Baccara Herzensbrecher Band 9

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MIT SICHERHEIT LIEBE von MAUREEN CHILD
Prinzessin Alexis ist den Hof mit all seinen Regeln leid. Sie flieht nach Kalifornien und genießt das Leben ohne Leibwache. Besonders, als sie dem attraktiven Garrett begegnet, dessen Küsse ihr den Atem rauben. Sie ahnt nicht, dass ihr Vater ihn zu ihrem Schutz engagiert hat …

ENTFLAMMT VON DEINEM KUSS von BRENDA JACKSON
Nie wieder mit dem Feuer zu spielen, das hat Sheila sich geschworen! Wäre bloß der durchtrainierte Sicherheitsexperte Zeke nicht ständig in ihrer Nähe, weil Sheila ein geheimnisvolles Findelkind versorgt. Gehört es etwa zu Zekes Job, sie heiß zu küssen?

GEFÄHRLICH VIEL SEX-APPEAL von JOSS WOOD
Acht Jahre hat er Morgan nicht gesehen – aber Bodyguard Noah Fraser wird nie vergessen, wie die süße Blondine versuchte, ihn frech zu verführen. Damals konnte er ihr knapp widerstehen, nun soll er die Erbin erneut beschützen. Nur wer schützt ihn vor ihrem Sex-Appeal?


  • Erscheinungstag 24.09.2021
  • Bandnummer 9
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501934
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maureen Child, Brenda Jackson, Joss Wood

BACCARA HERZENSBRECHER BAND 9

1. KAPITEL

Garrett King kam sich vor wie in der Hölle.

Dutzende Kinder tobten um ihn herum, lachend, kreischend, lärmend. Am liebsten hätte er sich die Hände auf die Ohren gepresst. Dieser Ort sollte ein „Paradies für Groß und Klein“ sein? In seinen Augen nicht.

Warum hat er sich nur zum Besuch dieses Freizeitparks überreden lassen?

Wahrscheinlich werde ich auf meine alten Tage zu nachgiebig, dachte er und stützte sich mit der Hand an dem Metallgeländer ab. Doch sofort zog er sie angeekelt wieder zurück. Als er seine Handfläche betrachtete, sah er, dass sie mit Zuckerwatte verschmiert war. Seufzend säuberte er sie mit einem Taschentuch.

Eigentlich sollte ich im Büro sitzen, dachte er, während er das Papiertaschentuch zusammenknüllte und in einen Abfalleimer warf. Ich könnte Rechnungen überprüfen oder mich um den neuen Kunden kümmern. Aber nein, ich musste ja unbedingt meinem Cousin einen Gefallen tun.

Jackson King hatte einfach nicht lockergelassen; er hatte Garrett bei diesem Familienausflug unbedingt dabeihaben wollen. Offenbar nur, weil Jacksons Frau Casey meinte, dass Garrett zu oft allein war. Eigentlich fand er Casey sogar ganz nett. Aber sie begriff anscheinend nicht, dass manche Männer gerne allein waren.

Casey und Jackson ihre Bitte abzuschlagen – das hätte Garrett vielleicht sogar noch geschafft. Aber dann hatte sein Cousin einen schmutzigen Trick angewandt.

Er hatte seine Töchter dazu gebracht, ihren „Onkel Garrett“ zu fragen, ob er nicht mitkommen wollte. Bitte, bitte. Und als die drei süßesten Kinder der Welt Garrett erwartungsvoll angeblickt hatten, war es natürlich ganz unmöglich gewesen, Nein zu sagen. Das hatte Jackson wirklich geschickt eingefädelt!

„He, Cousin!“ Das war Jacksons Stimme. Garrett wandte sich um und schaute ihn böse an.

Jackson lachte nur. „Casey-Schatz“, sagte er zu seiner umwerfend hübschen Frau, „hast du nicht auch den Eindruck, dass Garrett ein bisschen unglücklich wirkt? Als ob er in diesem Kinderparadies überhaupt keinen Spaß hätte.“

„Vielleicht bin ich für so etwas einfach zu erwachsen“, erwiderte Garrett mit lauter Stimme, um den Kinderlärm zu übertönen. „Ich glaube, ich verdünnisiere mich jetzt. Dann könnt ihr euren Familienausflug besser genießen.“

„Aber du gehörst doch auch zur Familie, Garrett“, stellte Casey fest.

Gerade als Garrett etwas erwidern wollte, spürte er, wie jemand von unten an seinem Hosenbein zog. Es war die kleine Mia, die erwartungsvoll zu ihm hochsah. „Onkel Garrett, fährst du mit uns Achterbahn?“

Mia King war fünf Jahre alt und schon eine kleine Herzensbrecherin. Wenn sie einen mit ihrer Zahnlücke so anlächelte, konnte man ihr einfach nicht widerstehen. Und das schien sie ganz genau zu wissen.

„Äh, na ja …“ Hinter Mia standen ihre beiden jüngeren Schwestern Molly und Mara. Molly war drei, Mara lernte gerade laufen. Diesem niedlichen Trio habe ich nichts entgegenzusetzen, dachte Garrett.

Nein, früher abzuhauen, daraus würde wohl nichts werden. Einem kleinen Mädchen, das eine Schnute zog, war schon schwer zu widerstehen. Aber dreien auf einmal – das war völlig aussichtslos.

„Ich könnte ja auch einfach hier stehen bleiben und auf eure Sachen aufpassen, während ihr Achterbahn fahrt.“

Garrett ignorierte Jacksons Lachen. Fast fühlte er sich gedemütigt. Er leitete die angesehenste Sicherheitsfirma des Landes, und jetzt stand er hier und verhandelte mit einer Fünfjährigen.

Garrett und Jackson waren nicht nur verwandt, sie waren auch eng befreundet. Die meisten Cousins aus der Familie King verstanden sich gut, aber er und Jackson kooperierten obendrein geschäftlich, wenn es sich einrichten ließ. Jackson war Inhaber der Firma King Jets, die Luxusflugzeuge an schwerreiche Kunden vermietete. Auch Garrett hatte vorwiegend wohlhabende Kunden, und denen empfahl er die Dienste seines Cousins, wenn sie mal auf die Schnelle ein Privatflugzeug brauchten.

Weil Jacksons Frau Casey in ihrer Ehe so glücklich war, fühlte sie sich berufen, jeden Junggesellen – ob er sich nun als Single wohl fühlte oder nicht – zu verheiraten.

Jackson nahm Mara auf den Arm. „Na, du bist für so eine wilde Fahrt noch etwas zu klein, was?“ Als das Kind ihn spielerisch in die Wange kniff und dabei lachte, schmolz der stolze Vater förmlich dahin. Wenn es um seine Familie geht, ist Jackson weich wie Wachs, dachte Garrett versonnen. Komisch, dabei ist er im Geschäftsleben ein harter Hund, dem man besser nicht in die Quere kommt.

„Machen wir’s so“, schlug Garrett vor und nahm seinem Cousin das Kind ab. „Ich passe auf die Kleine und euer ganzes Zeug auf, während ihr Achterbahn fahrt.“

„Aber willst du denn gar nicht mit mir fahren?“, fragte die kleine Mia enttäuscht und verzog den Mund.

„Sie kann schon sehr professionell schmollen“, kommentierte Jackson lachend.

Garrett bückte sich und sah ihr in die Augen. „Irgendjemand muss ja auf dein Schwesterchen aufpassen. Erzähl mir hinterher einfach, wie es gewesen ist, okay?“

Offenbar war sie es nicht gewohnt, dass man ihr eine Bitte abschlug, aber schließlich willigte sie ein. „Okay.“

Casey nahm die beiden größeren Mädchen an die Hand, lächelte Garrett zu und machte sich auf den Weg zur Warteschlange.

„Eigentlich habe ich dich nicht gebeten mitzukommen, damit du nur tatenlos in der Gegend rumstehst“, kommentierte Jackson.

„Ja, warum hast du mich überhaupt gebeten? Und warum habe ich da mitgespielt?“

Jackson lachte und blickte über die Schulter zu seiner Frau hinüber. „Warum ich dich gebeten habe? Casey zuliebe. Sie glaubt, du wärst einsam. Und ich habe keine Lust, mir ihr Gejammer über dich ständig allein anzuhören.“

Mara patschte Garrett mit ihrem kleinen Händchen ins Gesicht. Er lächelte die Kleine an. „Dein Daddy hat Angst vor deiner Mommy.“

„Stimmt genau“, gab Jackson lachend zu. Dann wandte er sich um, um seiner Familie zu folgen, und rief Garrett aus der Ferne zu: „Falls sie unruhig wird – in der Tasche ist ihr Fläschchen.“

„Mit einem Baby werde ich schon noch fertig“, rief Garrett zurück, aber Jackson war schon in der Menge verschwunden.

„Jetzt sind wir beide ganz allein, Kleines“, sagte Garrett. Mara fing an zu strampeln, als wollte sie lieber auf ihren eigenen Beinchen stehen. „Nichts da, ich lasse dich lieber nicht runter“, murmelte Garrett. „Wenn du mir abhaust, bringt deine Mommy mich um.“

„Runter.“ Aufsässig blickte Mara ihn an.

„Nein.“

Statt zu quengeln, strahlte sie ihn jetzt übers ganze Gesicht an.

„Oh Mann“, murmelte Garrett. „Männer um den Finger zu wickeln – das ist euch Frauen wohl schon in die Wiege gelegt.“

Plötzlich ertönte Musik; die Parade der berühmten Fantasiefiguren des Parks zog in der Nähe vorbei. Die Menge jubelte, als ein Hund mit Zylinder mit der Märchenprinzessin Cinderella einen Walzer tanzte. Garrett hielt das Baby auf dem Arm und fühlte sich hier völlig fehl am Platze.

Das ist einfach nicht meine Welt, dachte er. Dieser Kinderkram. Ich bin ein Mann der Gefahr. Wenn ein Attentäter hinter seinem Opfer her ist, wenn jemand gekidnappt wurde, wenn es einen Juwelenraub gegeben hat – dann bin ich in meinem Element.

Vergnügungsparks, glückliche Menschen, Kinderlachen – das konnte ihn nicht begeistern.

So war das wohl, wenn man die erfolgreichste Sicherheitsfirma des Landes leitete. Wenn man ständig mit Gefahr und Verbrechen zu tun hatte, sah man die Welt eben mit anderen Augen. Zu den Kunden der Firma zählten reiche Industrielle, Computermilliardäre, Adlige, Politiker. Weil die King-Brüder selbst ungeheuer reich waren, konnten sie sich als Sicherheitskräfte in diesen Kreisen bewegen, ohne aufzufallen. Mit ihrer Erfahrung war auch ihr Renommee gewachsen. Wahrscheinlich waren sie inzwischen sogar die erfolgreichste Sicherheitsfirma weltweit. Die King-Zwillinge flogen im Auftrag ihrer Kunden um die ganze Welt. Ja, in ihrem Geschäft, ihrem Tätigkeitsbereich, waren Garrett und sein Zwillingsbruder Griffin unschlagbar. Um den Preis, dass sie nicht besonders entspannt, ausgeglichen und optimistisch waren. Aber es musste ja auch Menschen wie ihn und Griff geben. Menschen, die sich um die Drecksarbeit kümmerten.

