerade ein schöner Mann, wenigstens nicht im klassischen Sinn, obwohl sich bestimmt viele Frauen zu so viel Männlichkeit hingezogen fühlten.

Sie betrachtete sein Profil und fand, dass er Werbung für einen Militärfilm machen könnte. Man konnte sich diesen Mann leicht vorstellen, wie er sich – schweißgebadet, mit nacktem Oberkörper – einen Weg durch einen Dschungel bahnte …

Schluss damit! Sie zwang sich wegzusehen und starrte an die Wand. Wie um alles in der Welt kam sie dazu, sich Fantasien über einen Mann hinzugeben, den sie erst vor einigen Minuten kennen gelernt hatte. Hatte sie nicht an Wichtigeres oder vor allem an Ernsthafteres zu denken? Zum Beispiel an den Verrückten, der sie verfolgte und Fotos von ihr machte.

Der Fahrstuhl hielt im nächsten Stock. Eine Person ging hinaus, zwei weitere kamen herein. Es entstand ein leichtes Gedränge, und Kane wurde gegen sie gedrückt. Ihre Brüste pressten sich gegen die soliden Muskeln seines Rückens. Ihr Atem stockte, ihr Herz schlug auf einmal bedeutend lauter. Unwillkürlich wollte sie die Hände heben, um ihn ein wenig von sich zu schieben, aber der Verstand sagte ihr, es bleiben zu lassen. Irgendein tief verwurzelter Instinkt mahnte sie, dass es gefährlich für sie wäre, diesen Mann zu berühren. Aber am ärgerlichsten war die Tatsache, dass Kane von dem intimen Körperkontakt überhaupt nichts mitzubekommen schien. Er war offensichtlich nur an der Fahrstuhlanzeige interessiert.

Als sie endlich das Erdgeschoss erreicht hatten, war Allison nicht sicher, ob ihre Beine sie noch tragen würden. Sie war fast dankbar, als Kane sich herumdrehte und ihren Arm fasste.

„Ich brauche Ihre Schlüssel.“

„Meine Schlüssel?“

„Schlüssel“, wiederholte er und führte sie durch die Halle. „Sie wissen schon, womit man Türen öffnet und Wagen startet.“

Stirnrunzelnd suchte sie in ihrer Handtasche herum und holte sie heraus. „Was wollen Sie?“

„Danke.“ Als Kane ihr die Schlüssel aus der Hand nahm, waren sie ins Freie gekommen. Es hatte aufgehört zu regnen, und der blaue Himmel war durch die Wolkenlücken zu sehen. Als Allison ihren Kombi erreicht hatte, öffnete er ihr die Beifahrertür. Wütend stieg sie in den Wagen und bemerkte, dass Kane den beiden Sicherheitsbeamten, die gerade in einen weißen Wagen stiegen, fast unmerklich zunickte.

„Ich bin durchaus fähig, allein zu fahren“, bemerkte sie, als er auf dem Fahrersitz Platz nahm und den Motor startete.

„Ich bin sicher, dass Sie das können – unter normalen Umständen.“ Er blickte in die Spiegel und lenkte den Kombi in den Verkehr. „Aber was tun Sie, wenn jemand mit dem Wagen neben Sie fährt, mit dem Revolver auf Ihren Kopf zielt und Sie zwingt heranzufahren?“

Der Gedanke, dass irgendjemand mit einem Revolver auf sie zielen könnte, ließ sie erschaudern. „Ich weiß es nicht. Woher soll ich wissen, wie man sich in so einer Situation verhält?“

„Es wäre besser, wenn Sie sich darüber Gedanken machen würden.“ Er drehte plötzlich mitten auf der Straße um und fuhr nach Westen auf ihr Apartment zu. „Ihr Leben könnte davon abhängen.“

„In Ordnung.“ Sie dachte für einen Moment nach. „Ich gebe Gas.“

„Falsch. Sie treten auf die Bremse.“

„Was?“

„Erste Lektion, Allison. Hören Sie gut zu.“ Er sah sie durchdringend an. „Verhalten Sie sich aggressiv, entschlossen, und sehen Sie dann zu, dass Sie wegkommen.“

Sie sah ihn ungläubig an. „Das ist Ihr Ernst, ja? Um Himmels willen, Kane, das hier ist keine militärische Operation.“

„Und wir reden nicht über das Königreich im Märchenland, Prinzessin.“

Sie biss ärgerlich die Zähne zusammen und gab dann die erste Antwort, die ihr in den Sinn kam. „Nennen Sie mich nicht Prinzessin.“

„Dann hören Sie auf, sich wie eine zu benehmen.“ Kane warf erneut einen prüfenden Blick in den Rückspiegel und schien zufrieden zu sein, dass der weiße Wagen noch hinter ihnen war. „Sie müssen ein paar Dinge begreifen. Ich bin kein Kind mehr und auch nicht hier, um Ihre Hand zu halten.“

Die Hand zu halten. Allison umklammerte die Armlehne so fest, dass ihr die Finger wehtaten. „Ich finde, es wäre besser, wenn Sie ein paar Dinge begreifen würden, Mr. Kane. Weder will ich, dass Sie mir die Hand halten, noch brauche ich das. Ich bin mehr als fähig, allein auf mich aufzupassen.“

Er warf ihr einen Blick zu und lächelte. „Sie werden noch an Ihre Worte denken. Ihr Unterricht beginnt früher, als Sie glauben.“

Sie hatte weder eine Ahnung, wovon er sprach, noch wagte sie ihn zu fragen.

Wenige Minuten später hielt Kane vor ihrem Apartment, und nachdem sie einen Koffer gepackt und ihre Pflanzen gegossen hatte, fuhren sie über die Brücke weiter nach Fox Island. Sie würden in zehn Minuten im Haus ihres Vaters sein.

„Da ist noch etwas“, sagte Kane plötzlich und brach das Schweigen, das zwischen ihnen entstanden war. „Ich brauche eine Liste der Männer, mit denen Sie ausgegangen sind und/oder geschlafen haben.“

Sie hatte ihn nicht richtig verstanden. Das konnte nicht sein! Oder hatte er sie tatsächlich so lässig nach einer Liste ihrer Liebhaber gefragt, als wenn er sich nach der Uhrzeit erkundigen wollte? Sie drehte sich in ihrem Sitz um und starrte ihn an. „Wie bitte?“

„Ich brauche eine Liste der Männer, mit denen …“

„Wagen Sie es nicht, das noch einmal zu sagen“, zischte sie. „Denken Sie noch nicht einmal daran. Mit wem ich ausgehe, oder wie Sie sich so gewählt ausdrücken ‚schlafe‘, geht niemanden etwas an.“

Plötzlich war sie froh, dass Kane fuhr, wahrscheinlich wäre sie jetzt von der Brücke heruntergefahren, wenn sie selbst am Steuer gesessen hätte.