Ja, er brauchte einfach Risiko und Gefahr, um sich wohl zu fühlen. Nachdenklich blickte er zu Jackson und seiner Familie hinüber. Sie standen immer noch in der Warteschlange. Casey hielt Molly an der Hand, Jackson trug Mia auf den Schultern. Sie sahen glücklich aus – die vollkommene Familie. Garrett freute sich für seinen Cousin. Er freute sich ehrlich für alle Mitglieder der Familie King, die in letzter Zeit den Schritt ins Eheleben gewagt und eine Familie gegründet hatten. Aber er würde es ihnen nicht nachtun.

Männer wie er waren für so eine Art Happy End nicht geschaffen.

„Aber das ist schon in Ordnung so“, murmelte er und küsste die kleine Mara auf die Stirn. „Dafür verbringe ich hin und wieder Zeit mit euch. Ist doch auch was.“

Sie brabbelte etwas, das er als Zustimmung deutete, dann wies sie mit ihrem kleinen Händchen zum Ballonverkäufer, der in der Nähe stand. „Ball … Ballon!“

Garrett wollte ihr gerade einen kaufen, als er die Frau bemerkte.

Alexis Morgan Wells genoss den Tag. Disneyland erfüllte nicht nur ihre Erwartungen, es übertraf sie sogar. Es war einfach wunderschön hier. Die Musik, das Lachen. Die als Zeichentrickfiguren verkleideten Schauspieler, die überall herumliefen und mit den Besuchern Späße machten. Es war wie Kindheit, Träume und Zauberei – alles zusammen in einer großen, bunten Wundertüte.

Doch ihre gute Laune verschlechterte sich schlagartig, als sie den Mann auf sich zukommen sah. Den lästigen Kerl, der sie vorhin schon einmal bedrängt und versucht hatte, ihr ein Gespräch aufzuzwingen.

Und nun probierte er es wieder.

„Jetzt sei doch nicht so zickig, Kleines. Ich bin doch kein Stalker oder so. Ich will dich nur zum Essen einladen. Was ist denn daran so schlimm?“

Sie zwang sich zu einem höflichen Lächeln. „Ich habe Ihnen doch schon gesagt, ich möchte das nicht. Würden Sie mich bitte in Ruhe lassen?“

Er ließ sich nicht entmutigen und grinste. „Was für einen süßen Akzent du hast. Kommst du aus England?“

An meiner Aussprache muss ich noch arbeiten, dachte sie. Wenn ich mich nicht konzentriere, merkt man sofort, dass ich nicht von hier bin.

Allerdings stammte sie nicht aus England, sondern aus dem kleinen Land Cadria.

Wenn sie sich Mühe gab, bekam sie auch die amerikanische Aussprache hin, schließlich stammte ihre Mutter aus Kalifornien. Beim Gedanken an ihre Mutter kamen Schuldgefühle in ihr auf, aber sie versuchte, sie zu unterdrücken. Darum würde sie sich später kümmern. Sie würde ihrer Mutter erklären, warum sie „ausgerissen“ war, und ihre Mom würde Verständnis dafür haben, da war sie sich sicher. Allerdings würde sie ihr auch Vorwürfe machen: „Kind, wir haben uns Sorgen gemacht“ und so weiter. Und darauf hatte sie im Moment so gar keine Lust.

Schließlich bin ich erwachsen, dachte Alex trotzig. Da darf ich mir doch wohl mal spontan einen kleinen Urlaub gönnen. Ihre Schuldgefühle schwanden, und sie fühlte sich wieder besser. Bis ihr bewusst wurde, dass ihr hartnäckiger Verehrer immer noch auf sie einredete. Er war nicht nur lästig, er zog auch die Aufmerksamkeit der anderen Menschen auf sich und sie – und das war etwas, was Alex um jeden Preis vermeiden wollte.

Sie versuchte, den Mann zu ignorieren, und beschleunigte ihre Schritte. Sie trug eine lange weiße Bluse im Tunika-Stil, Jeans und blaue hochhackige Schuhe. Turnschuhe wären jetzt besser, dachte sie. Dann könnte ich dem Kerl davonlaufen.

Aber nein, das ging ja auch nicht. Wenn sie inmitten all dieser entspannten und vergnügten Menschen plötzlich wie eine Wahnsinnige zu rennen begann, würde sie erst recht Aufmerksamkeit erregen. Und das durfte sie nicht.

„Jetzt komm schon, Kleine. Einen Happen mit mir zu essen, da ist doch nichts dabei.“

„Tut mir leid, ich bin gerade auf Radikaldiät“, gab sie kühl zurück. „Ich ernähre mich nur von Luft und Wasser.“

„Was?“, fragte der Mann verständnislos. Er war nicht nur lästig, er verstand nicht einmal einen Scherz.

„Ach, nichts“, erwiderte sie und ging hastig weiter. Ich darf nicht mit ihm reden, sagte sie sich, sonst ermutige ich ihn nur. Am besten ignoriere ich ihn völlig, dann wird er schon irgendwann aufgeben.

Schnellen Schrittes ging sie auf die nächste Attraktion zu, den schneebedeckten Berg mitten im heißen Anaheim, Kalifornien. Wahrscheinlich einer der bekanntesten Berge der Welt – jedenfalls der bekannteste künstliche. Auch für das Fahrgeschäft hier gab es lange Warteschlangen. Als sie ihren Blick über die Menschenmenge schweifen ließ, sah sie ihn. Er schien sie zu beobachten. Ein großer schwarzhaariger Mann, der ein niedliches Baby dabeihatte.

Merkwürdigerweise hatte sie das Gefühl, ihn zu kennen. Als hätte sie instinktiv schon immer nach ihm, genau ihm, gesucht. Doch nach dem Baby zu urteilen, hatte eine andere Frau ihn schon vor ihr gefunden.

„Jetzt lauf doch nicht so schnell, Kleines“, prustete der lästige Verfolger hinter ihr.

Alex fixierte den Mann mit dem Baby und bemerkte, dass er ihren Blick erwiderte. Als er den Mann hinter ihr sah, schien er die Situation sofort zu verstehen.

„Da bist du ja, Liebling“, rief er laut und lächelte Alex zu. „Wo hast du denn gesteckt?“

Erleichtert nahm sie seine spontane Hilfe an und lief ihm entgegen. Lächelnd legte er ihr einen Arm um die Schulter und zog sie an sich. Dann warf er einen prüfenden Blick auf den enttäuschten Verfolger.

„Haben Sie irgendein Problem?“, fragte er den Mann herausfordernd.

„Nein, nein“, murmelte der Mann eingeschüchtert und schüttelte den Kopf. „Kein Problem. Es … es ist alles bestens. Ich muss dann mal. Wiedersehen.“

Blitzschnell war er verschwunden.

Alex atmete erleichtert auf. Der lästige Verehrer hatte ihr zwar keine Angst gemacht, aber sie hatte auch keine Lust gehabt, sich ihren ersten Tag in Disneyland von ihm verderben zu lassen. Noch immer hatte ihr Retter den Arm um ihre Schulter gelegt, und sie stellte fest, dass es ihr gefiel. Er war groß und stark, ein richtiger Beschützertyp. Es beeindruckte sie, dass er ihr so spontan geholfen hatte.

„Bon… Ballon.“

Die Stimme des kleinen Kindes riss Alex aus ihren schwärmerischen Gedanken. Schlagartig wurde ihr wieder bewusst, dass ihr Held offenbar Vater eines Babys und damit sicherlich auch verheiratet war. Aufseufzend schlüpfte sie aus seiner Umarmung. Dann lächelte sie das Baby an. „Du bist ja ein süßer kleiner Wonneproppen. Dein Vater ist sicher mächtig stolz auf dich.“

„Das ist er allerdings“, bestätigte ihr Retter. „Und er hat noch zwei von der Sorte.“

„Oh, noch zwei? Das ist ja toll.“ Dabei fand sie es in Wirklichkeit gar nicht so toll. Irgendwie enttäuschend, dass dieser hilfsbereite Prachtkerl schon Vater dreier Kinder war.

„Ja, nicht? Mein Cousin und seine Frau machen mit den anderen beiden gerade die Achterbahn-Bergfahrt. Ich passe solange auf die Kleine hier auf.“

„Oh.“ Sie lächelte. Das war mal eine gute Nachricht. „Sie … Sie sind also nicht ihr Vater?“

Er erwiderte ihr Lächeln, als ob er ihre Gedanken erraten hätte. „Um Himmels willen, nein. So etwas würde ich einem süßen kleinen Kind doch nicht antun wollen. Mich als Vater.“

Alex sah ihm in die Augen. Humor hatte er also auch. Sehr gut! „Wieso denn nicht?“, fragte sie lächelnd. „Ein Held ist doch bestimmt auch ein guter Vater.“

„Ein Held?“, fragte Garrett geschmeichelt. „Nun übertreiben Sie mal nicht.“

„Doch, für mich sind Sie ein Held. Ich konnte diesen aufdringlichen Kerl einfach nicht loswerden, und dann sind Sie als Retter in der Not gekommen und …“

„Ach, das habe ich doch gerne getan. Aber Sie hätten auch einfach zu einem der Wachleute gehen können, der hätte sich den Kerl geschnappt und mit sanfter Gewalt nach draußen befördert.“

Nein, genau das hätte sie nicht tun können. Denn dann hätte sie mit Sicherheit eine Aussage machen und irgendwelche Papiere ausfüllen müssen – und schon hätte man gewusst, wer sie war, und ihr geplanter schöner Tag wäre ruiniert gewesen.

Sie schüttelte den Kopf und strich sich eine Strähne ihres langen blonden Haars aus dem Gesicht. „Ach, der Mann war ja nicht gefährlich. Nur lästig.“

Ihr Beschützer lachte, und es klang wie Musik in ihren Ohren.

„Bon… Ballon“, brabbelte das kleine Mädchen fordernd. Wenn so ein kleines Kind sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte …!

„Ach ja, dein Ballon, du kleiner Quälgeist.“ Er gab dem Ballonverkäufer ein Zeichen, und der Mann eilte herbei und band dem Baby die Schnur eines Ballons ums Handgelenk. Während Garrett den Verkäufer bezahlte, bewegte die Kleine den Arm auf und ab und beobachtete glucksend vor Begeisterung, wie der Ballon nach ihrem Willen tanzte.

„Ich glaube, wir sollten uns einander erst einmal vorstellen“, sagte der Retter mit seiner tiefen, sympathischen Stimme. „Diese anspruchsvolle junge Dame heißt Mara, und ich bin Garrett.“

„Ich heiße Alexis, aber Sie dürfen ruhig Alex sagen“, erwiderte sie und streckte ihm die Hand entgegen.

Als er ihre Hand ergriff, durchrieselte es sie warm und wohlig. Es tat ihr richtig leid, als er sie wieder losließ.

„Und, gefällt es Ihnen hier, Alex?“

Sie lachte verlegen. „Und wie – von dieser kleinen Störung mal abgesehen. Es ist wirklich toll. Ich bin zum ersten Mal hier, aber ich hatte schon so viel davon gehört und …“

„Zum ersten Mal? Das erklärt einiges.“

„Was meinen Sie damit?“

„Beim ersten Mal ist man noch so begeistert, dass einen die Schlangen und Menschenmengen nicht stören.“

„Ach so, nein, das gehört doch dazu. Außerdem sind die Leute alle so nett, mal abgesehen von …“

„… gewissen hartnäckigen Verehrern?“

„Ja, genau.“ Widerstrebend trat Alex einen Schritt zurück. So schön sie es auch fand, mit einem attraktiven Mann zu reden, der keine Ahnung hatte, wer sie war – für sie wäre es besser, sich jetzt zu verabschieden. „Nochmals vielen Dank für Ihre Hilfe, aber ich glaube, ich muss jetzt los …“

Nachdenklich und ein wenig enttäuscht sah er sie an. „Sind Sie mit jemandem verabredet?“

„Nein, aber …“

„Warum haben Sie es dann so eilig?“

Ihr Herz schlug schneller. Wie schön, er wollte nicht, dass sie schon ging. Er schien sie wirklich zu mögen.

Das niedliche kleine Mädchen spielte begeistert mit seinem Ballon und beachtete die beiden Erwachsenen kein bisschen.

Alex verlor sich in Garretts blauen Augen und dachte angestrengt nach. Sie durfte nicht auffallen, sicher. Aber das hieß doch nicht, dass sie während ihres Aufenthalts hier wie eine Einsiedlerin leben musste, oder? Und wenn sie schon Urlaub von allem machte, dann durfte ein unschuldiger kleiner Flirt wohl drin sein. Oder etwa nicht?

„Wenn Sie alleine hier sind“, fügte er hinzu, „können Sie uns doch Gesellschaft leisten. Mir würden Sie einen großen Gefallen damit tun. Sie würden mich gewissermaßen vor den Kindern schützen.“

„Sie brauchen jemanden, der Sie beschützt?“

„Und wie. Ich weiß zwar nicht, warum, aber die Mädels meines Cousins sind geradezu verrückt nach mir. Wer weiß, was passiert, wenn Sie mir nicht ein bisschen Rückendeckung geben?“

Das hört sich verlockend an, dachte Alex. Verflixt verlockend. Ich bin ja erst seit drei Tagen in Amerika, aber langsam fühle ich mich ein bisschen … isoliert. So interessant es ist, allein etwas zu unternehmen – man kommt sich doch ziemlich einsam vor. Ein paar Freunde habe ich zwar in den Vereinigten Staaten, aber die kann ich nicht anrufen. Denn dann würde meine Familie bestimmt erfahren, wo ich bin, und mit meiner Freiheit wäre es vorbei.

Was konnte es schon schaden, den Tag mit einem überaus attraktiven Mann und seiner Verwandtschaft zu verbringen? Nichts. Eben. Sie holte tief Luft. „Okay, einverstanden, danke. Sie haben mich gerettet – jetzt rette ich Sie.“

„Das freut mich wirklich. Mein Cousin und die ganze Bagage sollten gleich wieder hier sein. Während wir auf sie warten, können Sie mir ja erzählen, wo Sie herkommen. Sie haben so einen niedlichen Akzent. Hört sich ein bisschen wie britisches Englisch an – aber doch nicht so ganz.“

Erschrocken zuckte sie zusammen, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. „Sie haben ein sehr feines Gehör.“

„Man tut, was man kann“, erwiderte er lächelnd. „Aber das war noch keine Antwort.“

Nein, allerdings nicht. Schade, dass ihm das nicht entgangen war. Von Kindesbeinen an hatte Alex gelernt, wie man auf Fragen antwortete, ohne wirklich etwas zu sagen. Ihr Vater wäre stolz auf sie gewesen. Beantworte nie direkt eine Frage, Alexis. Halte dich immer im Ungefähren. Pass genau auf, was du sagst, Alexis. Du trägst gegenüber deiner Familie eine große Verantwortung. Gegenüber deiner Familie, gegenüber deinem Erbe, gegenüber deinem Volk …

„He, Alex …?“

Seine besorgte Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Das empfand sie fast wie eine zweite Rettung. Denn sie wollte jetzt nicht an ihre Pflichten denken. An die Rolle, die sie in der Geschichte spielte. Sie wollte einfach nur Alex sein.

Deshalb wollte sie auch nicht seiner Frage ausweichen, sondern schlug ihm vor: „Versuchen Sie doch zu erraten, woher ich stamme. Ich sage Ihnen dann, wenn Sie richtig liegen.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Da lassen Sie sich mit dem Falschen ein, aber schön, einverstanden. Wetten wir um fünf Dollar, dass ich es bis heute Abend herausbekomme.“

Hoffentlich nicht, dachte sie. Dann ist der Spaß nämlich vorbei. „Fünf Dollar?“, fragte sie. „Das ist ja nicht gerade ein großer Einsatz.“

„Ach, das reicht Ihnen nicht?“ Sein siegesgewisses Lächeln verzauberte sie. „Schön, ich bin für Vorschläge offen.“

Dieser Blick! Ihr wurde ganz heiß.

„Ach nein, lassen wir es dabei“, erklärte sie hastig. Warum machte er sie nur so nervös? War sie doch nicht bereit für einen kleinen Flirt? Oder war dieser tolle Garrett eine Nummer zu groß für sie? Sie versuchte, sich zu beruhigen. „Fünf Dollar sind schon okay. Also abgemacht.“

„Abgemacht“, bestätigte er und lächelte wieder. „Aber Sie sollten wissen, dass man mit mir lieber nicht wettet. Ich gewinne nämlich immer.“

„Sie sind ganz schön selbstbewusst, was?“

„Und wie.“

Es durchrieselte sie heiß. Wie gut das tat! Wie kam es nur, dass er sie so verzauberte?

„Das hat Spaß gemacht, Onkel Garrett.“

Ein kleines Mädchen war herangeeilt und schlang die Arme um Garretts Knie. Es lächelte zu ihm hoch und blickte misstrauisch Alex an. „Wer bist du denn?“

„Das ist Alex“, erklärte Garrett. „Alex, das ist die kleine Mia.“

Alex lächelte das Mädchen an, das etwas verunsichert wirkte.

„Mia, du sollst doch nicht weglaufen“, rief eine dunkle männliche Stimme. „In diesen Menschenmengen kannst du ganz schnell verloren gehen.“

Alex wandte sich um und sah, wie ein attraktives Paar auf sie zukam. Auf den Schultern des Mannes saß eine Miniaturversion der immer noch misstrauischen Mia.

„Alex“, sagte Garrett schnell, „das sind mein Cousin Jackson und seine Frau Casey, und das hübsche Mädchen heißt Molly.“

„Ich freue mich, Sie alle kennen zu lernen.“

Jackson musterte Alex kurz und zwinkerte dann seiner Frau zu. „Donnerwetter. Kaum lässt man Garrett ein paar Minuten allein, trifft er die schönste Frau in ganz Disneyland.“

Seine Frau stieß ihm scherzhaft den Ellenbogen in die Rippen.

„Von dir natürlich abgesehen, Schatz. Denn du bist die schönste Frau der Welt.“

„Geschickt aus der Affäre gezogen“, kommentierte Casey und lächelte Alex an.

„Du warst schon immer ein alter Schmeichler, Jackson“, stellte Garrett fest.

„Das hält die Liebe frisch“, erwiderte sein Cousin und gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange.

Alex lächelte amüsiert. Alle in der Familie schienen sich wirklich zu lieben – das machte sie fast ein wenig eifersüchtig. Um endlich einmal ein bisschen Zeit für sich zu haben, hatte sie ihrer Familie davonlaufen müssen. Sie vermisste sie, sogar ihren herrischen Vater, das wurde ihr in Gegenwart dieser freundlichen Menschen erst so richtig bewusst.

„Schön, Sie kennen zu lernen, Alex“, sagte Casey und gab ihr die Hand.

„Danke. Ich muss gestehen, all die Eindrücke hier sind fast ein bisschen zu viel für mich. Ich bin nämlich zum ersten Mal in Disneyland und …“

„Zum ersten Mal?“, unterbrach die kleine Mia. „Dabei bist du doch schon so alt.“

„Mia, so was sagt man nicht“, tadelte Casey.

Garrett und Jackson lachten, und Alex stimmte in das Gelächter ein. Sie beugte sich zu Mia hinunter und sagte: „Ja, ganz schön schlimm, dass ich noch nie hier war, ich weiß. Aber ich wohne sehr weit weg von hier, deshalb hatte ich noch nie die Gelegenheit.“

„Ach so.“ Mia nickte verständnisvoll, dachte einen Moment nach und sah dann ihre Mutter an. „Ich finde, wir sollten Alex unbedingt das Geisterhaus zeigen.“

„Ja, weil du da gerne hinwillst“, merkte ihr Vater an.

„Aber Alex würde das bestimmt auch gefallen. Oder, Alex?“ Fast flehend sah das Mädchen Alex an.

„Um ehrlich zu sein, ich hatte mich schon die ganze Zeit gefragt, wo das Geisterhaus ist“, sagte Alex schmunzelnd.

„Komm, ich zeig’s dir.“ Mia ergriff ihre Hand und setzte sich in Bewegung, fest überzeugt, dass die ganze Familie ihr folgen würde.

„Jetzt sind Sie mit Beschlag belegt“, neckte Garrett Alex. „Sie haben keine Wahl mehr, Sie werden den ganzen Tag mit uns verbringen müssen.“

„Sieht ganz so aus“, gab Alex zurück und freute sich insgeheim darüber. Endlich war sie in Disneyland, wie sie es sich schon so lange gewünscht hatte, und sie brauchte es nicht einmal allein zu erforschen. Sie hatte jetzt Kinder und nette Erwachsene um sich. Besser konnte es kaum noch werden.

Dann sah sie Garrett in die blauen Augen und dachte: Nein, besser geht’s wirklich nicht.

„Nach dem Geisterhaus müssen wir unbedingt zu den Piraten der Karibik“, erklärte Mia atemlos.

Garrett raunte Alex zu: „Das Geisterhaus werden Sie durchstehen müssen, aber anschließend sehe ich zu, dass ich die Familie im Zaum halte und Sie tun können, was Sie wollen.“

Er konnte es nicht wissen, aber Alex tat schon genau das, was sie wollte.

Sie wollte einen schönen Tag ohne Sorgen und Verpflichtungen genießen. Nur Spaß haben. Und vor allem wollte sie Menschen kennen lernen, die sie mochten, weil sie Alex Wells war.

Und nicht weil sie Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Alexis Morgan Wells von Cadria war.

2. KAPITEL

Irgendwie machte sie Garrett verrückt.

Nicht nur, weil sie schön, klug und witzig war. Sondern auch, weil er noch nie eine Frau erlebt hatte, die einfache Freuden so aus vollem Herzen genießen konnte. Die meisten Frauen, die eine Zeit lang sein Leben geteilt hatten, waren mehr daran interessiert gewesen, dass ihre Frisur richtig saß. Sie hätten wohl kaum Gefallen daran gefunden, sich auf einem Kinderkarussell zu vergnügen.

Alex war da ganz anders. Die drei Mädchen hatten sie sofort ins Herz geschlossen – von Garrett ganz zu schweigen. Irgendwie berührte sie ihn tief in seinem Herzen, und er konnte die Augen nicht von ihr lassen.

Allein ihr Lächeln! So offen, so einladend, so sexy – und obendrein kam es ihm irgendwie bekannt vor.

Er musste sie schon mal irgendwo gesehen haben, aber er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wo. Das wurmte ihn umso mehr, weil man eine Frau wie Alex nicht so einfach vergaß.