„Es ist gar nicht unüblich, dass das Opfer seinen Entführer bereits vorher kennt“, erklärte Kane. „Und oft sogar intim.“

Allison lehnte sich zurück. „Ich versichere Ihnen, dass dieser Schuft mich nicht kennt. Tut mir leid, Kane, aber wenn Sie glauben, mit dieser Masche bei mir landen zu können, haben Sie sich geirrt. Da müssen Sie sich schon etwas Geistreicheres einfallen lassen.“

Er lächelte so selbstsicher, dass ihr ganz anders wurde. „Eins sage ich Ihnen, Prinzessin. Wenn ich bei einer Lady landen will, kann ich sehr kreativ sein, und bisher hat mir noch keine einen Korb gegeben.“

Das bezweifelte sie keine Sekunde. Schließlich hatte sie die fatale Wirkung seines Charmes selbst erfahren. Um ihr Erröten zu verbergen, drehte sie den Kopf und starrte aus dem Fenster. „Nennen Sie mich nicht Prinzessin“, brachte sie mühsam hervor.

Es würde nicht einfach werden.

Kane stand am südwestlichen Teil der Klippen, die hinter der Westcott-Villa lagen, und blickte prüfend über das Gelände. Eine zwei Meter hohe rote Ziegelsteinmauer umgab das Grundstück, auf dem blühende Bäume und perfekt gestutzte Büsche vor der zweigeschossigen Villa im spanischen Stil wuchsen. Das viele Grün war zwar sehr ästhetisch fürs Auge, aber auch ein Paradies für ungebetene Gäste, dachte er mit einem Anflug von Ärger.

Und das Haus besaß mehr Fenster, als Seattle Regentage hatte.

Besonders ein Fenster im ersten Stock, das Zimmer, in dem Allison schlief, zog Kanes Aufmerksamkeit auf sich. Nach dem Foto zu schließen, müsste er sich jetzt an dem Punkt befinden, an dem der Mann das Foto geschossen hatte, das Allison in Unterwäsche zeigte. Die Felsen waren hier hoch genug, um sich dahinter verstecken zu können, und es war einfach, vom Strand aus hier hochzuklettern. Dieser Fleck war so abgelegen, dass ihn wohl kaum ein Nachbar gesehen haben konnte, und Allison war so naiv, dass sie ihn, wenn sie ihn entdeckt hätte, wahrscheinlich zum Mittagessen eingeladen hätte.

Kane erinnerte sich an den Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie sich selbst auf dem Foto in Spitzenunterwäsche erblickte. Sie war sehr blass geworden, und als er ihr die Fotos aus der Hand nahm, hatte sie sich wie Eis angefühlt. Er wusste, dass sie Angst hatte, er hatte sie in ihren Augen gesehen. Trotzdem weigerte sie sich, einige Tage hier im Haus zu verbringen, wo sie in Sicherheit wäre.

Aber warum nur? Er schüttelte irritiert den Kopf. Was machte es schon, wenn sie für ein paar Tage nicht ins Center ginge? Vielleicht wären die Kinder enttäuscht. Aber Enttäuschung hatte noch kein Kind umgebracht. Sonst wäre er bereits im zarten Alter von sieben gestorben.

Der Schrei einer Möwe ertönte, und Kane drehte sich herum und sah zu, wie der Vogel tief übers Wasser flog. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund erinnerten ihn die sanft gleitenden Bewegungen des Tieres an Allison. Sie bewegte sich ebenso kraftvoll und mit der gleichen Eleganz. Zwar wusste er, dass sie Ballett studiert hatte, aber sie besaß eine Grazie, die man nicht erlernen konnte. Sie bewegte sich frei, sehr weiblich und erotisch.

Er konnte immer noch den sanften Druck ihrer Brüste in seinem Rücken spüren, als sie heute Morgen im Fahrstuhl standen. Die Wärme ihres Körpers war durch seine Kleidung gedrungen, und er hatte das Gefühl gehabt, seine Haut würde verbrennen. Dreißig Sekunden länger, und ihm wäre der Schweiß ausgebrochen. Er würde darauf achten müssen, Distanz zu ihr zu halten. Eine Frau wie Allison konnte die Gedanken eines Mannes verwirren und ihn die Kontrolle verlieren lassen. Und das war das Letzte, was Kane verlieren wollte.

Er dachte an die Akte, die er an diesem Morgen im Flugzeug gelesen hatte. Allisons Akte.

Vor sechs Jahren hatte sie das Diplom der Tanzakademie erworben, und der Rest ihres Lebens war so unkompliziert wie ein Kinderbuch zu lesen gewesen. Die Karriere, die sie als Tänzerin gemacht hatte, war bemerkenswert, aber sie schien praktisch kein Privatleben gehabt zu haben. Obwohl sie in Unterhaltungszeitschriften hin und wieder einmal in Verbindung mit einem Mann gebracht worden war, schien es in ihrem Leben keine ernsthafte Affäre oder einen zurückgewiesenen Liebhaber gegeben zu haben.

Er konnte ein leises Lächeln nicht unterdrücken, als er an die Entrüstung in ihrem Gesicht dachte, als er die Frage nach möglichen Liebhabern gestellt hatte. Er hatte sie fragen müssen, das war sein Job. Sein Interesse an Allisons Liebesleben war rein professionell gewesen.

Warum versuchte er dann in Gedanken, diesen Männern Gesichter zu geben, und fragte sich, ob vielleicht ein Tänzer, mit dem sie gearbeitet hatte oder einer ihrer vielen Verehrer als Fotograf infrage kam? Was für einen Unterschied würde das machen?

Keinen, sagte er sich. Er war nur ein wenig nervös und erschöpft. Die letzten zwölf Monate hatte er ohne Unterbrechung hart gearbeitet. Es hatte wenig Zeit für Frauen oder überhaupt für erholsame Stunden gegeben. Sobald dieser Fall erledigt wäre, würde er sich eine langbeinige Blondine suchen und es sich mit einer Flasche Jack Daniels irgendwo an einem einsamen Fleckchen Strand auf den Bermudas bequem machen.

Er stellte sich bereits die Wellen des Ozeans vor, spürte die warme Brise und ein langes schlankes Bein, das die Frau um seinen nackten Körper geschlungen hatte. Ihr dunkles Haar schimmerte und hob sich vom hellen Sand ab.

Dunkles Haar? Wo war die Blonde geblieben?