Als sie zwischendurch einen Hamburger gegessen hatten, hatte sie so wohlig aufgeseufzt, dass er unwillkürlich an heißen Sex hatte denken müssen. Und als sie genießerisch an ihrem Eis leckte, kam ihm etwas ganz anderes in den Sinn.

Denk bloß an was Unverfängliches, ermahnte er sich, sonst könnte die Sache peinlich werden.

Alex war von Disneyland begeistert. Das sah er in ihren Augen, weil diese Frau nichts verbarg. Auch darin war sie anders als die Frauen, die er sonst so kannte. Die flunkerten schon mal, wenn es ihnen einen Vorteil brachte, sie handelten strategisch – und manchmal sogar berechnend.

Aber Alex, die war … einfach nur sie selbst.

„Das wird dir gefallen, Alex“, dozierte Mia, die sich zu ihrer persönlichen Disneyland-Fremdenführerin erklärt hatte. „Das Piratenschiff feuert richtige Kanonen ab, und dann gibt’s da noch Feuer. Und singen tun sie auch. Obwohl das nicht unbedingt sein müsste.“

„So, kleine Lady“, sagte Jackson und nahm seine Tochter beiseite, „ich glaube, wir müssen Alex mal eine kleine Ruhepause gönnen.“ Er zwinkerte Alex und Garrett zu und verfrachtete seine Familie in den vorderen Teil des Bootes.

Dankbar zwinkerte Garrett zurück und setzte sich mit Alex ganz nach hinten. So würden sie während der Fahrt ein wenig Zeit für sich haben.

„Mia ist wirklich süß“, merkte Alex an. „So schlau, so redselig.“

„Redselig ist noch milde ausgedrückt“, stimmte Garrett lachend zu. „Sie hat zu allem eine Meinung und hält damit nicht hinter dem Berg. Ihre Kindergärtnerin hält sie für frühreif. Man könnte auch sagen, sie ist eine kleine Wichtigtuerin.“

Alex lachte. Es war ein reines Lachen, hell und klar, weder einstudiert noch gekünstelt. Wenn sie lachte, kam es aus vollem Herzen. Beunruhigt stellte Garrett fest, dass er sich eigentlich viel zu sehr für sie begeisterte. Das war doch lächerlich. Er kannte noch nicht einmal ihren Nachnamen. Und aus welchem Land sie kam, hatte er auch immer noch nicht herausgefunden.

Obendrein beschäftigte es ihn, dass sie ihm irgendwie bekannt vorkam. Irgendwo musste er sie schon mal gesehen haben, aber sosehr er auch grübelte, es fiel ihm nicht ein.

Als die Fahrt begann, beugte Alex sich nach vorne, um alles mitzubekommen. Auch das mochte er an ihr. Ihre Neugier, ihr Interesse an allem. Das vermisste er bei vielen Menschen – die Bereitschaft, in der Gegenwart zu leben. Die meisten dachten immer nur ans Morgen, ans Was-wäre-wenn. Was sie tun würden, wenn sie genug Zeit, Geld oder Energie hätten.

Das hatte er schon bei vielen gesehen: Menschen, die alles, wirklich alles hatten und es nicht einmal bemerkten, weil sie schon nach dem Nächsten Ausschau hielten.

„Das ist wirklich beeindruckend“, flüsterte sie. Die Fahrt fand unter einem künstlichen Nachthimmel statt, elektronische Glühwürmchen leuchteten flackernd auf. Selbst im Halbdunkel sah er die Begeisterung in ihren Augen, sah ihren verlockenden Mund – und konnte nicht mehr an sich halten.

Er beugte sich zu ihr hinüber, legte ihr vorsichtig die Hand in den Nacken und küsste sie. Endlich spürte er die Lippen, nach denen er sich schon seit Stunden sehnte.

Das Warten hatte sich wirklich gelohnt.

In der ersten Sekunde war Alex überrascht, aber dann erwiderte sie den Kuss. Erst vorsichtig, forschend, dann immer leidenschaftlicher. Am liebsten wäre Garrett jetzt mit ihr allein gewesen statt inmitten von plappernden Touristen und singenden Piraten.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie seufzend den Kuss beendete. Zärtlich strich sie ihm über die Wange und flüsterte: „Das war schön.“

Er ergriff ihre Hand und gab ihr einen Kuss auf den Handrücken. „Das war noch viel schöner als schön.“

Ein Kind juchzte auf, Kanonendonner ertönte, und Alex zuckte überrascht zusammen. Amüsiert über die eigene Schreckhaftigkeit lachte sie auf und lehnte ihren Kopf an Garretts Schulter. Er zog sie noch dichter an sich heran und beobachtete sie, während sie die Fahrt genoss.

Sie blickte von hier nach dort, sog alles erfreut und begeistert in sich auf. In diesem Moment war Garrett heilfroh, dass Jackson ihn zu dem Ausflug nach Disneyland überredet hatte.

„Das ist wirklich ein besonders netter Tag“, flüsterte sie.

„Besonders nett? Ist das alles?“

Sie bog den Kopf zurück und lächelte ihn an. „Ganz, ganz nett. Supernett.“

„Na, das hört sich schon ein bisschen besser an.“ Aber richtig gut immer noch nicht. Die Frau, über die er die wildesten Fantasien hatte, fand den Tag mit ihm nett. Nett – das war eigentlich ein bisschen nichtssagend.

Aber Hauptsache, es gefiel ihr.

Als die Fahrt vorüber war, dämmerte es bereits. Die Kinder waren müde. Doch der Besuch bei einer Attraktion stand noch aus – den bewahrte sich die Familie nämlich immer bis zum Schluss auf.

„Das Märchenschloss wird dir gefallen, Alex“, sagte Mia gähnend. „Molly und ich wollen später mal Prinzessinnen werden. Dann haben wir auch so ein Schloss und halten uns ganz, ganz viele Hündchen …“

„Ihr immer mit euren Hündchen“, kommentierte Jackson schmunzelnd.

Alex lächelte und ergriff Garretts Hand. Er sah sie an und entdeckte in ihren Augen immer noch Begeisterung. Die kreischenden Kinder, die Menschenmassen – all das störte sie überhaupt nicht. Im Gegenteil, sie genoss es wirklich.

Wieder beschlich ihn das Gefühl, sie von irgendwoher zu kennen. Wahrscheinlich hatte er sie noch nie persönlich getroffen, sonst würde er sich auf jeden Fall an sie erinnern. Aber zumindest ihr Bild musste er schon einmal gesehen haben. Ihr Gesicht kam ihm so bekannt vor …

Als sie das Märchenschloss betraten, fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen. Na klar, ein Königsschloss! Jetzt wusste er, warum sie ihm so bekannt vorkam!

Vor ein paar Jahren hatte er einmal für ihren Vater gearbeitet.

Für ihren Vater, den König von Cadria.

Und das bedeutete, dass die schöne, verführerische Alex in Wirklichkeit Kronprinzessin Alexis war.

Und er hatte sie geküsst.

Verflixt!

Das änderte alles. Und zwar ganz gewaltig.

„Möchtest du gerne in einem Schloss leben, Alex?“, fragte Mia.

Auf die Antwort war Garrett mächtig gespannt!

Versonnen strich Alex der kleinen Mia mit der Hand über das schwarze Haar. „Ich glaube, in einem Schloss kann man sich ganz schön einsam fühlen. Weil Schlösser nämlich so groß sind. Und es zieht dort überall.“

Garrett wusste: Sie beschrieb ihr eigenes Zuhause. Komisch, er konnte sich kaum vorstellen, dass eine echte Prinzessin mit ihrem Leben nicht glücklich und zufrieden war. Es gab doch wohl wirklich Schlimmeres, als einem Königshaus anzugehören!

„Aber in so einem großen Schloss könnte ich mir eine Menge Hündchen halten“, erwiderte Mia.

„Ja, aber du würdest sie kaum zu Gesicht bekommen, weil Prinzessinnen keine Zeit haben, mit Hündchen zu spielen. Weißt du, sie haben so viel Wichtiges zu tun. Immer müssen sie das Richtige sagen, das Richtige tun. Da bleibt nicht viel Zeit für Vergnügungen.“

Die kleine Mia runzelte die Stirn.

Und Garrett auch. Sah sie ihr Leben so – nur Pflichten, kein Vergnügen? War sie deshalb hier, verkleidet als ganz normale junge Frau? Um ihrer Welt der Zwänge zu entfliehen? Was sie wohl tun würde, wenn sie erführe, dass er ihre Maskerade durchschaut hatte und wusste, wer sie wirklich war? Würde sie die Flucht ergreifen?

Alex lächelte gedankenverloren und kommentierte: „Ich glaube, ein echtes Schloss würde dir weniger gut gefallen als dieses Märchenschloss.“

„Vielleicht spiele ich dann doch lieber nur Prinzessin statt eine echte zu sein“, murmelte Mia.

„Eine gute Entscheidung“, murmelte Alex lächelnd. Dann wandte sie sich wieder Garrett zu. Ihre Blicke trafen sich.

Er konnte sich nicht dagegen wehren, er versank förmlich in ihren Augen. Verflixt, steckte er in der Bredouille! Eine Prinzessin, um Himmels willen? Er hatte eine Prinzessin geküsst? Verstohlen musterte er sie.

In der Alltagskleidung wirkte sie wie eine durchschnittliche junge Amerikanerin. Sie hatte sich mit der Verkleidung wirklich Mühe gegeben, und er fragte sich, warum. Als Prinzessin hätte sie sich durch den Vergnügungspark geleiten lassen können, hätte nicht in den Schlangen warten müssen, wäre wie eine – nun ja – Prinzessin behandelt worden. Stattdessen hatte sie sich brav überall hinten angestellt und war wie jeder gewöhnliche Tourist durch Disneyland geschlendert.

Ganz allein.

Bei diesem Gedanken erwachte in ihm wieder der Sicherheitsexperte. Wie konnte sie es nur riskieren, hier ohne Schutz herumzulaufen? Wo waren ihre Leibwächter? Wusste sie nicht, wie gewagt ihre Aktion war? Die Welt war gefährlich. Überall konnte ein Attentäter lauern, der es auf eine Berühmtheit, auf ein gekröntes Haupt abgesehen hatte.

Was also sollte das Ganze?

Alex’ Lächeln verschwand, als sie seinen besorgten Gesichtsausdruck sah. Um sie zu beruhigen, setzte er wieder seine heitere Miene auf. Es musste einen Grund geben, warum sie ihre wahre Identität geheim hielt. Und bis er diesen Grund herausgefunden hatte, würde er ihr Spiel mitspielen.

Und vor allem würde er dafür sorgen, dass ihr nichts zustieß!

Nach dem Besuch im Märchenschloss begaben sie sich zu den Parkplätzen. Garrett und Alex verabschiedeten sich von Jackson, Casey und den Kindern.

Als die Familie davongefahren war, wandte Garrett sich wieder Alex zu. „Wo steht dein Auto, Alex?“

„Oh, ich habe kein Auto“, antwortete sie schnell. „Und auch keinen Führerschein. Deshalb habe ich ein Taxi vom Hotel hierher genommen.“

Ein Taxi, dachte er verzweifelt. Ganz alleine. Als wollte sie das Unheil unbedingt heraufbeschwören. Es grenzt an ein Wunder, dass sie es so weit geschafft hat, ohne dass jemand sie erkannt und die Presse informiert hat. „Wo ist denn dein Hotel?“

„In Huntington Beach.“

Das war nicht allzu weit weg, aber er wollte sie nicht noch einmal ein Taxi nehmen lassen. „Weißt du was, ich fahre dich hin.“

„Vielen Dank, das ist wirklich nicht nötig“, kam ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen.