Verflixt, Kane fuhr mit einer Hand über sein Gesicht. Er brauchte diesen Urlaub wohl doch früher, als er geglaubt hatte. In der Zwischenzeit konzentrierte er sich besser darauf, wofür Oliver Westcott ihn bezahlte – seine Tochter zu beschützen. Kane war sehr zufrieden über die Tatsache, dass nur die besten Männer Oliver nach Los Angeles begleitet hatten und bei ihnen im Haus rund um die Uhr Wache hielten. Zwei Männer würden das Grundstück bewachen, und ein dritter sollte Allison folgen, wenn sie das Haus verließ. Das war der schwierigste Teil.

Er wandte sich wieder dem Haus zu und starrte auf das Fenster von Allisons Zimmer. Die Falte auf seiner Stirn vertiefte sich. Warum konnte diese Frau nicht begreifen, dass es bedeutend besser für sie wäre, in der Sicherheit ihrer eigenen vier Wände zu bleiben? Jede andere Frau wäre nach Hause gelaufen und hätte alle Türen hinter sich verschlossen. Und es hätte auch sein Leben bedeutend leichter gemacht.

Kane seufzte. Offensichtlich war Allison Westcott nicht wie jede andere Frau. Und es war auch offensichtlich, dass sie sein Leben nicht leichter machen würde.

„Ich dachte, Sie würden vielleicht gern eine Tasse Kaffee trinken.“ Allison blieb zwei Schritte vor ihm stehen und reichte ihm die dampfende Tasse. „Ich hoffe, Sie trinken ihn schwarz.“

Er nickte, nahm ihr die Tasse ab und ärgerte sich darüber, dass er es vermied, ihre Hand zu berühren. Er sah zu, wie sie mit der Hand durch ihr Haar fuhr und dann die Arme vor der Brust verschränkte. Eine Geste, die Nervosität verriet. Sie ging zum Rand des Felsens und sah hinüber zum Sonnenuntergang.

„Ich habe bemerkt, dass Sie heute am Alarmsystem gearbeitet haben“, sagte sie schließlich, immer noch dem Meer zugewandt.

„Ich habe es lediglich überprüft.“

Als sie sich zu ihm umdrehte, wehte die Ozeanbrise ihr das dichte lockige Haar ins Gesicht. Fasziniert sah er zu, wie sie es sich aus dem Gesicht strich.

Er hatte noch nie die Wahrheit beschönigt, und er hatte nicht vor, jetzt damit zu beginnen. „Bevor ich ein paar Zusätze installierte, hatte ich Zweifel, ob es eine Kosmetikverkäuferin draußen halten würde.“

Allison erholte sich schnell von dieser Bemerkung. „Und jetzt?“

Er zuckte die Schultern. „Jetzt müssen wir uns wohl nur noch Sorgen um die Versicherungsvertreter machen.“

Der Mann besaß also auch einen Sinn für Humor, dachte Allison überrascht. „Und was geschieht jetzt?“

Er nahm einen Schluck von dem heißen, starken Kaffee. „Es wäre ideal, wenn wir den Kerl fänden, bevor er etwas unternimmt.“

„Und wenn wir ihn nicht finden?“

Man hörte das Rauschen des Meeres, und in der Ferne summte ein Motorboot. Kane war sich bewusst, dass sich die Gangster auch vom Meer der Westcott-Villa nähern konnten. Er beobachtete das Boot, bis es aus seinem Blickfeld verschwunden war. „Wie auch immer, wir sind für ihn bereit.“

„Wir sind in dieses Haus gezogen, als ich zehn Jahre alt war“, erklärte Allison. „Ich habe den ganzen Tag am Strand gespielt, sogar noch spät am Abend und habe nie das Gefühl gehabt, dass es hier irgendeine Gefahr gäbe.“ Sie seufzte und starrte zum Haus. „Es ist ein seltsames Gefühl, sich hier nicht sicher fühlen zu können, nicht zu wissen, wem man vertrauen kann.“

„Das ist die leichteste Lektion.“ Er sah sie prüfend an. „Vertraue niemandem.“

„Was ist mit Ihnen, Kane?“ Sie sah ihn an. „Darf ich Ihnen vertrauen?“

Seine Gesichtsmuskeln spannten sich an. „Ich bin hier, um meinen Job zu erledigen. Nicht mehr, nicht weniger.“

Sie warf ihm einen verzweifelnden Blick zu. „Hat Ihnen nie jemand gesagt, dass es ungesund ist, kein Vertrauen zu haben und jeden zu verdächtigen?“

„Es ist nicht gesund. Aber tot zu sein ist noch ungesünder.“

Allison hatte das Gefühl, einen Schlag in den Magen bekommen zu haben, und sie fragte sich, ob ein sadistischer Teil von ihm es genoss, sie in ständiger Anspannung leben zu lassen. „Danke für ihre beruhigenden Worte. Ich bin sicher, dass ich mit diesem Tipp heute Nacht bedeutend besser schlafen werde.“

Sie wollte sich entfernen, aber er hielt sie am Handgelenk fest.

„Allison?“

Sie war nicht sicher, was sie mehr überraschte, die Berührung seiner Hand oder die uncharakteristische Zärtlichkeit, die in seiner Stimme lag. Sie blickte auf die Hand an ihrem Gelenk und hob den Blick. Für einen Moment lag etwas wie Zärtlichkeit in seinen Augen, aber es war so schnell verschwunden, dass sie es sich auch eingebildet haben konnte.

„Ich bin nicht hier, damit Sie in der Nacht besser schlafen können“, sagte er ruhig. „Sie dürfen sich nicht gehen lassen, nicht einmal eine Minute lang. Meine Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass dieser Kerl Ihnen nicht zu nahe kommt. Ihre Aufgabe ist es, stets bereit und auf alles gefasst zu sein. Sie werden keine freundlichen Worte oder gar beruhigende von mir bekommen, weil ich Sie nicht beruhigen kann. So arbeite ich, und deshalb hat Ihr Vater mich eingestellt.“

Sie begann langsam zu verstehen, warum ihr Vater Kane angeheuert hatte. Die beiden Männer waren sich sehr ähnlich. So subtil wie eine Dampfwalze und so zäh und beharrlich wie ein wütender Bulle. Für sie zählte nur das Resultat. Es mochte ihr nicht gefallen, aber sie respektierte es.

Als er sie wieder losließ, wurde ihr klar, dass das so eine Art Entschuldigung von ihm gewesen war, mehr konnte sie von diesem Mann nicht verlangen. Unausgesprochen entstand so etwas wie ein Waffenstillstand zwischen ihnen. „Das Abendessen ist bereits im Backofen, aber es wird erst in fünfundvierzig Minuten fertig sein.“

Kane erinnerte sich, dass er mit dem Gärtner, aber noch nicht mit der Haushälterin gesprochen hatte. „Ich werde nach dem Abendessen einige Minuten mit der Haushälterin reden müssen“, erklärte er.

„Das wird ein wenig schwierig sein“, erwiderte Allison und spürte eine gewisse Befriedigung, dass Mr. Kane nicht alles wusste. „Ihre Enkelin hat gestern ein Baby bekommen, und sie ist verreist, um einen Monat bei ihr zu bleiben.“

Verwirrt blickte Kane zum Haus hinüber. „Und wer kocht?“

Du liebe Güte, glaubte dieser Mann eigentlich, sie wäre vollkommen hilflos? Sie unterdrückte den Ärger, der in ihr hochsteigen wollte. „Ich habe gelernt, ein oder zwei Mahlzeiten selbst zu kochen.“

„Ich erwarte nicht, dass Sie für mich kochen.“ Tatsächlich hatte er nicht erwartet, dass sie überhaupt kochen konnte.

Vermutlich erwartete Kane nie etwas von irgendjemandem. „Es gibt genug Essen“, erwiderte sie trocken. „Ich habe auch die anderen Männer gebeten, mit uns zu essen.“

Kane hätte am liebsten die Augen verdreht. Als Nächstes würde sie sagen, dass sie ein Picknick machen würden. „Ich werde den Leuten das Essen herausbringen“, erwiderte er schroff. „Diese Männer sind hier, um zu arbeiten, nicht um an Dinnerpartys teilzunehmen.“

„Oh, verflixt.“ Sie machte eine dramatische Geste. „Für wen soll ich dann heute Abend mein Abendkleid und meine Juwelen tragen?“

Er konnte sie sich gut mit Diamanten vorstellen. Diamanten und Smaragde und schwarzer Samt. „Sie werden Sie für unseren fotografierenden Freund tragen müssen, wenn Sie uns nicht unsere Arbeit machen lassen.“

Kanes Worte kühlten ihre Wut ein wenig ab und erinnerten sie unangenehm an die Situation, in der sie sich befand. Der Gedanke, dass tatsächlich jemand ins Haus kommen könnte, während sie schlief oder unter der Dusche stand, ließ sie erschaudern. Seitdem sie mit den Kindern im Center arbeitete, hatte sie immer geglaubt, auch die Schattenseiten des Lebens zu kennen. Aber die Wahrheit war, dass sie bisher nie selbst ein Opfer gewesen war. Noch nie hatte sie jemand bedroht oder sie verletzt, noch nie war jemand ihr gefolgt oder hatte sie beobachtet.

Oder sie heimlich fotografiert, während sie sich angezogen hatte.

Vielleicht hatte Kane recht. Vielleicht hatte sie wirklich in einem Märchenland gelebt. Vielleicht war sie doch mehr Prinzessin, als sie zugeben wollte.

„Ich muss jetzt nach dem Abendessen in der Mikrowelle sehen“, erklärte sie frech genug, um ihre Laune wenigstens ein bisschen wieder zu heben. „Diese Aluminiumbehälter sind schrecklich schwer sauber zu machen, wenn die Makkaroni und der Käse angebrannt sind.“

Kane sah zu, wie sie fortging, und fragte sich, ob er nicht zu hart mit ihr war. Aber schließlich war es seine Absicht, sie wütend zu machen. Ärger weckte Leute auf, und Allison musste hellwach bleiben. Es war seine Pflicht, sie daran zu erinnern, was für schlechte Menschen da draußen herumliefen, und es spielte keine Rolle, wie sehr er sie damit gegen sich aufbrachte. Es war nur zu ihrem Besten, zum Teufel noch mal!

3. KAPITEL

Barfuß, bekleidet mit einem Body und Leggings, schlich sich Allison auf Zehenspitzen aus ihrem Zimmer, lief die Treppen hinunter und die Halle entlang. Die kühle Luft rief Gänsehaut auf ihren bloßen Armen hervor, aber sie hieß die Kälte willkommen. Sie schätzte alles, was ihr zu dieser frühen Stunde, um fünf Uhr dreißig morgens, half, wach zu werden.

Es war nur ein kleiner Preis, den sie für etwas Privatleben zahlte, dachte sie und hielt den Atem an, als sie die Tür zum Gästezimmer erreichte, hinter der Kane schlief. Sie lauschte. Nichts. Absolute Stille.

Lächelnd ging sie weiter den Korridor entlang, froh, endlich ein paar Minuten für sich zu haben. Kane schien gestern Abend allgegenwärtig gewesen zu sein. Nicht, dass er stets hinter ihr gestanden oder ihr ständig gefolgt wäre. Eher das Gegenteil war der Fall gewesen. Die meiste Zeit hatte er sich in der Küche aufgehalten, hatte Karten und Akten studiert und war hin und wieder hinausgegangen, um mit den anderen Männern zu reden. Den ganzen Abend über schien er sie kaum wahrgenommen zu haben.

Und doch, obwohl sie ihn kaum sah, hatte sie seine Gegenwart gefühlt. Es spielte keine Rolle, dass er in dem anderen Raum oder draußen gewesen war. Durch das Haus schien eine Energie zu pulsieren, und es schien von einer Kraft belebt zu sein, die nie zuvor da gewesen war.

Ihr war klar, dass die außergewöhnliche Situation, in der sie sich befand, ihre Wahrnehmung schärfte. Schließlich war irgendwo da draußen jemand, der sie und ihren Vater beobachtete. Instinktiv aber wusste Allison nur zu gut, dass es vor allem Kanes Anwesenheit war, die die Atmosphäre im Haus veränderte. Gefahr und Leidenschaft schienen ein Teil dieses Mannes zu sein. Und obwohl es ihr einerseits Angst einjagte, zog es sie andererseits magisch an.

Genau das machte Thomas Kane zu einem so gefährlichen Mann, vermutete Allison. Einem Mann, dem sie um jeden Preis aus dem Weg gehen musste, selbst wenn es bedeutete, bei Sonnenaufgang aufzustehen.

Als sie die Tür zum Trainingsraum öffnete, stockte ihr bei dem Anblick, der sich ihr bot, der Atem.

Kane lag auf der Bank und stemmte Gewichte. Seine Bewegungen waren flüssig, Schweiß glänzte auf seinem Gesicht und seinen nackten Armen. Er trug eine Jogginghose und ein verwaschenes graues T-Shirt, das er am Schulteransatz abgeschnitten hatte.

Sie hätte wieder hinausgehen sollen, bevor er sie entdeckte, aber ihre Beine fühlten sich auf einmal so schwer an wie die Gewichte, die er stemmte. Selbst wenn sie wollte, hätte sie jetzt nicht wegsehen können.