War das nun reine Höflichkeit, oder hatte sie bemerkt, dass sich sein Verhalten ihr gegenüber geändert hatte? Die Hitze zwischen ihnen hatte sich merklich abgekühlt. Aber das ist ja auch kein Wunder, dachte er. Sie ist eine davongelaufene Prinzessin, und jetzt, wo ich das weiß, kann ich doch nicht einfach meinen Bedürfnissen nachgeben.

Eine Prinzessin, ging es ihm immer wieder durch den Kopf. Echter Adel, das Mitglied eines Königshauses! Da spielt es auch keine Rolle, dass mein Konto wahrscheinlich ebenso gut gefüllt ist wie ihres. Zwischen Reichtum und blauem Blut besteht immer noch ein gewaltiger Unterschied. Das passt nicht zusammen.

„Doch“, erwiderte er, „das ist schon nötig. Finde ich jedenfalls.“

„Ich kann selbst auf mich aufpassen.“

„Davon bin ich überzeugt. Aber warum auf ein Taxi warten, wenn ich doch bereitstehe, gestiefelt und gespornt?“

Nein, er würde sie nicht aus den Augen lassen, bevor sie in Sicherheit war. Auch wenn er sie nicht sofort erkannt hatte – es gab Millionen von Menschen, die regelmäßig die Klatschpresse lasen und ihr Gesicht wiedererkennen konnten, wenn sie nur ein wenig genauer hinschauten. Normalerweise folgten Reporter und Fotografen einer Prinzessin auf Schritt und Tritt. Sobald sie enttarnt war, würden sich Menschentrauben um sie herum bilden. Und unter so vielen Menschen konnte sich immer ein Verrückter verbergen – ein irrer Attentäter beispielsweise.

Nein, nein, jetzt stand sie – ohne es zu ahnen – unter seinem Schutz. Zumindest bis er sie zurück ins Hotel gebracht hatte. Dann würde er weitersehen.

„Na schön, wenn du darauf bestehst“, erwiderte sie lächelnd. „Dann vielen Dank dafür.“

Kaum zwanzig Minuten später hatten sie das Hotel erreicht. Misstrauisch beäugte Garrett jeden Quadratzentimeter der Lobby, als er Alex hineinführte. Nur wenige Leute waren anwesend, und alles schien ruhig und normal zu sein. Doch Garrett wusste nur zu gut: Jede Situation konnte binnen Sekundenbruchteilen zu einer Gefahrensituation werden. Ein Albtraum konnte jederzeit beginnen.

Alex bemerkte seine Anspannung nicht. „Da sind die Fahrstühle“, sagte sie und ging darauf zu.

Während sie warteten, sah er sich immer wieder aufmerksam um, aber niemand beachtete sie. Gut. Offenbar hatte bisher niemand ihre Maske durchschaut. Das tröstete ihn etwas über sein Versagen hinweg, dass auch er sie nicht sofort erkannt hatte.

Schließlich sah man nicht jeden Tag eine Prinzessin in Jeans, die ein Taxi nach Disneyland nahm.

Natürlich bewohnte sie die Penthouse-Suite, die man mit dem Fahrstuhl nur mit einer speziellen Schlüsselkarte erreichen konnte. Das beruhigte ihn etwas. Immerhin ein gewisser Schutz. Allerdings nicht vor den Hotelbediensteten, und er wusste, wie leicht sich ein schlechtbezahlter Hotelangestellter bestechen ließ. Es gab Menschen, die für eine Handvoll Dollar ihre Seele verkauften.

Als die Fahrstuhltür sich öffnete, traten sie in einen kleinen Flur mit Marmorboden, an dessen Ende sich eine verschlossene Tür befand. Als sie die Tür geöffnet hatte, trat er ein, bevor sie etwas sagen konnte. Mit geschultem Blick vergewisserte er sich, dass drinnen alles in Ordnung war. Die Penthouse-Suite war elegant eingerichtet, und vom Fenster aus hatte man einen überwältigenden Blick auf den Ozean.

Blitzschnell durchquerte er das Wohnzimmer und warf einen prüfenden Blick ins Schlafzimmer und ins Bad. Alles war in Ordnung. Niemand versteckte sich hier.

„Was machst du denn da?“, fragte sie, während sie die Schlüsselkarte auf den Tisch legte.

„Ich, äh, wollte nur gucken, ob alles in Ordnung ist.“ Er sagte das so beiläufig, als wäre es das Normalste der Welt, beim Betreten einer Suite sämtliche Räume zu checken. Aber Alex war ja nicht dumm. Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen.

Auf ihrem Näschen zeichnete sich ein leichter Sonnenbrand ab, und ihr Haar war zerzaust. Sie sieht zum Anbeißen aus, dachte er und spürte, wie sein Körper auf sie reagierte. Aber er riss sich zusammen. Nein, keine Küsse mehr, keine Wunschträume über mehr als Küsse. Das alles war verbotenes Terrain. Schließlich wusste er jetzt, wer sie war.

Ab sofort war Alex tabu für ihn. Sicher, er begehrte sie. Sehr sogar. Aber er wollte keinen diplomatischen Zwischenfall oder so etwas heraufbeschwören. Er hatte ihren Vater kennen gelernt und wusste, dass der König nicht amüsiert sein würde, wenn sich jemand aus dem gemeinen Volk an seine Prinzessin heranmachte. Solchen Ärger konnte Garrett nicht gebrauchen. Natürlich sah sie umwerfend aus, war sexy, humorvoll und klug. Aber sie war auch ein gekröntes Haupt. Und diese Krone war im Wege. Dazu kam noch, dass sie völlig ungeschützt in der Gegend herumlief. Und da Garrett mit Herz und Seele Sicherheitsexperte war, dachte er mehr an ihre körperliche Unversehrtheit als an seine Bedürfnisse. Das beides passte sowieso nicht zusammen.

„Ist ja rührend, wie besorgt du um mich bist“, sagte sie sanft, „aber du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Das Hotel ist gut und hat eine exzellente Security.“

Er war sich da nicht ganz so sicher und schwor sich, alles noch einmal genau zu überprüfen. Zwar war es ein Fünf-Sterne-Hotel, und bei diesem Standard lief meistens alles glatt. Aber Fehler konnten überall passieren. Diese bittere Erfahrung hatte er schon machen müssen.

„Tja, also … dann nochmals vielen Dank.“

Sie kam auf ihn zu, und am liebsten hätte er sie in die Arme genommen. Noch immer spürte er ihren Kuss auf seinen Lippen, und er wusste, diese Erinnerung würde ihm noch lange bleiben. Es fiel ihm schwer, sich zusammenzureißen.

„Der Tag war wunderbar, einfach perfekt.“ Sie strahlte ihn an. „So hatte ich mir meinen ersten Tag in Disneyland immer vorgestellt.“

Er musste lachen. „Wirklich? Mit einer niedlichen, aber auch sehr nervigen Fünfjährigen, die dich total mit Beschlag belegt?“

„Auch das, ja. Ein Tag, den ich mit Freunden verbringe. Und mit jemandem, der …“ Erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund und ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.

Insgeheim freute sich Garrett, dass auch sie an ihm Gefallen gefunden hatte. Jetzt muss ich aber schnell weg, schoss es ihm durch den Kopf, bevor ich noch meine Prinzipien und guten Vorsätze vergesse.

„Ja, ich muss dann mal“, sagte er und machte sich auf den Weg zur Tür.

„Schon? Das ist aber schade.“ Sie wies auf die gut bestückte Hausbar. „Vielleicht noch einen kleinen Drink zum Abschied? Ich könnte auch den Zimmerservice rufen …“

Verdammt, warum machte sie es ihm nur so schwer? Sie führte ihn wirklich ganz schön in Versuchung! Nichts wäre leichter als zu bleiben, als sie wieder zu küssen, ihren warmen, weichen Körper zu spüren – und einfach zu vergessen, wer sie war. Wer er war. Und warum das eine katastrophal schlechte Idee war.

„Das ist wirklich nett gemeint“, erwiderte er zögernd, „aber es passt heute schlecht. Ein andermal vielleicht.“

„Ja, sicher, ein andermal“, erwiderte sie enttäuscht. Den ganzen Tag lang hatte er sie strahlen und lachen sehen, und es brach ihm fast das Herz, dass sie jetzt so traurig war.

„Aber wie wär’s mit Frühstück morgen früh?“, stieß er hervor, ohne nachzudenken. Ups! Jetzt war es heraus, und er konnte es nicht zurücknehmen.

Sofort setzte sie wieder ihr strahlendes Lächeln auf. Spontan schlug sein Herz höher. Damit hast du einen gewaltigen Bock geschossen, alter Junge, dachte er.

„Tolle Idee. Sehr gerne.“

„Gut, also bis dann“, erwiderte er verstört, verließ die Suite und schloss die Tür hinter sich.

Im Fahrstuhl dachte er angestrengt nach. Das konnte doch nicht gut gehen! Wie sollte er jetzt mit der Situation umgehen?

Natürlich wollte er Alex. Sehr sogar.

Aber er hatte einen Ehrenkodex als Sicherheitsexperte. Und der verlangte, dass er die Prinzessin beschützte. Und nicht mit ihr ins Bett ging.

Vielleicht geht ja auch beides, dachte er, als sich die Fahrstuhltür im Erdgeschoss öffnete.

Die Frage war nur: War das klug?

3. KAPITEL

„Na, hat dein Besuch bei Micky Maus Spaß gemacht?“

„Sehr witzig.“ Garrett ließ sich in seinen roten Ledersessel sinken. In der einen Hand hielt er sein Handy, in der anderen eine Flasche eiskaltes Bier. Er hörte seinen Zwillingsbruder lachen.

„Tut mir leid, Mann“, sagte Griffin, „aber ich finde die Vorstellung einfach urkomisch, dass gerade du Miesepeter einen ganzen Tag in einem Vergnügungspark verbracht hast, umgeben von lauter gut gelaunten Menschen. Einfach unglaublich, dass Jackson dich dazu überreden konnte.“

„War ja nicht Jackson. Eigentlich war es Casey.“

„Ach so, das ist was anderes.“ Griffin seufzte. „Ja, ja, die Frauen. Wie bringen sie uns nur ständig dazu, Sachen zu tun, die wir eigentlich gar nicht tun wollen?“

„Wenn ich das wüsste“, erwiderte Garrett. Vor seinem geistigen Auge tauchte wieder Alex auf. Wie sie ihm Lebewohl gesagt hatte, mit leuchtenden Augen, mit einem verführerischen Lächeln …

„Der Tag war also total daneben, oder?“

„Ach, na ja …“

„Im vergangenen Sommer bin ich mit den Kindern in einem anderen Freizeitpark gewesen, und Mia hat mich fast um den Verstand gebracht. Der Zappelphilipp ist nichts dagegen.“

„Ein guter Vergleich“, stimmte Garrett lachend zu. „Sie hat sich aufgeführt, als hätte sie zwei Kannen Kaffee getrunken. Eigentlich war sie nur mal still, wenn wir gerade eine Fahrt gemacht haben.“

„Hört sich schlimm an“, kommentierte Griffin mitfühlend.