Allison betrachtete ihn fasziniert und bewunderte nicht nur seinen perfekten Körper, sondern auch die Hingabe, mit der er trainierte. Sie kannte diesen Ausdruck, der auf seinem Gesicht lag, diesen Wunsch, sein Bestes zu geben. Sie hatte ihn bei vielen Tänzern gesehen und selbst auch den Preis dafür bezahlt. Vorstellungen mit gezerrten Bändern, Training mit blutenden Zehen.

Tanzen war alles gewesen, was sie je gekannt und je gewollt hatte, und als sie dann den Unfall hatte, war er ihr wie ein Fluch vorgekommen. Jetzt jedoch, wenn sie in die Gesichter der Kinder im Center blickte, wusste sie, dass er ein Segen gewesen war.

Die Gewichte fielen zu Boden, und Allison zuckte zusammen. Ihre Blicke trafen sich, und beide starrten sich an, ohne dass einer von ihnen sich bewegt hätte. Das Schweigen umhüllte sie wie ein Mantel. Sie spürte ihren Herzschlag und fühlte, wie ihr Körper sich anspannte.

Als Kane den Blick von ihr abwandte und nach einem Handtuch griff, atmete sie vor Erleichterung auf. Sie begann sich zurückzuziehen. „Ich werde später wieder kommen.“

Schwer atmend winkte er sie in den Raum zurück und wischte sich den Schweiß von Gesicht und Nacken. „Sie sind früh dran.“

Er atmete immer noch heftig von dem anstrengenden Training, und fasziniert sah sie auf seine Brust, die sich rasch hob und senkte. „Was meinen Sie mit ‚Ich bin früh dran‘?“

Er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. „Normalerweise trainieren Sie erst um sechs Uhr und dreißig Minuten.“

Gab es irgendetwas, was dieser Mann nicht von ihr wusste? Stirnrunzelnd trat sie in den Raum. „Und woher wissen Sie das?“

„Ihr Vater hat es erwähnt.“ Kane legte das Handtuch um seinen Nacken.

„Nachdem Sie gefragt haben, meinen Sie wohl.“

Er griff zu der Thermoskanne, die neben der Bank stand, und goss sich eine Tasse Kaffee ein. „Kaffee?“

Kein normaler Mensch würde zu dieser frühen Stunden bereits Kaffee trinken, aber Allison nahm trotzdem die Plastiktasse aus seiner Hand und hoffte, dass etwas Warmes ihre Nerven beruhigen würde. „Nur einen Schluck“, erklärte sie.

„Trinken Sie ihn aus.“ Er erhob sich und warf das Handtuch auf die Bank. „Das Koffein wird Ihnen gut tun, bevor wir beginnen.“

Sie sah ihn misstrauisch an. „Womit beginnen?“

„Mit Ihrem Unterricht.“

„Welchem Unterricht?“

Er schüttelte die Arme aus und stellte sich mit leicht gespreizten Beinen vor sie. „Ich werde Ihnen Selbstverteidigung beibringen.“

Selbstverteidigung? Allison senkte die Tasse und sah ihn ungläubig an. „Sie meinen Karate oder Judo?“

„Nicht genau. Ich werde Ihnen lediglich einige effektive Techniken beibringen, mit denen Sie sich selbst schützen können.“

Der Kaffee half offensichtlich ganz und gar nicht, ihre Nerven zu beruhigen. „Ich dachte, es wäre Ihre Aufgabe, mich zu beschützen.“

„Und was ist, wenn ich es nicht kann?“ Er sah sie an. „Was ist, wenn es diesem Kerl gelingen sollte, Sie tatsächlich in seine Hände zu bekommen, wenn ich angeschossen oder sogar tot bin? Dann sind Sie ganz auf sich allein gestellt, Allison. Was wäre dann?“

Die Vorstellung, dass Kane verletzt werden könnte, während er sie beschützte, jagte Allison Angst ein, und der Gedanke an Gewalt, wenn auch nur als Selbstverteidigung, bereitete ihr Magenschmerzen. „Ich weiß es nicht.“

„Sie müssen es aber wissen. Sie übernehmen entweder die Verantwortung für sich selbst, oder Sie werden ein Opfer sein, genau wie die Kinder im Center.“

Sie sah ihn wütend und herausfordernd an. „Lassen Sie die Kinder aus dem Spiel. Sie hatten keine Wahl in ihrem Leben.“

Er nickte. „Das stimmt. Sie hatten keine Wahl. Aber Sie haben eine. Sie können lernen, sich zu verteidigen, oder Sie können jetzt den Raum verlassen und eine Schlagzeile in der Morgenzeitung werden. Was wollen Sie?“

Sie wäre jetzt gern hinausgegangen, der Wunsch war geradezu übermächtig, aber sie wusste auch, dass Kane recht hatte.

Sie holte tief Luft und reichte ihm die Tasse. „Dann fangen Sie an.“

Kane nahm die Tasse aus Allisons Hand und bemerkte, wie ihr Gesicht nun einen bestimmten Ausdruck annahm. Gut. Entschlossenheit zählte mehr als Geschlecht oder Größe beim Training. Er zwang sich, sie anzusehen, und weigerte sich, dem Impuls nachzugeben, mit dem Blick über ihren wohlgeformten Körper zu gleiten. Ihr knapper, eng anliegender Body ließ – sehr zu seinem Unbehagen – allzu deutlich ihre sexy Kurven erkennen.

Er stellte die Tasse ab und wandte sich ihr dann wieder zu. „Die erste Regel und die wichtigste ist, dass Sie stets darauf Acht geben müssen, was um Sie herum geschieht. Beobachten Sie die Bewegungen von jedem, der an Ihnen vorbeigeht. Halten Sie den Verkehr um sich herum im Auge. Fragen Sie sich immer, in welche Straße Sie ausweichen und wohin Sie rennen könnten, um Hilfe zu holen. Achten Sie auf alles und jedes, was Ihnen außergewöhnlich vorkommt.“

„Jemanden wie Sie vielleicht?“ Sarkasmus lag in ihren Worten.

„Besonders auf einen wie mich.“

Er kam näher auf sie zu, und Allison wurde klar, dass er sie einschüchtern wollte. Obwohl ihr erster Impuls war, vor ihm zurückzuweichen, blieb sie mit klopfendem Herzen stehen. „Und was ist, wenn ich nicht weglaufen kann?“

Er trat noch näher an sie heran. „Dann müssen Sie ruhig bleiben und die Situation richtig einschätzen. Hat er einen Revolver? Ein Messer? Was gibt es in Ihrer Nähe, was Sie als Waffe benützen könnten? Ihre Schlüssel, Ihre Handtasche, einen Bilderrahmen oder ein zusammengerolltes Magazin? Alles, womit Sie schnell zuschlagen können und was Ihnen die Extrasekunde gibt, die Sie brauchen, um davonzulaufen.“

Was sie wollte, war, aus dem Trainingsraum hinauszugehen. Verflixt noch mal. Er war viel zu nah. Die Kleidung, die er gestern trug, hatte nicht gezeigt, wie muskulös er tatsächlich war. Seine Arme waren wie Stahlseile, seine Brust breit wie ein Türeingang. Sie wusste, dass diese Tatsache sie beruhigen sollte, aber im Moment fühlte sie sich alles andere als sicher.