„Wäre es sicher auch gewesen.“

„Wenn nicht …?“

Garrett dachte kurz nach, wie er sich verhalten sollte, entschloss sich dann aber, seinem Zwillingsbruder reinen Wein einzuschenken. Er würde vorläufig das Geheimnis von Alex bewahren – aber nicht vor Griffin. Schließlich waren sie nicht nur Zwillinge, sondern auch Partner in der Sicherheitsfirma, die sie gemeinsam aufgezogen hatten.

„Also – raus mit der Sprache. Wer oder was hat dich aus deinem Elend errettet?“

„Griff kommt wie immer schnell zur Sache“, murmelte Garrett vor sich hin. Nachdenklich ließ er den Blick durch sein Wohnzimmer schweifen. Seine Eigentumswohnung war nicht groß, aber genau richtig für ihn. Eine Zeit lang hatte er in Hotels gelebt, genau wie sein Cousin Rafe es jahrelang gehalten hatte, bevor er seine Frau Katie kennen gelernt hatte. Aber auf Dauer war ihm das doch zu unpersönlich gewesen. Zwar war er aus beruflichen Gründen die meiste Zeit in der ganzen Welt unterwegs, aber trotzdem wollte er etwas, das ihm gehörte. Ein Zuhause, in das er heimkehren konnte.

Für ein Haus war er einfach zu oft abwesend und mochte den Gedanken nicht, es wochenlang unbeaufsichtigt zu lassen. Da gefiel ihm eine Eigentumswohnung schon besser. Denn er wusste, die Hausverwaltung und seine Nachbarn würden während seiner Abwesenheit ein Auge darauf haben.

Er hatte die Wohnung gemütlich eingerichtet, und jedes Mal, wenn er sie betrat, fielen die Alltagssorgen von ihm ab. Dazu trug sicher der traumhafte Blick auf den Ozean bei, aber auch das Wissen, dass die Wohnung ihm gehörte und niemand sie ihm wegnehmen konnte. Sie war ihm zu einem echten Heim geworden.

Im Moment saß er in seinem Arbeitszimmer, das mit Ledermöbeln ausgestattet war. An den Wänden befanden sich Bücherregale, zum Bersten gefüllt mit Klassikern und neuerer Literatur und etlichen Geschenken, die dankbare Kunden ihm geschickt hatten.

Eine Glastür führte auf den Balkon hinaus, wo er oft stand und gedankenverloren aufs Meer blickte. Fast genau wie der Ausblick von Alex’ Hotelsuite aus. Verflixt, jetzt dachte er schon wieder an Alex.

„Hallo? Garrett? Bist du noch dran?“

„Ja, natürlich.“

„Es war so still in der Leitung. Jetzt erzähl endlich.“

„Na schön. Ich habe eine Frau kennen gelernt.“

„Das nenne ich mal eine gute Nachricht. Wir müssen sofort die Presse informieren.“ Griffin lachte laut. „Wurde ja auch langsam Zeit, mein Alter. Seit Monaten liege ich dir in den Ohren, dass du ein bisschen Abwechslung brauchst, damit du etwas lockerer wirst. Wie ist sie denn so?“

„Einfach unglaublich. In jeder Hinsicht.“

„Witzig, dass du ausgerechnet in Disneyland die Königin deines Herzens triffst.“

„Königin? Nicht ganz.“

„Was soll das heißen?“

„Sie ist keine Königin, sie ist eine Prinzessin.“

„Prinzessin?“, fragte Griffin und stöhnte auf. „Du meinst eine feine Dame, etepetete, so wie die Prinzessin auf der Erbse? So was passt doch gar nicht zu dir.“

Garrett runzelte die Stirn. „Nein, sie ist eine Prinzessin.“

„Entschuldigung, da komme ich nicht ganz mit. Du meinst doch nicht etwa eine echte Prinzessin? Mit Thron und Krone und so?“

„Doch, ganz genau.“

„Was zum …“

„Erinnerst du dich noch an den Auftrag, den wir vor ein paar Jahren für den König von Cadria erledigt haben?“

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, während sein Bruder nachdachte. „Ach so, ja, jetzt fällt’s mir wieder ein. Das war doch die große Ausstellung der Kronjuwelen, und wir haben für die Security gesorgt. Gute Arbeit damals, wenn ich so sagen darf.“

„Ja. Kannst du dich noch an die Tochter des Königs erinnern?“

„Allerdings. Sie ist mir zwar nie offiziell vorgestellt worden, aber ich habe sie ein paarmal aus der Ferne im Palast gesehen. Mann, die war ganz schön …“ Stille am Ende der Leitung. „Sag mal, du veräppelst mich doch.“

Auch Garrett hatte sie damals von Weitem gesehen, ihr aber nicht allzu viel Beachtung geschenkt. Wenn er einen Sicherheitsjob erledigte, war er voll darauf und auf nichts anderes konzentriert. Nach dem Ende der Kronjuwelenausstellung waren er und sein Bruder schnell wieder abgereist.

Vor dem Rückflug in die Vereinigten Staaten hatten er und Griffin noch einen Abstecher nach Irland zu ihrem Cousin Jefferson und dessen Familie gemacht. Und an die Kronprinzessin hatte er keinen Gedanken mehr verschwendet.

Bis heute.

„Nein, Griff, ich schwöre, es ist wahr. Prinzessin Alexis hat heute Disneyland besucht.“

„Komisch, in den Nachrichten habe ich gar nichts darüber gehört.“

„Wirst du auch nicht.“ Garrett nahm einen Schluck Bier und hoffte, es würde ihn abkühlen. Doch es half nicht viel. Beim Gedanken an sie wurde ihm ganz heiß. „Sie ist inkognito hier, ich weiß nicht, ob sie sich versteckt oder so. Sie hat einfach gesagt, sie hieße Alex. Das war alles.“

„Aber sie muss doch Wachpersonal gehabt haben.“

„Davon war nichts zu sehen.“

Griffin holte tief Luft. „Das gefällt mir nicht, Bruderherz. Das gefällt mir ganz und gar nicht.“

„Mir auch nicht, wenn ich ehrlich bin.“ Die Besorgnis seines Bruders ließ auch ihn wieder unruhig werden. Alex saß mutterseelenallein in einem Hotelzimmer, und nur Garrett wusste, wer sie war. Ihre Familie hätte sie nie wissentlich unbeaufsichtigt gelassen – und das konnte nur bedeuten, dass sie ihren Leibwächtern entwischt war. Jetzt war sie schutzlos, und alles konnte passieren.

„Was willst du jetzt machen?“

Nervös warf er einen Blick auf die alte Standuhr. „Tja, vielleicht warte ich noch eine Stunde, dann rufe ich ihren Vater an.“

Griffin lachte auf. „Na klar, das geht ja auch so einfach. Einfach im Palast anrufen. Hallo, König? Hier spricht King.“

„Sehr lustig. Ich frage mich, warum ich dir das Geheimnis überhaupt anvertraut habe.“

„Weil ich dein Zwillingsbruder bin. Und zwar derjenige, der den Verstand abbekommen hat.“

„Dafür habe ich das gute Aussehen bekommen“, gab Garrett lächelnd zurück.

„Davon träumst du auch nur.“

So zogen sie einander gern auf und fanden es besonders witzig, weil sie eineiige Zwillinge waren und exakt gleich aussahen. Aber trotz aller Frotzeleien war Griffin der Mensch in Garretts Leben, auf den er sich immer verlassen konnte. Die beiden hatten noch vier weitere Brüder, und alle standen sie sich sehr nahe. Aber weil sie Zwillinge waren, hielten Garrett und Griffin besonders fest zusammen – auch gegen ihre übrigen Brüder. Sie waren gemeinsam aufgewachsen, gemeinsam zur Schule gegangen, hatten gemeinsam den Führerschein gemacht und waren auch gemeinsam zu Dates gegangen. Und noch immer gaben sie aufeinander Acht.

Für die Kings kam die Familie an erster Stelle. Immer. Und dann kam erst mal eine Weile gar nichts.

Als Griffin zu Ende gelacht hatte, fragte er: „Nein, jetzt im Ernst. Was willst du machen?“

„Was ich gesagt habe. Ich rufe ihren Vater an. Er hat uns doch damals seine Privatnummer gegeben, weißt du nicht mehr?“

„Stimmt.“

„Als Erstes will ich herausfinden, ob der König weiß, wo seine Tochter steckt.“

„Meinst du, sie ist weggelaufen?“

„Glaube schon. Warum sollte sie sich sonst wie eine normale Durchschnittsfrau anziehen? Nein, es würde mich nicht wundern, wenn niemand außer uns beiden weiß, wo sie ist. Ich werde den König auf jeden Fall wissen lassen, dass es ihr gut geht. Und dann soll er mir sagen, wie ich weiter vorgehen soll.“

„Wie würdest du denn am liebsten vorgehen?“

Garretts Schweigen drückte mehr aus, als Worte es gekonnt hätten. Was hätte er auch sagen sollen? Was er am liebsten mit Alex angestellt hätte? Nein, das ging gar nicht.

„Sie muss wirklich eine ganz besondere Frau sein.“

„Ja, das ist sie. Und ich werde für ihre Sicherheit sorgen.“

Dunkle Erinnerungen stiegen in ihm auf. Er konnte nichts dagegen tun, sie nicht aus seinem Gedächtnis löschen. Und das ist auch gut so, dachte er. Ich habe einmal einen Fehler gemacht, der jemanden das Leben gekostet hat. Das kann ich nie vergessen, und das darf ich auch nie vergessen.

„Garrett“, sagte Griffin leise, „du musst die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen.“

Nervös nahm Garrett noch einen Schluck Bier. Griffin schien immer genau zu wissen, was er gerade dachte. Das lag sicher daran, dass sie sich so gut verstanden – und Zwillinge waren.

„Wer hat denn was von der Vergangenheit gesagt? Ich nicht.“ Garrett versuchte, die dunklen Gedanken beiseite zu drängen. Alex’ Situation hatte schließlich nichts mit dem zu tun, was vor langer Zeit geschehen war. Und er würde dafür sorgen, dass es auch so blieb.

„Ich weiß doch, was dir im Kopf rumschwirrt. Aber schön, mach nur weiter so. Quäl dich und gib dir die Schuld für etwas, für das du nichts kannst.“

„Thema beendet“, sagte Garrett kurz angebunden.

„Na gut. Du warst ja schon immer ein Sturkopf.“

„Wer’s sagt, ist es selber.“

„He“, beschwerte sich Griffin, „für die witzigen Bemerkungen bin ich zuständig.“

„Natürlich. Wie konnte ich das nur vergessen?“ Amüsiert nippte Garrett an seinem Bier.

„Halt mich bitte unbedingt auf dem Laufenden, ja? Erzähl mir, was ihr Vater gesagt hat. Und wenn du Hilfe brauchst, ruf mich sofort an.“

„Natürlich“, versprach Garrett, obwohl er bereits wusste, dass er das nicht tun würde. Was Alex’ Schutz anging, wollte er keine Hilfe. Er wollte alleine auf sie aufpassen. Er hätte seinem Bruder sein Leben anvertraut – aber nicht das von Alex. Nein, für ihre Sicherheit wollte er ganz alleine sorgen.