„Die meisten Angreifer“, fuhr er fort, „erwarten ängstliche Fügsamkeit und Flehen, keinen Gegenangriff. Nutzen Sie das zu Ihrem Vorteil. Bitten Sie ihn, Sie nicht zu verletzen, und während er sich überlegen fühlt, schlagen Sie zu.“

„Reagiere schnell und aggressiv, und mach dann, dass du wegkommst“, zitierte sie Kanes gestrigen Spruch.

„Ja, genau.“ Er lächelte. „Sie schenken mir ja tatsächlich Ihre Aufmerksamkeit.“

Sie fragte sich, ob er eine Vorstellung davon hatte, wie wahr seine Bemerkung war. Mit weniger als dreißig Zentimetern Distanz zwischen ihnen besaß er tatsächlich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Der männliche Duft seiner Haut, die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, und dann diese Augen … Sie funkelten und schienen so unendlich wie der Himmel in einer sternklaren Nacht zu sein.

Mit einer Attacke fertig zu werden, schien plötzlich ein Kinderspiel gegen die Herausforderung, mit Kane zurechtzukommen.

Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Und nun?“

„Nun …“ Er packte sie plötzlich. „… Sie werden jetzt lernen, wie sie die Offensive führen müssen.“

Er hatte die Hände fest um Allisons Handgelenk gelegt und wusste nicht, wer erstaunter war, sie oder er. Natürlich hatte er sie überraschen wollen, hatte aber nicht damit gerechnet, dass es ihm genauso erging.

Ihre Haut war weich und kühl unter seinen Händen und ihr Duft so weiblich. Als er in ihre großen grünen Augen blickte und ihre vollen, leicht geöffneten Lippen sah, musste er sich daran erinnern, dass Allison Westcott eine Klientin war. Eine bildhübsche, aber dennoch eine Klientin. Als sie versuchte, sich seinem Griff zu entziehen, hielt er sie eisern fest.

„Und Sie erwarten wirklich, dass ich mich aus Ihrem Griff befreien kann?“, fragte sie mit leicht anklagendem Blick.

„Jeder Griff hat eine Schwachstelle. Für diesen hier liegt er hier …“ Er hob ihre Arme. „… zwischen Daumen und Zeigefinger. Drehen Sie die Arme herum, ziehen Sie dann nach unten und weg.“

Er macht Witze, dachte sie. Seine Hände lagen wie Stahlbänder um ihre Arme. Trotzdem tat sie, was er gesagt hatte, doch alles, was sie dadurch erreichte, waren schmerzende Arme. Sie sah ihn an. „Kane, ich kann nicht.“

„Denken Sie, es wäre eine Tanzbewegung“, ermutigte er sie. „Schnell und wütend, jedoch glatt und geschmeidig. Konzentrieren Sie sich. Konzentrieren Sie sich auf die Schwachstelle und beziehen Sie Kraft aus Ihrem Inneren.“

„Ich kann nicht.“

Er zog sie näher an sich heran. „Ich werde Ihnen keine Wahl lassen. Entweder befreien Sie sich selbst, oder Sie werden den ganzen Tag hier stehen.“ Er lächelte leicht. „Nur Sie und ich, Allison. Ganz allein.“

Der anzügliche Ton in Kanes Stimme war alles, was Allison brauchte. Sie hob das Kinn, straffte die Schultern, drehte die Arme herum, zog sie herunter – und war weg von ihm.

Sie hatte es geschafft.

Sie starrte auf ihre freien Arme. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Es war ihr gelungen, sich aus seinem Griff zu befreien. Überrascht sah sie Kane an, der sie mit diesem verflixten Ich-sagte-es-Ihnen-doch-Blick ansah. Für einen Moment kam sie in Versuchung, ihn stirnrunzelnd anzusehen, aber dann siegte die Zufriedenheit über ihr Resultat. Sie lächelte ihn an und stemmte die Hände in die Hüften.

„In Ordnung, Mr. Kane“, sagte sie. „Wir haben eine Stunde Zeit, bevor ich zur Arbeit muss. Bringen Sie mir bei, was Sie wissen.“

Zwei Stunden später, als sie auf der Fahrt nach Seattle neben ihm saß, bereute Allison bereits ihre Worte.

Die eine Stunde mit Kane hatte sie so mitgenommen, als wäre eine Herde Elefanten über sie hinweggetrampelt. Diese Unterrichtsstunde war, milde ausgedrückt, intensiv gewesen. Ihre Arme taten weh vom vielen Herumdrehen und seinen festen Griffen, ihre Handgelenke schmerzten, und das Knie, das sie sich bei dem Reitunfall verletzt hatte, war überanstrengt worden.

Aber das körperliche Unbehagen war nichts, verglichen mit dem Chaos, das in ihrem Inneren herrschte. Obwohl Kane sich durch und durch professionell verhalten hatte, hatten die Berührungen seiner Hände und der ständige Kontakt mit seinem Körper sie zu einem nervlichen Wrack gemacht. Ihre Reaktion auf seine Nähe war alles andere als professionell gewesen.

Stirnrunzelnd blickte sie zu ihm hinüber. Nicht ein einziges Mal, nicht wenn er sie fest gehalten hatte, nicht, wenn ihre Brust gegen seine gepresst war, hatte sie bemerkt, dass sich sein Gesichtsausdruck verändert hätte. Nicht ein einziges Mal hatte er sie angesehen, wie ein Mann eine Frau ansieht.

Sie lehnte sich in den Sitz zurück und starrte aus dem Fenster. Warum war sie dann so verärgert?

Als es wieder zu regnen begann, fragte Kane sich ernsthaft, ob man in Seattle überhaupt jemals einen blauen Himmel sah. Er fluchte leise, schaltete die Scheibenwischer ein und überprüfte im Rückspiegel, ob der weiße Wagen immer noch hinter ihnen war. Der Sedan, gefahren von Tony Salinas, war zwei Wagenlängen hinter ihnen. Tony, ein ungewöhnlich gut aussehender junger Mann italienischer Abstammung, arbeitete erst seit sechs Monaten als Sicherheitsbeamter für Oliver Westcott, und mit fünfundzwanzig besaß er nicht die Erfahrung, die Kane sich gewünscht hätte. Aber seine Akte war in Ordnung. Er hatte sechs Jahre in der Marine gedient und sogar eine Tapferkeitsmedaille für den Einsatz im Golfkrieg erhalten. Als Kane den Freeway verließ, folgte ihm Tony.

Allison zeigte nach links. „Nehmen sie die nächste Abbiegung an der …“

„Zweiten Straße“, beendete er den Satz für sie.

Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und sah dann nach hinten auf den folgenden Wagen. „Ich verstehe immer noch nicht, warum es notwendig ist, dass Sie und Tony mit mir zum Center kommen müssen. Dort sind ständig ein Dutzend Leute um mich herum. Was könnte denn da passieren?“

Er sah sie scharf an. „Wie gut kennen Sie Tony?“

„Tony Salinas?“

„Wie gut?“ Ungeduld klang aus seinen Worten heraus.

Die Andeutung, die in seinen Worten mitschwang, gefiel Allison ganz und gar nicht. „Nicht gut“, erwiderte sie schroff.

Die Hinterreifen rutschten weg, als Kane die Kurve zu scharf nahm. „Ich sagte Ihnen bereits, dass ich nicht an Ihrem Privatleben interessiert bin, Allison. Ich mache nur meine Arbeit. Falls Tonys Objektivität beeinflusst sein sollte, weil Sie beide ein Verhältnis haben oder hatten, werde ich jemand anderen einteilen müssen.“

„Weder hatte ich, noch habe ich eine Beziehung mit Tony Salinas“, erklärte Allison. „Ich habe ihn nur zwei Mal in meinem Leben getroffen, beide Male lediglich in seiner Funktion als Sicherheitsbeamter meines Vaters.“

Mit verschränkten Armen wandte sie sich von ihm ab. Kane hätte über ihren Ärger amüsiert sein können, aber Tatsache war, dass er genauso irritiert war wie sie. Er versuchte sich zwar einzureden, dass er diese Frage aus reinen Sicherheitsgründen gestellt hatte, aber das stimmte nicht. Diese Frage war aus privater Neugier gestellt worden.

Er war immer ein Mann gewesen, der Nervenkitzel gebraucht hatte. Er liebte Herausforderungen. Gefahr war so lebensnotwendig für ihn wie das Atmen. Aber wenn dazu auch noch eine Frau, dazu noch eine so schöne, auf den Plan trat, wurde es sogar ihm zu gefährlich. Wenn er mit Allison zusammen war, stand er ständig unter Hochspannung.

Sie hatte sich heute Morgen gut gehalten. Besser, als er es erwartet hatte, besonders, wenn man das Tempo betrachtete, mit dem er vorgegangen war. Ein Crash-Kurs in Selbstverteidigung war keine einfache Sache. Er hatte keine Zeit, Rücksicht auf sie zu nehmen. Wieder und wieder hatten sie die Bewegungen geübt, und sie würden es auch morgen und jeden weiteren Tag tun müssen, bis sie sie im Schlaf beherrschte. Bis sie gelernt hatte, direkt und instinktiv zu reagieren.

Er warf einen Blick zu ihr hinüber und betrachtete ihre schönen schlanken Hände, mit denen sie nervös an dem Kragen ihrer pinkfarbenen Seidenbluse herumzupfte. Es war erst eine Stunde her, dass er sie berührt hatte, und er erinnerte sich nur allzu gut, wie zart und weich sie sich angefühlt hatte. Er spürte plötzlich den fast unbezwingbaren Wunsch, sie zu berühren. Er wünschte sich, langsam ihre Bluse aufzuknöpfen und über ihre Schulter gleiten zu lassen, dann mit den Händen über ihren Brustansatz zu streichen und …

„Sie haben die Abzweigung verpasst.“

Er sah sie an. „Wie bitte?“

Sie hob leicht das Kinn und erwiderte seinen Blick. „Sie sind gerade am Center vorbeigefahren.“

Bei der nächsten Straße bog er links ab. „Wir werden von hinten ans Center heranfahren.“ Er bog wieder nach links ab. „Wenn jemand uns beobachten sollte, wird er annehmen, dass Sie Ihre übliche Route nehmen. Ich habe vor, diesen Gangstern das Leben zu erschweren, wo ich nur kann.“

Nicht annähernd so schwer, wie er ihr Leben machte, dachte Allison. Sie sah erleichtert zu, wie er langsam auf den hinteren Parkplatz des Centers fuhr. Er hatte seine Gefühle unter Kontrolle.

Sie seufzte innerlich und hob ihre Handtasche auf, während Kane parkte. Sie müsste härter werden, das war der einzige Schutz gegen einen Mann wie Kane.

Als Allison mit Kane an ihrer Seite durch die Hintertür das Center betrat, hörte man bereits das Lachen und Kreischen von Kindern und das Klappern von Bestecken auf Porzellan. Es war einer der Gründe, warum sie jeden Tag hierher kam, diese Energie, die hier pulsierte. Allison wandte sich zu Kane. „Sie frühstücken gerade, wir könnten …“

„Allison!“

Bei dem Schrei spannte sich unwillkürlich jeder von Kanes Muskeln an, aber er entspannte sich wieder, als er sah, dass ein kleines fünf- oder sechsjähriges Mädchen, das sich jetzt um Allisons Beine klammerte, diesen Schrei von sich gegeben hatte.

Kinder waren für Kane höchst seltsame Geschöpfe. Er hatte keine, noch hatte er seit seiner Jugend in irgendeiner Form mit ihnen zu tun gehabt. Fasziniert sah er zu, wie Allison das Kind hochhob und sich lachend mit ihr drehte. Es war das erste Mal, dass er Allison von Herzen lachen hörte, und es schien ihn von innen her zu wärmen.

„Guten Morgen, Courtney.“ Allison küsste die rosige Wange der Kleinen. „Warum isst du kein Frühstück?“

„Ich habe auf dich gewartet.“ Courtney bemerkte Kane in diesem Moment und verbarg schnell ihr Gesicht an Allisons Nacken.

„Das ist mein Freund Kane“, erklärte sie sanft dem Kind. „Er wird ein paar Tage bei uns sein. Ist das in Ordnung?“

Courtney verbarg weiterhin ihr Gesicht und schüttelte den Kopf.

„Aber er ist ein sehr netter Mann.“ Allison gab Kane mit einem Wink zu verstehen, dass er etwas sagen sollte.

Sprachlos starrte Kane Allison und das Kind an. Er hatte Premierminister, Hoheiten, Filmstars, ja sogar den Präsidenten der Vereinigten Staaten getroffen, aber er hatte noch nie die Sprache verloren. Und plötzlich schien ihm ein kleines Mädchen die Zunge zu lähmen. Die Falte auf Allisons Stirn vertiefte sich.