Alex konnte nicht schlafen.

Immer wenn sie die Augen schloss, tauchten die Bilder des vergangenen Tages wieder vor ihr auf. Vor allem natürlich Bilder von Garrett. Wie er lachte, wie er mit den Kindern scherzte – und vor allem natürlich, wie er sie geküsst hatte!

Oh, dieser Kuss war – na ja, viel zu kurz gewesen, aber davon abgesehen einfach wundervoll. Sie fühlte sich geradezu verzaubert.

Sie erhob sich aus dem Bett und trat auf den Balkon ihrer Suite hinaus. Das Mondlicht spiegelte sich auf dem Ozean, und alles war ruhig. Als ob die ganze Welt schlief und träumte.

Alex wusste, wenn sie schlafen könnte, würde sie von Garrett träumen.

Eigentlich sollte ich ein schlechtes Gewissen haben, weil ich einfach so aus Cadria abgehauen bin, dachte sie. Aber ich habe keins. Wahrscheinlich, weil ich so lange genau nach Wunsch funktioniert habe. Immer bin ich die pflichtbewusste Tochter gewesen, die hilfreiche Schwester, die perfekte Prinzessin. Immer zur rechten Zeit am rechten Ort, um das Richtige zu sagen und zu tun.

Sie liebte ihren Vater, aber er benahm sich, als käme er direkt aus dem Mittelalter. Hätte ihre Mutter nicht einen mäßigenden Einfluss auf ihn gehabt, hätte König Gregory von Cadria seiner einzigen Tochter sicher am liebsten einen Keuschheitsgürtel umgelegt und sie in einem Verlies eingesperrt. Natürlich nur so lange, bis er den richtigen Ehemann für sie ausgesucht hatte.

Jedes winzige Stückchen Selbstständigkeit und Unabhängigkeit hatte sie sich hart erkämpfen müssen. Es genügte ihr einfach nicht, sich nur bei Staatsempfängen zu präsentieren. Oder ein Schiff zu taufen oder einen neuen Park zu eröffnen. Sie wollte mehr. Sie wollte, dass ihr Leben einen wirklichen Sinn hatte.

Und wenn das bedeutete, dass eine achtundzwanzigjährige Frau von zu Hause fortlaufen musste – dann war das eben so.

Sie konnte nur hoffen, dass ihr Vater ihr irgendwann verzeihen würde. Vielleicht würde er eines Tages verstehen können, wie wichtig ihr ihre Freiheit war.

Selbst die geringste Selbstbestimmung war ihr verwehrt. Der Palast entschied, was sie zu tun hatte und wann sie es zu tun hatte.

Sogar ihre Arbeit mit bedürftigen alleinerziehenden Müttern in der Hauptstadt von Cadria war von der Palastpresse vereinnahmt worden. Das offizielle Publikationsorgan hatte sie geradezu als Heilige dargestellt. Als die großherzige Prinzessin, die den Minderbemittelten half. Das hatte sie sehr wütend gemacht, weil es die Frauen, denen sie helfen wollte, demütigte und beschämte.

Einerseits Privilegien genießen, andererseits ständig auferlegte Pflichten erfüllen – das nahm ihr allmählich die Luft zum Atmen.

Sie versuchte, diesen Gedanken zu verdrängen, weil ihr bewusst war, wie erbärmlich sich das für einen Außenstehenden anhören musste. Das arme reiche Mädchen, das so zu leiden hatte! Sicher gab es viele Menschen, denen es schlechter ging. Trotzdem war das Leben als Prinzessin kein Zuckerschlecken. Genau das hatte sie der kleinen Mia begreiflich zu machen versucht.

Ja, die kleine Mia.

Alex musste lächeln. Der Tag mit Mia und ihrer Familie war so ziemlich der schönste ihres Lebens gewesen. Endlich hatte sie einmal etwas anderes erlebt. Nicht das ewig gleiche Einerlei des Palastlebens.

Im Prinzessinnendasein gab es keine Überraschungen. Keinen Spaß, keine Aufregung und erst recht keinen kleinen Flirt. Obwohl sie sich genau das immer ersehnt hatte.

Ihre Mutter hatte ihr früher viel erzählt und vorgelesen – Märchen und auch Liebesgeschichten. Und sie hatte immer von Disneyland geschwärmt. Ein Ort, an dem alle Menschen sich wohl fühlten und glücklich waren.

Alex’ Mutter war neunzehn gewesen und hatte in einem Souvenirshop in Disneyland gearbeitet, als sie den zukünftigen König von Cadria kennen lernte. Damals hatte sie natürlich nicht gewusst, dass der attraktive junge Mann, der mit ihr flirtete, ein Prinz war. Sein freundlicher Blick und sein sanftes Lächeln beeindruckten sie. Seinen Titel und seine Stellung hatte er vor ihr geheim gehalten, bis sie sich in ihn verliebt hatte. Genau das, fand Alex, war das Geheimnis. So wollte sie es auch halten. Einen Mann finden, der nicht wusste, wer sie war. Jemanden, der sie um ihrer selbst willen liebte – und nicht jemanden, der sie wollte, weil ihr Vater König war.

Vielleicht habe ich heute den richtigen Mann gefunden, ging es ihr durch den Kopf. Und zufällig genau an dem Ort, wo auch meine Mutter den Zauber gefunden hat, der ihr Leben verändert hat.

Nein, ich empfinde keine Schuldgefühle – weil ich nämlich richtig gehandelt habe, dachte sie. Andererseits behagte ihr nicht, dass ihre Familie sich wahrscheinlich Sorgen um sie machte. Sicher war ihr Vater außer sich, während ihre Mutter ihn zu beruhigen versuchte. Und ihre älteren Brüder waren bestimmt besorgt – und andererseits stolz auf den Alleingang ihrer kleinen Schwester.

In ein, zwei Tagen würde sie sie anrufen und ihnen sagen, dass es ihr gut ging. Aber bis dahin wollte sie einfach nur leben. Zum ersten Mal fühlte sie sich wie eine ganz normale junge Frau. Niemand, der ihr bei der Garderobe half, niemand, der ihr kluge Ratschläge erteilte und den Terminkalender für den heutigen Tag vorlegte. Sie konnte sich ihre Zeit selbst einteilen und musste niemandem Rechenschaft ablegen.

Ja, Freiheit war schon eine tolle Sache!

Sie konnte immer noch nicht glauben, dass ihr die Flucht überhaupt gelungen war. Zuerst war sie ihren Leibwächtern entwischt; sie konnte nur hoffen, dass ihr Vater nachsichtig mit ihnen war. Dann hatte sie sich verkleidet, ein Flugticket gekauft und Cadria unbemerkt verlassen. Ihr Vater war jetzt bestimmt mächtig wütend, aber im Grunde war es seine Schuld. Ständig hatte er davon geredet, dass Alex im heiratsfähigen Alter sei und endlich einen standesgemäßen Mann finden müsse. Das war der Hauptgrund, warum sie davongelaufen war.

Natürlich war ihr Vater kein Tyrann und kein Ungeheuer, im Gegenteil, eigentlich war er sogar ziemlich in Ordnung. Aber obwohl er eine Amerikanerin geheiratet hatte, die durchaus ihren eigenen Willen hatte, konnte er einfach nicht einsehen, dass seine Tochter auf eigenen Füßen stehen wollte.

Jetzt – im Moment jedenfalls – stand sie auf eigenen Füßen. Und das wollte sie nutzen, um zu sehen, was sich aus ihrem Treffen mit diesem Garrett entwickelte. Garrett … Um Himmels willen, sie kannte nicht einmal seinen Nachnamen.

Aber Namen waren ohnehin nur Schall und Rauch. Viel wichtiger war, dass das, was ihre Mutter ihr erzählt hatte, wirklich stimmte.

„Mom, du hattest recht“, murmelte sie vor sich hin. „Disneyland ist wirklich etwas ganz Besonderes. Und ich glaube, ich habe dort mein Glück gefunden.“

Früh am nächsten Morgen traf Garrett im Hotel ein. Die Gäste-Schlüsselkarte für den Fahrstuhl war für ihn freigeschaltet worden, sodass er ungehindert zu Alex’ Penthouse-Suite hochfahren konnte.

Während er im Fahrstuhl stand, dachte er nach. Er freute sich darauf, Alex wiederzusehen, obwohl er wusste, dass sie ihn nur beruflich interessieren durfte. Denn inzwischen war er ihr offizieller Leibwächter. Im Geiste erlebte er das Telefonat mit dem König von Cadria noch einmal …

„Sie ist in Kalifornien?“

Die Stimme des Monarchen war so laut, dass Garrett ihn wahrscheinlich sogar ohne Telefon gehört hätte.

Damit war auch schon die erste Frage beantwortet; Garrett hatte recht gehabt. Der König hatte nicht gewusst, wo seine Tochter steckte.

„Geht es ihr gut, ist sie sicher?“

„Ja“, antwortete Garrett schnell. Der König stieg in seiner Achtung. Natürlich war er wütend, aber vor allem ging es ihm um die Sicherheit seiner Tochter. „Es geht ihr gut, aber sie ist ganz allein. Ungeschützt. Dabei ist mir nicht ganz wohl.“

„Und mir erst recht nicht, Mr. King.“

„Nennen Sie mich doch Garrett.“

„Gut. Garrett.“ Flüsternd wechselte der König ein paar Worte mit jemandem, der offenbar neben ihm stand. „Ja, ja, das frage ich ihn gleich. Einen Moment noch, Teresa.“ Nach einer kurzen Pause sprach er wieder in den Hörer: „Entschuldigen Sie bitte. Meine Frau ist um Alexis sehr besorgt. Wie wir alle natürlich.“

„Das verstehe ich nur zu gut.“ Sehr besorgt ist wahrscheinlich noch untertrieben, dachte Garrett.

„Also, Garrett. Meine Frau möchte gerne wissen, wie Sie Alexis gefunden haben.“

„Ob Sie es glauben oder nicht, ich war mit Verwandten in Disneyland“, begann Garrett zu erzählen und musste schmunzeln. Es war schon verrückt, einer ausgerissenen Prinzessin in einem Vergnügungspark über den Weg zu laufen! „Rein zufällig sind wir ins Gespräch gekommen.“

Garrett sah keinen Sinn darin, dem König haarklein zu berichten, wie er Alex vor einem hartnäckigen Verehrer gerettet hatte. Und den heimlichen Kuss behielt er erst recht für sich.

„Das hätte ich mir gleich denken können!“, rief der König erregt und sprach dann wieder leise mit seiner Frau. „Teresa, das ist deine Schuld. Du hast unserer Tochter diese ganzen romantischen Flausen in den Kopf gesetzt und …“

Amüsiert lauschte Garrett dem königlichen Streit. Diese Auseinandersetzung bestätigte eine Erkenntnis, zu der er schon vor langer Zeit gekommen war: Menschen waren Menschen. Es spielte keine Rolle, ob sie eine Krone oder eine Baseballkappe auf dem Kopf trugen. Sie alle lachten, stritten sich, weinten. Und für Garrett hörte es sich ganz so an, dass der König von Cadria – wie wohl jeder Mann auf der Welt – nicht wirklich wusste, wie man mit Frauen umzugehen hatte.

Einen Augenblick später ertönte plötzlich eine weibliche Stimme am Telefon. Sicher die Königin, dachte Garrett, und offenbar lässt sie sich von seinem Wutausbruch kein bisschen einschüchtern.

„Hallo, Garrett?“

„Guten Tag, Majestät.“

„Geht es Alexis gut?“

„Ja, Majestät. Wie ich Ihrem Mann schon sagte, war alles in bester Ordnung, als ich sie gestern Abend zurück in ihr Hotel gebracht habe.“

„Das beruhigt mich sehr, vielen Dank. Und Sie sagten, Sie haben sie in Disneyland getroffen?“

„So ist es.“

Mehr zu sich selbst als an Garrett gerichtet murmelte die Königin: „Sie hat schon immer davon geträumt, Disneyland zu besuchen. Ich hätte mir denken können, dass sie dorthin fliegt, aber …“

Eine Prinzessin, die von Disneyland träumte. Na ja, dachte Garrett, viele normale junge Frauen träumen davon, eine Prinzessin zu sein, also ergibt das vielleicht sogar einen Sinn. Ihm war nicht entgangen, wie besorgt die Königin war, und er fragte sich, ob Alex überhaupt einen Gedanken daran verschwendete, was ihre Familie durchmachte.

„Ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie auf meine Tochter Acht gegeben haben“, sagte die Königin. „Mein Mann möchte Sie noch einmal sprechen.“

„Garrett?“ Der König schien sich etwas beruhigt zu haben. „Ich hätte Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich möchte Sie gerne engagieren, um unsere Tochter zu beschützen.“

Dieser Vorschlag gefiel Garrett nicht recht. Er wollte nicht den Leibwächter für Alex spielen – er wollte sie. Das passte nicht gut zusammen.

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist …“

„Machen Sie sich über das Honorar keine Sorgen, wir zahlen Ihnen, was Sie wollen. Um ehrlich zu sein, meine Frau ist der Meinung, dass Alexis diese Auszeit dringend braucht. Deshalb kann ich sie schlecht mit sanfter Gewalt zurück nach Hause holen, auch wenn mir das lieber wäre. Andererseits will ich natürlich nicht, dass sie möglicherweise in Gefahr gerät.“

In dieser Hinsicht musste Garrett dem Monarchen recht geben. Auch wenn Alexis es nicht wahrhaben wollte – ihr konnte durchaus Gefahr drohen. Deshalb hatte er den König ja angerufen. Auch Garrett war der Meinung, dass Alexis Schutz brauchte – nur wollte er nicht der Beschützer sein. „Ich stimme Ihnen durchaus zu, dass die Prinzessin einen Leibwächter braucht, aber …“

„Hervorragend“, unterbrach der König ihn. „Also halten Sie uns genau auf dem Laufenden, wo sie hingeht und was sie tut?“

Garrett verzog den Mund. Das war keine Leibwächtertätigkeit mehr, das grenzte an Bespitzeln. So etwas hatten sein Zwillingsbruder und er in all den Jahren, in denen sie den Sicherheitsdienst führten, noch nie getan.

„Tut mir leid, Majestät, ich habe kein Interesse daran, jemanden zu bespitzeln.“

„Von Bespitzeln kann keine Rede sein. Ich bitte Sie doch nur, meine Tochter zu beschützen – gegen ein fürstliches Honorar – und zu schauen, was sie so treibt, und mir dann ausführlich Bericht zu erstatten. Moment bitte. Was meinst du, Teresa?“ Am anderen Ende der Leitung war aufgeregtes Flüstern zu hören. Schließlich sprach der König weiter: „Ich musste mich gerade belehren lassen, dass es doch Bespitzeln ist. Dann würde ich Sie eben nur bitten, ein Auge auf meine Tochter zu haben. Ohne mir Bericht zu erstatten.“

Garrett schwieg; die Sache gefiel ihm immer noch nicht. Erneut ergriff der König das Wort.

„Garrett, meine Tochter soll ihre Auszeit haben. Aber den Leibwächtern, die ich ihr zugeteilt habe, ist sie noch immer entwischt, wenn sie es darauf angelegt hat. Wir wüssten es daher sehr zu schätzen, wenn Sie den Job übernehmen würden.“

Daraufhin hatte Garrett schließlich zugestimmt.

Er runzelte die Stirn, nachdem er das Gespräch noch einmal hatte Revue passieren lassen. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass das alles nicht gut ausgehen würde.

Aber was hätte er denn tun sollen? Einem besorgten Vater – einem König obendrein – sagen, dass er seine Tochter nicht beschützen würde? Hätte der König allerdings auf der Bespitzelung bestanden, hätte er definitiv Nein gesagt.

Aber eine normale Bewachung – diesen Auftrag hatte er annehmen müssen. Aus nachvollziehbaren Gründen wollte der König nicht, dass Alex’ Aufenthalt in Amerika bekannt wurde. Da Garrett als Einziger ihr Geheimnis kannte und obendrein ausgebildeter Sicherheitsexperte war, konnte er sich schlecht aus der Affäre ziehen.

Hätte er abgelehnt und Alex wäre dann etwas passiert – mit dieser Schuld hätte er niemals leben können. Denn in seiner Vergangenheit gab es schon eine junge Frau, die ihr Leben verloren hatte, und die Erinnerung daran ließ ihn nicht los. Noch so einen Vorfall würde er nicht verkraften.

4. KAPITEL

Als es an der Tür klopfte, öffnete Alex und lächelte Garrett an.

Wie groß er war, wie gut er aussah! Kein Wunder, dass er ihr gestern sofort gefallen hatte.

„Ich bin wirklich beeindruckt“, sagte er lächelnd.

„Beeindruckt? Wovon?“

„Dass du schon fertig bist. Im Stillen hatte ich befürchtet, dass ich noch eine halbe Stunde warten muss, bis du frisiert und geschminkt bist und entschieden hast, was du anziehen willst.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. Er konnte es ja nicht wissen, aber sie war von Kindesbeinen an dazu erzogen worden, pünktlich zu sein. Der König von Cadria ließ Menschen niemals warten, und das Gleiche erwartete er auch von seinen Familienangehörigen.

„Diese Bemerkung war ganz schön sexistisch und frauenfeindlich. Ich wünsche dir auch einen guten Morgen.“

„Es war weder sexistisch noch frauenfeindlich gemeint“, erwiderte er und trat ein. „Ich warte nur nicht gerne, weil jemand trödelt oder sich nicht entscheiden kann – egal ob Männlein oder Weiblein.“ Bewundernd musterte er sie. „Obwohl – so wie du aussiehst, hätte ich gerne auf dich gewartet.“

Sie errötete leicht. Ein einfaches Kompliment, geradeheraus – das bedeutete ihr viel mehr als die ehrerbietigen Schmeicheleien, die sie sonst zu hören bekam. Und als sie sah, dass er sich ehrlich freute, sie zu sehen, wurde ihr ganz warm ums Herz.

Ich hätte schon viel eher ausbrechen sollen, dachte sie. Menschen kennen lernen, die nicht wissen, wer ich bin. Obwohl ich mich nicht wegen meiner gewonnenen Freiheit so aufgeregt fühle. Sondern wegen Garrett.

Einen Mann wie ihn hatte sie noch nie getroffen. Es war nicht nur sein tolles Aussehen, das sie so beeindruckte. Es war auch sein Lachen, die Art, wie er mit seinen Nichten umging – und die Tatsache, dass er sie gegen ihren aufdringlichen Verehrer verteidigt hatte.

Verwirrt registrierte sie, wie er den Blick prüfend durch ihr Wohnzimmer schweifen ließ, als ob er hinter jedem Sessel einen Attentäter vermutete. Diesen Blick kannte sie nur zu gut – von den Palastwachen und ihren Leibwächtern. Aber warum benahm er sich so? Das fand sie komisch … und verdächtig.

War das Ganze vielleicht ein abgekartetes Spiel? Hatte ihr Vater etwa herausgefunden, wo sie sich aufhielt, und Garrett auf sie angesetzt?

Nein, das konnte nicht sein. Sie hatten sich doch rein zufällig in Disneyland getroffen. Ich bin einfach zu misstrauisch, ging es ihr durch den Kopf. Er schaut sich wahrscheinlich nur das Mobiliar an. Wahrscheinlich sieht er nicht jeden Tag so eine teure Luxussuite.

„Also“, sagte er, „gehen wir frühstücken?“

„Ja, klar. Ich bin schon am Verhungern.“

Er schenkte ihr ein Lächeln, das sie förmlich dahinschmelzen ließ. „Das mag ich an dir, Alex. Du gibst es offen zu, wenn du Hunger hast.“

Sie hatte auch Hunger auf etwas ganz anderes, aber das verschwieg sie ihm lieber. „Die Frauen, die du sonst so kennst, essen wohl nicht viel?“

Er zuckte mit den Schultern, als ob alle anderen Frauen ihm nicht viel bedeuteten. Sie konnte nur hoffen, dass das stimmte.

„Sagen wir, die Frauen, die ich sonst so kannte, haben ein halbes Gummibärchen als vollwertiges Mittagessen angesehen.“

Sie musste lachen. „Ja, solche Frauen kenne ich auch“, sagte sie und griff nach ihrer Handtasche. „Ich habe das nie verstanden. Ich esse nämlich wirklich gerne.“

„Gut zu wissen“, gab er lächelnd zurück.

Sie nahmen ihr Frühstück in einem kleinen Café am Pacific Coast Highway ein. Man hatte hier einen herrlichen Ausblick aufs Meer, aber Alex nahm ihn kaum wahr, weil sie die Augen nicht von Garrett lassen konnte. Er sah einfach zu gut aus!

Dennoch wirkte er heute Morgen so … anders. Irgendwie angespannt. Aber vielleicht ist das auch normal, dachte sie, schließlich ist man bei einem Besuch im Freizeitpark natürlich besonders locker.

Er hatte etwas an sich, das sie faszinierte. Was er ausstrahlte, war eine Art unausgesprochene Autorität. Das stille Versprechen, dass er das Sagen hatte und dass jemand, der unter seinem Schutz stand, vor rein gar nichts Angst zu haben brauchte.

Sie schmunzelte. Komisch – was sie an ihm so toll fand, war das Gleiche, das sie bei ihrem Vater in den Wahnsinn trieb.

„Was gibt’s denn zu lächeln?“, fragte er. „Erzähl’s mir.“

„Lieber nicht.“

„Lieber doch. Sonst glaube ich noch, dass du dich im Stillen über mich lustig machst.“

„Das ganz bestimmt nicht.“ Alex nahm einen Schluck aus ihrem Kaffeebecher. „Es gibt bestimmt keine Frau, die sich über dich lustig macht.“

Er zwinkerte ihr zu. „Falls doch, dann höchstens ein Mal.“

Sie musste lachen.

„Ich schüchtere dich kein bisschen ein, oder?“, fragte er.

„Nein, warum?“

„Weil ich auf die meisten Menschen einschüchternd wirke.“

„Ich bin eben nicht wie die meisten Menschen.“

„Ja, das ist mir auch schon aufgefallen.“ Er beugte sich zu ihr hinüber. „Was steht als Nächstes an, Alex? Gibt es außer Disneyland noch etwas, das du dir ansehen möchtest?“

Autor

Brenda Jackson
<p>Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...
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