„Ah“, murmelte er und suchte verzweifelt nach Worten, „der Spitzenkragen von deinem Kleid ist wirklich sehr hübsch, Courtney.“

Courtney warf Kane einen verstohlenen Blick zu und lächelte. Verwundert sah Kane Allison an. Sie lächelte ebenfalls.

„Jetzt geh und frühstücke, Kleines.“ Allison stellte das Mädchen wieder auf den Boden. „Ich werde kommen, nachdem ich Billy Guten Morgen gesagt habe.“

Als das Kind vergnügt davonlief, wandte sich Allison Kane zu. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie ein Mann sind, der Spitzenkragen an den Kleidern kleiner Mädchen bemerkt.“

Er lächelte. „Ich habe nie etwas mit kleinen Mädchen zu tun, aber Spitze an großen Mädchen erregt immer meine Aufmerksamkeit.“ Er neigte sich ein wenig vor und legte einen Finger auf ihre Schulter. „Seide ist ebenfalls hübsch.“

Allison wäre unter seiner Berührung fast zusammengezuckt. Er fuhr mit dem Finger leicht ihren Arm hinab, und für einen Moment hätte sie schwören können, Begehren in seinen Augen gesehen zu haben. Aber es war so schnell verschwunden, wie es gekommen war, und als er die Hand zurücknahm, wirkte sein Gesicht so verschlossen wie immer.

Ihre Knie waren weich, als sie sich von ihm abwandte, und das freudige Hallo der Kinder war eine willkommene Abwechslung, als sie kurz in den Speisesaal hineinblickte und allen einen guten Morgen wünschte. Dann lief sie rasch den Korridor entlang, nicht nur, weil sie Billy so schnell wie möglich sehen, sondern auch, weil sie Distanz zwischen sich und Kane bringen wollte.

Kane folgte ihr in einigen Metern Entfernung und war wütend, weil er für einen Moment die Selbstbeherrschung verloren und zu viel Gefühl gezeigt hatte. Nur eine harmlose Berührung, und er sehnte sich bereits danach, Allison in die Arme zu ziehen.

Er betrachtete sie, wie sie den Korridor entlangging und kurz an einer Tür anhielt, um einem Kind, das Windpocken hatte, Guten Tag zu sagen. Sie war hier in ihrem Element, stellte er fest. Es war offensichtlich, dass die Kinder sie liebten, und der Glanz in Allisons Augen zeigte, dass sie die Kinder ebenfalls liebte.

Als sie in einem Zimmer am Ende des Ganges verschwand, blieb Kane im Türrahmen stehen. In dem Zimmer saß ein dunkelhaariger, acht- oder neunjähriger Junge in seinem Bett und blickte zu einem kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher, der auf dem Nachttisch stand.

„Hi, Billy.“ Allison setzte sich neben den Jungen aufs Bett. „Wie geht es deinem Ohr heute?“

Billy starrte weiter auf den Fernseher. „Gut.“

„Billy, das ist Kane, ein Freund von mir.“ Sie wandte sich zur Tür. „Er wird für ein paar Tage bei uns sein.“

Das Kind blickte schmollend zu Kane und sah dann wieder auf den Bildschirm.

„Hast du etwas dagegen, wenn ich das abstelle?“ Sie zeigte auf den Fernseher.

Das Kind zuckte die Schultern. „Das Bild ist sowieso nicht gut.“

Sie schaltete das Gerät ab und griff dann in ihre Handtasche und holte etwas heraus, das wie eine Mischung aus einem kleinen Taschenfernseher und einer Fernbedienung aussah. „Ich dachte, du könntest mir vielleicht helfen. Jemand hat mir das hier gegeben, und ich weiß nicht, was ich damit machen soll.“

Ein leichter Glanz trat in Billys Augen. „Das ist ein Gameboy.“

„Ich bin nicht sehr gut mit solchen technischen Dingen.“ Sie drückte einen Knopf, und eine elektronische Musik signalisierte, dass das Spiel begann. „Könntest du herausfinden, wie man damit umgeht und es mir später zeigen?“

„Klar.“ Ein Lächeln lag auf Billys Gesicht, als er den Gameboy in seine Hand nahm.

„Guten Morgen, alle zusammen.“

Allison drehte sich herum und sah Suzanne Smith mit einem Frühstückstablett im Türrahmen stehen. Suzanne, eine bildhübsche Blondine, arbeitete seit einem Jahr im Center, und mit ihrer sanften Art hatte sie schnell jeden für sich gewonnen. Wenn man von dem Blick ausging, den Kane ihr zuwarf, hatte Suzanne bereits wieder eine neue Eroberung gemacht, stellte Allison irritiert fest.

„Versäume ich etwas?“, fragte Suzanne und trat in den Raum.

Zögernd stellte Allison Kane vor, gab aber keine Erklärung ab, warum er hier war. Dann klopfte Allison freundschaftlich auf Billys Bein und erhob sich. „Ich werde später für mein erstes Spiel zurück sein. Glaubst du, dass du klarkommen wirst?“

Das Kind nickte und lächelte. Ein Lächeln, bei dem sich plötzlich ein Kloß in Allisons Hals bildete. Sie ging zur Tür und spannte sich unwillkürlich an, als sie an Kane vorbeiging.

„Hey.“

Sie war bereits den halben Korridor entlanggelaufen, als er ihr hinterherrief. Sie ignorierte ihn, bog nach links in einen weiteren Korridor und ging auf den Kunstraum zu.

„Verdammt noch mal, Allison, bleiben Sie stehen.“ Er packte sie am Arm und hielt sie fest.

Sie sah ihn wütend an. „In diesen Räumen wird nicht geflucht, und jeder Anflug von Gewalt ist verboten.“

Kane ließ sie los. „Was ist nur in Sie gefahren?“

Sie würde ihm kaum erzählen, dass sie verärgert war, weil er offensichtlich Gefallen an Suzanne gefunden hatte, während sie für ihn Luft zu sein schien. Ihre Gedanken waren dumm, kindisch und unvernünftig. Ja, geradezu demütigend.

„Ich habe Dinge zu erledigen. Ich störe Sie nicht bei Ihrer Arbeit und erwarte dasselbe von Ihnen.“

„Wie lautet Billys Geschichte?“

Autor

Vicki Lewis Thompson

Eine Karriere als Liebesroman – Autorin hat Vicki Lewis Thompson viele wunderbare Dinge eingebracht: den New York Times Bestsellerstatus, einen Fernsehauftritt, den Nora – Roberts – Lifetime – Achievement Award, Tausende Leser und viele gute Freunde. Ihre Karriere hat ihr ebenso Arbeit eingebracht, die sie liebt. Sie hat mehr als...

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